XVIII Das ist der Tag

Bolitho bemühte sich, völlig ruhig dazustehen, als Herrick nach achtern auf ihn zugeeilt kam. Die Übelkeit kam und ging, und mehrmals hatte er geglaubt, er würde zusammenbrechen. Dennoch war ihm klar bewußt, was um ihn herum geschah, als könne er sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Als wäre er bereits tot.

Selbst seine Stimme schien ihm aus weiter Ferne zu kommen.»Gott sei Dank, Sie sind in Sicherheit, Thomas. «Er sah zur Gangway hinüber, wo das Kommando des Bootsmanns den verwundeten und erschöpften Seeleuten aus den Booten half.

Herrick berichtete:»Sie haben sich sehr gut gehalten. Sobald der Rauch sich verzogen hat, werden Sie nichts als ein paar Sparren auf dem Riff sehen. Aber ich habe drei gute Leute verloren…«Er brach ab, weil er bemerkte, daß Lakey versuchte, ihm ein Zeichen zu geben. Doch erst, als er die Erschöpfung und Wut des Kampfes überwunden hatte, konnte er Bolitho genauer ansehen. Er sagte:»Ich — ich bedaure sehr, Sir. Ich dachte nur an mich selbst. «Er wußte nicht, wie er fortfahren sollte.»Sie müssen nach unten, auf der Stelle. «Er bemerkte Bolithos entschlossenes Kinn. Wie bei einem Mann, der sich darauf vorbereitet, daß der Chirurg sein Messer ansetzt. Von der Back kamen laute Rufe. Überrascht und verwirrt drehte Herrick sich danach um und sah ihre anderen Boote vom Ufer langsam näherkommen. Sie waren bis an die Grenze ihrer Tragfähigkeit mit Menschen beladen, hatten nur noch wenige Zoll Freibord, und über den Riemen und den Dollborden hingen die Leute wie Getreidesäcke.»Was hat das zu bedeuten?»

Borlase erwiderte mit heiserer Stimme:»Sträflinge. Er läßt sie rekrutieren.»

«Ja. «Bolitho ging langsam zur Reling, um zu beobachten, wie das erste Boot anlegte.

Die Tropfen, die der Arzt ihm gegeben hatte, hatten ihm eine gewisse Erleichterung gebracht, und Alldays Brandy brannte ihm wie Feuer in der Kehle. Er mußte ein paarmal blinzeln, um klar zu sehen, wie die Sträflinge unbeholfen durch die Netze kletterten. Sie unterschieden sich nur wenig von seinen eigenen Leuten, fand er. Plötzlich packte ihn unwiderstehlich der Drang zu handeln. Er mußte mit den Leuten sprechen, es ihnen sagen. Er sah Keen auf sich zukommen und wartete, um ihn zuerst sprechen zu lassen. Er mußte mit jedem Atemzug sparsam umgehen. Bei jeder kleinen Anstrengung brach ihm am ganzen Körper der Schweiß in Strömen aus.

Keen meldete:»Die Posten der Marinesoldaten glauben, daß der Schoner in der Nacht Spione an Land gesetzt hat, Sir. «Er blickte hilflos zu Herrick hinüber.»Sie sind nicht sicher, aber es ist möglich.»

Bolitho wartete, bis der nächste Schwindelanfall vorüber war.»Das habe ich befürchtet. Sie können sich stundenlang verstecken, tagelang. «Bitterkeit schlich sich in seine Stimme.»Sie werden unsere klägliche Tarnung bald durchschauen. «Er ging zur Reling und sah auf das Batteriedeck, die sich dort drängenden Gestalten hinunter. Herrick sagte schnell:»Überlassen Sie das mir, Sir. Ich werde ihnen erklären, was sie tun müssen.«»Nein. «Die Verzweiflung auf Herricks Gesicht bemerkte er nicht.»Ich verlange schon zu viel von ihnen, auch ohne daß… «Er schwankte und fügte hinzu:»Thomas, wenn der Feind unsere Schwäche erkennt, sind wir erledigt. Sie schlagen uns in Stücke, während wir vor Anker liegen. Wir müssen ihm auf offener See begegnen. Dazu brauchen wir Leute. Egal, woher.»

Er sah zum Himmel hinauf, zu dem flatternden Wimpel hoch über dem Deck.

«Wir haben we nig Zeit. Wenn ich mit diesen Leuten gesprochen habe, ziehen Sie die restlichen Posten von der Insel ab. «Er sprach langsam und sehr sorgfältig.»Alle von diesen Leuten, die wieder an Land wollen, bringen Sie auf die Insel zurück, ehe wir Anker lichten. Bei diesem Wind wird die Narval noch vor Mittag die Halbinsel runden. Bis dahin beabsichtige ich, in der besten Position zu sein, die ich erreichen kann.»

Er drehte sich rasch um und hob die Stimme:»Hören Sie mich an, Sie alle! Eine französische Fregatte ist auf dem Weg hierher, um gegen die Tempest zu kämpfen, und sehr wahrscheinlich wird sie durch ein weiteres Schiff unterstützt. Mir fehlen Männer, jetzt noch mehr infolge der Verluste beim Kampf gegen den Schoner der Piraten. Sie haben keinen Grund, die Autorität zu lieben, die Sie hierhergeschafft hat. Ich kann Ihnen auch nicht fest versprechen, daß ich Ihnen die Rückfahrt nach England beschaffen kann, wenn Sie das wünschen. «Er wandte sich etwas der Sonne zu, damit sie glaubten, er schließe die Augen vor dem grellen Licht und nicht, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken.»Aber Sie haben gesehen, was Tuke und seine Leute getan haben, und wissen, was sie noch tun werden, wenn sie dieses Schiff überwältigen. Ihre Unterstützung mag vielleicht nicht mehr bewirken, als die Niederlage hinauszuzögern. Aber ohne Ihre Hilfe wären wir jetzt schon so gut wie tot.»

