XI» Macht das Beste daraus!»

James Raymond ignorierte die Matrosen, die über dem Ächterdeck Sonnensegel ausspannten, während andere Boote zu Wasser ließen. Innerhalb weniger Minuten, nachdem die Tempest in der Bucht geankert hatte, war er an Bord gekommen, nahezu außer sich vor Wut. Bolitho beobachtete ihn grimmig, erkannte seine Bemühungen, sich selbst ein Bild von dem zu machen, was sich zugetragen hatte. Das war nicht schwierig, besonders nicht für jemanden, der so weit und oft gereist war wie Raymond.»Ich kann das einfach nicht hinnehmen. Ich will nicht glauben, daß ein Schiff des Königs, noch dazu eine Fregatte mit sechsunddreißig Geschützen, von einem verdammten

Piraten getäuscht und beinahe versenkt worden ist. «Es hat keinen Sinn, mit ihm zu argumentieren, dachte Bolitho müde. Es gab genug zu tun, auch ohne den Versuch, Raymonds Ansicht zu ändern. Eine Ansicht, die er sich schon seit einiger Zeit gebildet hatte und an der er festhielt. Wahrscheinlich seit sein Ausguck das zurückkehrende Schiff wahrgenommen hatte. Der kleine Schoner war vorausgefahren, um ihn vorzubereiten. Dann hatte die Silhouette der Tempest, in der die fehlende Maststenge eine unübersehbare Lücke geschaffen hatte, die ihre Schönheit beeinträchtigte, dem Feuer zusätzlich Nahrung gegeben. Er sah Isaac Toby, den Zimmermann, dessen eulenhaftes Gesicht fast ebenso rot war wie die Weste, die er immer trug, inmitten seiner verringerten Mannschaft auf Beschädigungen zeigen, angesplitterte Holzteile mit seinem Messer markieren oder auf Mängel hinweisen, die sofort behoben werden mußten. Er würde seinen Maat Sloper vermissen. Einige der schwerer Verletzten waren an Land gebracht worden. Die übrigen mußten umso härter arbeiten. Ganz besonders jetzt. Er sah über das schimmernde Wasser, wohl wissend, daß Raymond seine Tirade unterbrochen hatte, um auf seine Reaktion zu warten. Hoch über ihr Spiegelbild aufragend, schwang die französische Fregatte Narval leicht an ihrer Ankertrosse. Ihre Sonnensegel waren ausgespannt, und sie hatte Boote im Wasser, während ein Kutter sie ständig wachsam umkreiste.

Raymond fing wieder an:»Sie können ruhig hinüberblicken, Kapitän. Sie rümpfen die Nase über den Franzosen, weil seine Vorstellungen anders sind als Ihre. Was glauben Sie wohl, wie mir zumute ist? Ein Repräsentant von König Georg und einem Land, das angeblich die beste Flotte der Welt unterhält, ist genötigt, ein fremdes Kriegsschiff um Unterstützung zu bitten. Gott verdammt, Bolitho, wenn der Kaiser von China mir ein Schiff anbieten würde, ich würde es annehmen, und zwar auf der Stelle. Das können Sie mir glauben. «Er ging auf Deck hin und her. Sein Schuh blieb an einem Splitter hängen.»Es ist immer das gleiche. Von mir wird erwartet, daß ich Wunder vollbringe — gegen den Widerstand von ausgemachten Narren und engstirnigen

Militärs!«Er funkelte Bolitho wütend an, schien die Hitze zu vergessen.»Und anscheinend auch von Seeleuten. «Herrick kam nach achtern und berührte seinen Hut.»Alle Verwundeten, die vom Arzt auf die Liste gesetzt wurden, sind an Land gebracht, Sir. Ich habe dem Bootsmann befohlen, mit der Arbeit an der Maststenge… «Raymond unterbrach scharf:»Sehr richtig. Macht sie nur wieder schön, damit Mathias Tuke noch einmal sein Spiel mit ihr treiben kann.»

Bolitho warf den Kopf zurück, und Herrick wandte sich ab.»Mr. Herrick verdient diese Behandlung nicht, Sir. Er ist ein tapferer Mann und ein ausgezeichneter Offizier. Einige gute Leute haben ihr Leben verloren. Einer erst heute morgen. «Das war der beklagenswerte Watt gewesen. Gwyther hatte gesagt, es hätte ihn überrascht, daß der Mann mit dieser Verletzung so lange überlebt hätte.»Ich befehlige dieses Schiff, und ich habe die Verantwortung. «Er sah Raymond scharf an.»Tuke ist gerissener, als ich dachte. Vielleicht habe ich nur das gesehen, was ich sehen wollte. Doch wie dem auch sei, es war meine Entscheidung. «Er senkte die Stimme, als Keen eilig vorbeikam.»Es wird alles nur noch schlimmer, wenn wir zulassen, daß unsere persönlichen Gefühle mitspielen.»

