Kapitel 3

Zwei Tage lang lag Donald im Bett, und ich begann zu verstehen, was Gebrochensein hieß. Diesmal kam ein Arzt morgens und abends mit Tabletten und Spritzen, und er wurde beruhigt, ob es ihm paßte oder nicht. In der übrigen Zeit mußte ich nach ihm sehen, obwohl ich zum Krankenpfleger fast noch weniger taugte als zum Koch.

«Ich möchte nur Charles«, hatte Donald dem Arzt erklärt.»Charles macht keinen Rummel.«

Ich saß viel bei ihm, wenn er wach war, und sah, wie er sich mit benommenem Kopf mühte, die Schrecken in seinem Innern zu fassen und ihrer Herr zu werden. Er nahm merklich ab, das kräftige Gesicht fiel ein und nahm einen kränklichen, verhärmten Zug an. Die grauen Schatten um seine Augen wurden immer tiefer, und die Arme und Beine schienen ihre gewohnte Kraft ganz verloren zu haben.

Ich kochte für uns Konserven- und Tiefkühlkost, zubereitet nach den Hinweisen auf der Verpackung. Donald dankte mir ausdrücklich und aß, was er herunterbrachte, aber wahrscheinlich, ohne etwas zu schmecken.

Zwischendurch, während er schlief, machte ich an den beiden Gemälden weiter. Die traurige Landschaft war nicht mehr traurig, sondern nur noch herbstlich, eine Wiese mit drei Pferden, von denen eines graste. Mit Bildern dieser Art, gefällig und einigermaßen gekonnt, verdiente ich mein Brot. Sie verkauften sich recht gut, und normalerweise produzierte ich etwa alle zehn Tage eins, ohne mich darüber hinwegzutäuschen, daß sie technisch versiert waren, aber keine Seele hatten.

Das Porträt von Regina jedoch war meine beste Arbeit seit langem. Sie lachte von der Leinwand wie das blühende Leben, und mir zumindest schien sie in ihrem ganzen Wesen erfaßt.

Bilder änderten sich öfter im Lauf der Arbeit, und von Tag zu Tag hatte sich für mich der Schwerpunkt verlagert, so daß die Küche im Hintergrund dunkler und unschärfer geworden war und Regina dafür um so leuchtender hervortrat. Man sah sie noch kochen, aber die junge Frau war jetzt wichtiger als ihre Tätigkeit. Zum Schluß hatte ich die noch vorhandene Küche als flüchtige Impression wiedergegeben und die Frau, die nicht mehr existierte, als Realität.

Wenn ich nicht gerade daran arbeitete, versteckte ich das Bild in meinem Koffer. Donald sollte es nicht unverhofft zu Gesicht bekommen.

Am frühen Mittwochabend kam er wacklig im Bademantel in die Küche hinunter und lächelte zaghaft, wie um sich selber Mut zu machen. Er setzte sich an den Tisch, trank etwas von dem Scotch, den ich an diesem Tag gekauft hatte, und sah zu, wie ich Pinsel und Palette reinigte.

«Du bist immer so ordentlich«, sagte er.

«Farben sind teuer.«

Er winkte matt nach dem Pferdebild, das zum Trocknen auf der Staffelei stand.»Wieviel kostet es denn, so etwas zu malen?«

«An Rohmaterial ungefähr zehn Pfund. Mit Heizung, Licht, Raten, Miete, Essen, Scotch und allgemeinem nervlichen Verschleiß in etwa soviel, wie ich in einer Woche verdienen würde, wenn ich’s sausen ließe und wieder anfinge, Häuser zu verkaufen.«

«Eine ganze Menge also«, sagte er ernst.

Ich grinste.»Ich bereue es nicht.«

«Nein. Das ist mir klar.«

Ich wusch die Pinsel noch unter dem Hahn in Seifenwasser aus, zog sie in Form und stellte sie zum Trocknen aufrecht in ein Glas. Gute Pinsel waren mindestens so teuer wie Farben.

