Dick Francis Galopp (Trial Run)

Kapitel 1


Mir fielen mindestens drei Gründe ein, warum ich nicht nach Moskau wollte; einer davon war sechsundzwanzig, blond und gerade dabei, oben ihren Koffer auszupacken.

»Ich kann kein Russisch«, sagte ich.

»Natürlich nicht.«

Mein Besucher seufzte über soviel Beschränktheit und nahm ein vornehmes Schlückchen von seinem Pink Gin. Seine Stimme klang herablassend.

»Niemand erwartet von Ihnen russische Sprachkenntnisse.«

Der Freund eines Freundes hatte ihn telefonisch angekündigt. Er sagte, sein Name sei Rupert Hughes-Beckett; es handele sich um eine etwas - äh - delikate Angelegenheit, und er wäre dankbar, wenn ich eine halbe Stunde Zeit für ihn hätte.

Als ich auf sein Klingeln hin die Haustür öffnete, fiel mir sofort das Wort »Mandarin« ein, und seither hatte jede Geste, jede Betonung diesen Eindruck verstärkt. Ein Mann von ungefähr fünfzig, groß und hager, tadellos und unauffällig gekleidet, umgeben von einer Aura unerschütterlicher Höflichkeit. Die kultivierte Stimme sprach, ohne daß sich die Lippen viel bewegten, als könne ein Anspannen der Muskeln in der Mundgegend an sich schon das Entschlüpfen eines unvorsichtigen Wortes verhindern. Jede Bewegung der Hände war beherrscht, ja sogar die Art, wie er sich nur kurz umsah und sich dann ganz auf mich, seine eigenen Handrücken und das Glas mit seinem Drink konzentrierte.

Männer seines Schlages waren mir nicht unbekannt, und

einige hatte ich sogar gern, Rupert Hughes-Beckett gegenüber jedoch verspürte ich eine unerklärliche Abneigung, die in mir den Wunsch erweckte, nein zu seinen Vorschlägen zu sagen.

»Es würde Sie nicht viel Zeit kosten«, sagte er geduldig. »Wir rechnen mit einer - höchstens zwei Wochen.«

Ich brachte genausoviel behutsame Höflichkeit auf wie er.

»Warum fahren Sie nicht selbst?« fragte ich. »Sie würden viel leichter Zugang finden.«

Ein Hauch von Ungeduld zuckte in seinen Augen auf. »Man hält es für besser, jemand zu schicken, der mit ... äh ... Pferden vertraut ist.«

Schlüpfrige Bemerkungen hätten zu nichts geführt und Rupert Hughes-Beckett kaum gefallen. Außerdem schloß ich aus der abfälligen Art, wie er »Pferd« sagte, daß er von seinem gegenwärtigen Auftrag ebensowenig begeistert war wie ich. Das machte ihn mir nicht sympathischer, aber es erklärte wenigstens, warum ich ihn instinktiv abgelehnt hatte. Er tat sein Bestes, und das war gar nicht wenig, doch mit diesem einen Wort hatte er seine ganze Geringschätzung verraten: Mir war diese Haltung schon zu oft begegnet, ich kannte sie.

»Keine Ritter mehr im Auswärtigen Amt?« fragte ich spöttisch.

»Wie meinen Sie?«

»Warum ich?« wollte ich wissen und hörte in der Frage die ganze Verzweiflung des ungewollt Erkorenen. Warum ich? Ich will nicht. Weg damit. Sucht euch jemand anderen. Laßt mich in Ruhe.

»Man fand wohl, es sollte Ihnen angetragen werden, weil Sie den nötigen ... äh ... Status haben«, erwiderte er und lächelte schwach, als wolle er sich für eine derart extravagante Feststellung entschuldigen. »Und die Zeit natürlich«, setzte er hinzu.

Das ging unter die Gürtellinie, aber mein Gesicht blieb ruhig und ausdruckslos. Ich nahm die Brille ab und hielt sie gegen das Licht, wie um zu sehen, ob sie sauber sei, dann setzte ich sie wieder auf. Eine Verzögerungstaktik, die ich mein Leben lang, häufig ganz unbewußt, angewendet hatte, um mir Zeit zum Überlegen zu verschaffen. Eine Angewohnheit aus der Zeit, als mich ein Rechenlehrer mit sechs Jahren gefragt hatte, was ich mit dem Multiplikator gemacht hätte.

Ich hatte damals die eulenhaften Silbergerahmten abgesetzt und seine plötzlich verschwommenen Umrisse angestarrt, während ich in panischer Angst nachdachte. Was, um Himmels willen, war ein Multiplikator?

