Kapitel 19

Um vier Uhr kam ich am Flughafen Heathrow an und wurde von einem von Hughes-Becketts Lakaien abgeholt, der mich zu einer, wie er es nannte, abschließenden Besprechung schleppte, die ich nur als verdammt lästig bezeichnen konnte.

Ich hustete mich zum Büro des Mandarins durch, wo ich protestierte. Ich erhielt eine unaufrichtige Entschuldigung und ein kleines Glas Sherry, wo das einzige, was mich möglicherweise wieder zum Leben erweckt hätte, ein dreifacher Scotch war.

»Hat das nicht bis morgen Zeit?« fragte ich, mich fiebrig fühlend.

»Der Prinz möchte, daß Sie ihn morgen vormittag beim Rennen in Fontwell Park treffen.«

»Ich wollte im Bett bleiben.«

»Was ist denn mit Ihrem Arm los?« fragte er - diese ungehörige Bemerkung überhörend - mit einem Blick auf Gudruns und Stephens Versuch, mir eine Schlinge für die Reise zu machen.

»Die Finger haben eins mit dem Hammer gekriegt, aber nicht mit der Sichel.« Ich bin nicht ganz bei Trost, dachte ich. Verrückt vor Erleichterung, wieder dort zu sein, wo Freiheit sich immer noch mit einigen hartnäckigen Ranken festklammerte. Trunken vom Anblick lächelnder Menschen auf den Straßen. Von Weihnachtsbäumen und hellen Lichtern und den tausend Geschäften. Man konnte die Wohlstandsgesellschaft verachten und das einfache Leben suchen, wenn man wollte: Der Luxus lag darin, daß man die Wahl hatte.

Hughes-Beckett ließ sich in seinen bequemen Bürostuhl sinken und betrachtete seine Handrücken.

»Und wie ... äh ... ist es Ihnen ergangen?« fragte er.

Ich erzählte ihm mehr oder weniger genau das, was ich dem Generalmajor erzählt hatte. Er hörte auf, seine Hände zu betrachten und erwachte auf eine sehr positive und aufmerksame Weise zum Leben, sehr im Unterschied zu seinem sonst eher gelangweilten Gehabe.

Ich sprach und hustete, und hustete und sprach, und er goß mir einen zweiten, etwas größeren Sherry ein.

»Das wäre alles«, sagte ich schließlich. »Wenn Sie mich fragen, wird die ganze Sache wohl unter den Teppich gekehrt werden. Und was Johnny Farringford anbelangt . nun, eine definitive Zusage habe ich nicht, aber nach dem Vorgefallenen werden ihn die Genossen wohl kaum für ein passendes Opfer halten. Unter diesem Gesichtspunkt kann er sicher fahren ... aber die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen und dem Prinzen.«

Ich stand auf. Mir ging es wirklich gar nicht gut, aber das war ja nichts Neues. Die Geschichte meines Lebens, sozusagen.

Er geleitete mich den ganzen Weg zum Ausgang und sah mir nach, als ich im Dienstwagen davonfuhr. Seine Ansicht über die Nützlichkeit von Pferden hatte er offenbar gründlich revidiert.

Ich stellte fest, daß das Treffen mit dem Prinzen bei den Rennen in Fontwell Park ein Mittagessen mit ihm, der Prinzessin, Johnny Farringford, dem Präsidenten des Rennclubs, einigen Stewards und verschiedenen Damen einschloß, alles in der verglasten Eckloge oben auf der Tribüne, mit Blick über den grünen Rasen.

Es gab eine Menge Champagner und höfliches Geplauder, was mir an einem anderen Tag bestimmt Spaß gemacht hätte, aber die Schrecken von Moskau waren noch zu nah, und ich dachte an die Angst von Boris und Jewgenij, und die Zweifel und das Mißtrauen von Juri, Mischa und Kropotkin. Ich würde sehr froh sein, wenn Ian und Stephen mir nach einiger Zeit berichten könnten, daß keinem von ihnen etwas passiert war.

Ich hatte eine unruhige Nacht in einem Hotel verbracht und mir einen Wagen mit Chauffeur gemietet, der mich zum Rennen fuhr. Praktisch jedes Arzneimittel in meinem Köfferchen war zur Anwendung gekommen, wenn auch nur mit mäßigem Erfolg. Es war schon sehr mühselig, sich mit Lungen herumzuschleppen, die sich wie Sümpfe füllten und jeden Atemzug zur Qual machten, aber ich war in diesem Zustand sogar ein- oder zweimal während meines verrückten Lebens geritten, warum also über ein bißchen Herumsitzen als Zuschauer jammern. Aus langer Gewohnheit gingen mir Bruchstücke der schottischen Ballade über den sterbenden Lord Randall, mit dem ich mich als Kind stark identifiziert hatte, durch den Kopf, mehr als eine Art Hintergrundmusik denn als klare Gedanken - jetzt allerdings mit einem ganz neuen Sinn ... ... mein Lager beizeiten, ich möchte ruhn, bin müde vom Reiten.