«Nachdem sie die Betriebsbuchhaltung überprüft hatten«, sagte Donald unvermittelt,»haben sie mich aufs Revier geschleift und mir nachzuweisen versucht, daß ich Regina eigenhändig umgebracht habe.«

«Das gibt’s doch nicht!«

«Sie haben ausgerechnet, daß die Zeit gereicht hätte, um in der Mittagspause heimzufahren und es zu tun.«

Ich nahm den Scotch vom Tisch und goß mir eine ordentliche Portion ein. Gab Eis hinzu.

«Die sind ja verrückt«, sagte ich.

«Da war außer Frost noch ein anderer Mann. Ein Kommissar. Wall hieß er, glaube ich. Dünn, mit stechendem Blick. Die Augen schienen überhaupt nicht zu blinzeln. Er hat mich nur angestarrt und immer wieder gesagt, ich hätte sie umgebracht, weil sie nach Hause gekommen sei und gesehen hätte, wie ich den Einbruch überwache.«

«Du lieber Gott!«sagte ich empört.»Dabei hat sie das Blumengeschäft doch erst um halb drei verlassen.«

«Die Frau im Blumenladen sagt jetzt, sie weiß nicht mehr auf die Minute genau, wann Regina weg ist. Nur noch, daß es nach der Mittagspause war. Und ich kam erst gegen drei aus der Kneipe zurück. Ich war spät essen. Ein Kunde hatte mich den ganzen Morgen aufgehalten…«Er brach ab und umfaßte sein Glas, wie um sich daran festzuhalten.»Ich kann dir nicht sagen… wie schrecklich das war.«

Durch die zurückhaltende Formulierung erschien alles noch schlimmer.

«Sie sagten mir«, er nickte mit dem Kopf,»wenn verheiratete Frauen ermordet würden, sei in acht von zehn Fällen der Mann der Täter.«

Dieses Kleinod hörte sich ganz nach Frost an.

«Zu guter Letzt haben sie mich gehen lassen, aber ich glaube nicht…«Seine Stimme zitterte. Er schluckte und war sichtlich bemüht, die hart erkämpfte Ruhe zu bewahren.»Ich glaube nicht, daß sie schon fertig sind.«

Vor fünf Tagen hatte er Regina beim Nachhausekommen tot aufgefunden. Bedachte man, mit was für Holzhämmern er seitdem traktiert wurde, statt ein wenig Freundlichkeit und Trost zu erfahren, und wie das alles an seinen psychischen Reserven zehren mußte, dann konnte man nur staunen, wie gut er noch beieinander war.

«Haben sie inzwischen eine Spur von den Einbrechern?«fragte ich.

Er lächelte schwach.»Ich weiß gar nicht, ob sie danach suchen.«

«Bestimmt.«

«Mag sein. Sie haben nicht davon gesprochen. «Langsam trank er einen Schluck Whisky.»Es ist drollig, weißt du. Ich hatte immer eine hohe Meinung von der Polizei. Ich wußte nicht, daß die… so sein kann.«

Ein Dilemma, dachte ich. Entweder heizte man einem Verdächtigen ein, in der Hoffnung, daß er geständig würde, oder man stellte höflich ein paar Fragen und kam zu nichts — aber unter der einzig wirksamen Methode hatten die Unschuldigen mehr zu leiden als die Täter.

«Das nimmt kein Ende«, sagte Donald.»Nie.«

Bis Freitag mittag war die Polizei noch zweimal dagewesen, doch allzu heftige Erschütterungen brachte ihr Besuch für meinen Cousin nicht mit sich. Er war immer noch erschöpft, apathisch und aschfahl, aber es schien, als sei das Maß seines Leidens voll und für mehr einfach kein Platz. Alles, was Frost und sein Begleiter zu ihm sagten, prallte an ihm ab, ohne ihn weiter zu verstören.

«Wolltest du nicht jemandem ein Pferd malen?«meinte er plötzlich, als wir zu Mittag aßen.

