XVII Ein eigensinniger Mann

Herrick zögerte unter der Tür und beobachtete Bolitho ein paar Sekunden lang. Er mußte an seinem Schreibtisch eingeschlafen sein. Er hatte das Gesicht auf die Arme gelegt, und sein Schatten schwankte hin und her, als ob er und nicht das Schiff sich bewege.»Es ist Zeit, Sir.»

Herrick legte die Hand auf Bolithos Schulter. Durch das Hemd fühlte sich die Haut heiß an. Brennend. Es widerstrebte ihm, Bolitho zu stören, aber an diesem Morgen konnte es nicht einmal Herrick wagen, sein Mißfallen herauszufordern.

Bolitho blickte langsam auf und rieb sich die Augen.

«Danke. «Er sah sich in der Kajüte um und wandte sich dann den Fenstern zu. Auch sie waren schwarz und zeigten nur das Spiegelbild der Kajüte.

«In einer halben Stunde beginnt die Dämmerung, Sir. Ich habe die Besatzung frühstücken geschickt, wie Sie befahlen. Eine warme Mahlzeit und einen guten Schluck, um sie hinunterzuspülen. Der Koch wird das Feuer in der Kombüse löschen, sobald ich den Befehl gebe. «Er unterbrach sich, ungehalten über die Störung, als Allday mit einem Topf dampfendem Kaffee in die Kajüte kam. Bolitho reckte sich und wartete, bis der Kaffee ihm den Magen wärmte. Stark und bitter. Er stellte sich seine Leute vor, die ihre Sonderration an gepökeltem Schweine- oder Rindfleisch aßen und über den unerwartet ausgegebenen Rum ihre Scherze machten. Und er hatte wie ein Toter geschlafen und nichts davon gehört, als das Schiff zu einem neuen Tag erwachte. Für manche, wenn nicht für alle, konnte es gut ihr letzter sein.»Soll ich Hugoe holen, Captain?»

Allday schenkte Kaffee nach. Er war schon lange aus seiner Hängematte heraus und nach unten zur Kombüse gegangen, um heißes Rasierwasser für Bolitho zu holen, zeigte aber kaum Anzeichen von Müdigkeit.

«Nein. «Bolitho rieb sich kräftig die Arme. Ihm war kalt, aber sein Verstand war so kristallklar, als ob er die ganze Nacht über in seinem Bett in Falmouth geschlafen hätte.»Er wird sicher dringend in der Offiziersmesse gebraucht. «Allday zeigte die Zähne. Er wußte, daß das keineswegs der Grund war.»Gut, gut. Ich hole also Frühstück für Sie. «Bolitho stand auf und ging zu den Fenstern.»Ich könnte nichts essen. Heute nicht.»

«Sie müssen, Sir. «Herrick winkte Allday, der die Kajüte verließ.»Es kann eine Weile dauern, bis Sie wieder die Möglichkeit dazu bekommen.«»Das ist wahr.»

Bolitho sah zum Wasser hinunter. Doch da war nur ein ganz schwacher Schimmer, der die Richtung der Strömung anzeigte. Und wieder überraschte ihn, mit welcher Schnelligkeit die Dämmerung heraufzog. Viele im Schiff mochten wünschen, daß sie nie käme. Er begann ruhig:»Wenn wir heute versagen, Thomas…«Er brach ab, unsicher, wie er fortfahren sollte. Er wollte nicht, daß Herrick sich mit der Möglichkeit einer Niederlage abfand, aber er mußte ihn wissen lassen, wieviel seine Freundschaft ihm bedeutete, wie sehr sie ihn stützte. Herrick protestierte:»Lieber Himmel, Sir, so sollten Sie nicht reden.»

Bolitho wandte sich ihm zu.»In der Kassette befindet sich ein Brief für Sie. «Er hob die Hand.»Wenn ich falle, sollen Sie wissen, daß ich einige Vorsorge für Sie getroffen habe. «Herrick trat auf ihn zu und rief aus:»Ich will nichts davon hören, Sir! Ich — ich will nichts haben!«Bolitho lächelte.»Sei's drum. «Er ging in der Kajüte auf und ab.»Ich wollte, es wäre den ganzen Tag über so kalt wie jetzt. Eine Seeschlacht ist auch ohne die sengende Sonne heiß genug.»

Herrick senkte den Blick. Bolitho zitterte stark. Mangel an Schlaf, völlige Erschöpfung nach der Fahrt im offenen Boot, das alles fing an, sich zu zeigen. Er sagte:»Ich gehe jetzt,

Sir.»

«Ja. Wir gehen auf Gefechtsstation, sobald die Leute gegessen haben.»

Herrick schien zufrieden zu sein, und Bolitho wartete, bis er gegangen war. Dann setzte er sich und ging noch einmal seine Pläne durch, suchte nach Mängeln oder Möglichkeiten zur Verbesserung.

Er schenkte sich noch einen Becher Kaffee ein, hielt sich sein Schiff vor Augen, das noch im Dunkeln lag. Zwei Wachboote umkreisten es ständig, und an Land hatte Prideaux Streifen eingesetzt, die am Strand entlang und auf der Halbinsel patrouillierten. Sie mußten zurückgezogen werden, sobald es hell war. Die Tempest war so schwach bemannt, während der Feind… Ihn schauderte, und er trank den Rest seines Kaffees. Feind… Wie leicht kam dieses Wort. Er erinnerte sich der französischen Matrosen, die er bei seinem Besuch auf der Narval gesehen hatte. Bei dieser grausamen Behandlung hätten sie vermutlich ohnehin gemeutert, sich gegen de Barras und seinen Sadismus erhoben. Der Aufstand in Frankreich bot ihnen für ihre Rache einen noch weiteren Spielraum. Eine Schlacht mußte ihnen als ein kleiner Preis für ihre Erlösung erscheinen. Bolitho versuchte, sich ein Bild von Tuke zu machen, aber die Erinnerung an das Brandmal auf Violas Schulter zwang ihn, Tuke aus seinen Gedanken zu verdrängen. Statt dessen dachte er an Viola, klammerte sich an jedes Detail, fürchtete, etwas könne in seiner Erinnerung verlorengehen. Allday brachte ihm sein Frühstück, sagte aber nichts, als Bolitho es achtlos beiseite schob. Schweigend rasierte er ihn und holte ein frisches Hemd aus der Truhe, wie er es so oft von Noddall gesehen hatte.

