III Eine seltsame Nachricht

Bolitho hob das Teleskop ans Auge und zuckte zurück, als das heiße Metall seine Haut berührte. Seit dem ersten Morgenlicht, als der Ausguck» Land in Sicht «gemeldet hatte, hatte die Tempest sich langsam, aber stetig dem Land genähert; an die Stelle der ersten Erregung trat Ungewißheit.

Methodisch und aufmerksam studierte Bolitho die Inseln, bemerkte die verschiedenen Anhöhen; die auf der nächsten Hauptinsel sah aus wie ein gebückter Mönch, der sich die Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Durch das starke Fernglas wirkte alles sehr nah, aber er wußte, daß das nächste Land noch gut drei Meilen entfernt war. Dahinter überschnitten sich in der Ferne zahllose weitere Inseln oder bloße Erhebungen aus nacktem Fels, die den Eindruck einer unüberwindlichen Landbarriere machten. Kopf und Schultern eines Seemanns tauchten kurz in dem Glas auf, als Bolitho es auf den Kutter der Tempest richtete, der bald nach der Morgendämmerung zu Wasser gelassen worden war. Unter einem winzigen Segel fuhr er der Fregatte voraus; gelegentlich konnte Bolitho ein Aufspritzen vor dem Bug der Kutters wahrnehmen, wenn der Lotgast regelmäßig die Leine auswarf, um ihre Annäherung ans Ufer zu sichern.

Das Meer wirkte zwar ruhig und einladend, aber Bolitho wußte, daß sie nie außer Gefahr waren. Dicht bei der nächsten Hauptinsel, wo das Wasser eher grün als blau schien, hatte er unter der Oberfläche einen dunkleren Streifen wahrgenommen: wie ein Feld Seegras, aber hier gab es auch sehr viele Riffe. Jedenfalls durfte er kein Risiko eingehen.

Ohne das Glas zu senken, sagte er:»Lassen Sie einen Strich abfallen, Mr. Lakey.»

«Aye, aye, Sir. «Der Steuermann schien angespannt. Bolitho erforschte weiter die nächste Insel. War sie unbewohnt, oder verbargen die reich bewachsenen Hügel spähende Augen? Er erinnerte sich, wie er einmal an einem solchen Strand gelandet war. Eingelullt vom schweren Duft der Palmen und der unbekannten Vegetation, eine Weile dem spartanischen Leben an Bord entkommen, waren sie völlig unvorbereitet gewesen auf den plötzlichen Überfall durch schreiende, Speere schwingende Wilde. Diese Erinnerung tauchte gerade in solchen Augenblicken immer wieder auf.

«Nordwest zu Nord, Sir! Kurs liegt an.»

«Sehr gut. «Bolitho wandte sich Herrick zu.»Nichts zu sehen, Thomas. Nicht einmal Rauch.»

Herrick erwiderte:»Mir gefällt das nicht.»

Auch er hielt ein Fernglas auf die Insel gerichtet.»Bei dem

Schneckentempo müßte jeder Ausguck uns schon lange ausgemacht haben.»

Wie zur Bestätigung seiner Worte klangen vom Vorschiff sechs Glasen herüber: elf Uhr vormittags. Eine lange Zeit seit der Morgendämmerung.

Bolitho biß sich auf die Lippen. Er kannte die Eurotas nicht, aber sie war ein erprobtes Schiff und kein Fremdling in diesen Gewässern. Ihr Kapitän James Lloyd hatte einen guten Ruf. Selbst wenn das Schiff auf ein Riff gelaufen wäre, hätten sich die Überlebenden doch zweifellos in den Booten retten können?

Er senkte das Glas und sah kurz einen Hai auftauchen, der seinen Rücken in ganzer Länge dem Sonnenlicht zeigte, kaum eine Riemenlänge von der Bordwand entfernt. Midshipman Swift sagte:»Der Kutter signalisiert, Sir. «Selbst seine Stimme klang gedämpft. Bolitho hob wieder das Glas und sah Starling, einen der Steuermannsmaaten, aufrecht mit ausgestreckten Armen im Heck des Bootes stehen.

«Beachten Sie das, Mr. Lakey. «Bolitho schob das Teleskop mit einem Schnappen zusammen.»Das Boot hat in Nordwest Untiefen gesichtet.»

Seine Augen mit dem Unterarm beschattend, blickte er auf. Unter Marssegeln und Klüver machte die Tempest nur wenig Fahrt. Aber sie mußten wachsam bleiben, bereit sein, unverzüglich über Stag zu gehen, um sich notfalls von diesen drohenden Riffen freisegeln zu können. Er beobachtete die Segel, die kaum zogen, und die perspektivisch verkürzten Gestalten der Männer im Ausguck. Schon vom Beobachten wurde ihm schwindlig. Einer hielt sich nicht einmal in der Saling fest, und Bolitho konnte sein Bein auf- und abzucken sehen, wahrscheinlich im Takt zu einem Lied, das nur der Seemann selbst hören konnte.

Lakey verließ das Ruder, an dem zwei Rudergänger im sengenden Sonnenglast standen, und kam zur Achterdeckreling.

Bolitho wandte sich ihm zu. Er mußte seine Schuhe gewaltsam vom Deck lösen, an dessen Fugen sie klebten. Lakey sagte ruhig:»Ich habe nachgedacht, Sir. Hier gibt es noch eine Insel, im Nordosten. Auf der Karte ist kein Name für sie eingetragen, aber Seeleute nannten sie die >Insel der fünf Hügel<. «Er hob die Schultern.»Außer den Hügeln gibt es dort weiter nichts. Ich ging vor Jahren einmal an Land, als ich auf der alten Fowey diente. Die Hügel bilden einen geschützten Ankerplatz, und auch ein Strand ist da. Wir legten auf der Suche nach Wasser dort an. «Er seufzte bei der Erinnerung.»Aber von Tümpeln im Fels abgesehen, fanden wir nichts.»

