IX Hinterhalt

«Mein Gott, Mr. Pyper, warum dauert das so lange?«Herrick wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und blickte zum heller werdenden Himmel auf. Zum Teil hüfttief in der schäumenden Brandung, kämpfte sich unter ihm der Rest seiner Gruppe an Land, während andere, vorwiegend Finneys Milizmänner, schon hoch auf dem steilen, felsigen Abhang vorgingen; die beiden Boote des Schoners hatten sie hierher gebracht.

Herrick beobachtete, wie Midshipman Pyper im Wasser schwankte. Mehrere braunhäutige Insulaner bemühten sich, das Boot davor zu bewahren, daß es an den Felsen zerschmettert wurde. Es war Herrick zuwider, daß Unternehmen schiefgingen, weil sie schlecht geplant waren, oder, wie in diesem Fall, überhaupt kein Plan vorlag. Finney und der andere Leutnant der Miliz, ein trübseliger Mann namens Hogg, waren überzeugt gewesen, daß sie an der richtigen Stelle an Land gingen. Herrick sah zu dem stampfenden Schoner zurück, der fast eine Kabellänge[14] vom Ufer entfernt hatte ankern müssen. Das bewies schlagend, wie wenig die beiden über den Landeplatz hier Bescheid wußten.

Das Ergebnis waren mehrere ermüdende Bootsfahrten, und jetzt war der Zeitpunkt, zu dem sie sich auf dem Marsch landeinwärts hätten befinden sollen, schon lange verstrichen. Pyper kletterte den Abhang empor, Wasser rann ihm von Hemd und Breeches. Wie Swift war er siebzehn und hoffte auf eine Beförderung, wenn und falls die Chance dazu kam. Deshalb wollte er seinen Ersten Offizier nicht reizen.»Alles klar, Sir.»

Von der Höhe der Steilküste rief Hauptmann Prideaux herab:»Das will ich, verdammt noch mal, auch hoffen!«Trotz aller Mühseligkeiten sah er untadelig wie immer aus. Herrick unterdrückte einen Fluch.»Schicken Sie Ihre Kundschafter vor.»

«Schon geschehen. «Prideauxs Fuchsgesicht lächelte verschlagen.»Ich habe auch diese verdammten Führer veranlaßt, ihre fetten Ärsche in Bewegung zu setzen. «Er zog den Degen und köpfte damit eine Pflanze.»Und nun?«Herrick knirschte mit den Zähnen.»Dann also vorwärts!«Er hob signalisierend die Hand über den Kopf, und nach einer weiteren Verzögerung machte sich sein gemischtes Kommando auf den Weg landeinwärts. Finney erläuterte vergnügt:»Das Dorf liegt unmittelbar über der Bucht. Die meisten Hütten stehen auf Pfählen, mit der Rückseite zum Abhang. Falls Tukes Leute drin sind, stecken sie wie Ratten in einem Faß, wenn Ihr Schiff die Ausfahrt blockiert. «Die Aussicht auf einen Kampf schien ihm zu gefallen.

Von der schwankenden Reihe einheimischer Führer und britischer Kundschafter lief eine Meldung zurück: Sie hatten Rauch wahrgenommen, dazu starken Brandgeruch. Prideaux sagte:»Anscheinend vernichten sie das Dorf. «Es klang unberührt.

Herrick schlug klatschend nach einem Insekt und versuchte, die Situation zu durchschauen. Tuke hatte also die Insel überfallen und verbreitete den üblichen Schrecken. Aber warum? Wenn er Nachschub brauchte, was angesichts seiner reichen Beute auf der Eurotas unwahrscheinlich schien, warum überfiel und verwüstete er dann eine Insel wie diese? Und ferner, wenn er sich ein neues Versteck zulegen wollte, warum brannte er es dann erst nieder? Das alles ergab keinen Sinn. Er überlegte, ob er mit Prideaux darüber sprechen sollte, unterließ es aber. Der Hauptmann schien jeden zu verhöhnen, dessen Position er für unterlegen hielt. Viel zu sehr von sich eingenommen. Herrick sah zu den beiden Milizleuten hinüber, die gelassen mit ihren zerlumpten Mannschaften vorgingen. Auch sie würden ihm nichts sagen können. Anscheinend hatten sie alles Nachdenken und Überlegen Hardacre überlassen. Was hätte Bolitho hier oben und in diesem Augenblick getan? Herrick grinste trotz seiner Unsicherheit. Bolitho war aber nicht hier, sondern hatte seinen Ersten Offizier geschickt.

In der Luft hing wirklich unverkennbar Rauch. Er quoll über einer niedrigen Anhöhe empor, bildete Wolken am Himmel.

Prideaux sagte heiser:»Bei Gott, hier ist schwer vorwärtskommen.»

Midshipman Pyper wandte sich an Herrick.»Ich sollte vielleicht mit einem der Führer vorgehen, Sir. «Er war ein recht ernsthafter junger Mensch, aber nicht uneben. Herrick blieb stehen, denn er begriff überrascht: Genau das hätte Bolitho jetzt getan.

