VI Revanche

Bolitho legte die Feder hin und reckte die Arme. Es war früher Abend, zu früh für eine Lampe, aber nicht mehr hell genug zum Schreiben. Er sah sich in der großen Kajüte der Eurotas um. Jetzt, nachdem die geplünderten Kisten und verstreuten Kleidungsstücke weggeräumt waren, wirkte sie nahezu normal.

Er stand auf und ging zu dem hohen Heckfenster. In einiger Entfernung an Steuerbord segelte sein eigenes Schiff, die Tempest: ein bildschöner Anblick. Bram- und Marssegel schimmerten rosig im Sonnenlicht, ihr Bug sprühte Gischt, während sie stetig eine Welle nach der anderen durchpflügte.

Herrick hielt die Tempest weit in Luv für den Fall, daß doch jemand auf der Eurotas einen Handstreich versuchen sollte. Wäre wirklich jemand töricht genug dafür, konnte er die Fregatte sofort unter vollen Segeln heranbringen und das andere Gesicht zeigen, das Bolitho erst vor drei Tagen an ihm gesehen hatte.

Als er die Eurotas vorsichtig aus der Bucht manövriert hatte, war die Tempest gerade um die Landzunge gekreuzt, genau wie er und Herrick geplant hatten. Zum erstenmal hatte Bolitho sein gefechtsbereites Schiff von außen gesehen. Mit ausgerannten Geschützen, Großsegel und Fock zu den Rahen aufgegeit, mit den in den Masten und unter den Schutznetzen kauernden Seesoldaten, die ihre Musketen schußbereit auf das langsamere Handelsschiff gerichtet hielten, bot die Tempest einen bedrohlichen Anblick. Wie Herrick später erklärte, hatte er keinerlei Risiko eingehen wollen. Selbst die hastig gehißte Flagge der Eurotas und Swifts Signale hatten ihn nicht überzeugt. Seine besten Geschützführer setzten zwei Zwölfpfünderkugeln neben den Rumpf des Handelsschiffes, während die Tempest ihnen signalisierte, beizudrehen und ein Enterkommando an Bord zu nehmen.

Nachdem Herrick Bolithos Bericht gehört und das Chaos selbst gesehen hatte, reagierte er weitgehend so, wie Bolitho es erwartet hatte. Er verbarg seine Erleichterung darüber, Bolitho lebend anzutreffen und die Aktion erfolgreich beendet zu sehen, hinter Vorwürfen.»Sie hätten auf uns warten sollen, Sir. Was hätte nicht alles geschehen können? Sie hätten von diesen Schurken getötet oder gefangen werden können.»

Selbst als Bolitho ihm erklärte, daß der Amerikaner Jenner einen der Meuterer mit brennender Lunte im Pulvermagazin aufgestöbert hatte, dem befohlen worden war, das Schiff mit allem in die Luft zu sprengen, hatte Herrick eigensinnig auf seiner Kritik beharrt.

Bolitho erinnerte sich mit einem verhaltenen Lächeln der Versuche Herricks, seine Mißbilligung zu bewahren. Er hatte es nie lange geschafft.

In den drei Tagen, die sie brauchten, um die Inseln hinter sich zu lassen und wieder Kurs auf Sydney zu nehmen, hatte Bolitho viel nachgedacht. Er hatte ihre Lage analysiert und einen Bericht für den Gouve rneur und Kommodore Sayer aufgesetzt.

Die Rebellion auf der Eurotas war ausgebrochen, als Feuer aus einer der vorderen Luken gemeldet wurde. In dem anschließenden wilden Durcheinander, das bei einem mit Zivilisten und Deportierten überfüllten Schiff nicht überraschen konnte, war das Achterdeck der Eurotas von einigen» Passagieren «gestürmt und besetzt worden, die in Santa Cruz an Bord gekommen waren, wo man Obst und Wein für die lange Fahrt um Kap Horn übernommen hatte. Offenbar war der Kurs der Eurotas monatelang beobachtet worden.

Bis die Besatzung festgestellt hatte, daß das Feuer nur auf ein paar ölige Lumpen in einem großen Eisentopf zurückzuführen war, befand sich das Schiff schon in anderen Händen. Einige Gefangene waren sofort zu den Meuterern übergegangen. Manche hatten versucht, ihre Frauen zu schützen, und waren auf der Stelle umgebracht worden. Kapitän Lloyd war mit vorgehaltener Pistole zur Kursänderung auf die Inselgruppe gezwungen worden. Anscheinend hatten die Piraten eine kritische Situation vorausgesehen, als sie von einem kleinen Postschiff, das auf dem Weg nach Sydney war, gesichtet wurden und ihr Erkennungssignal setzen mußten.

Sobald sie erst in Sichtweite der Inseln war, wurde jede Hoffnung der Besatzung, das Schiff wieder in ihre Gewalt zu bekommen oder auch nur den geringsten Widerstand zu leisten, zunichte. Denn ein großer, schwer bewaffneter Schoner eskortierte die Eurotas in die Bucht, und zwei Bootsladungen Männer kamen an Bord. Einer der loyal gebliebenen Seeleute hatte ausgerufen:»Die übelsten Schurken, die Sie sich vorstellen können, Sir!«Dann hatten die Schrecken wirklich begonnen. Plünderungen und trunkene Exzesse waren an der Tagesordnung. Ein Teil der Piraten hatte das Umladen der Ladung und Waffen, des Geldes und der Vorräte überwacht und die verstörten und eingeschüchterten Sträflinge dabei wie Sklaven eingesetzt, während die übrigen wie die Wilden auf dem Schiff hausten. Menschen waren totgeprügelt oder buchstäblich zerhackt, Frauen und Mädchen wieder und wieder in einem Taumel von Grausamkeit geschändet worden.