Herrick meinte:»Nun, dort wird die Eurotas wohl kaum sein, oder?«Er konnte seine Ungeduld kaum verhehlen, wie die meisten anderen spürte er die Spannung. Lakey blieb ungerührt.»So einfach ist das nicht, Sir. Wenn das Schiff Schaden erlitten hat, ein Leck vielleicht, kann es dort sicher auf Strand gesetzt werden; das Risiko eines Eingeborenenüberfalls ist geringer als bei den anderen, größeren Inseln. «Er runzelte die Stirn.»Ich hätte früher daran denken sollen.»

Bolitho sah ihn an und überlegte.»Wie dem auch sei, es klingt einleuchtend. Da wir doch zwischen den Inseln hindurch müssen, verlieren wir nichts, wenn wir unsere Suche etwas ausdehnen.»

«Mr. Starling signalisiert wieder, Sir. «Swifts sonnenbraunes Gesicht verriet seine Konzentration, während er den Kutter durch sein starkes Teleskop beobachtete.»Riffe an Steuerbord, aber immer noch kein Grund. «Lakey atmete langsam aus.»Darin stimmt die Karte jedenfalls.»

Bolitho zupfte das Hemd etwas von der Brust ab. Es war triefend naß.

«Trotzdem wollen wir selbst anfangen zu loten. Geben Sie den Befehl.»

Bald darauf hörten sie den Ruf des Lotgasten vom vorderen Rüsteisen:»Kein Grund, Sir.»

Da unten mußte es wie in einer großen, zackenbewehrten Höhle aussehen, dachte Bolitho. Er konnte sich den Rumpf der Tempest vorstellen, wie ein Fisch oder eine Meerjungfer ihn wohl sah. Stumpf hob er sich von der schimmernden Oberfläche ab, glitt träge zwischen den Riffen hindurch, während unter dem Kiel die See in tiefe Schwärze absank, in eine stumme Welt.

Jemand mußte das Schiff doch gesichtet haben! Selbst wenn die Männer im Ausguck kein Lebenszeichen entdecken konnten, mußte es hier andere Augen geben. Die Nachricht würde sich schneller über die Inseln verbreiten als jedes bekannte Signal: ein Schiff in der Nähe, ein Kriegsschiff! Erst wenn die Tempest vorbeigezogen war, würden die Menschen wieder auftauchen und ihr gewohntes Leben fortsetzen: Beute machen, jagen, fischen. Töten.»Kein Grund, Sir!»

Bolitho beobachtete den Kutter aufmerksam.»Lassen Sie das Beiboot aussetzen, Mr. Borlase. Kommandieren Sie es selbst, und halten Sie sich dicht unter Land, sobald wir durch den Riffgürtel sind. Aber riskieren Sie nichts, sondern achten Sie nur scharf auf eventuell angetriebene Wrackteile. Bewaffnen Sie die Leute, und lassen Sie eine Drehbasse im Bug montieren.»

Borlase, der wie der größte Teil der Schiffsbesatzung bisher nur Zuschauer gewesen war, zwang seinen von der Sonne benommenen Verstand zur Arbeit.

«Aye, Sir. «Er legte die Hände um den Mund.»Beibootbesatzung nach achtern!»

Die Tempest bewegte sich so langsam, daß sie nicht einmal beidrehen mußte, während die Besatzung ins Boot ging und ablegte.

Bolitho beobachtete das Manöver, bis Borlases Mannschaft das Boot unter Kontrolle und Segel gesetzt hatte. Jede Arbeit war besser, als nur herumzustehen und zu brüten. Sie mochte auch dazu beitragen, feindselige Augen an Land zu verwirren. Boote im Wasser konnten alles Mögliche bedeuten und würden die Weiterleitung der Meldung aufhalten, bis der Zweck klar geworden war.»Zwanzig Faden,[13] Sir!«Eine Pause, bis der Matrose das Lot Hand über Hand eingeholt hatte. Dann:»Felsiger Grund. «Bolitho sah Herrick an. Wenn der Talg am Boden des Lotbleis keinen Sand enthielt, befanden sie sich vermutlich gerade an der sichersten Stelle über dem Riff. Zwanzig Faden waren so gut wie hundert.

Starling hatte im Kutter wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, wie tief es hier war, denn das Boot hatte ein Lot von nur der halben Länge; so war ihm wohl kaum bewußt, daß er das Schlimmste hinter sich hatte. Aber seine Lotwerte waren immer noch wichtig. Ein plötzliches Ansteigen des Meeresbodens, eine auf der Karte nicht erfaßte Felsspitze, gleichgültig, wie klein sie sein mochte, konnte den Boden der Tempest aufreißen wie eine Axt eine Hängematte. Bolitho beobachtete, wie die Brandung eine andere Insel gischtsprühend anlief. Kein Wunder, daß alte Seeleute ihre Zuhörer mit Geschichten von Sirenen und Meerjungfrauen, die ihre Schiffe hier in den Untergang lockten, in Spannung hielten. Es sah alles so friedlich, so einladend aus.»Kein Grund, Sir!»

Bolitho ging ruhelos nach Steuerbord hinüber und versuchte, nicht an frisches, kühles Trinkwasser zu denken, wie man es in den Flüssen und Bächen Cornwalls fand. So klar und erfrischend wie Wein.

Er bemerkte, daß Keen ihn mit nachdenklich gespanntem Gesicht beobachtete. Wahrscheinlich hält er mich für verrückt, daß ich noch weitersuche, dachte er. Er hörte das Schlagen der Segel und Knarren der Blöcke, als eine schwache Bö wieder die Segel füllte und den Wimpel im Masttopp wie eine lange Zunge flattern ließ. Nur wenige der Matrosen und Marinesoldaten sprachen oder zeigten Interesse an den vorbeiziehenden Inseln. Das Gurgeln der

Wellen am Rumpf und das Knarren des Ruders waren die lautesten Geräusche.

