Kapitel 12

Als er fort war, sah ich mir die Beute genauer an. Sehr schnell zeigte sich, daß wir das große Los gezogen hatten. Ich wünschte mir inständig, wir hätten für Jiks und Sarahs Rennbahnalibi nicht noch Zeit eingeplant. Es machte mich nervös, mit soviel Dynamit in den Händen im Hilton auf sie zu warten. Mein Instinkt drängte zum sofortigen Aufbruch.

Das Kundenverzeichnis Übersee wäre jedem anderen denkbar harmlos erschienen. Deshalb hatte Wexford es auch in einem einfachen Aktenschrank aufbewahrt, denn die Wahrscheinlichkeit, daß unter normalen Umständen jemand seine Bedeutung erkannte, stand eins zu einer Million.

Donald Stuart, Wrenstone House, Shropshire.

Durchgestrichen.

Jede Seite war in drei Spalten unterteilt, eine schmale links und rechts, eine breite in der Mitte. Links waren Daten angegeben, in der Mitte Namen und Adressen. Rechts neben der Anschrift stand jeweils eine scheinbar willkürliche Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Bei Donald zum Beispiel lautete sie MM3109T — und im Gegensatz zu seinem Namen war sie nicht durchgestrichen. Vielleicht eine Art Katalognummer, dachte ich, für das von ihm gekaufte Bild.

Ich überflog die anderen durchgestrichenen Namen in England. Maisie Matthews war nicht darunter.

Verdammt, dachte ich. Wieso nicht?

Ich blätterte den ganzen Hefter durch. Soweit ich sah, beschränkte sich die Überseekundschaft auf englischsprachige Länder, und etwa jeder dritte Name war gestrichen. Wenn jede Streichung für einen Einbruchsdiebstahl stand, dann waren es mittlerweile Hunderte.

Hinten im Hefter fand ich ein zweites, separates Verzeichnis, auch wieder nach Ländern geordnet. Die Namenslisten waren hier viel kürzer.

England.

Etwa in der Mitte. Die Zeile sprang mir ins Auge.

Mrs. M. Matthews, Treasure Holme, Worthing, Sussex.

Durchgestrichen.

Ich zitterte förmlich. Das Datum links bezeichnete vermutlich den Tag, an dem Maisie ihr Bild gekauft hatte. Die nicht durchgestrichene Kennziffer rechts lautete SMK29R.

Ich legte den Hefter hin und dachte fünf Minuten nach, ohne die Wand zu sehen, die ich dabei anschaute.

Alles in allem kam ich zu dem Schluß, daß ich noch viel zu tun hatte, bevor Jik und Sarah von der Rennbahn zurückkehrten, und daß der Instinkt nicht immer recht haben muß.

Die große Grafikmappe, die Jik in solche Aufregung versetzt hatte, lag auf meinem Bett. Ich klappte sie auf und prüfte den Inhalt.

Oder anders gesagt, ich stand wie ein Idiot mit offenem Mund davor. Die Mappe enthielt eine Reihe schematischer Strichzeichnungen von der Art, wie der Jungmaler im Arts Centre sie koloriert hatte. Vollständige Konturenzeichnungen auf weißer Leinwand, sauber und exakt wie durchgepaust.

Es waren insgesamt sieben, alles Pferdemotive. Da es sich nur um Schwarzweißskizzen handelte, war ich mir nicht sicher, aber drei sahen nach Munnings aus, zwei nach Raoul Millais, und die beiden anderen… ich betrachtete die altmodischen Pferdedarstellungen. Stubbs konnte es nicht sein, er war zu bekannt… Aber vielleicht Herring? Ich nickte bei mir. Sie sahen nach Herring aus.

An eine dieser beiden Leinwände war mit einer Büroklammer eine kleine handgeschriebene Notiz geheftet.

«Schicken Sie mir bitte das Original. Und stellen Sie fest, welche Palette er benutzt hat, falls sie vom üblichen abweicht.«

Ich schaute mir noch einmal die drei gleichen, fertigen Gemälde an, die wir ebenfalls mitgenommen hatten. Diese auf Keilrahmen gespannten Ölbilder sahen ganz so aus, als könnten auch sie aus solchen Konturzeichnungen hervorgegangen sein. Struktur und Verarbeitung des Malleinens stimmten überein.

