Kapitel 4

Beim Schein der Nachttischlampe lag ich im Bett und überlegte, warum mich das so aufregte. Ich war keiner von diesen Spionen, die aus der Kälte oder sonstwoher kommen, daran gewöhnt sind, daß man ihre Sachen durchwühlt, und sich womöglich gekränkt fühlen, wenn man es nicht tut. Für mich war das alles höchst ungewöhnlich.

Und doch war ich in Moskau, um etwas herauszufinden. Vielleicht machte mich das bereits zur Zielscheibe besonderer Aufmerksamkeit. Doch die dringendste Frage blieb unbeantwortet:

Wer, genau, hatte die Durchsuchung vorgenommen? Und warum?

Es gab nichts zu finden. Das Blatt mit den Namen und Adressen hatte ich bei mir gehabt. In meinem Gepäck gab es keine Waffen, keinen Kode, keine Wanzen, keine antisowjetische Propaganda. Man hatte mir gesagt, es sei verboten, Bibeln und Kruzifixe nach Rußland einzuführen, und ich hatte mich daran gehalten. Ich führte keine verbotenen Bücher, keine Pornographie, keine Zeitungen bei mir. Keine Drogen ...

Drogen.

Mit einem Satz war ich aus dem Bett und riß die Schublade auf, in der ich den Kasten mit meinen Medikamenten untergebracht hatte. Mit einem Seufzer der Erleichterung sah ich, daß die Tabletten und Inhalatoren, die Spritze und die Adrenalinampullen mehr oder weniger so darin lagen, wie Emma sie hineingelegt hatte. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob der Kasten durchsucht worden war, aber zumindest war alles noch vorhanden.

Emma mochte mich einen Hypochonder nennen, Tatsache blieb, daß der Inhalt dieses Kastens schon wiederholt zwischen mir und der Nachwelt gestanden hatte. Das Schicksal, das mich mit Reichtum gesegnet hatte, war mit der Gesundheit etwas geizig gewesen. Wenn man es auf der Brust hatte, waren Versicherungsprämien auch in meinem Alter gesalzen. Wenn der eigene Vater und Großvater aus Mangel an Salbutamol oder Beclomethason-Diproprionat oder diversen anderen, späteren Wundermitteln jung gestorben waren, stellte man fest, daß die Herzen von Versicherungsmathematikern hart wie Stein waren.

Dazwischen - und die Zwischenzeiten waren zugegebenermaßen häufiger als die Probleme - gab es dann immer wieder Zeiten, in denen ich vor Gesundheit und Kraft ebenso strotzte wie jedes andere arme Schwein, das im feuchten, kalten, nebligen, bronchitischen Klima der Britischen Inseln lebt.

Einigermaßen beruhigt machte ich die Schachtel zu und stellte sie wieder in die Schublade, kletterte ins Bett, nahm meine Brille ab und löschte das Licht. Wie bald konnte ich wohl mit Anstand von meinem Rückflugbillett Gebrauch machen?

Der Rote Platz wirkte graubraun in dem scheußlichen Wind, der die Schneeflocken vor sich hertrieb. Ich stand vor der Basilius-Kathedrale und machte Fotos, in einem Licht, das derart trübe war, daß ich den Film auch darin hätte entwickeln können und mich fragte, ob selbst das tiefe, leuchtende Rot der riesigen Backsteinmauern des Kreml einen Eindruck auf der Emulsion hinterließe. Auf der weiten, mit Schneematsch bedeckten Fläche, auf der für Wochenschauen manchmal die der Selbstverherrlichung dienenden Paraden übers Pflaster dröhnten, verloren sich an diesem Tag nur ein paar kläglich dreinschauende Touristen, die in weit auseinandergezogenen Schlangen über den Platz gescheucht wurden.

Die Kathedrale war klein, mit einer Vielzahl zwiebelförmiger, bunter, goldverzierter Türmchen von unterschiedlicher Höhe, wie ein Phantasieschloß aus einem Disneyfilm. Auf den Zwiebelkuppeln lag Schnee, der die von Ansichtskarten bekannten, schimmernden Blau-, Grün-und Goldtöne dämpfte. Wie konnte eine Nation, die ein Gebäude von so strahlender Heiterkeit hervorgebracht hatte, zu dieser grauen Eintönigkeit herabsinken, fragte ich mich.

»Iwan der Große hat diese Kirche in Auftrag gegeben«, sagte eine Stimme neben meiner rechten Schulter. »Als sie fertig war, war er von ihrer Schönheit überwältigt und ließ dem Architekten die Augen ausstechen, damit er nicht etwas noch Schöneres für jemand anders bauen könnte.«

Ich drehte mich um und sah einen nicht sehr großen jungen Mann in einem dunkelblauen Mantel und schwarzer Pelzmütze. Die runden braunen Augen waren voller lebhafter Intelligenz, anders als in den Gesichtern der Russen. Ein Mensch, urteilte ich, dessen weiche, jugendliche Züge einen scharfen Erwachsenenverstand verbargen. In seinem Alter, vor etwa zehn Jahren, hatte ich das gleiche Problem gehabt.