Kapitän Lloyd, ohne jeden Zweifel tief betroffen, daß es durch seinen Mangel an Wachsamkeit zur Katastrophe gekommen war, unternahm einen letzten Versuch, seine Wächter zu überwinden und die zuverlässigen um sich zu scharen. Vergeblich. Am nächsten Tag war keine Spur mehr von Kapitän Lloyd und seinen Offizieren oder auch nur dienstälteren Besatzungsangehörigen zu entdecken. Bolitho schritt rastlos in der Kajüte auf und ab. Er erinnerte sich an Violas Augen, als sie ihm diesen Alptraum geschildert hatte. Jede Stunde brachte Entsetzen und Verzweiflung. Die Piraten kamen und gingen, mißhandelten Männer und Frauen, prügelten sich mitunter sogar untereinander, von Brandy und Rum berauscht. Obwohl Viola Raymond ständig unten im Orlopdeck festgehalten wurde, hatte sie wahrgenommen, daß Geschütze von der Eurotas auf ein anderes, längsseit liegendes Schiff verladen wurden. Sie hatte den Eindruck gehabt, daß dieses Schiff niedriger als die Eurotas und vielleicht ebenso groß wie der Schoner gewesen war. Die kleine Orlopkajüte teilte sie mit einem Mädchen, das wegen Diebstahls zur Deportation verurteilt war. Jeden Tag wurde das Mädchen schreiend aus ihrem Verlies geschleppt; die Piraten ließen Viola über das schlimme Los, das ihm bestimmt war, nicht im Zweifel.

Nur einmal hatte Viola bei ihrer Schilderung die Fassung verloren. Das war, als sie ihre Gefühle beim Erscheinen der Tempest beschrieb.

Die Eurotas war von feindseligen Eingeborenen angegriffen worden, weil der Schoner, wie sie gehört hatte, eine andere Insel überfallen und verwüstet und viele Bewohner getötet hatte.

Schluchzend hatte sie gesagt:»Ich wußte, daß du in diesem Teil der Welt warst, Richard. Ich habe deine Karriere verfolgt, die Gazette auf jede Ernennung und Versetzung studiert. Als ich den jungen Valentin Keen an Bord kommen sah, wußte ich, daß dein Schiff eingetroffen war. «Sie berichtete auch, daß der Anführer der Piraten damit gedroht hatte, daß beim geringsten Versuch, die Besatzung des fremden Bootes zu alarmieren, das Pulvermagazin auf der Stelle in die Luft gesprengt und alle getötet würden.»Ich konnte nicht untätig danebenstehen, Richard. Dieser Schuft ließ einfach eine Handvoll Passagiere an Deck bringen, damit alles normal aussah. Er und einige andere hatten Uniformen der Handelsgesellschaft angezogen. Es war so viel gemordet worden, so viel Schreckliches geschehen. «Sie hatte das Kinn gehoben; das Leuchten in ihren Augen überglänzte ihren spontanen Trotz.»Wenn es ein anderes Schiff als deines gewesen wäre, Richard, hätte ich nichts tun können. Aber die Uhr — ich wußte, daß du dich daran erinnern würdest.«»Es war ein schreckliches Risiko. «Da hatte sie gelächelt.»Aber es hat sich gelohnt. «Bolitho sah sich in der Kajüte um. Hierher war Viola gebracht worden, um dem eigentlichen Anführer der Piraten gegenübergestellt zu werden. Ihre Beschreibung des Mannes war sehr treffend: ein Riese mit brustlangem Bart, der Tuke hieß und Engländer war. Jedenfalls hatte es diesen

Anschein.

Viola hatte gesagt:»Ein Mann ohne Barmherzigkeit und ohne die geringsten Skrupel. Seine Sprache war so ordinär wie er selbst. Er demütigte mich, vergewaltigte mich mit Worten. Er weidete sich an meiner Hilflosigkeit und meiner völligen Abhängigkeit von ihm, ob ich am Leben bleiben oder sterben würde. Aber wegen der Bedeutung meines Mannes als ihre Geisel blieb ich vor dem Los der anderen bewahrt.»

Unwillkürlich beschleunigten sich Bolithos Schritte, und sein Magen zog sich zusammen, als stünde er bereits im Nahkampf mit diesem Piraten.

Der Schoner und sein Begleitschiff, falls er eines hatte, hielten sich wohl irgendwo versteckt. Sicher genossen sie hämisch ihren Erfolg und die Frauen, die sie bei ihrer ersten Fahrt verschleppt hatten. Eine nicht allzuweit entfernte Insel oder Inselgruppe kam dafür in Frage. Die Karte hatte Bolito nichts verraten, und die gefangenen Piraten kaum mehr. Sie waren typisch für ihr Gewerbe, durch Mord und ein hartes Leben brutalisiert. Ihre Anführer mochten Beute machen und reich werden, aber Männer wie sie lebten von der Hand in den Mund und wie die Wilden, die sie waren. Selbst Drohungen ließen sie unberührt. Sie wußten, daß sie auf jeden Fall am Galgen sterben mußten. Gefoltert werden würden sie nicht, und ihre Angst vor Tuke war sogar im Schatten des Henkers größer als vor allem anderen. Einschließlich des unglückseligen Haggard, der dem Hai zum Opfer gefallen war, hatte Bolitho drei Leute verloren. Wenn man die Dunkelheit und die unbekannten Verhältnisse auf dem Schiff in Betracht zog, war dies ein Wunder. Und es sah so aus, als ob die Verletzten sich in wenigen Wochen erholen würden. Das Risiko war gerechtfertigt gewesen. Die Außentür der Kajüte wurde geöffnet, und James Raymond trat ein. Er trug ein frischgewaschenes, sauberes Hemd und einen anständigen grünen Rock und zeigte kaum Spuren des Durchlittenen. Einige Sekunden lang blieb er stehen und blickte Bolitho ausdruckslos an. Er war etwa im gleichen Alter wie der Kommandant, aber sein Gesicht, früher einmal gut geschnitten, wurde durch ein ständiges Stirnrunzeln entstellt. Übellaunigkeit, Mißmut, Anmaßung, alles verriet sich darin.

Raymond trat auf, als ob das Schiff ihm gehörte, seit er aus seinem winzigen Gelaß befreit worden war. Fünf lange Jahre war Bolitho ihm nicht mehr begegnet. Die ganze Zeit über hatte er angenommen, Raymonds Weg nach oben sei durch dessen Tätigkeit in Indien gefördert worden, durch seinen Verrat an dem Gouverneur, den zu beraten sein Auftrag gewesen war.