Handwerklich waren die Bilder einwandfrei. Sie sahen wirklich wie von Munnings gemalt aus und würden noch authentischer wirken, wenn sie trocken und gefirnißt waren. Farben trocknen unterschiedlich schnell, und wie lange es dauert, hängt außerdem davon ab, mit wieviel Öl oder Terpentin sie verdünnt sind, aber diese drei Bilder waren, über den Daumen gepeilt, alle vor drei bis sechs Tagen entstanden. Die Farbe war bei allen gleich trocken. Sie mußten alle gleichzeitig gemalt worden sein, wie am Fließband. Rote Kappe, rote Kappe, rote Kappe… das sparte natürlich Zeit und Farbe.

Die Strichführung war sorgfältig bis ins kleinste Detail. Kein Gehudel. Keine Schlamperei. Es war die gleiche Sorgfalt wie bei der Millais-Kopie in Alice Springs.

Ich wußte, daß ich hier die wahren Qualitäten von Harley Renbo vor Augen hatte.

An den drei Gemälden war nichts ungesetzlich. Kopieren darf man; nur wer die Kopie als Original anbietet, macht sich strafbar.

Ich dachte noch einmal alles durch und ging dann rasch an die Arbeit.

Als ich eine Stunde später nach unten kam, war das Personal des Hilton sehr liebenswürdig und hilfsbereit.

Selbstverständlich würden sie meiner Bitte nachkommen. Selbstverständlich durfte ich das Kopiergerät benutzen, bitte hier entlang. Selbstverständlich konnte ich meine Rechnung jetzt bezahlen und später abreisen.

Ich bedankte mich für ihren rundum hervorragenden Service.

«Es war uns ein Vergnügen«, sagten sie — und sie meinten es tatsächlich so.

Wieder auf meinem Zimmer, packte ich für die Abreise. Dann zog ich Jacke und Hemd aus und bastelte mir mit Hilfe der Reservebinden wieder einen Stützverband nach dem Muster von Alice Springs, so daß die Hand fest auf der Brust lag. Das war schon wesentlich angenehmer als den Arm an dem lädierten Schultergelenk einfach baumeln zu lassen. Ich zog mein Hemd über den Verband an und überlegte, daß Jik je nach Verkehr vielleicht gerade erst von der Rennbahn wegkam.

Ich konnte nur warten.

Ich wartete genau fünf Minuten. Dann klingelte das Telefon neben dem Bett, und ich nahm den Hörer ab.

Jiks Stimme, scharf und gebieterisch.

«Charles, komm bitte sofort runter in unser Zimmer.«

«Tja…«, sagte ich zögernd.»Ist es wichtig?«

«Verdammt und Chromoxid!«explodierte er.»Geht’s denn nicht mal ohne lange Diskussion?«

Himmel, dachte ich. Ich holte tief Luft.»Gib mir zehn Minuten«, sagte ich.»Die brauche ich. Ehm… ich komme gerade aus der Dusche. Ich bin noch nicht angezogen.«

«Danke, Charles«, sagte er. Dann klickte es, und er war aus der Leitung.

Eine Menge von Jiks tollen Flüchen jagten mir durch den Kopf, dabei kam es auf jede Sekunde an. Wenn wir jemals göttlichen Beistand gebraucht hatten, dann jetzt.

Ich sperrte mich gegen die Angst, die mir auf dem Magen lag, griff zum Telefon und ließ mich mit mehreren Stellen im Haus verbinden.

