XIII Freiwillige

Bolitho kniete auf der Binsenmatte und blickte auf das junge Mädchen hinab. In der Hütte, die erst vor wenigen Tagen gebaut worden war, herrschte fast völlige Stille, als ob die umstehenden Bäume, sogar die Inseln selbst lauschten. Über seinem Kopf hörte er das gedämpfte Surren von Insekten, die gegen Keens Laterne schwirrten, und das unregelmäßige Atmen des jungen Leutnants, der ihm über die Schulter sah. Er hielt das Handgelenk des Mädchens, konnte aber so gut wie nichts fühlen. Ihre glatte Haut war feucht, und ihr Herz schlug schnell und gehetzt.

Hardacre drängte sich zwischen einem Marinesoldaten und zwei Eingeborenen vorbei in den Lichtschein der Laterne. Mit seinen großen Händen tastete er den Körper des Mädchens ab und sah dann in Keens verängstigtes Gesicht auf.

«Sie hat das Fieber. Wie sehr hängen Sie an ihr?»

Keen antwortete gebrochen:»Mit allem, was ich habe! Sie muß leben, sie muß!»

Hardacre stand auf.»Decken Sie sie gut zu. Auch wenn sie versucht, die Decken abzuwerfen, halten Sie sie warm. «Er sah Bolitho an und ging mit ihm aus der Hütte. Der Himmel war jetzt viel heller, und einige Vögel hatten schon angefangen zu zwitschern.

«Schon früher ist Fieber auf den Inseln aufgetreten. Im vergangenen Jahr, frühzeitig. Viele starben. Sie haben wenig Widerstandskraft. «Er blickte auf die Tür der Hütte.»Ich fürchte, Ihr Leutnant wird seine Freundin verlieren. «Seine grimmigen Züge wurden sanfter.»Sie verstehen kaum ein Wort von der Sprache des anderen. Ich habe sie zusammen beobachtet. Sie ist Malua, Tinahs Schwester, und wird sehr vermißt werden. «Er blickte Bolitho ernst an.»Ich werde ins Dorf gehen, dort gibt es gewisse Wurzeln und Krauter.

Vielleicht besteht eine Chance. «Er hob die Schultern.»Aber wer weiß, was kommen wird?«Bolitho hörte Schritte auf dem Sand und sah Allday eilig auf sich zukommen.

«Sie sollten Mr. Herrick meine Nachricht bringen!«Allday sah ihn sehr ruhig an.»Ja, Captain. Aber ich habe den zweiten Bootsführer mit der Gig zurückgeschickt; ein zuverlässiger Mann. «Er reckte die Schultern.»Ich kenne mich mit dem Fieber aus und weiß, was zu tun ist. Mein Platz ist hier bei Ihnen.»

Bolitho wandte sich ab, tief gerührt von Alldays unerschütterlicher Loyalität, aber auch verzweifelt über das, was sie wirklich bedeutete. Für sie beide. Keen kam aus der Hütte, seine Augen leuchteten wieder.»Es scheint ihr besser zu gehen, Sir. «Bolitho nickte. Wie wir uns doch selbst täuschen, wenn das Schlimmste bevorsteht.»Hardacre holt Hilfe. Er ist meine größte Hoffnung.»

Keen schien benommen.»Ich dachte, daß der Arzt kommen würde, Sir.»

Bolitho blickte zum Himmel auf.»Sie müssen wissen, was geschehen kann, Mr. Keen, uns allen. Vielleicht ist das Fieber örtlich beschränkt und kann unter Kontrolle gehalten werden. Andererseits sind viele Seuchen für diese Inseln neu — und ihre Behandlung ist unbekannt —, da sie von Außenstehenden eingeschleppt werden. Von Leuten wie uns. Aber — «, er bemerkte die Angst, die sich auf Keens Gesicht widerspiegelte —,»wir müssen an das Schiff und unsere Aufgabe denken. Falls wir Mr. Gwyther an Land rufen, berauben wir das Schiff seiner Hilfe, wenn es ihn braucht. Denn ich könnte ihm nicht erlauben, wieder an Bord zu gehen.»

Keen nickte ruckartig.»Ja, Sir. Ja, ich verstehe jetzt. «Bolitho begriff seine Empfindungen, seine Ängste. Beinahe schroff sagte er:»Wir müssen also klare Verhältnisse schaffen. Sie fungieren hier als mein Stellvertreter. Meines Wissens ist Mr. Pyper ebenfalls an Land, und von heute an gilt er als Leutnant. Geben Sie das bekannt. Ich habe Mr. Herrick schon angewiesen, Mr. Swift und Mr. Starling, den

Steuermannsmaat, im gleichen Rang einzusetzen. Wir werden unser ganzes Können brauchen, und es ist besser, wenn wir so viele wie möglich in den Schlüsselpositionen haben. Allerdings würde ich nach dem, was ich in den letzten Monaten von meinen Leuten gesehen habe, jeden einzelnen befördern, wenn mir das möglich wäre.«»Hier kommt noch einer, Captain«, sagte Allday und fügte hastig hinzu:»Fassen Sie ihn nicht zu hart an. Er glaubt, er tut sein Bestes.»