»Ich habe ihn nicht gesehen, Sir. Ich war’s nicht, Sir.«

Sein sardonisches Gelächter hörte ich heute noch. Aus dem Silberrahmen wurde ein Goldrahmen, dann Plastik und schließlich Schildpatt, aber ich nahm immer noch die Brille ab, wenn ich keine Antwort wußte.

»Ich habe Husten«, sagte ich. »Und es ist November.«

Die Albernheit dieser Erklärung wurde durch das tiefe Schweigen noch unterstrichen; Hughes-Beckett neigte den Kopf über sein Glas.

»Ich fürchte, die Antwort ist nein«, sagte ich.

Er hob den Kopf und betrachtete mich ruhig und höflich.

»Man wird enttäuscht sein«, stellte er fest. »Ich möchte fast sagen ... äh ... bestürzt.«

»Sie schmeicheln mir.«

»Man war der Ansicht, daß Sie ...« Er ließ den Satz unbeendet.

»Wer war der Ansicht?« fragte ich. »Wer genau?«

Sanft schüttelte er den Kopf, stellte das leere Glas ab und stand auf.

»Ich werde Ihre Antwort übermitteln.«

»Und mein Bedauern.«

»Wie Sie wünschen, Mr. Drew.«

»Ich hätte keinen Erfolg gehabt«, tröstete ich. »Ich bin kein Detektiv, ich bin Bauer.«

Er warf mir einen Seitenblick zu; ein weniger beherrschter Mensch hätte wahrscheinlich gesagt: »Reden Sie keinen Blödsinn.«

Ich ging mit ihm in die Halle, half ihm in den Mantel, öffnete die Tür und sah ihm nach, wie er barhäuptig durch die eisige Dunkelheit zu dem wartenden Daimler mit Chauffeur ging. Zum Abschied ließ er mich noch fünf Sekunden sein ausdrucksloses Gesicht durch die Scheibe sehen. Dann fuhr der schwere Wagen knirschend über den Kies die Auffahrt hinunter. Ich hustete in der kalten Luft und kehrte ins Haus zurück.

Emma kam in ihrer lässigen Freitagabendaufmachung die geschwungene Regencytreppe herunter: Jeans, kariertes Baumwollhemd, ausgeleierter Pullover und Cowboystiefel. Falls das Haus noch einmal so lange stand, würden die Mädchen des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts in diesem anmutigen Rahmen ebenso deplaziert wirken, überlegte ich flüchtig.

»Bleibt’s bei Fischstäbchen und Glotze?« fragte sie.

»Mehr oder weniger.«

»Du hast schon wieder Bronchitis.«

»Ist aber nicht ansteckend.«

Sie erreichte den Fuß der Treppe und ging ohne stehenzubleiben in die Küche. Bei ihr dauerte es immer eine Weile, bevor der Streß der Woche von ihr abfiel. Ich war die unfreundliche Begrüßung und die kratzbürstigen Zurückweisungen der ersten Stunden schon gewöhnt. Ich versuchte gar nicht mehr, ihr liebevoll entgegenzukommen. Vor zehn ließ sie sich keinesfalls küssen, vor Mitternacht nicht lieben und erst Samstag zur Teezeit war sie ganz sie selbst. Sonntags gammelten wir stillvergnügt vor uns hin, und Montagmorgen um sechs war sie wieder auf und davon.

Lady Emma Louders-Allen-Croft, Tochter, Schwester und Tante von Herzögen, hielt viel vom, wie sie es nannte, Ethos der berufstätigen Frau. Sie arbeitete ganztags, ohne Vergünstigungen, in einem gutgehenden Londoner Warenhaus, wo sie trotz ihres Strebens nach sozialer Benachteiligung kürzlich zur Einkäuferin für Bettwäsche in der zweiten Etage befördert worden war. Emma, mit überdurchschnittlichen organisatorischen Fähigkeiten ausgestattet, grämte sich über ihren Aufstieg; diese Art Geistesverwirrung konnte man in direkter Linie bis zu ihrer Schulzeit zurückverfolgen, wo sie in einem teuren Institut für höhere Töchter im stramm linksgerichteten Soziologieunterricht gelernt hatte, daß Verstand elitär, manuelle Arbeit hingegen der direkte Weg zur Seligkeit sei.

