Am Morgen des ersten vollen Tages auf See sprang der Wind stark um, und mit diesem plötzlichen Wechsel kam ein kräftiger Regenguß.
Bolitho beugte sich über die Heckbank, starrte mit leerem Blick durch die dicken Scheiben. Der Regen tanzte wirbelnd über die Wellen und schlug laut klatschend auf Deck auf. Von den verschiedensten Teilen des Schiffes her hörte er eilende Füße, Männer, die das von der Sonne ausgedörrte Tauwerk überprüften, um sicherzustellen, daß kein aufquellendes laufendes Gut in den Blöcken klemmte. Andere fingen das Regenwasser ein, um die Bestände zu ergänzen.
Erschöpft lehnte er sich zurück, ließ seinen Körper widerstandslos den Bewegungen des Schiffes folgen. In dem abgeschirmten Schlafabteil konnte er Hugoe, den Kajütensteward hören, der dort aufräumte, Kleidungsstücke zum Waschen heraussuchte.
Herrick hatte verschiedene Leute vorgeschlagen, die bereit und geeignet waren, Orlando zu ersetzen. Aber Bolitho mochte sich mit dem Gedanken an einen neuen Anfang nicht abfinden. Noch nicht. Hugoe wurde hauptsächlich in der Offiziersmesse gebraucht und war dankbar, wenn er von der Kajüte und ihrem finster brütenden Kapitän, der ihm unheimlich war, befreit wurde.
Der Regen floß gurgelnd durch die Speigatten oder plätscherte vergnügt auf dem dichtgemachten Skylight. Wasser. Ohne Wasser war man weniger als nichts. Er dachte an die vor Durst Wahnsinnigen, die über Bord sprangen, um sich den Magen aus dem Meer zu füllen. An Orlandos schrecklichen Tod, als der Hai ihn zu einer blutigen Masse zermalmt hatte.
Er zwang sich, seine Uhr aus der Tasche zu ziehen, zögerte aber, ehe er den Deckel aufspringen ließ. Sogar die
Gravierung schien sich jetzt schärfer abzuheben.
Hugoe stand unter der Tür zur Schlafkammer.»Ich bin fertig, Sir. Falls nicht hier noch etwas zu tun ist.»
«Nein. Sie können gehen. «Er bemerkte die Neugier in den
Augen des Stewards.»Danke.»
Der Marinesoldat vor der äußeren Tür rief:»Midshipman der Wache, Sir.»
«Herein.»
Es war der junge Romney, der ihm sehr nervös eine Liste mit den Tagesarbeiten von seinem Ersten Leutnant vorlegte. Bald würden die Besucher kommen mit Fragen und Forderungen.
Er überflog die Liste in Herricks runder Handschrift.»Sehr gut.»
Romney zögerte, scharrte verlegen mit einem Fuß.»Darf ich etwas sagen, Sir?»
«Ja. «Bolitho kehrte ihm den Rücken zu, als ob er das an den hohen Fenstern herunterrinnende Regenwasser beobachte.
«Ich — ich — das heißt, wir wollten Ihnen sagen, wie sehr wir…»
Bolitho preßte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten zusammen, bis er sich umwenden konnte.
«Vielen Dank, Mr. Romney. «Er erkannte seine eigene
Stimme kaum.»Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.»
Romney sah ihn an, seine Augen waren voller Anteilnahme.
Wie die eines Hundes, dachte Bolitho gequält.
Der Schiffsarzt blickte durch die halbgeöffnete Tür, und
Bolitho rief ihm zu:»Kommen Sie nur.»
Er konnte sich in seine Pflichten vergraben und in das, was vorausgeplant werden mußte. Aber die kleinen Anzeichen des Mitgefühls, die ohne vorherige Warnung auf ihn zukamen, durchschlugen seine Deckung wie ein
Entermesser die eines schlecht geführten Degens.
Bolitho hörte sich Gwythers Krankenbericht an.
«Dem Marinesoldaten geht es gut, Sir. «Gwythers walisischer Akzent war sehr deutlich, wie immer, wenn er sich zwang, seine übliche Zurückhaltung aufzugeben.»Aber
Sie scheinen nicht geschlafen zu haben, Sir. Das ist schlecht,
wenn es mir erlaubt ist, das auszusprechen.»
«Das ist es nicht. «Rasch ging Bolitho die Liste mit den
Namen durch.»Wie geht es Penneck?»
Der Schiffsarzt seufzte.»Ich fürchte, daß sein Verstand gelitten hat, Sir. Und Mr. Pyper leidet noch sehr an den
Strapazen und am Sonnenbrand. Aber«-, wieder folgte ein
Seufzer —,»aber er ist jung.»
Herrick war der nächste Besucher. Seine Darlegungen beschränkten sich auf technische Probleme und Fragen, die für die Einsatzbereitschaft eines Kriegsschiffs von Belang waren. Zwar erwähnte er Viola mit keinem Wort, aber seine Augen waren unfähig, seine Anteilnahme zu verbergen. Bolitho stand auf und trat ans Heckfenster. Vögel schwirrten und kreisten hinter dem Schiff, warteten auf Abfallbissen, lauerten auf unvorsichtige Fische. Er dachte an Blissett, seine meisterhafte Schießkunst trotz seiner Leiden.»Haben Sie Prideaux gesagt, ich erwarte, daß er Blissett sofort befördert?«fragte er.