Jetzt erschien alles in einem anderen Licht. Während Bolitho auf See gewesen war, unzufrieden, weil er den Schauplätzen großer Ereignisse ferngehalten wurde, war Raymond schmählich zur Bedeutungslosigkeit abgeglitten. Die Position, die er jetzt übernehmen sollte, schien sogar noch geringfügiger zu sein als jene, die er vor fünf Jahren innegehabt hatte. Doch eine Reaktion auf diesen Sachverhalt ließ sich nicht erkennen.

Raymond bemerkte kühl:»Sie schreiben wohl noch an Ihren Berichten, Captain?»

«Ja, Sir. «Bolitho sah ihn fest an und versuchte, den Zorn zu verbergen, den er gegen diesen Mann empfand.»Hinter der Sache steckt mehr, als ich zunächst vermutet habe.«»Tatsächlich?«Raymond ging zum Fenster und blickte zu der Fregatte hinüber.

«Dieser Tuke. «Bolitho hielt inne; schon einmal hatte er Raymond zuviel anvertraut. Er sagte:»Schon allein mit der Beute aus diesem Schiff kann er sich königlich ausstatten.«»Soso. «Raymond drehte sich um, sein Gesicht lag im Schatten.»Ein Jammer, daß Sie ihn und seine verdammte Bande nicht stellen und vernichten konnten.«»Das stimmt.»

Bolitho beobachtete, wie Raymond die Hände an seinen Seiten öffnete und schloß. Er war weniger gelassen, als er scheinen wollte. Was würde geschehen, wenn sie erst den Hafen erreichten, welche Darstellung der Ereignisse würde Raymond geben? Nach allem, was Bolitho bisher erfahren hatte, hatte Raymond kläglich um sein Leben gefleht, als Tukes Leute die Eurotas in Besitz nahmen. Man mußte hoffen, daß Raymond um seiner persönlichen

Sicherheit willen keine Geheimnisse preisgegeben hatte. Die Südsee zog die Flaggen von einem Dutzend Ländern an, die immer auf der Suche nach mehr Handel, mehr Einfluß, mehr Territorien waren.

Vielleicht wußten die Verantwortlichen in Sydney mehr, als sie gesagt hatten. Bolitho hoffte es, denn solange nur die Tempest und die überalterte Hebrus die Autorität des Königs repräsentierten, konnte jede zusätzliche Bedrohung in diesen ausgedehnten Gewässern verhängnisvoll sein. Raymond sagte klagend:»Ich habe sehr viel Geld eingebüßt. Diese verdammten Schurken…«Er brach ab, seine Enthüllungen brachten ihn offenbar selbst aus der Fassung.»Ich werde dafür sorgen, daß sie alle hängen!«Viola Raymond öffnete die Tür und stützte sich mit einer Hand am Rahmen, als das Schiff stark überholte. Bolitho bemerkte die steife Haltung ihrer Schultern und spürte wieder den Zorn in sich aufwallen. Tuke hatte die Spitze eines erhitzten Messers gegen ihre nackte Haut gedrückt: sein Brandmal. Es mußte ein gräßlicher Schmerz gewesen sein.

Viola fragte:»Wen willst du an den Galgen bringen, James?«Und ihre Verachtung offen zeigend:»Als Mann der Tat kann ich mir dich nicht vorstellen. «Raymond entgegnete schroff:»Hör auf. Deine Dummheit hätte uns alle das Leben kosten können. Wenn du… «»Wenn sie nicht so klug reagiert hätte, wären die meisten Gefangenen und alle loyalen Männer bei lebendigem Leib mit diesem Schiff verbrannt. «Bolitho wandte sich Raymond zu.»Vielleicht hätte man Sie ja verschont, das kann ich nicht sagen. Aber den Tod so vieler gegen Geld und privaten Plunder abzuwägen, erscheint mir höchst unangemessen. «Er blickte fort, spürte Raymonds Haß und Violas Mitgefühl.»Auch ich habe ein paar gute Leute verloren. Haben Sie schon an die gedacht? Wissen Sie, ob der junge Haggard, der einem Hai zum Opfer fiel, nicht eine Familie oder eine Witwe in England hinterläßt?«Er hob die Schultern.»Vermutlich sollte ich diese Gleichgültigkeit allmählich gewöhnt sein, aber sie drückt mir immer wieder die Kehle zu.»

Rauh sagte Raymond:»Eines Tages, Bolitho, werde ich dafür sorgen, daß Sie Ihre Unverschämtheiten bedauern. Ich bin nicht blind und auch kein Narr. «Viola fragte:»Begleiten Sie mich an Deck, Captain?«Und zu ihrem Mann:»Für einen Tag habe ich genug ertragen. «Als sie hinausgingen, schlug Raymond die Tür mit solcher Gewalt zu, als wolle er sie aus den Angeln reißen. Im Dämmerlicht des Ganges blieb Bolitho stehen und faßte nach Violas Handgelenk.

«Schon drei Tage! Ich kann es nicht ertragen, dich mit ihm zusammenzusehen. Vielleicht hätte ich auf mein Schiff zurückkehren und einen Leutnant hier mit dem Kommando betrauen sollen. Es wird noch drei Wochen dauern, ehe wir Land sehen.»

Ihre Haut unter seinem Griff war weich und warm. Sie sah zu ihm auf, ihr Blick war fest.»Und ich habe fünf Jahre lang gewartet und gehofft. Wir haben es falsch gemacht. Wir hätten es wagen, mit den Konventionen brechen sollen. «Sie hob die Hand zu seinem Gesicht.»Ich habe nichts vergessen, nicht einmal den besonderen Geruch, den du an dir hast: nach Schiffen und Salz. Ich hätte mich eher zu den Haifischen, die deinen armen Matrosen umgebracht haben, ins Wasser gestürzt, als mich diesem Ungeheuer Tuke zu unterwerfen.»

Bolitho hörte das Schlagen einer Glocke, anschließend das Klatschen von nackten Füßen, als die Wache wechselte. Ross oder Keen konnten jeden Augenblick kommen. Er sagte:»Sei vorsichtig, Viola. Du hast dir deinen Mann zum erbitterten Feind gemacht.»

Sie hob die Schultern.»Dazu hat er sich selbst gemacht. Er rührte keinen Finger, um mich zu beschützen. «Allday kam laut polternd die Treppe herunter und warf ihnen einen kurzen Blick zu.

