Zwei Tage nach der Besprechung in Raymonds spartanischem Hauptquartier lichtete die französische Fregatte Anker und lief aus.
Sogleich schien ein Teil der freigiebig gebotenen Gastfreundlichkeit der Eingeborenen zurückzukehren, und es kam selten vor, daß nicht welche an Bord der Tempest zu finden waren oder längsseit in ihren schnellen Kanus. Sie tauschten, brachten Geschenke oder sahen lediglich den Matrosen bei der Arbeit an den stetig weniger werdenden Reparaturen zu. Das trug viel dazu bei, die Spannung zu mildern.
Die Insulaner hatten keinen Grund, die französischen Seeleute zu fürchten oder sie nicht zu mögen. Tatsächlich hatten sie gar keine Gelegenheit gehabt, mit vielen von ihnen zusammenzutreffen. Nur in kleinen Gruppen waren sie an Land gekommen, um Brennholz oder Lebensmittel zu holen, jedesmal von schwerbewaffneten Wachen begleitet. Bolitho war der Meinung, daß die Insulaner trotz oder wegen ihrer schlichten Natur die Unterdrückung an Bord der Narval ebenso gespürt hatten wie er und davon abgestoßen wurden, weil sie sie nicht verstanden. Das Leben an Bord der Tempest war hart genug, besonders vor Anker in einer geschützten Bucht, wo die Sonne mit jeder Stunde heißer zu brennen schien, um das Unbehagen noch zu steigern. Aber während der Hundewachen kam es selten vor, daß man nicht die krächzende Fidel eines Musikanten oder das Klatschen nackter Füße hörte, wenn die Männer der Freiwache an einem der uralten Matrosentänze teilnahmen.
Mit den Franzosen hatten sie keinen Kontakt gehabt, nur das Läuten der Wachglocke gehört und gelegentlich Befehle, die zwischen den Decks gepfiffen wurden. Unterdrückt, gedemütigt, war der Besatzung die Fähigkeit, auch nur die geringste Freude zu empfinden, ausgeprügelt worden. Nachdem die Narval die Bucht verlassen hatte, mußte Bolitho feststellen, daß Raymond in der Frage der Verantwortung sein Wort zu halten beabsichtigte. Wenn die Spezialisten der Tempest, wie die Zimmerleute und Böttcher, die Segelmacher und Bootsmänner, nicht an Bord beschäftigt waren, wurden sie an Land beordert und mußten ihr Können einsetzen, um bei dem bescheidenen, aber unerläßlich notwendigen Bauprogramm zu helfen, sowohl bei den Wohnhütten als auch bei den Blockhäusern zu deren Schutz.
Der Schiffsarzt war mehr an Land als auf seiner Krankenstation und kümmerte sich um die Verwundeten und die seltenen Krankheitsfälle bei den Dorfbewohnern. Dieses Arrangement kam Gwyther sehr gelegen, wie Bolitho wohl wußte, und wenn der Arzt auf das Schiff zurückkehrte, erschien er selten ohne einen neuen tropischen Fund, sei es eine leuchtend farbige Pflanze oder eine seltsam anmutende Frucht.
Hauptmann Prideaux bestimmte die Position der neuen Blockhäuser, trotz der offenkundigen Verärgerung der beiden Offiziere des Corps.
Als sie bei ihm protestierten, entgegnete er scharf:»Dauernd sagen Sie mir, dies oder jenes gehöre nicht zu Ihren Aufgaben. Daß der Gouverneur von Neusüdwales Sie überhaupt nicht hätte hierherschicken sollen, und das habe ich gründlich satt. Auf einem Schiff des Königs müssen Sie bereit sein, alles und jedes zu übernehmen, gleichgültig, was Sie davon halten.»
Der eine der beiden hatte hitzig erwidert:»Sie beleidigen uns, Sir.»
Prideaux hatte ihn beinahe fröhlich angesehen.»Dann will ich Ihnen gern Genugtuung leisten, Ihnen beiden, wenn es notwendig ist.»
Zu seiner Enttäuschung hatten sie sich mit einer gewissen
Hast zurückgezogen.
Während Bolitho durch das Dorf streifte oder an dem leuchtenden Strand entlangwanderte, fragte er sich, was die Narval wohl unternehmen mochte. De Barras hatte versprochen, eine Patrouille um die Nordinsel und weiter zum nächsten Archipel zu machen. Um zu sehen und gesehen zu werden. Wenn er das Glück hatte, eines oder mehrere der Schiffe Tukes zu stellen, würde er bestimmt den Sieg ausnutzen und die Suche fortsetzen. Bolitho hatte so viel zu tun, daß er während der meisten Stunden des Tages voll beschäftigt war. In der zunehmenden Hitze ging er in teilnahmsloser Verbissenheit seinem Dienst nach, denn er wußte, Raymond wartete nur darauf, sich zu beschweren, zu kritisieren, wenn er nicht auf der Hut war. Für einen Marineoffizier war es nicht ungewöhnlich, das zu tun, was er tat. Selbst der Kommandant einer bescheidenen Schaluppe oder eines Schoners war verpflichtet, die Autorität des Königs zu demonstrieren, wenn es notwendig war. Ganz wie Prideaux gesagt hatte: gleichgültig, was man davon hielt.
Aber er fühlte sich verletzlich, wußte, daß Viola nicht fern von ihm war, und doch hatte er nur selten Gelegenheit, sie zu sehen, ohne daß Raymond anwesend war. Versuchte Raymond vorzugeben, daß alles wieder so sei wie vorher, was sie betraf? Oder weidete er sich lediglich an Bolithos Qual, wenn sie sich begegneten?