«Aye, Sir. «Herrick wechselte seinen Stand, als Bolitho sich nach ihm umdrehte.»Für den Fall, daß er Einwendungen haben sollte, habe ich ihm erklärt, das sei weder ein Vorschlag noch eine Empfehlung, sondern ein Befehl, Sir. Ich hoffe, das war richtig.»
«Ja. «Bolitho sah auf, als über ihm wieder polternde Schritte zu hören waren.
Herrick erklärte:»Ich habe Mr. Lakey gesagt, Sie wünschten, daß er so viel Leinwand setzt, wie er kann. Dabei werden beide Wachen eingesetzt. «Er versuchte zu lächeln, Bolithos Kummer zu durchbrechen.»Als Steuermann gefällt ihm das bei diesem Regen verständlicherweise nicht.»
Er wartete, überlegte, wie er fortfahren sollte.»Ich werde gut allein fertig, Sir. Wir brauchen Sie nicht zu behelligen, bis wir die Inseln in Sicht bekommen. «Bolitho setzte sich auf die Heckbank und starrte auf den mit Leinwand bespannten Fußboden.
«Sobald die Segel getrimmt sind, können wir mit den Zwölf-pfündern exerzieren. Wir sind so schwach besetzt, daß wir die Mannschaften wieder neu einteilen müssen. «Er schlug sich mit der rechten Faust in die linke Hand.»Ich will, daß das Schiff kampfbereit ist, verstehen Sie?«»Gewiß, Sir. «Aber Herrick gab nicht nach.»Ich habe für die Froschfresser wenig übrig, wie Sie wissen. Aber sie haben zu lange im Dienst ihres Königs gestanden, um plötzlich mit einem Piraten gemeinsame Sache zu machen, oder?»
Bolitho sah ihn ernst an.»Angenommen, ich würde an Deck gehen, Thomas, jetzt sofort, und die ganze Besatzung vor dem Achterdeck antreten lassen und den Leuten sagen, daß wir bereits Krieg mit Frankreich haben, daß England auf ihren Mut und ihre Zähigkeit angewiesen ist, glauben Sie ernstlich, daß auch nur einer, Sie selbst eingeschlossen, wagen würde, das in Frage zu stellen?«Er schüttelte den Kopf.»Versuchen Sie nicht, es zu bestreiten. Es steht Ihnen im Gesicht geschrieben.»
Herrick sah ihn bewundernd an. Wie konnte er das durchhalten? Ständig planen und neuplanen, immer nur seine Aufgabe vor Augen?
«Wenn dieser Franzose Genin die Besatzung gegen ihren tyrannischen Kapitän aufwiegeln kann«, sagte er,»kann ihn auch nichts daran hindern, das Gleiche von uns zu behaupten. «Nachdenklich schob er die Unterlippe vor.»Aber ich sehe nicht ein, warum.»
«Das ist sein Handel mit Tuke. Die Herrschaft über das Schiff und Genins sichere Passage stehen gegen Tukes Belohnung. Nachschubschiffe, Gold, Protektion, gleichgültig, was es ist. Was für Tuke zählt, ist die Notwendigkeit, sich einen sicheren und starken Stützpunkt zu schaffen.»
Herrick nickte düster.»Und es gibt nichts, was ihn daran hindern kann. Außer uns.»
«Ja, Thomas. Eine Fregatte gegen eine Flottille. Unsere geschwächte Besatzung gegen erfahrene, schlecht behandelte Veteranen.»
Von oben waren ein Ruf zu hören und ungeduldiges Scharren. Herrick wurde gebraucht, war aber unfähig, den Bann zu brechen, der von Bolithos eisiger Entschlossenheit ausging, als er hinzufügte:»Aber wir werden es verhindern. Wir werden alles einsetzen, was wir haben, um diesen Piraten zu vernichten und jeden, der zu ihm hält. In wenigen Monaten, vielleicht schon jetzt, können wir uns im Krieg mit Frankreich befinden, und ich habe nicht die Absicht, zuzulassen, daß die Narval das Vergnügen hat, in Zukunft gegen uns zu kämpfen. «Er wandte sich ab.»Ich hätte es früher sehen sollen, viel früher. Aber mir ging es wie Le Chaumareys. Ich war meiner eigenen Fähigkeiten zu sicher. «Er lächelte, doch in seinen Augen war keine Wärme zu erkennen.»Gehen Sie zu Ihren Leuten, Thomas. Ich komme hinauf, wenn Sie mit dem Exerzieren anfangen.«»Ich habe bisher nichts gesagt, Sir«, erwiderte Herrick schlicht,»aber ich bin es Ihnen schuldig, und mehr denn je auch der Dame. Meine Kritik war unberechtigt. Es stand mir nicht zu, so zu denken. Mir ist jetzt klar, wie sehr Sie einander brauchten, denn ich sehe, was ihr Verlust für Sie bedeutet. Es tut mir leid, nicht nur als einem loyalen Untergebenen, sondern auch, wie ich hoffe, als einem treuen Freund.»
