XV Eine Quelle der Kraft

Zwei Nächte, nachdem Bolitho die letzten Reste Wein und Wasser ausgegeben hatte, fiel ein Sturm mit solcher Wildheit über sie her, daß sie glaubten, nun wäre alles zu Ende. Er traf den Kutter kurz nach Anbruch der Nacht und verwandelte die See zu einem Aufruhr wahnwitziger, schäumender Wellen mit Brechern, die gewaltig genug waren, um nahezu alles zu überschwemmen. Stunde um Stunde wurden sie im wirbelnden Wasser hin-und hergeworfen, kämpften sie darum, das Boot vor dem Umschlagen zu bewahren. Millers Segel wurde samt Rigg in die gischterfüllte Finsternis gerissen, und loses Zeug, Kleidungsstücke und ein Riemen folgten bald. Es war ein rasender, unnachgiebiger Kampf um das Überleben. Keine Befehle wurden gegeben, und keine wurden erwartet. Die erschöpften, zerschlagenen Männer schöpften Wasser oder saßen an den Riemen, von sprühendem Wasser geblendet, fast taub vom Dröhnen der brechenden Wellen und dem jubilierenden Heulen des

Windes.

Und dann, als Bolitho ein leichtes Nachlassen in der Gewalt des Sturmes wahrnahm, kam der Regen. Langsam zuerst schlugen ihnen die schweren Tropfen wie Hagelkörner auf Köpfe und Körper, doch dann mit lautem Zischen, und schienen allein durch ihr Gewicht den hohen Wellengang zu dämpfen.

Heiser schrie er:»Schnell, Leute! Auffangen!»

Mit Stoffetzen, Bechern, allem, was ihnen zur Verfügung stand, versuchten sie, in dem vom Meerwasser

überschwemmten Boot das kostbare Naß aufzufangen. Die

Kranken und Verletzten und die Handvoll Männer an den

Riemen hielten ihre Gesichter in den Guß, die Augen fest zugepreßt, die Münder weit geöffnet, um das aufzunehmen,

was ihnen wie ein Wunder erscheinen mußte.

Bolitho wischte sich das Wasser aus Gesicht und Haar und wandte sich an Viola:»Dein Gebet ist erhört worden, Viola.

Siehst du!»

Blindlings tasteten sie nacheinander, ergriffen sich bei den

Händen, dankbar für den niederrauschenden Regen.

Wenn er nur früher gekommen wäre und ihnen den letzten qualvollen Tag erspart hätte. Sie hatten die letzten

Kokosnüsse verteilt und versucht, jeden Tropfen

Feuchtigkeit aus dem Fruchtfleisch zu saugen.

Am Nachmittag, als das Boot quer zum Seegang dahintrieb,

wurden sie durch einen wilden Aufschrei von Penneck aus ihrem benommenen Zustand gerissen.

«Wasser! Um Gottes willen, Wasser!»

Und noch ehe jemand sich bewegen konnte, hatte er sich am

Dollbord hochgezogen und war um sich schlagend und laut schreiend ins Meer gestürzt, während das Boot schnell von ihm abtrieb.

Woher er dazu die Kraft gefunden hatte, war Bolitho unerklärlich, aber er hatte die Pinne herumgerissen und die Ruderer aus ihrer Lethargie aufgestört. Orlando hatte sich im Bug aufgerichtet und war kopfüber ins Wasser gesprungen.

Penneck war ohne Rücksicht auf seine Verletzung hastig ins Boot zurückgezerrt worden. Doch seine von wahnsinnigem

Durst verursachte Tat hatte weit mehr als nur Kraft und Zeit gekostet. Denn als Orlando den tobenden Penneck schwimmend zum Boot schleppte, hatte der Hai mit der Wucht eines Rammbocks zugeschlagen. Hilflos hatten sie zusehen müssen, wie sich das Wasser um Orlando plötzlich rot färbte, hatten Orlandos schmerzverzerrtes Gesicht gesehen, seinen in einem unhörbaren Aufschrei aufgerissenen Mund. Dann war er hinabgezogen worden, noch als Blisset eine Kugel auf die verräterische Finne abfeuerte.

Allday rief:»Der Wind läßt nach, Captain. «Wie alle anderen war er völlig durchnäßt, und das Haar klebte ihm an der Stirn, das Hemd wie eine zweite Haut am Körper.»Ja.»

Bolitho erwachte widerwillig aus seinen Gedanken. Penneck lag auf dem Boden des Bootes. Sie hatten ihm die Arme gefesselt, aber er zuckte unkontrolliert mit den Beinen, sah keuchend zu den Wolken auf und war schutzlos dem Regen ausgesetzt.

Orlando war fort, fast so gegangen, wie er damals zu ihnen gekommen war. Von der See her und wieder zu ihr zurück. Niemand hatte mehr über ihn erfahren als damals, als sie ihn gerettet hatten. Nur daß er dankbar war, bei ihnen sein zu dürfen.

Treffend hatte sein Freund Jenner gesagt:»Wenigstens ist der arme Teufel glücklich gewesen, solange er bei uns war,

Sir. Er ist vor Stolz fast geplatzt, als er den Posten als Diener bei Ihnen bekam. Gott segne ihn.»

Unwillkürlich sagte Bolitho laut:»Ja, Gott segne ihn.»

Allday blickte überrascht auf.»Captain?»

«Ich habe nur laut gedacht. Einen weiteren Namen auf meine Liste gesetzt.»

Als die Morgendämmerung mit atemberaubender Plötzlichkeit anbrach, war es, als ob sich über Nacht wenig geändert hätte. Die Wolken waren verschwunden, die See wogte unverändert in gleichmäßiger Dünung. Als die Sonne aufstieg und ihre Strahlen das Boot erfaßten, dampften das Holz und die Insassen, als ob sie gleich in Flammen aufgehen würden. Sie sahen sich in ihrer winzigen Welt um, betrachteten einander prüfend, suchten nach Zeichen neuer Hoffnung oder des Gegenteils.

Sie hatten über zehn Gallonen Regenwasser aufgefangen, und noch war für jene, die ihn am nötigsten hatten, ein kleiner Rest Rum vorhanden. Die Nahrungsmittel waren verbraucht, und wenn Blissett nicht wieder einen Vogel erlegen konnte, würde sich ihre Situation schnell verschlimmern.