Er machte eine Pause und konnte ihre widerstreitenden Gefühle beinahe körperlich spüren.

Dann rief eine Stimme:»Alles, was ich verbrochen habe, war, ein Schwein zu stehlen, Sir. Deswegen haben sie mich nach Botany Bay verbannt. Meine Familie war am Verhungern. Was konnte ein Mann da anderes tun?«Ein anderer rief voller Haß:»Meine Frau wurde von dieser Bestie Tuke abgeschlachtet, nachdem er und seine Teufel ihr Spiel mit ihr getrieben hatten. «Seine Stimme überschlug sich.»England hat mir nichts mehr zu bieten, Cap'n. Aber bei Gott, das schwöre ich Ihnen, ich werde für Sie kämpfen, wenn Sie mir sagen, was ich tun soll. «Auf dem Geschützdeck brach ein wilder Tumult aus. Matrosen und Marinesoldaten sahen gebannt zu, wie sich bei den Sträflingen Parteien bildeten, die wütend argumentierten.

Bolitho sagte schwerfällig:»Es hat nicht geklappt, Thomas. Und ehrlich gesagt, ich kann den Leuten keinen Vorwurf machen.»

Herrick befahl erbittert:»Halten Sie die Boote bereit, Mr. Keen. Mr. Fitzmaurice, geben Sie das letzte Signal an die Siedlung.»

Sie drehten sich wieder um, als ein Mann laut alle übertönte:»Wir wissen, was Sie für uns getan haben, Cap'n, und was Sie versucht haben. Wenn man nichts als Tritte und Flüche kennt, lernt man schnell erkennen, wer einem wohl will. Ja, Cap'n, ich werde für Sie kämpfen, und wenn ich morgen zur Hölle fahre.»

Ein paar Stimmen schrien noch protestierend, setzten sich aber nicht durch gegen die Welle zustimmenden Jubels, den selbst Jury mit seiner dröhnenden Stimme nicht unterdrücken konnte.

Als der Lärm langsam verklang, sagte Bolitho ruhig:»Stellt sie an die Geschütze und die Brassen. Ihre Kräfte und unser Können sind alles, was wir haben. Wir müssen beides gut nutzen. «Heftig würgend wandte er sich ab.»Fangen Sie schon an, Thomas«, drängte er.

Herrick riß sich zusammen.»Bemannt die Boote!«Einige Sträflinge kletterten sofort hinab, ironische Zurufe ihrer

Gefährten begleiteten sie.»Mr. Keen, das ist die letzte Fahrt.

Machen Sie so schnell Sie können.»

Er sah die kleinen roten Figuren auf der zerstörten Pier. Eine humpelte auf Krücken. Kranke und Verwundete, Sträflinge,

jeder, der noch Luft schnappen konnte, wurde heute gebraucht.

Bolitho rührte sich nicht von der Stelle und sagte kein Wort, bis auch die letzten Boote längsseit gekommen und die letzten Marinesoldaten eingeschifft waren. Er hatte damit gerechnet, auch Raymond an Bord kommen zu sehen, obwohl er keinen Grund dafür finden konnte. Aber offenbar hatte dieser die Absicht, bis zum Ende in seiner kümmerlichen Verteidigungsposition auszuharren. Um bei einem Sieg das Verdienst für sich zu beanspruchen oder, was wahrscheinlicher war, wieder mit dem Angreifer um sein Leben zu feilschen.

Er sah Herrick an der Querreling warten. Sein Gesicht verriet seine Besorgnis.

«Werfen Sie hier eine Boje aus, und lassen Sie sämtliche Boote außer der Barkasse daran festmachen, bitte. «Herrick verstand.»Aye, Sir. «Heute war ein Tag, an dem sie keine Boote brauchen würden, und wenn alles fehlschlug, konnten sie Hardacre und einigen anderen zur Flucht verhelfen.

«Sehr gut. «Bolitho sah sich auf dem überfüllten Achterdeck um.»Wir lichten sofort Anker. Lassen Sie das Ankerspill bemannen. «Er nickte Lakey zu.»Legen Sie einen Kurs fest, der uns so dicht wie möglich an der Landzunge und den Riffen vorbeiführt.»

Er drehte sich um und sah Midshipman Romney darauf warten, Fitzmaurice beizustehen.

«Hissen Sie die Flagge und sagen Sie Sergeant Quare, er soll aufspielen lassen.»

Während die Tempest wieder einmal den Anker einholte und sich widerstrebend vor den Wind legte, tauchten unter den Bäumen am Strand zögernd Gestalten auf und kamen dann zum Wasser gelaufen, um das Schauspiel anzusehen. Sie sahen, wie sich die Segel unter den großen Rahen entfalteten, die winzigen Figuren, die dichtgedrängt wie

Äffchen über das Deck huschten, sahen den zunehmenden Gischt unter der vergoldeten Galionsfigur, und wenn die meisten auch nicht verstanden, was hier vor sich ging, waren viele bei dem Anblick tief bewegt.