Orlandos große Gestalt tauchte im Morgenlicht auf. Er glänzte vor Nässe, und das Wasser lief noch an ihm herunter, als er auf die Hütten zukam. Bolitho sah über die Bucht hinaus, aber die Schiffe waren im Dämmerlicht noch nicht auszumachen. Orlando war auf eigene Faust an Land geschwommen. Er mußte gehört haben, wie Herrick seine Befehle gab, oder jemand hatte die Nachricht von dem Fieber verbreitet. So oder so, er war gekommen. Da er nicht sprechen und auch nichts fragen konnte, blieb er nur vor Bolitho stehen und sah ihn an, als erwarte er einen Schlag ins Gesicht. Ruhig sagte Bolitho:»Ich fürchte, eine Kajüte, in der du dir zu schaffen machen könntest, gibt es hier nicht, und für einige Zeit auch sonst sehr wenig zu tun. «Ungeduldig streckte er die Hand aus, wie Allday es oft an ihm gesehen hatte, und packte Orlandos Arm.»Deshalb übertrage ich dir also die Aufsicht über die Lebensmittelbestände. «Dankbar ließ der Neger sich auf die Knie sinken. Bolitho wandte sich ab, und Allday stieß den Neger mit dem Fuß an.»Steh auf, du Dummkopf!«Er grinste, um seine Rührung zu verbergen.»Siehst du denn nicht, was du dem Captain antust, Mann?»

Als die ersten Sonnenstrahlen auf die Gipfel der Berge und durch das Laub der Bäume auf die Bucht fielen, hatte Bolitho festgestellt, über wen alles er verfügen konnte. Neben Keen und Pyper standen ihm noch Sergeant Quare und der Bootsmannsmaat Jack Miller zur Seite. Von den Arbeits-kommandos waren nur zwei Marinesoldaten und sechs Matrosen an Land geblieben.

Die meisten Ve rwundeten hatten sich soweit erholt, daß sie schon wieder auf dem Schiff dienten, nur der Marinesoldat mit der Speerwunde im Bein und zwei Matrosen waren noch an Land. Wenn es noch schlimmer kam, konnte man auch sie wieder zur Arbeit heranziehen.

Keen kehrte zurück und sah zur Hütte hinüber.»Ich habe die Leute antreten lassen, Sir. Sie scheinen zu verstehen, was von ihnen erwartet wird.»

Zum Glück waren die meisten Männer wegen ihrer Fähigkeiten und ihrer Zuverlässigkeit für die Arbeit an Land ausgesucht worden. Männer wie Miller, der sich als erstklassig erwiesen hatte, auch wenn er sich in der Schlacht in einen hemmungslosen Killer verwandelte. Penneck, der Kalfaterer des Schiffes, der bei den Hütten letzte Hand angelegt hatte. Der große Böttcher, Tom Frazer, vertrauenswürdig, wenn er nicht trank. Jenner, der verträumte Amerikaner, und ein weiterer Weltenbummler, der in Frankreich geborene Lenoir; dazu der ehemalige Wildhüter Blissett. Der letztere sah in dieser neuen Isolierung höchstwahrscheinlich eine Chance, sich die Korporalstreifen zu verdienen.

«Danke. «Bolitho lächelte.»Bleiben Sie bei Ihrer Malua. Ich brauche Sie einstweilen nicht. «Er winkte Allday.»Wir gehen jetzt zur Siedlung und sprechen mit Mr. Raymond. Die Sträflinge müssen vom Dorf und von uns abgesondert werden. So können die Wachen vom Corps sie beaufsichtigen und gleichzeitig zur Verteidigung der Einfriedung und des Ankerplatzes eingesetzt werden. «Er war selbst verwundert darüber, wie schnell seine Ideen sich in Aktionen umsetzen ließen. Es war der reine Wahnsinn. Was konnten er und eine Handvoll Männer hier ausrichten? Sobald die Eingeborenen vom Fieber dahingerafft wurden, mußte die Lage schnell unhaltbar werden. Zu einer langen Belagerung würde es gar nicht erst kommen, sondern gleich zum Massaker. In der langgestreckten Hütte, die Gwyther als Lazarett benutzt hatte, saßen der Billyboy genannte Marinesoldat und die beiden verwundeten Matrosen. Er spürte ihre Unsicherheit, ihre neue Angst.

«Keine Sorge«, sagte Bolitho aufmunternd.»Ihr seid nicht vergessen.»

«Geht es wieder los, Sir?«fragte Billyboy.»Können Sie eine Muskete halten?»

Der Marinesoldat nickte nachdrücklich.»Bestimmt, Sir. Mir geht's jeden Tag besser. Nur das Bein…«Bolitho lächelte.»Gut. Sie werden sofort bewaffnet, und ich ernenne Sie zum Waffenmeister.»

Er ging weiter, Allday an seiner Seite. Waffen? Im Fort gab es Drehbassen und einige Sechspfünder. Kaum eine nennenswerte Artillerie, aber sie konnte jeden Angreifer von der Pier fegen wie Kies von der Straße. Auf einer Anhöhe blieb er stehen und sah auf die Bucht hinaus. Die Tempest lag wie zuvor gelassen über ihrem Spiegelbild. Die Aufregung, die seine Nachricht an Bord geschaffen haben mußte, war aus der Ferne nicht wahrzunehmen. Der arme Thomas. Ohne sein Pflichtgefühl wäre auch er hier gewesen.

Bolitho sah zur Eurotas hinüber. Das Beste wäre, die Sträflinge dorthin zu verlegen, statt sie an Land zu behalten und die Gefahr einer Ansteckung noch zu vergrößern. Er versuchte angestrengt, Schwächen oder Mängel in seinen rasch gefaßten Plänen zu entdecken. Vor wenigen Stunden erst hatte alles angefangen. Das Leben konnte blitzschnell eine neue Wendung nehmen, ohne die geringste Andeutung einer Warnung.

Die Pier lag verlassen da, und Hardacres Langboote dümpelten leicht an ihren Tauen, die Dollborde von der Sonne so versengt, daß kaum noch Spuren von Lack oder Farbe zu entdecken waren.

Sie kamen an das große Tor, und Bolitho sah zwei Soldaten des Corps ihn von einem der kleinen Blockhäuser her beobachten.

Allday rief:»Öffnet das Tor für Kapitän Bolitho!»

Ein Offizier erschien auf der Brustwehr, den Waffenrock in der Sonne so rot wie Blut.