Die einzig bemerkenswerte Veränderung gegenüber gestern war, daß der Hai sie nicht mehr verfolgte. Auch das war merkwürdig und ließ manchem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Es war, als hätte er darauf gewartet, Orlando in den Ozean zurückzuholen, dem er nur für eine kurze Weile vorbehalten geblieben war. Während einer ihrer kurzen Ruhepausen kam Keen zu Bolitho. Der Leutnant wirkte kräftiger als die meisten anderen, obwohl seine Arme von der Sonne verbrannt und durch vom Salzwasser verursachte Entzündungen fleckig waren.

«Wir haben den Kompaß gerettet, Sir.»

Bolitho erwiderte mit gedämpfter Stimme:»Haben Sie das

Treibholz bemerkt?»

Keen schützte seine Augen gegen den gleißenden Horizont. In kleinen Brocken wurde dem Boot Treibgut entgegengeschwemmt, das sich in dem grellen Licht schwarz vom Wasser abhob. Auch Vögel waren zu sehen, aber zu weit entfernt selbst für einen glücklichen Schuß. Mit ungläubigem Gesicht sah Keen ihn an.»Land, Sir?«Bolitho wollte es für sich behalten für den Fall, daß er sich irrte. Er sah sich im Boot um und wußte, daß sie einen weiteren Tag nicht überstehen würden. Bei einer guten Nachricht mochten sie durchhalten. Er nickte.»In der Nähe. Ja, das glaube ich. «Viola stand auf und legte eine Hand Bolitho auf die Schulter, die andere Keen. Sie sagte nichts, sondern blickte unver-wandt zum Horizont. Ihr Haar hob und senkte sich über Bolithos Uniformrock.

Bolitho blickte sie an, liebte sie, war fasziniert von ihrer inneren Kraft. Trotz der Sonne und allem, was sie ertragen hatte, wirkte sie neben Keen und den anderen blaß. Seit sie die Insel verlassen hatten, hatte er nur einmal gesehen, daß sie ihre Haltung verlor, und das war gewesen, als Orlando ums Leben kam.

«Er konnte nicht sprechen«, hatte sie geklagt.»Er konnte nicht einmal schreien, und trotzdem glaube ich, mich an seine Stimme zu erinnern.»

Dann hatte sie nichts mehr gesagt, bis der Sturm über sie hereinbrach.

Jetzt sahen alle Bolitho an. Selbst Penneck war verstummt. Der Marinesoldat Billyboy saß mit Pyper zusammen an einem Riemen, sein verletztes Bein stützte er mit einer Muskete. Der andere Verwundete, der Matrose Colter, war durch seine Ration Wasser so weit gestärkt, daß er helfen konnte, sich um Penneck und den anderen Verwundeten, Robinson, der in sehr schlechter Verfassung war, zu kümmern. Doch auch sie waren nicht zu krank, um nicht zu spüren, daß etwas bevorstand.

Bolitho sagte:»Ich glaube, wir sind in der Nähe von Land. Ich bin nicht sicher, daß es die Insel Rutara ist, denn nach dem Sturm und bei dieser Abdrift, und da wir nicht einmal einen Sextanten haben, tappen wir so gut wie im dunkeln. Doch was für eine Insel es auch sein mag, wir werden dort landen und uns Lebensmittel verschaffen. Nach dem, was wir gemeinsam erlitten haben, gehört wohl mehr als Feindseligkeit dazu, um uns zu vertreiben. «Big Tom Frazer, die Augen vor Erschöpfung gerötet, stand auf und brüllte laut:»Ein Hurra für den Käp'n, Jungs. Hurra!»

Bolitho konnte ihn nur fassungslos anstarren. Es war ein schrecklicher Anblick. Diese ausgemergelten, sonnenverbrannten, unrasierten Männer standen an ihren Riemen auf, um ihm zuzujubeln.

Er hob seine Stimme.»Genug! Spart eure Kräfte!«Er mußte sich abwenden.»Aber ich danke euch.»

Keen räusperte sich und befahl:»Riemen bei!«Er begegnete

Violas Blick und lächelte wie ein Verschwörer.»Rudert an!»

Am späten Nachmittag hatten Blissett und dann auch

Sergeant Quare Glück mit ihrer Schießkunst. Ein Tölpel und ein Seerabe wurden Beute ihrer Musketen, und obwohl es diesmal länger dauerte, sie zu erreichen, wurden sie geborgen und mit einer vollen Ration Wasser verzehrt. Als die Sonne dann den Horizont berührte, schrie Miller:»Land, Sir! An Steuerbord voraus!»

Jeder Gedanke an Ordnung und Disziplin schwand dahin.

Sie sprangen in dem schwankenden Boot auf, als ob sie das

Land dadurch deutlicher erkennen könnten.

Bolitho stützte Viola und suchte wie die anderen. Ja, es war

Land.

«Morgen erreichen wir es. «Er nickte nachdrücklich.»Dann werden wir weitersehen.»

Sie erwiderte nur:»Ich habe nie daran gezweifelt, daß du es schaffen würdest.»

Während Keen wieder Ordnung schuf und die Leute an die Riemen zurückbrachte, saß Bolitho neben ihr in der Flicht wie seit Beginn ihrer Fahrt.

Sie lehnte sich an ihn, seinen Uniformrock fest um sich gezogen. Ihr Kleid war wie die meisten anderen Dinge bei dem Sturm über Bord gegangen.»Halte mich fest. Mir ist kalt, Richard. «Er legte den Arm um sie. In der Nacht würde es noch viel kälter werden, und ob sie protestierte oder nicht, er würde sie zwingen, einen Schluck Rum zu trinken. Doch als er sie an sich drückte, spürte er die Hitze in ihrem Körper wie Feuer.

«Es dauert nicht mehr lange«, sagte er.»Dann zünden wir ein Feuer an. Und dann werden wir das Schiff finden.«»Ich weiß. «Sie rückte näher an ihn heran und legte den Kopf an seine Brust.»Ein großes Feuer…«Das Boot bereitete sich auf eine weitere Nacht vor. Quare und Blissett kontrollierten ihre Musketen und das Pulver. Keen vergewisserte sich, daß Penneck in Sicherheit war, für den Fall, daß er noch einmal aus dem Boot springen wollte. Aber die Atmosphäre an Bord hatte sich geändert. Nicht mehr Angst und Furcht vor dem nächsten Morgen herrschten, sondern eine seltsame Zuversicht darüber, was er bringen würde.