Viola fragte ruhig:»Und was sehen Sie voraus, Allday?«Sie lächelte ihm zu.»Auch noch mehr Probleme?«Allday kratzte sich am Kopf. Viola Raymond war Teil einer Welt, der er nie angehört und nur selten getraut hatte.»Sturmböen, Ma'am. Ich sehe sehr viele kommen. Aber ich habe keinen Zweifel, daß wir es schaffen.»

Bolitho blickte ihm prüfend nach.»Jetzt hat es ihm die Sprache verschlagen. Das passiert wirklich selten. «Sie gingen nach vorn, an dem großen Doppelrad des Ruders vorbei, hinaus auf das breite Deck.

Nach der stickigen Kajüte schmeckte die Luft frisch, und am Stand der Marssegel erkannte Bolitho, daß sie gute Fahrt machten. Er überlegte, ob Herrick ihn wohl durch sein Glas beobachtete und sich die gleichen Sorgen wie Allday machte.

Viola schob die Hand unter seinen Arm und sagte zur Begründung:»An Deck geht es sich sehr schwer, nicht?«Dann sah sie zu ihm auf, ihr Blick war herausfordernd, bittend.

Etwas leiser fragte sie:»Drei Wochen, sagst du?»

Er spürte, wie ihre Finger seinen Arm drückten.

«Nach so langem Warten könnte ich es nicht ertragen«, fuhr sie fort.

Keen stand mit Ross auf der Leeseite und beobachtete die beiden verstohlen.

Der Steuermannsmaat fragte:»Was halten Sie davon, Mr. Keen? Der Käpt'n scheint hier ebensoviel zu riskieren wie in der Schlacht. «Er lachte verhalten.»Mann, er ist ihr ganz schön verfallen, daran besteht kein Zweifel. «Keen räusperte sich.»Ja. Gewiß.»

Der große Schotte blickte ihn verwundert an.»Mr. Keen, Sir, Sie werden ja rot!«Er ging davon, amüsiert über seine Entdeckung, und ließ den Leutnant verwirrt zurück. Midshipman Swift, der sich in der Nähe aufhielt, fragte:»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?»

Keen funkelte ihn an.»Ja: Kümmern Sie sich um Ihren Dienst, verdammt noch mal.»

Die beiden an der Luvreling hörten davon nichts. Die Wildheit des Nahkampfes und alles, was vorher geschehen war, versank angesichts der dunkler werdenden blauen See. Und die Zukunft lag weiterhin in Ungewisser Ferne. Vielleicht war von Anfang an alles hoffnungslos gewesen; dennoch fühlte Bolitho sich wie erlöst.

Kommodore James Sayer trat erschöpft von den hohen Heckfenstern zurück, um der grellen Sonne zu entgehen, die in die Kajüte strahlte, als sein Flaggschiff vor Anker stark schwojte.

Er war gerade aus der Residenz des Gouverneurs zurückgekehrt und trug noch seine Paradeuniform. Unter dem Hemd war seine Haut kalt und klamm, selbst nach der Fahrt im offenen Boot.

Durch die Heckfenster konnte er gerade die Fregatte Tempest sehen; das dicke Glas verzerrte ihre Umrisse, als läge sie im Dunst. Im ersten Morgenlicht hatte sie Anker geworfen, und auf Sayers Signal war Kapitän Bolitho an Bord des Flaggschiffes gekommen und hatte seinen schriftlichen Bericht vorgelegt, aber auch eine mündliche Darstellung der Plünderung und Morde auf der Eurotas gegeben.

Der wichtigste Passagier, James Raymond, hatte das Flaggschiff nicht besucht, sondern sich direkt zum Sitz des Gouverneurs begeben.

Sayer atmete langsam aus, als er daran dachte, wie er dort empfangen worden war. Im allgemeinen kam er mit dem Gouverneur gut aus, wenn man die übliche Distanz zwischen Regierung und Marine berücksichtigte. Deshalb war er überrascht, als er ihn diesmal siedend vor Zorn antraf.»Als ob nicht alles schon schlimm genug wäre! Jetzt haben wir auch noch diese Bestie Tuke auf dem Hals. Er hat die Eurotas ausgeplündert, und Gott allein weiß, was er mit ihrer Artillerie unternehmen wird. Ich schicke die Brigg Quail mit meinen Depeschen sofort nach England. Wir brauchen hier Verstärkung. Man kann von mir nicht verlangen, daß ich alle diese deportierten Sträflinge aufnehme, für ihre Unterkünfte sorge, ihren Schutz übernehme und außerdem auch noch unsere Handelsrouten überwache.»

Kommodore Sayer war Raymond nie begegnet und wußte nicht, was er zu erwarten hatte. Er hatte gehört, daß Raymond, bisher Regierungsberater bei der East India Company, auf seinen gegenwärtigen Posten hier draußen versetzt worden war. Nach Sayers Meinung konnte eine

Versetzung in die Südsee niemals als Beförderung angesehen werden. Eher als Strafversetzung. Aber Tuke kannte er. Mathias Tuke hatte wie viele seines Gewerbes seine Laufbahn auf See als englischer Kaperkapitän begonnen. Für ihn mußte es nur natürlich gewesen sein, den nächsten Schritt zu tun und auf eigene Rechnung zu handeln — gegen jede Flagge und mit allen Mitteln, über die er verfügte. Dem Galgen war er oft nur um Haaresbreite entgangen, und die Geschichten von seinen gräßlichen Untaten kannte man auf beiden Ozeanen. Er hatte diese Gewässer schon früher heimgesucht und sich dann eine Basis näher bei den ergiebigeren Routen in der Karibik und den spanischen Häfen auf dem amerikanischen Kontinent geschaffen.

Grausam, erbarmungslos, selbst von Seinesgleichen gefürchtet, hatte er schon viele Admirale vor die problematische Frage gestellt, wo er als nächstes zuschlagen würde. Und jetzt war er hier.

Sayer hatte gesagt:»Ich habe einen umfassenden Bericht über die Ereignisse auf der Eurotas, Sir. Ohne Kapitän Bolithos sofortiges Eingreifen, mit keinem geringen Risiko für seine eigene Person und seine Gruppe, fürchte ich, wäre alles verlorengegangen und alle Menschen an Bord wären kaltblütig hingemetzelt worden.»