«Tut mir leid, Captain. Aber der Gouverneur hat befohlen, das Tor für jedermann verschlossen zu halten! Zur Sicherheit meiner Leute und aller, die im Fort Dienst tun, aber auch der gesamten Siedlung wird diese Vorkehrung für das beste gehalten.»

Bolitho starrte ihn an; sein Verstand blieb kühl, trotz der Ungeheuerlichkeit von Raymonds Verrat. Er rief:»Wir müssen zusammenhalten! Die Schiffe sind ein Teil, die Inseln der andere. Wenn wir der Bedrohung durch einen Angriff oder der Krankheit entgegentreten wollen…«Angewidert brach er ab. Seine Worte hatten wie eine flehende Bitte geklungen.

Allday sagte heiser:»Ich nehme mir diesen Schuft vor, Captain! Ich schlitze ihn auf wie einen Hering!«»Nein.»

Bolitho wandte sich ab. Raymond konnte tun, was er wollte. Durch das Fort floß ein unterirdischer Bach, brachte jede Menge Trinkwasser. Hardacre hatte die Lage sehr klug bestimmt. Sie mußten reichlich Lebensmittel haben, weit mehr, als sie brauchten, da sie nach den Verlusten der Miliz weniger Personen zu verpflegen hatten. Wenn außerhalb der Palisaden alle starben und die Eingeborenen dezimiert wurden, konnte Raymonds Entscheidung, das zu retten, was noch zu retten war, als brillanter Plan hingestellt werden. Besonders für jemanden hinter einem prächtigen Schreibtisch auf der anderen Seite des Globus.»Wir gehen zu den Hütten zurück. «Er warf Allday einen raschen Blick zu, als sie den Abhang wieder hinunter und auf die Bäume zugingen. Woran erkannte man die ersten Anzeichen für Fieber? Es war die geheime Furcht jedes Seemanns. Bolitho konnte das Verhalten der Soldaten im Fort verstehen. Aber es war eine törichte Schutzmaßnahme, denn Gelbfieber überwand schnell jeden Wall.

Er traf Pyper dabei an, eine Liste der vorhandenen Vorräte aufzustellen, und sagte:»Schicken Sie einen Mann auf die Pier, um die Schiffe zu beobachten. «Er sagte es nüchtern, um Pyper nicht auf irgendwelche Gedanken zu bringen, falls er nicht schon von selbst darauf gekommen war. Die Schiffe bedeuteten Sicherheit unter den eigenen Leuten. Während hier…

Pyper nickte.»Ja, Sir.»

Ungeachtet dessen, daß er provisorisch zum Leutnant ernannt worden war, sah Pyper sehr jung und verletzbar aus. Wie Keen früher, als er unter Bolithos Kommando gekommen war.

Im Innern der Hütte war es kühl. Bolitho blickte auf das Mädchen hinab und erschrak, als er sah, wie sehr es sich in kurzer Zeit verändert hatte. Das Gesicht war verzerrt, der Mund zuckte wie in Trance.

Hardacre wischte ihr mit einem Tuch über die Stirn. Er stand auf und sagte:»Ich habe von Raymonds Entscheidung gehört. Ich hätte mir denken können, daß er nichts taugt. Ein Regierungsspitzel, ein Lakai.»

Bolitho erwiderte:»Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«Draußen zog Hardacre eine flache Flasche aus seinem Gewand und bot sie Bolitho an.

«Gesünder als Wasser. Macht es einem auch leichter, ruhig zu bleiben.»

Bolitho ließ sich die Flüssigkeit über die Zunge rinnen. Sie brannte, stillte aber den Durst.

Er sagte:»Ich denke an das, was Sie über die Insel Rutara gesagt haben. Daß sie Tuke ein gutes Versteck bieten würde.»

Hardacre lächelte.»Wie können Sie noch an diese Dinge denken? Das liegt doch jetzt hinter uns.»

«Sie bezeichneten sie als heilige Insel.»

«Das stimmt. Es ist ein rauher, felsiger Ort, nicht geeignet,

bewohnt zu werden. Aberglaube und Angst sind aus ihr entstanden. Die Eingeborenen wollen dort nicht an Land gehen. Halten es für ein Sakrileg, ein Vorzeichen für Krieg.

Tuke wird das wissen.»

«Und de Barras?»

«Der wohl nicht.»

Bolitho dachte an die falschen Masten, an die Qual und den Schock der Beschießung. Er hatte gewußt, daß Tuke einen Plan verfolgte. Vielleicht war alles nur eine Probe für das Bevorstehende gewesen. De Barras würde mit feuernden Geschützen in die Bucht einlaufen, ob er nun über Genin und die Revolution Bescheid wußte oder nicht. Die Wildheit des Kampfes konnte auf seinem Schiff schnell wieder Ordnung und Disziplin schaffen und die Vernichtung

Tukes für kurze Zeit Sicherheit bringen.

Doch von all dem würden die Insulaner nichts wissen und sich auch nicht dafür interessieren. Für sie waren Tuke, de

Barras und die englischen Matrosen alle gleich: feindselig,

fremd, gefürchtet. Doch sobald sie von seinem Übergriff auf ihre heilige Insel erfuhren, würden die letzten Schranken fallen.

Tuke würde sich zurückhalten und auf seine Chance warten, wie er es bisher schon getan hatte. In der Zwischenzeit die Eurotas erobern, Dörfer plündern und niederbrennen, Menschen erbarmungslos ermorden. Da es ihm auch gelungen war, ein Schiff des Königs durch einen simplen Trick zu übertölpeln, hatte de Barras wahrscheinlich keine Chance gegen ihn.