Leutnant Thomas Herrick ging auf dem Achterdeck der Tempest ruhelos auf und ab. Das Schiff lag vor Anker, und trotz der ausgespannten Sonnensegel herrschte eine Hitze wie in einem Backofen, und nur tief unten im Orlop und in den Lasträumen konnte man Erleichterung finden. Seit fünfzehn Tagen stand die Fregatte unter seinem Befehl, und er hätte mit sich zufrieden sein können, wie er das Schiff geführt hatte und daß nichts Ungünstiges eingetreten war. Doch da er Herrick war, fühlte er sich nur als halber Mann, und selbst jetzt noch erwartete er beinahe jedesmal, wenn er Schritte auf dem Niedergang hörte, Bolitho an Deck erscheinen und dessen Blicke automatisch vom einen Ende des Schiffs zum anderen schweifen zu sehen. Er trat an die Reling und sah mit so etwas wie Haß zu der Insel hinüber. Den meisten würde sie weitgehend wie jeder beliebige andere kleine Flecken Land in der Südsee erscheinen. Für ihn stellte sie eine höhnische Herausforderung dar. Ein Mühlstein, der ihn hilflos machte. Er sah das Beiboot der Tempest, das träge zwischen Schiff und Ufer dahinglitt, die Waffen im Boot in der Sonne glänzend. Zwar hatten sie von der französischen Fregatte und Tukes Schonern keine Spur entdecken können, aber sie hatten trotzdem Gesellschaft. Große Kriegskanus, dicht besetzt mit dunklen Gestalten, hatten sich, soweit sie es wagten, dem Schiff genähert, wachten und beobachteten, ob die Besatzung der Tempest es wagen würde, die Heiligkeit der Insel durch eine Landung zu stören. In Gedanken kehrte Herrick häufig zu der Siedlung zurück und fragte sich besorgt, was dort wohl geschah. An Bord hatten sich keine Anzeichen des Fiebers gezeigt, so daß es wahrscheinlich erschien, daß es örtlich begrenzt blieb und nur Personen befiel, die sich seiner unmittelbaren Nähe aussetzten und nicht die Widerstandskraft eines Matrosen besaßen.

Er hatte mehrmals mit dem Schiffsarzt darüber gesprochen, doch das hatte ihm wenig geholfen. Gwyther hatte dem ungeduldigen Herrick auseinandergesetzt, daß ein» leichter Schnupfen«, der einem Landpfarrer in England nicht schadete, auf einer der Inseln Mann für Mann, Frau um Frau und Kind um Kind umbringen konnte, wenn die entsprechenden Vorbedingungen herrschten, andererseits aber kein Europäer die schrecklichen Qualen mancher Weihezeremonien überstehen würde, die hier vollzogen und widerspruchslos hingenommen wurden.»Das ist alles eine Frage des Ausgewogenseins, verstehen Sie?«hatte der Arzt gesagt.

Herrick wischte sich über das Gesicht. Es war wirklich eine Frage des Ausgewogenseins.

Borlase erschien an Deck und beobachtete ihn verstohlen.»Haben Sie eine Entscheidung getroffen, Mr. Herrick?«»Noch nicht.»

Herrick versuchte, die Frage in Gedanken beiseite zu schieben. Vor fünfzehn Tagen hatte er die Levu-Inseln verlassen und beobachtet, wie Bolitho an Land gerudert wurde. Inzwischen hätte er etwas von ihm hören müssen. Er fragte sich, was Bolitho sagen würde, wenn er von seinem Brief erfuhr. In seiner runden Handschrift hatte Herrick einen privaten Bericht an Kommodore Sayer in Sydney aufgesetzt und ihn zu der Brigg Pigeon geschickt, ehe sie Anker gelichtet hatte.

Herrick war über Kriegsgerichte und Untersuchungsausschüsse ausreichend informiert. Er wußte, daß ein Dokument, das zur Zeit der Vorgänge, die untersucht wurden, aufgesetzt worden war, weit mehr Gewicht besaß als ein sehr viel später niedergeschriebener, sorgfältig formulierter Bericht, wenn der Betroffene bereits wußte, welchen Weg die Dinge nehmen würden. Allerdings war schwer vorauszusehen, welche Beachtung die Ansicht eines gewöhnlichen Leutnants finden würde. Doch der Gedanke an dieses Schwein Raymond, der seinen Einfluß und seine Arglist benutzen würde, um Bolitho zu vernichten, konnte ihn nicht tatenlos beiseitestehen und zusehen lassen. Er sah Borlase an, der mit seinem kindlichen Lächeln wartete.

«Ich habe die Befehle des Kapitäns ausgeführt. Doch von der Narval oder den Piraten haben wir nicht das Geringste erfahren. Wenn es zu einem Seegefecht gekommen wäre,

hätten wir doch bestimmt etwas entdeckt. Treibholz, Tote, irgend etwas.»

Herrick zwang sich, zurückzudenken. Er hatte Hardacres kleinen Schoner vor der Nordinsel entdeckt, aber der Kapitän hatte ihm nichts zu berichten. Er war sehr froh, daß er Herrick begegnete, und noch glücklicher darüber, daß er zu der Siedlung zurückbeordert wurde. Für seinen Geschmack gab es in dieser Gegend zur Zeit zu viele Kriegskanus. Es war mehr als wahrscheinlich, daß Bolitho den Schoner mit neuen Anweisungen hierher nach Rutara zurückschicken würde. Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Nein, er tat es schon wieder. Schloß die Augen. Wich der Verantwortung aus.

Er dachte ruhiger darüber nach. Auf einem Kriegsschiff konnte es jederzeit geschehen. Durch Zufall, in der Schlacht, durch Krankheit konnte ein Kapitän sterben. Dann übernahm sein ranghöchster Untergebener das Kommando. Und so weiter. Etwas anderes gab es nicht. Und hier, Tausende von Meilen von aller Welt entfernt, lag die Bürde nun auf ihm.

Unvermittelt sagte er:»Ich werde morgen Anker lichten lassen. «Er sah Borlases Augen aufblitzen.»Der Schoner hätte uns Nachricht bringen müssen. «Borlase schlug die Augen nieder.»Das ist ein schwerer Entschluß für Sie.»

«Verdammt noch mal, glauben Sie, das wüßte ich nicht selbst, Sie Narr!»