Raymond entgegnete:»Ich habe nicht vergessen, wer die Tempest befehligt. Darauf werde ich deutlich hinweisen, wenn ich meine Berichte nach London schicke. Und Sie brauchen mir nicht zu sagen, wie ich mich benehmen soll. Ich habe meine Gefühle Ihnen gegenüber klar zu erkennen gegeben, denke ich. Es ist also nutzlos, von mir jetzt, da Ihre Sterne weniger günstig stehen, Gefälligkeiten zu erbitten.«»Ist das alles, Sir?»

Bolitho ballte die Fäuste hinter seinem Rücken. Er erkannte, wie geschickt er in eine Falle gelockt worden war. Vielleicht war er nur zu müde, oder er verlor wie Le Chaumareys die Wirklichkeit aus dem Griff.

«Im Augenblick, ja. «Raymond wischte sich über das Gesicht.»Ich werde in Bälde eine Konferenz einberufen, um einen Feldzug gegen Tuke und alle seine Helfershelfer zu planen. Wenn wir dabei für de Barras den französischen

Gefangenen dingfest machen können, dann ist alles schön und gut. «Es klang weniger selbstsicher, als er hinzufügte:»De Barras hat Vollmachten von seinem Land und besitzt die Mittel, seine Befehle auszuführen. Wir befinden uns nicht im Krieg, und er zumindest scheint zu wissen, was er will.»

Bolitho dachte an die Kajüte, die reichen Teppiche und den eingeschüchterten Jungen mit dem Wein. Vor allem aber an de Barras' Gleichgültigkeit gegenüber der brutalen und sadistischen Behandlung seiner eigenen Leute. Er zwang sich zu der Frage:»Wie hat Hardacre die Nachricht aufgenommen?»

Raymond hob die Schultern.»Ich bin nicht ganz sicher, worüber er am meisten trauert. Seine kostbaren Eingeborenen, die sowohl seine Leute als auch einige der Ihren umgebracht haben, oder aber daß er nicht mehr über eine eigene Armee verfügt, mit der er sich brüsten kann. Ich werde mich erst zufrieden geben, wenn ich richtige Soldaten hier habe. Ich habe mich noch nirgendwo mit Dilletanten abfinden können.»

Raymond ging zur Gangway, blieb dort stehen und sah in sein Boot hinunter.

«In Kürze wird eine Brigg aus England kommen. Auf der Fahrt nach Neusüdwales wird sie auch diesen Hafen anlaufen. Sie kann die Wachen wieder nach Sydney mitnehmen, wo sie herkommen. Dann haben sie keine Ausrede mehr dafür, daß sie mir keine Truppen schicken. «Trotz seines Hasses gegen den Mann, trotz seines Kummers über das, was geschehen war, spürte Bolitho eine innere Warnung.

Das brennende Dorf und das, was Herrick ihm über die Eingeborenen der Nordinsel berichtet hatte, machten Hardacres Hoffnungen zum Gespött. Rache für das, was Tukes Leute ihnen angetan hatten, hatte Finneys Leuten das Leben gekostet und beinahe auch Herrick. Der alte Haß konnte bald wieder aufflammen und Insel gegen Insel, Stamm gegen Stamm aufbringen.

Eines der auffallendsten Dinge, die er bemerkt hatte, als die Tempest in die Bucht einlief, war das Fehlen der Kanus und der eingeborenen Schwimmer. Doch dieselben jungen Männer und Mädchen waren noch da, auf den Stränden und hinter der dichten grünen Laubwand. Aber sie hielten sich zurück, als ob sie fürchteten, wenn sie zu nahe kämen, würden sie sich infizieren und ihre Einfachheit und Sicherheit verlieren, die ihnen zu einem selbstverständlichen Besitz geworden war.

«Und bis zu ihrer Ankunft, Sir?«Er wußte die Antwort im voraus.

«Die Verantwortung liegt bei Ihnen, Kapitän. Hardacre hat noch genügend Leute, um sich um die Siedlung zu kümmern. Den Schutz ihres Aufbaus übertrage ich Ihnen und werde das auch in meinem Bericht festhalten. Es ist eine schwere Verantwortung. «Er blickte sich um, seine Augen waren beinahe im Schatten verborgen.»Es wird mich interessieren, Ihren, äh, Erfolg zu beobachten. «Mit einem kurzen Nicken für die Seitenwache ließ er sich in sein Boot hinunter.

