Der Prinz lebte in einem schlichten Haus, kaum größer als mein eigenes, nur hundert Jahre älter, und öffnete mir persönlich die Tür, obwohl er über Dienstboten verfügte, was bei mir nicht der Fall war. Allerdings hatte er auch noch eine Frau, drei Kinder und offenbar sechs Hunde. Ein Dalmatiner und ein Whippet quollen zwischen seinen Beinen hindurch und kugelten übereinander, um mich ausgiebig zu beschnüffeln, als ich aus meinem Mercedes stieg. Eine kläffende Meute von Terriern stürmte in ihrem Fahrwasser heran.
»Schubsen Sie sie beiseite«, rief der Prinz von der Schwelle aus.
»Platz, Fingers, du geflecktes Untier.«
Der Dalmatiner beachtete ihn nicht, trotzdem erreichte ich unversehrt die Tür. Schüttelte dem Prinzen die Hand. Machte meine Verbeugung. Folgte ihm über die Teppiche der säulengetragenen Halle in ein geräumiges Arbeitszimmer. Ledergebundene Bücher säumten in ordentlichen Reihen zwei Wände; Fenster, Türen, Porträts und ein Kamin ließen wenig von der grünen Tapete sehen. Auf seinem großen, unordentlichen Schreibtisch standen reihenweise Fotos in Silberrahmen, und in einer Ecke ließ ein weißes Alpenveilchen in dem grauen Licht seine bleichen Blüten hängen.
Ich wußte, daß der persönliche Empfang an der Tür ein Zeichen besonderer Wertschätzung sein sollte. Er mußte ganz außerordentlich erleichtert sein, daß ich mich wenigstens zu diesem Teilzugeständnis bereitgefunden hatte, und ich fragte mich etwas unbehaglich, wie groß die Fallgruben wohl sein mochten, die er für mich in petto
hatte.
»Nett von Ihnen, Randall«, sagte er und winkte mich in einen schwarzen Ledersessel. »Gute Fahrt gehabt? Kaffee kommt sofort.«
Er saß in einem bequemen Drehsessel an seinem Schreibtisch und hielt eine höfliche Konversation in Gang. Johnny Farringford habe versprochen, gegen halb elf da zu sein, erzählte er und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr, wobei ihm zweifellos auffallen mußte, daß es bereits fünfzehn Minuten darüber war. Es sei nett von mir herzukommen, wiederholte er. Bestimmt sei es besser, wenn ich zu diesem Zeitpunkt nicht in zu enger Verbindung mit Johnny stand, deshalb sollte das Treffen auch hier in seinem Haus stattfinden und nicht bei Johnny, wenn ich verstand, was er meinte.
Er war kräftig gebaut, ziemlich groß, braunhaarig, blauäugig, mit dem jugendlich frischen Aussehen, das sich allmählich zum festen Charakter der mittleren Jahre ausprägte. Die Augenbrauen waren buschiger als vor fünf Jahren, die Nase prononcierter und der Nacken etwas dicker. Die Zeit wandelte ihn vom Sportsmann zur Führerpersönlichkeit und vermittelte mir unerwünschte Einsichten in die Vergänglichkeit der Dinge, und das am Montagmorgen.
Ein zweiter rascher Blick auf die Uhr, diesmal von einem Stirnrunzeln begleitet. Ich hoffte schon, daß der kostbare Johnny vielleicht überhaupt nicht erscheinen würde und ich zufrieden nach Hause fahren und die ganze Sache vergessen könnte.
Die beiden großen Fenster des Arbeitszimmers gingen auf die Auffahrt vor dem Haus hinaus, genau wie bei meinem Wohnzimmer. Vielleicht fand der Prinz es ebenfalls nützlich, Besucher rechtzeitig zu erspähen, um gegebenenfalls verschwinden zu können.
Mein Mercedes stand in voller Sicht auf dem weiten, geharkten Kiesrund, allein, blaugrau und still. Während ich gelangweilt hinaussah, raste ein weißer Rover plötzlich wie ein Pfeil durch das freie Gelände, direkt auf meinen Wagen zu. Entsetzt und hilflos wartete ich auf den unvermeidlichen Zusammenstoß.
Es gab ein Geräusch, als würden zehn metallene Mülltonnen in eine Zerkleinerungsanlage gekippt, gefolgt vom ununterbrochenen Heulen der Hupe, da der bewußtlose Fahrer des Rovers über dem Steuerrad zusammengesunken war.
»Großer Gott!« rief der Prinz entsetzt und sprang auf.
»Johnny!«
»Mein Wagen!« schrie ich, und enthüllte damit meine beklagenswerten Prioritäten.
Der Prinz war glücklicherweise bereits auf dem Weg zur Tür, und ich folgte ihm auf den Fersen. Gemeinsam stürzten wir in den frischen Wintertag hinaus.