Auf dem Schiff war es sehr ruhig, nur ein träges Schwanken und das Knarren von Holz durchbrach die Stille. Licht fiel durch die Fensterscheiben auf die karierte Leinwand auf dem Kajütboden.

Bolitho streifte seinen Uniformrock über und schnitt im Spiegel eine Grimasse. Im schwachen Licht sah er blaß aus, so daß sich Rock und Breeches und Goldstickerei scharf abhoben.

Allday sagte ruhig:»So haben wir schon einige Male nebeneinander gestanden, Captain. «Er hob den Blick zum

Skylight, als oben rastlose Schritte zu hören waren.»Ich werde mich nie daran gewöhnen können.»

Bolitho betastete seinen Rock, diesmal froh über ihn, weil er die Kälte abhielt, bis die Sonne über den Inseln aufgegangen war.

«Ich auch nicht.»

Die Tür öffnete sich etwas, und Midshipman Fitzmaurice schob sein Mopsgesicht in die Kajüte.»Eine Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und er wünscht Gefechtsbereitschaft zu befehlen, wenn es Ihnen recht ist. «Bolitho nickte. Die Förmlichkeit des jungen Mannes war ihm bewußt.»Mein Kompliment an Mr. Herrick. Sagen Sie ihm, ich sei bereit.»

Augenblicke später wurde die Stille durch das Schrillen der Pfeifen, das Stampfen laufender Füße und die Vorbereitungen für eine Schlacht gebrochen, die eine Landratte nur für ein sinnloses Chaos halten konnte.

Das Stakkato der beiden Trommeln auf dem Achterdeck hallte über die Bucht, erreichte die Siedlung und noch weiter entfernt das Dorf, die müden Wachtposten auf der Halbinsel und den verwundeten Marinesoldaten Billyboy, dem eine besondere Aufgabe an Land übertragen worden war. Aber auch ein Mädchen mit irren Augen, das allein in einer Hütte lag, dessen Geist gestört war, das sich in seinen Erinnerungen aber an die eine Person klammerte, die ihr geholfen und sie beschützt hatte.

Als die Sonne den Großtopp der Tempest fand und die Farbe des flatternden Wimpels von Weiß in Kupfer verwandelte, griff Herrick an seinen Hut und meldete:»Gefechtsbereit, Sir. «Er sagte es stolz, denn trotz der bestehenden Mängel war das Manöver in weniger als fünfzehn Minuten erfolgt. Bolitho ging zur Achterdecksreling und sah auf die stummen Gestalten hinunter. Er erinnerte sich an Alldays Bemerkung: So haben wir schon einige Male nebeneinander gestanden. Und an seine eigene Erwiderung.

Würden die schattenhaften Gestalten und jene, die um das Achterdeck kauerten, es verstehen, wenn der Ruf kam? Er fragte sich, ob de Barras noch am Leben war, wie es für ihn gewesen sein mußte, als der aufgestaute Haß in einer Meuterei explodierte.»An Deck! Schiff im Osten vor Anker, Sir. «Bolitho ging zu den Finknetzen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Immer noch nur das eine. Ein Köder vielleicht, um ihn wieder in eine Falle zu locken. Ein Wachhund, während andere sich vielleicht auf eine andere Form des Angriffs vorbereiteten. Es war zu früh, um es zu erraten. Er sah Fitzmaurice mit seinen Signalgasten sprechen und dachte über die Veränderungen nach, die sich bei allen zeigten. Swift befand sich jetzt mit Borlase auf dem Batteriedeck, und Keen wachte über die Sechspfünder auf dem Achterdeck. Er sah auch Pyper, schmerzgequält von seinem Sonnenbrand und den Salzverätzungen, bei den Karronaden auf der Back stehen.

Er hörte den Amerikaner Jenner, der etwas zu einem anderen Matrosen sagte, und erwartete halb, Orlando neben ihm zu sehen. Ihn schauderte. Aus Jungen wurden Männer, und Männer fielen der Vergessenheit anheim. Wieder der Ausguck im Mast:»Ein Schoner, Sir!«Er mußte oben klare Sicht haben. Die Helligkeit hinter dem anderen Schiff nahm zu, während die Tempest noch in tiefem Schatten lag.

Bolitho sagte:»Bald werden wir wissen, was wir zu erwarten haben.»

«Aye, Sir. «Herrick stand auf der anderen Seite des Achterdecks und hob seine Stimme, um besser verstanden zu werden.»Lohnt sich für uns kaum. Was meinen Sie,

Sir?»

Das löste ein paar Lacher aus, wie sie beide im voraus gewußt hatten.

Bolitho drehte sich um und bemerkte Ross, der ihn scharf beobachtete.»Entern Sie mit einem Glas auf, Mr. Ross. Lassen Sie sich ruhig Zeit. Nehmen Sie den Schoner unter die Lupe, wie Sie es noch nie getan haben. «Er sah Ross nach, als er sich durch das Schutznetz zwängte und gewandt in den Großmast aufenterte. Das Teleskop baumelte von seiner Schulter wie der Stutzen eines Wilddiebs'.

Dann sah er zum Wimpel an der Mastspitze auf. Der Wind hatte während der Nacht gedreht und wehte jetzt gleichmäßig aus Nordwest. In der Bucht waren sie gut geschützt, der Schoner würde sich aber nicht zwischen die Riffe wagen und riskieren, aufzulaufen, denn er mußte vor dem Wind ankern.