Herrick kam über das Achterdeck und sagte unverblümt:»Ich könnte sehr gut ohne diesen Burschen auskommen. «Bolitho beschattete seine Augen, um zu der Siedlung mit ihren Palisaden und Blockhäusern hinüberzublicken. Vielleicht beobachtete sie das Schiff, denn sie wußte, daß ihr Mann ungeduldig darauf wartete, auf die Tempest zu kommen, und sei es auch nur, um die Bürde ihres Kapitäns zu vergrößern.

Von dem Fehlen der lachenden Insulaner abgesehen, schien alles so wie zuvor. Der kleine Schoner wurde schon mit Ballen und Körben beladen, und er nahm an, er würde bald zu einer der benachbarten Inseln auslaufen. Um den Handel aufrechtzuerhalten. Um Vertrauen wiederzugewinnen. Hardacre ging ein großes Risiko ein, aber das hatte er schon seit langer Zeit getan.

Bolitho sagte:»Ich wünsche, daß das Schiff so bald wie möglich wieder zum Auslaufen bereit ist. Halten Sie die Leute bei der Arbeit, so lange es hell ist, und vergessen Sie nicht, eine Wache mitzugeben, wenn Sie jemanden nach Früchten oder Wasser an Land schicken. «Herrick nickte.»Ich konnte nicht verhindern zu hören, was er zuletzt sagte, Sir. Ich finde es verdammt unfair, Ihnen die zusätzliche Aufgabe anzuhängen, über die Sträflinge zu wachen.»

Bolitho lächelte ernst.»Die Sträflinge werden keine Schwierigkeiten machen. Ich bezweifle, daß sie sich wünschen, die Siedlung zu verlassen. «Er drehte sich um, um zu beobachten, wie neues Tauwerk nach oben gehievt wurde.»Jedenfalls tun wir das, wofür wir bezahlt werden. «Er ging auf den Niedergang zu.»Sagen Sie Noddall…«Er brach ab.

Herrick ging langsam zu den ausgespannten Netzen und blickte zu dem einladenden Strand hinüber. Einladend? Er dachte an die große blutige Fläche im Sand, an die menschlichen Fragmente, die in der Sonne verrotteten, und schauderte. Nur das Licht von St. Anthony im Ärmelkanal noch einmal sehen, am Ufer des Medway Spazierengehen, die Obstbäume und die Bauernhöfe riechen. Er würde nicht zu lange an Land bleiben wollen. Aber wissen, daß er es wiedersehen konnte.

Borlase trat neben ihn.»Nun, Sir, wie steht es mit dem Posten des Steuermannsmaaten? Ich habe einen guten Mann in meiner Gruppe.»

Herrick reckte die Schultern unter seinem Rock, als wolle er wieder Kontakt mit der Wirklichkeit gewinnen. Männer mußten neu eingeteilt werden, ein Mangel an Kräften in einer Wache mußte durch Versetzungen aus einer anderen behoben werden. Die ganze Wacheinteilung mußte neu geordnet werden, wobei die behinderten Männer zu Arbeiten herangezogen wurden, denen sie gewachsen waren und die sie gut verrichten konnten.

Jemand mußte gefunden werden, der die Stelle des armen Noddall übernahm.

Er drehte sich um, als der Posten von der Gangway rief:»Die Jolle kommt zurück.»

Borlase sagte schroff:»Die Streife bringt die beiden Deserteure zurück. Sie sollten bis zur Bewußtlosigkeit ausgepeitscht werden, nach dem, was wir durchgemacht haben!»

«Das meine ich nicht. «Herrick beobachtete das näherkommende Boot, die beiden bedrückten Gestalten zwischen den Marinesoldaten.»Wir brauchen jeden gesunden Mann, und, bei Gott, die beiden werden arbeiten!«Er sah Jury mit einem seiner Unteroffiziere auf sich zukommen, und aus der entgegengesetzten Richtung tauchte die rote Weste des Zimmermanns auf. Fragen, Dinge, die gesucht wurden, Dinge, die kaputtgegangen waren. Er lächelte. Das alles gehörte zur täglichen Arbeit eines jeden Ersten Offiziers.

Es war eine gemischte Gesellschaft. Raymond, sehr beherrscht und streng, saß an einem langen, mit Schnitzereien verzierten Tisch. John Hardacre, mit buschigem Haar und Bart und in seiner lose fallenden, fremdartigen Robe, unterschied sich sehr von Raymonds gepflegter Eleganz.