»Sind Sie Stephen Luce?« fragte ich.

Ein Lächeln flackerte auf und verschwand wieder. »Stimmt.«

»Das mit dem Architekten hätte ich lieber nicht erfahren.«

»Wieso?«

»Ich mag keine Horrorfilme.«

»Das ganze Leben ist ein Horrorfilm«, sagte er. »Möchten Sie Lenins Grab sehen?« Er deutete auf eine

Stelle in der Mauer, wo vor einem großen, schachtelartigen Gebäude eine Schlange wartete. »Die Kathedrale ist keine Kirche mehr, sondern eine Art Lagerhalle. Das Grabmal kann man allerdings besichtigen.«

»Nein, vielen Dank.«

Trotzdem ging er in die angegebene Richtung, und ich folgte.

»Dort«, sagte er und zeigte neben das Grabmal, »steht eine kleine Büste von Stalin. Sie ist kürzlich ohne jede Feierlichkeit aufgestellt worden. Ihnen erscheint das vielleicht unbedeutend, aber es ist tatsächlich sehr interessant. Früher mal war Stalin mit Lenin zusammen im Grabmal. Verehrt, und so weiter. Dann gab’s eine revisionistische Phase, und Stalin war auf einmal persona non grata, also haben sie ihn aus dem Grab geholt und statt dessen draußen eine kleine Statue aufgestellt. Dann gab’s noch ein bißchen mehr Revisionismus, und sie haben auch die Statue entfernt und da, wo sie war, eine kleine Tafel im Boden angebracht. Aber jetzt haben wir eine neue Statue, genau an derselben Stelle. Das ist nicht mehr der alte, stolze Blick der Weltherrschaft, sondern mehr so was Bescheidenes, Nachdenkliches, Unauffälliges. Faszinierend, finden Sie nicht?«

»Was studieren Sie?« unterbrach ich ihn.

»Russische Geschichte.«

Ich sah von dem neuaufgestellten Stalin zu der Kirche. »Tyrannen kommen und gehen, die Tyrannei bleibt bestehen.«

»Manches sagt man besser nur im Freien.«

Ich sah ihm in die Augen. »Wie sehr werden Sie mir helfen?«

»Warum machen Sie nicht ein paar Fotos? Benehmen

Sie sich wie ein Tourist«, sagte er.

»Keiner hält mich für einen Touristen, außer es ist üblich, die Zimmer von Touristen zu durchsuchen.«

»Ach herrje«, sagte er leise. »Na, dann gehen wir einfach spazieren.«

Im Touristentempo verließen wir den Roten Platz und schlenderten zum Fluß hinunter. Ich kuschelte mich in meinen Mantel und zog mir den Schal über die Ohren, bis unter die Pelzmütze, die ich mir gemäß Nataschas Anweisungen am Vormittag gekauft hatte.

»Warum lassen Sie nicht die Ohrenklappen herunter«, fragte Stephen Luce und löste eine schwarze Schleife auf seinem Kopf. »Ist viel wärmer.« Er zog die eben noch hochgeschlagenen Ohrenklappen herunter und ließ die schwarzen Bänder lose baumeln. »Binden Sie die Bänder nicht unterm Kinn fest«, sagte er, »sonst hält man Sie für eine Tunte.«

Ich zog die Ohrenklappen herunter und ließ die Bänder wie er im Wind flattern.

»Also, was kann ich für Sie tun?« fragte Stephen Luce.

»Mitkommen, wenn ich ein paar Leute über Pferde befrage.«

»Wann?«

»Morgens ist bei Pferdeleuten am besten«, sagte ich.

Er überlegte eine ganze Weile, dann sagte er zögernd: »Ich glaube, ich könnte morgen ausnahmsweise eine Vorlesung schwänzen.«

Das sah Hughes-Beckett ähnlich, dachte ich wütend, mich mit einem Dolmetscher auszustatten, der nur während der Mittagspause und geschwänzten Vorlesungen Zeit hatte. Ich betrachtete das sorgenvolle Gesicht unter der schwarzen Pelzmütze und entschied mehr oder weniger in diesem Augenblick, daß meine ganze Mission nicht durchführbar war.

»Kennen Sie Rupert Hughes-Beckett?« fragte ich.

»Nie von ihm gehört.«

»Wer hat Sie dann gebeten, mir zu helfen?«

»Das Auswärtige Amt. Ein gewisser Spencer. Den kenne ich. Sie unterstützen mich sozusagen, verstehen Sie? Während des Studiums. Mit dem Hintergedanken, daß ich am Ende für sie arbeite. Obwohl vielleicht gar nichts daraus wird. Alles ein bißchen erstickend, dieses diplomatische Wachsfigurenkabinett.«

Wir erreichten den Aufgang zur Brücke über den Fluß, und Stephen warf in einer seiner weltausholenden Gesten den Arm nach vorn.

»Da drüben ist die Britische Botschaft«, sagte er.