Und obwohl Bolitho sich selbst sagte, daß er in seiner Sorge zu weit gehe, machte er sich Gedanken um ihre Gesundheit. Einen Teil ihrer Zeit verbrachte sie damit, den Schiffsarzt bei seinen Visiten zu begleiten, und sie schonte sich dabei weder, noch teilte sie die Einstellung der Eingeborenen: Wenn es zu anstrengend wird, höre auf zu arbeiten. Leutnant Keen war der Befehl über die Landkommandos übertragen worden, und Bolitho hatte ihn mehr als einmal mit einem Eingeborenenmädchen zusammengesehen, einer schlanken Schönheit, die ihn für einen Gott zu halten schien. Keen seinerseits betrachtete sie mit dem Ausdruck eines hoffnungslos Verliebten. Ihre selig zur Schau getragene Zuneigung deprimierte Bolitho und erfüllte ihn gleichzeitig mit Neid.
Am Ende des Monats begleitete Herrick ihn auf einem Inspektionsgang durch das Schiff, und Bolitho teilte dessen gerechtfertigte Befriedigung. Dank der Arbeit der Spezialisten, der sachkundigen Verwendung von Holz und Teer, Farbe und Hanf, zeigte die Tempest kaum noch Spuren der schrecklichen Minuten, in denen sie in Tukes raffiniert gelegter Falle gelitten hatte.
Später berichtete er Raymond, der ausnahmsweise keine Beschwerden vorzubringen hatte und auch auf seinen üblichen Hinweis auf die Tüchtigkeit de Barras' verzichtete. Statt dessen sagte er:»Ich bin in Sorge wegen der Brigg aus England.»
«Es ist nicht ungewöhnlich, wenn sie sich verspätet, Sir. Die Passage um Kap Horn ist sehr schwierig. «Raymond schien ihn nicht zu hören.»Ich komme mir hier blind und taub vor. Ich erhalte keine Nachricht aus Sydney, und niemand bringt mir die Verstärkung, die ich brauche, wenn ich hier aus diesem Ort etwas machen soll. «Bolitho beobachtete ihn verstohlen. Das war es also. Raymond fühlte sich übergangen, ausgeschaltet, ganz wie er selbst es in den vergangenen Jahren mehr als einmal empfunden hatte.
Raymond fuhr fort:»Ich wünsche nicht, daß sich ein Vorfall wie mit der Eurotas wiederholt. Ich wünsche überhaupt keine weitere Störung, bis ich hier fertig bin. Es ist genauso gekommen, wie ich befürchtet habe. Immer wieder muß ich erfahren, wie falsch es ist, anderen zu trauen. Dieser verdammte Häuptling, Hardacres Freund, zum Beispiel. Wo sind die Nachrichten, die er versprochen hat? Tukes Kopf als Preis für meine Nachsicht? Meine Schwäche, wird er wahrscheinlich denken. Und Hardacre? Der jault mir auch nur die Ohren voll!«Er sank in seinen Sessel zurück und starrte auf eine halbvolle Weinflasche. Bolitho sagte:»Wenn ich richtig unterrichtet bin, handelt es sich bei der erwarteten Brigg um die Pigeon, Sir.«»Ja. «Raymond sah ihn mißtrauisch an.»Und was ist mit ihr?»
«Ich kenne ihren Kapitän, oder kannte ihn vielmehr, als ich ihr zum letztenmal begegnete: William Tremayne. Er kommt aus meiner Vaterstadt. War lange Kommandant des Postschiffs von Falmouth. Er wäre der letzte, der sich von Tuke täuschen ließe. Als Kommandant eines Postschiffs muß man allein über alle Meere dieser Erde bis ans Ende der Welt segeln und lernen, mit jeder Situation fertigzuwerden, wenn man am Leben bleiben will.»
Raymond richtete sich mißtrauisch auf.»Hoffentlich täuschen Sie sich nicht in dem Mann.»
«Ich möchte mit meinem Schiff auf eine Patrouille im
Südosten unserer Inselgruppe, Sir.»
«Nein. «Raymond sah ihn ärgerlich an.»Ich brauche Sie hier. Wenn ich Nachricht von de Barras oder der Brigg habe,
weiß ich, was ich zu tun habe. Bis dahin müssen Sie sich die
Mühe machen, Ihre Arbeit hier fortzusetzen.»
Das sagte er so heftig, daß Bolitho sich fragte, was ihn sonst noch beunruhigte.
«Angenommen zum Beispiel, daß der König von Spanien seine Ansprüche auf den Besitz und die Handelsrechte hier nicht aufgegeben hat? Was dann? Woher sollen wir wissen, daß nicht gerade jetzt sechs spanische Linienschiffe in diesen Gewässern kreuzen?«Er schüttelte den Kopf.»Nein, Sie bleiben hier vor Anker.»
Bolitho verließ den Raum. Wenn er nur die Möglichkeit hätte, Kommodore Sayer in Sydney zu benachrichtigen, obwohl auch er nicht viel tun konnte. Es war merkwürdig, wenn man darüber nachdachte. Drei Schiffe: die Hebrus, ein veralteter Zweidecker mit vierundsechzig Geschützen, die Tempest, und jetzt noch die überfällige Brigg Pigeon. Schiffe, die so wenig zueinander paßten, wie man sich nur vorstellen konnte, aber alle drei standen unter dem Kommando von Kapitänen aus Cornwall, und jeder kannte die anderen.
Als er die Pier erreichte, sah er Hardacre von seinem Schoner kommen.
«Gut«, begrüßte er Bolitho.»Am besten kommen Sie gleich mit. «Es klang beunruhigt, wütend.»Tinah hat Nachricht über die Piraten und diesen anderen Verrückten, de Barras. «Als sie bei Raymond eintraten, explodierte Hardacre.