Bolitho blickte auf die Palmwedel, die in der sanften Brise leicht schwankten. Hardacres Schoner war ein flinkes Schiff, aber die Tempest verfügte über die größere Segelfläche. Er kam zu einem Entschluß.»Allday, stellen Sie eine Bootsbesatzung für einen Kutter Hardacres zusammen. Ich will zu meinem Schiff. «Er bemerkte Alldays ungläubiges Gesicht und fügte hinzu:»Schon gut. Nur in seine Nähe.»

Später, als das Boot in der leichten Dünung stampfte, erfuhr Bolitho, was es bedeutete, von seinem Schiff getrennt zu sein.

Das Boot hielt sich unter dem Heck der Tempest, und Bolitho nahm die vielen Gestalten auf dem Achterdeck und in den Wanten wahr, die stumm beobachteten, wie die Riemen das Boot in Position hielten. Aus den Fenstern der Kajüte starrten Herrick und Borlase zu ihm herunter, und es kostete ihn alle Kraft, äußerlich ruhig, sogar förmlich zu bleiben.

«Sagen Sie Mr. Lakey, er soll den Kurs zur Insel Rutara absetzen. Ich wünsche, daß Sie sofort Anker lichten und mit jedem Faden Tuch dort hinsegeln. «Weiter hinten in der Kajüte konnte er Cheadle, seinen Schreiber, erkennen. Der würde alles festhalten. Bolitho übertrug niemals seine Kommandogewalt, ohne das schriftlich niederzulegen. Und wenn diesmal seine

Unterschrift auch nicht darunter erscheinen würde, so genügte es doch, um Herrick zu decken, wenn etwas schiefging. Zwei Drittel der Besatzung hörten zu, die besten Zeugen, die es gab.

Er fuhr fort:»Rutara ist den Insulanern hier heilig. Ich befehle Ihnen, in der Lagune dort zu ankern, aber lassen Sie keinen einzigen Mann an Land! Haben Sie mich verstanden?»

Herrick nickte.»Aye, aye, Sir.»

«Wenn Tukes Schoner dort sind, dann zerstören Sie sie. Ihre Aktionen werden beobachtet werden. Die Eingeborenen sollen begreifen, daß wir nicht hier sind, um ihren Glauben zu mißachten und Krieg unter ihnen anzuzetteln.«»Und wenn ich de Barras begegne, Sir?«Bolitho sah zu ihm auf und versuchte, seine Empfindungen zu erraten.»Befolgen Sie meine Befehle. Wenn de Barras noch Kommandant ist, müssen Sie ihn über die Vorgänge in seinem Land informieren. Wenn die Narval eine andere Flagge zeigt, dann drehen Sie ab.«»Ohne Kampf, Sir?»

«Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Mr. Herrick, wir können nicht wissen, ob wir uns mit Frankreich im Krieg befinden.«»Kann ich sonst noch etwas tun, Sir?«Herricks Stimme klang unglücklich.

«Schicken Sie einen kurzen Bericht zurPigeon. Formulieren Sie ihn selbst. Jemand muß erfahren, was wir vorhaben. «Es hatte keinen Sinn zu erwähnen, daß Raymond sie aus der Siedlung ausgesperrt hatte. Selbst Herrick konnte sich weigern, seinen Befehl zu befolgen, wenn er davon erfuhr.»Noch etwas, Mr. Herrick. «Bolitho machte eine Pause und sah seinen Ersten Offizier fest an.»Thomas, Sie bleiben bei Rutara vor Anker, bis Sie weitere Befehle bekommen. Wir sind hier in Sicherheit. Die Verteidigungsanlagen und die noch vorhandenen Geschütze der Eurotas beherrschen die Einfahrt.»

Ruhig befahl er Allday:»Lassen Sie wenden. Das hier ist für keinen leicht.»

Als das Boot die Pier wieder erreicht hatte, war die Besatzung der Tempest bereits in die Wanten und auf die breiten Rahen ausgeschwärmt. Gut, dachte Bolitho. Es würde Herrick ausreichend in Anspruch nehmen und ihm keine Zeit lassen, um über jene nachzudenken, die er zurückließ.

Er sah Keen an Land warten. Sein Hemd stand bis zum Gürtel offen, die Arme hingen an seinen Seiten herab. Als Bolitho ihn erreicht hatte, sagte er mit belegter Stimme:»Sie ist tot, Sir. «Er blickte zur Sonne auf.»Sie starb gerade eben.»

Allday sagte:»Ich werde mich darum kümmern, Sir.«»Nein!«Keen fuhr heftig zu ihm herum.»Das tue ich selbst. «In sanfterem Ton fügte er hinzu:»Aber ich danke Ihnen.»

Bolitho blickte Keen nach. Natürlich war es ein Traum gewesen und von Anfang an hoffnungslos. Er ließ den Blick über den Strand schweifen, über die nickenden Palmen und das tiefblaue Wasser. Die beiden hatten nie eine wirkliche Chance gehabt, der junge Marineoffizier und das eingeborene Mädchen von einer kaum bekannten Insel. Er beschleunigte seine Schritte. Aber das war ihr Traum gewesen. Niemand hatte das Recht, ihn zu stören.»Richard!»

Rasch drehte er sich auf dem Absatz um. Viola kam von dem provisorischen Lazarett her auf ihn zugelaufen. Er fing sie auf und drückte sie an sich.»Aber Viola, warum hast du das Fort verlassen?»

Sie klammerte sich an ihn, lachte und weinte zugleich.»Was soll ich dort? Verstehst du nicht, Richard, mein Liebling? Gleichgültig, was geschieht, zum erstenmal sind wir zusammen.»

Leutnant Francis Pyper sah ihnen nach, als sie zur Krankenbaracke gingen. Er hatte den Mut verloren, besonders nachdem er das rege Treiben an Bord der Tempest beobachtet hatte. Jetzt waren sie schon dabei, den Anker einzuholen, und innerhalb einer Stunde mochte das Schiff hinter der Landzunge verschwunden sein. Aber nun fürchtete er sich nicht mehr. Sergeant Quare kam über knirschenden Kies auf ihn zu.»Sir, eine Meldung für den Kommandanten. Zwei

Eingeborene im Dorf sind erkrankt.»