Bolitho nickte. Die Haarsträhne fiel ihm über die Augen.»Ich habe größeres Unrecht begangen. Ich hätte Ihren Rat damals vor fünf Jahren befolgen sollen, und jetzt vor einigen Monaten wieder. Wegen meiner Wünsche habe ich ihr Leben in Gefahr gebracht, und weil sie mir vertraut hat, ist sie jetzt tot. «Er wandte sich ab.»Lassen Sie mich bitte allein.»
Herrick öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Noch nie hatte er Bolitho so gesehen: bleich trotz der sonnengebräunten Haut, die Augen von dunklen Ringen umrandet wie bei einem Besessenen.
Selbst im Dienst bei der Neueinteilung der Besatzung, um die vorhandenen Mängel auszugleichen, konnte Herrick keine Ruhe und Sicherheit finden.
Er sah Blissett mit den Marinesoldaten bei den ausgespannten Netzen stehen, die Muskete an seiner Seite. Abgesehen davon, daß er dünner wirkte, war ihm von den überstandenen Strapazen wenig anzumerken. Er sagte:»Ich freue mich, Sie wohlauf zu sehen, Korporal
Blissett.»
Blissett strahlte.»Sir!«Für ihn bot das Leben plötzlich neue Aussichten. Ein Schritt weiter.
Herrick ging zur Achterdecksreling. Die letzten schweren Regentropfen fielen auf Besatzung und Segel. Bald würde es wieder höllisch heiß werden. Er sah auf die nach oben gewendeten Gesichter im Geschützdeck hinab, auf die nackten Rücken der Toppsgasten, die in beiden Gangways bereitstanden, aufzuentern und die Bramsegel zu setzen, sobald der Befehl kam. Eine gute Mannschaft, dachte er. Eine so gemischte Gesellschaft wie das Publikum bei einem Wettkampf, aber deswegen in keiner Weise schlecht. Irgendwie hatten sie sich zusammengefunden. Gelernt, ihren Dienst hinzunehmen, wenn nicht damit einverstanden zu sein. Er hatte das Gefühl, daß er etwas sagen sollte, ihnen erklären, wieviel sie zu geben und ertragen hätten, wenn Bolitho recht behielt.
Hinter sich hörte er Schritte an Deck, und dann sagte Bolitho:»Anscheinend hat es eine Verzögerung gegeben, Mr. Herrick.»
Herrick sah ihm in die Augen, grau und fest, aber auch etwas anderes. Herausfordernd, oder war es bittend? Er griff an seinen Hut.»Ich dachte, Sie würden eine Weile unten bleiben, Sir.»
Bolitho ließ seinen Blick langsam über die schweigenden Männer schweifen und das Schiff selbst, das sich leicht nach Backbord legte.»Mein Platz ist hier.»
Er stützte seine Hände auf die Reling, spürte durch sie das Vibrieren des Schiffes, die nicht endende Botschaft, die es damit an jeden weitergab, der hören wollte. Er erinnerte sich an Violas Ausdruck, als er ihr erklärt hatte, wie ein Schiff sich verhielt und reagierte. Zunächst war er beinahe scheu gewesen wie ein Junge, als er ihr beschrieb, was für ihn der Alltag war. Und es hatte sie nicht gelangweilt, und sie hatte auch nicht nur höfliches Interesse gezeigt. Mit der Zeit hätte sie es mit ihm teilen können, fest verwachsen und so ausdauernd wie das alte Haus in Falmouth. Aber jetzt… Abrupt sagte er:»Machen Sie weiter, Mr. Herrick. Nach oben mit den Leuten und Bramsegel setzen, bitte.»
Die Wanten und Webeleinen wurden von hetzenden
Gestalten belebt, und die antreibenden Rufe der
Unteroffiziere zerstörten die Stille und ließen die Seevögel kreischend über dem schäumenden Kielwasser der Tempest kreisen.
Bolitho begann in Luv auf- und abzugehen. Seine Anwesenheit war lebenswichtig, und für alle außer jenen, die ihn genau kannten, wirkte er äußerlich so ruhig wie immer.
Doch jeder Schritt war qualvoll, und obwohl rings um ihn seine Leute umherhasteten oder an den Pardunen herunterglitten, um andere Aufgaben zu erfüllen, während die Leinwand sich im Wind blähte und steif wurde, war Kapitän Richard Bolitho völlig für sich allein. Die Tempest machte rasche Fahrt nach Süden zu den Levu-Inseln, und obwohl sie keinem größeren Fahrzeug als gelegentlich einem Kanu begegneten, hatte Bolitho aufjeder Meile das Gefühl, daß sie beobachtet wurden. Er wußte, daß die meisten der Schiffsbesatzung versuchten, Distanz zu wahren und seinem Blick auszuweichen. In vieler Hinsicht kam ihm diese Isolierung in einer dicht bevölkerten Welt gelegen, dennoch war ihm seine Verantwortung für sie bewußt. Besonders durch das, was vor ihnen lag. Morgen. Nächste Woche. Von den Männern, deren Leben er in den Händen hielt, gefürchtet zu werden, war für ihn zutiefst abstoßend. Er bemerkte die Blicke, die täglich nach seiner Reaktion auf ihre Bedürfnisse forschten. Segel- und Geschützexerzieren. Arbeit in der Takelage oder an Deck, er wußte, daß sie ihm nachblickten, wenn er an ihnen vorbeigegangen war. Besorgt oder auch nur neugierig. Trotz seines Kummers neidisch auf die Privilegien, über die er im Vergleich zu ihrem spartanischen Dasein verfügte. Am letzten Tag, als die Tempest sich langsam der pilzförmigen Bucht näherte, Fock, Groß- und Besansegel aufgegeit und zwei Lotgasten in den Rüsten, beobachtete er, wie die Insel im frühen Licht Form annahm, und war sich seiner gemischten Gefühle deutlich bewußt.