Auf der anderen Seite des Raums saß, ein Bein lässig über das andere geschlagen, der Kommandant der Narval, Comte de Barras, mit seinem dienstältesten Offizier, Leutnant Vicariot. Beide waren in leuchtend blauen und weißen Uniformen, und de Barras' Perücke fügte dem Bild noch einen zusätzlichen Akzent des Unwirklichen hinzu. Die Franzosen boten so elegante Erscheinungen, daß Bolitho sich daneben schäbig vorkam, und ein Blick auf Herrick überzeugte ihn, daß sein Erster Offizier weitgehend das Gleiche empfand.

Ein pockennarbiger Aufseher von der Siedlung, ein Mischling namens Kimura, der mehr als alles andere wie ein Henkersknecht wirkte, vervollständigte die Versammlung. Bolitho versuchte, in seinem Rohrstuhl bequem zu sitzen. Er fragte sich, wie der Ort hier wohl in einem Jahr aussehen mochte. Ein großes, gut gebautes Haus und eine gedeihende Gemeinschaft von Händlern und Verwaltungsbeamten? Schreiber und Vorarbeiter, Fachleute für dieses und jenes aus England? Oder würde es so sein, wie er es schon an anderen Orten in der Südsee gesehen hatte? Vom Dschungel wieder überwuchert, selbst von den Eingeborenen verlassen, die in die Abhängigkeit von Außenposten dieser Art geraten waren?

Durch ein hohes Fenster, gegen die strahlende Sonne durch geflochtene Matten gut geschützt, konnte er das Ende der Bucht sehen, eine dunkelgrüne Landzunge, hinter der sich die See wie ein durch einen Deich eingedämmtes Wasser erstreckte.

Die Tempest lag seit fünf Tagen vor Anker, Tage endloser Arbeit und aufflammender Temperamente. Drei Leute waren ausgepeitscht worden aus so trivialen Anlässen, daß man zu anderen Zeiten darüber hinweggegangen wäre. Bolitho verabscheute überflüssige Bestrafungen genausosehr wie die Leute, die darin das beste Mittel sahen, Verstöße zu ahnden.

Die enge Nachbarschaft des französischen Schiffes hatte alles noch verschlimmert, die Gesichter, die seine Reling säumten, um das bittere Ritual der Bestrafung mit der Peitsche zu beobachten.

Bolitho war mehrmals an Land gewesen, um Raymond über die Fortschritte bei der Arbeit zu berichten, um mit den Wachen des Corps, die mit den Sträflingen aus Sydney gekommen waren, über Sicherheitsfragen zu beraten. Er hatte auch eine Fülle von Möglichkeiten gehabt, mit Deportierten zusammenzukommen. Selbst nach den langen Monaten, die sie auf ihre Prozesse gewartet und die weite Reise ans andere Ende der Welt zurückgelegt hatten, schienen sie immer noch gelähmt zu sein. Aber sie wirkten durchaus gesund und waren auch nicht mehr so verstört wie damals, als Bolitho einige an Bord der Eurotas gesehen hatte.

Die Eurotas stellte ihn vor ein Rätsel. Warum konnte man sie entbehren und hier in der Bucht nutzlos vor Anker liegen lassen? Versorgungsschiff war sie nicht, und von ihrer unterbesetzten Mannschaft abgesehen, schien sie nichts anderes zu bieten als eine Fluchtmöglichkeit, wenn die Siedlung in Gefahr geriet. Bolitho wußte, daß Herrick zweimal drüben auf dem Schiff gewesen war und versucht hatte, Männer für die Tempest anzuwerben. Durch Mittel, über die Bolitho nur Vermutungen anstellen konnte, hatte er sechs neue Leute angeworben, alle ausgebildete Matrosen. Was es Herrick auch an Geduld und Humor gekostet haben mochte, die Leute waren ihr Gewicht in Gold wert. Zweifellos war nach allen Andeutungen und Versprechungen aus Sydney damit zu rechnen, daß schließlich jemand mit einer neuen Vollmacht erscheinen würde, um die Eurotas wieder für die Regierung zu übernehmen, und dann würde sie fortsegeln.

Er versuchte, sich auf die im Raum Anwesenden zu konzentrieren, den Platz zu finden, den sie in dem Puzzlespiel einnahmen. Aber es war nur zu leicht, statt dessen an Viola Raymond zu denken. Er hatte sie nur einmal nach seiner Rückkehr gesehen, während ihr Mann an Bord der französischen Fregatte die Gastfreundschaft von de Barras genoß. Für gerade eine Stunde war er mit ihr zusammen gewesen. Aber nicht allein. Um sie so gut er konnte vor weiterem Klatsch zu schützen, hatte Bolitho sie zu der neugeschaffenen Lichtung begleitet, wo eine Gruppe Sträflinge eine Reihe Hütten für ihren eigenen Bedarf errichteten.