«Haben Sie gewußt, daß de Barras sich zwischen den Inseln im Norden wie Dschingis Khan aufführt? Kanus wurden unter Feuer genommen, und in dem ganzen Bereich herrscht eine Stimmung wie in einem Pulverfaß. Was, um Himmels willen, haben Sie sich dabei gedacht, ihm da oben freie Hand zu lassen?»
«Mäßigen Sie sich!«Aber Raymond war nichtsdestoweniger betroffen.»Woher wollen Sie das alles wissen?«»Mir trauen wenigstens noch ein paar Leute hier. «Die breite Brust hob und senkte sich schwer atmend.»Der Häuptling hat mich benachrichtigt: Tuke hat vor Rutara geankert. «Er warf den Kopf zurück.»Vor der heiligen Insel. «Er sah Bolitho an.»Wissen Sie von ihr?«»Nur sehr wenig.»
«Ja. «Hardacre ging rastlos hin und her, die Hände wie im Gebet zusammengelegt.»Ein wenig einladender Ort mit kaum Wasser, von ein paar Regentümpeln abgesehen. Tuke kann sich dort eine Weile aufhalten. «Es klang sehr besorgt.»Kein Eingeborener würde wagen, dort an Land zu gehen. «Raymond leckte sich die Lippen.»Nun, das ist eine gute Nachricht, falls wir uns darauf verlassen können.«»Darauf verlassen?«Hardacre sah Raymond mit unverhüllter Verachtung an.»Sie hat Tinah mehrere seiner Leute gekostet, und wahrscheinlich werden dafür verschiedene andere Inseln sich gegen ihn erheben. Weil er Ihnen geholfen hat.»
Raymond blickte vor sich auf den Tisch, seine Finger trommelten auf der Platte, laut hörbar in der plötzlichen
Stille.
«De Barras wird vor der Nordinsel ankern, nachdem er seine Suche beendet hat. Sie werden unverzüglich den Schoner zu ihm schicken. Ich setze sofort eine Nachricht für ihn auf.«»Der Schoner ist das einzige Fahrzeug, das ich hier zur Verfügung habe.»
«Das interessiert mich nicht. Es geht um Wichtigeres. «Raymond mustert ihn kalt.»Wie Sie wissen, kann ich über den Schoner verfügen.»
Hardacre wandte sich geschlagen der Tür zu.»Ich spreche mit dem Kapitän. «Er schlug die Tür hinter sich zu.
Raymond atmete sehr langsam aus.»Gut, gut, Captain. Vor wenigen Augenblicken tappten wir noch im dunkeln. Jetzt sieht die Lage besser aus, wenn man der Nachricht glauben kann. Sehr viel besser. «Er lächelte dünn.»Vielleicht ist es ganz gut, daß den Franzosen die Aufgabe zufällt, Tuke zu vernichten. Falls es Kritik von oben gibt, befinden wir uns dann in einer besseren Situation.»
«Ich möchte auch dorthin, Sir. Wenn nicht anstelle von de Barras, dann mit ihm.»
«Sie halten ihn nicht für fähig, mit Tuke fertigzuwerden? Weil Sie selbst eine Abfuhr bekommen haben? Ist das der Grund?«Sein Lächeln wurde breiter.»Wirklich, Sie enttäuschen mich, daß Sie Ihre Rachsucht so offen zeigen.«»Das hat damit überhaupt nichts zu tun, Sir. «Bolitho wandte sich ab, sah wieder den verstümmelten Leichnam vor dem Heckfenster der Narval hängen.»Zwei Schiffe wären besser als eins. Ich fürchte Tukes Hinterlist ebenso sehr, wie ich de Barras' Fähigkeit mißtraue, seine Brutalität im Zaum zu halten. Er könnte die Inseln hier zum Schlachtfeld machen.»
«Sie haben Ihre Chance gehabt, Captain Bolitho. Die Ziele sind jetzt klarer umrissen, und ich denke, de Barras wird meine Forderungen sehr bereitwillig erfüllen, wenn er erst die Nachricht gelesen hat, die ich ihm schicken werde.«»Noch mehr Versprechungen?»
Raymond ignorierte seinen Einwurf.»Sorgen Sie dafür, daß Sie jederzeit bereit sind, Anker zu lichten, wenn ich Sie brauche. Die Falle für den Piraten ist aufgestellt, aber wir haben hier weiter unsere Arbeit. Wenn nur endlich diese verdammte Brigg käme!»
Als Bolitho sich abwandte, um zu gehen, fragte Raymond beiläufig:»Und die Eurotas? Was haben Sie mir über sie zu berichten?»
Bolitho ließ eine Pause eintreten.»Sie wird von ihrer eigenen Besatzung bewacht, und nach Einbruch der Dunkelheit patroullieren meine Boote um sie herum.«»Es hätte mir auch sehr mißfallen, Gegenteiliges zu hören. «Er trommelte wieder auf die Tischplatte.»Nein, ich bezog mich auf ihre Einsatzbereitschaft auf See.»