Alles mußte hier geschehen. Hardacre hatte seine Kenntnisse mit Lakey geteilt, und es war völlig unmöglich, von der anderen Seite der Insel her einen Angriff über Land zu führen. Es gab keinen sicheren Platz, um an Land zu gehen, und die Bedrohung durch feindselige Eingeborene, gleichgültig, was Tinah versprochen hatte, verlangte eine dreimal so große Kampfkraft wie die, über die Tuke und seine Leute verfügten.

Sonnenlicht strich sanft über die oberen Rahen und Segel, und die Hügel oberhalb der Siedlung hoben sich aus dem Schatten, als ob sie von allem anderen losgelöst seien. Ross, der frühere Steuermannsmaat und jetzige diensttuende

Leutnant, rief mit scharfer Stimme von seinem hohen Sitz:»Sie bringen ein Boot zu Wasser, Sir. «Mehrere Minuten schleppten sich dahin, dann:»Das Boot nimmt Richtung auf die Riffe. «Seine schottische Stimme klang empört, als er ergänzte:»Eine Parlamentärsflagge,

Sir.»

Bolitho sah Herrick an. Der erste Zug stand bevor. Das Boot setzte einen kleinen Fetzen Segel, sobald es von dem Schoner abgelegt hatte, und als es Fahrt gewann, erkannte Bolitho seine Absicht, zwischen den Riffen durchzufahren und in die Bucht einzulaufen.»Gig, Allday!«Bolitho sah Herrick an, während die Besatzung der Gig von ihren verschiedenen Gefechtsstationen zusammenströmte.»Ich will nicht, daß sie sehen, wie schwach wir besetzt sind. Signalisieren Sie dem Landkommando. Sie müssen schneller sein, als ich geplant hatte.»

Er wußte, daß Herrick protestieren wollte, aber er schob ihn beiseite und fiel beinahe in die Gig in seiner Hast, mit dem Boot wegzukommen.

«So schnell ihr könnt!«Er packte das Dollbord, als die Riemen sich ins Wasser gruben und das Boot wie einen Delphin durch die Wellen hetzten.

«Mein Gott, seht euch die an«, sagte Allday und lachte verhalten.»Sie haben gerade die Tempest gesichtet. «Das Boot hatte zweifellos sein Tempo verringert, doch nach einer kurzen Pause bewegte es sich weiter auf die schäumenden Brecher bei den Riffen zu. Als es näherkam, erkannte Bolitho, daß die Besatzung ein wild zusammengewürfelter Haufe war, meist bärtige Männer, aber alle ebenso schmutzig wie ihr Boot. Doch sie waren gut bewaffnet, und die zerfetzte weiße Flagge am Mast ließ den Gegensatz nur noch schärfer hervortreten. Bolitho befahl kurz:»Sagen Sie ihnen, sie sollen beidrehen. Sie sind nahe genug.»

Alldays Anruf und die Tatsache, daß die Mannschaft der Gig ihre Riemen ruhen ließ, verursachte, daß das Boot in dem starken Seegang heftig schlingerte und quer auf die nächste Klippe zutrieb.

Eine kraftvolle, bärtige Gestalt mit zwei gekreuzten

Pistolengurten über der Brust richtete sich auf und legte die

Hände trichterförmig um den Mund. Sein Akzent war englisch, aber es war ganz bestimmt nicht Tuke.

Bolitho wünschte, er hätte ein Teleskop mitgebracht, aber es war zweifelhaft, ob er es hätte benutzen können. Das heftige

Stampfen der Gig hätte es ebenso wie die aus seinem Magen aufsteigende Übelkeit unmöglich gemacht.

Die Stimme rief rauh:»Sie sind also hier, Cap'n.»

Beinahe dasselbe, was Raymond gesagt hatte. Bolitho hob die Hand. Seine Augen tränten im Sonnenlicht.

Der Mann fuhr fort:»Die Nachricht gilt nach wie vor.

Schaffen Sie Ihre Leute fort, und fahren Sie zur Hölle. Wir nehmen die Insel und Sie auch, wenn Sie Widerstand leisten.»

Seine Worte lösten bei der Besatzung der Gig wütendes Knurren aus.

Bolitho stand langsam auf, mit einer Hand auf Alldays Schulter gestützt.

Dann rief er:»Unter welcher Flagge? Zieht ihr euren eigenen feigen Fetzen auf, oder versteckt ihr euch hinter den französischen Farben?»

Trotz der dröhnenden Brecher hörte er das Durcheinander der Stimmen in dem anderen Boot.

Dann rief der Mann zurück:»Wir haben die Narval, und Ihre verdammte Arroganz werden Sie noch bereuen, Cap'n. «Er schüttelte die Faust, und eine andere Gestalt wurde vom Boden des Bootes hochgezerrt.

Einen Augenblick glaubte Bolitho, es sei de Barras. Doch dann erkannte er, daß es ein junger Leutnant war. Sein Gesicht war fast schwarz von Prellungen, die Arme waren ihm auf dem Rücken gefesselt.

Ein weiterer sichtbarer Beweis für ihren Sieg. Bolitho warf einen kurzen Blick auf seine Besatzung. Ihre Gesichter zeigten eine Mischung von Unglauben und Entsetzen. Bolitho schrie:»Gebt ihn frei! Er ist nicht verantwortlich, das wißt ihr genau.»

Der Mann lachte nur, der Laut kam vom Wind verzerrt herüber.»Wissen Sie nichts von der Revolution, Cap'n?«Er deutete auf die Leute in seinem Boot.»Die Jungs hier haben allen Grund, darüber froh zu sein.»