«Kann bitte ganz schnell jemand auf Zimmer siebzehnachtzehn das Gepäck von Mr. Cassavetes abholen?«

«Zimmerservice…? Bitte schicken Sie dringend jemand zum Saubermachen auf Zimmer siebzehn-achtzehn, Mr. Cassavetes hat sich übergeben…«

«Kann bitte die Krankenschwester sofort nach siebzehnachtzehn kommen, Mr. Cassavetes hat starke Schmerzen…«

«Wir hätten gern sofort vier Flaschen von Ihrem besten Champagner und zehn Gläser für siebzehn-achtzehn…«

«Dreimal Kaffee für siebzehn-achtzehn bitte, und bitte gleich…«

«Wartung? Wir haben einen Stromausfall auf siebzehnachtzehn, kann bitte gleich jemand kommen?«

«… das Bad ist überschwemmt, bitte schicken Sie sofort den Klempner.«

Was gab es noch? Ich überflog die Liste der angebotenen Dienstleistungen. Pediküre, Masseurin, Sekretärin, Friseur und Bügelfrau waren sicher nicht auf die Schnelle zu bekommen… aber die Fernsehreparatur, warum nicht?

«…Würden Sie bitte den Fernseher in siebzehn-achtzehn nachschauen? Aus dem Gerät kommt Rauch, und es riecht verbrannt… «

Das mußte eigentlich genügen. Als letztes bestellte ich noch jemand, der mein Gepäck abholte. Hausdiener kommt sofort, hieß es. Zehn Dollar Trinkgeld, sagte ich, wenn die Koffer in fünf Minuten in der Halle sind. Kein Problem, versicherte mir eine zufriedene australische Stimme. Schon unterwegs.

Ich ließ meine Tür für den Hausdiener offen und fuhr mit dem Lift zwei Stockwerke hinunter in die siebzehnte Etage. Der Gang vor Jiks und Sarahs Zimmer war breit und leer, und niemand beeilte sich, daran etwas zu ändern.

Die zehn Minuten waren um.

Ich machte mir Sorgen.

Als erster erschien der Kellner mit dem Champagner, und er brachte ihn nicht auf einem Tablett, sondern auf einem Servierwagen mit Eiskühlern und blütenweißen Tüchern. Es hätte gar nicht besser sein können.

Als er vor Jiks Tür anhielt, bogen zwei andere Gestalten in den Gang ein, und weiter hinten sah ich ein Zimmermädchen, das langsam einen Wagen mit Bettwäsche, Eimern und Schrubbern vor sich herschob.

«Danke, daß Sie so schnell gekommen sind«, sagte ich zu dem Kellner und überraschte ihn damit, daß ich ihm zehn Dollar gab.»Bitte servieren Sie gleich.«

Er lächelte breit und klopfte bei Jik an.

Nach ein paar Sekunden öffnete Jik. Er sah nervös und angespannt aus.

«Ihr Champagner, Sir«, sagte der Kellner.

«Hab ich doch gar nicht — «, setzte Jik an. Dann erblickte er mich ein Stück von der Tür entfernt. Ich machte mit der Hand scheuchende Bewegungen in Richtung Zimmer, und ein schwaches Lächeln trat auf das besorgte Gesicht.

Jik ließ Servierwagen und Kellner ins Zimmer.

Schon kamen im Eilschritt der Elektriker, der Klempner und der Fernsehmann. Allen gab ich zehn Dollar und bedankte mich für ihr promptes Erscheinen.»Ich habe beim Pferderennen gewonnen«, sagte ich. Auch sie steckten grinsend mein Geld ein, und Jik öffnete auf ihr Klopfen.

«Strom… Wasser… Fernsehen…«Er zog die Brauen hoch. Mit erwachendem Verständnis blickte er zu mir. Dann riß er die Tür weit auf und bat sie herzlich herein.

«Biete ihnen ein Glas Champagner an«, sagte ich.

«Allmächtiger.«

Danach kamen in rascher Folge der Hausdiener, der Mann mit dem Kaffee und die Krankenschwester. Allen gab ich zehn Dollar von meinem angeblichen Wettgewinn und lud sie zu der Party ein. Als letztes rollte das Zimmermädchen mit seinem kopflastigen Wagen an. Sie nahm die zehn Dollar, gratulierte mir zu meinem Glück und verschwand in dem munteren Getümmel.

Jetzt lag es bei Jik. Ich konnte nichts mehr tun.

Er und Sarah kamen plötzlich wie die Korken aus den goldverkapselten Flaschen auf den Gang geschossen und blieben unschlüssig stehen. Ich packte Sarah am Handgelenk und zog sie zu mir.