«Wie befohlen. «Bolitho musterte ihn, versuchte die gekünstelte Strenge zu durchschauen.»Sie ist ebenso einsatzbereit wie mein eigenes Schiff.«»Gut. Das hilft mir bei meiner Planung. «Bolitho kehrte zur Pier zurück und sah seiner Gig entgegen, die auf ihn zuruderte. Raymonds Frage nach dem Transporter war ihm ein Rätsel. Die Eurotas hatte keinen Kapitän und eine nur unvollzählige Besatzung. Wenn Raymond sich einbildete, er könne sie außer in einem äußersten Notfall einsetzen, würde er herb enttäuscht werden. Es sei denn… Nachdenklich strich Bolitho sich über das Kinn. Es sei denn, Raymond beabsichtigte, sich mit seinen Papieren und Plänen an Bord zurückzuziehen und die Siedlung Hardacre zu überlassen. Konnte es sein, daß er im Stillen nicht vorauszusehende Ereignisse fürchtete? >Ich komme mir hier blind und taub vor<, hatte er gesagt. Seeleute waren daran gewöhnt, sich auf ihre eigenen, bescheidenen Hilfsmittel zu verlassen, aber Leute wie Raymond, die im Umgang mit dem Parlament und Regierungsstellen geschult und ausgebildet worden waren, konnten ohne Nachrichten und Anweisungen vielleicht nicht existieren.
Bolitho fuhr aus tiefem Schlaf auf und stieß das Bettlaken beiseite, während er zu erkennen versuchte, was ihn aufgestört hatte. Dann sah er ein Paar Augen im Düstern wie schwache Lampen glimmen und erinnerte sich, daß Orlando, der riesige Neger, jetzt die Aufgaben seines Stewards wahrnahm. Anscheinend war Allday bald nach Noddalls Tod auf diesen Gedanken gekommen, und da Orlando weiter seinen neuen Pflichten nachging, nahm Bolitho an, daß Allday mit ihm zufrieden war, obwohl in Anbetracht der vielen Flüche und Schimpfworte, die er mit anhören mußte, das Gegenteil erwartet werden konnte.»Was gibt es, Mann?»
Er richtete sich in eine sitzende Stellung auf und bemerkte, daß seine Koje unbewegt blieb und von außen nur die normalen Geräusche eines vor Anker liegenden Schiffes in die Kajüte drangen. Es war stickig, und bei der Anstrengung lief ihm der Schweiß über die nackte Haut.
Orlando nickte und zog Bolithos Laken von der Koje,
bückte sich dann und tastete nach Bolithos Schuhen.
Allday tauchte in der Dunkelheit auf.»Ein Boot liegt längsseit, Captain. Mr. Raymond wünscht, Sie an Land zu sprechen. Der Kapitän der Pigeon ist bei ihm, wie es scheint.»
Bolitho stellte die Füße auf die Planken, versuchte, die Neuigkeit zu verdauen. Gestern hatte der Ausguck auf dem Berggipfel Segel in Südost gemeldet. Nach wenigen Stunden war die überfällige Brigg Pigeon ausgemacht worden, und wieder einmal hatte Bolitho gespürt, daß die Erregung wie eine frische Brise durch das ganze Schiff lief: Nachrichten aus der Heimat! Erinnerungen wurden lebendig, bei allen.
Auch in der Siedlung selbst war Interesse wach geworden. Feuer wurden angezündet, und der schwere Geruch nach Holz und gebratenem Fleisch strich über die abgelegene Bucht.
Und dann flaute der Wind ab; als sich die Dunkelheit über die Inseln senkte, hatte die Brigg geankert, um das Licht der Morgendämmerung für eine sichere Passage zwischen den Riffen abzuwarten.
Er hörte Füße an Deck und das Knarren von Blöcken, als ein Boot zu Wasser gebracht wurde. Das mußte Herrick veranlaßt haben, der dafür sorgen wollte, daß der Kapitän über seine eigene Gig verfügte und nicht auf eines von Hardacres alten Langbooten angewiesen war. Er fragte:»Wie spät ist es?»
«Die Morgenwache ist gerade angetreten, Captain. «Allday rieb sich das Kinn.»Der Kapitän der Pigeon muß im Boot an Land gekommen sein.»
Bolitho sah ihn an. Wie schnell Allday auf den Kern der Dinge kam. Es mußte etwas sehr Dringendes sein, was den Kapitän einer Brigg nach der langen und anstrengenden Reise von England so schnell an Land trieb. War es Krieg mit Spanien? Wurde die Tempest nach Hause beordert? Er dachte angestrengt nach, stellte seine eigenen Wünsche den Forderungen des Dienstes gegenüber. Viola würde in
Cornwall sicher sein, während er… Er fluchte, als Orlando ihm versehentlich mit seinem kräftigen Ellbogen gegen den Leib stieß.
Allday zündete eine Lampe an und grinste.»Das ist das Gute daran, wenn man stumm ist, Captain. Man braucht sich nie zu entschuldigen.»
Bolitho blickte kritisch in den Spiegel. Halbnackt und verschlafen, mit in die Stirn hängendem Haar, sah er eher wie ein Vagabund aus als wie ein Kapitän des Königs. Aber Orlando war geschäftig um ihn herum, hatte warmes Wasser aus der Kombüse geholt, und während Allday sich mit Seife und Rasiermesser zu schaffen machte, legte er, wie befohlen, Bolithos Uniform zurecht. Er konnte das viel besser, als nach so kurzer Übung zu erwarten war. Bolitho nahm an, daß der Neger früher auf einem großen Besitz gedient oder andere überwacht hatte, wenn sie ihre Herren bedienten.
Herrick kam nach achtern und klopfte an die Tür.»Die Gig ist klar, Sir. «Er musterte die kleine Szene in der Kajüte.»Wie ich sehe, brauche ich mir keine Sorgen zu machen. «Bolitho streifte das frische Hemd über und ließ sich von Allday die Halsbinde knüpfen.»Keine weiteren Neuigkeiten?»
«Nein. «Herrick sah müde aus.»Aber ich glaube, daß die Pigeon schlechte Nachrichten mitgebracht hat. Gute lassen sich immer viel Zeit.»