Der furchtbare Aufprall und die heulende Hupe hatten eine Anzahl entsetzter Gesichter an die Fenster und den Umkreis der Unfallstelle gebracht, aber der Prinz und ich erreichten sie zuerst.
Das Vorderteil des Rovers hatte sich wie in einer Art monströser Paarung hinten auf meinen Wagen geschoben, und seine Räder schwebten in der Luft. Die ganze Sache sah ziemlich bedenklich aus, und ein durchdringender Benzingeruch wies auf eine gefährliche Entwicklung hin.
»Wir müssen ihn rausholen«, drängte der Prinz und zerrte an dem Griff der Fahrertür. »Gott ...«
Die Tür hatte sich bei dem Aufprall verbogen und klemmte. Ich raste um den Wagen herum und versuchte die Tür zum Beifahrersitz; erfolglos. Selbst wenn er es versucht hätte, hätte Johnny Farringford meinen Mercedes nicht besser treffen können.
Die hinteren Türen waren verriegelt, ebenso der Kofferraum. Die Hupe plärrte dringlich und quälend weiter.
»Herrgott«, schrie der Prinz verzweifelt. »Wir müssen ihn rausholen.«
Ich kletterte auf den ziehharmonikaartigen Blechhaufen zwischen den beiden Fahrzeugen und wand mich durch die Öffnung, wo die Windschutzscheibe hätte sein sollen, begleitet von einem Schauer von Glassplittern. Kniete mich auf den Beifahrersitz und zerrte den bewußtlosen Mann vom Steuerrad weg. Die plötzliche Stille war ein Segen, aber Johnny Farringfords Gesicht sah nicht sehr beruhigend aus.
Ich hielt mich nicht damit auf, das Blut abzuwischen. Ich umfaßte ihn, stützte seinen hm und her pendelnden Kopf und zog den Knopf an der hinteren Tür hoch. Der Prinz arbeitete fieberhaft von außen daran, aber es bedurfte der Beweglichkeit eines Schlangenmenschen und eines kräftigen Trittes von innen, bis sie aufsprang: der Gedanke an die Funken, die das aneinanderreihende Metall erzeugte, war entsetzlich, denn jetzt erstickte ich nicht nur fast in Benzindämpfen, ich hörte das Benzin auch plätschern.
Daß das Benzin aus meinem eigenen Wagen lief und daß ich erst am Morgen vollgetankt hatte, machte es nicht besser.
Der Prinz beugte sich in den Wagen, faßte seinen Schwager unter den Achselhöhlen und zog mit bemerkenswerter Kraft. Ich hob, so gut ich konnte, den bewegungslosen Körper an, und gemeinsam bugsierten wir ihn über die Rückenlehne des Sitzes und durch die hintere Tür ins Freie. Ich ließ seine Beine los, während der Prinz zog, und er fiel auf den Kies, wie ein Kalb aus der Kuh.
Gott steh ihm bei, falls wir ihm durch unsere rauhe Behandlung weiteren Schaden zugefügt haben, dachte ich im stillen, aber alles war besser als eine Feuerbestattung. Auf demselben Weg krabbelte ich in höchster Eile, ohne auf Eleganz zu achten, hinterher.
Hilfe war in Gestalt eines Hausdieners und eines Gärtners erschienen, und von jetzt an wurde das Opfer vorsichtiger getragen.
»Bringt ihn vom Wagen weg«, befahl der Prinz, drehte sich zu mir um und rief: »Das Benzin ... Randall, kommen Sie raus, Mann.«
Überflüssiger Rat. Nie war ich mir so langsam, so ungeschickt, mit soviel Knien, Ellbogen und Knöcheln ausgestattet vorgekommen.
Ob das Gleichgewicht des einen Wagens auf dem anderen sowieso nicht sehr stabil war oder ob meine unsanften Bewegungen es störten, der Effekt war der gleiche: der Rover begann zu rutschen, während ich noch im Innern war.
Ich hörte die Stimme des Prinzen besorgt ansteigen: »Randall ...«
Einen Fuß kriegte ich frei, begann mein Gewicht darauf zu verlagern, und der Rover rutschte noch ein bißchen weiter. Ich strauchelte, klammerte mich an den Türrahmen und zog mich mit Armkraft hinaus. Landete seitwärts auf Hüfte und Ellbogen, ungeschickt und unelegant.
Ich rollte mich herum, brachte meine Füße dahin, wo sie hingehörten, die Hände noch auf dem Boden, wie ein Läufer in Startposition. Hinter mir glitt das Gewicht des
Rovers knirschend rückwärts und riß sich mit dem kreischenden Geräusch von Metall auf Metall von meinem Mercedes los, aber wahrscheinlich war es eher ein Kurzschluß, der den Funkenregen entfachte.