«Daran habe ich auch schon gedacht, Mr. Pyper. Aber ich gehe besser selbst. «Er winkte Finney heran.»Lassen Sie die Leute ausruhen, aber stellen Sie Wachen auf. Der beste Führer auf der Stelle zu mir!«Es überraschte ihn, wie leicht ihm jetzt alles fiel.»Gut, Mr. Pyper, Sie können mitkommen. «Er klopfte ihm auf die Schulter. Pyper starrte ihn an. Er verstand nicht, was seinen Leutnant so plötzlich animierte.»Jawohl, Sir.»

Prideaux sagte gelangweilt:»Ein Angriff von rückwärts, fünf oder sechs Salven mit Kartätschen, und sie rennen wie die Hasen. Direkt vor die Geschütze der Tempest.«Herrick sah ihn an und versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken. Prideaux fegte immer die Pläne anderer mit ein paar abfälligen Bemerkungen beiseite. Das Ärgerlichste war dabei sein selbstherrlicher Ton.»Wir werden sehen«, entgegnete Herrick steif.»Inzwischen…»

Er drehte sich um und ging zu dem wartenden Führer, einem untersetzten, fast nackten Eingeborenen, dessen Ohrläppchen von spitzen Knochenstücken durchbohrt waren. Pyper schnitt eine Grimasse.»Er stinkt ziemlich, Sir. «Der Führer zeigte grinsend die Zähne; sie waren spitz wie die eines Hais gefeilt.

«Mein Gott!«Herrick überprüfte seine Pistole und lockerte den Degen.»Gehen wir also.»

Die Insel war winzig, doch nach ihrem Stolpern und Kriechen über Stock und Stein, ihrem Vordringen durch dicht verschlungene Farne hätte Herrick sie für doppelt so groß wie Kent gehalten.

Der Führer hüpfte über einige verrottete Baumstümpfe vor ihnen und wedelte mit den Händen zum dichter werdenden

Rauch hin. Er war sichtlich aufgeregt.

Herrick sagte beklommen:»Sehen wir selbst.»

Er ließ sich wieder auf die Knie sinken und kroch dem narbigen und staubigen Führer nach durch ein dichtes

Gewirr stachliger Büsche.

Pyper rief aus:»Masten und Rahen, Sir. Sie ankern unmittelbar unterhalb des Dorfes, aus dem der Rauch kommt!»

Herrick schüttelte den Kopf.»Freche Schurken! Sie fühlen sich also absolut sicher bei ihrem blutigen Geschäft. «Er rieb sich die Hände.»So kann sich die Tempest wenigstens Zeit lassen und sie nach Belieben beharken. «Er drehte sich mühsam um.»Wir wollen die anderen benachrichtigen. «Er sah den Midshipman an.»Was gibt's?«Pyper errötete.»Ich meine — also, mir wurde einmal gesagt…»

«Was? Heraus mit der Sprache!»

Pyper sagte fest:»Sollten wir diese Schiffe nicht erst beobachten?

Eines davon könnte besser bewaffnet sein. Vielleicht sollten wir unsere Scharfschützen in eine Position bringen, aus der sie die Besatzung ausschalten können, falls sie Anstalten treffen, Anker zu lichten. «Lahm fügte er hinzu:»Ich meine nur, Sir… Pardon.»

Herrick seufzte.»Sie haben völlig recht. «Es mußte an der Hitze liegen.»Ich hätte selbst daran denken sollen. «Sie ließen den verblüfften Führer im Gebüsch versteckt zurück und robbten nach vorn zu einer Geländefalte im Hang. Von dort aus sahen sie die Bucht und auf dem gegenüberliegenden Ufer eine Reihe wie Fackeln brennender Hütten. Rauch verhüllte das Wasser unter ihnen. Nach links erstreckte sich keilförmig eine Landzunge; näher am Hang und für Herrick deshalb teilweise verdeckt, lagen weitere Hütten. Doch er konnte den Blick nicht von der Landzunge und dem Strand wenden.»Das sind Ihre >Schiffe<, Mr. Pyper. «Er konnte es immer noch nicht fassen. Die Masten und Rahen wirkten durchaus echt, aber sie standen direkt auf dem kleinen Strand, wurden durch Streben und

Lianengeflecht aufrecht gehalten. Von einem Mast flatterte sogar ein Wimpel, doch die lose aufgegeiten Segel waren in Wirklichkeit nichts anderes als grobgeflochtene Matten. Die Wahrheit ernüchterte ihn wie Eiswasser. Wenn diese Masten ihm aus kurzer Entfernung schon echt erschienen waren, mußten sie den Ausguck der Tempest völlig täuschen und ihm zwei ankernde Schiffe vorgaukeln, deren Besatzungen vom Morden und Plündern an Land völlig absorbiert waren.

Pyper starrte ihn verwirrt an.»Was tun wir, Sir?«Herrick spürte, wie ihm die Kehle trocken wurde. Knapp oberhalb der Landzunge hatte er eine Bewegung wahrgenommen: Die Tempest war also bereits da. Er sah sie so deutlich vor sich, als wäre sie für ihn nicht mehr verdeckt: die Geschütze bemannt, die Offiziere auf Gefechtsstation, Bolitho und Lakey auf dem Achterdeck. Panik überkam ihn. Was stand dem Schiff bevor? Wo waren die Piraten? Er konnte vereinzelte Musketen und Pistolenschüsse hören, und inzwischen war auch der Rauch sehr viel stärker geworden.

Hinter den brennenden Hütten glänzte etwas, und Pyper sagte mit belegter Stimme:»Eine Batterie mit mehreren schweren Geschützen, Sir.»