Ihre schweigsame Zofe, die einzige weibliche Deportierte auf den Levu-Inseln, war ihnen gefolgt. Sie hatte weder nach rechts noch nach links geblickt, als sie an den Hütten vorbeikamen.

Bolitho hatte gesagt:»Bald kommt eine Brigg aus England. «Er hatte Viola angesehen, die Art, wie sie den Kopf hielt, ihr volles, schimmerndes Haar unter dem breiten Strohhut. Sie erschien ihm bezaubernder als je zuvor.»Wenn du darauf bestehst, mit ihr nach Sydney zu fahren, kann ihr Kapitän es dir nicht verweigern. Und dein Mann kann es auch nicht. Du hast seinen Wünschen entsprochen. Die Geste ist gemacht. Nichts kann dadurch gewonnen werden, daß du hier bleibst, und ich will nicht, daß er einfach nur zusieht, wie du deine Gesundheit aufs Spiel setzt.»

Darauf war sie stehengeblieben, hatte seine Hände ergriffen und ihn herumgezogen, so daß er sie ansah.»Du verstehst mich überhaupt nicht, Richard. «Mit leuchtenden Augen hatte sie zu ihm aufgelächelt.»Was wäre, wenn ich täte, was du vorschlägst? Nämlich das nächste erreichbare Schiff nach England nehmen, meine sieben Sachen zusammenpacken und in dein Haus in

Falmouth einziehen?«Sie hatte den Kopf geschüttelt, noch ehe er protestieren konnte.»Ich liebe dich so sehr, und deshalb will ich hierbleiben. Ich muß hier sein. Hunderte und Aberhunderte Meilen von dir entfernt mir bange Fragen stellen, mich um dich ängstigen und darauf warten, daß dein Schiff Anker wirft — das würde meine Qualen nur vergrößern. Hier kann ich dich wenigstens sehen. Dich berühren. Dir nahe sein. Ich weiß, wenn ich zulasse, daß wir wieder voneinander getrennt werden, wird es für immer sein. Wenn du nach Neusüdwales, nach Indien, ans Ende der Welt befohlen wirst, dann werde ich nach Falmouth gehen und zwar gern. «Sie hatte wieder den Kopf geschüttelt.»Aber dich James auszuliefern? Niemals!«Daran dachte Bolitho, als er beobachtete, wie Raymonds Finger in seinen amtlichen Papieren blätterten. Sie hatte recht. Er hatte es nicht verstanden. Er hatte nur an ihre Sicherheit gedacht, daran, daß sie von Raymond frei sein würde. Aber Liebe kannte eben keine Vorsicht und machte aus Weisen Narren.»Und jetzt, meine Herren…«Raymond blickte auf.»Folgendes ist meiner Ansicht nach unser nächstes Ziel. Für mich selbst ist der Ausbau und der Schutz dieser Siedlung und ihrer Handelswege wichtig. «Er lächelte in de Barras' delikat geschnittenes Gesicht.»Und Sie, M'sieu le Comte, wünschen diesen Renegaten wieder zu fassen und in Ihre Heimat zurückzukehren, wie es Ihre ursprüngliche Absicht war.»

De Barras nickte leicht, die Lippen etwas vorgeschoben, vorsichtig, nicht gewillt, zu früh seine Karten aufzudecken. Raymond sah Hardacre an.»Ich weiß, welche Empfindungen die jüngsten Ereignisse bei Ihnen ausgelöst haben, aber ich fürchte, sie sind schon seit Monaten zu erwarten gewesen. Diejenigen, die mit einem Problem leben, sind oft die letzten, die es wahrnehmen. «Ein freundliches Lächeln.»Wir sind jedoch jetzt hier, und ob es ihnen paßt oder nicht, ein paar Eingeborene werden sich mit uns abfinden müssen. Wir sind nicht eine x-beliebige Gesellschaft mit einer Konzession oder ein privates Unternehmen. Die Krone erhebt Anspruch auf diese Inseln und ist berechtigt, ihren Anspruch zu schützen. «Bolitho beobachtete de Barras, der bei den letzten Worten seinem Leutnant rasch einen Blick zugeworfen hatte. Raymond hatte seine Position sehr klar dargelegt, wohl in der Annahme, daß auch die Franzosen ein Auge auf die Levu-Inseln geworfen hatten.

Dann sah er Herrick an, der mit gekreuzten Armen dasaß, die blauen Augen auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Er fühlte sich fehl am Platz, ihm war unbehaglich. Wahrscheinlich dachte er an sein Schiff. An notwendige Reparaturen und alles andere, das seine Aufmerksamkeit erforderte.