Die Explosion riß die beiden Wagen auseinander und hüllte sie beide in Flammen. Zischend entzündete sich der entweichende Dampf, und ein brüllender Schwall heißer Luft machte mir Beine.
»Ihr Haar brennt«, stellte der Prinz fest, als ich bei ihm ankam.
Ich faßte mit der Hand hin, und so war es. Mit beiden Händen rieb ich wild und erstickte die Feuersbrunst.
»Danke«, sagte ich.
»Gern geschehen«, erwiderte er, dann grinste er mich auf sehr unprinzliche und höchst menschliche Weise an. »Wie ich sehe, hat sich Ihre Brille nicht einen Zentimeter verschoben.«
Nach einiger Zeit holten ein Arzt und ein privater Krankenwagen Johnny Farringford ab, doch er hatte schon lange davor das Bewußtsein wiedererlangt und sich verwirrt umgeschaut. Er lag nämlich auf dem großen, bequemen Sofa im Wohnzimmer der Familie, wo seine Schwester, die Prinzessin, die Sache gelassen hinnahm und seine Wunden mit erstaunlicher Fertigkeit betupfte.
»Was ist passiert?« fragte Farringford halb betäubt.
Nach und nach erzählten sie es ihm: wie er seinen Wagen über eine Fläche, groß wie ein Tennisplatz, geradewegs in das Heck meines Mercedes gefahren hatte. Weit und breit nichts anderes in Sicht.
»Randall Drew«, stellte der Prinz vor.
»Oh.«
»Das war sehr töricht von dir«, sagte die Prinzessin mißbilligend, aber ihrem besorgten Gesicht sah ich den Beschützerinstinkt der älteren Schwester für den kleinen Bruder an.
»Ich ... erinnere mich nicht.«
Er blickte auf die roten Flecke auf den Tupfern, die sich in einer Schale neben ihm anhäuften, auf das Blut, das aus einem Schnitt an der Hand sickerte, und sah aus, als würde ihm schlecht.
»Früher ist er immer in Ohnmacht gefallen, wenn er Blut sah«, sagte seine Schwester. »Nur gut, daß er das überwunden hat.«
Wie sich herausstellte, hatte Johnny Farringford zahlreiche Schnittverletzungen im Gesicht, aber offenbar keine Knochenbrüche davongetragen. Trotzdem stöhnte er bei jeder Bewegung und preßte den Arm in die Taille, als wolle er sich zusammenhalten, was mich sehr an eigene Rippenbrüche erinnerte.
Er war ein schlanker, ziemlich großer junger Mann, mit einer Menge krauser, roter Haare auf dem Kopf. Seine Nase wirkte dünn und scharf, und unter der Sonnenbräune war er blaß vom Schock.
»Verdammter Mist«, fluchte er plötzlich.
»Es hätte schlimmer kommen können«, meinte der Prinz.
»Nein ...« sagte Farringford. »Sie haben mich geschlagen.«
»Wer?« Der Prinz betupfte einen blutenden Riß und hielt die Bemerkung sichtlich für die Folge einer Gehirnerschütterung.
»Die Männer ... Ich ...« Er brach ab und heftete den benommenen Blick mit großer Mühe auf das Gesicht des Prinzen, als könnte ihm das helfen, seine Gedanken zu ordnen.
»Ich fuhr her ... danach. Mir war ... ich schwitzte. Ich weiß, wie ich durch das Tor gefahren bin ... und das Haus gesehen habe.«
»Was für Männer?« fragte der Prinz.
»Die du geschickt hast ... wegen des Pferdes.«
»Ich habe niemanden geschickt.«
Farringford blinzelte verwirrt.
»Sie kamen in den Stall. Gerade als ich dachte ... muß herfahren ... diesen Burschen treffen ... jemand ... du wolltest ...«
Der Prinz nickte. »Richtig. Randall Drew. Hier ist er.«
»Ja ... also ... Higgins hatte meinen Wagen vorgefahren ... den Rover ... ich wollte den Porsche, aber da war was mit den Reifen ... ich bin bloß im Stall gewesen ... wollte sehen, ob Grouchos Beine in Ordnung sind ... Lakeland fand ja, ich wollte aber selbst nachsehen, verstehst du ... und da waren sie, wollten mit mir reden ... du hättest sie geschickt. Sagte, ich sei in Eile ... stieg in den Rover ... sie einfach hinterher ... versetzten mir eins ... einer von ihnen fuhr die Straße runter, durchs Dorf ... dann hielt er an ... und die Schweine schlugen mich zusammen ... wehrte mich, so gut es ging ... zwei gegen einen ... hat wenig Sinn, weißt du.«
»Haben Sie dich beraubt?« fragte der Prinz.»Vielleicht sollten wir die Polizei verständigen.« Er sah besorgt aus. Polizei bedeutete Publicity, und unerfreuliche Publicity war dem Prinzen ein Greuel.