Ihr Trachten nach Aufopferung hatte zu kräftezehrenden Jahren als Kellnerin in Cafes und Verkäuferin in verschiedenen Läden geführt, schien aber ungebrochen. Ohne Stellung wäre sie keineswegs verhungert, hätte sich aber möglicherweise dem Alkohol oder Rauschgift ergeben.

Ich war, wie sie wußte, der Ansicht, daß jemand mit ihren Fähigkeiten eine vernünftige Ausbildung hätte haben oder wenigstens die Universität besuchen sollen, um mehr als nur ein Paar Hände beizutragen, aber ich hatte gelernt, nicht darüber zu reden, weil das eines der vielen heiklen

Themen war, die nur dazu führten, daß sie tobte und schmollte.

»Warum gibst du dich bloß mit dieser verdrehten Schraube ab?« pflegte mein Stiefbruder zu fragen. Weil, wie ich ihm nicht sagte, eine Dosis unverfälschter Lebenskraft alle paar Wochen besser für den Kreislauf war als sein monotones tägliches Jogging.

Emma schaute in den Kühlschrank, dessen Licht auf ihr feinknochiges Gesicht und das platinblonde Haar fiel. Ihre Augenbrauen waren so hell, daß sie ohne Augenbrauenstift unsichtbar blieben, ebenso wie ihre Wimpern ohne Tusche. Manchmal schminkte sie sich die Augen in allen Regenbogenfarben; manchmal, wie heute abend, ließ sie der Natur ihren Lauf. Es kam darauf an, welcher Idee sie augenblicklich huldigte.

»Hast du keinen Joghurt?« fragte sie.

Ich seufzte. Von dem gesunden Zeug hielt ich nichts.

»Nein. Und auch keine Weizenkeime«, erklärte ich.

»Kelp«, berichtigte sie.

»Was?«

»Seetang. In Tablettenform. Sehr gesund.«

»Zweifellos.«

»Apfelessig. Honig. Biologisch angebautes Gemüse.«

»Und Avocados und Palmenherzen sind passe?«

Sie holte ein Stück holländischen Käse heraus und betrachtete es mißbilligend. »Die sind importiert. Importe müssen eingeschränkt werden.«

»Und was ist mit Kaviar?«

»Kaviar ist unmoralisch.«

»Auch wenn er reichlich und billig zu haben wäre?«

»Hör auf, mir zu widersprechen. Was wollte dein

Besucher? Ist die creme caramel zum Abendessen?«

»Ja«, sagte ich. »Er wollte, daß ich nach Moskau fahre.«

Sie richtete sich auf und starrte mich an. »Ich finde das gar nicht witzig.«

»Vorigen Monat fandest du creme caramel himmlisch.«

»Sei nicht albern.«

»Er sagte, ich sollte nach Moskau fahren. Mit einem Auftrag, nicht um mich der marxistisch-leninistischen Lehre in die Arme zuwerfen.«

Langsam schloß sie die Kühlschranktür. »Was für ein Auftrag?«

»Ich soll jemand finden. Aber ich fahre nicht.«

»Wen?«

»Das hat er nicht gesagt. Komm, laß uns was trinken. Im Wohnzimmer brennt der Kamin.«

Sie folgte mir durch die Halle und kuschelte sich mit einem Glas Weißwein in einen tiefen Sessel.

»Wie geht’s den Schweinen, Gänsen und Mangoldwurzeln?«

»Wachsen, blühen und gedeihen«, sagte ich.

Ich hatte keine Schweine, Gänse und erst recht keine Mangoldwurzeln. Eine Menge Rinder hatte ich, drei Quadratmeilen von Warwickshire, und die ganzen neuzeitlichen Probleme des Nahrungsmittelproduzenten. Ich hatte mich daran gewöhnt, den Ertrag in Tonnen pro Hektar zu messen, war aber immer noch nicht von einer Regierungspolitik überzeugt, die mich manchmal dafür bezahlte, daß ich etwas nicht anbaute, und mir bei Zuwiderhandlung mit Strafe drohte.

»Und die Pferde?« fragte Emma.

»Ach ja .«

Ich räkelte mich faul in meinem Sessel, sah, wie das Licht der Tischlampe auf ihr silbriges Haar fiel und beschloß, von jetzt an bei dem Gedanken, daß ich keine Rennen mehr reiten würde, nicht mehr zusammenzuzucken.

»Ich werde sie wahrscheinlich verkaufen«, verkündete ich.