Borlase errötete.»Ich bedauere, daß Sie diese Haltung einnehmen, Sir.»

«Gut.»

Herrick sah den als Leutnant agierenden Swift träge die Steuerbordgangway entlangkommen. Er hatte die Wache. Es ist, als hätte man eine Messe voller Kinder und alter Männer, dachte Herrick wütend.

«Mr. Swift!«Der junge Mann fuhr zusammen.»Rufen Sie das Boot zurück und wechseln Sie die Mannschaft aus. Es gehört zu Ihren Aufgaben, daran zu denken!«Ross, der große Steuermannsmaat, der auf Bolithos Befehl gleichfalls provisorisch zum Leutnant ernannt worden war,

kam zu ihm geschlendert.

Grollend sagte Herrick:»Und fragen Sie mich jetzt nicht auch, was ich tun werde.»

Ross' Gesicht blieb unbeweglich.»Das war gar nicht meine Absicht, Sir.»

Bei der Pforte war das Scharren von Füßen zu hören, und Swift kam nach achtern gerannt, sein sonnenverbranntes Gesicht zuckte vor Aufregung.

«Sir! Der Wachtposten hat auf der Insel zwei Männer entdeckt. Als ich das Wachtboot anrief, schienen sie aus dem Nichts aufzutauchen.»

Herrick griff rasch nach einem Glas und richtete es auf das Ufer. Einen Augenblick konnte er wegen des tanzenden Dunsts, in dem die niedrigen Hügel wie Gelee zitterten, nichts ausmachen. Dann sah er sie: zwei schwankende, hilflose Gestalten, die sich gegenseitig stützten, manchmal fielen, sich wieder aufrichteten und weiter zum Ufer taumelten. Wie zwei betrunkene Vogelscheuchen, dachte er. Ross meldete laut:»Die Kanus haben sie auch entdeckt,

Sir.»

Herrick schwang das Teleskop herum. Masten, Wanten und dann offenes Wasser fegten durch das Blickfeld der starken Linsen, die sich dann auf das nächste Kanu richteten. Der Abstand betrug eine Meile, aber an seinen Absichten bestanden keine Zweifel. Die Eingeborenen mußten die beiden Männer auf der Insel auch entdeckt haben. Das nächstgelegene Kanu war ein imposantes Fahrzeug mit einem großen, burgähnlichen Aufbau am Heck, mit Kriegsschmuck aus Vogelfedern verziert und reich geschnitzt. Es muß mindestens vierzig Fuß lang sein, dachte er mit fachmännischem Interesse.

Er bellte:»Alarmieren Sie die Besatzung, aber schicken Sie sie nicht auf Gefechtsstation. Mr. Brass soll die

Zwölfpfünder feuerbereit machen. Ich werde nicht dulden,

daß diese Burschen unverschämt werden.»

Pfeifen trillerten unter den Decks, und aus allen Richtungen erschienen Seeleute und Marinesoldaten.

Borlase bemerkte:»Aufjeden Fall sind sie beide Weiße.»

Das Wachtboot, dessen Besatzung die beiden Männer am

Ufer noch nicht wahrgenommen hatte, erreichte dankbar den Schatten der Tempest. Herrick lief zur Gangway, und als er sich aus dem Schatten der Sonnensegel hinaus über die Reling beugte, spürte er die Sonne wie ein Brandeisen im Nacken. Schultz, der deutsche Bootsmannsmaat, blickte zu ihm auf.

Herrick schrie ihm zu:»Fahren Sie zurück zum Ufer. Sagen Sie den beiden Männern, sie sollen zu Ihnen herausschwimmen. Schicken Sie ihnen einen Mann entgegen, wenn es sein muß. Aber bleiben Sie mit dem Boot vom Strand fort.»

Die Köpfe im Boot wandten sich zwischen der Insel und den Kanus hin und her.

Herrick fügte hinzu:»Noch was, Schultz! Überlassen Sie das Anrufen einem anderen.«»Ja, Sir. Ich verstehe. «Er grinste.

«Mein Gott!«Herrick zog sich wieder in den Schatten zurück.»Diese verdammte Hitze!»

Er sah zu den lose aufgegeiten Segeln hinauf, die innerhalb von Minuten gesetzt werden konnten. Die Tempest war jämmerlich unterbemannt, aber so einsatzbereit für einen Kampf, wie ein Schiff es nur sein konnte. Eine Stückpforte wurde geöffnet und einer der Zwölfpfünder knarrend ins Sonnenlicht ausgefahren. Mr. Brass, der Stückmeister, stand, die Hände in die Hüften gestützt, und beobachtete die von ihm bestimmte Mannschaft beim Laden und Einrammen der glänzenden, schwarzen Kugel. Neben dem Stückmeister versuchte Midshipman Romney, klein und zierlich neben den robusten Matrosen, keinem im Weg zu stehen.»Feuerbereit, Sir.»

Herrick nickte. Die Kanus waren jetzt viel näher, die Paddel hoben und senkten sich in vollkommenem Gleichmaß. Er schauderte trotz der Hitze. Er dachte an andere Gelegenheiten, als er sie ohne den Schutz der soliden Schiffsplanken beobachtet hatte.

«Darf ich sprechen, Sir?«Es war ein junger Matrose namens Gwynne, den Herrick von der Eurotas angeworben hatte. Er hatte sich gut eingefügt und schien mit seiner merklich rauheren Umgebung recht zufrieden zu sein.»Ja, Gwynne.»

Der Matrose trat verlegen von einem nackten Fuß auf den anderen, als sich die Offiziere um ihn scharten. Selbst Prideaux war jetzt dabei, obwohl sein Fuchsgesicht Mißbilligung verriet.

«Diese zwei Leute, Sir. Ich kenne sie. Sie sind von der Eurotas. Genau wie ich.»

Herrick fixierte ihn.»Sind Sie sicher, Mann? Nehmen Sie das Glas und sehen Sie noch mal hin.»

Prideaux sagte gedämpft:»Wenn das stimmt, müssen sie

übergelaufen sein, als Tuke das Schiff überfiel.»

«Das weiß ich auch. «Herrick beherrschte mühsam seinen

Ärger.»Bringt sie nach achtern, sobald sie an Bord sind.»

Gwynne nickte nachdrücklich.»Aye, Sir. Sie sind es bestimmt. Der Große heißt Latimer, gehörte zur

Vormastcrew. Ziemlich dummer Kerl. Der andere ist

Mossel, Vollmatrose. «Er schnitt eine Grimasse.»Ein richtiger Galgenvogel.»