»Nein ...« Farringford schloß die Augen. »Sie sagten ... ich sollte mich ... von Aljoscha fernhalten.«
»Was war das?« Der Prinz sah aus, als habe er auch einen Schlag erhalten.
»So ist es ... dachte mir schon, daß es dir nicht gefallen würde.«
»Was haben sie noch gesagt?«
»Nichts. Schon komisch ...« sagte Farringford schwach. »Du willst doch, daß Aljoscha gefunden wird ... was mich betrifft ... kann die ganze Sache begraben bleiben.«
»Ruh dich jetzt aus«, sagte die Prinzessin besorgt und wischte rot sickernde Tropfen von seiner verschrammten Stirn. »Sprich jetzt nicht mehr, Johnny. So ist es brav.« Sie sah zu uns hinüber, die wir am Fuß des Sofas standen. »Was soll nun mit den Wagen geschehen?«
Der Prinz starrte düster auf die ausgebrannten Wracks und die fünf leeren Feuerlöscher, die wie rote Torpedos herumlagen. Nur ein penetranter Brandgeruch in der Novembernacht war von der dichten, bis über Dachhöhe auflodernden Rauch- und Feuersäule übriggeblieben. Die Feuerwehrleute in Gestalt des Hausdieners und des Gärtners standen mit befriedigten Mienen im Hintergrund und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
»Glauben Sie, er ist ohnmächtig geworden?« fragte der Prinz.
»Hört sich ganz so an, Sir«, sagte ich. »Er sagt, er hat geschwitzt. Nicht angenehm, so zusammengeschlagen zu werden.«
»Er konnte noch nie Blut sehen.«
Der Prinz folgte mit den Augen dem Weg, den der Rover mit einem bewußtlosen Fahrer genommen hätte, wenn mein Wagen nicht im Weg gestanden hätte.
»Er wäre in die Buchen gerast«, stellte er fest. »Und er hatte den Fuß auf dem Gaspedal.«
Im Hintergrund stand eine Reihe stattlicher, ausgewachsener Buchen, kahl mit Ausnahme einiger weniger brauner Blätter. Sie waren wohl als Schutz gegen den Nordostwind gepflanzt worden, zu einer Zeit, als die Landschaftsgestaltung darauf abzielte, das Auge künftiger Generationen zu erfreuen. Ihre dicken Stämme hätten einen Panzer aufgehalten, ganz zu schweigen von einem Rover. Ein Glück, daß sie nicht der Trockenheit, dem Schädlingsbefall oder dem Sturm zum Opfer gefallen waren.
»Ich bin froh, daß er nicht in die Buchen gerast ist«, erklärte der Prinz und ließ mich im unklaren, ob er sich für Johnny oder die Buchen freute. »Tut mir natürlich leid mit Ihrem Wagen. Hoffentlich ist er versichert und alles. Sagen Sie der Versicherung lieber, es war ein Parkunfall. Nur nichts Kompliziertes. Autos werden heutzutage ja so leicht abgeschrieben. Sie wollen doch wohl keine Ansprüche gegen Johnny erheben, oder?«
Beruhigend schüttelte ich den Kopf. Der Prinz lächelte erleichtert und entspannte sich sichtlich.
»Wir wollen doch nicht, daß die Presse hier rumschwirrt, verstehen Sie? Teleobjektive und all das. Sobald sie davon Wind bekämen, wären sie auch schon da.«
»Aber auf jeden Fall zu spät.«
Erschreckt sah er mich an. »Sie werden doch nicht erzählen, wie wir Johnny da rausgezerrt haben? Zu niemand. Die Presse darf nichts davon erfahren. Wäre sehr unangenehm.«
»Unangenehm, wenn die Leute erfahren, daß Sie ein kleines Risiko auf sich nehmen, um den Bruder Ihrer Frau zu retten, Sir?«
»Ja, wäre mir sehr unangenehm«, erklärte er entschieden.
»Halten Sie bloß den Mund, lieber Freund.« Er warf einen Blick auf mein versengtes Haar. »Und gar kein kleines Risiko, wenn ich es mir recht überlege.« Er legte den Kopf auf die Seite. »Wir könnten sagen, daß Sie es allein gemacht haben, wenn Sie wollen.«
»Nein, Sir, ich will nicht.«
»Dachte ich mir. Sie wollen genausowenig wie ich, daß die mit ihren Notizblöcken über Sie herfallen.«
Er drehte sich um und rief mit einer Handbewegung, die mehr eine Anregung als ein Befehl war, dem wartenden Gärtner zu:
»Was machen wir nun mit der Bescherung, Bob?«
Der Gärtner hatte Erfahrung mit kaputten Lastwagen und passenden Reparaturwerkstätten und sagte, er werde sich darum kümmern. Sein Verhalten gegenüber dem Prinzen war unbefangen und zeugte von langjährigem gegenseitigem Respekt, was die Antiroyalisten unmäßig geärgert hätte.