«Schieb den Wäschewagen durch die Tür und wirf ihn um«, befahl ich Jik.

Er überlegte nicht lange. Die Schrubber landeten drinnen auf dem Boden, und Jik zog die Tür hinter sich zu.

Sarah und ich rannten bereits zu den Fahrstühlen. So blaß und verstört, wie sie aussah, mußte das, was sich bei ihnen abgespielt hatte, fast zuviel für sie gewesen sein.

Jik stürmte hinter uns her. Es gab sechs Fahrstühle auf der Etage, und man brauchte immer nur Sekunden zu warten, bis einer kam. Diesmal schien es Stunden zu dauern. Die Tür öffnete sich einladend, und schon sprangen wir hinein und drückten wie verrückt auf» Türe schließen«.

Die Tür schloß sich.

Der Lift fuhr sachte und schnell abwärts.

«Wo steht der Wagen?«fragte ich.

«Auf dem Parkplatz.«

«Hol ihn und komm zum Seiteneingang.«

«Gut.«

«Sarah… «

Sie sah mich verschreckt an.

«Meine Malertasche steht unten. Trägst du mir die?«

Sie sah zerstreut auf den leeren Ärmel meiner Jacke, die über der linken Schulter lose herabhing.

«Sarah!«

«Ja… in Ordnung.«

Wir platzten in die Halle, die sich mit heimkehrenden Rennbahnbesuchern gefüllt hatte. Sie unterhielten sich in Gruppen, waren in Bewegung, und man konnte nur schwer den Raum überblicken. Um so besser, dachte ich.

Mein Koffer und die Maltasche standen in der Nähe des Haupteingangs, bewacht von einem jungen Mann in Hausdiener-Uniform.

Ich gab ihm die zehn Dollar.»Vielen Dank«, sagte ich.

«Kein Problem«, meinte er vergnügt.»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«

Ich schüttelte den Kopf. Sarah nahm die Malertasche, ich den Koffer, und wir gingen zur Tür hinaus.

Wandten uns nach rechts. Legten einen Schritt zu. Wandten uns noch einmal nach rechts und waren dort, wo Jik uns abholen sollte.

«Er ist nicht da!«rief Sarah, der Panik nahe.

«Er kommt schon noch«, sagte ich beruhigend.»Gehen wir ihm ein Stück entgegen.«

Wir gingen. Ich sah mich immer wieder nervös nach Verfolgern um, aber wir waren allein. Jik kam auf zwei Reifen um die Ecke gefegt und schliff ein paar Millimeter Profil, als er neben uns anhielt. Sarah stieg vorn ein, ich zwängte mich mit meinem Koffer auf den Rücksitz. Jik vollführte ein haarsträubendes Wendemanöver und brachte uns mit unerlaubt hoher Geschwindigkeit vom Hilton weg.

«Menschenskind«, lachte er, von übergroßer Anspannung befreit,»wie bist du bloß auf die Idee gekommen?«

«Durch die Marx Brothers.«

Er nickte.»Der reinste Slapstick.«

«Wo fahren wir hin?«fragte Sarah.

«Ist dir schon aufgefallen«, sagte Jik,»daß meine Frau immer das Wesentliche im Auge behält?«

Melbourne zieht sich weit hin.

Wir fuhren aufs Geratewohl nach Nordosten, durch schier endlose Vorstadtsiedlungen mit Läden, Autowerkstätten und kleinen Betrieben, die alle wohlhabend, improvisiert und für meine Begriffe amerikanisch aussahen.

«Wo sind wir?«fragte Jik.

«Box Hill nennt sich das«, sagte ich, denn so stand es in den Schaufenstern zu lesen.

«Soll mir recht sein.«

Wir fuhren noch einige Meilen weiter und hielten an einem modernen Mittelklasse-Motel, dessen Vorplatz mit zahlreichen Wimpeln geflaggt war. Kein Vergleich mit dem Hilton, aber doch Zimmer, die sauberer waren als von der Natur vorgesehen.