Der Ausguck im Mast hatte bald nach Anbruch der Dämmerung Rauch gemeldet, und als das Licht über den buckligen Hügeln stärker wurde und auf dem Wasser Reflexe hervorrief, sah er wie eine tiefliegende, niedrige Regenwolke Qualm über die Bucht ziehen. Herrick sagte:»Von der Siedlung her, so wie es aussieht,
Sir.»
«Es hat den Anschein«, erwiderte Bolitho. Wieder prüfte er seine Gefühle. Wünschte er, Raymond schon tot aufzufinden? Oder sah er in dem Rauch lediglich einen Beweis dafür, daß er recht hatte? In Bezug auf Tuke und die Narval, vor allem aber bezüglich seiner eigenen Rolle, die ihm noch bevorstand.
Abrupt sagte er:»Geben Sie mir ein Glas. «Er nahm es von Midshipman Romney entgegen und richtete es auf das Land. Als er mit dem Teleskop die Bucht absuchte, sah er die Überreste der Eurotas, die wie verrottende Zähne über der Wasseroberfläche glänzten. Er hatte sie fast schon vergessen, und ihr Anblick traf ihn wie ein Dolchstoß. Er brachte zu viele Erinnerungen zurück: an die Nacht, in der sie die Bucht verlassen hatten und sich mehr davor fürchteten, auf Raymonds Befehl hin be schossen zu werden, als vor der Bewährungsprobe, die ihnen bevorstand, zu der sie gerade erst angetreten waren.
Er bewegte das Glas weiter, bis er die Siedlung fand. Der Rauch kam von den außen liegenden Bauten, wahrscheinlich jenen, die sie für die Sträflinge errichtet hatten. Auch in den Palisaden entdeckte er mehrere Lücken, das Werk schwerer Geschütze.
Aber die Flagge wehte noch. Er schob das Teleskop zusammen, wütend darüber, daß er sich gefügt hatte. Nie wieder.
«Rufen Sie die Besatzung auf Gefechtstation, Mr. Herrick. Wir werden zwei Kabellängen vor der Pier ankern. Ich muß in aller Eile auslaufen können.»
Er verschloß seine Ohren vor den lärmenden Befehlen, dem sofort einsetzenden Klatschen von Füßen auf den Gangways und den Decks. Auf der Back stand Borlase mit den Ankergasten bereit und spähte über den Bug. Überrascht drehte er sich bei dem plötzlichen Alarm um, und Bolitho fragte sich flüchtig, ob der Leutnant wohl glaube, sein Kapitän wäre verrückt geworden oder hätte in dem offenen Boot so sehr gelitten, daß er keine vernünftige Entscheidung mehr treffen konnte.
Herrick kam eilig über das Achterdeck und berührte seinen Hut.»Mannschaft auf Gefechtstation, Sir. «Er fragte:»Sollen wir Klarschiff befehlen?«»Noch nicht.»
Bolitho hob das Glas wieder und entdeckte mehrere halbnackte Gestalten, die sich zwischen den Büschen auf dem nächstliegenden Strand duckten. Tinahs Dorf war also nicht völlig vernichtet worden, registrierte er voller Dankbarkeit.
Er senkte das Glas und sah Keen auf dem Batteriedeck, der seine Augen beschattete und zum Strand hinüberblickte. Er dachte wohl an seine schöne Malua. Erinnerte sich an seinen Traum.
Lakey räusperte sich geräuschvoll.»Wir sind aus dem Wind,
Sir.»
Bolitho wandte sich um und sah, daß sie in den Schutz des Landes glitten, und hörte die Bramsegel über sich unruhig killen.
«Sehr gut. Dann wollen wir jetzt ankern.»
Ein weiter Weg für die Männer in den Booten. Andererseits sicherte es den Geschützen der Tempest die Herrschaft über die gesamte Bucht.
«An die Leebrassen! Hol rund!»
Bolitho trat ein paar Schritte zurück, um seine Leute zu beobachten. Jetzt waren es sogar noch weniger, da der größte Teil der Besatzung gefechtsbereit bei den Geschützen stand, für den Fall, daß sie gebraucht werden sollten. In zwei Jahren hatten sie vieles gelernt. Die Zeit auf der Fregatte mochte schwer für sie gewesen sein, aber sie war gut für sie gewesen.
Matrosen arbeiteten fieberhaft mit Leinwand und Geitauen, während andere an den Brassen zogen, um die Rahen beizuholen.