«Gewiß. «Der Gouverneur hatte in den Papieren auf seinem großen Schreibtisch gekramt.»Ich bin außer mir über die Dummheit des Kapitäns der Eurotas. Bei so vielen Sträflingen und zu wenigen Wachen an Bord in Santa Cruz noch zusätzliche Passagiere aufzunehmen!«Verzweifelt hob er die Hände über den Kopf.»Nun, er hat dafür büßen müssen, der arme Teufel.»

Sayer hatte nichts dazu gesagt. Schon seit einiger Zeit wußte er, daß die Kapitäne von Handelsschiffen im Dienst der Regierung zusätzlich Passagiere aufnahmen, um ihre Einkünfte zu verbessern. Sie brachten gutes Geld, und mancher Handelskapitän konnte sich reich zur Ruhe setzen. Diese Aussicht hatte Kapitän Lloyd nun nicht mehr.»Es versetzt mich in eine teuflische Situation. «Der Gouverneur ging trotz der drückenden Hitze heftig auf und ab.»Mr. Raymond hat eine wichtige Aufgabe auf den Levu-Inseln zu erfüllen. Es ist alles arrangiert. Jetzt, da die Eurotas praktisch völlig waffenlos ist und fähige Offiziere und eine neue Besatzung braucht, kann ich ihn nicht ohne eine Eskorte dorthin reisen lassen. «Sayer hatte weiter geschwiegen. Die Levu-Inseln, nahe bei den Freundschaftsinseln gelegen, wo Tuke die Eurotas versteckt hatte, standen schon seit vielen Monaten zur Diskussion, fast schon seit der Zeit, als die Kolonie in Neusüdwales gegründet worden war. Die meisten Häuptlinge der Inselgruppe waren freundlich gesonnen und zum Handel bereit.

Die Eingeborenenstämme haßten sich gegenseitig, das trug zur Sicherheit der Briten bei. Die Hauptinsel bot einen guten Ankerplatz, frisches Wasser und reichlich Holz. Immer wieder war die Inselgruppe von Kapitänen auf der Suche nach Wasser und frischen Lebensmitteln beansprucht worden, indem sie dort die Flagge mit ihren Landesfarben hißten.

Jetzt aber, da sich die Spannungen zwischen Großbritannien und Spanien verschärften, bedeutete die Insel mehr als nur eine Erweiterung des britischen Einflußgebietes. Sydney und der Rest der großen Kolonie wuchsen und breiteten sich jeden Monat weiter aus. Die neueröffneten Handels- und Versorgungsrouten und die Flanken der Kolonie mußten geschützt werden. Die Levu-Inseln konnten leicht Kriegsschiffen als Stützpunkt dienen, die von Südamerika her und um Kap Horn patrouillierten. Sayer konnte sich nicht vorstellen, wie ausgerechnet Raymond dort eine wichtige Position ausfüllen sollte. Dazu wirkte er durch ein angenehmes Leben zu verweichlicht. Gewiß verfügte er über eine gewisse Härte, aber das war eher Hartherzigkeit als Charakterstärke. Raymond hatte bestätigt:»Ja, ich muß eine Eskorte haben. «Er hatte Sayer angesehen.»Sie befehligen doch das Geschwader hier. «Es klang wie eine Beschuldigung. Daran war Sayer gewöhnt, aber es ärgerte ihn trotzdem.»Das werden Sie wohl arrangieren können, oder?«»Ich verfüge über ein paar Schoner, einige bewaffnete

Kutter und die Brigg Quail.«Er hatte aus dem Fenster gedeutet.»Jetzt habe ich auch die Tempest, Gott sei Dank, unter einem Kommandanten, der die Erfahrung und die Energie besitzt, sie gut und wirkungsvoll einzusetzen. «Der schnelle Blickwechsel zwischen den beiden war Sayer nicht entgangen. Sie hatten also über Bolitho gesprochen. Merkwürdig war nur die gespannte Stimmung. Vielleicht beruhte sie auf der Befürchtung, daß der Kommodore ihm etwas weitersagen würde, was nicht für Bolithos Ohren bestimmt war.

Dann fuhr der Gouverneur fort:»Sie werden eben die Tempest abstellen. Ich bin schon dabei, die entsprechenden Befehle aufzusetzen. Ich habe auch Anweisung gegeben, die Eurotas wieder mit allem auszurüsten, über das wir verfügen. Mit Geld und Kanonen sieht es allerdings schlecht aus«, hatte er erbittert hinzugefügt.

Raymond hatte sich entschuldigt und war in einen anderen Teil der Residenz gegangen, wo er und seine Frau wohnten. Sayer hatte erwartet, daß Raymond Zeichen der Dankbarkeit zeigen würde, daß er überlebt hatte, und Mitgefühl für die weniger Glücklichen. Aber es war, als ob er die Erinnerung an die Ereignisse aus seinem Gedächtnis getilgt hätte. Sobald Sayer mit dem Gouverneur allein war, erlebte er seine zweite Überraschung.

«Ich kann Ihnen versichern, Sayer, wenn Bolitho das Schiff nicht wiedererobert hätte, wenn seine Tapferkeit nicht so offenkundig wäre und er nicht so viele Menschen gerettet hätte, würde ich Ihnen befehlen, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen.»

Sayer war völlig verblüfft.»Dagegen muß ich protestieren, Sir! Ich kenne Bolithos Laufbahn. Er ist in jeder Hinsicht ein hervorragender Offizier, wie es sein Vater schon war.«»Und sein Bruder?«Der Gouverneur hatte den Kommodore eisig angesehen.»Mr. Raymond sagte mir, daß Bolithos Bruder ein Verräter war, ein verdammter Überläufer im Krieg!«Darauf hatte er eine Hand erhoben.»Das war unfair von mir, Sayer, aber es entspricht meinen Empfindungen. Ich bin überarbeitet, überfordert durch die Zwiste in der Kolonie und die Unfähigkeit meines Verwaltungspersonals.