Die Einrichtung bestand aus schlichten Liegen, einem dünnen, an den Rändern festgenagelten Teppichviereck, einer Tischlampe, die an einen unverrückbaren Tisch geschraubt war, einem an die Wand geleimten Spiegel und einem am Boden festgeschraubten Drehsessel. Aber die Vorhänge waren hübsch, und aus dem Heißwasserhahn in der Dusche kam heißes Wasser.

«Die wollen nicht, daß man sie beklaut«, sagte Jik.»Vielleicht sollten wir ihnen ein Wandbild malen.«

«Nein!«rief Sarah entsetzt.

«Es gibt ein berühmtes australisches Sprichwort«, sagte Jik.»Wenn es sich bewegt, knall es ab, wenn es wächst, schneid es ab.«

«Was hat denn das damit zu tun?«fragte Sarah.

«Nichts. Ich dachte nur, es könnte Todd gefallen.«

«Herr, gib mir Kraft.«

Genau das versuchten ihr Mann und ich mit unseren bescheidenen Mitteln.

Jik drehte sich auf dem Drehsessel in meinem Zimmer. Sarah setzte sich auf die eine Liege, ich auf die andere. Mein Koffer und die Malertasche standen auf dem Fußboden.

«Ist euch klar, daß wir ohne zu zahlen aus dem Hilton verduftet sind?«fragte Sarah.

«Sind wir nicht«, widersprach Jik.»Solange unsere Klamotten noch da sind, wohnen wir auch dort. Ich rufe nachher an.«

«Aber Todd…«

«Ich habe bezahlt«, sagte ich.»Bevor ihr wiedergekommen seid.«

Sie schien etwas beruhigt.

«Wie hat Greene euch gefunden?«fragte ich.

«Weiß der Geier«, meinte Jik düster.

Sarah staunte.»Woher weißt du, daß Greene da war? Woher hast du überhaupt gewußt, daß außer Jik und mir noch jemand in unserem Zimmer war? Daß wir so in der Bredouille steckten?«

«Von Jik.«

«Unmöglich. Er konnte dich doch gar nicht warnen. Er durfte nur sagen, daß du kommen sollst. Er hat wirklich…«Ihre Stimme wurde zittrig. Sie war den Tränen nah.»Er mußte…«

«Jik hat’s mir gesagt«, erklärte ich nüchtern.»Erstens hat er mich Charles genannt, was er sonst nie tut, daher wußte ich, daß was nicht stimmt. Zweitens war er grob zu mir, und auch wenn du meinst, das sei er immer, auf diese Art ist er es nicht. Und drittens hat er mir den Namen des Mannes gesagt, der euch in der Gewalt hatte und wollte, daß ihr mich nach unten in die böse kleine Falle lockt. Sein Wort dafür war >Chromoxid<, und das ist der Stoff, der grüne Farbe grün macht.«

«Grün!«Die Tränen vergingen ihr.»Ihr seid wirklich unbeschreiblich.«

«Lange Übung«, meinte Jik aufgeräumt.

«Erzählt mir, was los war«, sagte ich.

«Wir sind vor dem letzten Rennen weg, um nicht in den Stoßverkehr zu geraten, und bis zum Hilton lief alles glatt. Ich habe den Wagen geparkt, und wir sind auf unser Zimmer gegangen. Nach kaum einer Minute klopft es an der Tür, ich mache auf, und rums stürmen sie rein…«

«Sie?«

«Drei Mann. Einer war Greene. Wir haben ihn nach deiner Zeichnung sofort erkannt. Der zweite war der Junge aus dem Arts Centre. Der dritte war so ein Schrank mit buschigen Augenbrauen, der mit den Fäusten denkt.«

Geistesabwesend rieb er sich die Herzgegend.

«Hat er dir eine verpaßt?«fragte ich.

«Es ging alles so schnell…«, sagte er, als müßte er sich verteidigen.»Sie sind einfach reingeplatzt, und paff! Im nächsten Moment hatten sie auch schon Sarah gepackt, und sie verdrehten ihr den Arm und sagten, ihr würden sie nicht bloß Terpentin in die Augen schütten, wenn ich dich nicht sofort herbeihole.«

«Waren sie bewaffnet?«

«Sie hatten… ein Feuerzeug. Tut mir leid, Partner, das hört sich bestimmt schwach an, aber der Schrank drückte ihr die Luft ab, und der Junge hielt ihr ein Stichflammen produzierendes Monstrum von Feuerzeug ans Gesicht… und ich war etwas angeschlagen, und Greene sagte, sie würden sie rösten, wenn ich dich nicht hole… und gegen alle drei kam ich ja nicht an…«

«Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte ich.