Der junge Häuptling Tinah stand neben Hardacres massiger Gestalt und hob eine Hand zum Ohr, als er, zunächst nur dünn, dann kräftiger, die Töne einer Melodie vernahm. Fragend sah er den großen Mann an seiner Seite an. Hardacre sagte ergriffen:»Das ist die >Portsmouth Lass<. Ich hätte nie geglaubt, es hier draußen auf den Inseln zu hören. «Hardacre, der die Wahrzeichen der Autorität und der sich ausbreitenden Macht eines Landes, das er fast vergessen hatte, haßte, der nur Sicherheit und Frieden bei den Menschen gesucht hatte, die gelernt hatten, ihm zu vertrauen, war unfähig, seine Stimme zu beherrschen, als er hinzufügte:»Gott schütze sie. Männer wie sie werden wir nie wiedersehen.»

Sobald die Tempest den Schutz des Landes hinter sich gelassen hatte, legte sich der Nordwest in ihre Segel und hielt das Schiff stark krängend auf Steuerbordbug.»Ostnordost, Sir. Kurs liegt an!»

Bolitho nickte und ging über das schräge Deck zur Luvseite. Das anschwellende Rauschen von Tauwerk und Leinwand, das Klappern der Blöcke und das Zischen der See verschmolz in seinem Bewußtsein zu einem einzigen großen Getöse. Er spürte, wie das Deck vom Wind vibrierte, und wenn er über die Zwölfpfünder an Backbord spähte, sah er sie an straffen Taljen hängen, wenn das Schiff unter dem Druck stärker und stärker krängte.

Gischt sprühte über die ausgespannten Netze und traf stechend sein Gesicht, aber er zuckte kaum mit den Wimpern. Er sah Gesichter, die er nicht kannte, die zu den verschiedenen Stationen des Schiffes dirigiert wurden; manche blickten zu ihm auf, als sie an ihm vorbeihasteten. Er sah sie nicht mehr als Sträflinge, sondern fragte sich, was sie früher einmal gewesen sein mochten. Wieder fand er sie seinen Leuten sehr ähnlich: unter Zwang aus der Heimat geflohen oder durch unerfüllbare Träume zur See gelockt. Wenn ihr Geschick eine andere Wendung genommen hätte, hätte auch jeder der Häftlinge auf einem Schiff des Königs enden können, sei es durch die unbeteiligte Härte eines Preßkommandos oder einen Zwang zur Flucht wie bei Jenner oder Starling.»Noch einen Brandy, Captain?»

Bolitho drehte sich um, klammerte sich fest an das Netz und bemerkte Allday.

«Später. «Er zwang sich zu einem Lächeln.»Ich komme sonst zu sehr in Fahrt.»

Allday erwiderte das Lächeln nicht.»Gott helfe mir, Captain, aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann Sie nicht aufhalten, und helfen kann ich Ihnen auch nicht. «Bolitho griff nach seinem Arm.»Sie helfen mir aber. Wie immer. «Im Augenblick sah er Alldays Gesicht nur verschwommen, wie durch einen Nebel.»Schon durch Ihre Gegenwart.»

«An Deck! Segel querab an Backbord. «Herrick fluchte.»Verdammt, sie haben die Luvposition. «Bolitho winkte Romney und nahm das Teleskop entgegen. Sein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, und er brauchte Zeit und Mühe, um das Glas ruhig zu halten. Er sah die verschwommenen Umrisse der Halbinsel, die schnell zurückblieb. Ihre Silhouette wurde durch die wilden Grundseen über dem Riff noch mehr verwischt. Da war sie. So wie er sich an sie erinnerte, stürmte sie vor dem Wind auf ihn zu, bis auf die Royals alle Segel gesetzt. Ihr Vorschiff verschwand wieder und wieder hinter hohen Wellen, und er konnte sich vorstellen, wie die See über ihre Geschütze brach.

Er hörte Lakey sagen:»Schade, daß der Wind nicht umspringt und den Schuft entmastet. «Bolitho achtete nicht auf die Stimmen um ihn herum, sondern konzentrierte sich auf ein schmales Segel, das beinahe im Kielwasser der französischen Fregatte auftauchte: der zweite Schoner. Er senkte das Glas und biß sich auf die Lippe, um seine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Viola hatte ihm von diesem Schoner berichtet, als sie Tukes Gefangene gewesen war. Wahrscheinlich hatte auch er eines der schweren Geschütze an Bord. Einige mochten auch auf der Narval montiert worden sein.

Er zog sich über die gischtnassen Planken am Schanzkleid bis zur Querreling über den nächsten Zwölfpfündern vor. Borlase und Swift patrouillierten dort unter ihm, und er rief ihnen zu:»Ich wünsche doppelte Ladung in den Kanonen. «Er hob die Hand, um Borlases Protest abzuwehren.»Nach der ersten Breitseite haben wir dazu keine Zeit mehr. Dann steht Geschütz gegen Geschütz. «Er spürte, daß seine Lippen sich zu einem Grinsen verzogen.»Was meint ihr, Jungs? Denen wollen wir gleich richtig einheizen. «Irgendeiner rief Hurra, und er sah Blissett, dessen Korporalswinkel sich deutlich von seiner roten Uniform abhob, mit seinem Hut winken.

Im Großtopp kauerte der Marinesoldat Billyboy, überprüfte seine lange Muskete und brachte dann sein verwundetes Bein in eine andere Stellung.