Und nun noch dieses. James Raymond, ein wichtiger Mann aus London, der das Ohr des Premierministers und wahrscheinlich auch das des Königs hat, beschuldigt Bolitho einer Liaison mit seiner Frau.»

Das war es also. Irgendwo in Sayers Gedächtnis lebte etwas wieder auf: Vor vier oder fünf Jahren hatte Bolitho die Fregatte Undine kommandiert und mit ihr eine andere neue Handelsmission unterstützt. In Borneo, das war es. Der Gouverneur dieses gottverlassenen Orts war ein Admiral im Ruhestand gewesen. Es hatte Gerede über ein Verhältnis zwischen der Frau eines Regierungsbeamten und einem jungen Fregattenkapitän gegeben.

Der Gouverneur sagte knapp:»Ich sehe Ihrem Gesicht an, Sayer, daß Sie schon davon gehört haben.«»Nein, Sir. Das war vor langer Zeit. Und nur Gerüchte.«»Mag sein. Aber durch eine unerfreuliche Fügung des Schicksals wurden sie hier wieder zusammengeführt. Und es ist nicht dasselbe wie früher. Bolitho ist nach wie vor Fregattenkapitän, während Raymond an Einfluß gewonnen hat, kaum aber an Nachsicht. Versuchen Sie, es von meinem Standpunkt aus zu sehen. Ich kann mir keine zusätzlichen Probleme leisten. Mit meinen Depeschen werde ich einen Antrag nach London schicken, daß die Tempest hier abgelöst wird. Ich bin kein solcher Tyrann, daß ich gleich die Absetzung ihres Kommandanten verlange. «Der Gouverneur hatte mehr oder minder deutlich eingeräumt, daß er von Raymond keinen guten Eindruck gewonnen hatte. Doch was änderte das schon, überlegte Sayer.

Als er jetzt wieder in seiner Kajüte stand, war er unsicher, wie er Bolitho gegenübertreten sollte. Der war ein ausgezeichneter Offizier, wichtiger noch, ein guter Mann. Doch Sayer hatte seine Verantwortung. Es ging wieder einmal um die Hierarchie.

Sein Kapitän blickte in die Kajüte.»Die Gig der Tempest legt an, Sir.»

«Gut. Empfangen Sie Kapitän Bolitho und bringen Sie ihn nach achtern.»

Er wandte sich wieder den Fenstern zu. Mrs. Raymond war eine sehr schöne Frau, hatte er gehört. Er nahm an, daß sie lediglich als Begleitung ihres Mannes mitgekommen war. Sie würde kaum in die Gesellschaft von Sydney passen: Beamte, Milizionäre, deren Ehefrauen und Mätressen. In Cornwall hatte Sayer mehr gesellschaftliche Veranstaltungen erlebt als hier draußen. Nicht ganz das Richtige für eine Dame aus guter Familie. Er hörte das Stampfen von Füßen, das Trillern der Bootsmannspfeifen, als Seite gepfiffen wurde, um den besuchenden Kapitän gebührend zu empfangen. Sayer wandte sich der Tür zu und riß sich zusammen. Als Bolitho eintrat, sah er genauso aus wie am Vormittag. In seiner Paradeuniform, den goldbetreßten Hut unter dem einen Arm, war er ein Mann nach dem Herzen jeder Frau. Er war stark von der Sonne gebräunt, und sein schwarzes Haar mit der rebellischen Locke über dem einen Auge schimmerte im gedämpften Sonnenlicht wie Rabenflügel. Er wirkte gelassen und zeigte nicht mehr die verhaltene Spannung, die Sayer an ihm bemerkt hatte, als er zum erstenmal in den Hafen eingelaufen war.»Setzen Sie sich, Richard. «Sayer sah ihn unsicher an.»Ich bin gerade vom Gouverneur zurückgekommen. Es dauerte Stunden, und ich bin halbtot vor Erschöpfung.«»Tut mir leid, Sir. Aber ich hoffe, der Besuch hat sich gelohnt.»

«Gelohnt?«Der Kommodore sah ihn grimmig an.»Ich dachte, er würde einen Anfall bekommen!«Ungeduldig öffnete er einen hängenden Weinkühler und nahm Flasche und Gläser heraus.»Verdammt, Richard, stimmt das mit Ihnen und Raymonds Frau?«Er drehte sich schnell um und verschüttete dabei Wein.»Denn wenn es so ist, dann fordern Sie Ärger heraus!»

Bolitho nahm das angebotene Glas und ließ sich Zeit. Es war vorauszusehen gewesen. Nach allem, was geschehen war, hatte es kommen müssen. Warum also die Überraschung?

Er erwiderte:»Ich weiß nicht, was man Ihnen hinterbracht hat, Sir.»

«Um Himmels willen, Richard, spielen Sie doch nicht mit

Worten! Wir sind beide Seeleute, wir wissen, wie solche Dinge geschehen. Mein Gott, nach Ihrem tollkühnen Rettungsunternehmen würde sich Ihnen heute abend in Sydney jede Frau hingeben!»

Bolitho stellte sein Glas ab.»Viola Raymond ist kein billiges Flittchen, Sir. Ich habe sie vor fünf Jahren kennengelernt. Dann glaubte ich, es sei alles vorüber, obwohl es in Wahrheit erst begonnen hatte. Sie ist mit dem falschen Mann verheiratet. Er ist ordinär, arrogant und gefährlich. «Bolitho hörte seine gelassene Stimme, wie ein zufälliger Zeuge.»Ich habe nichts anderes zu bedauern als die verlorenen Jahre. Wenn Viola nach England zurückkommt, wird sie ihre Londoner Wohnung verlassen und auf meine Rückkehr warten. «Er blickte auf, seine Stimme war ganz ruhig.»Ich liebe sie sehr. «Sayer sah ihn ernst an. Er war über diese Enthüllung betroffen, aber Bolithos Aufrichtigkeit und seine Bereitschaft, seine Hoffnungen mit ihm zu teilen, rührten ihn.