«Neunzehn Faden!«Es klang wie ein Klagelied, als der Mann das Lot wieder einholte.

Lakey sagte plötzlich:»Da ist die Insel, Sir! Genau Steuerbord voraus. Die Hügel überschneiden sich von hier aus, aber es sind fünf, und der Ankerplatz liegt unterhalb des zweiten, soweit ich mich erinnere. «Bolitho nahm das Glas von Midshipman Romney entgegen, der sich mit dem Sextanten bereithielt, um unter den kritischen Blicken von Lakey das Mittagsbesteck zu nehmen. Der arme Romney konnte nicht einmal das richtig. Die drei anderen Midshipmen waren darin so tüchtig wie Leutnants oder sogar besser.

Bolitho sah die Hügel, deren Gipfel bar jeder Vegetation waren. Ohne Lakeys Erfahrung hätte er nie erkannt, daß es fünf Anhöhen in einer Reihe waren. Was für ein entsetzlicher Ort für Schiffbrüchige. Kein Schiff würde hier vorbeikommen, es sei denn, es wurde von einem Sturm abgetrieben oder verfolgte unredliche Absichten. Hier konnte man ebensogut an Wahnsinn sterben wie verdursten.»Fünfzehn Faden!»

Bolitho berührte Romney an der Schulter und spürte durch das rauhe Hemd, wie der Midshipman zusammenzuckte.»Behalten Sie Mr. Borlases Boot im Auge. Wenn es von einer Landzunge verdeckt wird oder sonstwie außer Sicht gerät, informieren Sie sofort Mr. Herrick. «Er sah, wie der Junge zu ihm aufblickte. Wie immer gab er sich verzweifelt Mühe, fürchtete aber jetzt schon, wieder einen Fehler zu begehen.

Bolitho fügte ruhig hinzu:»Das Mittagsbesteck wird Ihnen heute erlassen, Mr. Romney. Ich kenne unsere Position schon genau genug. Aber ich möchte nicht ein Boot samt Besatzung verlieren.»

Romney legte grüßend die Hand an die Stirn und eilte zu den Wanten. Das große Teleskop, das er mitschleppte, ließ ihn noch kläglicher erscheinen.

«Der wird nie Offizier«, knurrte Lakey.»In seinem ganzen Leben nicht.»

«Zwölf Faden Tiefe!»

Bolitho blickte zur Seite. Er bezweifelte, daß es jetzt noch flacher werden würde, aber die regelmäßigen Ausrufe des

Lotgasten halfen ihm, sich zu sammeln.

Ohne sich umzuwenden, wußte er, daß Allday hinter ihm stand. Trotz seines kräftigen Körperbaus konnte Allday so geräuschlos wie eine Katze auftreten.

Jetzt fragte er:»Soll ich Ihnen etwas zu trinken bringen,

Cap-tain?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Später.»

Allday trat an die Reling, den Kopf leicht schräg geneigt.

«Kanonenfeuer.»

Wenn er irgendeine schreckliche Verunglimpfung von König und Vaterland von sich gegeben hätte, er hätte keine überraschendere Wirkung erzielen können. Ross, der Steuermannsmaat vom Dienst, sagte verächtlich:»Eher mein leerer Magen!»

Dann hörten es alle: einen dumpfen, hallenden Knall, wie ein Paukenschlag in einer Höhle.

Lakey nickte nachdrücklich.»Das kommt von dem Ankerplatz. Es muß so sein. Das Echo rollt auf die See hinaus.»

Bolitho sah, daß alle Gesichter auf dem Batteriedeck sich ihm zugewandt hatten und beobachteten, was er tun würde. Wo er anfangen würde.

Er befahl:»Signalisieren Sie Mr. Starling, den Abstand beizubehalten, und rufen Sie dann Mr. Borlase zurück. «Verzweifelt rief Romney:»Ich sehe das andere Boot nicht mehr, Sir!«Alle starrten ihn an.

Herrick rief schroff: «Was sehen Sie nicht?«Romney war von dem fernen Geschützfeuer und der plötzlichen Aufregung abgelenkt worden. Wie jeder andere hatte er nach vorn geblickt und nicht dorthin, wo ihm befohlen war.

Bolitho verschränkte die Hände auf dem Rücken. Das Geschützfeuer erfolgte sehr unregelmäßig und kam offenkundig von nur einer Kanone. Keinesfalls schoß da jemand, der sich zu verstecken suchte.

Er sah an dem Midshipman vorbei auf eine Landzunge. Borlase mußte genau dahinter auf den Strand zugehalten haben. Es war mißlich, daß Romney in diesem Augenblick woanders hingesehen hatte, aber jetzt nicht mehr zu ändern. Borlase wußte selbst, wie er sich seiner Haut zu wehren hatte.

Bolitho sagte scharf:»Lassen Sie die Fock setzen, Mr.

Herrick! Kurs zwei Strich nach Steuerbord!»

Herrick hob sein Sprachrohr.»Alle Mann an die Brassen!

Beeilung!»

Die Tempest schwang pompös auf ihren neuen Kurs ein, und die Seeleute setzten hastig das große Vorsegel. Bolitho spürte die geringe Steigerung der Geschwindigkeit. Mit dem jetzt fast achterlichen Wind und dem zusätzlichen Segel gewann das Schiff an Fahrt und begann, den Kutter einzuholen.

Wieder hob Bolitho das Glas. Er sah den Abhang des ersten Hügels, der an der Luvseite zum Bug hinunter verlief, so daß es durch das Glas so wirkte, als berühre er die linke Schulter der Galionsfigur.