«Ruder hart Backbord!»
Bolitho überquerte das Deck, damit er das Ufer und den Pier unter der Siedlung ständig beobachten konnte.»Laß fallen Anker!»
Kaum hörte er den Anker fallen, als er sagte:»Ich brauche meine Gig. Ferner die Barkasse und ein vollständiges Landkommando Marinesoldaten. Hauptmann Prideaux soll persönlich die Führung übernehmen. «Er winkte Allday.»Sorgen Sie dafür, daß die Besatzung der Gig ordnungsgemäß gekleidet ist. «Er bemerkte die Überraschung, oder war es Gekränktsein, auf Alldays Gesicht.»Ich weiß. Sie haben es schon befohlen, aber es muß alles richtig aussehen.»
Er sah die Marinesoldaten von ihren Stationen auf dem Achterdeck und in den Masten zusammenströmen. Sergeant Quare rief Befehle, sein von der Fahrt im offenen Boot sonnenverbranntes Gesicht war fast so rot wie sein Rock. Herrick beobachtete, wie die Boote über den Netzen ausgeschwenkt wurden. Jury, der Bootsmann, trieb die Leute mit der Lautstärke eines wütenden Bullen an.»Sieht ganz so aus, als ob die Siedlung angegriffen worden wäre, Sir.»
«Ja. «Bolitho hob die Arme, als Allday ihm den Degen umgürtete.»Es beweist, daß wir recht hatten. Tuke will die
Siedlung für sich. Er muß die eroberten Geschütze eingesetzt haben, um Raymond zu warnen.»
Herrick leckte sich die Lippen.»Anscheinend ist er uns jedesmal einen Schritt voraus, Sir.»
Bolitho ging zur Gangway und sah zu den Booten hinunter.
«Bis auf eines. Er eroberte Hardacres Schoner und ist über
Ihre Meldung genau unterrichtet.»
«Das bedaure ich sehr, Sir. Ich dachte…»
Bolitho ergriff seinen Arm.»Nein, Thomas. Das ist unser einziges Plus. Tuke wird glauben, daß Sie noch vor Rutara liegen, daß Sie nicht wagen, gegen Ihren Befehl zu handeln und daß Sie befürchten, das Fieber hätte auch auf die
Siedlung übergegriffen. Darüber hinaus weiß er auch, daß
ohne den Schoner keine Möglichkeit besteht, zwischen dem
Schiff und der Siedlung Nachrichten auszutauschen.»
Herrick verstand.»An seiner Stelle hätte ich die gleichen
Überlegungen angestellt. «Dann schüttelte er den Kopf.»In einem offenen Boot, für nur wenige Tage Wasser und Verpflegung und dann auch noch zwischen feindlichen Inseln hindurch — ja, ich kann seine Überlegungen verstehen.»
«Das ändert alles nichts. «Bolitho beobachtete, wie die mit Marinesoldaten dicht besetzte Barkasse vom Schiff ablegte und darauf wartete, daß die Gig längsseit kam.»Es gibt uns allerdings Zeit. Andernfalls, fürchte ich, wäre die Insel bereits gefallen. «Borlase rief:»Alles klar, Sir.»
«Welche Instruktionen haben Sie für mich, Sir?«Herrick begleitete Bolitho zur Einstiegspforte.»Die üblichen. Einen guten Ausguck und etwa sechs Kanonen ständig bemannt. Wenn an Land alles sicher ist, wünsche ich, daß auf dem Berg ein Ausguck postiert wird. «Er stieg in das Boot hinab, während noch das schrille Pfeifen des Bootsmannsmaaten in der feuchten Luft hing. Borlase fragte gereizt:»Warum diese ganze Demonstration von Stärke? Die Seesoldaten, die Gig mit den Ruderern in ihren besten Hemden? Das ist doch eher wie ein Höflichkeitsbesuch als wie die Vorbereitung einer Evakuierung.»
Herrick musterte ihn kalt.»Evakuierung? Niemals. Auf diese Weise zeigt der Kommandant, daß — gleichgültig, was andere denken oder fürchten mögen — die Tempest dasselbe ist wie früher: ein Kriegsschiff, Mr. Borlase, kein alter Kahn voll ängstlicher alter Weiber.»
Keen kam zu ihnen und fragte:»Wer ist mit dem Kapitän gefahren?»
Herrick antwortete knapp:»Mr. Swift. Eine günstige Gelegenheit für ihn, etwas zu lernen, wenn er sich in dem Dienstrang bewähren soll, den er vorübergehend innehat. «Er wandte sich ab und dachte an die Worte, die Bolitho in seiner Kajüte vor der Morgendämmerung gesprochen hatte.»Nicht Mr. Keen, Thomas. Es ist noch zu früh. Bei jedem Baum wird er seine Malua sehen und ihre Stimme hören. Nein, er braucht Zeit. Ich nehme den jungen Swift. «Herrick seufzte. Typisch, dachte er. Er beobachtete, wie die
Boote in Kiellinie gingen und sich der Pier zuwendeten. Aber um wie vieles schlimmer mußte es für ihn sein.
Bolitho stand neben einem der hohen Fenster in Raymonds Arbeitsraum und lauschte auf das irre Kreischen der Vögel im dichten Unterholz.