Er sagte:»Der Gouverneur schickt heute abend mit der Quail seine Berichte nach England. Dabei wird sich auch ein Antrag befinden, die Tempest in heimische Gewässer zurückzuverlegen. Das entspricht Ihren Wünschen, wenn auch nicht Ihren Gründen. Aber es wird Monate dauern, bis diese Berichte angekommen sind und beantwortet werden. Inzwischen kann alles mögliche geschehen.«»Ich weiß, Sir. Danke, daß Sie mich darüber unterrichten. «Durch die Enthüllung der Pläne des Gouverneurs hatte Sayer seine Sorge zu erkennen gegeben. Wenn Bolitho wollte, konnte er jetzt seine eigenen Berichte und Briefe mit demselben Schiff absenden. Auch wenn er keinen Einfluß besaß, hatte er doch zahlreiche Freunde. Es rührte ihn, daß Sayer sich in seinem Interesse so offen zeigte. Nachdenklich sagte der Kommodore:»Ich weiß wenig von James Raymond, aber was ich von ihm gesehen habe, halte ich für unerfreulich.»

«Wir haben beide unsere festen Positionen bezogen, Sir. «Bolitho konnte ihre Augen vor sich sehen, ihre Haut fühlen, die Berührung ihres langen, rotgoldenen Haares spüren.

«Viola wird auf meine Rückkehr nach England warten.«»Sie wird nicht nach England fahren, Richard. «Sayer war bei den eigenen Worten elend zumute.»Sie wird Raymond zu seinem neuen Amtssitz auf den Levu-Inseln begleiten müssen. «Er stand schnell auf.»Glauben Sie mir, sie hat keine andere Wahl. Der Gouverneur ist verpflichtet, Raymond zu unterstützen, und was Sie auch an Überedungskraft oder Geldmitteln aufwenden, es kann nicht dazu führen, daß Viola Raymond an Bord der Quail nach England fährt.»

Bolitho blickte ihn fest an.»Dann wird sie in Sydney bleiben, bis…»

«Möchten Sie das wirklich?«Sayer wandte sich ab.»Mit welchem hämischen Vergnügen wird man sie hier demütigen. Skandale sind bei uns gefragt, die kleinen und neidischen Geister hier leben vom Klatsch. «Bolitho wollte es nicht glauben, aber er wußte dennoch, daß Raymond für einen Skandal sorgen würde. Wenn er sie schon nicht auseinanderbringen konnte, würde er dafür sorgen, daß sie in Bedrängnis gerieten.»Aber in der Südsee, Sir?«gab Bolitho zu bedenken.»Wie lange kann eine Frau das aushallen? Hier ist es schon schlimm genug, aber Sydney ist geradezu luxuriös im Vergleich zu den abgelegenen Inseln. Viola hat das alles schon einmal durchgemacht. Kein Mann, kein anständiger Mann, könnte so viel von einer Frau verlangen, und schon gar nicht von ihr.»

«Ich weiß. «Sayer sah ihn bedrückt an.»Aber Raymond steht unter Erfolgszwang. Er wird auch Deportierte mitnehmen und den Anschein einer ordnungsgemäßen Besiedlung bieten.»

Bolitho lehnte sich zurück. Seine Augen nahmen nichts mehr wahr.

An jenem dritten Abend an Bord der Eurotas war er zu ihr in die große Kajüte gegangen. Sie teilte sie nur mit dem jungen Mädchen, das sie unter ihre Fittiche genommen hatte. Das bedauernswerte Geschöpf sprach kaum ein Wort, stand noch unter Schockeinwirkung und wurde von Entsetzen gepackt, wenn ein Mann nur in seine Nähe kam.

Aber für Vi ola tat sie alles.

Auch Raymond war eine eigene Kajüte zugeteilt worden, genau wie damals, als er auf Bolithos Schiff Passagier gewesen war. Doch diesmal bestand ein Unterschied. Verzweiflung, Sehnsucht und die überwältigende Erlösung, sich wiedergefunden zu haben, ließ sie beide alle Vorsicht vergessen.

Er konnte wieder Violas Stimme hören, als ob er mit ihr zusammen sei und nicht mit Sayer.

«Wir sind auf einem Geisterschiff, mein Geliebter. Ganz allein. Ich sehne mich so sehr nach dir, daß ich mich schäme. Und ich brauche dich so sehr, daß du dich vielleicht meiner schämst.»

Er kehrte in die Wirklichkeit zurück, als Sayer sagte:»Sie erhalten Befehl, die Eurotas zur Levu-Gruppe zu begleiten. «Sayer sah das Erschrecken in Bolithos Augen, versuchte, sich vorzustellen, was er unter ähnlichen Umständen empfunden hätte: gezwungen, die Frau, die er liebte, zu beobachten, aber unfähig, sich ihr zu nähern.»Dem Gouverneur stehen keine anderen Streitkräfte zur Verfügung, und Tuke könnte einen weiteren Überfall planen.»

«Ich werde ihn umbringen«, sagte Bolitho leise.

Sayer blickte zur Seite. Wen meinte er — Tuke oder

Raymond?

Als Bolitho wieder sprach, klang seine Stimme gefaßt. Zu gefaßt.»Wieviel Zeit haben wir, Sir?«»Einige Tage. Da die Jahreszeit stürmischer wird und die Verzögerung bereits beträchtlich ist, muß alles nur noch schneller gehen. «Er versuchte, nüchtern zu sprechen.»Noch eines, Richard: Sie werden hier in Sydney nicht mit ihr zusammenkommen. «Er sah, wie Bolitho auffuhr.»Und als persönlichen Gefallen für mich möchte ich Sie bitten, an Bord zu bleiben, bis Sie Anker lichten. Außer in dienstlichen Angelegenheiten und Dingen, die Ihr Schiff betreffen, sollten Sie nicht an Land gehen. «Bolitho stand auf.»Verstehe.»