»Randall«, sagte der Prinz, »wir müssen uns unterhalten.«

Wir unterhielten uns, nur von den Rennen unterbrochen, den ganzen Nachmittag auf dem Balkon der Stewards und nutzten dazu die Zeiten, in denen die anderen zum Führring hinuntergingen, um sich die Pferde anzusehen.

Mein Lager beizeiten ...

»Es gab zwei geplante Anschläge im Zusammenhang mit Johnny«, erzählte ich ihm.

»Zwei?«

»Hm ... Wie er nun mal ist, gibt er eine natürliche Zielscheibe ab. Wird es immer sein. Damit muß man sich abfinden.«

Nach und nach berichtete ich ihm von den Terroristen und Aljoschas Identität. Das alles nahm ihn sehr viel mehr mit als Hughes-Beckett und den Generalmajor, die beiden gewieften Gegenspieler.

»Furchtbar. Ganz furchtbar«, murmelte er.

»Und dann hatte der KGB noch etwas mit ihm vor.«

»Wie meinen Sie das?«

Ich berichtete von der Pornographie.

»Johnny?« Der Prinz sah sehr unangenehm überrascht aus. »Der verdammte Narr ... weiß er denn nicht, daß die Presse ständig genau hinter solchen Dingen her ist?«

»Wenn man ihm ins Gewissen redete, Sir ...«

»Ins Gewissen reden?« Er war sehr böse. »Das können Sie getrost mir überlassen.«

Da möchte ich Mäuschen spielen, dachte ich.

Dann kam ihm ein Gedanke. »Hören Sie, Randall, was ist mit den beiden Männern, die Johnny an dem Tag überfielen, als Sie bei mir waren? Damals, als er in Ihren Wagen knallte. Wo kamen die her? Waren das . die Terroristen?«

»Nein ... äh ... um genau zu sein ... es gab sie gar nicht.«

Ein Blick königlichen Zorns traf mich. »Wollen Sie behaupten, Johnny hat gelogen?«

Genau das wollte ich, doch man muß diplomatisch sein. »Ich glaube, er hat sie einfach erfunden.«

»Aber das ist doch unmöglich! Er war übel zusammengeschlagen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Die Verletzungen stammen von dem Zusammenstoß mit meinem Wagen.«

»Na bitte, Randall«, rief der Prinz erleichtert. »Der Zusammenstoß passierte nur, weil er bereits verletzt war.«

»Äh ...« stotterte ich. »Ich glaube, Sir, der Zusammenstoß passierte, weil er beim Anblick des Blutes ohnmächtig wurde. Ich glaube ... er hat sich in den Finger geschnitten, damit es blutet . um sich Blut ins Gesicht zu schmieren und seine Geschichte von dem Überfall glaubwürdiger zu machen ... und als er vor Ihrem Haus ankam, wurde er einfach ohnmächtig. Er hatte den Fuß auf dem Gaspedal, und sein Wagen fuhr weiter.«

»Das kann doch nicht wahr sein!«

»Sie könnten ihn fragen, Sir.«

Mein Lager beizeiten ...

»Aber warum, Randall? Warum sollte er sich so was ausdenken?«

»Er möchte leidenschaftlich gern zur Olympiade. Er wollte nicht, daß Leute in seiner Verbindung zu Hans Kramer herumschnüffelten, die etwas weniger unschuldig war, als er uns glauben machen wollte, aber auch wieder nicht so schrecklich. Ich vermute, er fürchtete, Sie würden ihm das neue Pferd nicht kaufen, wenn Sie es erführen. Also erfand er zwei Männer und einen Überfall, um Sie davon abzubringen, mich nach Moskau zu schicken, um nach Aljoscha zu suchen. Ich glaube, Johnny wußte von gar keinem Skandal, war aber nicht sicher, was ich über Hans Kramer herausfinden würde. Er wollte nicht, daß ich suche, das war alles.«

»Aber es hatte die gegenteilige Wirkung«, stellte er verwirrt fest.»Danach war ich noch fester entschlossen, den Gerüchten nachzugehen.«

Ich sah zu, wie Johnny und die Prinzessin sich zum nächsten Rennen einen Weg durch die Menschenmenge zur Tribüne bahnten. Seine kurzen roten Locken glänzten wie Kupfer in der Dezembersonne.

Ich seufzte. »Er ist ein großartiger Reiter, Sir.«

Der Prinz warf mir einen schrägen Blick zu. »Von Zeit zu Zeit machen wir alle eine Dummheit, Randall. Meinen Sie das?«

»Ja, Sir.«

. ich möchte ruhn .

»Warum sind Sie so sicher, daß es nicht Ihre Terroristen waren?«

»Weil es nach Johnnys Schilderung gar nicht dieselben Leute sein können. Er sagte, sie hätten englisch gesprochen und seien ganz gewöhnliche Engländer gewesen, was die Terroristen nicht waren.«

Johnny und die Prinzessin kamen die Stufen herauf und traten auf den Balkon hinaus. Die Prinzessin war bester Laune, aber Johnny hatte sich schon den ganzen Tag in meiner Gegenwart unbehaglich gefühlt.