«An Deck!«Aller Augen wandten sich nach oben zum Ausguck im Vormast.»Schiff vor Anker hinter der Landzunge!»

Wieder rollte Kanonendonner über das blaue Wasser, und Bolitho sah Hunderte von Seevögeln wie winzige weiße Federn über der nächstgelegenen Anhöhe kreisen. Er wartete, bis die Matrosen die Luvbrassen belegt hatten, dann machte er kehrt und ging zum Ruder zurück. Er spürte, wie die Rudergänger und auch Keen und Lakey jeder seiner Bewegungen folgten.

Der dienstältere Rudergänger sagte rauh:»Kurs Nord zu West liegt an, Sir.»

Bolitho blickte auf den Kompaß und überprüfte die Stellung der Rahen. Dann sah er Herrick an und erinnerte sich flüchtig all der früheren, ähnlichen Gelegenheiten.

«Also gut. Sie können alle Mann auf Station rufen und das

Schiff gefechtsklar machen lassen.»

Herrick nickte mit unbewegtem Gesicht.

Die beiden Trommler kamen nach achtern gestampft, zogen ihre Schlegel und rückten ihre Trommeln zurecht, ehe sie mit ihrem wilden Wirbel begannen, während die Bootsmanns-maaten von Luke zu Luke rannten und brüllten:»Alle Mann! Alle Mann! Klar Schiff zum Gefecht!«Bolitho wurde sich bewußt, daß Midshipman Romney immer noch neben den aufmerksamen Rudergängern stand, und fragte:»Was hält Sie auf?»

Der Junge, eine kleine, reglose Gestalt in dem scheinbar wilden Durcheinander, stammelte benommen:»Es — es tut mir leid, Sir, ich dachte…«Er brach ab. Herrick befahl scharf:»Ins Vorschiff mit Ihnen! Melden Sie sich bei Mr. Jury. Ihm fehlen an Steuerbord einige Leute. «Er hob seine Stimme:»Nun gehen Sie schon, Mr. Romney!«Er sah dem davoneilenden Midshipman nach und murmelte:»Gott sei ihm gnädig.»

Der Lotgast, den fast alle vergessen hatten, rief aus:»Zehn Faden, Sir!»

Bolitho beobachtete den Kutter, der hinter ihnen zurückblieb. Starling im Heck winkte grüßend, als sie vorbeizogen. Ungeduldig zog er seine Uhr. Das dauerte alles viel zu lange. Aber er wagte nicht, mehr Segel zu setzen. Wenn die Tempest hier ohne Grundberührung davonkommen wollte, durfte sie nicht zu schnell sein. Herrick rief:»Gefechtsklar, Sir!«Sein Blick fiel auf Bolithos Uhr, und er fügte hinzu:»Ich bedaure, daß es fünfzehn Minuten dauerte, Sir.»

Bolitho schob die Uhr in die Tasche zurück. Dieses eine Mal hatte er ausnahmsweise nicht an seine Standardforderung gedacht, daß Gefechtsbereitschaft in zehn Minuten oder schneller erreicht werden mußte.

«Schon gut. Wir müssen eben versuchen, die fünf Minuten wieder aufzuholen.»

Besser für Herrick, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, als zu hören, daß sein Kommandant neue Sorgen hatte. Er blickte über die Querreling auf die nackten Rücken der Matrosen an den Zwölfpfündern nieder und zum Vorschiff, wo die langen Buggeschütze und die plumpen Karronaden feuerbereit warteten. Es war die buntest gemischte Besatzung, die er je gesehen hatte.

Und ganz gleich, was hinter der Landzunge oder dem nächsten Horizont auf sie warten mochte, sie waren alles, was er hatte.

Langsam sagte er:»Gut denn, Mr. Herrick. Setzen Sie die Flagge.»

Mit abwechselnd vollen und wieder killenden Segeln, als ob sie atme, steuerte die Tempest zielstrebig auf die Insel der fünf Hügel zu. Bolitho konnte sich an eine ähnlich frustrierende Annäherung nicht erinnern und war sich der Spannung ringsum bewußt.

Wieder hob er das Glas an die Augen: die Klippen am Fuß des Vorlandes wirkten wie abgebrochene Zähne; er konnte das zwischen ihnen aufgefangene Wasser auf- und abschwappen sehen und dahinter ein kurzes Stück Sandstrand. Zu steil, um dort an Land zu gehen, entschied er, selbst wenn es gelang, ein Boot zwischen den Felsen durchzumanövrieren.

Da — der Knall der einzelnen Kanone hallte erneut über die nächste Halbinsel herüber, wo das Steilufer direkt ins Meer abzufallen schien.

Er hielt das Glas still und musterte die Masten und Rahen des ankernden Schiffes, das leichte Flattern der aufgegeiten Segel. Es befand sich so dicht unter Land, daß es zeitweise trockengefallen sein mußte. Möglicherweise, um einen Schaden zu beheben, wie Lakey vermutet hatte. Bolitho sagte:»Ändern Sie den Kurs, um diesen Felsen auszuweichen, Mr. Lakey. Wir überqueren die Bucht und zeigen uns, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, auf was sie schießen. «Damit sprach er aus, was Herrick und manch anderer dachte, seit sie den ersten Schuß vernommen hatten. Die Eurotas — und es s chien kein Zweifel daran möglich, daß sie es war — war gut bewaffnet, wie ein Handelsschiff es in diesen Gewässern sein mußte. Aber da kein Anzeichen für ein anderes Schiff zu entdecken war, wurde sie entweder von Eingeborenenkanus oder vom Ufer selbst bedroht. Ihre Kanone konnte jede solche Gefahr abwehren, und da sie keine schweren Waffen erwidern hörten, wurde das Geheimnis immer größer.»An die Brassen!»