Borlase blähte die Wangen auf.»Und genau als das wird er enden.»

Herrick nickte Gwynne zu.»Danke. Das ist eine wertvolle

Hilfe.»

Er sah zu den beiden Gestalten auf der Insel, die jetzt im Wasser wateten und dann plötzlich auf das Boot zuschwammen.

Der Meeresgrund fiel schnell steil ab, wie Herrick festgestellt hatte, als er ankerte. Aber Schultz hatte die beiden Schwimmer schon erreicht.»Die Kanus drehen ab, Sir.»

Herrick spähte zu den schlanken Kanus mit ihren eifrigen Paddlern hinaus. Vielleicht hatten sie darauf gelauert, diese beiden Vogelscheuchen selbst zu fassen. Herrick dachte an das, was Tinah von dem Leutnant der Miliz berichtet hatte: bei lebendigem Leib in Lehm gebacken. Es war zu grausig, auch nur daran zu denken.

Er rief:»Entladen Sie das Geschütz. Es hat keinen Sinn, eine gute Kugel zu vergeuden.»

Brass legte die Hand an die Stirn. Er sah enttäuscht aus, fand

Herrick.

Er sah den Arzt und einen seiner Gehilfen bei der Einstiegspforte warten.

«Schaffen Sie sie zu mir, wenn Sie sie untersucht haben. «Gwyther sah ihn überrascht an.»Aber sie könnten sehr krank sein, Sir. Sie haben selbst gesagt, daß es auf der Insel kein Wasser gibt.»

«Ich sagte >untersucht<, Mr. Gwyther. «Er war nicht bereit, sich noch einmal mit der Frage des» Ausgewogenseins «zu befassen.»Und ich meinte, nicht erst, nachdem sie sich einen Monat lang erholt haben.»

In der Kajüte saß er an Bolithos Schreibtisch, während

Cheadle, der Schreiber, vor einer kleinen Truhe kniete und wie besessen in Papieren wühlte.

Prideaux klopfte an die Tür.»Es ist soweit, Mr. Herrick.»

Die beiden Männer kamen in die Kajüte. Sie blinzelten benommen und wurden von Pearse, dem Schiffskorporal,

und Scollay, dem Schiffsprofoß, halb gestützt.

Gwyther benahm sich wie ein aufgescheuchter Vogel.»Ich schlage vor, daß sie sich setzen dürfen, Sir«, sagte er.

Herrick musterte die beiden Männer kalt.»Wann ich es für richtig halte.»

Sie waren in schlechter Verfassung. Ausgemergelt und mit wilden Augen, die Münder und einen großen Teil der Haut von Schwären bedeckt, die Lippen aufgesprungen vom Durst.

Er erinnerte sich an das, was Gwynne von Mossel gesagt hatte, und wollte es gern glauben. Untersetzt und mit niedriger Stirn wie er war, konnte es nicht viel gekostet haben, um aus ihm einen Piraten zu machen. Herrick sagte:»Ihr seid von der Eurotas.«Er beobachtete den überraschten Blickwechsel.»Ihr könnt mir also das Märchen ersparen, daß ihr Schiffbrüchige wärt und als einzige überlebt hättet. Das haben schon klügere und glaubwürdigere Schurken als ihr versucht. «Der große, schlacksige Matrose namens Latimer versuchte, näher an den Schreibtisch zu treten, aber Scollay knurrte:»Bleib stehen, Kerl.»

Latimer sagte mit heiserer, verängstigter Stimme:»Es war nicht meine Schuld, Sir.»

Prideaux fixierte ihn scharf. Seine Finger strichen über den Griff seines Degens.»Das ist es nie. «Der Mann fuhr gebrochen fort:»Sie haben das Schiff genommen, ehe wir etwas unternehmen konnten. Ich wollte helfen, den Kapitän zu retten, aber… «Der andere namens Mossel knurrte:»Halt's Maul, du Narr. «Herrick musterte ihn nachdenklich. Sie mußten sich tagelang auf der Insel versteckt gehalten haben, voller Angst vor den wachsamen Kanus und gegen jede Hoffnung hoffend, daß ein Schiff nahe genug vorbeikam, um sie zu retten. Doch nicht ein Schiff des Königs. Nur der Durst und die grimmige Erkenntnis, daß sie nicht viel länger überleben würden, hatten sie gezwungen, sich zu zeigen. Herrick sagte ruhig:»Schicken Sie nach dem Bootsmann. «Er sah Midshipman Fitzmaurice unter der Tür.»Mein Kompliment an Mr. Jury, und er soll an der Großrah Stricke anbringen lassen.»

Die Wirkung zeigte sich sofort. Latimer fiel schluchzend auf die Knie.»Das ist nicht gerecht, Sir. Bitte hängen Sie mich nicht. Die anderen haben uns dazu gezwungen. Wir hatten keine Wahl.»

«Es gibt viele, die sich den Piraten nicht angeschlossen haben und noch leben, um es zu bezeugen«, entgegnete Herrick.

Fitzmaurice fragte höflich:»Soll ich den Bootsmann benachrichtigen, Sir?»

«Lassen Sie mich überlegen. «Herrick sah zu, wie Latimer vom Boden hochgezogen wurde.

Mossel sagte:»Wir werden sowieso gehängt. Was soll's, zum Teufel?«Er krümmte sich, als der Schiffskorporal ihm die Faust in die Rippen stieß.

Herrick stand auf. Latimers Jaulen und seine eigene Rolle ekelten ihn an. Aber die Zeit drängte. Es stand mehr auf dem

Spiel als der Hals eines verdammten Meuterers.

Schroff befahl er:»Bringt ihn hinaus. «Zu Latimer fügte er hinzu:»Und Sie setzen sich auf diese Kiste. Ich will nicht,

daß Ihr Schmutz die Möbel des Kapitäns verdirbt.»