Bolitho griff nach seinem Hut.»Wir werden sehen. «Er zögerte und gab Allday damit Gelegenheit, zur Pforte vorauszulaufen.»Halten Sie alles bereit, Thomas. Vielleicht müssen wir bei Morgengrauen Anker lichten.«»Jawohl. «Offensichtlich hatte er sonst an nichts anderes gedacht.»Nur das Landekommando konnte nicht alarmiert werden. Der junge Valentin Keen wird damit fertig werden müssen.»
Leichtfüßig lief Bolitho die Stufen hinauf und spürte die kühlere Luft im Gesicht. Es war kurz nach vier Uhr morgens, und die Planken unter seinen Schuhen waren feucht. Er blickte zu den Rahen auf und fand, daß die Sterne bereits verblaßten.
Männer traten beiseite und andere zogen ihre Hüte, als er sich in das Boot hinabließ. Durch die offenen Stückpforten nahm er verschwommene Gesichter wahr: Die Wache unter Deck versuchte zu erraten, was vorging, wohin er in solcher Eile wohl fuhr.
Als die Gig über das glatte Wasser schoß, saß er schweigend im Heck und beobachtete das Meeresleuchten um die eintauchenden Riemen. Er sah die Eurotas hoch über ihnen aufragen, hörte den scharfen Anruf:»Boot ahoi!«und Alldays prompte Antwort:»Wir passieren. «Bei den vielen Gerüchten über Unruhe und Aufruhr auf den Inseln waren die Wachen aufmerksamer als üblich, und ein Boot, das auf Anruf nicht antwortete, setzte sich der Gefahr aus, von einer Kartätschenladung überschüttet zu werden. Bolitho erkannte Lichter hinter der Pier und wußte, daß die gesamte Siedlung auf den Beinen war.»Riemen ein!»
Bolitho sah den Steg über sich aufragen und hörte das Klicken von Metall, als der Buggast den Ringbolzen mit dem Bootshaken faßte.
Dann war er oben und schritt über die Pier, verwundert, wie vertraut der Ort ihm in so kurzer Zeit geworden war.
Er kam an einem Wachtposten Prideauxs vorbei. Die gekreuzten Brustriemen des Marinesoldaten schimmerten hell in der Dunkelheit. Dann durch das breite Tor und an dem Galgen vorüber, wo der Aufseher Kimura auf ihn wartete.
«Nun?«Er konnte den Mann riechen: Schweiß und das farblose Getränk, das wie Rum schmeckte und einen umbrachte, wenn man zuviel davon trank.
Kimura sagte mit seiner fremdartigen Stimme:»Sie warten oben, Sir. Mir haben sie nichts gesagt.»
Nach der Fahrt in der Gig und dem Weg von der Pier herauf schien Raymonds Raum in blendendes Licht getaucht zu sein.
Raymond stand in einem knöchellangen Hausmantel aus rotem Satin mit zerwühltem Haar neben dem Schreibtisch und blickte ungehalten auf die offene Tür. Hardacre saß in einem Sessel, sein Gesicht war sehr grimmig, die Finger hatte er vor dem Bauch ineinander verschlungen. Und neben einem der verhängten Fenster bildete der Kapitän der Pigeon dazu einen krassen Gegensatz, brachte die Weite des Ozeans in den Raum.
William Tremayne hatte sich kaum verändert, fand Bolitho, der auf ihn zuging und seine Hand ergriff. Breit und untersetzt, mit borstigem, grauem Haar und so dunklen Augen, daß sie im Lampenlicht wie nasse Kohlen schimmerten.
Tremayne grinste.»Dick Bolitho!«Er drückte ihm die Hand mit einer Handfläche, so rauh wie ungehobeltes Holz.»Wie geht's denn, mein Alter? Immer noch Kapitän?«Er lachte verhalten mit Lauten, die aus der Tiefe kamen und bei Bolitho sofort Erinnerungen auslösten.»Ich hatte damit gerechnet, daß du jetzt mindestens Chef der Marine des Königs bist.»
Raymond unterbrach schroff:»Ja, ja, schon gut. Setzen Sie sich bitte alle beide. Die herzliche Begrüßung kann warten. «Tremayne spähte mit unschuldigen dunklen Augen unter seinen Sessel.
«Was gibt es denn noch?«Raymond schien am Rand einer Explosion zu stehen.
Tremayne sah ihn bekümmert an.»Tut mir leid, Sir. Ich dachte, Sie sprechen mit einem Hund, und ich hab' nur nach ihm gesucht.»
Raymond räusperte sich heftig, und Bolitho sah, daß seine Hände stark zitterten.
Raymond sagte:»Die Lage ist ernst, Bolitho. «Tremayne fuhr unbekümmert dazwischen:»Ja, das ist sie, Dick. Ganz Europa ist in Aufruhr und droht zu explodieren.»
Bolitho beobachtete Raymonds Hände.»Spanien?«»Schlimmer. «Raymond schien Schwierigkeiten zu haben, die richtigen Worte zu finden.»In Frankreich hat es eine blutige Revolution gegeben. Der Pöbel hat die Herrschaft an sich gerissen, den König und die Königin ins Gefängnis geworfen. Sie mögen vielleicht jetzt schon tot sein, während wir noch hier sitzen. Den Berichten zufolge wurden Tausende gejagt und öffentlich geköpft. Jeder von adliger
Abstammung oder mit der geringsten Autorität wurde ergriffen und abgeschlachtet. Unsere Kanalhäfen sind mit Flüchtlingen überfüllt.»