Das war es also. Herrick wurde das Ganze plötzlich erschreckend klar. Die Nachricht, die falschen Masten, das brennende Dorf, waren alles Teile eines perfekten Plans: die Tetnpest in die Bucht hineinzulocken. Herrick richtete sich auf, ohne der Gefahr zu achten. Wegen dieses elenden Schoners, wegen allem, was sich seit ihrer Ankunft auf der Insel zugetragen hatte, war Bolitho ahnungslos und unvorbereitet.

Er hörte sich sagen:»Laufen Sie zurück. Sagen Sie Hauptmann Prideaux, ich wünsche auf der Stelle einen Sturmangriff!«Er bemerkte Pypers Schock.»Ich weiß, wir haben keine Chance. Aber wir retten damit das Schiff. Denken Sie daran!»

Und während Pyper nach hinten stolperte und der nackte Eingeborenenführer ihn fasziniert beobachtete, spannte er seine Pistole und zog den Degen.

«Sieben Faden!»

Bolitho blickte in Lakeys angespanntes Gesicht, als die Stimme des Lotgasten nach achtern schallte. Doch er versagte es sich, schon wieder nach dem Teleskop zu greifen und blieb, die Hände in die Hüften gestützt, stehen. So versuchte er, sich sein Schiff vorzustellen, das enger werdende Fahrwasser und das aufragende Land — ein geschlossenes Panorama. Da er noch vor der Morgendämmerung mit Lakey und seinen beiden Offizieren die Seekarten und ihre Berechnungen überprüft hatte, war Bolitho so gut vorbereitet, wie ein Kapitän nur sein konnte, der sich einer unbekannten Insel näherte. Insel? Sie war nicht mehr als der Kamm eines versunkenen Berges, dachte er.

Er beobachtete die Strömung, ihren Sog um die nächstgelegene Klippe, wenn das Wasser hell aufschäumend zurücklief. Obwohl sie so dicht unter Land waren, blieb der Wind stetig. Bolitho sah zu dem langen Wimpel im Masttopp empor, der jetzt nach Steuerbord voraus flatterte.»Acht Faden!»

Lakey sagte schroff:»Schon besser. «Bolitho trat zur Querreling und sah auf die Geschütze hinunter. Hier und da bewegte sich ein Mann nervös oder zog an einer Talje. Nackte Füße scharrten auf dem sandbestreuten Deck, und hoch oben im Großmast schwenkten Marinesoldaten eine Drehbasse wi e in lautlosem Bombardement hin und her. Er sah Leutnant Keen zwischen den Zwölfpfündern sich vorbeugen, um durch eine offene Stückpforte zu spähen.

Zwei Midshipmen unterstützten Keen bei den Geschützen, der pausbäckige Fitzmaurice und der schlanke junge Romney. Swift stand mit seinen Signalgasten auf dem Achterdeck, während Borlase, wie ein unzufriedenes Baby lautlos pustend, an Steuerbord rastlos auf- und abging. Alle waren bereit, warteten darauf, daß etwas geschah. Bolitho sah nach dem Halbstundenglas neben dem Kompaß. Er wollte seine Uhr aus der Tasche ziehen, um sich zu vergewissern, aber er wußte, das würde als Nervosität, als

Unsicherheit angesehen werden. Die Männer in seiner Nähe sahen rasch zur Seite, als seine Blicke sie streiften. Doch es dauerte viel zu lange. Wenn sie jetzt über Stag gehen mußten, würden sie erst nach einer Ewigkeit wieder Kurs auf die Bucht nehmen können. Er studierte die weit vorspringende Landzunge, das einzige, was er nach den dürftigen Seekarten identifizieren konnte. Das helle, vermutlich felsige Gestein stand in seltsamem Gegensatz zu dem üppigen Grün im Hintergrund. Dahinter wurden jetzt glitzernd die ersten Anzeichen einer Bucht erkennbar. Bolitho biß sich auf die Lippen. Wenn Herrick sich weiterhin nicht rührte, mußte er an der Bucht vorbeilaufen und dadurch kostbare Zeit verlieren. Falls dort noch Schiffe lagen, konnten sie vielleicht klammheimlich auslaufen, ehe er mehr Segel zu setzen vermochte. Er sah nach oben, kniff die Augen in dem grellen Licht zusammen: Marssegel und Klüver standen, die große Fock war so stark gerefft, daß sie kaum Wind aufnahm. Aber mehr Fahrt wäre gefährlich gewesen.

Er sah Allday ihn vom Niedergang her beobachten, das schwere Entermesser über die Schulter gehängt. Allday wartete auf den richtigen Augenblick. Er kannte seinen Kapitän so gut, daß er wußte, wenn er jetzt den Mund aufmachte, würde er nur scharf zurechtgewiesen. Diese Erkenntnis rührte Bolitho. Er sagte leise:»Ich kann die Insel beinahe fühlen.»

Allday kam zu ihm.»Der Rauch wird dünner, Captain.»

«Nein, er wird nur stärker landeinwärts geweht.»

«Mag sein. Mir scheint, der Erste Offizier hat nichts gefunden. Die Piraten sind fort, und wie ich Mr. Herrick kenne, sucht er bestimmt nach zurückgelassenen Toten und

Verwundeten.»