Der Maat hinter ihm fragte mißmutig:»Was hältst du davon?»

Billyboy zuckte mit den Schultern.»Zwei gegen einen. Hab' schon Schlimmeres mitgemacht. Auf jeden Fall bin ich lieber hier als auf einer dieser verdammten Inseln. «Der Maat blickte am Mast empor, der unter dem Druck seiner Spieren und Stage bebte. Er dachte an den Mann, dessen Posten er übernommen hatte. Eine Kugel hatte ihn zu einer blutigen Masse zermalmt.

Bolitho sagte:»Klar zum Segelbergen, Mr. Herrick. Wir nehmen gleich die Bramsegel weg. «Er hatte das andere Schiff vor Augen, das ihnen vor dem Wind entgegenflog. Tuke mußte versuchen, sie ins Gefecht zu verwickeln, so lange der Wind so günstig für ihn stand. Die Tempest dagegen würde durch ihren schwereren Bau an Geschwindigkeit verlieren, wenn sie über Stag ging. Das war nur vorübergehend von Vorteil. An Beweglichkeit konnte sie mit dem französischen Schiff nie mithalten. Er wußte, daß Herrick das gleiche dachte. Herrick hob sein Sprachrohr:»Aufentern! Bramsegel bergen!»

Romney spähte zu den angebraßten Rahen auf. Heute war die Arbeit da oben nicht leicht. Der Wind preßte gegen die geblähten Segel, drohte, die Matrosen um ihren Halt zu bringen.

Bolitho spürte, wie sich das Deck unter seinen Füßen aufrichtete, als die Segel mühsam eingeholt und festgelascht wurden.

Er wandte sich wieder der Narval zu. Sie war jetzt schon viel näher, kaum mehr als eine Meile entfernt. Er sah eine Rauchwolke auf der Fregatte aufsteigen und zuckte unwillkürlich, als ein Geschoß über sie hinwegjaulte und auf der entgegengesetzten Seite eine Gischtfontäne aufwirbelte.»Sie müssen einen der Vierundzwanzigpfünder der Eurotas als Buggeschütz montiert haben«, sagte Keen. Niemand antwortete ihm.

Bolitho konzentrierte sich auf das andere Schiff, erwartete, daß es seinem Beispiel folgen und gleichfalls Segel kürzen würde. Auf seinen oberen Rahen war Bewegung zu erkennen, aber nicht genug, um den ungestümen Ansturm abzubremsen. Wenn Tuke einen plötzlichen Kurswechsel versuchen sollte, um der Tempest zu folgen oder sie aus einer ganz neuen Richtung anzugreifen, würde er, wie Lakey bemerkt hatte, das Schiff entmasten.

«Klar zum Wenden!«Bolitho mußte durch die hohlen Hände schreien, um das Heulen des Windes zu übertönen.»Mr. Borlase, ist die Steuerbordbatterie feuerbereit?«Er sah ihn nicken, zweifellos verwirrt durch die Tatsache, daß der Feind sich auf der entgegengesetzten Seite befand. Bolitho fügte hinzu:»Dann melden Sie mir das in Zukunft. Ich bin kein Hellseher.»

Er ging zu den Netzen zurück, rang um Luft, war wütend auf sich selbst, weil er seine Kräfte vergeudete, und auf

Borlase, weil er so schwerfällig war.

Herrick blickte über das schrägliegende Deck, die Augen sehr klar im hellen Licht.»Fertig, Sir«, meldete er. Er sah

überrascht auf, als eine Kugel zwischen Großmast und

Besan hindurchfuhr, ohne auch nur ein Fall zu streifen. Er hatte nicht einmal den Abschuß gehört.

Bolitho sah sich schnell nach dem Ruder und der Gruppe

Männer um, die dort bereitstand. Keen war bei den

Bedienungen der Achterdeckgeschütze, und die Marinesoldaten befanden sich in Stellung hinter ihm, ihre Musketen lagen schon schußbereit auf den fest zusammengerollten Hängematten.

Er wandte sich dem Vorschiff zu und sah die neuen Leute an den Brassen, ihre grimmigen Gesichter; mancher von ihnen fragte sich zweifellos, ob ihr spontaner Heroismus das Ganze wohl wert war.

Die älteren Seeleute warteten darauf, die Vorsegelschoten loszuwerfen, damit die Tempest unbehindert durch den Wind gehen konnte, und in ihrer Nähe sah er Pyper und die Bedienungen der beiden Karronaden auf ihre Chance warten, die mörderischen Ladungen in das Heck des Feindes zu feuern.»Rhe!»

Langsam und geräuschvoll begann die Tempest in den Wind zu drehen, während Wanten, Stage und Spieren unter dem Ansturm vibrierten. Er sah die Männer an den Brassen hieven, einer verlor den Halt und fiel, nur um von Schultz, dem Bootsmannsmaaten, hochgehetzt und angetrieben zu werden.

Weiter und weiter drehte sich das schwankende Panorama brechender Wellen und glasiger Tröge vor dem Klüverbaum, während jeder Fetzen Leinwand lautstark protestierte.

Und dort, wie ein bisher ungesehenes Fahrzeug, wuchs die Narval jetzt an Steuerbord empor, die Pyramide ihrer Segel leuchtend weiß in der strahlenden Sonne. Bolitho sah die Schatten auf ihrer Fock und den Vorsegeln sich vertiefen und erkannte, daß sie Kurs ändern wollte. Doch dann füllten sich die Segel wieder, als Tuke vermutlich begriff, daß es unmöglich war, dem Manöver seines Gegners zu folgen.