Die Männer bewegten sich langsam in dem sengenden Sonnenglast — und dann plötzlich eilig, als die Maate dazwischenfuhren.»Hart Steuerbord!»

Bolitho beobachtete, wie die dünnen Schatten der Masten über die ausgedörrten Planken glitten, als die Tempest auf Ruder und Wind reagierte. Sie drehte weiter und weiter herum, wobei das bucklige Vorland an Backbord vorüberzog und endlich den Blick auf die Bucht unter dem zweiten Hügel freigab.»Recht so!»

«Nordost zu Nord, Sir!»

Die Tempest schien von sich aus Fahrt aufzunehmen, als sie vor dem Wind, der fast in ihrem Kielwasser folgte, dahinzog, während jetzt das Vorschiff und die an den Karronaden geduckten Männer von Gischt übersprüht wurden.

Herrick rief aus:»Ich sehe sie, Sir! Ein Dutzend oder mehr Kanus. Große, mit Auslegern!»

Eine Kanone auf der ihnen abgekehrten Seite des Schiffes feuerte, und man sah die Fontäne bei einem der nächsten Kanus aufsprühen.

Bolitho studierte die niedrigen, schnellen Bootsrümpfe, die gestikulierenden Gestalten, welche die heftig arbeitenden Paddler antrieben.

«Lassen Sie ein Buggeschütz feuern, Mr. Herrick. Und zwar mitten zwischen die Kanus. Der Abstand ist noch zu groß für Schrapnells.»

Herrick blickte ihn an.»Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben, Sir?»

«Nein. Das wäre, als ob man mit einer Axt auf Ameisen losginge. «Er lächelte, wobei ihm seine ausgedörrten Lippen aufplatzten. Das erinnerte ihn daran, daß er nun schon Stunden ohne Unterbrechung in dieser erbarmungslosen Sonne zubrachte.»Sie hißt ein Signal, Sir!»

Bolitho hielt in seinem rastlosen Auf und Ab inne und wartete, bis Midshipman Swift ergänzte: «Welches Schiff?«Bolitho beschattete seine Augen, als ein Teil der Kanus kehrt machte und mit voller Kraft zurückpaddelte. Endlich hatten sie erkannt, daß die Tempest in die Bucht einlief. Er ignorierte die leuchtend bunten Flaggen, die Swifts Signalgasten zu den Rahen hinauf schickten. Das alles konnte er anderen überlassen. Er mußte nachdenken, denn irgend etwas stimmte nicht. Wie bei einem Bild, auf dem der Maler vergessen hatte, ein Gesicht oder einen Schatten auszumalen.

Von vorn hörte er den Ruf:»Backbord-Buggeschütz feuerklar, Sir!»

«Gut. «Er hob die Hand.»Feuer!»

Der Knall des langen Neunpfünders kam zwar erwartet, schreckte aber dennoch die meisten auf. So war es immer. Bolitho verfolgte die Bahn des Geschosses, das erst zwei Wogenkämme berührte, die von den Felsen zurückfluteten, und dann inmitten der Kanuflotte einschlug. Paddel fuhren wild ins Wasser, und wie auf Befehl drehten alle schlanken Rümpfe ab und strebten der Landzunge zu, welche die Tempest gerade gerundet hatte.»Noch einen Schuß, Sir?»

«Nein. Das bringt nichts, selbst wenn wir ein Kanu treffen. Die anderen können sich durchs Riff davonmachen, ehe wir auch nur gewendet haben, um ihnen zu folgen. «Er schüttelte den Kopf.»Die Eurotas hat Schwierigkeiten.«»Entschuldigung, Sir. «Lakey machte ein besorgtes Gesicht.»Aber der Wind frischt auf. Noch nicht stark. «Er deutete mit einer Hand, so braun wie Mahagoni.»Sehen Sie nach achtern. Tongatapu liegt schon fast gänzlich im Dunst. Das Glas wird uns nicht viel verraten, aber ich bin für Vorsicht. «Bolitho nickte. Die Hauptinsel, die sie als erste gesichtet hatten, war nur mehr ein grünvioletter Schimmer. Doch der neuesten Karte zufolge war die Küstenlinie zehn Meilen lang. Daß sie jetzt, obwohl nur wenige Meilen weit entfernt, in dichtem Dunst lag, warnte sie, daß Schlimmeres bevorstand.

«Richtig. Ich möchte zwischen den Riffen nicht vom Sturm überrascht werden. Wir würden den Anker ausbrechen und im Nu auf Grund laufen.»

Er blickte zur offenen See hinaus; offen bis auf gelegentliche Schaumkronen, die verstreute Korallenriffe anzeigten.

Plötzlich faßte er einen Entschluß.»Drehen Sie bei, bitte, und lassen Sie die Barkasse klar machen. Ich möchte auf der Stelle ein Kommando hinüberschicken. «Er sah, daß Herrick sich auf die Taschen klopfte, und fügte hinzu:»Sie nicht, Thomas. «Er blickte sich nach Keens schlanker Gestalt auf dem Batteriedeck um.»Schicken Sie den Dritten Offizier. Es soll ganz normal aussehen. Wenn ich meinen Ersten Leutnant schickte oder-«, er zögerte —,»täte, was mir mein Herz gebietet und selbst ginge, könnte es ungewöhnlich wirken. «Er nickte.»Übernehmen Sie. «Während die Fregatte zögernd beidrehte und die Barkasse zu Wasser gebracht wurde, ließ Bolitho Hauptmann Prideaux rufen. Er erklärte ihm dasselbe wie Herrick und wußte, daß Prideaux genauso verblüfft war.