«Ja, gut… also habe ich dich angerufen. Ich sagte Greene, du kämst in zehn Minuten, weil du noch nicht angezogen seist, aber ich glaube, er hat dich sowieso gehört, denn er stand direkt neben mir und war ganz Ohr. Ich wußte nicht genau, ob du begriffen hattest, ich konnte es nur hoffen… und du hättest mal ihre Gesichter sehen sollen, als der Kellner den Servierwagen reinschob. Der Schrank ließ Sarah los, der Junge glotzte mit offenem Mund, in der Hand den MiniFlammenwerfer… «

«Greene sagte, der Champagner sei nicht erwünscht und solle wieder mitgenommen werden«, ergänzte Sarah.»Aber Jik und ich sagten, wir wollten ihn doch, und Jik bat den Kellner, ihn auch gleich zu öffnen.«

«Bevor er den ersten Korken raushatte, schneiten auf einmal die anderen rein… und es wurde voll im Zimmer… und schon hieß es, hoch die Gläser… und weil Greene, der Jüngling und der Schrank durch den Servierwagen und die vielen Leute quasi auf der Fensterseite eingepfercht waren, habe ich mir Sarah geschnappt und bin mit ihr raus. Ich habe noch gesehen, wie Greene und die anderen hinter uns herwollten, aber das war bei dem trinklustigen Gedränge nicht einfach… und ich glaube, mit dem Wäschewagen haben wir uns dann endgültig den nötigen Vorsprung bis zum Fahrstuhl verschafft.«

«Wie lange wohl die Party gedauert hat?«fragte ich.

«Bis kein Schampus mehr da war.«

«Die müssen dich für verrückt gehalten haben«, meinte Sarah.

«Am Cup-Tag ist alles erlaubt«, sagte ich.»Und im Hilton wird das Personal an exzentrische Gäste gewöhnt sein.«

«Was wäre denn gewesen, wenn Greene eine Pistole gehabt hätte?«fragte Sarah.

Ich lächelte schief.»Dann hätte er vor verdammt vielen Leuten damit herumwedeln müssen.«

«Das hätte ihn vielleicht nicht gehindert.«

«Mag sein… aber er war auch weit von der Tür weg. «Ich kaute an meinem Daumennagel.»Ehm… woher wußte er denn, daß ich im Hilton war?«

Eine spürbare Stille entstand.

«Von mir«, antwortete Sarah schließlich, mit einer Mischung aus Scham und Trotz.»Jik hat dir nicht alles erzählt. Es fing damit an, daß sie sagten… daß Greene sagte… sie würden mir das Gesicht verbrennen, wenn Jik nicht verrät, wo du bist. Das wollte er nicht… aber was blieb ihm sonst übrig? Also habe ich

es ihnen gesagt, damit er es nicht tun mußte… so blöd sich das jetzt auch anhört.«

Ich fand es im Gegenteil sehr anrührend. Wieviel Liebe sprach daraus — und wieviel Verständnis.

Ich lächelte sie an.»Zuerst wußten sie also nicht, daß ich im Hotel war?«

Jik schüttelte den Kopf.»Sie wußten wohl noch nicht mal, daß du in Melbourne bist. Sie waren überrascht, als Sarah sagte, du seist oben. Ich glaube, die wußten nur, daß du nicht mehr in Alice Springs im Krankenhaus warst.«

«Wußten sie von unserem Einbruch?«

«Bestimmt nicht.«

Ich grinste.»Die kriegen Krämpfe, wenn sie dahinterkommen.«

Jik und ich vermieden es tunlichst, daran zu denken, was passiert wäre, wenn ich geradewegs zu ihnen hinuntergelaufen wäre, aber ich sah ihm an, daß er es wußte. Da sie Sarah als Geisel hielten, hätte ich mit Greene das Hilton verlassen müssen und nur noch hoffen können. Hoffen können, daß man mich wider Erwarten noch einmal mit dem Leben davonkommen ließ.