Bolitho ignorierte das Durcheinander an Deck, das Jaulen der Blöcke und das betäubende Knarren der Spieren, als die Rahen herumgeholt wurden, um die Tempest auf den neuen Bug zu bringen. Er beobachtete angespannt, wie das andere Schiff ihm in spitzem Winkel entgegenstrebte. Die Entfernung betrug noch gut eine Meile, dennoch sah es vom

Achterdeck so aus, als würden sich beide Bugspriets wie Stoßzähne ineinander verfangen.»Feuer frei, Mr. Borlase.»

Borlase durchschnitt mit seinem Degen die Luft. »Feuer!«Mit doppelter Ladung krachten die Steuerbordgeschütze in einer ungeheuren Breitseite, die Lafetten wurden zurückgeschleudert, und dichter Qualm drang als erstickende Wolke aus den Geschützpforten. Über dem verklingenden Widerhall der Breitseite hörte Bolitho einen gräßlichen Schrei und sah, wie in der Nähe von Borlase Blut über das Deck spritzte. Einer der Sträflinge hatte im Augenblick des Rückstoßes seinen Platz gewechselt und war von dem zurückgeschleuderten Geschütz gegen die Brust getroffen worden.

Borlase riß seinen Blick von dem Blut los, das auf seine Beine gespritzt war, und brüllte:»Auswischen! Nachladen!«Seine Stimme klang so schrill wie die einer verängstigten Frau. Angestrengt spähte er durch den wirbelnden Pulverqualm.

Bolitho sah von der französischen Fregatte Rauch aufsteigen, als sie zurückschoß. Eisen hämmerte in den unteren Rumpf, und er vernahm das Jaulen der Geschosse, die über das Deck hinwegflogen. Der plötzliche Richtungswechsel der Tempest hatte die Zielsicherheit des Gegners beeinträchtigt.

Der Qualm wurde dünner und verzog sich mit dem Wind, und Bolitho atmete tief ein, als er den Feind wieder erblickte. Seine Segel waren an vielen Stellen durchlöchert, und mindestens zwei Stückpforten blieben leer. Herrick rief anfeuernd:»Gut gemacht, Jungs!«»Ein zweites Mal werden wir den aber nicht überraschen«, konstatierte Prideaux.

Bolitho ging zum Kompaß, achtete nicht auf die vom Pulverdampf fleckigen Gesichter der Männer, die ihn beobachteten. Beim Kompaß kontrollierte er den Stand der Segel, die Position des anderen Schiffes, das vor dem Wind lief, während Matrosen auf den Rahen Segel kürzten. Er versuchte, seine Übelkeit zu unterdrücken, aber sie zehrte an ihm, zog ihn mit unerbittlicher Härte hinab.

Plötzlich war ihm alles ganz klar: Er würde sterben. Heute,

auf diesem Deck. Es war nur eine Frage der Zeit.

Er wischte sich den Schweiß aus den Augen und blickte auf den Kompaß: Südwest. Und vor dem Bug überlappten sich zwei Inseln, verschwammen im Dunst, lockten wie in einem

Traum.

«Lassen Sie um zwei Strich abfallen, Mr. Lakey. Wir folgen der Narval bei der Drehung.«»Südsüdwest liegt an, Sir!»

Wieder dröhnendes Kanonenfeuer, und die Männer duckten sich überascht, als die nächste Breitseite der Narval über das Wasser fegte. Diesmal hatte sie einen anderen Klang: Kettenkugeln, welche die Takelage der Tempest zerfetzen sollten.

Die Netze über dem Batteriedeck bogen sich durch und schnellten zurück unter dem Aufschlag von Takelageteilen, Blöcken und einem Mann, der beide Beine verloren hatte und dennoch versuchte, sich in Sicherheit zu bringen.»Feuer!»

Die Tempest bockte heftig, die Geschütze spieen ihre langen, orangegelben Zungen aus, grell und tödlich in dem erstickenden Rauch.

Die Fregatten trennte jetzt kaum eine halbe Meile, der Bugspriet der Tempest war auf gleicher Höhe mit dem Großmast der Narval. Wieder und wieder donnerten die Kanonen über das Wasser, glimmende Ladepfropfen und die Spuren des Luftdrucks auf dem Wasser kennzeichneten die Geschoßbahnen.

Fock und Großsegel der Tempest waren an mehreren Stellen durchlöchert, und über den schwitzenden Geschützbedienungen flatterte abgerissenes Tauwerk im Wind, doch nur wenige Männer konnten für Reparaturen abgestellt werden.

Ein starker Feuerschein blitzte in der Kampanje der Tempest auf, als explodiere ein Magazin tief unten im Rumpf. Bolitho glitt aus und fiel, als Planken splitterten, Geschütze umstürzten und Menschen und Gliedmaßen auf ihn geschleudert wurden. Stimmen riefen und schrieen. Als er sich mühsam wieder aufgerichtet hatte, sah er, daß das große