«Schicken Sie einfach Ihren Sergeanten und eine Gruppe Seesoldaten. «Er versuchte, Prideaux in sein Fuchsgesicht zu lächeln.»Die roten Uniformen sind bei dieser Hitze zwar unbequem, aber ich will dem Kapitän der Eurolas die Gewißheit geben, daß wir keine Piraten sind. «Prideaux legte grüßend die Hand an den Hut.»Jawohl, Sir!«Er eilte davon und rief nach seinem stämmigen Sergeanten. Keen, wieder auf dem Achterdeck, blickte gespannt zu dem vor Anker liegenden Schiff hinüber.»Eine Empfehlung an die Eurotas, Mr. Keen. «Bolitho wartete, daß der Leutnant sich umdrehte.»Und fragen Sie, ob wir ihr behilflich sein können, obwohl es von hier so aussieht, als wäre das Schiff in guter Verfassung. «Er wußte, daß Herrick neben ihm stand und zuhörte.»An Bord sind einige Passagiere. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich nach ihnen erkundigten. «Er bemerkte das plötzliche Begreifen auf Keens Gesicht.»Und nun fahren Sie los. «Mit Herrick beobachtete er, wie die Barkasse abstieß und die Riemen sich wie Flügel hoben und senkten, als sie in die ersten hohen Wogen vor den Felsen hineinhielt. Sogar an Bord der Tempest war die starke Unterströmung zu spüren. Bolitho spreizte die Beine und verfolgte die Barkasse mit dem Teleskop. Sie hatte schon ruhigeres Wasser erreicht und näherte sich flott der Eurotas. An der Schanzpforte nahm er Bewegung wahr und einen Flecken aus Blau und Weiß; also erwartete wenigstens ein Offizier das Boot der

Tempest.

Gleichgültig, aus welchem Grund die Eurotas sich hier aufhielt — und ein Schaden am Rumpf erschien das Wahrscheinlichste zu sein —, es mußte die Laune jedes einzelnen an Bord heben, daß unerwartet ein Schiff des Königs erschienen war.

Herrick sagte:»Ich bin nicht sicher, ob Mr. Keen weiß, wonach er suchen soll. «Es klang besorgt. Bolitho setzte das Glas ab.»Suchen, Thomas?«Herrick grinste verlegen.»Ich kenne Sie zu gut, Sir. Erst laufen Sie mit geschlossenen Stückpforten ein und nur einem feuerbereiten Buggeschütz als Zeichen Ihrer Autorität. Und dann schicken Sie Mr. Keen, statt mich oder Mr. Borlase, sobald er wieder an Bord ist. «Bolitho lächelte.»Die Wetterzeichen stehen nicht sehr günstig, ich möchte die Dinge beschleunigen. Ferner möchte ich wissen, warum die Eurotas nicht mit allen Geschützen auf diese Kanus gefeuert hat. Eine gestreute Breitseite hätte sie zu Kleinholz gemacht. «Er drehte sich wieder um und beobachtete, wie die Barkasse an der Kette vom achteren Rüsteisen der Eurotas festmachte.»Aber das kann uns nur ihr Kapitän erläutern.»

«Beiboot in Sicht, Sir!«Ein Bootsmannsmaat deutete aufs offene Meer hinaus.»Mr. Borlase hält sich in sicherem

Abstand von den Klippen.»

Bolitho nickte.»Rufen Sie ihn an Bord.»

Der Mann legte die Hand an die Stirn.»Und der Kutter kehrt auch zurück, Sir.»

Bolithos Gesicht blieb unbeweglich, während er über sein weiteres Vorgehen nachdachte.

«Mr. Starling bleibt am besten, wo er ist. Wir brauchen vielleicht weitere Lotungen. «Er sah zu Swift hinüber.»Signalisieren Sie das dem Kutter. «Prideauxs Marinesoldaten standen jetzt auf dem Oberdeck der Eurotas und wirkten dort wie Blutstropfen. Bolitho richtete sein Glas aus, während das Deck in der Dünung stark krängte. Dann vergaß er Herrick und alle anderen, als er drüben an der Kampanje einige Frauen erkannte. Darunter besonders eine mit langem, rotblondem Haar, die ihren breitrandigen Strohhut mit den Händen festhielt: Viola. Beinahe hätte er ihren Namen laut gerufen. Sie war dort, jenseits dieses Streifens unruhigen Wassers, stand in einem weißen Kleid da und beobachtete, wie Keen mit dem Kapitän sprach, während Midshipman Fitzmaurice, selbst auf diese Entfernung Arroganz ausstrahlend, etwas hinter ihm wartete.

Er hörte Herrick sagen:»Jetzt merke auch ich den Wetterumschwung.»

«Ja, uns steht noch vor der Morgendämmerung starker Sturm bevor«, antwortete Lakey.

Bolitho sah die Marinesoldaten wieder in die Barkasse steigen. Sie kamen zurück.

Er kletterte auf einen der Sechspfünder auf dem Achterdeck, um besser zu sehen, während die Tempest seitwärts wie ein Krebs von Land abtrieb. Er hob das Glas noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Keen und der Kommandant der Eurotas sich die Hände reichten; dann sah er Viola Raymond sich einige Schritte von den anderen Passagieren lösen. Es war wie eine Pantomime: Der junge Leutnant blieb mit einem Fuß auf der Schwelle stehen, die Gestalt mit dem breitkrempigen Strohhut und dem hellen Kleid hob eine Hand, wie um ihn aufzuhalten. Dazwischen stand der Kapitän der Eurotas und blickte von einem zum anderen. Dann war der Kontakt unterbrochen und Keen folgte seinen Leuten in die Barkasse; das Boot legte ab und machte sich auf den langen Weg zu ihrem eigenen Schiff zurück. Lakey fluchte, als Ross, einer seiner Maaten, rief:»Der Wind räumt weiter, Sir. Weht fast direkt aus Süden. Wenn er noch mehr dreht, werden wir…»