«Ich habe Hunger«, sagte ich.

Sarah lächelte.»Futtern kannst du immer, hm?«

Wir aßen in einem kleinen B.Y.O.-Restaurant in der Nähe, wo sich die Gäste an allen Tischen darüber unterhielten, auf wen sie im Cup gesetzt hatten.

«Du liebe Zeit«, rief Sarah plötzlich.»Das habe ich ganz vergessen.«

«Was denn?«

«Du hast doch gewonnen«, sagte sie.»Du hast Ringwood gewettet.«

«Aber…«, setzte ich an.

«Er hatte die Elf.«»Ich fasse es nicht.«

Sie öffnete ihre Handtasche und zog ein dickes Bündel Banknoten hervor. Irgendwie war es ihr gelungen, der brenzligen Situation im Hilton mit der cremefarbenen Ledertasche am Arm zu entkommen. Wie Frauen mit ihrer Handtasche verwachsen waren, hatte mich schon manches Mal verblüfft, jedoch nie mehr als heute.

«Er stand vierhundertzehn zu zehn«, sagte sie.»Zwanzig habe ich für dich gesetzt, du kriegst also achthundert Dollar, und ich finde das unerhört.«

«Teilen wir doch«, meinte ich lachend.

Sie schüttelte den Kopf.»Auf keinen Fall. Ich dachte offen gestanden, er sei ohne jede Chance, und nur um dich von deiner unmöglichen Wettmethode zu kurieren, habe ich einen Zwanziger auf ihn gesetzt, sonst hätte ich es bei zehn belassen.«

«Ich stehe sowieso bei Jik in der Kreide«, sagte ich.

«Das eilt nicht«, sagte er.»Wir rechnen später ab. Soll ich dein Steak schneiden?«

«Gern.«

Er schnitt es mir klein und schob mir den Teller mit bereitliegender Gabel wieder hin.

«Was gab es sonst noch auf der Rennbahn?«fragte ich und spießte den ersten saftigen Happen auf.»Wen habt ihr gesehen?«Das Steak schmeckte so gut, wie es aussah, und mir wurde bewußt, daß ich mich, auch wenn meine Blessuren noch schmerzten, nicht mehr wie ausgewrungen fühlte. Offenbar war ich wirklich auf dem Weg der Besserung.

«Greene haben wir auf der Rennbahn nicht gesehen«, sagte Jik.»Auch den Jungen und den Schrank nicht.«

«Aber sie werden euch gesehen haben.«

«Meinst du?«fragte Sarah.

«Ich nehme an, sie sind euch von der Rennbahn aus einfach zum Hilton nachgefahren.«»Heiland«, stöhnte Jik.»Wir haben nichts davon gemerkt. Da war ein Mordsverkehr.«

Ich nickte.»Und alles im Kriechtempo. Wenn Greene nur drei Wagen hinter euch war, konntet ihr ihn schon nicht mehr entdecken, aber er konnte euch gut im Blick behalten.«

«Tut mir wirklich leid, Todd.«

«Sei nicht albern. Außerdem ist nichts passiert.«

«Bloß, daß ich immer noch nichts zum Anziehen habe«, meinte Sarah.

«Du siehst blendend aus«, sagte ich zerstreut.

«Wir haben eine Frau getroffen, die ich aus Sydney kenne«, erzählte Sarah.»Die ersten beiden Rennen haben wir uns zusammen angeschaut und uns zwischendurch mit ihrer Tante unterhalten. Und als Jik dann wiederkam, haben wir mit einem Fotografen gesprochen, den wir beide kennen… es wird also, wie du es wolltest, leicht nachzuweisen sein, daß Jik den ganzen Nachmittag beim Pferderennen war.«

«Von Wexford habt ihr nichts gesehen?«

«Nicht, wenn deine Zeichnung stimmt«, sagte Sarah.»Dagewesen sein kann er natürlich trotzdem. Wer erkennt schon in so einem Trubel einen völlig Unbekannten anhand einer Skizze?«

«Wir haben mit allen möglichen Leuten geredet«, sagte Jik.»Mit jedem, den Sarah auch nur entfernt kannte. Immer unter dem Vorwand, ich sei ihr frischgebackener Ehemann.«

«Mit deiner Verabredung vom Samstag haben wir uns auch unterhalten«, ergänzte Sarah nickend.»Oder vielmehr, er hat uns angesprochen.«

«Hudson Taylor?«fragte ich.