»Wüßte nicht, was ich ohne Bob anfangen sollte«, sagte der Prinz, während wir zum Haus zurückgingen. »Wenn ich Geschäfte oder Werkstätten anrufe und sage, wer ich bin, glauben sie es entweder nicht und sagen, ja, ja, sie wären die Königin von Saba, oder sie geraten in Verwirrung, hören nicht ordentlich zu und machen alles falsch. Bob wird alles richtig erledigen. Wenn ich es selbst versuchen würde, wären als erstes die Reporter da.«
Auf der Schwelle blieb er stehen und warf einen Blick auf das Skelett dessen, was mein Lieblingsauto gewesen war.
»Wir müssen Ihnen einen Wagen zur Heimfahrt besorgen«, sagte er. »Ich leihe Ihnen einen.«
»Sir«, sagte ich. »Wer oder was ist Aljoscha?«
»Ha!« stieß er hervor, und seine Augen begannen zu leuchten.
»Zum erstenmal zeigen Sie etwas Interesse an der Sache.«
»Ich habe gesagt, ich würde sehen, was sich machen läßt.«
»Was heißt, sowenig wie möglich.«
»Nun, ich ...«
»Und dabei haben Sie ein Gesicht gemacht, als würde Ihnen stinkender Fisch angeboten.«
»Äh ...« machte ich. »Also ... was ist mit Aljoscha?«
»Das ist es ja«, sagte der Prinz. »Wir wissen nichts von Aljoscha. Das will ich ja gerade herausfinden.«
Johnny Farringford kam sehr rasch aus dem Krankenhaus, und drei Tage nach dem Unfall machte ich ihm einen Besuch.
»Tut mir leid mit Ihrem Wagen«, sagte er mit einem Blick auf den Range Rover, mit dem ich gekommen war. »Ein schönes Durcheinander, was?«
Er war leicht nervös und noch immer blaß. Die verschiedenen Schnittwunden heilten bei seiner Jugend schnell und würden wohl keine Narben hinterlassen; und Knochenbrüche hatte er nicht davongetragen. Nichts, dachte ich etwas kläglich, was ihn am harten Training für die Olympiade hindern konnte.
»Kommen Sie rein«, sagte er. »Kaffee steht da.«
Er ging voran in ein strohgedecktes Haus, und wir traten direkt in einen Raum, der einen Artikel über traditionelles Landleben verdient hätte. Steinfußboden, gute Teppiche, Holzbalken, Kamin, Wände aus Ziegeln und massenhaft ausgesessene Sofas und Sessel, mit verblichenem Chintz bezogen.
»Das Haus gehört mir nicht«, sagte er, als er meinen
Blick sah. »Es ist gemietet. Ich hole den Kaffee.«
Er ging auf eine Tür am anderen Ende zu, und ich folgte ihm langsam. Die Küche, wo er kochendes Wasser in einen Filter goß, war mit allem ausgestattet, was für Geld zu kaufen ist.
»Zucker? Milch?« fragte er. »Oder trinken Sie lieber Tee?«
»Milch bitte. Ich mag Kaffee.«
Er trug das beladene Tablett in das Wohnzimmer und stellte es auf einen niedrigen Tisch vor dem Kamin. Holz war zum Anzünden bereit im Kamin gestapelt, aber der war leider ebenso kalt wie das Haus. Ich hustete ein paarmal und trank dankbar den heißen Kaffee, der mich wenigstens innerlich wärmte.
»Wie geht es Ihnen jetzt?« fragte ich.
»Ach ... ganz gut.«
»Noch etwas durcheinander, würde ich meinen.«
Er schüttelte sich. »Wie ich höre, muß ich froh sein, daß ich noch lebe. War nett von Ihnen, mich da rauszuholen.«
»Ihr Schwager hat genausoviel dazu beigetragen.«
»Weit über die Pflicht hinaus, könnte man sagen.«
Er spielte mit der Zuckerdose und seinem Löffel und machte kleine, sinnlose Bewegungen.
»Erzählen Sie mir von Aljoscha«, sagte ich.
Er warf mir einen raschen Blick zu und sah dann zur Seite. Nach meiner Meinung war er im Augenblick hauptsächlich deprimiert.