Pyper nickte mit trockenem Mund.»Ich werde es ihm sagen.»

Quare nahm seinen Hut ab und wischte über das Schweißleder. Die armen kleinen Kerle, dachte er. Es wird bei ihnen nicht lange dauern. Sie sterben weg wie die Fliegen. Er hatte es gesehen: in der Karibik, in Indien; überall auf dieser verdammten Welt. Er bemerkte Blissett, der auf die Pier kam, und schnauzte:»Knöpfen Sie Ihren Waffenrock zu! Was glauben Sie, wo wir sind, Mann?»

Danach fühlte er sich etwas besser.

«Halt! Wer da?»

Bolitho trat in den weißen Fleck Mondlicht und zeigte sich.

«Pardon, Sir. «Sergeant Quare setzte seine Muskete ab.»Ich hatte Sie noch nicht zurückerwartet.»

«Alles ruhig?«Bolitho lehnte sich an einen Baum und lauschte auf das Rauschen der Brecher draußen. Zeitlos.

Unerschütterlich.

«Ja, Sir. «Der Sergeant seufzte.»Im Dorf haben sie ein paar der armen Teufel verbrannt. Ich hörte die Trauernden klagen und singen.«»Ja.»

Bolitho unterdrückte den Wunsch, sich auf den Boden zu setzen. Er war todmüde, fühlte sich krank und erschöpft. Acht Tage waren vergangen, seit die Tempest Segel gesetzt hatte, und noch immer war von nirgendwo Nachricht gekommen. Mit Hilfe aus dem Dorf hatte er nicht gerechnet. Dort hatte es mehrere Todesfälle gegeben; von Hardacre hatte er erfahren, daß auf der anderen Seite der Insel in einem Kanu mehrere sterbende Eingeborene aufgefunden worden waren. Sie waren Fremde gewesen und hatten die Seuche wahrscheinlich eingeschleppt. Das Fieber wurde» Itak «genannt. Es raffte seine Opfer in kürzester Frist dahin, ließ sie verzweifelt nach Luft ringen, während sie innerlich verbrannten.

Jeden Tag inspizierte Bolitho seine Leute, suchte nach Anzeichen für die Krankheit, doch abgesehen von der Erschöpfung hielten sie sich gut. Das war mehr, als man von den Leuten im Fort sagen konnte. Bolitho hatte durch Keen verlangen lassen, daß Lebensmittel und Getränke über die Palisade zu ihnen herabgelassen wurden. Wirklich wurde dann beides heruntergeworfen, aber Keen hörte betrunkenes Gelächter, als ob sich die Siedlung in ein Irrenhaus verwandelt hätte.

Am nächsten Tag war Bolitho selbst ans Tor gegangen. Nachdem er lange in der Sonne gewartet hatte, vermutlich dabei von den beiden Wachen im Blockhaus ständig beobachtet und bewacht, war Raymond oben auf der Palisade erschienen.

Bolitho hatte gesagt:»Wir brauchen Hilfe, Sir. Wenn die Leute im Dorf sich selbst überlassen bleiben, werden sie womöglich zu schwach, um ihre Toten zu verbrennen… «Weiter war er nicht gekommen.

«Jetzt sind Sie also gekommen, um zu betteln, wie? Sie haben geglaubt, Sie könnten mich übergehen, als Sie Ihr Schiff fortschickten. Jetzt haben Sie Ihr neues Kommando: eine Eingeborenenhütte und eine Handvoll Raufbolde, denen Sie Befehle geben können. Auch meine kostbare Gattin wird bald genug wieder angelaufen kommen, wenn sie sieht, was sie weggeworfen hat!«Seine Stimme klang wild, sogar jubilierend.

Bolitho hatte es noch einmal versucht.»Wenn ich die Wache von der Eurotas abziehen könnte, hätte ich genug Leute, um durchzuhalten, bis das Fieber abgeklungen ist.«»Ihre Leute sollen meinem Schiff fernbleiben!«Raymonds Stimme hatte sich beinahe zu einem Schreien gesteigert.»Meine Leute haben Befehl, sofort Feuer zu eröffnen, wenn sich ihm ein einziges Boot nähert! Sie haben Ihr Schiff verloren, Kapitän, und ich will nicht, daß Sie an meines Hand legen.»

Keen und die anderen hatten ihn mit der Nachricht von einem weiteren Todesfall erwartet. Es war erbarmungswürdig, wie die Eingeborenen sich damit abfanden. Die Götter zürnten. Tinah war über Tuke und die heilige Insel unterrichtet. Wenn sein ganzes Volk die Wahrheit erfuhr, würde es in seinen Leiden die unmittelbare Folge des Sakrilegs sehen.