«Das habe ich verschoben.«

Er schüttelte den Kopf.»Als ich dich bat zu bleiben, sagtest du, bis zu deinem nächsten Auftrag hättest du noch Zeit. «Er überlegte kurz.»Dienstag. Du wurdest am Dienstag in Yorkshire erwartet.«

«Ich habe angerufen und mich entschuldigt.«

«Fahr ruhig hin.«

Er sagte, er komme jetzt allein zurecht, und dankte mir für alles. Er bestand darauf, daß ich die Zugverbindung nachschaute, ein Taxi bestellte und den Leuten in Yorkshire Bescheid gab. Da es wirklich so aussah, als könnte man ihn wieder sich selbst überlassen, packte ich meine Sachen.

«Eine Frage«, sagte er schüchtern, als wir auf das Taxi warteten, das mich abholen sollte,»malst du eigentlich auch Porträts? Von Menschen, meine ich, nicht von Pferden.«

«Manchmal«, sagte ich.

«Könntest du denn irgendwann vielleicht… ich meine, ich habe ein ziemlich gutes Foto von Regina…«

Ich sah ihm prüfend ins Gesicht. Meinem Gefühl nach konnte es nicht schaden. Ich klappte den Koffer auf und nahm das Bild heraus, aber mit der Rückseite zu ihm.

«Es ist noch feucht«, erklärte ich.»Und nicht gerahmt, und es sollte frühestens in einem halben Jahr fixiert werden. Aber du kannst es haben, wenn du willst.«

«Zeig mal.«

Ich drehte die Leinwand um. Er machte große Augen, sagte aber kein Wort. Das Taxi hielt vor der Haustür.

«Bis dann«, sagte ich und lehnte Regina an die Wand.

Er nickte und drückte meinen Arm, hielt mir die Tür auf und hob zum Abschied kurz die Hand. Wortlos, denn seine Augen standen voller Tränen.

Fast eine Woche lang bemühte ich mich in Yorkshire, einen geduldigen alten Steeplechaser zu verewigen, dann kehrte ich heim in meine laute Wohnung am Flughafen Heathrow, um dem Bild dort den letzten Schliff zu geben.

Am Samstag fand ich, ich hätte mich lange genug abgeschunden, und fuhr zum Pferderennen.

Plumpton und die vertraute prickelnde Erregung beim Anblick der geschmeidigen Bewegungen der Pferde. Gemälde konnten ihnen niemals gerecht werden — unmöglich. Auf die Leinwand gebannte Bewegung war nur Ersatz.

Ich wäre gern Rennen geritten, aber mir fehlten die Übung und das Geschick dazu — und wohl auch der Mut. Wie Donald stammte ich aus einer mittel ständischen Kaufmannsfamilie, mein Vater war selbständiger Auktionator in Sussex gewesen. Als Kind hatte ich zahllose Stunden damit verbracht, den Pferden bei der Arbeit auf den Downs um Findon zuzuschauen, und gezeichnet und gemalt hatte ich sie, seit ich sechs war. Um selbst zu reiten, hatte ich das Geld für ein Stündchen Spaß meist von liebenden Tanten erbetteln müssen, da ich kein eigenes Pony besaß. Das Kunststudium später hatte mir gefallen, aber als ich mit zweiundzwanzig dann plötzlich beide Eltern verlor und allein auf der Welt stand, mußte ich sehen, woher ich etwas zu essen bekam. Der Schritt zum Grundstücksmakler auf der anderen Straßenseite hatte nur eine Übergangslösung sein sollen, aber dann war ich doch gern bei ihm geblieben.

Die Hälfte aller Pferdemaler Englands schien nach Plumpton gekommen zu sein, was nicht verwunderte, denn der Sieger des letzten Grand National wurde zu seinem ersten Saisonauftritt erwartet. Es war einfach so, daß sich ein Bild mit dem Titel» Nijinsky auf der Heide von Newmarket «besser verkaufte als ein» Pferd auf der Heide von Newmarket«, und» Der Grand-National-Sieger am Start «gewann spielend vor» Startbereites Pferd in Plumpton«. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten zwangen manchen potentiellen Rembrandt, Marktforschung zu betreiben.