Wegen des Schnees konnte ich nicht viel sehen. Ich nahm meine Brille ab, trocknete sie, so gut es ging, mit einem Taschentuch und genoß ein, zwei Minuten lang einen etwas klareren Blick auf die Welt.

»Biegen Sie auf der anderen Seite der Brücke rechts ab«, sagte Stephen. »Gehen Sie die Treppe runter auf die Parallelstraße am Fluß. Die Botschaft ist das blaßgelbe Gebäude.«

Ich erzählte ihm, daß ich am Abend beim Kulturattache zum Drink eingeladen sei, und er sagte alles Gute und ich solle ja nicht das Klo des Botschafters versäumen, das den besten Blick auf den Kreml in ganz Moskau hätte.

»Übrigens«, sagte er, als wir über die Brücke gingen, »würde es Ihnen was ausmachen, mir zu sagen, warum Sie eigentlich hier sind?«

»Hat man Ihnen das nicht mitgeteilt?«

»Nein. Nur daß ich gegebenenfalls dolmetschen sollte.«

Frustriert schüttelte ich den Kopf. »Ich jage einem Irrlicht hinterher. Suche ein Gerücht namens Aljoscha. Manche sagen, es gibt ihn gar nicht, andere behaupten, er will nicht gefunden werden. Ich brauche ihn nur aufzutreiben, feststellen, wer und was er ist, und entscheiden, ob er für einen Burschen, der bei den Olympischen Spielen reiten möchte, eine Bedrohung darstellt. Und da Sie gefragt haben, werde ich Sie jetzt mit der ganzen Geschichte langweilen.«

Er lauschte konzentriert und gar nicht gelangweilt, und als ich fertig war, rief er begeistert: »Auf mich können Sie zählen. Zum Teufel mit den Vorlesungen. Ich borge mir von jemand die Notizen.« Wir waren am Ende der Brücke angekommen und kehrten um, und zwischen den Schneeflocken sah ich seine dunkelbraunen Augen vor humorvoller Lebhaftigkeit schimmern. »Ich dachte, Sie wären hier nur auf Erkundungstour für die Spiele. Ganz allgemein und halboffiziell. Was Sie vorhaben, ist viel lustiger, als ich dachte.«

»Nun, das fand ich eigentlich nicht«, sagte ich.

»Bei uns, wir sorgen, daß du es lustig findest, Briederchen«, lachte er.

»Bei uns, wir sorgen lieber dafür, daß alles serr geheim bleibt.«

»Na klar. Wollen Sie von einer lebenslangen Erfahrung in Moskau profitieren?«

»Wessen Erfahrung?« fragte ich.

»Meiner natürlich. Ich bin seit elf Wochen hier. Alles ist relativ.«

»Schießen Sie los.«

»Tun Sie nie etwas Ungewöhnliches. Erscheinen Sie nie, wenn Sie nicht erwartet werden, aber immer, wenn Sie

erwartet werden.«

»Das klingt nicht gerade aufregend.«

Er warf mir einen amüsierten Blick zu. »Ein paar Engländer, die hier mit dem Wagen unterwegs waren, beschlossen, in einer anderen Stadt zu übernachten als in der vorgesehenen. Ein plötzlicher Einfall. Sie bekamen eine Geldstrafe.«

»Geldstrafe?« Ich war überrascht.

»Ja. Können Sie sich einen Ausländer vorstellen, der in England bestraft wird, weil er in Manchester statt in Birmingham übernachtet? Aber hier ist alles streng geregelt. Hier gibt es haufenweise Leute, die nur rumstehen und andere Leute beobachten und alles weitergeben, denn das ist ihre Aufgabe. Sie sind zur Überwachung angestellt. Hier gibt es keine Arbeitslosigkeit. Statt jemand Arbeitslosenunterstützung zu geben, damit er sie auf anständige Weise ausgibt, wie beispielsweise beim Fußball, bei Wetten oder in der Kneipe, muß er aufpassen. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie es so schön heißt.«

»Sie stehen in Gruppen an Flughäfen und Bushaltestellen und drängeln sich vor den Hotels?«

Er grinste. »Genau. Die Typen in den Bushaltestellen sollen alle Autos mit ausländischem Kennzeichen, die aus Moskau hinausfahren, anhalten und Bestimmungsort und Visa überprüfen. Jeder Ausländer braucht nämlich ein Visum, wenn er sich mehr als dreißig Kilometer vom Zentrum entfernen will. Manchmal halten sie auch russische Autos an, aber nicht oft. Es gibt einen Witz hier, daß man immer wenigstens drei Russen zusammen sieht, wenn sie mit Ausländern in Berührung kommen. Einer allein könnte in Versuchung geraten, zwei könnten eine Verschwörung anzetteln, aber wenn es drei sind, macht einer bestimmt Meldung.« »Zynisch.«

»Und praktisch. Was sagten Sie, was Sie heute vorhaben? Ich nehme an, Intouristmädchen kümmern sich um Sie.«