«Ich weiß!«schnitt Lakey ihm das Wort ab.»Wir werden uns nur mit Mühe von der Leeküste freihalten können. «Bolitho wußte, daß diese Bemerkungen für ihn bestimmt waren. Er war ebenso beunruhigt wie Lakey über den Wind und die gefährliche Nähe der Riffe. Aber er war auch wegen der Eurotas besorgt. Violas Mann sollte eine ihm neu übertragene Position antreten, ihre Wege konnten sich wieder kreuzen. Davor empfand er eine gewisse Angst. Er hätte selbst im Boot hinüberfahren und seine dumme Vorsicht vergessen sollen. Alles hatte sich genauso zugetragen, wie Lakey vorausgesagt hatte, und auch wenn der Gouverneur in Sydney die Suche nicht befohlen hätte, wäre die Eurotas am Ende heil und sicher dort eingetroffen. Es war nicht ungewöhnlich, daß Schiffe nach der strapaziösen und oft gefahrvollen Umrundung von Kap Horn Verzögerungen hatten; Bolitho vermutete, daß man dem Schiff nur seiner wertvollen Ladung wegen so große Aufmerksamkeit widmete.

Borlase schaukelte hinter dem Achterschiff in seinem Boot, als Keen mit seiner Barkasse an den Rüsten festmachte. Die Seeleute keuchten und schwitzten vom angestrengten Rudern.

Keen kam an Bord.

«Nun?«Bolitho sah ihn erwartungsvoll an. Keen atmete tief ein.»Es war wie vermutet, Sir. Sie wurde vor einiger Zeit leckgeschlagen und lief diese Bucht für Reparaturen an. Ich sprach mit Captain Lloyd, und er versicherte mir, daß jetzt alles unter Kontrolle sei. Er dankt Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung, besonders bei dem Eingeborenenüberfall. «Auf Bolithos unausgesprochene Frage erklärte Keen:»Er hat den größten Teil seiner Artillerie an Land gebracht, um das Schiff fürs Trockenlegen leichter zu machen. «Herrick nickte.»Das leuchtet ein. «Keen runzelte angestrengt die Stirn, um nichts auszulassen.»Er sagte noch: Falls Sie nach Sydney zurückkehren, wäre er Ihnen verbunden, wenn Sie dem Gouverneur versicherten, daß Ladung und Deportierte sicher unterwegs sind. «Deportierte… Sie hatte Bolitho fast vergessen. Wieder wurde er an ihre jämmerliche Lage in den Zwischendecks erinnert. Abtransportiert, um vielleicht nie wieder die Heimat zu sehen, und nach Wochen auf See dann auf eine Insel verbannt, deren Namen sie vielleicht nicht einmal kannten.

Langsam erwiderte er:»Danke, Mr. Keen. Lassen Sie die

Barkasse an Bord holen und bereiten Sie alles vor, um auszulaufen. «Er blickte zum Steuermann hinüber, ohne ihn zu sehen.»Setzen Sie den Kurs so ab, daß er uns klar von der nördlichen Hauptinsel führt und uns den Weg zur offenen See freiläßt, aus welcher Richtung der Wind auch wehen sollte.»

Er wandte sich wieder Keen zu, während seine Ideen von anderen in Befehle und Aktionen umgewandelt wurden.»War das alles?»

Keen blickte zu Herrick hinüber, der aber bereits die Leute an die Taljen wies, um das Boot einzusetzen, und an die Brassen, um wieder Fahrt in das treibende Schiff zu bringen. Leise sagte er:»Als ich das Schiff bereits verließ, Sir, hat die Dame, die Gattin von…»

«Ja, Mr. Keen, ich weiß Bescheid. Fahren Sie bitte fort.«»Sie rief mich zurück. Den Passagieren war gesagt worden, wer die Tempest kommandierte. Ich soll Sie von ihr grüßen. Vielleicht hätte sie noch mehr gesagt, aber ich war schon dabei, das Schiff zu verlassen. «Sein Ton klang entschuldigend.

Bolitho lächelte ernst.»War sie wohlauf?«Keen nickte.»Sehr, Sir. «Er runzelte die Stirn.»Aber sie erwähnte etwas, das ich nicht ganz verstand. Auch unterbrach Kapitän Lloyd sie und bat mich um weitere Informationen über die Bounty.»

Bolitho hatte die ferne Szene wieder vor Augen, die drei Gestalten auf dem Deck der Eurotas. »Versuchen Sie, sich genau zu erinnern.«»Ja, Sir. «Keen blickte zu dem anderen Schiri hinüber.»Ich war an der Schanzpforte, als sie mir zurief: >Ich hoffe, Ihr Kapitän konnte seine Uhr reparieren lassen.««Er hob ratlos die Schultern.»Dann brachte mich Kapitän Lloyd zum Seefallreep, Sir. Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr sagen kann.»

Bolitho starrte ihn mehrere Sekunden lang an.»Sie haben mir eine Menge gesagt.»

Er zog die Uhr aus seiner Tasche und drehte sie zwischen den Fingern. Viola hatte an den einen Umstand gedacht, der ihn argwöhnisch machen würde. Trotz der Sonnenhitze lief es ihm kalt über den Rücken, als ihm die Wahrheit bewußt wurde. Als seine alte Uhr damals eine Musketenkugel aufgefangen hatte, hatte sie ihn vor einer schweren Oberschenkelverletzung bewahrt. Aber sie war völlig zerschmettert worden. Viola hatte das gewußt und ihm als Ersatz sogar eine andere geschenkt. Beide würden diesen Umstand nie vergessen.

Bolitho fragte scharf:»War Mr. Raymond anwesend?«»Ja, Sir. Aber er stand mit den anderen weiter achtern.«»Verstehe.»