Als sich die Tür hinter Mossel geschlossen hatte, fragte

Latimer:»Sind Sie nicht der Kapitän, Sir?«»Nein. Verstehen Sie also: was mein Kapitän nicht weiß, braucht er nicht zu berücksichtigen. Ich kann Sie auf der Stelle hängen, und niemand wird je danach fragen. Ich kann Sie zurück an Land bringen und sagen, daß Sie mir bei meinen Nachforschungen geholfen hätten, und man wird es glauben. Der Kapitän ist an bestimmte Regeln gebunden, ich bin das nicht. «Er beobachtete, wie die Lüge von dem Mann Besitz ergriff, dann schrie er ihn an:»Reden Sie also schon, oder Sie werden noch vor acht Glasen baumeln. «Die Geschichte, die Latimer vorbrachte, war ebenso phantastisch wie erschreckend.

Mit brüchiger, heiserer Stimme berichtete der Mann, der unter Kapitän Lloyd zur Mannschaft des Vormastes gehört hatte, von seinem Dienst an Bord eines Piratenschoners; es war der unter dem Kommando von Mathias Tuke. Gefürchtet, und das mit gutem Grund, verschaffte sich Tuke dennoch eine Art Respekt bei seinen Leuten. Latimer berichtete von seinem Angriff auf die Nordinsel, wie sie Geschütze an Land gebracht und das Dorf in Brand gesetzt hatten. Er beschrieb Mordtaten und bestialische Grausamkeiten, die sich nach Tukes Vorbild bei seiner Gefolgschaft breitmachten, so daß der Tod zu alltäglich wurde, um darüber zu reden.

Er berichtete, daß auch der Franzose Yves Genin an Bord des Schoners gewesen war, sich aber an den Morden und Plünderungen nicht beteiligt hatte. Er schien eine Art Übereinkommen mit seinem brutalen Geschäftspartner zu haben.

Latimer hatte in einer Nacht eine Auseinandersetzung gehört, nachdem sie den ganzen Tag getrunken hatten. Tuke hatte getobt, daß er Genin überhaupt nicht brauche, daß schon das Gerücht, er sei bei ihm an Bord, genüge, um diesen Wahnsinnigen de Barras in eine Falle zu locken. Genin hatte ebenso erregt erwidert, daß seine Leute an Bord der Narval ohne Nachricht von ihm nicht handeln würden. Herrick hörte gebannt zu. So war es also, beinahe genauso, wie Bolitho gesagt hatte. Genin war ein Köder, aber er hatte einige seiner Anhänger bereits in die Besatzung der französischen Fregatte eingeschmuggelt. Vermutlich hatten sie angemustert, als de Barras hinter seinem entkommenen Gefangenen herjagte.

Das Schlimmste sparte Latimer sich für den Schluß auf. Mit seiner brüchigen Stimme berichtete er:»Ehe Tuke uns aussetzte, überfiel er den Schoner der Siedlung. Er folterte den Kapitän und warf ihn den Haien zum Fraß vor. Doch erst, als er alles über Ihr Schiff und Ihren Aufenthalt erfahren hatte. Er lachte wie wahnsinnig und quälte die ganze Zeit über den Kapitän des Schoners mit einer glühenden Messerklinge.»

Herrick starrte ihn an. Der Schoner hatte die Siedlung also überhaupt nicht mehr erreicht. Die Tempest war hier oben, und es war bekannt, daß sie hier war. Er fragte:»Sonst noch etwas?»

Latimer betrachtete seine teerigen Hände.»Wir nahmen ein kleines Handelsschiff, holländisch war es, glaube ich. Es hatte Briefe an Bord, Nachrichten über den Aufruhr in Frankreich.»

«Allmächtiger Gott!«Das war Öl ins Feuer.»Und dann?«»Ich und Mossel wurden erwischt, als wir von der Beute stahlen, Sir. Kapitän Tuke setzte uns aus. Er wußte, daß es hier kein Wasser gab und daß die schwarzen Teufel uns umbringen würden, wenn wir versuchten zu entkommen. «Herrick nickte.»Ihr Kapitän Tuke ist ein schlauer Mann. Er wußte, daß wir kommen, daß wir denken würden, diese Kanus würden uns bewachen, und daß wir hier vor Anker liegen blieben. «Er sah Prideaux an.»Und als er Genins Leute an Bord der Narval verständigte, kam es dort zur Meuterei, was ich in mancher Hinsicht verstehen kann. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er ein Pirat ist und bleiben wird.»

Prideaux schüttelte den Kopf.»Das glaube ich nicht. Wenn er die Narval einsetzen kann, um einen großen Coup durchzuführen, könnte er sich um Legalität und Anerkennung bemühen und dabei Genins Hilfe finden. «Herrick biß sich auf die Lippe.»Das mag alles so sein, aber wir leben nicht mehr in den Zeiten eines Henry Morgan. «Latimer hörte ihnen ängstlich zu.»Ich habe was von

Versorgungsschiffen gehört, Sir«, sagte er.»Der Holländer hat Tuke so was erzählt. Sie kämen um Kap Horn auf dem Weg nach Neusüdwales.»

Herrick wandte sich wieder an Prideaux.»Da haben Sie es. Er wird nach einer neuen Basis suchen, seine erbeuteten Geschütze montieren und sich auf den größten Schlag seines Lebens vorbereiten. «Er blickte aus dem Heckfenster und sah die violetten Schatten, die sich vom Land her ausbreiteten. Er kam zu einem Entschluß.»Verdammt, morgen früh lichten wir Anker und kehren zur Siedlung zurück. Bei Dunkelheit wage ich es nicht, hier durch die Klippen zu fahren. Es war schlimm genug, hierher zu kommen.«»Und wir, Sir?»

Herrick fixierte Latimer ein paar Sekunden lang.»Ihr Kumpan wird gehängt, allerdings nicht von mir. Ich will sehen, was ich für Sie tun kan. Es kann sein, daß Sie vielen das Leben gerettet haben. Das könnte Ihnen helfen. «Er wandte sich ab, als der Mann schluchzend aus der Kajüte geschafft wurde.

Prideaux sagte erbittert:»Menschen das Leben gerettet? Mein Gott! Wir sind gar nicht in der Lage, irgendwo rechtzeitig hinzukommen. Ich meine, Sie sollten nach Sydney zurückfahren. Soll doch der Kommodore die Verantwortung übernehmen.»

Herrick fühlte sich wohler, nachdem er einen Entschluß gefaßt htte. Ohne den Schoner konnte Bolitho ihn nicht benachrichtigen. Die Tempest mußte wieder unter das Kommando ihres verantwortlichen Kapitäns, ohne Rücksicht auf das Fieber.

