Epilog

An einem hellen Sommertag des Jahres 1791, fast achtzehn Monate, seitdem er mehr tot als lebendig von der eroberten Narval auf sein Schiff zurückgetragen worden war, wußte Kapitän Richard Bolitho, daß er den schwersten Kampf gewonnen hatte.

Nur jene, die ihn bei seinem täglichen Ringen mit dem Fieber bewacht hatten, kannten die ganze Geschichte. Ihm selbst erschien es wie ein einziger Wachtraum. Er erinnerte sich nur schwach an die Rückfahrt nach Neusüdwales und seinen Aufenthalt im Hause des Gouverneurs. Oder an seinen Abschied von Herrick und den anderen, die ihn vor dem Auslaufen der Tempest nach England besucht hatten. Langsamer und weniger anstrengend hatte Bolitho mit Allday an seiner Seite die Reise auf einem Indienfahrer zurückgelegt. Manche Erinnerungen waren verschwommen und qualvoll. Wie die an seine verheiratete Schwester Nancy, die ihn in dem alten Haus unterhalb von Pedennis Castle empfing, tapfer ihren Schreck über seine ausgemergelte Erscheinung verbergend und über seine Unfähigkeit, mehr als nur wenige Worte mit ihr zu wechseln. An Mrs. Ferguson, seine Haushälterin, mit rotgeränderten Augen und zwischen Weinkrämpfen geschäftig um ihn besorgt. An Ferguson, seinen einarmigen Hausmeister, der Allday half, Bolitho in dem großen Bett unterzubringen: dem Bett, von dem aus man im Sitzen die blaue Linie der Kimm und eine Ecke der Festung auf dem Vorland sehen konnte. Allerdings hatte niemand geglaubt, daß er das Bett jemals wieder verlassen würde. Das heißt, niemand außer Allday. Doch als die Monate verstrichen, Tage und Wochen der Leere und Übelkeit sich aneinanderreihten, erkannte er, daß er allmählich neue Kräfte gewann. Er war in der Lage, nach Menschen zu fragen, nach Ereignissen außerhalb seines Schlafzimmers.

Bei den ersten Anzeichen für besseres Wetter machte er kurze Spaziergänge, wobei er sich meistens auf Allday stützte.

Und er hatte einen Besucher. Kapitän William Tremayne von der Brigg Pigeon kam bereits eine Stunde, nachdem er in den Carrick Roads Anker geworfen hatte, ins Haus. Da war es, als wären die Monate dazwischen nie gewesen. Bolitho saß in einem hochlehnigen Sessel beim Fenster, Tremayne mit einem Becher Wein in seiner großen Faust daneben.

Die Pigeon war mit Depeschen gekommen, und Tremayne hatte es alles in Erinnerung gerufen: die Inseln, die nickenden Palmen und die lachenden Mädchen. Anscheinend war Hardacre von der Regierung die ständige Aufsicht über die Levu-Inseln übertragen worden. In diesem Punkt hatte man kaum eine Wahl gehabt, denn Raymond war tot aufgefunden worden, dem Anschein nach durch eigene Hand gestorben.

Doch die überraschendste Nachricht betraf Yves Genin. Er war mit den übrigen gefangen worden, als die Tempest ihren blutigen Kampf gegen die Narval gewann. Die Fregatte war zwar einem Prisengericht übergeben worden, Genin aber hatte man erlaubt, nach Frankreich zurückzukehren, mehr weil man ihn als Belastung empfand, denn als Beweis guten Willens gegenüber der neuen Regierung. Genin, der so vieles getan hatte, um der Revolution den Weg zu ebnen, wurde dafür mit einem schnellen Ende auf der Guillotine entlohnt. Die neue Regierung war der Ansicht, daß ein Mann, der einen großen Aufstand planen konnte, es auch ein zweites Mal tun mochte.

An diesem Tag nun stand Bolitho am offenen Fenster und bewunderte die verschiedenen Grüntöne und wogenden Felder, die sich zur See hinab erstreckten. Er dachte viel an die Tempest und fragte sich, wo sie sein mochte. Wie er gehört hatte, war sie in Plymouth neu ausgerüstet und mit einer neuen Besatzung wieder in Dienst gestellt worden. Sein einziger Wunsch war, daß er hätte auf dem Schiff sein können, als die Besatzung abmusterte. Ein paar der alten Leute blieben an Bord, und ihr neuer Kapitän sollte dankbar sein, daß er sie hatte: Lakey, den schweigsamen Steuermann, Toby, den Zimmermann, Jury, den Oberbootsmann und noch ein paar andere. Die übrigen waren, den Bedürfnissen der wachsenden Flotte entsprechend, auf Schiffe verteilt worden, die dringend benötigt wurden, wenn der Sturm aus den über dem Kanal dräuenden Wolken der Politik endlich losbrach. Selbst der kleine Romney hatte ein neues Schiff gefunden, und Bolitho wünschte ihm diesmal mehr Glück. Keen, Swift und so viele, die er gekannt hatte, sie alle standen vor einem neuen Beginn.

Er seufzte. Und Thomas Herrick? Er hatte nur gehört, daß er auf See sei.

Die Glocke im Turm der Kirche von Falmouth schlug; Bolitho zog seine Uhr und betrachtete sie im Sonnenlicht. Hinter ihm öffnete Allday die Tür und balancierte eine Flasche Wein auf einem Tablett. Er benötigte keine Worte, um zu wissen, an was Bolitho dachte. Woran er sich erinnerte.

Bolitho drehte sich um und sah ihn. Er lächelte und steckte die Uhr in die Tasche zurück.

«Ich dachte, wir könnten heute einen längeren Spaziergang machen. Eine Fregatte läuft in die Roads ein. Wir könnten ein Fernglas mitnehmen, wie?»

Allday antwortete skeptisch:»Wir wollen sehen, Captain. Bis zur alten Batterie draußen ist es ziemlich weit. Hätte keinen Sinn, Sie zu überanstrengen. «Bolitho sah ihn gerührt an.»Danke für Ihre Fürsorge. Und für vieles andere.»

«Keine Ursache, Captain. «Allday sah auf die See hinaus.»Alles braucht seine Zeit. Aber Sie kriegen wieder ein Schiff unter die Füße, das ist gar keine Frage. «Er grinste und fügte hinzu:»Kommen Sie also. Ich hole Ihren Mantel und das Teleskop.»

Bolitho ging langsam zur Tür und ließ dabei den Blick durch den Raum wandern. Sie wäre hier glücklich gewesen. Dann sagte er:»Also los. Und auf dem Rückweg trinken wir ein Bier.»

Die Schlacht war gewonnen.

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