«An Deck!«Bei dem alarmierenden Ruf blickte alles nach oben.»Schiffe vor Anker hinter der Landzunge! Zwei Schiffe!«Eine Pause.»Schoner mit Rahbesegelung. «Bolitho wandte sich Allday zu, seine Augen funkelten.»Nun?»

Allday war verlegen.»Na ja, ich habe mich geirrt.«»Offenbar. «Bolitho ging zur Reling.»Raus mit den Reffs,

Mr. Borlase! Dieses Pärchen wollen wir uns nicht entgehen lassen. «Er lächelte über die Besorgnis des Offiziers.»Vielleicht können wir sie als Prisen nehmen, wenn sie es wagen sollten, sich mit uns einzulassen. «Er wandte sich ab; Herrick und sein Kommando mußten sich verirrt haben, oder sollten die Schoner auf Grund geraten sein?

Das große Segel am Vormast entfaltete sich und blähte sich gewichtig unter der Rah. Sofort glitt das Land schneller vorbei, und Gischt sprühte über den Bug und die dort kauernden Matrosen.

Keen rief:»Steuerbordbatterie feuert divisionsweise! Erst auf Befehl, Stückführer, verstanden?»

Bolitho sah zu Keen hinüber. Er hatte sich gut entwickelt,

viel Selbstvertrauen und Autorität gewonnen, ohne dabei zum Tyrannen geworden zu sein, und das war sogar noch wichtiger.

Bolitho kam nicht auf den Gedanken, daß Keens Kommandant etwas damit zu tun haben könnte. Er sagte:»Halten Sie sich bereit zur Kursänderung, Mr. Borlase. Pfeifen Sie die Leute an die Brassen. Wir werden Nordost steuern.»

Wie oft hatten sie während der langen Nacht den Kurs gewechselt. Das war für die Leute nicht ungewöhnlich, doch jetzt war es anders. Sie hatten Land in Sicht bekommen und würden tun, was ihnen befohlen wurde.

Er hörte die gebellten Kommandos, das Schlagen der Fallen und Blöcke, als die Belegnägel gelöst wurden und die

Matrosen sich bereitmachten, die Rahen zu trimmen.

Die Landzunge lag schon beinahe hinter ihnen, so daß

Brände und Dampfwolken auf der anderen Seite der schmalen Bucht sichtbar wurden.

«Fünf Faden!»

Lakey meldete:»Alles klar, Sir.»

«Sehr gut. «Während die Matrosen die Brassen dichtholten und das große Doppelrad von Lakeys besten Rudergängern stetig gedreht wurde, legte Bolitho die hohlen Hände um den Mund und rief:»An Mastkorb! Was ist mit den Schiffen?«Der Ausguck mußte von seiner Aussicht so gefesselt sein, daß er der ersten Meldung nichts weiter hinzuzufügen hatte.»Noch vor Anker, Sir!«Der Mann war in dem blendenden Sonnenlicht nicht auszumachen.

Bolitho spürte, wie sich das Schiff aufrichtete, als es in den Schutz des Landes kam.

Borlase schrie:»Notieren Sie diesen Mann, Mr. Jury. Dort an der Nagelbank!»

Bolitho hatte keine Ahnung, wer der Schuldige war, noch kümmerte es ihn. Er starrte auf die Feuerreflexe im Wasser, die trotz der grellen Sonne stumpfrot glühten, so daß die Bucht vor ihrem Bug wie eine riesige, brennende Pfeilspitze wirkte.

«Bergen Sie die Fock, Mr. Borlase. «Als das Segel an der Rah aufgegeit war, konnte Bolitho das brennende Dorf und die verkohlten Boote mit steigendem Zorn studieren. Was hatte das für einen Sinn? Auf welchen Gewinn konnte ein Pirat wie Tuke hoffen, wenn er diese einfachen Menschen vernichtete?

«Sechs Faden!«Der Lotgast war ganz von seiner Aufgabe absorbiert.

Neunzig Fuß über Deck hielt der Marinesoldat Blissett, ehemals Wildhüter und jetzt einer der besten Scharfschützen der Tempest, mit seinen Kameraden ein kleines Schwenkgeschütz besetzt und studierte die stockdünnen Masten über dem Landrücken.

Sobald er umschifft war, würde ihre Steuerbordbatterie das Feuer eröffnen, langsam und tödlich. Die ersten Schüsse waren immer sorgfältig gezielt. Blissett blickte hinunter auf die gespannt wartenden Gestalten zwischen den schwarzen Geschützen, die Offiziere und Deckoffiziere, die wachsam auf- und abgingen und hin und wieder einen Blick nach achtern zum Kommandanten warfen. Bolitho stand fast genau unter ihm, hielt den Hut unterm Arm, und sein schwarzes Haar wehte in der heißen Brise. Blissett erinnerte sich an die andere Insel, an das Mädchen, das er nackt und ermordet aufgefunden hatte. Blissett wunderte sich immer wieder über seine Mitmenschen. Die gleichen Männer, die äußerlich gefaßt einer Breitseite entgegensahen oder an der Auspeitschung eines Kameraden fast ohne Gefühlsregung teilnahmen, rasten vor Wut, wenn ein Hund getreten oder, wie in diesem Fall, ein unbekanntes Mädchen umgebracht wurde, das vermutlich ohnehin eine Schlampe gewesen war. Blissett war nicht so, er dachte über die Dinge nach. Schließlich wollte er wie Quare Sergeant werden. Verbittert fragte er sich, warum er nicht dem Kommando angehörte, das mit diesem Schwein Prideaux an Land geschickt worden war.