Tuke hatte also auf jedes seiner Schiffe einen Teil der Franzosen verteilt. Das war sicherer. Wenn die französischen Offiziere tot waren oder in Eisen lagen, mußte Tuke das Kommando über die Narval selbst übernommen haben. Dazu hatte es bestimmt keiner besonderen Ermunterung bedurft, und seine Erfahrungen als Kaperkapitän hatten ihn zweifellos ebensoviel gelehrt wie jeden Seeoffizier im Dienst des Königs. Allday sagte heiser:»Die bringen ihn um, Captain. «Noch während er sprach, packte einer der Männer im anderen Boot den Leutnant bei den Haaren und riß ihm den Kopf zurück, so daß das Weiße seiner Augen und sein vor Schmerz und Angst verzerrtes Gesicht sichtbar wurden. Ein Messer wurde erhoben und fuhr mit solcher Schnelligkeit durch die Kehle des Franzosen, daß er weder einen Schrei ausstoßen noch sich wehren konnte. Dann wurde die Leiche über Bord gestürzt. An der Bordwand blieb nur eine grellrote Spur zurück.

Bolitho schrie:»Eine Pistole! Das ist keine Parlamentärsflagge!»

Aber der Schuß ging weit daneben, und bis sie nachgeladen war, fuhr das Boot des Schoners schon schnell auf die Passage zwischen den Riffen zu.

Von See her ertönte plötzlich ein lauter Knall, und Sekunden später stieg zwischen den Riffen und der Halbinsel von einem schweren Geschoß eine hohe Fontäne auf, die in weitgezogenem Kreis als Sprühregen ins Wasser zurückfiel.»Zum Schiff!»

Bolitho packte das Dollbord und versuchte, seinen aufwallenden Haß zu beherrschen. Das mußte ihre Absicht gewesen sein: Ihn aus der Bucht zu locken, ehe er die genaue Stärke des Feindes kannte.

Während die Gig schnell zur Tempest zurückruderte, sah Bolitho zur Siedlung hinüber und hielt sich ihre Verteidigungsanlagen vor Augen, die ihm jetzt dürftig erschienen, wenn er daran dachte, was er gerade erlebt hatte. In der Siedlung waren Feuer angezündet worden, um den

Eindruck zu erwecken, daß sich dort sehr viel mehr Männer befanden als die schwache Streitmacht, die tatsächlich vorhanden war. Über der Palisade waren rote Waffenröcke verteilt, um aus der Ferne den Eindruck zu erwecken, daß dort aufmerksame Posten auf Wache standen. Eine Täuschung, mehr war es wirklich nicht. Er duckte sich, als ein weiteres Geschoß über sie hinwegflog und auf dem Felsbrocken unterhalb der Halbinsel einschlug. Als er das Achterdeck der Tempest erreichte, traf er Herrick mit einem Teleskop bewaffnet an, der das andere Schiff beobachtete. Es war außer Reichweite der Zwölfpfünder der Tempest, traf aber mit seinen Geschützen mühelos das Land. Wenn die Schatten endgültig vom Strand und der Siedlung gewichen waren, würde die Beschießung ernstlich beginnen. Herrick bemerkte:»Vierundzwanzigpfünder, Sir, mindestens. Die müssen sie von der Eurotas haben. «Er sah Bolitho besorgt an.»Ich war in Unruhe wegen der Teufel in diesem Boot. Sie hätten das Feuer auf Sie eröffnen können. «Wrrumm! Bolitho hörte das Geschoß durch die Bäume auf der anderen Seite der Bucht pflügen und sah aufgescheuchte Vögel wie Splitter über ihren Wipfeln aufschwirren. Herrick fuhr eindringlich fort:»Wir werden Anker lichten müssen. Wenn sie uns aufs Korn nehmen, können sie das Schiff entmasten und uns bewegungsunfähig machen. Dann sind wir nicht mehr als eine schwimmende Batterie. «Bolitho nahm den Hut ab und wischte sich über die Stirn. Das war die Absicht des Feindes. Ihn herauszulocken, die Bucht schutzlos zurückzulassen.

Der Schoner mochte nicht schnell genug sein, um der Tempest davonzusegeln, aber in dem Gewirr der Inselchen und Riffe konnte er sie mühelos abschütteln. Er blickte zum Wimpel auf. Stetig wie bisher wehte der Wind aus Nordwest. Er nahm ein Teleskop und ging zum ausgespannten Netz. In Gedanken setzte er sich mit der Gefahr auseinander, mit dem, was er von seinen Leuten verlangte.

Über die Schulter sagte er:»Benachrichtigen Sie das Land. Wenn wir Signal geben, müssen sie das Feuer in Gang bringen. «Er hörte Herrick seufzen.»Ich weiß, es war als letzter Ausweg gedacht. Wir müssen aber alles umdrehen. «Bolitho stützte sein Glas an dem Netz und richtete es auf den verankerten Schoner, rechtzeitig, um auf dessen Back eine Rauchwolke erscheinen zu sehen, als sie dort einen weiteren Schuß lösten.

Der Schoner lag auf einer Linie mit der Halbinsel. Und dem

Wind.

Er hörte ein Boot zum Ufer ablegen und dann ein heftig splitterndes Geräusch. Ein weiteres Geschoß hatte die kleine Pier getroffen und ihr äußeres Ende zu einem wirren Haufen zerschmetterter Balken und Verstrebungen zertrümmert. Das war Glück, denn kein Geschützführer konnte durch Schatten hindurchsehen. Doch es zeigte sehr deutlich, was bald geschehen würde, wenn sie nichts taten, um die Beschießung zu beenden.

Bolitho sagte:»Ein Enterkommando, Mr. Herrick, für Barkasse und Kutter. Wenn der Wind anhält, zünden wir wie geplant die Feuer an Land an. Der Qualm wird auf den Schoner zutreiben, und wenn er ihn erreicht, muß der Angriff erfolgen.»