Bolitho blickte zu den Sternen auf und schauderte. Wenn er früher gehandelt hätte, wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, die Eurotas im Schutz der Nacht zu besetzen. Aber dazu war es zu spät. Raymonds Drohungen und die Furcht vor dem Fieber würden für einen heißen Empfang durch die geladenen Drehbassen sorgen. Wenn er Herrick nicht benachrichtigen konnte und der Schoner nicht bald zurückkehrte, mußte er annehmen, daß die Narval erobert worden war. Ob im Namen der Revolution oder durch eine offene Meuterei, spielte jetzt keine Rolle mehr. Tuke würde für die Unterstützung der Sache Genins seinen Preis fordern, und der Franzose konnte ihn kaum verweigern. Aber worin würde er bestehen? Eine legalisierte Stellung unter dem neuen Regime, ein Schiff, ein Kaperbrief oder ein Versprechen auf eine Belohnung in Gold, sobald Genin schließlich Paris erreicht hätte? Was die Wunde noch stärker brennen ließ, war Bolithos Erkenntnis, daß, sobald die Narval endgültig fort war und Tuke den gewünschten Preis erhalten hatte, vermutlich aus London die Nachricht eintreffen würde, daß England und Frankreich sich seit Monaten im Krieg befanden. Dies mußte das Ende von Bolithos Karriere bedeuten. In Raymond hatte er einen Todfeind. Und in London würde man nach einem Sündenbock suchen, um den Ärger darüber zu lindern, daß nicht nur die französische Fregatte verlorengegangen, sondern auch ein Pirat entkommen war, der nun von Kriegsschiffen gejagt werden mußte, die man auf den eigentlichen Kriegsschauplätzen dringend brauchte. Er dachte an die Worte, die Raymond heruntergeschrien hatte. Sie waren sein einziger Trost. Viola hatte unermüdlich an seiner Seite gearbeitet, aus ihrem provisorischen Lazarett Ermutigung ins Dorf getragen und dort geholfen, die Kranken zu pflegen und die zurückgebliebenen Kinder zu versorgen.

Sie schlief in der Hütte, wo er sie zurückgelassen hatte. Er hatte neben ihr gekniet, auf ihren regelmäßigen Atem gelauscht, sorgsam vermieden, sie zu berühren, um ihren Schlaf nicht zu stören.

Der Sergeant fragte:»Verzeihen Sie, Sir, aber was werden wir tun?»

«Tun?«Bolitho strich sich mit den Fingern durch das Haar.»Warten. Wenn der Schoner kommt, spreche ich mit seinem Kapitän. Zumindest wird er wissen, ob die Narval sich noch hier aufhält.»

«Diese Insel, Sir, von der Sie gesprochen haben — wie weit ist es bis dorthin?»

«Rutara liegt etwas über fünfhundert Meilen entfernt im Norden.»

Bolitho überlegte, während er antwortete. Der Wind war schwach, aber günstig gewesen. Herrick mußte seine Position erreicht haben, selbst wenn es ihm nicht möglich gewesen war, Tukes Schoner zu vernichten. Ganz gewiß würde er nicht in eine Falle gehen, wie sie ihnen schon einmal gestellt worden war.

Er beobachtete, wie die Sterne kleiner und blasser wurden. Bald war es wieder Zeit, Rationen auszugeben, sich zu vergewissern, daß die Leute sich säuberten, zu versuchen, sie bei Laune zu halten. Wenigstens war dieses Fieber nicht wie die Pocken, die zwei Drittel einer Schiffsbesatzung innerhalb weniger Wochen dahinraffen konnten. Er sagte:»Kommen Sie mit zur Pier. Es wird bald hell. «Wie still es im Dorf war. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß der Strand und die seichten Wellen voll lachender Mädchen und junger Männer gewesen waren, unter ihnen Keens schöne Malua.

«Sir!«Quares Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.»Ich habe Segel gesehen.»

Bolitho sprang auf einen Felsen und spähte angestrengt in die Dämmerung hinaus. Doch alles, was er zwischen

Himmel und Wasser ausmachen konnte, waren die Brecher auf den vorgelagerten Riffen jenseits der Lagune.

Es wurde schnell heller, und er konnte bereits den stattlichen

Umriß der Eurotas ausmachen, auf der noch ein Ankerlicht flackerte.

Bolitho sah sich nach der Siedlung um, doch dort regte sich noch kein Leben.

Quare wiederholte hartnäckig:»Dort, Sir.»

Diesmal nahm er es wahr, eine bleiche Finne über den fernen Brechern, von Gischt verwischt, aber auf das Land zustrebend.

Ein Schoner, klein und gut geführt.

Er sagte:»Wecken Sie Mr. Keen. Er soll Mr. Hardacre benachrichtigen, daß sein Schoner kommt.»

Der Kapitän dort draußen würde eher auf Hardacre als auf

Raymond hören. Er hörte Quares knirschende Schritte auf dem Abhang, und irgendwo weinte ein Kind. Es klang bedrückend.

Und dann sagte sie hinter ihm:»Ich bin aufgewacht, aber du warst fort.»

Sie kam an seine Seite, und er legte ihr den Arm um die Schultern und spürte ihre Wärme.

«Es ist der Schoner. «Er versuchte, ruhig zu sprechen.»Ich bin neugierig, was er für Nachrichten bringt.»

Die Rahen waren fast mittschiffs geholt, bogen sich beinahe unter dem Winddruck. Es mußte draußen stärker wehen als in der geschützten Bucht, dachte er wehmütig.

Er drückte ihre Schulter.»Großer Gott, laß es bitte gute

Nachricht sein«, sagte sie.

Dunstiges Licht stieg über den Horizont wie dampfende Flüssigkeit, die am Rand der Erde überlief. Es floß um die beiden Masten mit Hardacres zerfetztem Wimpel. Das Schiff näherte sich den Riffen, ging in einer Wolke von Gischt und Sprühwasser meisterlich über Stag. Keen kam den Pfad herab, schob sich dabei das Hemd in den Hosenbund. Er sah Viola Raymond und sagte:»Guten Morgen, Ma'am.»

«Hallo, Val. «Sie lächelte, entdeckte dann die dunklen Schatten unter seinen Augen und teilte seinen Kummer. Bolitho sagte:»Hardacre wird bald hier sein, nehme ich an. «Er sah zu der Palisade. Er würde warten, bis der Schoner festgemacht hatte, und dann an Bord gehen. Niemand aus der Siedlung konnte ihn daran hindern, denn sie hatten zuviel Angst, den Schutz des Forts zu verlassen. Die Bucht lag nach beiden Seiten offen, und sie standen schweigend da, beobachteten, wie aus der Dunkelheit Farben wuchsen, die stillen, drohenden Schatten von Bewegung und schlichter Schönheit belebt wurden.