Rad halb zerschmettert war, der Steuermannsmaat und die Rudergasten wie blutige Fetzen darum verstreut lagen. Lakey war unverletzt geblieben, obwohl er nur wenige Zoll davon entfernt gestanden hatte. Während andere herbeieilten, um ihm zu helfen, rief er:»Der Schoner! Der Schuft hat uns einen Treffer ins Heck gesetzt. «Herrick deutete auf den Rauch, der durch das zerschlagene Skylight und den Niedergang aufstieg.»Das muß eine Doppelladung mit Schrappnell gewesen sein. «Er rannte nach achtern, als Jury, dessen Beine und Schuhe blutbespritzt waren, ausrief:»Das Ruder ist ausgefallen!«Er hatte nur zu recht. Steuerlos fiel die Tempest bereits ab und bot der anderen Fregatte das verwundbare Heck dar. Weitere Geschosse schlugen in den Rumpf, andere schleuderten Fontänen Sprühwasser hoch. Bolitho rief:»Wir brauchen ein Ersatzruder!«Er wandte sich ab, wieder von Übelkeit gepackt, als ein Geschoß durch eine Stückpforte fuhr und dem dahinterkauernden Geschützführer den Kopf abriß, während der Körper für einige grausige Sekunden aufgerichtet blieb. Herrick rief Bolitho zu:»Was sollen wir tun, Sir?«Bolitho blinzelte durch den Rauch und beobachtete, wie die Rahen der Narval herumschwangen. Sie stellte das Feuer ein, während sie scharf drehte, um die Verfolgung aufzunehmen. Er sah den Schoner auf der anderen Seite näherkommen und wieder mit seinem Beutegeschütz feuern. Das Geschoß schlug durch die Takelage und knickte die Großmarsrah wie ein Streichholz. Die große Spiere stürzte mit dem ganzen Gewicht ihres laufenden Guts und des Segels durch den Qualm aufs Batteriedeck und zerfetzte im Fallen das Marssegel zu flatternden Streifen. Die durch Trümmer festgeklemmten und eingefangenen Männer schrien vor Entsetzen, suchten nach Freunden oder bemühten sich, ihre Geschütze wieder zu klarieren und auf den Feind zu richten.

Swift, psychisch und physisch von Grauen geschüttelt, starrte Borlase an, der von der stürzenden Rah getroffen und zerschmettert worden war, obwohl sein einer Arm noch krampfhaft zuckte. Noch während Swift dagegen ankämpfte, davonzurennen und sich zu verstecken, bemerkte er etwas Helles an Backbord und schrie verzweifelt:»Der Schoner! Achtung!«Er hob den Arm und sah verwundert, daß er zwei Finger verloren, aber nichts davon gespürt hatte.»Feuer!«Eine regellose, schlecht gezielte Breitseite schoß aus der Tempest, wo nur weniger als die Hälfte der Zwölfpfünder noch feuerbereit war.

Der Vormast des Schoners schwankte mit schlagenden Segeln, glitt in den Rauch hinab, riß das Schiff herum und machte es hilflos.

Bolitho sah das und vieles andere, obwohl Gesichter und Ereignisse in seinem Kopf irgendwie durcheinanderflossen. Der Schoner war außer Gefecht. Wenn er nicht eingegriffen hätte, wäre es möglich gewesen, Bord an Bord zu kämpfen. Aber jetzt… Er starrte auf das Chaos, die kämpfenden Gestalten, die verzweifelt versuchten, das Deck von Trümmern zu klarieren. Überall lagen Tote und Sterbende, und am Vormast rann Blut herunter, von der zerfetzten Leiche eines Matrosen, die sich hoch oben verfangen hatte und im Wind schwankte.

«Hat keinen Zweck, Sir. «Lakeys hageres Gesicht schwamm in sein Blickfeld.»Wir schaffen es nie, das Ruder zu reparieren, ehe der Schuft uns einholt. «Bolitho sah Herrick an.»Wissen Sie noch, was Sie immer von diesem Schiff gesagt haben?«Er zog seinen Degen und schlang sich die Halteschleife ums Handgelenk.»Aye. «Fasziniert und entsetzt sah Herrick ihn an.»Daß sie stark genug ist, den schwersten Beschuß auszuhalten. Sie hat noch keinen Tropfen Wasser genommen, trotz…«Er duckte sich, als wieder Geschosse durch die Netze fuhren. Bolitho nickte zähneknirschend. Der Anblick der Männer in seiner Nähe, von Midshipman Fitzmaurice, der auf der Seite lag und mit aufgerissenen Augen auf das Blut starrte, das aus ihm sickerte und sich um ihn auf den Planken ausbreitete, hatte ihn zu einer Entscheidung gebracht.»Befehlen Sie den Leuten, nachzuladen und abzuwarten. «Er schüttelte Herrick am Arm.»Das ist unsere einzige Chance. Die Narval kann sich hinter uns legen und uns in Stücke schießen. Ohne Ruder kann ich nichts dagegen tun.

Bewaffnen Sie die Leute. Machen Sie sich fertig!«Herrick starrte ihn an, sah die Qual und die fiebrige Wildheit in seinen Augen. Aber er konnte ihn nicht zurückhalten. Er wandte sich an Allday.»Bleiben Sie bei ihm. «Dann schien Stille das treibende Schiff zu umfangen, dessen zerfetzte Segel wirkungslos schlugen, nachdem das erbarmungslose Bombardement von achtern aufgehört hatte. An seiner Stelle wehte vom Feind Gebrüll herüber, das nach und nach die Schmerzensschreie der Verwundeten und Sterbenden übertönte, bis es zu einem lauten und wilden Triumphgeheul anschwoll.