Bolitho dachte an die weite Strecke und stellte sich den verwundeten Marinesoldaten auf dem Abhang bei den gesammelten Haufen von trockenem Gras und dürrem Unterholz vor, die mit Kokosnußschalen und Fett angereichert waren. Wenn sie Glück hatten, würden die Kanoniere des Feindes denken, einer ihrer Schüsse hätte das Feuer an Land entfacht. Wenn es fehlschlug, würden die Besatzungen beider Boote abgeschlachtet, noch ehe sie eine Hand an den Rumpf des Schoners legen konnten. Einen Augenblick später meldete Fitzmaurice:»Das Boot hat das Land erreicht, Sir.»

Bolitho nickte.»Bemannen Sie Ihre Boote, Mr. Herrick. Bleiben Sie mit ihnen auf der abgewandten Bordseite, bis das Feuer brennt.»

Er zwang sich, ein paar Schritte auf- und abzugehen. Seine Füße stiegen ohne bewußte Anstrengung über Beschläge und Poller hinweg. Es würde zehn Minuten dauern, bis die Nachricht die behelfsmäßige Signalstation erreichte. Er hörte die Männer lärmend in die Boote steigen, das

Klirren ihrer Waffen.

«Bereiten Sie das Signal vor, Mr. Fitzmaurice.»

Bolitho wischte sich über das Gesicht. Er schwitzte stark,

aber ohne daß ihm warm war.

«Das Boot hat wieder abgelegt, Sir.»

Die Nachricht war weitergegeben.

Bolitho befahl:»Hissen Sie das Signal.»

Die Flagge entfaltete sich unter der Großrah, zufällig im gleichen Augenblick, als das schwere Geschütz des

Schoners den nächsten Schuß abfeuerte.

Bolitho richtete sein Glas auf die Halbinsel und die dahinter aufragenden Hügel. Zunächst dünn begann an einer Stelle,

die noch im Schatten lag, Qualm zum Himmel aufzusteigen,

dann fing eine Rauchwolke an, vor dem Wind bergab zu rollen. Das schmutzige Gemisch aus Fett, altem Werg und

Abfällen, das sie auf das zundertrockene Gras und Reisig gehäuft hatten, drückte den entstehenden Rauch, der sich wie ein undurchdringliches, erstickendes Leichentuch ausbreitete, nach unten aufs Wasser.

Der Marinesoldat Billyboy übertraf selbst die verwegensten

Hoffnungen; eine scharfe Explosion, die vom Abhang herüberhallte, trug zu der Täuschung noch bei. Sie würde auch auf dem Schoner gehört werden, und dort mochte man glauben, es sei ein explodierendes Magazin.

Herrick fragte ruhig:»Kann ich ablegen, Sir?»

Bolitho sah auf die beiden längsseit liegenden Boote hinunter, deren Besatzungen wie Fremde zu ihm heraufspähten. Jeder einzelne war ausgesucht, und mancher zählte zu den besten Leuten der Besatzung. Wenn das

Schlimmste eintrat, wurde die Tempest so vieler guter Kräfte beraubt, daß ihr Gefechtswert halbiert war.

Er hielt Herricks Blick fest. Dieser war der Beste von allen,

dachte Bolitho. Aber er konnte keinem anderen das

Kommando über den Angriff anvertrauen. Jetzt brauchten sie jede Unze an Selbstvertrauen, jedes Körnchen an

Erfahrung, und für die Besatzung des Schiffes besaß Herrick das in hohem Maß.

Kam heute der Tag, vor dem er sich schon so lange fürchtete? Einmal mußte er kommen. Aber doch nicht hier, in diesem gottverlassenen Winkel der Welt, wo schon so viel Leid ertragen worden war.

Doch als er das dachte, wußte er auch, daß es überall eintreten konnte.

«Seien Sie vorsichtig, Thomas«, sagte er.»Halten Sie die Drehbassen schußbereit. Ziehen Sie sich zurück, wenn Sie entdeckt werden, ehe Sie entern konnten. «Herrick zog seinen Uniformrock aus, nahm seinen Hut ab und reichte beides einem Marinesoldaten. Auch in den Booten waren keine Rangabzeichen zu finden. So hatten sie es geplant.

Herrick drehte sich um, um die sich ausbreitende Rauchwolke zu beobachten. Sie hatte bereits das Riff erreicht, und die Umrisse des Schoners verschwanden plötzlich in der künstlich geschaffenen Deckung. Dieser Schutzschirm hätte erst später eingesetzt werden sollen. Falls die Narval sich die Einfahrt in die Bucht erzwang, sollte der Rauchschleier ihre Kanoniere so behindern, daß die Tempest zum Nahkampf an die französische Fregatte herankommen konnte, so lange sie sich in der Nähe der Riffe befand. Doch das war der Plan gewesen, ehe der Schoner erschien. Allerdings hätte der Wind die Richtung ändern und damit diesen Vorteil ins Gegenteil verkehren können. Herrick sagte:»Fortuna ist mit uns, Sir. «Nach einem Gruß zum Achterdeck kletterte er in die große Barkasse hinab. Die beiden Boote legten sofort ab, und der Schlag der Riemen zeigte an, daß die Zeit drängte und es ums Überleben ging.

Im Kutter kauerte Bootsmannsmaat Jack Miller an der

Pinne. In seinem Gürtel steckte ein Enterbeil.

«Gott helfe den Kerlen, die an den geraten«, sagte Allday.

Die beiden Boote würden eine halbe Stunde brauchen, um in die Nähe des Schoners zu gelangen. Bis dahin mußte der

Qualm unverändert dicht bleiben. Auch durfte die Besatzung des verankerten Schiffes nicht argwöhnen, daß irgend etwas

Unvorhergesehenes eintreten könnte.

Bolitho sagte:»Mr. Borlase, wir beginnen mit der

Steuerbordbatterie zu feuern. Lassen Sie laden und ausrennen, bitte.»

Borlase musterte ihn besorgt. An seinem Hals zuckte ein Nerv.»Auf welches Ziel, Sir?»