«Benachrichtigen Sie Mr. Lakey«, sagte er.»Ich möchte den Kurs für morgen mit ihm besprechen. Danach treffen wir uns hier zu einer Konferenz.»

Als Herrick allein in der Kajüte war, ging er an das Heckfenster und starrte auf das unruhige Wasser. Ein leichter Wind wehte; in der vergangenen Nacht hatte Sturm geherrscht, wenn auch in einiger Entfernung, doch auch hier war die See kabbelig. Man konnte nie sicher sein, was das Wetter brachte.

Lakey trat in die Kajüte.

«Wir gehen den Kapitän holen, Mr. Lakey«, begrüßte Herrick ihn.

Der Steuermann sah ihn forschend an.»Es wird auch Zeit«, antwortete er trocken.

Halb kauernd, halb stehend, hielt Blissett im Bug des Bootes Wache. Mit beiden Händen umklammerte er den Vordersteven, um sich im Gleichgewicht zu halten. Er war verzweifelt müde, vor Hunger schmerzte ihn der Magen so sehr, daß er sich gleichzeitig übel und benommen fühlte. Hinter seinem Rücken hoben und senkten sich die Riemen sehr langsam, und ihr Schlag war unregelmäßig und unsicher.

Vor Kälte knirschte er mit den Zähnen. In einer Stunde etwa würde die Sonne wieder aufgehen, und dann… Er bemühte sich, nicht daran zu denken, sich auf etwas zu konzentrieren, das seinen Kopf davon abhielt, hin und her zu schwanken. Gelegentlich hörte er die Pinne knarren und stellte sich Leutnant Keen vor, der dort saß und sich nach den Sternen richtete, um das Boot einigermaßen auf Kurs zu halten. Bei dem schweren Sturm hatten sie die Laterne für den Kompaß verloren, und es verlangte großes Können, das Boot vor dem Abtreiben zu bewahren, da die Ruderer zu erschöpft waren, um es zu bemerken.

Deshalb war Blissett im Bug eingesetzt. Abgesehen davon, daß er einer der kräftigsten Männer im Boot war, hatte sein früheres Leben als Wildhüter seine Sehkraft ganz besonders geschärft. Er hatte keine Ahnung, ob die Insel, die sie vor Einbruch der Nacht gesichtet hatten, die von ihnen gesuchte war, aber das interessierte ihn auch nicht sonderlich. Doch bei dem hohen Grad ihrer Erschöpfung war es mehr als nur möglich, daß sie in der Dunkelheit an ihr vorbeifuhren. Er gähnte und versuchte, die Kälteschauer zu unterdrücken. Er ahnte, daß Penneck ihn vom Boden des Bootes aus beobachtete. Mit wilden Wahnsinnsaugen. Wenn du wieder anfängst zu toben, ramme ich dir meine Muskete ins Maul, dachte er. Als sich etwas Weißes durch die Dunkelheit bewegte, erstarrte er. Aber es war kein Vogel. Nur ein

Schaumspritzer von einem brechenden Wellenkamm. Die See schien schon heller zu werden, stellte er mit Unbehagen fest. Bald kam die Sonne. Die Qual. Jemand kletterte über die Ducht hinter ihm und fragte heiser:»Nichts?«Es war der Sergeant, der sich bereitmachte, seine Tour an einem Riemen zu übernehmen. Blissett schüttelte den Kopf.»Es fängt an zu dämmern.«»Ja. «Quare wirkte sehr bedrückt.

«Macht nichts, Sergeant. «Plötzlich war es für Blissett lebenswichtig, daß Quare so war wie immer: zuversichtlich, hart.»Wir werden es schaffen.»

Quare lächelte müde, verzog schmerzlich das Gesicht, weil ihm die aufgesprungenen Lippen weh taten.»Wenn du meinst?»

Blissett wandte sich von ihm ab. Wenn Quare wirklich glaubte… Er erstarrte, blinzelte heftig, weil etwas das gleichmäßige Gefüge der Wogen zu unterbrechen schien. Mit unsicherer Stimme sagte er:»Sergeant! Da vor uns ist Land. «Er packte Quares Arm.»Mein Gott, sagen Sie, daß ich recht habe.»

Quare schluckte hart und nickte.»Ja, Junge, du hast recht. Ich sehe es auch. «Heftig drehte er sich nach achtern um.»Land voraus!»

Die Riemen gerieten augenblicklich außer Kontrolle, als die Ruderer aufsprangen.

Bolitho konnte sich nicht bewegen, da er, einen Arm um Violas Schultern gelegt, eingeschlafen war.»Mr. Keen! Was sehen Sie?«fragte er hastig. Aber die Antwort kam von Allday.»Das ist sie, Captain. Ich bin sicher. «Er sah sich im Boot um.»Da sind so viele verdammte Inseln, aber wir haben die richtige gefunden. «Ein paar wollten jubeln, andere weinen, aber selbst dazu waren sie zu ausgedörrt.

Ruhig sagte Bolitho:»Viola, wach auf. Du hast recht gehabt. Das muß Rutara sein, obwohl es fast schon ein Wunder ist. «Allday hörte ihn, seufzte auf und rieb sich die schmerzenden Hände an seiner Hose. Er wollte in diesem Augenblick etwas Besonderes sagen. Etwas, das sie zusammenhielt, lange nachdem das Boot, die Qualen dieser Fahrt in ihrer

Erinnerung verblaßt waren.

Er sah Bolitho an und dann Viola Raymond. Bolitho hielt sie an sich gedrückt, wie er es den größten Teil der Nacht über getan hatte. Doch als er sie jetzt zu wecken versuchte, entglitt ihr Arm seinem Griff, hing an ihrer Seite herab und schwankte mit dem Stampfen des Bootes. Allday fuhr auf. Mit heiserer Stimme rief er:»Mr. Keen! Kümmern Sie sich um den Captain!«Er drängte sich nach hinten, stieß die Männer achtlos beiseite und fügte eindringlich hinzu:»Tun Sie, was ich sage, Sir. «Dann war er bei der Pinne, umfing sie beide mit den Armen und rief:»Fassung, Captain. Es ist sinnlos. Überlassen Sie sie mir, bitte!«Und als Bolitho anfing, sich zu wehren, rief er:»Haltet ihn!«Er drehte den Kopf, flehte mit brechender Stimme:»Um Gottes willen, Mr. Keen!«Erst jetzt hatte Keen begriffen. Er packte Bolitho um die Schultern, und Jenner umfaßte den Kapitän von der anderen Seite. Der Amerikaner entschuldigte sich stammelnd:»Ich muß das tun, Sir. Ich darf Sie nicht loslassen. «Allday hob Viola auf, nahm sie in die Arme, trug sie zur Mitte des Bootes und spürte, wie der Wind ihm ihr Haar ins Gesicht wehte. Ihr Körper war noch warm, aber ihr Gesicht lag eiskalt an seinem Hals.