«Todd!«schmatzte mir eine Stimme ins Ohr.»Du schuldest mir fünfzehn Pfund.«»Sonst noch was?«sagte ich.

«Du hast behauptet, Seesaw sei ein todsicherer Tip für Ascot.«

«Von Fremden nimmt man keine Süßigkeiten.«

Billy Pyle lachte überschwenglich und klatschte mir seine Pfote auf die Schulter. Er gehörte zu den

Rennbahnbekanntschaften, für die man sofort ein Busenfreund war, die immer jemand zum Mittrinken und Vollabern suchten und jedermann zu Tode langweilten. Seit zig Jahren begegnete mir Billy Pyle auf der Rennbahn, und noch immer hatte ich kein Rezept, das mir erlaubte, ihn mit Anstand loszuwerden. Die gängigen Ausflüchte prallten von seiner dicken Haut ab wie Quecksilber von Glas, und im großen ganzen fand ich es weniger anstrengend, schnell einen Drink mit ihm zu heben, als ihm den ganzen Nachmittag auszuweichen.

Ich wartete darauf, daß er sagte:»Gehen wir was trinken?«, wie er es immer tat.

«Gehen wir was trinken?«sagte er.

«Ehm… klar«, fügte ich mich in das Unvermeidliche.

«Dein Vater würde mir nie verzeihen, wenn ich dich links liegenließe. «Das sagte er auch immer. Sie hatten sich von Geschäfts wegen gekannt, aber die angebliche Freundschaft hielt ich für posthum.

«Komm mit, Junge.«

Ich kannte die nervige Nummer auswendig. Wie zufällig würde auch seine Tante Sal in der Bar sein, und dann mußte ich ihnen beiden einen ausgeben. Tante Sal einen doppelten Brandy mit Ginger-Ale.

«Ach, da ist ja Tante Sal«, sagte Billy, als er die Tür aufstieß. Welche Überraschung.

Tante Sal war eine leidenschaftliche Rennbahnbesucherin in den Siebzigern, nie ohne eine Kippe im Mundwinkel und immer mit einem Finger als Lesezeichen zwischen ihren Rennberichten.

«Irgendeinen Tip für das Rennen um halb drei?«wollte sie wissen.

«Tag«, sagte ich.

«Was? Ach so. Tag, wie geht’s? Hast du einen Tip für das Rennen um halb drei?«

«Leider nicht.«

«Hm.«

Sie schaute in die Rennberichte.»Treetops Gewicht stimmt, aber ob sein Bein durchhält?«Plötzlich sah sie auf und stieß mit der freien Hand ihren Neffen an, der die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen suchte.»Billy, bestell auch was für Mrs. Matthews.«

«Für wen?«

«Mrs. Matthews. Was trinken Sie, Maisie?«

Sie wandte sich einer ausladenden Frau in mittleren Jahren zu, die halb verdeckt hinter ihr stand.

«Oh… Gin Tonic bitte.«

«Hast du gehört, Billy? Doppelten Brandy mit Ginger für mich, einen Gin Tonic für Mrs. Matthews.«

Maisie Matthews’ Kleidung war sichtlich neu und teuer, und vom gestylten Haar bis zur Krokodilhandtasche und den goldverzierten Schuhen verriet alles an ihr, daß sie Geld hatte. Die Hand, die den Gin entgegennahm, war mit einem großen, in Diamanten gefaßten Opal bestückt. Kein Funken Freude lag in dem kunstvoll angemalten Gesicht.

«Guten Tag«, sagte ich höflich.

«Hm?«machte Tante Sal.»Ach ja, das ist Charles Todd. Was hältst du von Treetops?«

«Geht so«, sagte ich.

Tante Sal studierte besorgt wieder die Rennberichte, und Billy reichte die Getränke herum.

«Zum Wohl«, sagte Maisie Matthews halbherzig.

«Prost!«Auch Billy hob sein Glas.

«Maisie hat ein bißchen Pech gehabt«, sagte Tante Sal.