Ohne sich ihrer eigenen Stärke oder Zahl bewußt zu werden, kauerte oder lag die Besatzung der Tempest unter den Trümmern oder verbarg sich neben den Geschützen, die vom Feuern noch heiß waren. Jetzt kam es auf Piken und Entermesser, Äxte und Belegnägel an. Die Männer, vom Kanonendonner betäubt, fast von Sinnen durch das Grauen ringsum, starrten auf die wuchtigen Bohlen nieder, die sie beschützt hatten, und warteten darauf, daß der Alptraum ein Ende nehme.

Noch hämmerten vereinzelt Musketen, und Bolitho konnte Billyboy laut fluchen hören, der wieder und wieder auf den Feind schoß. An seiner Stimme erkannte er, daß der Marinesoldat schwer verwundet war, vielleicht im Sterben lag und dennoch weiterschoß.

Langsam, dann mit erschreckender Plötzlichkeit, wuchsen Segel und Rahen der Narval an Steuerbord empor. Bolitho stand an der Reling, den Degen vom Handgelenk baumelnd. Der Schrecken war noch nicht zu Ende. Er sah, wie sich der Klüverbaum des anderen Schiffs hoch über ihre Netze schob, über die Trümmer der Rah und die Leichenhaufen. Am Bugspriet baumelte, den Bewegungen des Schiffes folgend, als lebe er noch, der abgetrennte Kopf von de Barras.

Bolitho spürte, wie neue Energie ihn durchlief. Er schrie gellend:»Feuer frei!»

Wie Ratten aus ihren Löchern hetzten seine rauchgeschwärzten Matrosen aus ihren Verstecken, und in der von Einschlägen zernarbten Bordwand der Tempest feuerte jedes Geschütz, das noch ein Ziel finden konnte, mit ohrenbetäubendem Crescendo. Der Lärm wurde noch gesteigert durch die doppelten Ladungen und die Nähe der beiden Schiffe.

Das Deck unter seinen Füßen bäumte sich auf, als der Klüverbaum der Narval die Wanten des Vormasts durchstieß. Der knirschende Zusammenprall beider Rümpfe wurde übertönt vom schrecklichen Schreien jener, die von der mörderischen Breitseite getroffen worden waren.»Enterkommando vorwärts!»

Brüllend und jubelnd wie Wahnsinnige, hackten sich die Reste seiner Besatzung den Weg auf das andere Schiff hinüber frei. Manche fielen, noch ehe sie einen Halt gefunden hatten, andere klammerten sich fest und wurden zwischen den beiden Schiffsrümpfen zermalmt. Bolitho fand sich auf der Gangway der Narval wieder, während auf allen Seiten Stahl klirrte. Er glitt auf einer frischen Blutlache aus und wußte, daß nur Allday ihn davor bewahrt hatte, über Bord zu stürzen.

Marinesoldaten rannten an ihm vorbei, geführt von Prideaux.

Sergeant Quare schwenkte seine Muskete.»Auf sie, Leute!«Dann traf ihn eine Kartätschenladung voll in Brust und Leib und zerfetzte ihn.

Blissett sah die Seesoldaten zögern. Wie versteinert starrten sie auf Quares Leiche. Er brüllte:»Vorwärts!«Wahnsinn, Begeisterung und Trauer um Quare erfüllten ihn für eine kurze Sekunde, dann war er mitten unter den Verteidigern der Back, sein Bajonett stieß zu, und seine Kameraden schlossen sich um ihn zu einem festen, unerbittlichen Stoßkeil zusammen.

Bolitho erreichte das Achterdeck der Fregatte. Sein Kopf war wieder klar, als er sein eigenes Schiff durch den treibenden Qualm erblickte.

Rings um ihn schwankten und taumelten Männer, fochten mit Entermessern oder Fäusten oder mit was sonst sie fanden. Er sah Miller sich mit dem Beil einen Weg nach achtern bahnen, sah ihn plötzlich fallen, von einer Pike durchbohrt, und seinen Mörder gleich darauf über ihn stürzen, als ein britischer Matrose ihn niedermachte. Und dann sah er Mathias Tuke. Mit gespreizten Beinen stand er über zwei sterbenden Seeleuten, neben dem verlassenen Steuerrad. Es verwirrte Bolitho, daß er keine Überraschung empfand. Tuke war genauso, wie er ihn sich vorgestellt, wie Viola ihn geschildert hatte. Jetzt starrte Tuke ihm schweratmend entgegen, die rechte Faust hellrot von Blut, das von seinem Degen rann, die Augen flammend vor Haß.

Rauh stieß er hervor:»Sieh da, Captain, endlich begegnen wir uns. Hat sie Ihnen erzählt, wie ich ihre weiche Haut gebrandmarkt habe?«In dem dichten Bart öffnete sich sein Mund zu einem obszönen Loch, und er lachte mit zurückgeworfenem Kopf, hielt den Blick aber scharf auf Bolitho gerichtet.

Von der anderen Seite des Decks beobachtete Herrick alles, selbst als er einen schreienden Piraten niederschlug und auf seine Gruppe wartete, die ihre Stellung über dem Batteriedeck sichern sollte.

Die beiden gegnerischen Mannschaften hatten sich in zwei Gruppen gespalten, dann in kleine Trupps, und jetzt in Einzelkämpfer, die sich noch verteidigten oder angriffen. Herrick sah, wie Bolitho auf Tuke losging, wie die beiden einander mit erhobenen Klingen vorsichtig umkreisten, konnte ihre Spannung fühlen.

Er rief laut:»Holt die Flagge nieder! Mir nach!«Degenschwingend griff Herrick an.