Der für den Großtopp verantwortliche Unteroffizier, der sich mit gespreizten Beinen gegen die schweren Blöcke der Marswanten lehnte, fragte herausfordernd:»Wovon träumst du wieder, Blissett?«Er war ein vierschrötiger Mann namens Wayth und sich seiner Verantwortung in dem Gewirr von Tauwerk, Spieren und Segeln wohl bewußt. Und er hegte einen tiefen Haß gegen die Marinesoldaten, ohne zu wissen, warum.

Blissett hob die Schultern.»Wir haben doch gar keine Chance, diese Schufte zu fassen. Sie werden bis zum letzten Augenblick kämpfen und ihre verdammten Schiffe mit auf den Grund nehmen. Kein Prisengeld, nichts!«Der Großtopp bebte, und Wayth vergaß den Marinesoldaten und blickte zu seinen Toppsgasten weiter oben hinauf. Blissett sagte zu seinem Kameraden:»Jetzt geht es bald los, Dick.»

«Ja. «Der Kanonier schwenkte sein Geschütz auf das Land zu.»Aber mit der lahmen Kuh hier werden wir die dort drüben nie rechtzeitig erreichen. «Er grinste.»Wenn wir aber nach Backbord schießen, könnten wir ein paar fette

Schweine fürs Abendessen erwischen.»

Blissett ging auf den Scherz ein. Er wandte sich von der felsigen Küste und den fremden Masten ab und richtete seine Muskete spielerisch nach der anderen Seite aus.

«Eins für den Kochtopf, Dick. «Er erstarrte.»Mein Gott- da drüben steht eine Kanone!»

Wayth schnarrte:»Das reicht mir jetzt…»

Der Rest seines Wutausbruchs ging unter im Krachen eines schweren Geschützes und dem Pfeifen einer die Takelage der Tempest durchschlagenden Kugel.

Blissett ging mit sausenden Ohren und keuchendem Atem in die Knie. Benommen starrte er auf die baumelnden Enden des zerfetzten Riggs und erbrach sich dann konvulsivisch, als er die zerstückelten Überreste des Unteroffiziers gewahrte. Das Geschoß hatte Wayth buchstäblich in zwei Teile gerissen und wie Pfannkuchen gegen den Mast geklatscht.

Irgendwie gelang es Blissett zu schreien:»An Deck! Küstenbatterie backbord voraus!»

Erst jetzt bemerkte er, daß er — abgesehen von dem Toten — allein war. Sein Freund Dick und der andere Marinesoldat mußten aufs Deck hinabgeschleudert worden sein. Blissett lehnte seine Muskete gegen den Handlauf und richtete sein Schwenkgeschütz auf das Ufer. Dem ersten Schuß folgte augenblicklich ein zweiter. Es löste Alarmschreie auf dem Hauptdeck der Tempest aus, als das Geschoß zwischen den Masten hindurchflog und den Strand auf der entgegengesetzten Seite aufwühlte. Bolitho schrie:»Beide Batterien Feuer frei, Mr. Keen!«Er wandte sich ab, als Blut und Fleischfetzen durch die Schutznetze fielen. Im Großtopp war jemand getroffen und getötet worden, und zwei Marinesoldaten waren über Bord gegangen. Ob tot oder lebendig, wußte er nicht. Hurrarufe erschollen von der Steuerbordbatterie, aber die Stimmen hatten einen seltsam wilden Klang. Wahrscheinlich versuchten die Leute, ihr Erschrecken über das plötzliche Bombardement zu übertönen. Doch gleich würden sie zurückschlagen, es heimzahlen. Der Lärm stockte und verstummte vollends, als die versteckten Geschütze wieder feuerten und ein schweres Geschoß kurz vor die Bordwand setzten. Bolitho sah Spritzwasser über die Netze sprühen. Einer der Matrosen blickte auf, als ob er erwarte, einen Enterer zu sehen. Es überlief ihn kalt, seine Gedanken hielten mit der schnellen Folge der Ereignisse noch nicht Schritt. Wieder ein Schuß, zweifellos aus einem dritten Geschütz, vielleicht auf halber Höhe des Abhangs oberhalb der brennenden Hütten. Das Geschoß ging zu weit und warf dicht bei den Felsen eine hohe Wasserfontäne auf.

Keen hob den Degen hoch über den Kopf.»Fertig, Leute! Fertig!»

Da sah Bolitho den Degen sinken und fürchtete schon, Keen sei von einem versteckten Scharfschützen getroffen worden. Aber Keen kam nach achtern gerannt, von den Blicken aller verfolgt, an denen er vorbeikam.

«Zum Teufel, Mr. Keen, was soll das?«Borlases Stimme klang schriller denn je.

Aber Keen sprang schon halb die Leiter herauf und schrie Bolitho zu:»Sir, die Masten sind Attrappen! Dort ankern keine Schiffe!»