Bolitho spürte, daß ihm der Mund trocken wurde. Revolution in Frankreich? Das erschien ihm nicht möglich. Es war zu Aufruhr wegen der Lebensmittelversorgung und zu Unruhen gekommen, aber das hatte man nach dem Krieg auch in England erlebt. Er konnte sich gut vorstellen, wie diese Nachrichten zu Hause wirkten. Bei den Törichten und jenen, die nicht nachdachten, würde es kurze Zeit Begeisterung darüber geben, daß ein alter Feind zusammengebrochen war. Und dann würde kalte Logik und Verständnis einsetzen. Frankreich war nur durch den Kanal von England getrennt, und es wurde vom Terror beherrscht. Während er sich um die Aufgaben der Tempest gesorgt und die Nachricht von der Meuterei auf der Bounty von Timor nach Sydney gebracht hatte, war in der Welt, die zählte, eine Brandfackel entflammt worden.
Raymond sagte:»Das bedeutet Krieg. «Er starrte auf die Wand, als ob er erwarte, dort den Feind zu sehen.»Und der letzte wird im Vergleich dazu wie ein Scharmützel erscheinen.»
Tremayne betrachtete ihn neugierig und sagte dann zu Bolitho:»Es hat im vergangenen Juli angefangen. Inzwischen kann alles noch viel schlimmer geworden sein. Trotzdem wird es für diesen Franzosen Genin eine gute Nachricht sein, nehme ich an. «Bolitho sah Raymond an.»Genin?«»Ja, Yves Genin, einer der führenden Köpfe der Revolution. Gestern war auf ihn noch ein Preis ausgesetzt. Heute…«Bolitho starrte ihn an.»Ist das der Mann, den de Barras fangen will?«Er beobachtete, wie Schuldbewußtsein an die Stelle von Unsicherheit trat.»Sie haben es gewußt! Die ganze Zeit haben Sie gewußt, daß Genin kein Krimineller ist, sondern aus politischen Gründen gesucht wird!«»De Barras hat es mir anvertraut, gewiß. «Raymond versuchte, seine Haltung wiederzugewinnen.»Ich muß meine Untergebenen nicht in alles einweihen. Und überhaupt, was interessiert Sie das? Wenn es de Barras gelingt, Genin lebend zu fassen, ist das seine AAngelegenheit. Er wird eben den neuen Herren dienen, wenn er nach Frankreich zurückkommt.»
Tremayne sagte barsch:»Er wäre ein Narr, wenn er das täte. Sein Kopf landete in einem Korb, noch ehe er >Beil< sagen könnte. Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was ich gehört habe, muß in Paris die Hölle los sein. «Zum ersten Mal nahm Hardacre das Wort. Er sprach sehr leise und beherrscht.»Sie haben nicht ein Wort begriffen, Mr. Raymond, wie?«Er stand auf, ging zum nächsten Fenster und zog den Vorhang beiseite.»Kapitän Bolitho hat es verstanden, selbst ich, ein Mann vom Lande, habe es verstanden, aber Sie?«Seine Stimme hob sich etwas.»Sie sind von Ihrer Gier und Ihrer eigenen Bedeutung so erfüllt, daß Sie nichts begreifen. In Frankreich hat eine Revolution stattgefunden. Sie kann sich sogar auf England ausdehnen, und Gott weiß, es gibt genug, die ohne sie nie Gerechtigkeit erfahren werden. Aber hier draußen, auf diesen Inseln, die Sie nur als Sprungbrett für Ihre verdammte Zukunft ansehen, was bedeutet sie hier wirklich?«Er schritt an den Tisch und hob aggressiv den Kopf.»Nun? Sagen Sie es doch, verdammt noch mal!»
Bolitho beschwichtigte:»Langsam, Mr. Hardacre. «Er wandte sich dem Tisch zu.»Wenn Sie mir gesagt hätten, daß Genin der Mann ist, der bei Tuke Zuflucht gefunden hat, hätte ich vielleicht einiges vorausgesehen. Jetzt kann es zu spät sein. Wenn Tuke von der Revolution erfährt, wird er in Genin nicht lediglich eine wertvolle Geisel sehen, sondern auch ein Mittel zum Zweck. Genin ist nicht länger ein gejagter Flüchtling, er vertritt sein Land, ebenso wie Sie oder ich das unsere vertreten.»
Raymond blickte zu ihm auf, seine Augen waren glasig.»Die Narval ? Geht es um sie?»
Angewidert wandte Bolitho sich ab.»Wenn die Besatzung der Narval von dem Umsturz in Frankreich erfährt, wird sie de Barras und seine Offiziere in Stücke reißen. «Tremayne sagte nüchtern:»Ich nehme an, er weiß Bescheid. Ich hörte, daß wenige Tage vor mir zwei französische Postschiffe Kap Horn gerundet haben. Wenn man mich fragt, ist die Nachricht schon über den ganzen Ozean verbreitet.»
Bolitho versuchte zu denken, ohne sich von seinen Gefühlen beeinflussen zu lassen. Die vielen Seegefechte, die Namen der Kapitäne, französische und englische in gleicher Weise, die zu Teilen der Geschichte geworden waren. Der Geschichte, die er mitgestaltet hatte. Wie auch Le Chaumareys.
Dieser weite Ozean wurde von Schiffen aller Art bevölkert, von stattlichen Indienfahrern bis zu Briggs und Schonern, bis zu winzigen Kanus in Fülle. Ja, die Nachricht würde sich sehr schnell verbreiten.