Einen Augenblick sah er Herrick wieder auf diesem schrecklichen Strand, den Degen in der Hand, das Gesicht einer rasenden Bande blutrünstiger Eingeborener zugewendet. Eine Minute — nein, nur Sekunden länger, und sein Stuhl wäre jetzt unbesetzt.

Raymond fuhr geschmeidig fort:»Mit der Unterstützung der Narval und ihrer ausgezeichneten Besatzung werden wir, davon bin ich überzeugt, alle unsere Ziele erreichen können. Es liegt in unserem Interesse, daß der Pirat Mathias Tuke und seine Bande ohne weitere Verluste für uns vernichtet und bestraft werden.»

Bolitho wußte, daß de Barras zu ihm herüberblickte, um ihn an ihre erste Begegnung zu erinnern. Es waren beinahe genau seine Worte.

Raymond fuhr fort:»Als Gegenleistung werden wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um den Gefangenen des Comte wieder zu ergreifen. «Er sah den französischen Kapitän direkt an.»Ich bin sicher, wenn ich meine Berichte nach London schicke, um unsere Erfolge zu melden, werden sie in Paris ebenso günstig aufgenommen werden. Was meinen Sie, M'sieu le Comte?»

De Barras streckte die Beine aus und lächelte.»Ich verstehe.»

Und ich auch! Bolitho hätte es nicht geglaubt, wenn er nicht selbst anwesend gewesen wäre. De Barras mußte Raymond sehr reich bewirtet haben. Durch französische Matrosen war sogar noch bei Bolithos Ankunft eine reichliche Lieferung

Wein in die Siedlung geschafft worden. Und dennoch, wie alle Tyrannen war auch de Barras für Komplimente empfänglich, bereit, Raymonds Wink zu akzeptieren, daß er höherenorts ein lobendes Wort anbringen wolle, was ihm letzten Endes auch in Frankreich nützen konnte. Wenn, wie Bolitho argwöhnte, de Barras sein einsames Kommando erhalten hatte, um ihn außer Landes zu halten, bis in Frankreich über irgendeine peinliche Affäre Gras gewachsen war, konnte Raymonds beiläufiges Angebot dem Grafen sogar noch mehr als nur eine Schmeichelei bedeuten. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und eine von Hardacres Dienerinnen spähte in den Raum, offenkundig eingeschüchtert vom Anblick so vieler bedeutender Gäste. Raymond fragte ungeduldig:»Was will sie?«Der Mischling Kimura flüsterte mit ihr und erklärte dann:»Der Häuptling ist da. «Er deutete auf ein Fenster.»Er wartet draußen im Hof.»

«Dann soll er warten. «Raymond schien über die Störung ungehalten zu sein.

Hardacre sagte:»Tinah ist ein großer Häuptling, Mr. Raymond. Ein guter Freund. Es wäre falsch, ihn in dieser Weise zu behandeln.»

«Also gut. Dann gehen Sie zu ihm hinaus, wenn es sein muß. «Raymond betrachtete ihn kalt.»Aber keine Ihrer

Versprechungen. Haben Sie gehört?»

Hardacre schritt hinaus, seine großen Sandalen klatschten auf den Binsenmatten.»Ich habe gehört.»

«Also gut. «Raymond bemerkte, daß der Aufseher noch anwesend war.»Auch Sie können gehen. «Er lächelte.»Es fällt den Leuten hier schwer, sich mit dem Fortschritt abzufinden. «Das Lächeln verschwand.»Der junge Bursche,

der mit der Nachricht von dem Überfall auf die Nordinsel kam, ist nicht wiedergefunden worden?»

Bolitho sagte:»Vermutlich fürchtete er, als Verräter angesehen zu werden, Sir. Aber das beweist, daß es selbst auf der Nordinsel Leute gibt, die Hardacre genug vertrauen,

um bei ihm Hilfe zu suchen.»

«Mag sein. Aber der Schaden ist angerichtet. Tuke hat Ihr Schiff angegriffen, das war die Tat eines Verbrechers und

Mörders. Diese >freundlichen< Eingeborenen haben versucht, Ihre Leute zu töten und den größten Teil von Hardacres Milizen hingeschlachtet. In Anbetracht dessen, was Sie versucht haben, ist das unverzeihlich.«»Sie haben nicht erkannt, daß zwischen Tukes Leuten und meinen ein großer Unterschied besteht. Wie sollten sie auch?«Doch Bolitho wußte, daß es sinnlos war.»Verdammt, jetzt werden sie es aber!«Raymond drehte sich auf seinem Sessel heftig um, als Hardacre wieder hereinkam.»Was gibt es?»