»Natascha und Anna«, bestätigte ich. »Ich habe gesagt, daß ich zum Mittagessen wieder im Hotel bin und danach eine Stadtrundfahrt mache.«

»Dann tun Sie das lieber. Wahrscheinlich würden sie Schwierigkeiten kriegen, wenn ihr Schützling ihnen abhanden kommt.«

Ich blieb mitten auf der Brücke stehen und schaute über das Geländer auf das eisengraue Wasser. Schnee tüpfelte alles und erfüllte die Luft wie mit kleinen Fetzen Seidenpapier. Rechts am Ufer erstreckten sich die langen, roten, schönen Mauern des Kreml, dann und wann von goldenen Türmchen und goldenen Zwiebelkuppeln in ihrem Inneren unterbrochen. Eine eingemauerte Stadt, eine Festung, mit ehemaligen Kirchen, funktionierenden Regierungsbüros und Millionen von Touristen. Links, am anderen Ufer, war die Britische Botschaft.

»Gehen wir lieber weiter«, sagte Stephen. »Zwei Männer, die auf einer Brücke im Schnee stehen ... das ist verdächtig.«

»Ich kann es einfach nicht glauben.«

»Sie würden sich wundern.«

Wir gingen dann doch weiter, zurück über die Steigung zum Roten Platz.

»Hier ist gleich Ihre erste Aufgabe«, sagte ich. »Würden Sie einen Anruf für mich erledigen?«

Ich gab ihm Namen und Nummer des Mannes, der die Olympia-Equipe trainierte, und wir blieben vor einer gläsernen Telefonzelle stehen. Offenbar waren Telefongespräche billig, denn Stephen wies meinen Rubel zurück und holte zwei Kopekenmünzen hervor.

»Was soll ich sagen?« fragte er.

»Sagen Sie, ich würde ihn gern morgen vormittag sehen. Sagen Sie, das russische Team habe mich bei der Military in Burleigh sehr beeindruckt und ich würde ihm gern gratulieren und ihn um seinen Rat bitten. Sagen Sie, ich sei in der Pferdewelt furchtbar wichtig. Tragen Sie ein bißchen dick auf. Er kennt mich nicht, aber sagen Sie, ich sei ein Kollege von denen.« Ich nannte die Namen einiger bekannter Militaryreiter.

»Sind Sie das?« fragte er, während er die Nummer wählte.

»Ich kenne sie. Darum wurde ich auch geschickt. Weil ich alle Pferdeleute kenne.«

Jemand meldete sich am anderen Ende, und Stephen stürzte sich in etwas, was für mich nur unverständliche Laute waren. Eine sanfter klingende Sprache, als ich aus irgendeinem Grund erwartet hatte. Sehr angenehm. Er redete eine Weile, hörte dann zu, redete, hörte zu, redete und legte schließlich auf.

»Erfolgreich«, sagte er. »Elf Uhr. Vor den Stallungen auf der anderen Seite der Rennbahn.«

»Im Hippodrom«, sagte ich.

»Genau.« Seine Augen leuchteten. »Die Olympiapferde werden dort auf der Bahn trainiert.«

»Fabelhaft«, sagte ich begeistert. »Ganz unglaublich.«

»Und Sie haben sich geirrt«, fuhr Stephen fort. »Er weiß, wer Sie sind. Er sagt, Sie sind in einem Rennen in der Tschechoslowakei geritten, Pardubitzer Steeplechase oder so was. Und Sie wären Dritter geworden. Es klang, als freute er sich darauf, Sie kennenzulernen.«

»Nett von ihm«, sagte ich bescheiden.

Und dann verdarb Stephen alles. »Russen freuen sich auf jeden von draußen. Sie sehen so wenige, da sind sie über jeden froh.«

Wir einigten uns darauf, daß er am nächsten Morgen vor dem Hotel auf mich warten sollte. Seine Fröhlichkeit war ansteckend.

»Wenn Sie diese Stadtrundfahrt machen«, sagte er beim Abschied, »dann wird der Bus auf dem Djershinski-Platz anhalten. Da steht ein Denkmal von Djershinski. Und ein großer Spielzeugladen ist auch da. Was der Führer Ihnen nicht sagen wird, das Gebäude daneben ist die Lubjanka.«

Taxis standen vor dem Hotel, aber keiner der Fahrer sprach englisch, und entweder verstanden sie die Worte »britische Botschaft« oder die englisch geschriebene Adresse nicht, oder sie wollten einfach nicht. Jedenfalls bekam ich nur Kopfschütteln zu sehen und mußte schließlich laufen.

Es schneite immer noch, und Matsch lag auf den Straßen. In kürzester Zeit waren meine Füße völlig naß und eisig, und meine Laune war entsprechend. Stephens Instruktionen folgend, fand ich die Treppe am anderen Ende der Brücke und stieg eine Ebene tiefer. Links von mir zogen sich wuchtige, dunkle Gebäude hin, rechts die brusthohe Mauer am Fluß. Als ich schließlich vor der Botschaft ankam, vertrat mir ein russischer Soldat den Weg.