Billy grinste.»Aufs falsche Pferd gesetzt, Mrs. Matthews?«

«Ihr Haus ist abgebrannt.«

Ein idealer Hemmschuh für leichtes Geplauder.

«Oh… na so was«, sagte Billy verlegen.»Wirklich Pech.«

«Alles verloren, was, Maisie?«

«Bis auf das, was ich am Leib trage«, antwortete sie düster.

«Trinken Sie noch einen Gin«, schlug ich vor.

«Danke, mein Lieber.«

Als ich mit dem Getränkenachschub wiederkam, schilderte sie gerade in lebhaften Farben ihr Unglück.

«…Ich war natürlich nicht daheim, ich war bei meiner Schwester Betty in Birmingham, und da steht auf einmal ein Polizist vor der Tür und sagt mir, wie schwer ich zu finden gewesen bin. Aber da war natürlich alles schon gelaufen. Als ich nach Worthing zurückkam, war nur noch ein Haufen Asche übrig, und mittendrin stand der Kamin hoch. Ich mußte ganz schön bohren, um herauszukriegen, was passiert war, aber schließlich sagte man mir, das Feuer sei plötzlich ausgebrochen, was immer das nun heißt, aber aus unbekannter Ursache, da sich seit zwei Tagen niemand im Haus aufgehalten habe.«

Sie nahm den Gin, lächelte an mir vorbei und wandte sich wieder ihrer Geschichte zu.

«Ich war so was von wütend, wo ich doch alles verloren hatte, und ich sagte, warum habt ihr denn nicht mit Seewasser gelöscht, das Meer ist doch gleich hinter den Tamarisken und dem Kiesstrand, denn es hieß, sie hätten nichts retten können, weil ihnen das Wasser ausgegangen sei, und der Feuerwehrmann, bei dem ich mich beschwerte, meinte, Seewasser könnten sie nicht nehmen, weil es erstens alles zerfrißt und weil sich zweitens die Pumpen mit Tang, Muscheln und allem möglichen vollsetzen, und außerdem sei ohnehin Ebbe gewesen.«

Ich unterdrückte ein unangebrachtes Lachen. Sie merkte es mir an.

«Tja, mein Lieber, für Sie mag das komisch sein, aber Sie haben auch nicht all Ihre Schätze verloren, die Sie seit ewigen Zeiten gesammelt haben.«

«Bitte entschuldigen Sie, Mrs. Matthews. Ich finde das nicht komisch. Es war nur…«

«Schon gut. Ich will nicht bestreiten, daß es etwas Komisches an sich hat, wenn so viel Wasser da ist und doch kein Tropfen, um einen Brand zu löschen, aber ich war jedenfalls außer mir.«

«Ich setze mal auf Treetops«, meinte Tante Sal nachdenklich.

Maisie Matthews sah sie unsicher an, und Billy Pyle, der genug Unerfreuliches gehört hatte, schaltete dankbar wieder auf Leutseligkeit, klopfte mir auf die Schulter und meinte, ja, nun sei es Zeit, sich das nächste Rennen anzuschauen.

Schuldigkeit getan, dachte ich seufzend und entfernte mich, um mir das Rennen von hoch oben auf der Tribüne anzusehen, versteckt und außer Hörweite.

Treetops brach nieder und wurde humpelnd Letzter. Pech für den Besitzer, den Trainer und Tante Sal. Ich ging hinunter zum Führring, um den Grand-National-Sieger vor seinem Rennen paradieren zu sehen, hatte aber nicht vor, ihn zu malen. Als Sujet schien er mir ziemlich ausgereizt, und bald würde keiner mehr sein Konterfei sehen wollen.

Der Nachmittag verging wie üblich schnell. Ich gewann ein wenig, verlor ein wenig und weidete die Augen an Schönerem als Geld. Vor dem letzten Rennen sah ich Maisie Matthews über die Tribüne auf mich zukommen. Unverwechselbar der knallrote Mantel, das Styling und das runde, freundliche, weltkluge Gesicht. Sie blieb eine Stufe unter mir stehen und blickte herauf. Voller Selbstvertrauen, wenn auch unschlüssig.