Herrick kam dazu.»Wir sind bereit, Fahrt aufzunehmen. Ich habe Mr. Starling von Ihrer Absicht verständigt, und er wird uns alsbald vorausfahren. «Er spürte Bolithos Stimmung.»Ist etwas nicht in Ordnung?»

«Nichts ist in Ordnung. «Bolitho schob die Uhr in die Tasche zurück. Er war wütend, doch gleichzeitig war ihm übel. Zu denken, daß sie dort jenseits des Wassers Gott weiß welchen Qualen ausgesetzt war und trotzdem versucht hatte, ihn durch Keen zu warnen…

In Gegenwart ihres Mannes hätte sie sonst die Uhr niemals erwähnt; sie war ihrer beider Geheimnis. Und auf keinen Fall konnte sie vergessen haben, wie es sich in Wahrheit damit verhielt.

Er sagte:»Dann lassen Sie uns auslaufen, Mr. Herrick. «Er blickte zum Wimpel im Großtopp hinauf.»Der Wind hat um einen weiteren Strich gedreht. Wir wollen von den Inseln klar kommen, ehe er noch stärker wird. «Er blickte den Leutnant an und sagte einfach:»Die Eurotas ist von Meuterern übernommen worden. Wir müssen mit unseren Leuten an Land gehen und angreifen, bevor sie merken, was wir beabsichtigen.»

Seine Offiziere starrten ihn an, als sei er plötzlich verrückt geworden.

«Aber — aber…«Herrick rang nach Worten.»Ich habe das meiste gehört, was Mr. Keen berichtet hat, Sir, und konnte darin keinen Hinweis auf eine Notlage entdecken, jedenfalls nicht, nachdem wir die Angreifer vertrieben hatten.«»Der wahre Feind befindet sich im Schiff selbst. «Er ließ alle Förmlichkeit fallen und trat zwischen die beiden.»Sie wissen über meine Uhr Bescheid, auch wenn Sie bisher sorgfältig vermieden haben, davon zu sprechen. Sie wissen es beide genau, vor allem Mr. Keen, der nach seiner schweren Verletzung von Viola Raymond gepflegt wurde. Sie war sehr gütig zu Ihnen. «Er sah beide der Reihe nach an.»Glauben Sie wirklich, daß sie eine Tatsache verfälschen und die andere überhaupt nicht erwähnen würde?«Keen antwortete:»Nein, Sir, das glaube ich nicht.«»Thomas?«Bolitho sah seinen Freund prüfend an, beobachtete den Ausdruck auf seinem offenen Gesicht.»Ich muß es wissen.»

Herrick biß sich auf die Lippen.»Wahrscheinlich nicht. Aber anzunehmen, daß das Schiff sich in falschen Händen befindet…»

Bolitho wandte sich ab.»Kennt denn einer von uns Kapitän Lloyd? Haben wir mit der Eurotas jemals Kontakt gehabt?«Er drehte sich so unvermittelt um, daß Keen zusammenzuckte.»Es kann keinen anderen Grund für eine derart wohldurchdachte Täuschung geben!«Herrick rieb sich das Kinn.»Falls das so ist, Sir, dann müssen wir uns beeilen. «Er seufzte.»Aber wenn Sie sich täuschen…»

«Und wenn nicht?«Er sah Herrick ernst an.»Was dann, Thomas?»

Lakey rief:»Achtern alles klar, Sir!«Seine Stimme brach den Bann.

«Sobald wir die nächste Hauptinsel hinter uns haben«, sagte Bolitho,»lassen Sie die Bramsegel setzen, Mr. Herrick. Schicken Sie Ihre Leute schon jetzt nach oben. Halten wir uns dran.»

Schwerfällig zunächst, bis die Rahen optimal für den auffrischenden Wind gebraßt waren, krängte die Tempest unter dem Druck und begann, ihren Klüverbaum auf die nächste große Insel zu richten. Hoch über Deck arbeiteten die Matrosen eifrig und sachgerecht, unberührt von der drohenden Gefahr, die Viola Raymonds verschlüsselte Botschaft über sie alle gebracht hatte. Am frühen Abend lag die Insel der fünf Hügel in Backbord weit zurück. Ihr Umriß verlor sich in Dunst und reflektiertem Sonnenglast.

Bolitho saß in seiner Kajüte am Tisch, den unberührten Teller zur Seite geschoben.

Der Wind hatte noch weiter geschralt, deshalb würde es einige Zeit dauern, ehe sie die nördliche Spitze der kleinen Insel umschiffen konnten, die sie verlassen hatten. Aber dieser Wind würde auch die Eurotas am Auslaufen hindern. Er dachte an die angreifenden Kriegskanus. Ein zufälliger Zusammenstoß oder der Versuch, eine alte Rechnung zu begleichen? Doch ohne ihr Auftauchen hätten sie den Ankerplatz der Eurotas vielleicht nie entdeckt. Ihr Kapitän — wer er auch war — hätte an Land Ausgucks postiert, denen die geduldige und hartnäckige Suche der Tempest zwischen den Inseln nicht entgangen wäre. Wenn er nicht mit Kanonen auf die Kanus geschossen hätte, sondern stumm geblieben wäre, hätte die Tempest die kleine Insel möglicherweise völlig übersehen.

Aber es gab zu viele >Wenn<. Bolitho ging ruhelos zum Fenster und suchte nach der Rückenflosse dicht unter dem Heck. Zwischen den beiden Schiffen bestand insgeheim ein enger Kontakt, von dem der fremde Kapitän keinesfalls wissen konnte. Bolitho tastete nach der Uhr in seiner Tasche. Er befürchtete, daß Violas tapfere Geste sie schon das Leben gekostet hatte.

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