Mit unterdrückter Stimme sagte er zu Miller:»Der Anker, Jack.»

Miller nickte. Wie alle anderen war er fast betäubt von dem, was geschehen war. Ihre überstandenen Leiden, der Anblick der Insel, es bedeutete alles nichts.

Bolitho schrie auf:»Nein!«Allday hörte seine Schuhe auf den nassen Bodenplanken scharren, während Keen und Jenner ihn zurückhielten.

Behutsam streifte Allday Bolithos Uniformrock von Violas Körper und hob sie über die Bordwand, während Miller eine Leine um ihren Körper schlang und den Anker des Kutters daran befestigte. Kein Hai oder Aasfresser sollte ihr nahe kommen.

Sie war so leicht, daß sich die Oberfläche kaum bewegte, als er sie ins Wasser gleiten ließ. Er blickte der hellen Gestalt nach, die langsam in der Tiefe verschwand, bis nichts mehr von ihr zu erkennen war.

Dann ging Allday nach achtern und blieb vor Bolitho stehen. Sein kräftiger Körper hob sich vor dem bleicher werdenden Himmel ab. Elend sagte er:»Machen Sie jetzt mit mir, was Sie wollen, Captain, aber es war das Beste so. «Er legte den Uniformrock neben Bolitho.»Sie hat ihre Ruhe gefunden. «Bolitho beugte sich vor und packte seine Hand.»Ich weiß. «Seine Stimme war kaum vernehmbar.»Ich weiß. «Keen befahl schwerfällig:»An die Riemen!«Das Boot setzte sich wieder in Bewegung. Langsam breitete sich das Tageslicht über dem Wasser aus. Bolitho blickte zurück. Fast unhörbar sagte er:»Es ist meine Schuld. Ohne mich wäre sie nie hierher gekommen. «Ruhig hielt ihm Keen entgegen:»Doch ohne sie hätte keiner von uns überlebt, Sir.»

Eine halbe Stunde später war die Insel im wachsenden Licht klar sichtbar, und dicht unter Land hob sich mit ausgespannten Sonnensegeln deutlich die Tempest ab. Doch diesmal gab es keinen Jubel, und während sie näherkamen, die plötzliche Aufregung an Bord der Fregatte wahrnahmen, die schrillen Pfeifen und lauten Befehle hörten und beobachteten, wie ein Boot zu Wasser gelassen wurde, war ihnen der grausame Verlust stärker bewußt als ihre Rettung.

Das Boot der Tempest erreichte sie in wenigen Minuten, nahm sie in Schlepp. Die bedrückte Stille hatte sich unvermittelt auch auf dessen Besatzung übertragen. Als Bolitho an der Bordwand hinaufkletterte und durch die Pforte trat, nahm er die sich herandrängenden Männer nur verschwommen wahr.

Nur ein Gesicht hob sich ab, und er packte Herricks Hand, war aber unfähig zu sprechen und die Hand wieder loszulassen.

Herrick sah ihn besorgt an.»Sie haben diesen weiten Weg zurückgelegt, Sir? Was…»

Er drehte sich um, als Keen hinter ihm sagte:»Die Lady ist heute nacht gestorben, Sir. In Sichtweite dieser verfluchten Insel. «Dann eilte er davon.

Herrick sagte:»Kommen Sie, Sir. Wir sprechen später darüber.»

Er winkte dem Bootsmann, aber den erschöpften und bedrückten Männern wurde bereits an Bord geholfen. Bolitho nickte jedem einzelnen zu, als sie an ihm vorbeikamen. Der diensttuende Leutnant Pyper wurde von zwei Matrosen getragen, Billyboy humpelte, einen Arm um den Nacken eines anderen gelegt. Jenner und Miller, Sergeant Quare und der unerschütterliche Blissett. Der Franzose Lenoir und Big Tom Frazer.

Allday legte die Hand an die Stirn.»Alle an Bord, Captain. «Er beobachtete ihn, suchte nach einem Zeichen. Dann fügte er hinzu:»Sie können stolz auf das sein, was Sie getan haben, Captain. Da gibt's gar keine Frage. «Dann ging auch er langsam auf den Niedergang zu.

Herrick folgte Bolitho nach achtern, vorbei an den stummen, beobachtenden Gesichtern. Ihm fiel auf, wie Bolitho seinen Uniformrock trug. Als ob er sein konstbarster Besitz auf der Welt wäre.

Zögernd fragte er:»Haben Sie Befehle, Sir?«Er blieb zurück, als Bolitho ihn anblickte.»Selbstverständlich kann es warten, aber…»

«Es kann nicht warten, Mr. Herrick. «Wieder der ungestüme Griff nach seinem Arm.»Thomas, wir bekommen Arbeit. Bringen Sie das Schiff in Fahrt, bitte. Wir segeln zurück zu den Levu-Inseln.»

Als Bolitho den Niedergang hinabstieg, sagte Lakey in erregtem Flüsterton:»Fünfhundert Meilen, Mr. Herrick, in diesem Boot! Und mit kaum etwas, wovon sie sich ernähren konnten. «Er schüttelte den Kopf.»Sie müssen eine verborgene Kraftreserve gehabt haben.»

Herrick nickte bedrückt.»Ja, Mr. Lakey, das hatten sie.

Doch jetzt ist sie tot. Ich könnte mich umbringen für manches, was ich gedacht oder gesagt habe.»

Er bemerkte den Bootsmann, der vom Niedergang zu ihm herübersah.

«Mr. Jury, seien Sie so gut, den Kutter zu versenken, ehe wir Anker lichten.»

«Aber Sir, ein Boot! Jedes Boot ist hier draußen wertvoll. «Jury war schockiert.

«In diesem Fall halte ich es für besser, ihn zu vernichten. «Herrick sah zum Skylight der Kapitänskajüte hinüber.»Ich wünsche bei Gott, ich könnte auch die Erinnerungen daran auslöschen.»

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