Seine Ruhe überraschte ihn selbst, sein Unvermögen, weder Abscheu noch Haß zu empfinden, als er Raymond an seinem geschnitzten Tisch sitzen sah.
Unter dem Fenster hörte er einige Marinesoldaten durch den weiten Hof stampfen. Ihre Stimmen und ihre Stiefel waren unnatürlich laut. Während seiner Abwesenheit, in den Tagen, an denen er und seine Bootsbesatzung sich qualvoll vorwärts gekämpft hatten, war die Siedlung erschreckend verfallen.
Vorräte waren vergeudet worden, überall lagen leere Flaschen und Fässer herum. Sogar Raymond hatte sich verändert, war hohläugig und ungepflegt, und sein besudeltes Hemd machte seinen Anblick nur noch schlimmer. Von allen hatte er sich am meisten verändert. Bolitho hatte fast damit gerechnet, daß ihm die Tore verschlossen bleiben würden. Wäre das der Fall gewesen, dann hätte er weder seine eigenen Gefühle noch die seiner Leute beherrschen können, das wußte er. Raymond hatte so wie jetzt an seinem Tisch gesessen und auf die Tür gestarrt. Vielleicht hatte er sich, seit die beiden Boote im Schutz der Dunkelheit aufgebrochen waren, nicht von seinem Platz gerührt.
Er hatte gesagt:»Sie haben also überlebt? Und was werden Sie jetzt tun?»
Hardacre hatte die Boote der Tempest an der Pier empfangen, und während sie zusammen zu den Palisaden hinaufgingen, hatte er in allen grimmigen Einzelheiten geschildert, was geschehen war. Über ein Drittel der Insulaner war am Fieber gestorben, und während die Wachtruppe sich im Schutz der Palisaden verschanzte und ein trunkenes Gelage nach dem anderen veranstaltete, hatte Hardacre sein Möglichstes getan, bei den anderen den Willen zum Überleben zu erhalten.
Raymond hatte sogar die Sträflinge aus der Siedlung vertrieben und ihnen befohlen, in ihren Hütten zu bleiben und sich aus eigener Kraft so gut es ging zu ernähren. Hardacre hatte auch ihnen geholfen und war durch ihre Bereitschaft belohnt worden, Raymonds unsinnigen Befehl zu ignorieren und ihn im Dorf zu unterstützen. Und dann, vor zwei Tagen, war die Insel von dem gewaltigen Dröhnen von Geschützen, dem Splittern von Baumstämmen, in die Geschosse von der Landzunge jenseits der Bucht einschlugen, jäh aus dem Schlaf gerissen worden. Vor der Insel ankerte ein Schoner, und während der Nacht hatten Tukes Leute zwei Kanonen an Land geschafft und feuerbereit gemacht, sobald es hell genug war, um die Entfernung zu bestimmen.
Anscheinend hatte Raymond versäumt, Posten aufstellen zu lassen, und da auch seine Offiziere des Corps nicht nüchtern genug waren, sich um den Stand der Dinge in der Siedlung zu kümmern, erfolgte der Überfall schnell und völlig unerwartet.
Erbittert sagte Hardacre:»Es dauerte zwei Stunden. Einige der Leute Tinahs wurden verletzt und zwei getötet. Auch die Siedlung ist getroffen worden, aber es war eher eine Drohung als die Absicht, Schaden anzurichten. Danach zogen sie sich wieder zurück. Es könnte sein, daß sie vor der Rückkehr der Tempest gewarnt wurden. Aber sie haben für Raymond eine Nachricht hinterlassen. «Die» Nachricht «hatten sie an die verstümmelte Leiche des französischen Offiziers Vicariot geheftet, der der ranghöchste Leutnant von de Barras gewesen war. Sie besagte, falls Raymond und seine Verteidiger sich aus der Siedlung zurückzögen, würden sie sicheres Geleit zu einer anderen Insel erhalten, wo sie auf ihre Rettung warten könnten. Andernfalls würden sie das gleiche Schicksal wie Vicariot erleiden, und auch alle anderen, die sich widersetzten.
Bolitho stand schweigend neben dem Fenster, überlegte und erinnerte sich. Wenn Tuke über die Rückkehr der Tempest informiert gewesen wäre, hätte er früher zugeschlagen, ohne Zeit für dramatische Gesten zu vergeuden. Doch das schien im gleichen Maß wie seine Gerissenheit ein Teil dieses Mannes zu sein: die Fähigkeit, durch ungezügelte Brutalität Widerstand zu brechen, noch ehe er eingesetzt hatte. In einem Punkt gab es jedoch keinen Zweifel mehr. Die Narval war gefallen, und unter welcher Flagge sie jetzt segelte, war belanglos. Ihre sechsunddreißig Geschütze, unterstützt von den Kräften, die Tuke darüber hinaus aufbieten konnte, waren mehr als genug, um jeden Widerstand hinwegzufegen.