Bolitho bemerkte nichts von alledem, er sah nur Tuke. Und dieser schien zu wachsen, größer und gewaltiger zu werden, sich immer mehr in schwarzen Nebel zu hüllen. Tuke holte tief Luft, offenbar überrascht von Bolithos mangelnder Reaktion. Dann brüllte er auf:»Da!«Und stieß mit wildem Schrei zu.

Bolitho sah die Klinge auf sich zukommen und wußte, daß er sie nicht abwehren konnte. Die Kraft hatte seinen Arm verlassen, das Deck schwankte unter ihm, er taumelte und brach in die Knie. Weiter vorn hörte er Männer jubeln und wußte, daß die Flagge, die dort geschwenkt und dann über Bord geworfen wurde, die des Feindes war. Aber er konnte nichts spüren oder tun.

In seinem Blickfeld erschien ein weißgekleidetes Bein, und er hörte Allday erstickt keuchen:»Weg von ihm!«Dann klirrte Stahl.»Weg, sag' ich!«Weiteres Klirren, und Bolitho begriff, daß Allday Tuke zurücktrieb. Allday führte sein Entermesser wie einen Beidhänder, etwas, das Bolitho nie zuvor gesehen hatte. Er wollte ihn zurückrufen, seinen wütenden Angriff aufhalten, ehe er niedergestochen wurde. Allday war fast von Sinnen vor Wut und Gram, blind und taub gegenüber einer Schulterverletzung und allem anderen außer dem Hünen, den er vor sich hatte. Zwischen den Schlägen keuchte er:»Du verfluchter, räudiger, feiger Schuft!«Er sah, daß Tuke zum erstenmal Furcht verriet, und schmetterte das schwere Entermesser mit aller Kraft gegen Tukes Degen, worauf dieser die Balance verlor und stürzte. Alldays Schatten fiel über Tukes Kopf und Hals, während er aufschluchzte:»Ich wünschte bei Gott, es ginge bei dir nicht so schnell!«Das Entermesser hieb einmal, dann ein zweites Mal zu.

Als Herrick und andere hinzustürzten, um ihn zurückzureißen, schleuderte Allday sein Entermesser über die Netze und eilte zu Bolitho.

Bolitho packte seinen Arm, wollte ihn vor allem beruhigen. Aber er zitterte heftig und konnte kaum flüstern. Allday sagte eindringlich:»Sie werden wieder gesund, Captain. «Trostsuchend sah er zu Herrick auf.»Nicht wahr,

Sir?»

Herrick erwiderte:»Helfen Sie ihm auf. Wir müssen ihn auf die Tempest bringen. «Er sah Keen auf sich zukommen.»Übernehmen Sie hier das Kommando. «Von Herrick und Allday halb getragen, kehrte Bolitho auf sein Schiff zurück.

Der Jubel war verstummt, und während seine Leute auseinandertraten, um Bolitho durchzulassen, sahen sie ihn aus erschöpften Augen fragend an.

Bolitho erkannte den zerschlagenen Niedergang und wußte, daß er die Tempest irgendwie erreicht hatte. Aber die Kajüte, wo er seine letzte große Schwäche vor den Leuten verbergen konnte, schien noch meilenweit entfernt.

Er hörte sich murmeln:»Kümmern Sie sich um die Leute,

Thomas. Anschließend werden wir…»

Herrick sah ihn verzweifelt an, während der Schiffsarzt, die große Schürze blutgetränkt, auf sie zugeeilt kam.

«Anschließend, Sir, fahren wir nach Hause.»

Gwyther sah zu, wie Allday den Kapitän auf seine Koje sinken ließ.»Er hört Sie nicht, Mr. Herrick. «Er kniete nieder und löste Bolithos Halsbinde.

Allday sah Herrick an.»Gehen Sie, Sir. Das ist auch in seinem Sinne. Sie haben jetzt die Verantwortung. Ich sage

Ihnen Bescheid, wenn es dem Captain besser geht.»

Das sagte er so eindringlich, daß Herrick nur entgegnen konnte:»Darauf verlasse ich mich.»

Oben setzte schließlich doch der Jubel ein, als die beiden treibenden Schiffe unter Kontrolle gebracht worden waren und Männer, die schon mit dem Tod gerechnet hatten, sich darüber klar wurden, daß sie einen Sieg errungen hatten.

Doch Herrick, der in dem Rechteck von Sonnenlicht unter dem Niedergang stehenblieb, konnte diesen Jubel nicht teilen und empfand nur Trauer und Fassungslosigkeit.

Gwyther sagte:»Da kann ich wenig tun.»

Er wurde gleichzeitig an einem Dutzend anderer Orte benötigt und hatte bereits mehr Männer operiert, als er in so kurzer Zeit für möglich gehalten hätte. Dennoch konnte er sich nicht von der Stelle rühren, sondern wurde durch

Alldays schlichten Glauben festgehalten.

Leise fügte er hinzu:»Wir können nur warten und hoffen.

Kein anderer Mann in seinem Zustand hätte das tun sollen,

was er heute getan hat.»

Allday sah ihn an und erwiderte fest:»Er ist eben kein Mann wie andere. «Er nickte.»Ich bleibe bei ihm. «Schweigend drehte Gwyther sich um und ging wieder ins Orlopdeck hinunter. Der Schiffsarzt hatte unter Bolitho einige Jahre gedient, ihn aber nie richtig kennengelernt. Doch jetzt wußte er, daß er ihn zeit seines Lebens nicht vergessen würde.

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