»Es gibt schließlich noch Jagden.«

»Das ist nicht dasselbe. Und es sind keine Jagdpferde. Es sind Rennpferde, und sie gehören auf eine Rennbahn.«

»Du hast sie so lange trainiert ... warum läßt du sie nicht von anderen Leuten reiten?«

»Ich habe sie für mich trainiert. Für andere mache ich das nicht.«

Sie runzelte die Stirn. »Du ohne Pferde ... das kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Nun«, sagte ich, »mir geht es genauso.«

»Es ist wirklich zu blöd.«

»Ich dachte, du bist auch eine Anhängerin des >wir wissen, was gut für dich ist, also finde dich damit ab

»Menschen müssen vor sich selbst geschützt werden«, sagte sie.

»Warum?«

Sie starrte mich an. »Es ist eben so.«

»Sicherheitsvorkehrungen sind ein Industriezweig mit Zukunft«, sagte ich bitter. »Menschen werden durch einen Haufen restriktiver Gesetze daran gehindert, alltägliche Risiken einzugehen ... trotzdem passieren Unfälle, und Terroristen haben wir auch.«

»Du bist immer noch ganz schön auf der Palme, was?«

»Ja.«

»Ich dachte, du bist drüber weg.«

»Die erste Wut hat sich vielleicht gelegt«, sagte ich. »Die Empörung bleibt.«

In meiner Rennlaufbahn hatte ich Glück gehabt, Glück auch mit meinen Pferden, und Hindernisreiten hatte mich, wie viele andere, durch alle Höhen und Tiefen zwischen Leidenschaft, Angst und höchstem Glück geführt. Wäre es nach mir gegangen, wäre ich in diesem Herbst wie gewöhnlich geschäftig von einem Rennen zum anderen gefahren, den Blick schon wie immer auf die großen Amateurrennen im Frühjahr gerichtet; denn wenn ich auch nicht der Stärkste war, was Infektionen der Atemwege anbelangte, für die ich so anfällig war wie ein Auto für Rost, so war ich doch mit zweiunddreißig körperlich so fit wie eh und je. Aber irgend jemand, irgendwo, war auf die fürsorgliche Idee gekommen, Brillenträger dürften nicht mehr in Hindernisrennen starten.

Natürlich fanden viele Leute es sowieso verrückt, mit Brille Rennen zu reiten, und wahrscheinlich hatten sie recht; aber obwohl ich ein paar Brillen kaputtgemacht und oberflächliche Schnittwunden davongetragen hatte, war meinen Augen nie etwas passiert. Außerdem waren es meine Augen, verdammt noch mal.

Auch für Haftschalen gab es gewisse Einschränkungen, wenn sie auch nicht ganz verboten waren: Doch obwohl ich alles versucht und bis zur chronischen Bindehautentzündung gelitten hatte, meine Augen und Haftschalen blieben unvereinbar. Wenn ich also keine Haftschalen vertrug, konnte ich auch nicht länger Rennen reiten. Vorbei zwölf Jahre voller Spaß. Vorbei das Streben nach Sieg, die Geschwindigkeit, die berauschende Lust. Bedauerlich, sehr bedauerlich, aber es ist nur zu deinem Besten.

Das Wochenende nahm seinen üblichen Verlauf, eine Fahrt über den Besitz, der Besuch der lokalen Rennen in Stratford-upon-Avon am Samstagnachmittag, Abendessen mit Freunden. Sonntagmorgen standen wir spät auf, faulenzten vor dem Kaminfeuer, umgeben von Zeitungen und der Aussicht auf getoastete Schinkensandwiches zum Mittagessen. Zwei zufriedenstellende Nächte lagen hinter uns, eine weitere hoffentlich vor uns. Emma war in anschmiegsamster Stimmung, und wir waren einem Eheleben so nahe, wie wir je sein würden.

In diesen häuslichen Frieden fuhr Hughes-Beckett mit seinem Daimler. Die Räder knirschten auf dem Kies: Ich stand auf, um zu sehen, wer gekommen war, und Emma ebenfalls. Wir sahen den Chauffeur und einen neben ihm sitzenden Mann aussteigen und die hinteren Türen aufreißen. Der einen entstieg Hughes-Beckett, der einen besorgten Blick auf das Haus warf, der anderen ...

Emmas Augen wurden ganz groß. »Mein Gott ... ist das nicht ...?«

»Ja, es ist.«

Sie warf einen verstörten Blick auf das unordentliche, gemütliche Zimmer. »Du kannst sie nicht hier reinbringen.«

»Nein, wir gehen in den Salon.«

»Aber ... hast du denn gewußt, daß sie kommen?«

»Natürlich nicht.«

»Du lieber Himmel.«

Wir sahen die beiden Besucher die wenigen Schritte zur Haustür zurücklegen. Ein Nein wird nicht akzeptiert, dachte ich. Jetzt werden die schweren Geschütze aufgefahren.