Es folgte eine merkwürdige Auseinandersetzung, bei der keiner der Beteiligten nur ein Wort von dem verstand, was der andere sagte. Nur zögernd ließ er mich schließlich passieren, nachdem ich wiederholt erst auf meine Uhr, dann auf die Tür der Botschaft gedeutet hatte und mehrmals laut erklärte: »Ich bin Engländer.« Die riesige Eingangstür zur Botschaft wurde mit bedeutend weniger

Umständen von einer dunkelblauen Uniform mit Messingknöpfen und Tressen geöffnet.

Drinnen zeigten die Halle, die Treppen und die sichtbaren Türen schimmerndes Holz, Glas und Stukkatur früherer, besserer Zeiten. Außerdem stand da noch ein großer Schreibtisch, hinter dem ein Einmannempfangskomitee saß. Daneben stand ein großer, träger Mann mit vornehmem Knochenbau und sorgfältig zurückgekämmtem grauem Haar. Die blaue Uniform wollte mich von Mantel und Mütze befreien, und der Mann hinter dem Schreibtisch fragte, was er für mich tun könne.

»Der Kulturattache?« fragte ich. »Er erwartet mich.«

Der grauhaarige Herr bewegte sich sanft wie eine Lilie im Wind und sagte, zufällig sei er selbst der Kulturattache. Er bot mir eine schlaffe Hand und ein mittleres Lächeln, was ich mit kaum größerer Wärme erwiderte. Er murmelte einige Platitüden über das Wetter und Flugreisen, während er mich einer genauen Musterung unterzog, aber offenbar bestand ich die Prüfung, denn plötzlich schaltete er in einen anderen Gang und fragte mit einigem Charme, ob ich vielleicht zuerst die Botschaft sehen wollte, bevor wir zu einem Drink in sein Büro gingen, das, wie er erklärte, in einem anderen Gebäude war.

Wir stiegen die Treppen hinauf und besichtigten die Empfangsräume und natürlich das Klo mit der besten Aussicht auf den Kreml. Der Kulturattache, der sich als Oliver Waterman vorgestellt hatte, benahm sich, als führe er jeden Tag Besucher herum, was er ja vielleicht auch tat.

Nach einem kurzen, windigen Spaziergang über einen Hof erreichten wir eine modern aussehende Suite von Büroräumen, die mit Teppichen und Bücherregalen ausgestattet waren, wo er sich sofort daran machte, uns ordentliche Drinks einzugießen.

»Wüßte gar nicht, was wir für Sie tun könnten«, sagte er, machte es sich in einem tiefen Ledersessel bequem und winkte mich in einen zweiten. »Diese Farringford-geschichte scheint viel Lärm um nichts zu sein.«

»Das hoffen Sie«, sagte ich.

Er lächelte dünn. »Stimmt. Aber es gibt kein Feuer ohne Rauch, und wir haben nicht einmal ein Wölkchen gesehen.«

»Haben Sie selbst die drei russischen Beobachter befragt?«

»Äh«, machte er und sah betroffen aus. »Was sollen das für Beobachter sein?«

Resigniert erklärte ich es. Sein Gesicht hellte sich langsam auf, als sei eine Verantwortung von ihm genommen worden.

»Aber, sehen Sie, wir von der Botschaft können nicht selbst mit ihnen sprechen. Wir haben uns auf unserer Ebene an die Gegenseite gewendet und wurden informiert, daß keiner etwas von Bedeutung wisse.«

»Hätten Sie nicht direkt mit diesen Leuten reden können?«

Er schüttelte den Kopf.»Es ist sehr unerwünscht, wenn nicht gar direkt verboten, private Kontakte herzustellen.«

»Von uns oder von denen verboten?«

»Von beiden ein bißchen. Aber ganz bestimmt von uns.«

»Also lernen Sie überhaupt keine Russen kennen, obwohl Sie hier leben?«

Ohne sichtbares Bedauern schüttelte er den Kopf. »Es liegt immer ein Risiko in inoffiziellen Kontakten.«

»Es herrscht also beiderseitige Xenophobie?«

Er legte die Beine gerade und schlug dann das rechte über das linke. »Fremdenangst ist älter als das Bewußtsein«, sagte er lächelnd, als hätte er das schon oft gesagt. »Aber jetzt zu Ihren Nachforschungen ...«

Das Telefon neben seinem Ellbogen unterbrach ihn. Lässig griff er nach dem dritten Läuten zum Hörer und sagte nur »Ja?«

Einige Falten erschienen auf seiner hohen, glatten Stirn. »Na schön. Bringen Sie ihn her.« Er legte auf und setzte seine Rede fort. »Was Ihre Nachforschungen anbetrifft, so können wir Ihnen unseren Fernschreiber anbieten, und wenn Sie mir Ihre Telefonnummer geben, rufe ich Sie an, wenn Nachrichten für Sie eintreffen.«

»Die Nummer habe ich Ihnen gegeben«, sagte ich.