In den sieben Monaten seit dem Ausbruch der Revolution konnte sich schon die ganze Welt verändert haben. Nur eines war klar erkennbar wie ein Wrack auf einem Riff: Tuke würde die Narval nehmen. Es war so unausweichlich, daß er den Wunsch unterdrücken mußte, in die Dunkelheit hinaus zu rennen. Die Besatzung von de Barras würde sich der neuen Flagge bereitwillig unterwerfen. Nach der barbarischen Weise, wie sie unter de Barras hatte leben und dienen müssen, würde sie ihn wie eine Flutwelle hinwegschwemmen.
Und dann konnte Tuke in seiner neuen Rolle auftreten, nicht mehr als gefährlicher und lästiger Pirat, sondern als eine reale Kraft, mit der man rechnen mußte. In einem hatte Raymond recht: Es bedeutete Krieg. England konnte nicht tatenlos zusehen, daß sich ein neues Frankreich auf seine Kosten ausbreitete. Jedes Schiff würde dringend benötigt werden. Sie waren nicht einmal auf einen Zusammenstoß mit Spanien vorbereitet. Was sollten sie tun, wenn ihnen ein frisch belebtes Frankreich gegenübertrat? Tuke konnte mit seiner kleinen, aber durch nichts bedrohten Flottille tun, was ihm gefiel, nehmen, was er wollte. Ein Imperium gründen, wenn das sein Wunsch war. Bolitho sah Raymond wieder an. Dieser hatte die ganze Zeit über Genin Bescheid gewußt.
Tremayne sagte:»Ich gehe morgen wieder in See. «Er grinste.»Das heißt, heute.»
Ausdruckslos sagte Raymond:»Die Pigeon führt Depeschen für den Gouverneur von Neusüdwales mit. «Tremayne nickte.»Und für Kommodore Sayer. Für dich wird er schleunigst neue Befehle ausschreiben, Dick«. Hardacre beugte sich aus dem Fenster und prüfte die frische Luft.»Bald wird es hell. «Ohne sich umzudrehen, fuhr er fort:»Und mein Schoner sucht nach de Barras. Wenn Tuke das alles schon weiß, kommt er aus seinem Versteck heraus. Den Angriff durch eine Fregatte wird er nicht riskieren. Die Narval würde aus seinen kleinen Schiffen Feuerholz machen, ehe er auch nur in ihre Nähe kommt. «Bolitho dachte an die schweren Geschütze, welche die Tempest verkrüppelt hatten. Wie zu sich selbst sagte er:»Tuke braucht nur abzuwarten. Wenn de Barras die Neuigkeiten erfährt, wird er nur noch verzweifelter versuchen, seinen Gefangenen wiederzubekommen. Sein Schiff ist alles, was er jetzt noch hat. Ohne die Fregatte wäre er so gut wie tot.»
Tremayne stand auf, seine Seestiefel knarrten.»Ich segle sofort, Dick. Falls du Depeschen für mich hast, wäre ich dankbar, wenn ich sie vor Mittag bekomme. «Er versuchte zu grinsen.»Aber ihr sitzt hier alle schön sicher. Deine Fregatte und der große Transporter in der Bucht könnten eine Armee zurückschlagen, was?»
Raymond sagte scharf:»De Barras ist nicht länger unsere Sorge. Es ist diese Siedlung hier. Ich werde bald mehr Leute und Nachschub bekommen. Sobald sie eintreffen, werden Tuke und sein Anhang verschwinden und sich andere Jagdgründe suchen.»
Tremayne musterte ihn ruhig.»Wenn Sie das glauben… «Er wandte sich ab.»Ich werde ein Boot zur Tempest schicken, eine Stunde, ehe ich Anker lichte. Senden Sie Ihre Depeschen dorthin. «Er ergriff Bolithos Hand.»Ich werde ihnen von dir erzählen, Dick, wenn ich in Carrick Road wieder vor Anker gehe. Deine Schwester sehe ich oft. Ich werde sie grüßen.»
«Danke, William. Aber vielleicht bin ich schon vor dir dort.»
Als Kapitän Tremayne den Raum verließ, legte sich auf Bolitho plötzlich eine schwere Last. Wie ein böser Traum, in dem niemand zuhören will oder versteht, was man sagt. Wenn Tuke ungehindert wüten konnte und die Ordnungskräfte unfähig oder nicht willens waren, ihm Einhalt zu gebieten, mußten die Inselbewohner wie in der Vergangenheit wieder übereinander herfallen. Speer und Kriegskeule würden Händlern und Piraten den Weg öffnen, die Inseln nach Belieben auszuplündern. Er bemerkte, daß Hardacre ihn beobachtete. Er wußte Bescheid: Verrat — es gab kein anderes Wort dafür. Aber würden die französischen Seeleute sich gegen ihre Offiziere erheben? Ungeachtet dessen, was Tuke und Genin ihnen versprechen mochten, würden sie wirklich meutern und die Ordnung zerschlagen, der widerspruchslos zu gehorchen eine strenge Disziplin sie gelehrt hatte? Wenn ein Volk sich gegen seinen König erhob und Mörder auf den Straßen losließ, war ihm alles zuzutrauen, mußte Bolitho grimmig eingestehen.
Er sagte:»Ich fordere hiermit die Genehmigung, in See zu gehen, Sir. Ich werde de Barras finden und ihm berichten, was wir wissen. Es wäre weit besser, ihn und sein Schiff fortzuschicken, als durch Schweigen überlegene Streitkräfte auf uns zu ziehen.»
«Nein. «Es war nur dies eine Wort, aber es hallte wie ein Schuß durch den Raum.
Hardacre sagte:»Dann werde ich jetzt ins Dorf gehen und mit Tinah sprechen. Wir müssen Vorkehrungen treffen. «Er sah Bolitho an.»Zweifellos haben auch Sie noch einiges zu klären.»