Hardacre sagte:»Der Häuptling hat erklärt, daß sein Volk sich darüber schämt, was meinen Leuten widerfahren ist. «Er sah Bolitho an.»Und Ihren. Aber der Häuptling der Nordinsel ist bei dem ersten Angriff getötet worden. Jetzt haben dort weniger gefestigte Köpfe die Macht. Sie war nie eine der freundlichsten Inseln, und nachdem ihre Boote verbrannt worden sind, stehen ihnen harte Zeiten bevor. Unsere Leute hier fürchten sich, sie aufzusuchen. «Raymond schnüffelte.»Das überrascht mich nicht. Und was haben Sie ihnen versprochen? Ein Schiff voller Schweine und neue Boote?«De Barras lachte leise.

«Ich habe versprochen, daß Sie ihnen helfen würden, Sir. Und sie nicht bestrafen.«»Was haben Sie getan?»

Hardacre fuhr unbeirrt fort:»Als Gegenleistung wollen sie Nachrichten über Tuke liefern. Alles tun, was sie können, um bei seiner Ergreifung zu helfen. Sie haben keinen Grund, ihn zu lieben, aber allen Grund, Ihre Vergeltung zu fürchten.»

Raymond betupfte seinen Mund.»Bei seiner Ergreifung helfen, sagen Sie?«Er sah de Barras an.»Soso. «Er kam zu einem Entschluß.»Kapitän Bolitho, gehen Sie hinaus und sprechen Sie mit diesem Häuptling. Sagen Sie ihm, Sie wären ein sehr enger persönlicher Freund von Kapitän Cook, oder was Sie wollen. Aber bringen Sie ihn dazu, daß er mit Ihnen verhandelt.»

Hardacre folgte Bolitho aus dem Raum und blieb neben der Tür schwer atmend stehen. Die Dielen knarrten unter seinem

Gewicht.

«Er ist ein großer Häuptling! Kein unwissender Wilder!«Er wandte sich Bolitho zu.»Ich könnte diesen Lackaffen mit weniger Hemmungen umbringen als einen Mistkäfer. «Bolitho ging die Holzstufen hinunter und trat in das strahlende Sonnenlicht hinaus. In der Mitte des großen, umzäunten Hofes saß auf einem verzierten Hocker sehr aufrecht und ruhig der Häuptling, die dunklen Augen fest auf den leeren Galgen gerichtet. Er war jünger, als Bolitho erwartet hatte, mit dichtem, buschigem Haar und einem kleinen Bart. Sein Gewand bestand aus grünem, mit farbigen Perlen besticktem Stoff, und um den Hals trug er einen schlichten Schmuck aus Golddraht. Seine Augen wanderten zu Bolitho, als Hardacre sagte:»Tinah, dies ist der englische Kapitän des Schiffes. «Er zögerte, ehe er hinzusetzte:»Ein guter Mann. «Tinahs Blick war nicht von Bolithos Gesicht gewichen, noch hatte er während Hardacres Vorstellung geblinzelt; doch jetzt lächelte er, unvermittelt und entwaffnend. Bolitho sagte:»Was haben Sie Mr. Hardacre über die Piraten gesagt? Ist es möglich, daß Sie für uns ihren Aufenthaltsort ausfindig machen können?«»Alles ist möglich. «Seine Stimme war tief, er sprach mit einem schleppenden Akzent, aber Bolitho bezweifelte, daß jemand mehr wie ein Häuptling aussehen konnte als er.»Wir haben jetzt Frieden, Kapitän. Wir wollen ihn bewahren. Ihre Männer sind angegriffen worden. Aber was würde Ihr Herz sagen, wenn vor Ihren Augen Ihre Frauen mißbraucht und getötet und Ihre Häuser niedergebrannt würden? Würden Sie innehalten, um zu sagen, diese Männer sind gut, jene sind schlecht?«Er hob einen schweren, kunstvoll geschnitzten Stab und stieß ihn fest auf den Boden.»Nein. Sie würden sagen, tötet!«Herrick kam aus dem Gebäude und sah den sitzenden Häuptling und sein kleines Gefolge, das beim Tor wartete. Er sagte:»Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Sir, aber Mr. Hardacre wird drinnen gewünscht. «Er lächelte.»Beinahe hätte ich >an Deck< gesagt, Sir. Es hat den Anschein, daß der tapfere französische Kapitän sich nach

Wasser und Lebensmitteln auf den umliegenden Inseln erkundigen will.»

Hardacre nickte grimmig.»Ich werde gehen. Es ist lebenswichtig, daß sein Schiff jeden Ankerplatz friedlich anläuft. Ich möchte nicht, daß die Menschen hier ihn als Feind betrachten. «Er fügte hinzu:»Gleichgültig, was ich persönlich darüber denke.»