»Oh, wirklich? Nun, ich schreibe sie besser noch mal auf, mein Bester.«

Ich wiederholte die Nummer, und er notierte sie auf einem Block.

»Aber jetzt werde ich mich um Ihr Glas kümmern«, sagte er und goß großzügig ein. »Und dann lernen Sie vielleicht einige meiner Kollegen kennen.«

Von unten hörte man die Geräusche weiterer Besucher. Oliver Waterman stand auf und strich sich mit beiden Händen das glatte Haar zurück: eher eine Geste der Sammlung, wie ich annahm, als das Bedürfnis, stets gepflegt aufzutreten.

Draußen erhob sich eine laute, eindringliche Stimme über den Chor einer weiblichen und einer männlichen. Ich erkannte sie sofort, als sie die Treppe heraufkamen, und sah ohne Erstaunen Malcolm Herrick durch die Tür treten.

»’n Abend, Oliver«, sagte er und erblickte dann mich. »Na, wenn das nicht unser Detektiv ist. Schon Fortschritte gemacht, Sportsfreund?«

Ein flüchtiger Blick auf Oliver Waterman verriet mir, daß er auf Malcolm Herrick ähnlich reagierte wie ich.

Herricks durchdringende Stimme, zweifellos das Ergebnis jahrelanger journalistischer Sachzwänge, machte es unmöglich, seine Worte nicht zu beachten. Aber hinter dem freundlichen Geplauder war keine Herzlichkeit und vielleicht sogar eine gewisse Bosheit zu spüren.

»Drink, Malcolm?« fragte Oliver als guter Diplomat.

»Das wäre großartig.«

Oliver Waterman, Flasche und Glas in der Hand, machte vorstellende Gesten zwischen mir und den anderen Neuankömmlingen. »Randall Drew ... Polly Paget, Ian Young. Beide arbeiten mit mir in dieser Abteilung.«

Polly Paget war eine vernünftig aussehende Dame in flachen Schuhen, über die erste Jugend hinaus, aber noch nicht Mittelalter. Sie trug ihr Haar kurz und die Strickjacke lang. Sie schenkte Oliver Waterman ein kleines, aufrichtiges Lächeln und nahm, wie selbstverständlich, ihren Drink vor Herrick entgegen. Er hingegen sah aus, als fände er, Attacheassistenten sollten nach ihm bedient werden. Ian Young hätte ich unter anderen Umständen für einen Russen gehalten. Neugierig betrachtete ich ihn und stellte fest, wie gut ich schon mit der Gesichtsfarbe und dem Ausdruck der Moskauer Bevölkerung vertraut war. Ian Young besaß das gleiche weiße, grobgeschnittene Gesicht, auf dem nichts vorging. Seine Stimme, wenn er sprach, und das tat er zur Zeit nur wenig, war sehr englisch.

Malcolm Herrick beherrschte mühelos die Unterhaltung, sagte Oliver Waterman, was er in bezug auf den Besuch eines berühmten Orchesters unternehmen sollte, und wischte einen Vorschlag von Polly Paget einfach beiseite. Oliver Waterman sagte hin und wieder: »Ja, vielleicht haben Sie recht«, und langweilte sich sichtlich. Ian Young betrachtete Herrick mit enervierender Teilnahmslosigkeit, die Herrick nicht im geringsten aus der Ruhe brachte, und ich nippte an meinem Glas und dachte an den feuchten Heimweg.

Nachdem er mit Oliver fertig war, wandte Herrick seine Aufmerksamkeit mir zu.

»Na, Sportsfreund, wie kommen Sie voran?«

»Langsam bis gar nicht«, antwortete ich.

Er nickte. »Habe ich Ihnen ja gesagt. Bedauerlich. Alles ist gesiebt worden, kein Krümelchen zu finden. Ich wünschte, es wäre anders. Könnte eine anständige Story gebrauchen.«

»Noch lieber eine unanständige«, warf Polly Paget ein. Herrick beachtete sie gar nicht.

»Haben Sie mit dem Chef d’Equipe gesprochen?« fragte ich.

»Mit wem?« wollte Oliver Waterman wissen. An Herricks Gesicht sah ich, daß er nicht mit dem Mann gesprochen hatte, es aber nur unter Zwang zugeben würde. Und selbst dann würde er so tun, als sei es unwichtig.

»Mr. Kropotkin«, erklärte ich Waterman. »Der Mann, der die Reiter und Pferde für die Military trainiert. Rupert Hughes-Beckett gab mir seinen Namen.«

»Dann werden Sie ihn also treffen?« fragte Waterman.

»Ja, morgen vormittag. Er scheint alles zu sein, was noch übrigbleibt.«

Ian Young rührte sich. »Ich habe mit ihm geredet«, sagte er. Alle Blicke wendeten sich ihm zu. Ungefähr fünfunddreißig, dachte ich. Untersetzt, dunkelhaarig, in einem zerknitterten, grauen Anzug und blau-weiß gestreiftem Hemd, dessen Kragenecken sich wie ein vertrocknetes Sandwich bogen. Er hob die Augenbrauen und spitzte den Mund, was für ihn einen außerordentlichen Wechsel des Ausdrucks darstellte.