Ruhig fragte er Raymond:»Wurden Sie über das Dorf unterrichtet, die Zahl der Todesopfer dort?«Es war unglaublich und es war entnervend, aber nicht einmal hatte Raymond nach Viola gefragt. Etwas bei ihm schnappte ein.»Und Ihre Frau. Sie starb auf See. «Es nur laut auszusprechen, war wie Verrat. Die Erinnerung an sie mit diesem selbstsüchtigen, bösartigen Mann zu teilen, war mehr, als er ertragen konnte. Schroff ergänzte er:»Sie besaß großen Mut.»
Raymond drehte sich langsam auf seinem Sessel um. Seine Augen lagen im Schatten, als er antwortete:»Das habe ich vermutet. Sie ist lieber bei Ihnen gestorben, als mit mir zu leben.»
Er erhob sich ungestüm, und eine leere Flasche rollte unter einem Stapel von Dokumenten hervor.»Haben Sie von Vicariot gehört? Von dem Überfall?«Raymond sprach so hastig, als ob er eine Unterbrechung befürchte.»Sie werden wiederkommen. Ich habe den Franzosen gesehen. Sie verstümmelten alles an ihm, außer seinem Gesicht. Damit ich ihn erkannte, keine Zweifel hatte. «Er fuhr heftig herum, sein Gesicht zuckte wild.»Ich habe für Hardacre Befehle aufgesetzt. Er übernimmt die Siedlung bis…«Er wühlte in Dokumenten, suchte nach dem einen, das Hardacre alles zurückgab, was er verloren hatte. Nur daß es jetzt für eine sehr kurz bemessene Frist sein würde.»Meine Wachen werden die Sträflinge noch heute an Bord Ihres Schiffes bringen. Jetzt. In Sydney mögen neue Instruktionen vorliegen.»
Hardacre hatte bis zu diesem Augenblick geschwiegen.»Sie wollen fort? Die Siedlung aufgeben und uns einem Massaker ausliefern? Keine Milizen, nicht einmal einen Schoner, durch Ihre Schuld. «Bolitho blickte ihn an, sein Kopf war plötzlich klar.»Wir werden nicht fortfahren. Auch ich habe ein Dokument. «Er wandte sich wieder Raymond zu.»Erinnern Sie sich, Sir? Ihre Befehle an mich bezüglich meiner Pflichten hier?«Er ging zum Fenster zurück und sah auf die im Wind schwankenden Palmwipfel hinaus.»Wir laufen nicht fort. Mir ist es gleichgültig, welche Kräfte gegen uns antreten. Ich habe mir viel zu lange das Gerede über die Dummheit von Marineoffizieren, die Unwissenheit gewöhnlicher Seeleute angehört. Doch wenn es dann schlecht steht, sind sie es, die plötzlich wichtig scheinen. Ich habe Sie von Krieg sprechen hören, als ob er ein Spiel wäre. Von einem gerechten Krieg oder einem sinnlosen. Mir scheint, für Sie ist ein gerechter Krieg einer, wenn insbesondere Sie in Gefahr sind, Mr. Raymond, und das habe ich herzlich satt.»
Raymond starrte ihn mit wäßrigen Augen an.»Sie sind wahnsinnig! Ich habe es gewußt!«Er wedelte mit einem Arm in Richtung der Wand.»Sie werfen Ihr Leben fort, Ihr Schiff, alles, für diesen Misthaufen hier?«Bolitho lächelte flüchtig.»Vor einem Augenblick waren Sie noch der Gouverneur hier. Da lagen die Dinge anders. «Seine Stimme wurde härter.»Nun, für mich nicht. «Die Tür wurde aufgestoßen, und Hauptmann Prideaux kam hereinmarschiert, seine Stiefel stampften so laut auf den Binsenmatten, daß es klang, als käme ein ganzer Trupp.»Ich habe die äußere Umfriedung inspiziert, Sir. «Er ignorierte Raymond.»Meine Leute ziehen die Sträflinge zur Arbeit heran. Die Lücke in der nördlichen Palisade ist die schlimmste. Sergeant Quare befaßt sich mit ihr. «Hardacre sagte:»Ich werde mit Tinah sprechen. Vielleicht kann er helfen.»
«Nein. «Bolitho wandte sich Hardacre zu, plötzlich froh über dessen Anwesenheit, dessen Kraft.»Wenn wir verlieren, was durchaus möglich ist, wünsche ich, daß sein Volk verschont bleibt. Wenn bekannt wird, daß die
Insulaner uns geholfen haben, sind ihre Chancen geringer als jetzt.»
Hardacre sah ihn ernst an.»Das war sehr tapfer, Captain.«»Ich habe es ja gesagt, Sie sind wahnsinnig. «Raymond schüttelte seine Fäuste über dem Kopf, und Speichel rann ihm zum Kinn hinunter, als er schrie:»Wenn das vorüber ist, werde ich…»
Hardacre fuhr scharf dazwischen:»Sie haben den französischen Offizier gesehen, Sie verdammter Narr. Es bleibt nichts übrig, was Sie noch hassen oder vernichten können, wenn Kapitän Bolitho uns nicht verteidigen kann. «Er schritt zur Tür.»Ich will sehen, was ich zur Unterstützung der Marinesoldaten tun kann. «Swift hüstelte neben der offenen Tür:»Bitte um Vergebung, Sir, aber ich möchte Anweisung für die Plazierung der Drehbassen.«»Sofort, Mr. Swift.»