«Auf den Schoner. Sie sollen sehen, daß unsere Schüsse zu kurz liegen. Das wird sie in Sicherheit wiegen und überzeugen, daß wir nicht Anker lichten und den Rauch selbst ausnutzen werden.»

Minuten später krachten die Steuerbord-Zwölfpfünder einer nach dem anderen in einer rollenden Salve. Der Pulverqualm wälzte sich mit dem Wind zu dem anderen Rauch. Der Schoner war jetzt völlig dahinter verschwunden, und als Bolitho nach den beiden Booten ausschaute, entdeckte er nur noch das Kielwasser des letzten. Ihre Rümpfe waren wie die Halbinsel völlig verborgen. Er zog seine Uhr. Die Sonne stand jetzt hoch, und sie konnten sich nicht länger darauf verlassen, daß Schatten die Siedlung schützen würden. Er fragte sich flüchtig, was Raymond wohl machte. Ob er an Viola dachte?» Signal vom Ausguck auf dem Berg. «Fitzmaurice hatte sein Teleskop vor dem Auge.

Bolitho trat unter die Wanten des Besanmasts und beschattete sein Gesicht gegen den zunehmenden Sonnenglast. Der Gestank von den Feuern auf dem Abhang war hier schon schlimm; wie er in den Booten sein mochte, konnte man sich nur schwer vorstellen. Er fühlte sich übel und plötzlich schwindlig und wünschte, er hätte das von Allday angebotene Frühstück doch angenommen. Er war wütend auf sich selbst. Nun, jetzt war es zu spät. Nahe am Berggipfel sah er ein Licht aufblitzen, den von einem Spiegel zurückgeworfenen Reflex der Sonne, wie er es bei den Infanteriesoldaten in Amerika beobachtet hatte. Das Verfahren hatte seine Grenzen, war aber schnell, vorausgesetzt, daß man vorher genügend einfache Signale vereinbart hatte.

Fitzmaurice sagte in seinem hochmütigen Ton:»Segel in Nord, Sir.»

Bolitho nickte. Das war der Beginn des großen Dramas, in dem sich keiner seiner Rolle sicher war. Die Segel mußten zur Narval gehören, die aus ihrem Versteck irgendwo im

Norden herbeieilte, wahrscheinlich in der Erwartung, den Schoner allein und im Besitz der Bucht oder ihrer Zugänge zu finden.

Er versuchte sich zu erinnern, wie spät es auf seiner Uhr gewesen war. Wo mochten die beiden Boote sein? Wie lange würde es dauern, bis das andere Schiff um die Landzunge herum in Sicht kam?

Er trat an die Reling über dem Geschützdeck und sah zu,

wie die Zwölfpfünder wieder ausgerannt wurden.

Swift blickte zu ihm auf.»Noch einmal, Sir?»

Bolitho hörte Lakey sagen:»Jetzt kann ich von dem Schoner nichts mehr sehen, auch von den Riffen nicht. Mein Gott,

was für ein Qualm!»

Allday stand beim Niedergang und beobachtete die untätigen Bedienungen der Achterdeckgeschütze. Er wandte sich wieder seinem Kapitän zu und sah ihn schwanken und beinahe fallen. Alle anderen starrten in den Qualm hinaus oder beobachteten die Bedienungen der Zwölfpfünder. Mit drei Schritten war er an Bolithos Seite.»Ich bin hier, Captain. Immer mit der Ruhe. «Er sah Bolitho ins Gesicht. Es glänzte vor Schweiß, und die Augen waren halb geschlossen wie in schrecklichen Schmerzen. Bolitho keuchte:»Die Leute dürfen mich in diesem Zustand nicht sehen. «Er schluckte hart, seine Arme und Beine zitterten stark unter einem heftigen Kälteschauer. Als wäre er bei einer Kreuzfahrt im Nordatlantik an Deck. Allday murmelte verzweifelt:»Das Fieber! Es muß das Fieber sein. Ich gehe den Arzt holen. «Er bemerkte einen Matrosen, der heraufstarrte, und schnauzte:»Kümmere dich um deinen Dienst, verdammt noch mal.»

Bolitho packte Alldays Arm und richtete sich langsam auf.»Nein. Muß durchhalten. Jetzt kommt der schlimmste Teil. Das wissen Sie doch!»

«Aber, Captain!«Allday sprach eindringlich auf ihn ein.»Es wird Sie umbringen. Ich kann das nicht zulassen. «Bolitho atmete tief ein und machte sich von Allday frei. Zwischen den Zähnen sagte er betont:»Sie… tun… was… ich… sage!»

Er zwang sich, langsam zu den Netzen zu gehen, klammerte sich daran fest und versuchte, die Kontrolle über seinen bebenden Körper zu gewinnen.

«Sie sollen das Feuer fortsetzen. «Der Lärm mochte helfen, und wenn er sie nur von ihm ablenkte. Das Krachen der Breitseite donnerte über das Wasser, die Geschosse verloren sich in der Dunstwand. Er hörte sich selbst sagen:»Gott, laß Thomas Erfolg haben. Mit so wenigen Leuten können wir uns nicht bewegen. «Die Worte strömten aus ihm heraus, ohne daß er es verhindern konnte.»Nicht so sterben. «Er ließ seinen Halt an den Netzen fahren und ging mit behutsamen Schritten zum Kompaß.»Wir müssen hier liegen bleiben und kämpfen. «Eine verschwommene Gestalt hastete an ihm vorbei. Sie hielt inne und wendete sich ihm zu. Es war Jenner, der Amerikaner.