Herrick sah den Häuptling scharf an.»Ein Mann wurde gefangengenommen. Sein Name ist Finney.»

«Ich kannte Finney. «Tinah sah auf das Gebäude.»Ich habe meinem Freund nicht gesagt, wie er starb. Nur, daß er starb.»

Herrick fragte schroff:»Können Sie es mir sagen?«»Wenn Ihr Kapitän das wünscht. «Der Häuptling seufzte.»Die Nordinsel ist anders als unsere. Finney wurde an einen Pfahl gefesselt und mit Lehm aus dem Bach bedeckt. Damit er atmen konnte, gab man ihm durch den Lehm ein Stück Rohr. «Seine Augen waren fest auf die Herricks gerichtet.»Dann wurde sein Körper über ein sehr niedriges Feuer gehalten.»

Herrick wandte sich voller Abscheu ab.»Mein Gott, lebendig gebacken!»

Tinah hob die Schultern.»Mein Vater hat mir von solchen Dingen erzählt. Aber auf der Nordinsel…«Herrick nickte.»Ich weiß. Die Menschen dort sind anders als Ihr Volk.»

Der Häuptling blickte Herrick nach, der in das Haus zurückging.»Das muß der starke Kämpfer sein. Der Mann, der allein stehenblieb. «Er nickte.»Ja, ich habe von ihm gehört.»

Hardacre kam wieder und sagte:»Es ist vorbei. «Er sah Bolitho an.»Wenn das alles ist, Captain?«Bolitho griff an seinen Hut.»Ja.»

Offensichtlich hatten Hardacre und der Häuptling über Probleme zu diskutieren; eine Kluft zu überbrücken, ehe sie für beide tödlich wurde.

In Raymonds Arbeitsraum traf er die anderen beim Wein an. Eine Tür wurde geöffnet, und ein Diener wich zur Seite, um Viola Raymond eintreten zu lassen.

Raymond stellte sie de Barras vor, der sich aus der Hüfte verbeugte, ihr die Hand küßte und sagte:»Teure Lady, ich war so enttäuscht, daß Sie nicht mit Ihrem Gatten, dem Residenten, in mein bescheidenes Quartier gekommen sind.»

Sie erwiderte:»Danke, M'sieu le Comte. Vielleicht ein andermal.»

Der französische Leutnant verneigte sich steif und murmelte etwas in sehr gebrochenem Englisch. Viola sah Herrick an und streckte die Hand aus.»Ach, Leutnant, es freut mich sehr, Sie wiederzusehen. «Herricks Sonnenbräune ließ sein Erröten nicht erkennen.»Äh, vielen Dank, Ma'am. Auch ich freue mich, Sie zu sehen. Freue mich wirklich.»

Sie ging weiter zu Bolitho und reichte ihm die Hand.»Cap-tain…»

Bolitho berührte ihre Finger mit den Lippen.»Mrs. Raymond.»

Ihre Blicke begegneten sich, und er spürte den schwachen Druck ihrer Finger.

Als sie weiterging, um mit dem Diener zu sprechen, trat de Barras an Bolithos Seite und sagte mit gedämpfter Stimme:»Ah, jetzt weiß ich, warum Madame nicht auf mein Schiff wollte, oui?»

Er kehrte zu seinem Leutnant zurück und lachte leise vor sich hin.

Herrick flüsterte:»Haben Sie das gehört, Sir? Der unverschämte Hund!«Er drehte den anderen den Rücken zu.»Aber Sie sehen, wie es geht, Sir. Sie müssen vorsichtig sein.»

Bolitho blickte an ihm vorbei und bewunderte Violas Haar, das ihr auf die Schultern fiel. Vorsichtig sein… Herrick ahnte nicht, wie es war, ergeben danebenzustehen und zuzusehen, wie die so innig geliebte Frau um Armeslänge von ihm ferngehalten wurde.

Die einzige erfreuliche Nachricht, die er erhalten hatte, hatte der junge Häuptling Tinah gebracht. Wenn sie die Piraten stellen und ein für allemal vernichten konnten, bestand eine reale Möglichkeit, daß die Tempest nach Hause zurückbeordert wurde, nach England. Und dann?

Herrick beobachtete traurig seinen Kapitän. Es war hoffnungslos. Als wolle man einem Stier befehlen, nicht anzugreifen, einer Katze, nicht zu mausen.

Er bemerkte, daß im Nebenraum eine Tafel vorbereitet wurde, und zählte die Stühle. Nun gut, beschloß er, machen wir das Beste daraus.

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