«Der Mann, den du mit Wexford hast reden sehen«, sagte Jik.

«Er fragte, ob du auch da wärst«, sagte Sarah.»Denn dann hätte er sich gern noch mal mit dir unterhalten. Wir sagten, wir würden es dir ausrichten.«»Sein Pferd ist ganz gut gelaufen, oder?«sagte ich.

«Unser Gespräch war vorher. Wir haben ihm noch Glück gewünscht, und er meinte, das könne er gebrauchen.«

«Er wettet ganz gern«, entsann ich mich.

«Wer denn nicht?«

«Wieder ein Auftrag gestorben«, sagte ich.»Er wollte Vinery malen lassen, wenn er siegt.«

«Du verkaufst dich wie eine Hure«, sagte Jik.»Das ist ja schon unanständig.«

«Und außerdem«, ergänzte Sarah vergnügt,»hast du auf Ringwood mehr gewonnen, als du für das Bild bekommen hättest.«

Ich verzog das Gesicht, und Jik lachte.

Wir tranken Kaffee, kehrten zum Motel zurück und gingen auf unsere Zimmer. Fünf Minuten später klopfte Jik bei mir an.

«Komm rein«, empfing ich ihn an der Tür.

Er grinste.»Du hast mich erwartet.«

«Halbwegs.«

Er setzte sich in den Drehsessel und drehte sich. Sein Blick fiel auf meinen schmalen Koffer, der auf einer der Liegen lag.

«Was hast du mit den ganzen Sachen aus der Galerie gemacht?«

Ich sagte es ihm.

Er hörte auf zu kreisen und saß still.

«Du verlierst keine Zeit, was?«sagte er schließlich.

«In ein paar Tagen fahre ich nach Hause«, erwiderte ich.

«Und bis dahin?«

«Ehm… bis dahin will ich Wexford, Greene, dem Schrank, dem Jungmaler und den beiden Schlägern, die mich auf dem Balkon in Alice gestellt haben, immer einen Sprung voraus sein.«

«Nicht zu vergessen unseren Kopierkünstler, Harley Renbo.«

Ich dachte darüber nach.»Ihm auch«, sagte ich.

«Meinst du, das kriegen wir hin?«

«Wir nicht. Damit ist mal Schluß. Jetzt fährst du mit Sarah nach Hause.«

Er schüttelte bedächtig den Kopf.»Das wäre auch nicht sicherer, als wenn wir bei dir bleiben. Wir sind zu leicht zu finden. Schließlich stehen wir im Telefonbuch von Sydney. Was hindert denn Wexford, mit etwas Gefährlicherem als einem Feuerzeug bei unserem Boot aufzukreuzen?«

«Dann kannst du ihm ja erzählen, was ich dir gerade erzählt habe.«

«Und deine ganze Mühe wäre umsonst.«

«Manchmal muß ein Rückzug eben sein.«

Er schüttelte den Kopf.»Wenn wir bei dir bleiben, braucht es gar nicht dazu zu kommen. Wer wagt, gewinnt. Und überhaupt«- das alte Feuer funkelte in seinen Augen —,»das wird doch spannend. Katz und Maus einmal anders. Mit Katzen, die nicht wissen, daß sie Mäuse sind, und einer Maus, die weiß, daß sie eine Katze ist.«

Mir kam es eher wie ein Stierkampf vor, bei dem ich derjenige war, der einladend die Capa schwenkte. Oder wie ein Zauberkunststück, bei dem man mit der einen Hand ablenkt, während die andere den Trick ausführt. Alles in allem gefiel mir die Vorstellung vom Zauberkunststück besser. Dabei konnte man nicht so leicht aufgespießt werden.

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