Als die Tür sich hinter ihm schloß, sagte Raymond:»Ich habe meine Ve rantwortung, und Sie sind hier, um mich nach Kräften zu unterstützen.»
«Ich kenne meine Befehle, Sir. «War es möglich, daß er so ruhig sprach, obwohl er nichts anderes wünschte, als Raymond bei den Revers seiner kostbaren Robe zu packen und ihn zu schütteln, bis er blau im Gesicht wurde?» Gut. Meiner Meinung nach wird de Barras Tuke entweder überwinden oder nach Frankreich zurückkehren, wenn er erfährt, was sich ereignet hat. So oder so braucht er uns nicht mehr zu interessieren. Es wird zum Krieg kommen, wenn er nicht schon begonnen hat, und wir müssen die Levu-Inseln unseren Anweisungen entsprechend vorbereiten. «Sein Mund wurde hart.»Und ich möchte doch annehmen, daß Sie in der Lage sind, Tukes Schoner zu vertreiben, falls er uns zu nahe kommen sollte.«»Wissen Sie, was ich denke, Sir?«Bolitho beugte sich aus dem Fenster und packte mit beiden Händen das Sims, um zu verhindern, daß sie zitterten.»Ich glaube, daß es hier keine Niederlassung geben wird, weder jetzt noch irgendwann. Krieg, wie wir ihn kennen, war nichts als Blechmusik. Der Krieg, der kommt, wird von Giganten ausgefochten. Für Inseln und die Gouverneure, die sie regieren, wird kein Bedarf bestehen, noch wird man Zeit für sie haben. «Langsam atmete er tief ein, roch die See und spürte, wie sie ihn anzog.»Und hierher wird weder Nachschub noch Verstärkung kommen.»
«Sind Sie verrückt?«platzte Raymond heraus.»Was glauben Sie denn, weshalb man mich hergeschickt hat?«Bolitho sah ihn nicht an.»Denken Sie darüber nach. Ich wurde Ihretwegen hier draußen festgehalten, weil ich vor fünf Jahren Ihre Autorität in Frage gestellt und zwischen Ihnen und dem Mann stand, dem Sie Unrecht getan und dessen Karriere Sie vernichtet haben. Aus anderen, persönlichen Gründen benutzten Sie Ihren Einfluß, mich hier stranden zu lassen. De Barras ist ein anderer Fall. Er wurde zu spät aus Frankreich verbannt. Inzwischen haben seines-gleichen Wut und Haß geschürt, die sich auch gegen uns wenden und unsere Welt zu zerstören versuchen werden. Und Sie? Finden Sie es nicht merkwürdig, daß es Sie in unsere kleine Welt verschlagen hat?«Da er keine Antwort erhielt, drehte er sich um. Raymond starrte vor sich auf den Tisch, die geöffneten Depeschen lagen zwischen seinen Armen ausgebreitet. Schließlich sagte er heiser:»Sie irren sich. Selbstverständlich werde ich Unterstützung bekommen. Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, um angemessene Anerkennung zu finden. Ich werde nicht untätig bleiben und zusehen, daß alles… «Mühsam stand er auf, seine Augen funkelten.»Ich bin hier Gouverneur. Sie werden tun, was ich sage.»
Regungslos standen sie einander gegenüber wie zwei Fremde.
Als Bolitho sich dann abwandte, um zu gehen, hörte er
Stimmen draußen auf dem Hof und Schritte auf der Treppe.
Es war weder Hardacre noch sein Aufseher, sondern
Leutnant Keen. Er trug nur Hemd und Breeches und schien außer sich vor Sorge zu sein.
«Tut mir leid, daß ich Sie störe, Sir.»
Er wirkte so elend, daß Bolitho ihn am Arm faßte und auf die Treppe hinausführte.
«Was gibt es?»
«Ich habe eine Freundin, Sir. Sie, sie…»
«Ja, ich habe sie gesehen. «Bolitho hatte keine Ahnung, um was es ging.»Sprechen Sie weiter.»
«Ich war mit ihr zusammen. Ich hatte meinen Dienst beim Arbeitskommando beendet und die Leute zu ihrem Quartier gebracht, und dann…«Schweiß rann ihm über das Gesicht, als er herausplatzte:»Um Gottes willen, Sir, ich fürchte, bei uns ist Fieber ausgebrochen!«Er wandte sich ab, seine Schultern bebten.»Sie liegt nur einfach da, kann nicht sprechen. «Er brach völlig zusammen. Bolitho blickte an Keen vorbei auf die Bäume und das schimmernde Wasser dahinter. Eine neue Morgendämmerung? Es war eher wie der letzte Tag. Nachdenken.
«Ich komme gleich mit Ihnen. «Er kehrte in den Raum zu Raymond zurück und kramte in Papieren, bis er ein Blatt fand, auf das er schreiben konnte.»Ich muß eine Nachricht an Allday schicken. «Raymond fragte dumpf:»Was murmeln Sie da vor sich hin?«Bolitho antwortete:»Ich würde Ihnen empfehlen, das Tor zu verschließen. Auf der Insel scheint Fieber ausgebrochen zu sein. «Raymond blieb der Mund offenstehen.»Unmöglich! Sie versuchen nur, meinen Befehl zu umgehen. «Er bemerkte Bolithos Gesichtsausdruck und fügte hinzu:»Ihr Leutnant irrt sich. Er muß sich irren!»
Bolitho verließ den Raum. Revolution auf der anderen Seite der Welt, die Inseln hier warteten nur darauf, daß ihre
Herren sich untereinander bekämpften, und jetzt war, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, der schlimmste Schlag erfolgt. Durch einen Feind, der von innen kam und gegen den es keine Abwehr gab.