»Johnny, wie gut kannten Sie Malcolm Herrick?« fragte ich sanft.

»Wen?«

»Herrick. Journalist. Schrieb für The Watch.«

»Ach, der.« Offenbar rief das keine angenehmen Erinnerungen in ihm wach. »Er war in Burleigh. Hing immer um Hans herum. Äh ... Hans Kramer.« Er zögerte, zuckte die Schultern und sprach weiter. »Ich mochte den Kerl nicht. Warum? Was hat er angestellt? Hat mich dauernd Sportsfreund genannt. Hat mir gar nicht gepaßt. Habe ihm gesagt, er soll sich verpissen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

Mir kam es übertrieben vor, einen Mann oben auf die Todesliste zu setzten, weil er sagt, man soll sich verpissen, aber Malcolm hatte es getan. »Sportsfreund« und »verpiß dich« ... nächste Haltestelle Aljoscha.

... ich möchte ruh’n,

bin müde vom ...

»Nun mal die Karten auf den Tisch, Johnny«, sagte der Prinz. »Bist du von den beiden Kerlen zusammengeschlagen worden oder nicht?«

Der Farringfordsche Gesichtsausdruck wechselte in sehr kurzer Zeit sehr oft. Er wollte schon nicken und ja sagen, dann sah er plötzlich mich an. Er deutete meine Skepsis richtig; erkannte, daß ich den Prinzen aufgeklärt hatte; stellte sein Plädoyer sofort auf schuldig um und endete mit einem verlegenen Kleiner-Junge-Lächeln.

Der Prinz preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Wann wirst du endlich erwachsen, Johnny?« seufzte er.

Emma kam zwei Tage später übers Wochenende, hellblond, gereizt und vor innerer Anspannung fast zitternd.

»Wie langweilig, daß du im Bett liegst«, maulte sie. »Fiebrige Stirnen zu trocknen ist nicht meine Stärke.«

Unruhig ging sie im Zimmer herum und wurde überschüssige Energie in nutzlosem Gefummel los.

»Du keuchst wie ein alter Großvater«, sagte sie. »Und spuckst ... das ist wirklich eine widerliche Krankheit.«

»Ich dachte, du siehst gern dem Ernst des Lebens ins Auge.« »Warum hast du mich kommen lassen?« fragte sie und arrangierte die Bürsten auf meiner Frisierkommode neu. »Sonst sagst du immer, ich soll wegbleiben, wenn du krank bist.«

»Ich sehnte mich nach deiner Gesellschaft.«

»Ach.« Das schien sie aus der Fassung zu bringen; wie ein erschreckter Vogel warf sie mir einen kurzen, scharfen Blick zu und ging aus dem Zimmer. Freitag abend war noch zu früh für die Wahrheit, dachte ich kläglich.

Nach einer Stunde kehrte sie mit einem Tablett zurück. Suppe, Obst, Brot, Käse und eine Flasche Wein.

»Das schien da rumzuliegen«, sagte sie. »Deshalb dachte ich, ich schleppe es mal rauf.«

»Großartig.« Wir aßen einigermaßen friedlich, und dann fragte sie nach Moskau.

»Dir würde es vielleicht gefallen«, meinte ich, während ich eine Mandarine schälte. »Aber vergiß nicht, drüben wäre das Leben, das du hier zu leben beliebst, kein Akt der Rebellion, sondern eine dir auf gezwungene Notwendigkeit.«

»Manchmal hasse ich dich.«

»Wenn du deinen Laden je sattkriegst«, sagte ich, »könnte ich dir hier einen anderen Job anbieten.«

»Als was?«

»Als Hausmädchen, Kinderfrau, Köchin, Wäscherin, Hausdiener, Pferdepfleger, Ehefrau.«

»Es würde nicht funktionieren.«

Ich betrachtete die Kaskade platinblonder Haare und die Entschiedenheit in dem zarten, geliebten, entschlossenen Gesicht. Die Menschen ändern sich nicht ... Man wird Rebell, Romantiker, Puritaner, Frömmler, Heuchler, Heiliger, Kreuzfahrer, Terrorist . Man wird es jung und bleibt es immer. Sie würde nie zu dem wohlhabenden, wohlgeordneten Landleben zurückfinden, aus dem sie sich freigekämpft hatte. Sie würde es voll Unbehagen an Wochenenden besuchen, solange es ihr Spaß machte, aber eines Montagmorgens würde sie wegfahren und nicht wiederkommen.

Ich mochte es traurig finden, mich ohne sie verloren und einsam fühlen, aber bedauerlicherweise hatte sie recht.

Auf lange Sicht würde es nicht funktionieren.

In der Neujahrsausgabe von Pferd und Jagdhund las ich, daß die Deutschen eines ihrer besten jungen Pferde an Lord Farringford verkauft hatten, der es in der Hoffnung auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen trainierte.

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