»Nun geh schon«, drängte Emma. »Frag, was sie wollen.«

»Ich weiß, was sie wollen. Bleib hier vor dem Feuer und mach das Kreuzworträtsel, während ich mir überlege, wie ich ihnen beibringe, daß sie es nicht haben können.«

Ich ging zur Tür und machte auf.

»Randall«, sagte der Prinz und streckte mir die Hand entgegen. »Na, wenigstens sind Sie zu Hause. Dürfen wir eintreten?«

»Natürlich, Sir.«

Hughes-Beckett folgte ihm mit einer aus Demütigung und Triumph zusammengesetzten Haltung über die Schwelle: Es mochte ihm nicht gelungen sein, mich zu überreden, aber er würde mit Vergnügen zusehen, wie ich einem anderen gegenüber kapitulierte.

Ich führte sie in den blau-goldenen Salon, wo wenigstens die Heizung funktionierte, wenn auch kein anheimelndes Feuer brannte.

»Also, Randall«, sagte der Prinz. »Bitte, fahren Sie nach Moskau.«

»Darf ich Eurer Königlichen Hoheit etwas zu trinken anbieten?«

»Nein, das dürfen Sie nicht. Setzen Sie sich, Randall, hören Sie zu und reden Sie nicht um den heißen Brei herum.«

Der Vetter des Königs plazierte sein Hinterteil entschlossen auf ein seidenes Regencysofa und winkte Hughes-Beckett und mich auf nahe stehende Sessel. Er war nur ein oder zwei Jahre älter als ich, und wir hatten uns im Laufe der Jahre durch unsere gemeinsame Passion für Pferde unzählige Male getroffen. Er neigte mehr zu Jagden und Polo, obwohl er auch einige Querfeld-einrennen bestritten hatte. Er war eigenwillig und geradeheraus, neigte dazu, Leute barsch herumzukommandieren, aber ich hatte ihn auch Tränen über der Leiche seines Lieblingsjagdpferdes vergießen sehen, das sich das Genick gebrochen hatte.

Von Zeit zu Zeit waren wir uns auch auf Gesellschaften begegnet, aber wir waren keine engen Freunde. Bis zu diesem Tag war er nie in meinem Haus gewesen, noch ich bei ihm.

»Der Bruder meiner Frau«, sagte er. »Johnny Farringford. Sie kennen ihn doch?«

»Wir sind uns begegnet, aber ich kenne ihn nicht wirklich.«

»Er möchte bei der nächsten Olympiade reiten. In Moskau.«

»Ja, Sir. Das hat Mr. Hughes-Beckett mir gesagt.«

»In der Military.«

»Ja.«

»Nun, Randall, da ist dieses Problem ... man könnte es ein Fragezeichen nennen ... Wir können ihn nicht nach Rußland gehen lassen, bevor das aufgeklärt ist. Das können wir einfach nicht ... oder besser, ich kann nicht ... ihn dahin gehen lassen, wenn uns die Sache jeden Augenblick um die Ohren fliegen kann. Keinesfalls, ich wiederhole, keinesfalls lasse ich ihn gehen, solange auch nur die geringste Möglichkeit eines ... äh ... Zwischenfalls besteht, der für weitere Mitglieder meiner Familie in irgendeiner Weise ... äh ... unangenehm sein könnte. Oder für England als Ganzes.« Er räusperte sich. »Sicher ist Johnny kein Anwärter auf den Thron oder dergleichen, aber schließlich ist er ein Graf und mein Schwager, und was die Weltpresse anbelangt, für die wäre es ein gefundenes Fressen.«

»Aber, Sir«, protestierte ich schwach. »Bis zur Olympiade ist noch viel Zeit. Ich weiß, Lord Farringford ist gut, aber vielleicht wird er gar nicht aufgestellt, und damit wäre das Problem aus der Welt geschafft.«

Der Prinz schüttelte den Kopf. »Wenn das Problem nicht aus der Welt geschafft wird, dann wird Johnny keinesfalls aufgestellt, und wenn er unser bester Mann wäre.«