«Gut. Ich habe zu viel Respekt vor Ihnen, um Ihnen eine Predigt zu halten. Aber die Zeit vergeht, altes Leid wird vergessen. Sie werden Ihren ganzen Elan brauchen, Tuke ist ein bösartiger Pirat und kein Held, wie manche Legenden von ihm behaupten. Ich glaube, daß er seine speziellen Dienste hier irgend jemandem verkaufen will. Darum rüstet er sich auf unsere Kosten aus. Vielleicht sucht er durch einen Kaperbrief den Anschein der Legalität zu erwerben, als Söldner zu gelten, statt als gejagter Pirat. Das ist durchaus üblich. «Er senkte die Stimme.»Und dann haben Sie noch Raymond gegen sich, der Sie belauert und nur darauf wartet, daß Sie einen Fehler machen.«»Die Franzosen und Spanier sind schon lange an diesen Gewässern interessiert, wenn auch bisher ohne nennenswerten Erfolg«, sagte Bolitho. Er empfand nichts. Die Aussicht auf eine neue Mission, die Möglichkeit, Tuke zu stellen und zu vernichten, versetzte ihn nicht in Erregung. Sayer nickte.»In den letzten Depeschen war von Hungersnot und Aufruhr in Frankreich die Rede, sogar in Paris. Der König ist also zu beschäftigt, um sich mit uns zu befassen. Aber Spanien?«Er hob die Schultern.»Doch gleichgültig, welche Flagge dieser Teufel zeigt, ich wünsche, daß er gefangen und gehängt wird, ehe sich der Brand ausweitet. Eine gute Nachricht gibt es allerdings: Die Bounty ist verschwunden, vermutlich untergegangen. Es würde mich nicht wundern. Eine Sorge weniger.«»Sir?«Bolitho sah ihn verständnislos an. Sayer kam durch die Kajüte und packte ihn am Arm.»Lassen Sie nur, Sie waren eben meilenweit entfernt. Aber fassen Sie Mut und tun Sie Ihre Pflicht. Alles andere wird sich von selbst lösen. «Bolitho erwiderte:»Jawohl, Sir.»

Er hatte an Cornwall gedacht, an das große graue Haus in Falmouth. Ihr würde es dort gefallen, und alle würden sie lieben, wie sie seine Mutter geliebt hatten und die anderen Kapitänsfrauen, die auf der Bastion über der Steilküste spazierengingen und Ausschau nach den Schiffen ihrer Männer hielten; manche vergeblich. Doch weil er die gebotene Vorsicht außer acht gelassen hatte, hatte er die einzige Person verraten, die er wirklich liebte. Dadurch hatte er den Haß und den Neid Raymonds geschürt, der jetzt alles aufs Spiel setzen würde, selbst das Leben von Viola.

«Ich würde gern auf mein Schiff zurückkehren, Sir. «Sayer musterte ihn.»Ja. Ich gebe Ihnen Nachricht, wenn ich etwas erfahre. Man sucht noch nach Leuten für die Eurotas, und Sie werden einen Offizier stellen müssen, der das Kommando übernimmt. «Nachdrücklich wiederholte er:»Einen Offizier, Richard. Sie müssen auf Ihrem Schiff bleiben. Sobald auf den Levu-Inseln alles eingerichtet ist, wird die Eurotas als Versorgungsschiff dienen. Sie kann ruhig einem jüngeren Offizier überlassen werden, bis ich weiteren Ersatz schicken kann. Doch Sie werden tun, was Sie für richtig halten, sobald der Handelsplatz gesichert ist. «Bolitho streckte die Hand aus.»Danke, Sir, für etwas, das Sie gewiß ungern getan haben. Ich kenne viele, die es knapp und schroff erledigt hätten.»

Sayer lächelte.»Das ist wohl wahr. Aber merken Sie sich, was ich gesagt habe. Ich kann Sie nicht retten, wenn Sie Raymond herausfordern. Er ist der Typ, der schon nach einem Sündenbock sucht, noch ehe er etwas unternimmt. Ich habe nicht die Absicht, mir diese Rolle zuschanzen zu lassen, und wünsche auch nicht, Sie in ihr zu sehen. «Bolitho ging an Deck und salutierte vor der Flagge und dem Kommandanten der Hebrus.

Ein Kanonenschuß dröhnte dumpf in der Ferne, und der andere Kapitän sagte:»Das war für Ihre beiden Gefangenen. Hier draußen vergeudet man nicht viel Zeit an Prozesse. «Noch hallte das Echo des Kanonenschusses über den Hafen, als Bolitho in die Gig hinunterkletterte, wo Allday ihn mit erwartungsvollem Gesicht empfing. Bolitho sah an ihm vorbei zu der sich drängenden Menschenmenge, die gekommen war, um zwei Männer hängen zu sehen. Irgendwo dort war sie.»Zur Pier, Captain?«»Nein, Allday. An Bord.»

«Ablegen«, bellte Allday. Etwas mußte schiefgegangen sein.»Riemen bei! Rudert an!»

Er schützte die Augen mit der Hand und sah zu dem vor

Anker liegenden Handelsschiff hinüber, dachte an das wilde Geschrei des Handgemenges und das hemmungslose Töten. Dann blickte er auf Bolithos Schultern hinab, bemerkte, wie er den Griff seines alten Degens umklammerte. Allday hatte es einmal dankbar begrüßt, als Viola Raymond und Bolitho voneinander getrennt wurden. Er hatte geahnt, daß Böses geschehen konnte. Doch Allday glaubte auch daran, daß man eine einmal begonnene Sache bis zum Ende durchstehen mußte. Er wollte darüber nachdenken, hier und dort ein gutes Wort einlegen, wenn er die Chance bekam. Bolitho beobachtete das Heben und Senken der Riemen, die starren, nichtssagenden Gesichter der bezopften Matrosen. Sie alle schienen Bescheid zu wissen. Manche würden hämisch reagieren, andere mitfühlend. Alle aber würde interessieren, was als nächstes geschah. Er hörte das Knarren der Pinne, als Allday hinter dem Heck eines holländischen Handelsschoners vorbeisteuerte. Vor allem er, dachte er. Er konnte Alldays Verstand beinahe arbeiten hören. Seine ganze Anhänglichkeit, sein Mut und seine Unverfrorenheit, konnten ihm diesmal nicht helfen. Er sah das Begrüßungskommando bei der Einstiegspforte der Tempest antreten: das Blau und Weiß der Offiziere, das Scharlach der Seesoldaten Prudeauxs, angetreten zum Empfang des Kommandanten.

Er reckte die Schultern und blickte zu dem Schiff auf. Begleitschutz. Das war kein besonderer Auftrag, aber besser als nichts. Und ihm blieb immer noch die Hoffnung. Seine Entschlossenheit war stärker als je — ganz wie die Alldays.

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