»Es gibt nicht viel zu erzählen«, sagte er müde. »Aljoscha ist nur ein Name, der plötzlich im Sommer auftauchte. Ein Mitglied des deutschen Teams starb im September in Burleigh, und jemand sagte, es sei wegen
Aljoscha aus Moskau. Natürlich gab es Untersuchungen und so weiter, aber das Ergebnis kenne ich nicht, ich war ja nicht direkt beteiligt, verstehen Sie?«
»Aber ... indirekt?« schlug ich vor.
Wieder warf er mir einen raschen Blick und ein schwaches Lächeln zu.
»Ich habe ihn recht gut gekannt. Den Deutschen. Wie das so ist, wissen Sie. Überall trifft man dieselben Leute, bei allen internationalen Veranstaltungen.«
»Ja«, sagte ich.
»Na ja ... eines Abends bin ich mit ihm ausgegangen, in einen Londoner Klub. Das war dumm von mir, zugegeben, aber ich dachte, es sei nur ein Spielklub. Er spielte Backgammon wie ich. Ich hatte ihn ein paar Tage davor mit in meinen Klub genommen, verstehen Sie, und dachte, er wollte sich für meine Gastfreundschaft revanchieren.«
»Aber es war nicht einfach nur ein Spielklub«, half ich ihm weiter, als er in dumpfes Brüten verfiel.
»Nein.« Er seufzte. »Da waren ... na, Transvestiten eben.« Seine Niedergeschlagenheit verstärkte sich. »Zuerst habe ich es nicht gemerkt. Das hätte niemand. Sie sahen alle wie Frauen aus. Attraktiv. Hübsch sogar, einige wenigstens. Wir wurden zu einem Tisch geführt. Es war dunkel. Und da war dieses Mädchen im Scheinwerferlicht und machte Striptease, zog eine Menge durchsichtiger goldener Schleier aus. Sie war bildschön ... dunkelhäutig, aber nicht schwarz ... wundervolle dunkle Augen ... die entzückendsten kleinen Brüste. Sie zog sich bis auf die Haut aus und führte eine Art Tanz mit einer knallrosa Federboa vor ... es war einfach toll. Ihren Rücken konnte man ganz nackt sehen, aber wenn sie sich umdrehte fiel immer die Boa an die ... äh ... strategische Stelle. Als es zu Ende war und ich klatschte, beugte Hans sich dämlich grinsend zu mir rüber und flüsterte mir zu, es sei ein Junge.« Er schnitt eine Grimasse. »Ich kam mir wie ein Idiot vor. Ich meine ... man hat ja nichts dagegen, sich so was anzusehen, wenn man Bescheid weiß. Aber so ...«
»Sehr unangenehm«, bestätigte ich.
»Ich habe natürlich nur gelacht«, fuhr er fort. »Ich meine, das muß man doch, oder? Andererseits war es alles sehr aufregend. Hans sagte, er hätte den Jungen in einem Nachtklub in West-Berlin gesehen und gedacht, es würde mich amüsieren. Er schien sich an meiner Verlegenheit zu weiden. Hielt es für einen Riesenspaß. Ich mußte natürlich so tun, als machte es mir nichts aus, verstehen Sie? Er war doch mein Gastgeber, aber um ehrlich zu sein, ich fand es schon reichlich seltsam.«
Gekränkter Stolz, dachte ich bei mir.
»Die Military fing zwei Tage später an, und einen Tag danach starb Hans, nach der Querfeldeinstrecke.«
»Wie?« fragte ich. »Wie ist er gestorben?«
»Herzanfall.«
Das überraschte mich. »War er dafür nicht noch etwas jung?«
»Ja«, sagte Johnny. »Erst sechsunddreißig. Gibt einem zu denken, was?«
»Und was geschah dann?«
»Och, eigentlich nichts. Nichts, worauf man den Finger legen könnte. Aber dann gingen diese Gerüchte um, ich nehme an, ich war der letzte, der davon hörte, daß mit Hans etwas komisch gewesen sei, und mit mir auch. Daß wir schwul seien, verstehen Sie? Und daß Aljoscha aus Moskau eifersüchtig geworden sei und Theater mit Hans gemacht hätte, und deshalb der Herzanfall. Und dann war da diese Botschaft, verstehen Sie, wenn ich je nach
Moskau käme, würde Aljoscha auf mich warten.«
»Was für eine Botschaft? Ich meine, wie wurde sie überbracht?«
»Aber das ist es ja gerade, es war eigentlich nur ein Gerücht. Jeder schien davon zu wissen. Verschiedene Leute erzählten es mir. Ich weiß einfach nicht, wie es angefangen hat.«
»Haben Sie es denn ernst genommen?« fragte ich.