Wie um seine Worte noch zu unterstreichen, schlug eine Kugel in eine Stückpforte und warf einen Zwölfpfünder um, der zwei Mann unter sich begrub. Die Luft hallte wider von Schreien und Stöhnen, als die Kugel an einem Geschütz auf der anderen Deckseite zu Splittern zerbarst. Männer stürzten um sich schlagend oder in ihre Wunden verkrallt. Schleifspuren aus dunklem Blut markierten ihren Todeskampf.

«Backbordbatterie feuern!«Bolitho trat schnell zum

Kompaß.»Breitseite, und dann Schrapnell laden!»

In seinem gemarterten Hirn glomm die Hoffnung auf, daß

sie einige der so gut plazierten Geschütze treffen und damit

Zeit gewinnen könnten, aus der Bucht zu kreuzen.

«Feuer!»

Das Schiff bockte und vibrierte, als ob es auf eine Sandbank gelaufen sei. Qualm der unregelmäßigen Breitseite wälzte sich in dichten Schwaden nach Lee. Wie wahnsinnig trieben die Geschützführer ihre Leute an, mit Schrapnell neu zu laden, während die Schiffsjungen mit neuem Pulver herbeirannten, wie blind gegenüber den verstümmelten Leichen und fortkriechenden Verwundeten.»Fertig!»

Einer nach dem anderen sahen die Stückführer zu Keen hinüber, die Abzugsleinen schon fast gespannt.»Auf dem Scheitelpunkt — Feuer!»

Diesmal klappte es besser, und Bolitho glaubte zu sehen, wie die Bäume und brennenden Hütten erbebten, als die geballten Schrapnelladungen einschlugen.

Die Antwort erfolgte ebenso schnell: zwei Einschläge, beinahe gleichzeitig. Einer traf das Vorschiff, und Bolitho hörte Holz krachen und Splitter pfeifen, sah Männer wie von einem entsetzlichen Windstoß niedergemäht werden. Er spürte den Luftdruck über seinem Kopf und zuckte zusammen, als das Geschoß über ihm die Takelage zerriß und einen weiteren Matrosen zerschmetterte, der nach oben geklettert war, um einen Schaden zu reparieren. Der Mann fiel mit einem dumpfen Aufschlag auf ein Achter-decksgeschütz und zuckte noch ein paarmal wie eine obszöne, in Blut getauchte Kreatur, ehe er starb und von der abgestumpften Bedienung beiseitegezerrt wurde.»Klar zur Wende, Mr. Lakey!»

Bolitho taumelte, als sich das Deck unter einer weiteren, langsamen Breitseite aufbäumte. Gott sei Dank trieb der Qualm auf die versteckten Geschütze an Land zu. Das war ihre einzige Deckung.

Lakey nickte ruckartig.»Sofort, Sir. «Er hob die Hände als Trichter an den Mund:»An die Brassen, Mr. Borlase!«Borlase blickte mit vorquellenden Augen nach achtern. Wieder heulte ein Geschoß dicht über die Netze, und das schien den Leutnant aus seiner Erstarrung zu reißen.»An die Brassen! Räumt die Steuerbordbatterie, wenn es sein muß, aber Bewegung!»

Bolitho beobachtete kalt. Kein Platz zum Halsen, um den Wind voll auszunutzen. Aber sie mußten durch und fast auf der Stelle wenden, ohne vom Gegner mehr zu sehen als den Schimpf dieser vier falschen Masten. Er spürte, wie die Wut ihn blendete und ihm die Kehle zusammenpreßte. Es war alles seine Schuld. Er hätte die schwache Stelle erkennen, die Gerissenheit seines Feindes erahnen müssen. Nein, seine Geschicklichkeit!» Zugleich!»

Mehrere Männer ließen ihre Brasse los, als eine Kanonenkugel vor ihnen das Schanzkleid durchschlug und drei Leute zermalmte.

Bolitho sah das alles, spürte alles. Eben noch trugen zwei Matrosen einen verwundeten Gefährten zu einer Luke und in Sicherheit, im nächsten Augenblick brüllten sie selbst in einem grausig verstümmelten Menschenhaufen.

«Ruder Steuerbord, fünfzehn Grad!»

Bolitho rannte nach Lee, um eine Spur des Feindes zu entdecken. Doch von verstreuten Bränden auf einem

Abhang abgesehen, zweifellos durch Keens Schrapnells verursacht, war alles wie vorher.

Er beobachtete die Männer an den Brassen, ihre grimmigen, vor Schweiß glänzenden Gesichter. Hier und da packte auch ein Deckoffizier mit an, sogar einige Verwundete halfen, die großen Rahen herumzuholen, während über der stolzen Galionsfigur der zerfetzte Klüver mit schier unentwirrbarem Geschirr im Wind schlug.»Ruder hart Steuerbord!»

Der Steuermannsmaat mußte es wiederholen, da die Geschütze gerade innenbords rollten, wobei eines durch die Überreste eines Gefallenen eine rote Spur zog.»Halsen und Schoten los!«Borlases Stimme kam wie ein Schrei durch das Sprachrohr.»Hol die Steuerbord-Brassen!«Bolitho wagte kaum zu atmen, während das Land langsam nach Backbord davonglitt, als das Schiff auf Ruder und Segel reagierte.