Bolitho machte auf dem Absatz kehrt. Er fragte sich, ob Prideaux und Swift sich nicht auf Vereinbarung in der Nähe gehalten hatten, weil sie befürchteten, daß er über Raymond herfallen und ihn umbringen würde. Er stellte fest, daß sein Haß auf den Mann verflogen war. Raymond schien Substanz und Realität verloren zu haben.
In der dunkelsten Ecke der Treppe bemerkte er eine schnelle Bewegung, und eine Mädchenhand griff nach seinem Arm. Als Prideaux sich fluchend dazwischendrängte, glitt die Hand ab, umschlang aber Bolithos Bein und dann seinen
Schuh.
«Lassen Sie das Ding in Ruhe«, sagte er. Er bückte sich und half dem Mädchen auf die Beine. Das arme, geistesgestörte Geschöpf sah ihn mit tränenerfüllten Augen an. Bolitho sagte freundlich:»Ich habe sie auch geliebt. «Er brauchte seine ganze Kraft, seine Stimme stetig zu halten.»Genau wie du.»
Aber sie schüttelte den Kopf und preßte ihr Gesicht in seine
Hand.
Allday wartete am Fuß der Treppe.»Sie kann es nicht fassen, Captain. «Er winkte einen Marinesoldaten herbei.»Bring sie in Sicherheit, aber rühr' sie nicht an.»
Bolitho stand in der grellen Sonne, die Augen schmerzten ihn in dem Glast. Flüchtig fiel ihm auf, daß Allday ein blankes Entermesser in der Hand hielt. Er mußte es aus der Scheide gezogen haben, als das Mädchen sich aus dem Schatten auf ihn warf. Um ihn zu verteidigen. Bedrückt fragte er:»Und wer wird für sie sorgen?«»Ich weiß nicht, Captain. «Er fiel in Gleichschritt mit Bolitho.»Es sollte für jeden Menschen einen Platz geben. «Er blickte zur Seite, seine Stimme klang plötzlich belegt.»Diese verdammte Welt ist doch wirklich groß genug.«Ärgerlich schob er sein Entermesser in die Scheide.»Ich bitte um Entschuldigung, Captain. Ich habe mich vergessen.»
Bolitho sagte nichts. Anders wollte ich es gar nicht haben, dachte er.
Dann griff er nach seiner Uhr, zog sie heraus und fand, daß er es ohne Hemmung tun konnte. Ihre Kraft war noch bei ihm.
«Kommen Sie«, sagte er.»Wir wollen uns den Zustand der
Verteidigungsanlagen selbst ansehen.»
Allday grinste erleichtert und war seltsam bewegt.»Aye,
Captain.»
Sie gingen auf das Tor zu. Der dort postierte Marinesoldat salutierte zackig.
«Ach du lieber Himmel!«entfuhr es Prideaux unwillkürlich.»Man könnte meinen, wir wären hier in Plymouth, Mr. Swift. Was sagen Sie dazu?»
Der junge Mann nickte. Ihm war bewußt, daß er etwas Eindrucksvolles sah, wenn er es auch nicht benennen konnte.
Prideaux starrte ihn fassungslos an.»Sie etwa auch? Gehen Sie an Ihre Arbeit, oder — ob diensttuender Leutnant oder Midshipman —, ich mache Ihnen Beine!«Den Rest des Tages und während des ganzen folgenden fuhren geschäftig Boote zwischen der Tempest und dem Ufer hin und her. Bolitho schien überall zu sein, hörte sich Ideen an, die zuerst nur zögernd kamen, dann wuchsen und bei der geringsten Ermutigung immer abenteuerlicher wurden.
Allday blieb die ganze Zeit an seiner Seite, wachte und sorgte sich, sah, wie Anspannung und Entschlossenheit von seinem Kapitän Besitz ergriffen. Es war ihm gleichgültig, daß selbst die beschämten Angehörigen des Corps ihren Dienst wieder aufnahmen und Prideauxs Befehlen widerspruchslos gehorchten. Es tröstete ihn auch nicht, daß selbst die faulsten und unzuverlässigsten Matrosen jede Wache ohne Pause durcharbeiteten und kaum darüber murrten. Er wußte besser als die meisten, daß ohne Bolitho kaum einer ihrer Pläne mehr wert gewesen wäre als eine nasse Zündschnur.
Während Bolitho auf dem Abhang stand und beobachtete, wie Matrosen dürres Gras und verdorrte Palmwedel sammelten und bündelten, wartete Allday ab. Er sah, daß sein Kommandant mit jeder neuen Aufgabe, die sich stellte, zufriedener wurde. Es war, als ob er jemandem gefallen wollte, den niemand sehen konnte. Und Allday wußte sehr gut, wer das war.
Unmittelbar, ehe die Dunkelheit Schatten über die Bucht legte, meldeten die Ausgucks ein Segel im Osten. Bolitho kehrte auf sein Schiff zurück, merkwürdig ruhig und ohne jede Müdigkeit.
Die Zeit war abgelaufen, und darüber war er froh. Auf die eine oder andere Weise würde es jetzt hier enden.