»Nein, natürlich nicht. Das ist doch alles Unsinn. Niemand hätte auch nur den geringsten Anlaß, auf mich eifersüchtig zu sein, was Hans Kramer anbelangt. Tatsächlich ging ich ihm seit dem bewußten Abend aus dem Wege, soweit das möglich war, ohne direkt unhöflich zu sein, verstehen Sie?«
Ich stellte meine leere Tasse ab und wünschte, ich hätte einen zweiten Pullover angezogen. Johnny schien die Kälte nichts auszumachen.
»Ihr Schwager nimmt die Sache aber sehr ernst«, sagte ich.
Er schnitt eine Grimasse. »Er hat diesen Fimmel mit der Presse. Haben Sie das nicht gemerkt?«
»Er hat sie offenbar nicht besonders gern.«
»Sie haben ihn förmlich verfolgt, als er ihnen die Romanze mit meiner Schwester verheimlichen wollte. Ich fand es eher komisch, aber er wohl weniger. Und dann gab es noch einen großen Wirbel, weil vierzehn Tage nach der Verlobung unsere Mama mit ihrem Friseur durchbrannte, wenn Sie sich erinnern.«
»Das hatte ich ganz vergessen.«
»Ich sollte gerade nach Eton«, sagte Johnny. »Es hat mein Selbstvertrauen ziemlich erschüttert, verstehen Sie, ausgerechnet als ich es am dringendsten brauchte.« Sein
Ton war schnodderig, aber die tiefe Verletztheit war ihm noch anzuhören. »Sie konnten monatelang nicht heiraten, und als es schließlich soweit war, haben die Zeitungen praktisch jeden Tag Mamas Liebesleben aufgewühlt. Und jedesmal, wenn etwas über einen von uns zu berichten ist, kommt es wieder hoch. Deshalb hat Seine König., liehe Hoheit seinen Fimmel.«
»Ich verstehe, warum er Sie nicht in einen schmutzigen Skandal bei der Olympiade verwickelt sehen möchte, wo die Augen der Klatschkolumnisten der ganzen Welt auf Sie gerichtet sind. Besonders bei diesem Anstrich von Homosexualität.«
Mir erschien die Aufregung des Prinzen jetzt vollkommen gerechtfertigt, aber Johnny war nicht dieser Meinung.
»Es kann keinen Skandal geben, weil da nichts ist«, erklärte er.
»Die ganze Sache ist einfach albern.«
»Genau das möchte Ihr Schwager beweisen, und das Auswärtige Amt ebenfalls, weil jeder, der nach Rußland geht, gefährdet ist, aber jemand, der im Ruf der Homosexualität steht, ist ein wirkliches politisches Risiko, da es dort immer noch gesetzwidrig ist. Sie möchten, daß Sie an den Olympischen Spielen teilnehmen. Ich soll mich nur in Ihrem eigenen Interesse um diese Gerüchte kümmern.«
Eigensinnig preßte er die Lippen zusammen. »Aber das ist ganz überflüssig.«
»Und was ist mit diesen Männern?« fragte ich.
»Was für Männer?«
»Die Sie angegriffen und vor Aljoscha gewarnt haben.«
»Ach, das.« Er machte ein verständnisloses Gesicht.
»Nun ... das ist doch wohl klar. Wer immer auch Aljoscha ist, sie kann eine Untersuchung ebensowenig wünschen wie ich. Es könnte ihr großen Schaden zufügen ... haben Sie daran schon mal gedacht?«
Unruhig stand er auf, nahm das Tablett und trug es in die Küche hinaus. Dort klirrte er eine Weile mit dem Geschirr und zeigte, nachdem er zurückkam, keine Neigung, sich wieder zu setzen.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Pferde«, sagte er.
»Erzählen Sie mir zuerst von den Männern«, redete ich ihm zu.
»Da gibt’s nichts zu erzählen.« Er stellte einen Fuß auf den Holzstapel neben dem Kamin und spielte mit der Feuerzange herum.
»Waren es Engländer?«
Überrascht sah er mich an.»Nun, das nehme ich doch an.«
»Sie haben sie doch sprechen hören. Wie klang das?«
»Normal. Ich meine ... ganz gewöhnliche Leute.«
»Aber da gibt es Unterschiede.« Er schüttelte den Kopf, aber für mich gab es da unendlich viele Unterschiede. »Waren es Iren? Schotten? Londoner? Waliser? Das ist doch nicht schwer«, drängte ich.