Keen dachte zweifellos an Malua, wie sie mit ihm lachend den Strand hinunter und ins Meer gelaufen war.»Er ist also zurück. «Hardacre stand auf dem festen Sand, die Hände in die Hüften gestemmt, und beobachtete, wie der Schoner immer klarer erkennbar wurde.»Wird auch Zeit. «Bolitho beschattete seine Augen und spähte nach irgendeinem Signal von der Eurotas oder von den Palisaden aus. Falls Raymond dem Schoner befahl zu ankern und auf weitere Anweisungen zu warten, würde er eine Überraschung erleben.

Plötzlich bemerkte Hardacre:»Das ist ungewöhnlich. «Bolitho sah ihn fragend an.»Was?«»Der Kapitän kennt die Bucht wie die eigene Tasche. Gewöhnlich beginnt er an diesem Punkt zu halsen, wenn der Wind so steht wie heute.»

Bolitho wandte sich wieder dem kleinen Schoner zu. Plötzlich lief eiskalt ein warnender Schauer durch sein Gehirn.

«Mr. Keen, gehen Sie zum Tor und alarmieren Sie die Posten. Sagen Sie den Narren, sie sollen den Schoner auffordern, sich zu erkennen zu geben. «Er beobachtete das kleine Fahrzeug, dann hörte er Keen oben am Tor rufen. Er erstarrte. Der Schoner wechselte schon wieder den Kurs, steuerte auf die Eurotas zu. Hardacre sagte:»Was, in Gottes Namen, macht dieser Wahnsinnige?»

Bolitho rief:»Gebt mir eine Muskete!«Er sah Quare auf dem Hang.»Schnell! Schießen Sie Ihre ab!«Aber durch Feuchtigkeit oder Übereifer versagte die Muskete, und Bolitho hörte Quare wütend knurren, als er sie neu lud.

Von der Palisade ertönte eine belegte, undeutliche Stimme, verschlafen und protestierend. Keen kam zurück und sagte wütend:»Diesen Kerl sollte man…«Er bemerkte Bolithos Ausdruck und drehte sich schnell nach dem Schoner um. Selbst der Knall der Muskete lenkte ihre konzentrierte Aufmerksamkeit nicht ab, wenn auch der Chor der aufgeweckten Vögel genügte, die gesamte Insel zu alarmieren.

Langsam, zuerst schwach, doch gleich darauf mit einer schrecklichen Endgültigkeit, stieg vom Deck des Schoners eine Rauchsäule auf. Dann eine Flamme, die wie eine orange Zunge aus einer Luke aufschoß und den Klüver zu

Asche verwandelte.

Keuchend sagte Keen:»Ein Brander!»

«Alarmieren Sie die Leute!»

Bolitho sah den Schoner schwanken, als ein Teil seines Hauptdecks mit einem großen Ausbruch von Flammen und Funken einbrach. Wie der Hölle entsprungene Ungeheuer breiteten sich die Flammen über Segel und das geteerte Rigg aus, verwandelten das kleine Schiff in eine riesige Fackel. Bolitho nahm sogar den Widerschein der Flammen auf den festgemachten Segeln und den Wanten der Eurotas wahr, während der Wind den Schoner unausweichlich gegen das verankerte Schiff trieb.

«Ein Boot hat abgelegt, Sir!«Quare lud in wilder Hast abermals.»Die Schufte entkommen!«Er unterbrach das Laden, als der Schoner dröhnend gegen den Rumpf der Eurotas stieß und ein weiterer Ausbruch von Rauch und wirbelnden Funken bis hoch über ihre Mastspitzen aufstieg.

Bolitho konnte jetzt hören, wie das Feuer übergriff, sich vorstellen, wie das zundertrockene Holz, das Tauwerk in einer einzigen Riesenfackel aufloderten. Er glaubte, einige Männer ins Meer springen zu sehen, und konnte das Entsetzen zwischen den Decks mitempfinden, als die Männer der Freiwache zu ihrem grauenhaften Flammentod erwachten.

Er spürte Violas Zittern und hörte sie leise an seiner Schulter schluchzen.

«Wir können gar nichts tun, Viola«, sagte er gepreßt.»Manche werden den Strand erreichen, aber ich fürchte, daß die meisten umkommen.»

Damit war die Eurotas direkt vor Raymonds Augen ausgeschaltet worden. Sein Schiff, seine Rettung, sein Fluchtweg für den Fall, daß alles andere fehlschlug, stand knisternd in Flammen. Der Rauch rollte in einer dichten, erstickenden Woge vor dem Wind daher. Masten und

Spieren wurden von den Flammen verzehrt und stürzten funkensprühend herab, innere Explosionen schleuderten Bruchstücke in die Luft, die die umliegende Wasserfläche wie mit weißschäumenden Pockennarben übersäten. Ein lauter Knall erschütterte den Rumpf und rollte als Echo donnernd um die Bucht. Als der Lärm schließlich verklang, begann die Eurotas zu sinken. Dampf wallte zischend auf und verdeckte ihren letzten Todeskampf, ehe sie auf Grund sank und nur noch das verkohlte Achterdeck über der Wasseroberfläche sichtbar blieb. Keen fragte leise:»Warum, Sir?»

«Das war eine Nachricht für uns, Mr. Keen. «Bolitho wandte sich vom Wasser ab. Seine Augen schmerzten vom Rauch oder der Bitterkeit seiner Entdeckung.»Tuke hat seinen Preis genannt. «Er sah Hardacre an und fügte hinzu:»Nämlich diese Siedlung. Ohne den Schutz der Eurotas können wir sie nicht halten. Wenn er sich erst hier festgesetzt hat, ist ein Regiment Marinesoldaten notwendig, um ihn wieder zu vertreiben.»

Bedrückt fragte Keen:»Und wir haben keine Hilfe zu erwarten, Sir?»