«Konnt's nicht verhindern, daß ich Sie gehört habe, Cap'n. «Vor Bolithos Augen schien er unter Wasser zu schwimmen.»Im Krieg hab' ich mal eine Geschichte gehört. Von einem englischen Kapitän, der eine so schwache Besatzung hatte, daß er mit seiner Schaluppe beinahe aufgelaufen und den Franzosen in die Hände gefallen wäre. Ich hab' auch gehört, daß Sie der Kapitän waren, Sir. «Er ignorierte Alldays drohenden Blick und fügte hinzu:»Damals haben Sie Verwundete eingesetzt, stimmt's, Sir?«Bolitho bemühte sich, ihn deutlich zu erkennen.»Ich erinnere mich. Auf der Sparrow.«Er wurde verrückt, das mußte es sein. Jetzt von der Vergangenheit zu sprechen!» Also, ich hab' nur gedacht, warum nicht diese Sträflinge holen?»

«Was?«Bolitho trat einen Schritt vor und wäre gefallen, wenn Allday nicht dagewesen wäre.»Ich dachte nur…»

Bolitho packte Alldays Handgelenk.»Holen Sie Mr. Keen.«»Hier bin ich, Sir«, sagte Keen an seiner Seite. Seine Stimme klang beunruhigt.

«Schicken Sie die restlichen Boote sofort an Land und fahren Sie mit. Sie haben in der Siedlung gearbeitet, die Leute kennen Sie besser als jeden anderen von uns. «Er beugte sich vor und fügte eindringlich hinzu:»Ich brauche mehr Leute, Val. «Er bemerkte Keens Ausdruck und erkannte, daß er unwillkürlich Violas Namen für ihn benutzt hatte.»Tun Sie, was Sie können.»

Keen entgegnete verzweifelt:»Sie sind krank, Sir. «Er blickte in Alldays grimmiges Gesicht.»Sie müssen sich angesteckt…»

«Sie vergeuden Zeit. «Er schob ihn fort.»Holen Sie die Leute. Sagen Sie ihnen, ich will versuchen, ihnen dafür eine Passage nach England zu besorgen. Aber lügen Sie sie nicht an.»

Die Geschütze donnerten wieder, ihre Lafetten wurden innenbords geschleudert und von den Taljen aufgefangen.

«Genug!«Bolitho zerrte an seinem Halstuch.»Feuer einstellen. Auswischen und neu laden.»

Er sah den Arzt, der direkt in seinem Weg stand und mit ernstem Gesicht streng sagte:»Sie gehen sofort nach unten,

Sir. Als Schiffsarzt ist es meine Aufgabe…»

«Ihre Aufgabe ist im Orlop. «Er ließ die Stimme sinken.

«Bringen Sie mir ein paar Tropfen, irgend etwas, das mir den Kopf klar hält. Nur noch ein paar Stunden.»

«Das wird Sie bestimmt umbringen. «Gwyther hob ratlos die Schultern.»Sie sind ein eigensinniger Mann.»

Ohne Hilfe ging Bolitho zur Luvs eite hinüber und starrte auf das nahegelegene Land.

«Mir ist so kalt, Allday. Ein Schluck Brandy, dann werde ich schon zu mir kommen.»

«Aye, Captain. «Allday sah ihn hilflos an.»Sofort.»

Lakey hatte mit seinem Steuermannsmaaten beim Ruder gestanden und Keens Besorgnis und das hastige Eintreffen des Schiffsarztes beobachtet. Als Allday den Niedergang hinabeilte, öffnete er den Mund, um zu fragen, was es gab.

Allday wußte immer Bescheid. Statt dessen wandte er sich ab, unfähig, seinen Augen zu trauen.

Mackay, sein Steuermannsmaat, sprach es aber laut aus:

«Mein Gott, Mr. Lakey, Allday hatte Tränen in den Augen.»

«Langsam, Mr. Herrick. Ich kann die Kerle hören. «Herrick hob den Arm, und die gedämpften Riemen tauchten zu beiden Seiten der Barkasse triefend aus dem Wasser. Er hoffte, daß Miller, der ihm dichtauf folgte, die Augen offenhielt und nicht mit ihm zusammenstieß. In einigem Abstand hörte er Stimmengemurmel und das Klirren von Metall. Er schluckte schwer und beschrieb mit seinem Degen eine kreisförmige Bewegung über seinem Kopf. Sie mußten dicht beim Schoner sein, konnten aber wegen des Rauchs nichts sehen. Vorher hatte er die beiden Masten aus dem treibenden Qualm aufragen sehen und dankbar bemerkt, daß niemand auf den Gedanken gekommen war, einen Ausguck nach oben zu schicken. Die Männer im Boot wechselten unruhig ihre Haltung und beobachteten sein Gesicht. Ihre Augen waren rotgerändert vom Rauch, und von dem fettigen Ruß waren sie verdreckt und stanken.

Herrick sah die an, die ihm am nächsten waren: Grant, ein altgedienter Geschützmaat, der aus Canterbury, nicht weit entfernt von seiner eigenen Heimat, stammte. Nielsen, der blonde Däne, der einen Riemen mit Gwynne teilte, dem jungen Rekruten, den er auf der Eurotas angeworben hatte. Er kannte sie alle, wie auch die Männer in dem anderen Boot.

Etwas Hohes und Dunkles ragte über ihnen auf, und als sie unter dem langen Klüverbaum hindurchtrieben, verfingen sie sich beinahe in der Ankertrosse des Schoners. Er durfte keine Sekunde zögern.»Festmachen!«befahl Herrick scharf.»Aufentern!»

Dann kämpfte er sich, von seinen Leuten geschoben und gestoßen, nach oben und über das Schanzkleid, sah Gesichter über sich und hörte, wie plötzlich aus den gedämpften Stimmen laute Schreie und Flüche wurden. Pistolen knallten, und ein Matrose fiel in das Boot zurück und riß einen anderen mit.

Herrick saß rittlings auf dem Schanzkleid und sah alles durch den treibenden Rauch: das schwere Geschütz, die zusätzlichen Taljen, die gebraucht wurden, um es auf dem schmalen Deck festzuhalten. Ein Mann stürzte sich mit einem Entermesser auf ihn, aber Herrick parierte mit seinem Degen und schleuderte es scheppernd ins Speigatt. Jetzt war er mit beiden Beinen an Bord und schlug dem Mann quer über Gesicht und Hals, ehe er seinem Angriff ausweichen konnte.