»Londoner, denke ich.«
»Keine Ausländer? Russen beispielsweise?«
»Nein.« Erst jetzt schien ihm die Bedeutung klarzuwerden. »Sie sprachen ziemlich rauh und undeutlich und verschluckten alle Konsonanten. Südengland. London, denke ich, oder Berkshire.«
»Der gleiche Akzent wie hier?«
»Ja, ich glaube schon. Jedenfalls ist mir keine Besonderheit aufgefallen.« »Wie haben sie ausgesehen?«
»Sie waren beide groß.« Er bückte sich, stocherte im Kamin herum und richtete sich dann zu seiner vollen Höhe auf. »Größer als ich. Männer eben. Nichts Bemerkenswertes. Keine Bärte, kein Hinken, keine Narben auf der Backe. Es tut mir sehr leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich glaube, ich würde sie nicht mal wiedererkennen, wenn ich ihnen auf der Straße begegnete.«
»Aber wenn sie hier ins Zimmer kämen, schon?«
»Sie meinen, ich würde es spüren?«
»Ich meine, Sie erinnern sich an mehr, als Sie denken, und wenn man Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen würde, käme alles wieder.«
Er schien nicht überzeugt, sagte aber: »Wenn ich ihnen begegnen sollte, sage ich Ihnen natürlich Bescheid.«
»Natürlich könnten sie mit einer neuen, äh, Warnung wiederkommen«, meinte ich nachdenklich. »Besonders, wenn Ihr Schwager die Sache nicht ruhen läßt.«
»Gott, glauben Sie wirklich?« Er sah zur Tür, als erwarte er einen sofortigen Angriff. »Sie sagen wirklich die angenehmsten Sachen.«
»Die primitivste Form von Abschreckung«, sagte ich.
»Was?«
»Zack, bum.«
»Ach so.«
»Billig und oft wirksam.«
»Tja, äh ... und was weiter?«
»Wer soll eigentlich abgeschreckt werden - Sie, ich oder Ihr Schwager?«
Zum erstenmal schienen ihm die verschiedenen Alternativen klarzuwerden.
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte er, »aber mir ist das zu hoch. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Pferde. Davon verstehe ich was. Selbst wenn sie einen umbringen, ist es nicht böse gemeint.«
Nervosität und Bedrücktheit fielen von ihm ab, als wir die wenigen Schritte zu den Stallungen zurücklegten. Mit Pferden war er in seinem Element. Ganz offensichtlich gaben sie ihm Ruhe und Selbstvertrauen. Ich fragte mich, ob sein deutlich spürbarer Bammel in meiner Gegenwart gar nicht von meinem Auftrag, sondern von der Tatsache herrührte, daß ich ein Mensch war.
Der Stall bestand aus einem kleinen Viereck älterer Holzboxen um eine Fläche aus festgestampftem Lehm und Kies. Es gab ein paar gestutzte Grasflecken, einen wild wuchernden Baum und leere Kübel für Blumen. Ein grüner Anstrich, der seine beste Zeit lang hinter sich hatte. Das Gefühl, daß im Frühjahr Unkraut wachsen würde.
»Wenn ich den Kies erbe, kaufe ich mir einen besseren Stall«, sagte Johnny, als lese er unheimlicherweise schon wieder meine Gedanken. »Der hier ist gemietet. Die Treuhänder, verstehen Sie.«
Die Treuhänder hatten das Geld jedoch dort investiert, wo es sich auszahlte, nämlich in vier Beine, Kopf und Schwanz.
Obwohl die Saison fast vorbei war, wirkten die fünf vorhandenen Pferde ausgeruht und fit. Zum größten Teil von Vollbluthengsten aus Jagdpferdstuten gezogen, sahen sie rassig und leistungsfähig aus, und Johnny erzählte mir mit deutlichem, alles andere als beiläufigem Stolz die Geschichte jedes einzelnen Tieres. Zum ersten Mal sah ich den zielstrebigen, wilden Fanatismus in ihm erwachen, den es brauchte: den wichtigsten Brennstoff des olympischen Feuers.
Sogar das rote Kraushaar schien sich zu noch engeren Löckchen zu drehen, obwohl das vermutlich an der Luftfeuchtigkeit lag. Die Inbrunst in seinem Blick, das entschlossen gereckte Kinn und seine Leidenschaft hatten allerdings nichts mit dem Klima zu tun. Seine Begeisterung war ansteckend, und zum erstenmal verstand ich, warum alle so darauf bedacht waren, ihm die Reise nach Rußland zu ermöglichen. Er war aus dem Stoff, aus dem man Olympioniken macht.
»Mit diesem Burschen hier habe ich eine Außenseiterchance, in das britische Team zu kommen«, sagte er und gab einem großrahmigen Braunen einen Klaps auf das wohlgerundete Hinterteil. »Aber er ist nicht Weltklasse, das weiß ich. Ich brauche etwas Besonderes. Das deutsche Pferd. Ich habe es gesehen. Den Gaul möchte ich haben.« Er holte tief Atem und lachte auf.
»Manchmal geht es einfach mit mir durch.«
Sein Gesicht glühte.
»Ich will eine Goldmedaille«, sagte er.