»Im Verlaufe der diskreten vorläufigen Untersuchungen, die das Auswärtige Amt anstellen ließ, wurde mir ebenfalls sein Name gegeben. Ich habe mich ziemlich ausführlich mit ihm unterhalten. Er weiß nichts über einen mit Farringford zusammenhängenden Skandal. Gar nichts.«

»Da haben Sie es«, sagte Waterman achselzuckend. »Wie ich schon sagte, es gibt kein Feuer. Noch nicht mal Funken.«

»Mm«, machte ich. »So wäre es am besten. Aber es gibt einen Funken, oder gab jedenfalls einen. In England.« Ich erzählte ihnen, wie Johnny Farringford von zwei Männern zusammengeschlagen worden war, die ihn warnten, Aljoscha zu nahe zu kommen.

Ihre Gesichter zeigten die verschiedensten Schattierungen von Entsetzen und Unglauben.

»Aber, mein lieber Freund«, sagte Waterman, seine Selbstsicherheit zurückgewinnend, »das bedeutet doch sicher, daß dieser Aljoscha, wer immer das sein mag, sich keinesfalls in einen Schlamassel verwickeln lassen will. Darum scheint es mir doch für Farringford ganz ungefährlich zu sein, an der Olympiade teilzunehmen.«

»Außer«, fügte ich entschuldigend hinzu, »daß man Farringford im Sommer gesagt hat, wenn er nach Moskau käme, würde Aljoscha sich für die Aufregungen rächen, derentwegen Hans Kramer einen Herzanfall erlitt.«

Es entstand ein kurzes, nachdenkliches Schweigen.

»Menschen ändern ihre Meinung«, sagte Polly Paget schließlich besonnen. »Vielleicht war dieser Aljoscha im Sommer, nach Kramers Tod, etwas hysterisch und jetzt, bei ruhiger Überlegung, möchte er nichts mehr damit zu tun haben.«

Herrick schüttelte gereizt den Kopf, aber mir schien es die bislang vernünftigste Äußerung zur Sache zu sein.

»Hoffentlich haben Sie recht«, sagte ich. »Leider wissen wir es nicht bestimmt. Deshalb muß ich Aljoscha finden, mit ihm reden und von ihm die Versicherung bekommen, daß er Farringford nichts antun will.«

Polly Paget nickte, Oliver Waterman sah leicht verzweifelt aus, und Malcolm Herrick lachte unfroh.

»Na dann alles Gute, Sportsfreund«, sagte er. »Sie werden bis zum Jüngsten Tag hier sein. Ich sage Ihnen, ich habe nach diesem verdammten Aljoscha gesucht; er existiert nicht.«

Ich seufzte und sah Ian Young an. »Und Sie?« fragte ich.

»Ich habe mich auch umgesehen. Keine Spur«, antwortete er.

Es gab nicht mehr viel zu sagen. Die Gäste brachen auf, und ich bat Waterman, mir ein Taxi zu rufen.

»Mein lieber Freund, die kommen nicht hierher«, sagte er bedauernd. »Sie wollen sich nicht anstecken, indem sie vor der britischen Botschaft halten. Wenn sie an der Brücke entlanggehen, können Sie vielleicht einen Wagen anhalten.«

Vor seiner Haustür reichten wir uns die Hand, und dicht vermummt machte ich mich auf den Weg. Doch Ian Young rief hinter mir her und bot mir an, mich in seinem Wagen mitzunehmen, was ich dankbar akzeptierte. Mit stoischer Ruhe saß er am Steuer und ging mit Dunkelheit, fallendem Schnee und Matsch auf den Straßen um, als seien Emotionen nie erfunden worden.

»Malcolm Herrick«, sagte er, immer noch unbewegt, »ist wirklich ein Brechmittel.«

»Und Sie haben ihn am Hals.«

Sein Schweigen war Zustimmung. »Er ist wie ein Maulwurf. Wenn eine Geschichte da ist, kriegt er sie raus.«

»Wollen Sie damit sagen, ich soll heimfahren und alles vergessen?« »Nein«, sagte er und bog um mehrere Ecken. »Aber scheuchen Sie die Russen nicht auf. Sie kriegen schnell Angst, und wenn sie Angst haben, greifen sie an. Menschen mit großem Durchhaltevermögen, voller Mut. Aber rasch beunruhigt. Vergessen Sie das nicht.«

»Ich werde daran denken«, versprach ich.

»Ein gewisser Frank Jones sitzt im Hotel an Ihrem Tisch«, sagte er. Ich warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht war vollkommen ruhig.

»Ja«, bestätigte ich.