Ich sah ihn nachdenklich an. »Das würden Sie verhindern?«

»Ja, das würde ich.« Sein Ton ließ keinen Zweifel zu. »Bestimmt würde es bei mir zu Hause einige Reibereien geben, weil Johnny und meine Frau es sich in den Kopf gesetzt haben, daß er einen Platz in der Mannschaft bekommen soll. Ich gebe zu, er hat tatsächlich alle Chancen. Im Sommer hat er einige Prüfungen gewonnen und bemüht sich sehr, sein Dressurreiten zu verbessern und internationalen Anforderungen gerecht zu werden. Ich möchte ihm nicht im Weg stehen. Darum bin ich ja auch hier. Um Sie zu bitten, ein lieber Junge zu sein und festzustellen, was es für ihn gefährlich macht, nach Rußland zu gehen.«

»Sir«, sagte ich. »Warum ich? Warum nicht ein Diplomat?«

»Die haben den Schwarzen Peter weitergegeben. Sie meinen, und ich muß mich dem anschließen, ein Privatmann hätte die besten Aussichten. Wenn da ... etwas ist, dann soll es nicht in die Akten.«

Ich sagte nichts, aber meine Abneigung muß klar ersichtlich gewesen sein.

»Sehen Sie«, fuhr der Prinz fort, »wir kennen uns schon lange. Sie haben doppelt soviel Grips wie ich, und ich vertraue Ihnen. Das mit Ihren Augen tut mir verdammt leid, wirklich, aber jetzt haben Sie Zeit, und wenn Ihr

Verwalter das Gut tadellos verwaltet, während Sie sich in Cheltenham und Aintree herumtreiben, dann kann er das auch, wenn Sie nach Moskau fahren.«

»Sie haben wohl nicht diesen Antibrillenträgererlaß erfunden, damit ich Zeit für Ihren Auftrag habe, oder?«

Er hörte die Bitterkeit in meinen Worten und schmunzelte.

»Ich glaube eher, es waren die anderen Amateure, die Sie aus dem Weg haben wollten.«

»Einige haben das schon bestritten.«

»Also, fahren Sie?« fragte er.

Ich betrachtete meine Hände, knabberte an den Fingernägeln, nahm die Brille ab und setzte sie wieder auf.

»Ich weiß, Sie wollen nicht«, fuhr er fort. »Aber ich weiß niemand, an den ich mich sonst wenden könnte.«

»Sir ... bitte ... können wir nicht bis zum Frühjahr warten? Ich meine ... vielleicht finden Sie doch noch einen Besseren .«

»Es muß jetzt sein, Randall. Besser noch, augenblicklich. Wir haben die Gelegenheit, eines der jungen deutschen Spitzenpferde zu kaufen. Ein tolles Ding für Johnny. Wir ... das heißt, seine Vormünder ... ich sollte das wohl besser erklären ... Sein Geld wird für ihn verwaltet, bis er fünfundzwanzig ist. Bis dahin dauert es noch drei Jahre, und obwohl er eine sehr großzügige Apanage erhält, müßte eine Anschaffung wie diese aus dem Kapital kommen. Jedenfalls würden wir ihm das Pferd gerne kaufen, und wir haben auch eine Option, aber wir müssen uns entscheiden. Bis Weihnachten müssen wir ja oder nein sagen. Das Pferd ist zu teuer, es sei denn für den Versuch, an der Olympiade teilzunehmen, trotzdem sind wir froh, daß man uns diese Bedenkzeit eingeräumt hat. Die Käufer stehen praktisch Schlange.«

Unruhig stand ich auf, ging zum Fenster und sah zu dem kalten Novemberhimmel auf. Winter in Moskau, um die Unbesonnenheiten eines anderen auszubügeln und womöglich eine Menge Dreck aufzuwühlen, war eine ziemlich unerfreuliche Aussicht.

»Bitte, Randall«, sagte der Prinz.»Bitte, fahren Sie. Versuchen Sie es wenigstens.«

Emma stand am Wohnzimmerfenster und sah dem davonfahrenden Daimler nach. Prüfend betrachtete sie mich.

»Wie ich sehe, hat er dich eingewickelt«, sagte sie.

»Rückzugsgefechte sind noch im Gange.«

»Du hast keine Chance.«

Sie durchquerte den getäfelten Raum, setzte sich in den Sessel vor dem Kamin und streckte ihre Hände der Glut entgegen. »Das steckt zu tief in dir. Dem König dienen und dergleichen. Großvater Stallmeister, Tante Hofdame. So war das in deiner Familie seit Generationen. Was willst du da machen? Wenn ein Prinz ruft, dann stehen deine ererbten Gene stramm und salutieren.«

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