Ein Knall löste neue Schreckensschreie aus: eine Kanonenkugel hatte ein weiteres Geschütz umgeworfen. Aus dem Großtopp kamen Teile der Takelage in schwarzen, glitzernden Duchten herunter, und schwere Blöcke tanzten auf den straffen Netzen, als wären sie lebendig. Und zwischen allem Keen und seine Leute, in Blutlachen ausgleitend oder mit hievenden Männern zusammenstoßend, die unerbittlich Verstärkung zu der noch nicht eingesetzten Steuerbordbatterie schickten.

Das alles verzeichnete Bolithos Gehirn wie auf Pergament. Keen behielt also klaren Kopf, wußte, daß sie gleich nach der Wende eine bescheidene Chance hatten, ihre Angreifer zu entdecken und zu treffen, ehe sie wieder offenes Wasser erreichten.

Ein neues Krachen… Lakey schrie:»Die Großbramstenge! Wahrschau an Deck!»

Mit dem Donnern einer Lawine kam die ganze Großbramstenge mit Rah, Segel und Rigg von oben. Sie schlug an Backbord auf, zerriß die Schutznetze und fegte die Menschen wie Marionetten beiseite. Bolitho spürte, wie das Schiff unter dem Aufschlag bebte, bemerkte, daß die im Wasser schleppenden Wrackteile die Fahrt wie Treibanker hemmten.

Jury brüllte:»Äxte her! Kappt das Zeug! Schafft die Verwundeten nach unten!»

Seine laute Stimme schien die benommenen Backbordgeschützbedienungen zum Leben zu erwecken. Weitere Fallen und Webeleinen, gefolgt vom Wimpel, gingen über Bord und kreisten zwischen treibenden Toten und verzweifelten Schwimmern, als wollten sie alle mit ihrem Sog unter Wasser ziehen.

Irgendwie bemerkte Bolitho in dem Getöse und Qualm, daß das Vormarssegel sich füllte, und sah das Land gefährlich dicht bei, während die Tempest weiter herumschwang. Die Planken unter ihm bäumten sich auf, schleuderten Splitter wie scharfe Pfeile empor, als ein Geschoß die Kampanje durchschlug und im Halbdunkel zwischen den Decks eine Schneise der Zerstörung und des Entsetzens hinterließ.

Dann sah Bolitho staunend Sonne auf ungetrübtem Wasser schimmern, von fern eine grüne Insel leuchten. In der Gegenrichtung trieb der Qualm von seinem Schiff ab, mischte sich mit dem Rauch der in Brand gesetzten Hütten. Eine letzte Kugel traf das Schiff mit einem gewaltigen Schlag unmittelbar am Heck, wie um die Niederlage endgültig zu besiegeln.

Bolitho lauschte auf Stimmen, die Ruhe und Ordnung herzustellen suchten, auf die Schreie der Verwundeten, die jetzt schwächer wurden, da manche starben und andere zum Orlopdeck hinuntergebracht wurden, wo Gwyther und seine Helfer sich ihrer annahmen, so gut sie eben konnten. Die von oben gekommene Bramstenge trieb mit ihren Spieren noch hinter dem Heck, und Bolitho sah einen Mann auf der Saling reiten und dem Schiff nachstarren, zu benommen, um zu begreifen, was sich ereignete. Borlase taumelte auf ihn zu.»Wir sind außer Schußweite, Sir. «Anscheinend drängte es ihn zu sprechen, obwohl seine

Stimme belegt und schwankend klang. Midshipman Swift kniete neben einem seiner Leute.»Nur Mut, Fisher.»

Er blickte sich verzweifelt nach Hilfe um, das von Pulverqualm geschwärzte Gesicht von Schweißspuren gestreift. Oder waren es Tränen? dachte Bolitho. Der verletzte Matrose war einer der älteren Leute und als Signalgast eingeteilt worden, weil er nicht mehr aufentern konnte wie früher. Zwei böse Stürze hatten ihn beinahe zum Krüppel gemacht; von Rechts wegen hätte er an Land sein müssen, bei seiner Familie, falls er eine hatte. Jetzt lag er da, starrte mit aschgrauem Gesicht in die zerfetzte Takelage hinauf, während er Swifts Hand wie im Gebet umklammert hielt.

Er fragte mit seltsam kräftiger Stimme:»Hat's mich erwischt, Sir?»

Ohne etwas zu sehen, starrte Swift zu Bolitho auf. Dann schien er eigene Kraftreserven zu finden, zog eine Signalflagge näher und bedeckte damit die Hüften des Verwundeten. Eine Kanonenkugel, die ein umgestürztes Geschütz getroffen hatte und dabei in zwei Hälften zersplittert war, hatte eines seiner Beine nahezu vom Körper getrennt und einen tiefen Schnitt wie mit einem Hackbeil in seiner Leiste hinterlassen.

Swift sagte behutsam:»Es wird schon wieder werden, Fisher. Nur Geduld.»

Fisher versuchte zu grinsen.»Aber mir ist gar nicht gut. «Und damit starb er.

Swift erhob sich und übergab sich auf das Deck.

Bolitho sah Allday an.»Kümmern Sie sich um ihn. Heute war er so viel wert wie sechs andere.»

«Aye, Sir. «Allday schob sein Entermesser in die Scheide und trat neben den Midshipman.

Swift sah ihn nicht an.»Alle diese Toten — wir hatten überhaupt keine Chance.»