Sie waren in der Minderzahl. Aber mit unerbittlicher Entschlossenheit bildeten die Männer der Tempest einen Keil, das Schanzkleid im Rücken. Ihre Füße glitten bereits auf Blut aus, als sie mit dem Feind zusammenstießen. Das Klirren von Stahl auf Stahl, die wilden Kampfschreie der Männer wurden vom Stöhnen der Verletzten und Sterbenden begleitet.

Von hinten war jetzt das dumpfe Aufschlagen eines zweiten Wurfankers zu hören, und Millers Leute schwärmten brüllend und fluchend über die Heckreling. Stahl gegen Stahl, aufgestaute Angst und Haß brachen in einer Woge ungehemmter Mordlust aus. Männer wälzten sich übereinander, kämpften mit Dolchen, Entermessern, Äxten und allem anderen, womit man einen Gegner niedermachen konnte.

Herrick parierte einen Degenhieb und erkannte, daß er dem bärtigen Mann gegenüberstand, dem Bolitho unter der

Parlamentärsflagge begegnet war. In der Nähe erschien er noch größer, aber Herrick hatte genug hingenommen.

Er hatte niemals Zeit gehabt für die eleganten Fechtkünste von Leuten wie Prideaux oder, wie er gehört hatte, Bolithos

Bruder Hugh. Er war ein Kämpfer und verließ sich darauf,

sich durch Kraft und Ausdauer durchzusetzen.

Er fing den schweren Degen seines Gegners sechs Zoll über dem Griff auf und zwang ihn herum, beide Klingen noch gekreuzt.

Der bärtige Riese schrie:»Verdammter Bastard, diesmal stirbst du!»

Herrick nahm flüchtig eine Blutlache an Deck wahr und stieß sich mit seinem Degengriff mit aller Kraft ab. Er sah das grausame Triumphlächeln seines Gegners, der einen Schritt zurückmachen konnte, um die volle Länge seiner Waffe einzusetzen. Doch das Lächeln verschwand plötzlich, als er mit dem Absatz in dem frischen Blut ausrutschte und eine einzige Sekunde das Gleichgewicht verlor. Herrick dachte unwillkürlich an die kleine Szene, die er durch das Teleskop beobachtet hatte. Der von Entsetzen gepackte französische Offizier, dem blitzschnell die Kehle durchschnitten worden war. Geschlachtet wie ein Schwein.»Nein! Du stirbst!»

Sein kurzer Kampfdegen fuhr quer über den Leib seines Gegners, dicht über dem Gürtel, und als dieser seine Waffe fallen ließ und beide Hände auf die klaffende Wunde preßte, versetzte Herrick ihm einen kurzen, hackenden Schlag in den Hals.

Wilder Jubel brandete auf, und Miller, das Beil rot in seiner schmutzigen Faust, rief gellend:»Sie gehört uns, Jungs!«Es war geschafft.

Aus dem Jubel wurden Alarmrufe, als das Deck unter ihnen plötzlich heftig bebte und mehrere Leute wild um sich schlagend zwischen die Toten und Verwundeten stürzten. Herrick rief:»Das Riff! Sie haben die Trosse gekappt. «Wieder gab es einen schweren Stoß, und ein Teil des Großmastes stürzte krachend an Deck und erschlug Gwynne, dessen Mund vom Jubeln noch offen stand. Herrick winkte mit dem Degen.»Zurück! In die Boote. «Er hörte Wasser in die Luken gurgeln und das Krachen von losen Frachtstücken und Vorräten, die gegen die Schotten schlugen. Das Riff würde mit dem Schoner kurzen Prozeß machen, und mit jedem, der dumm genug war, an Bord zu bleiben.

Die Matrosen halfen ihren Verwundeten, warfen die Waffen der Piraten über Bord und stiegen wieder in ihre Boote. Halb wahnsinnig über ihre unerwartete Niederlage, fielen einige der übriggebliebenen Piraten über andere her, die Herrick für Franzosen von der Narval hielt, während der Schoner mit jedem heftigen Überholen noch höher auf das Riff geworfen wurde.

Um das Maß voll zu machen, feuerte Millers Kutter die

Drehbasse auf das Wrack ab.

Herrick schrie ihm zu:»Zum Schiff! Rudert an!»

Ihm stockte der Atem, als sich fast unter dem Bug der

Barkasse eine breite, von Muscheln dicht bewachsene

Schulter des Riffs aus dem Wasser hob. Er wartete auf den Zusammenprall, das einströmende Wasser, doch als das Boot dann klarkam, wandte er sich seinen Leuten zu. Der arme Gwynne. Ein Freiwilliger, aber nur für so kurze Zeit. Er sah zu Nielsen, dem jungen Dänen, hinüber, der hin und her schwankte, das Gesicht aschfarben vor quälenden Schmerzen. Er hatte sein Entermesser fallenlassen, und einer der Piraten hatte ihn mit dem Degen bedroht. Nielsen hatte die Klinge mit beiden Händen gepackt und auch noch dann festgehalten, als der Angreifer die rasiermesserscharfe Waffe durch seine Handflächen und Finger zurückriß. Grant, der alte Geschützmaat, zeigte in einem müden Grinsen seine tabakfleckigen Zähne.»Wir haben es geschafft, Sir. Einer weniger. «Er drehte sich zu dem Schoner um, der in einem Schauer Sprühwasser kenterte.»Jetzt kommt der nächste.»

«Aye. «Herrick blickte über das Boot hinweg, teilte den Schmerz und den Stolz seiner Leute.»Gut gemacht. «Er dachte an Bolitho und das, was er sagen würde. Es war erst der Anfang, aber sie hatten gezeigt, was sie leisten konnten.

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