»Wissen Sie, daß er KGB-Mitglied ist?«

Ich kopierte seine Unbewegtheit. »Wissen Sie, daß Sie einen Riesenumweg zum Hotel machen?«

Er reagierte tatsächlich; er lächelte. »Woher wissen Sie das?«

»Habe eine Stadtrundfahrt gemacht. Und Stadtpläne studiert.«

»Und sitzt Frank Jones immer bei Ihnen?«

»Bis jetzt, ja«, sagte ich. »Und ein älteres Ehepaar aus Lancashire. Gestern abend saßen wir zufällig zusammen, und Sie wissen ja, wie es ist, Leute neigen dazu, an denselben Tisch zurückzukehren. Wir vier haben also tatsächlich beim Frühstück und Mittagessen wieder zusammengesessen. Wie kommen Sie darauf, daß er KGB-Mitglied ist? Er ist so englisch, wie man nur sein kann, und wurde bei der Einreise gründlich durchsucht.«

»Durchsucht, so daß jeder es sehen konnte, nehme ich an?«

»Ja. Ja, jeder konnte es sehen.«

»Tarnung, gar kein Zweifel. Er sitzt nicht zufällig an Ihrem Tisch. Er ist mit Ihnen aus England gekommen und kehrt bestimmt wieder mit Ihnen zurück. Hat er schon Ihr Zimmer durchsucht?«

Ich sagte nichts. Wieder lächelte Ian Young ganz leicht.

»Er hat also«, sagte er. »Was hat er gefunden?«

»Kleidung und Hustenmedizin.«

»Keine russischen Adressen oder Telefonnummern?«

»Die hatte ich in der Tasche«, erklärte ich.

»Frank Jones«, sagte er und fuhr durch Seitenstraßen, »hat eine russische Großmutter, die sein Leben lang mit ihm russisch gesprochen hat. Sie heiratete einen britischen Matrosen, aber ihre Sympathien galten der Oktoberrevolution. Sie hat Frank schon in der Wiege angeworben.«

»Aber wenn er KGB-Agent ist, warum lassen Sie ihn dann machen?«

»Weil wir ihn kennen.« Wir bogen in eine weitere verlassene Straße ein. »Jedesmal, wenn er kommt, werden wir von unseren Leuten von der Paßkontrolle zu Hause darauf aufmerksam gemacht. Sie schicken uns eine komplette Liste aller Passagiere seines Fluges, weil er immer mit einem Auftrag reist. Also prüfen wir sie. Wir schicken jemand zum Flughafen raus, der feststellt, wo er hingeht. Wir folgen ihm. Wir sehen ihn im Intourist verschwinden. Wir schlendern in den Speisesaal. Wenn es geht, sitzt er auch bei seinem Auftrag. Wir sehen, er sitzt bei Ihnen. Über Sie wissen wir alles. Wir sind beruhigt. Wir wünschen Frank alles Gute und wollen ihn gewiß nicht stören. Wenn seine Herren und Meister ahnten, daß wir Bescheid wissen, würden sie nächstesmal jemand anders schicken, und wo wären wir dann? Wenn Frank kommt, wissen wir gleich, es heißt aufpassen. Für uns ist er sein Gewicht in Rubeln wert, der gute Frank.«

Langsam und leise rollten wir eine dunkle Gasse hinunter. Schnee fiel und schmolz bei der Berührung mit der Erde.

»Was wird er unternehmen?« fragte ich.

»Ihretwegen? Berichten, wo Sie hingehen, wen Sie treffen, was Sie essen und wie oft Sie vor dem Frühstück scheißen.«

»Mistkerl«, sagte ich.

»Und hängen Sie ihn nicht ab, außer wenn es unbedingt sein muß, und dann sorgen Sie um Himmels willen dafür, daß es ganz zufällig aussieht.«

»In solchen Dingen habe ich keine Übung«, sagte ich zweifelnd.

»Offensichtlich. Sie haben nicht gemerkt, wie er Ihnen vom Hotel aus gefolgt ist.«

»Tatsächlich?«

»Er ging draußen die Nabereschnaja auf und ab und wartete auf Sie. Er sah Sie mit mir wegfahren. Jetzt wartet er im Hotel auf Sie.«

Das Licht des Armaturenbretts fiel gedämpft auf sein breites, unbewegtes Gesicht. Der sparsame Gebrauch der Muskeln erstreckte sich auf seinen ganzen Körper, wie ich beobachtet hatte. Sein Kopf drehte sich nur ein wenig auf dem Hals, die Hände lagen unbeweglich auf dem Steuerrad. Er rutschte nicht auf seinem Sitz herum, trommelte nicht mit den Fingern. In seinem schweren Mantel, den dicken Handschuhen und der Pelzmütze mit den Ohrenklappen wirkte er ganz und gar wie ein Russe.

»Was ist Ihre Aufgabe hier?« fragte ich.

»Ich bin Assistent des Kulturattaches.« Seine Stimme verriet so wenig wie sein Gesicht. Wer dumme Fragen stellt ...

Er fuhr jetzt noch langsamer und löschte die Scheinwerfer. Mit kaum hörbarem Motor bog er in einen gepflasterten Hof ein und hielt. Zog die Handbremse an. Wandte sich mir zu.

»Sie werden sich zum Abendessen ein paar Minuten verspäten«, sagte er.

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