«Denken Sie an Fisher, Mr. Swift. «Alldays Stimme war leise, aber fest.»Es hätte jeden von uns treffen können. «Er wartete, bis der junge Mann ihn ansah.»Oder uns alle. Er hat sein Bestes gegeben, aber da sind noch ein paar arme

Kerle, die Hilfe brauchen. «Er wandte sich ab, als der Midshipman schnell zur Achterdeckreling ging. Dann sagte er:»Er wird sich fangen, Captain. Geben Sie ihm nur etwas, in das er sich verbeißen kann.»

Er blickte Bolitho ins Gesicht und bemerkte, daß die

Anspannung es wie Schmerz verzerrte. Er hatte nicht eines seiner Worte aufgenommen.

Lakey fragte:»Was befehlen Sie, Sir?»

Bolitho sah an Allday vorbei zur Insel zurück, über der

Rauch wie ein Leichentuch hing.»Wir könnten wieder und wieder in diese Bucht einlaufen, ohne am Resultat etwas zu

ändern. Bis…«Er legte die Hände auf den Rücken und preßte die Finger zusammen, bis der Schmerz ihm die

Fassung wiedergab.»… Bis die Schäden unreparabel wären.

Dann würden wir auflaufen oder sinken, müßten uns ergeben oder alle umgebracht werden.»

Er zwang sich, zu den Matrosen aufzusehen, die in den

Wanten bereits zu der Lücke auf enterten, die die verlorene

Stenge hinterlassen hatte. Sie bewegten sich langsam, hatten

Selbstvertrauen und Willenskraft verloren.

Fast zu sich selbst sagte er:»Der Feind hat die Oberhand.»

In seinem Hirn wiederholte eine Stimme hartnäckig: >Du bist geschlagen… geschlagen…<, bis er glaubte, sein Kopf würde bersten.

«Wir kehren zu dem Schoner zurück und ankern, Mr. Lakey. «Er wandte sich an Borlase.»Ich wünsche eine Liste der Toten und Verletzten. So schnell wie möglich. «Alle sahen ihn an. Beschuldigend, mitfühlend, haßerfüllt? Er wußte es nicht mehr.

Lakey murmelte:»Zu Befehl, Sir. «Dann mit lauterer Stimme:»Achtet auf das Ruder, ihr verdammten Kerle!«Bolitho ging zur Luvgangway hinüber und holte ein paarmal tief Luft. In einigen Augenblicken würde er wieder in seiner alten Rolle erscheinen: einen geeigneten Plan entwickeln, sein von Narben bedecktes Schiff auf den richtigen Kurs bringen, um sich mit der geringsten Verzögerung wieder mit Herrick zu vereinen. Die Toten bestatten, die Verwundeten versorgen. Sich um die Reparaturen kümmern, den Grund für den Fehlschlag erforschen, gleichgültig, wie schmerzhaft er war.

Aber erst… Er ließ den Blick über die stille Küste schweifen. Die Hütten waren jetzt ebenso verdeckt wie die falschen Masten. Es war eine grausame Lehre. Was er als seine letzten Augenblicke auf dieser Welt angesehen hatte, mochte jetzt als eine letzte Chance betrachtet werden, einen schrecklichen Fehler auszumerzen. Er zwang sich, den Blick vom Land zu wenden und sein Schiff zu überprüfen, wie um sich selbst noch mehr zu bestrafen. Borlase fragte:»Sollen die Geschütze festgezurrt werden, Sir?»

Er nickte.»Lassen Sie dann in der Kombüse Feuer machen, und sorgen Sie dafür, daß die Leute sofort verpflegt werden.»

Er sah zu den baumelnden Enden der Takelage auf, auf die verschmierten Blutspuren auf den Planken der Decks, die in der Sonne schon braun geworden waren.»Es gibt viel zu tun.»

Allday sagte linkisch:»Ich hole Ihnen etwas zu trinken, Captain.»

Etwas in Alldays Ton riß Bolitho aus seiner Depression. Der bullige Bootsführer fügte hinzu:»Dieser letzte Treffer, Captain. Dabei hat's den armen Noddall erwischt. «Er wandte den Blick ab, unfähig, Bolitho in die Augen zu sehen.»Ich hole Ihnen etwas.»

Bolitho machte ein paar Schritte, zögernd erst und dann plötzlich bedrängt. Der arme wehrlose Noddall. Ergeben und sich nie beklagend, war er trotz seines Entsetzens vor dem Lärm des Kampfes immer bereit gewesen zu dienen, über ihn zu wachen. Es erschien ihm unmöglich, daß er jetzt nicht mehr unten war — mit Händen wie Pfötchen, den Kopf schüttelnd und emsig.

Lakey beobachtete Bolitho grimmig, während Jury, der Bootsmann, in der Nähe seine Arbeit mit den erschöpften, verschmutzten Matrosen unterbrach, um Bolitho prüfend anzusehen. Er hatte Alldays Worte gehört und staunte verwundert, daß der Kapitän trotz dieser Hölle es fertigbrachte, um einen bestimmten Mann zu trauern. Bolitho hob plötzlich den Kopf, und sein Blick fiel auf ihn.

«Ihre Leute halten sich gut, Mr. Jury. Aber doch nicht gut genug, um zu faulenzen, finde ich. «Jury seufzte auf. Für ihn war es eine Erleichterung, daß Bolitho sich von seinem inneren Schmerz freimachte, gleichgültig, welche Folgen es haben mochte.

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