Wie um diese Worte zu unterstreichen, brach der Bug des Schoners durch die Wasseroberfläche und trieb von dem großen, schäumenden Wirbel der Trümmer und verkohlten Überreste weg.

Abrupt sagte Bolitho:»Folgen Sie mir.»

Er fand Pyper und die übrigen Leute in der Nähe der

Lazaretthütte. Auch die Rekonvaleszenten befanden sich dort.

Bolitho sah der Reihe nach jeden einzelnen an, ehe er begann:»Es ist meine Überzeugung, daß Tuke sich in den Besitz der Mittel gesetzt hat, um diese Insel und alle anderen zu erobern. Sonst würde er nicht einen Schoner als Brander vergeuden. Er wäre für seine Flottille zu wertvoll. «Er sah, daß er von allen verstanden wurde.»Tuke wird jeden Eingeborenen töten, der sich ihm widersetzt, und seine Methoden haben Sie ja kennengelernt, sowohl an Bord der Eurotas als auch an Land.»

Er wußte, daß Viola ihn genau beobachtete, sich ihrer eigenen Leiden erinnerte, als das Transportschiff gekapert worden war. Sie griff sich sogar an die Schulter, an die Stelle, wo ihr Kleid die rote Brandnarbe verbarg, die Tuke ihr beigebracht hatte.

Er fuhr fort:»Keiner von uns ist vom Fieber befallen worden, obwohl rings um uns viele daran gestorben sind. Vielleicht sind wir also davor sicher. Mag sein, daß wir zu schlecht sind, um schon erlöst zu werden. «Bolitho sah Miller und Quare grinsen, wie er es von ihnen erwartet hatte. Von der anderen Seite der kleinen Lichtung her beobachtete Allday ihn gelassen. Er hatte derlei schon früher gehört.

Bolitho sagte:»Nur ein einziges Schiff kann den Kampf mit Tuke aufnehmen, gleichgültig, über welche Kräfte er jetzt verfügt: die Tempest ist ihm mehr als gewachsen. «Blissett nickte, und Lenoir, der Franzose, bekreuzigte sich. Orlando stand abseits von den anderen, die Arme vor der Brust gekreuzt, einen Fuß auf der letzten Kiste Schiffszwieback. Er sah kraftvoll aus und irgendwie majestätisch.

Langsam fügte Bolitho hinzu:»Doch zwischen uns und der Tempest liegen fünfhundert Meilen, Jungs. «Er konnte ihre Zweifel erkennen. Fünfhundert? Es konnten ebensogut fünftausend sein.

Bolitho blickte in ihre angespannten Gesichter, wünschte, er könne es ihnen ersparen.

«Ich beabsichtige, ein Langboot zu nehmen und so viele Freiwillige, wie sich bereitfinden, um unsere Tempest zu suchen.»

Es folgte ein langes, benommenes Schweigen. Als Pyper dann mit einer provisorischen Kladde vortrat, meinte Allday:»Wäre es nicht besser, beide Langboote zu nehmen, Captain?«Er lächelte träge.»Größere Chancen, denke ich. «Pyper rief:»Freiwillige heben die Hand!«Der Bootsmannsmaat Miller erwiderte:»Nicht nötig. Wir kommen alle mit. «Er grinste mit seinem Raubtiergebiß.»Zwei Langboote, was, Jungs?»

Alle drängten nach vorn, klatschten sich gegenseitig auf den Rücken und grinsten, als ob ihnen etwas Kostbares angeboten worden wäre.

Bolitho sah auf seine Hände und erwartete, daß sie zitterten. Er hörte Viola sagen:»Du kannst mich nicht zurücklassen, Richard.»

Er blickte sie an. Sein Widerspruch verstummte, als sie seine Hände nahm. Da nickte er.»Besser gemeinsam, Liebste.»

Allday räusperte sich.»Verzeihung, Ma'am, aber ein offenes Boot voller Matrosen ist kein Platz für eine Dame. «Es klang schockiert.»Ich meine, Captain, es wäre nicht recht. «Viola sah ihn von oben bis unten an.»Ich kenne das alles schon. Und ich glaube, daß Sie mich brauchen, damit ich Ihre Unverschämtheit in Grenzen halte, Allday. «Sie lächelte.»Wann fahren wir?»

Bolitho zog seine Uhr und bemerkte, daß Viola zusah, als er den Deckel aufspringen ließ.

«In der Dämmerung. Wenn wir früher losfahren, könnten die Wachen in Panik geraten und auf uns schießen, um uns zurückzuhalten.»

Er führte sie von den anderen und ihrer merkwürdigen, befreiten Erregung fort.

«Ich weiß nicht, Viola, ob ich es schaffe. Fünfhundert Meilen… Und selbst dann…»

Sie nahm seinen Arm und drehte ihn sanft den Hütten zu.»Sieh dir den Marinesoldaten an, Richard, diesen Billyboy. Er war schwer verwundet, aber jetzt ist er wieder auf den Beinen. Und auch den beiden anderen geht es viel besser. Mit solchen Männern wirst du es selbstverständlich schaffen. «Sie wollte sich abwenden, sagte aber noch:»Und bitte nicht Hardacre, sich um mich zu kümmern, bis du zurückkommst. Wir bleiben zusammen. «Sie sah ihn fest an.»Das ist unser Gelübde. «Er nickte.»Wenn du entschlossen bist?«Sie warf den Kopf zurück, und er sah sie so wie beim erstenmal vor fünf Jahren. Ihre ganze Energie und das, was er damals für Arroganz gehalten hatte. Trotz ihres zerrissenen Kleides und ihrer abgetretenen Schuhe war diese Frau unverkennbar im Vollbesitz ihrer Kraft.»Noch nie war ich so fest entschlossen, Liebster. Zu allem!»

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