«Sind Sie nicht der junge Mann, der mit Sal, Billy und mir etwas getrunken hat?«fragte sie.

«Stimmt.«

«Ich war mir nicht sicher«, sagte sie, und die Unschlüssigkeit verschwand.»Hier im Freien sehen Sie älter aus.«

«Anderes Licht«, stimmte ich zu. Auch sie sah jetzt ungefähr zehn Jahre älter aus. Gut fünfzig, dachte ich. Barlicht schmeichelte immer.

«Die beiden sagten mir, Sie seien Maler. «Und leiser Vorbehalt klang in Maisies Worten nach.

«M-hm«, sagte ich und schaute hinter den aufgaloppierenden Startern her.

«Bringt nicht viel Geld, oder?«

Ich grinste sie an, denn ihre Direktheit gefiel mir.»Kommt drauf an, wer man ist. Picasso konnte nicht meckern.«

«Wieviel würden Sie verlangen, wenn Sie für mich ein Bild malen?«

«Was für ein Bild?«

«Nun, mein Lieber, Ihnen kommt’s vielleicht morbide vor, und vielleicht ist es das sogar, aber als ich heute morgen hierherfuhr, dachte ich, die verkohlte Ruine mit dem herausstehenden Kamin und der verbrannten Hecke und dem ganzen Meer dahinter — ich krieg wirklich jedesmal zuviel, wenn ich das sehe —, die gibt doch ein irres Bild ab, und ob ich nicht den Fotografen aus dem Ort, der Hochzeiten und so dokumentiert, ein Farbfoto davon machen lasse, denn wenn das erst mal geräumt und wieder aufgebaut ist, glaubt mir doch keiner mehr, wie schlimm das war, und zum Beweis dafür soll dann im neuen Haus das Bild hängen.«

«Aber…«

«Wieviel also? Sie sehen mir ja wahrscheinlich an, daß ich nicht knapp bei Kasse bin, aber wenn Sie mehrere Hundert verlangen, könnte ich natürlich auch den Fotograf nehmen.«

«Natürlich«, stimmte ich mit ernster Miene bei.»Wie wär’s, wenn ich mir das Haus, oder was davon übrig ist, einmal ansehe und Ihnen ein Angebot mache?«

Dagegen hatte sie nichts einzuwenden.»Gut, mein Lieber. Das klingt ja sehr professionell. Es müßte allerdings bald sein, denn wenn die Leute von der Versicherung durch sind, lasse ich den Schutt wegräumen.«

«Wie bald?«

«Ginge es nicht heute, wo Sie schon mal auf halbem Weg dahin sind?«

Wir besprachen das. Sie sagte, sie würde mich in ihrem Jaguar mitnehmen, da ich kein Auto hätte, und von Worthing aus käme ich ebensogut mit dem Zug nach Hause wie von Plumpton.

Also willigte ich ein.

Nichtsahnend tut man die folgenschwersten Schritte.

Die Ruine war definitiv gemäldogen, um es mit einem unverbrauchten Wort zu sagen. Auf der Fahrt dahin hatte Maisie fast ohne Unterbrechung von ihrem verstorbenen Mann Archie geredet, der so wundervoll für sie gesorgt hatte.

«Also das heißt, ich habe natürlich auch für ihn gesorgt, denn ich war Krankenschwester. Privat, versteht sich. Ich habe seine erste Frau bis ans Ende gepflegt, sie hatte Krebs, und dann bin ich erst noch dageblieben, um nach ihm zu schauen, und dann bat er mich, ganz bei ihm zu bleiben, und wir sind zusammengeblieben. Er war natürlich viel älter als ich, jetzt ist er schon über zehn Jahre tot, der Archie. Er hat mich wunderbar versorgt.«

Sie blickte liebevoll auf den großen Opal. Viele Männer können sich nur wünschen, in so werter Erinnerung zu bleiben.

«Da ich nun nach seinem Tod so gut versorgt war, hätte ich es schade gefunden, dem nicht ein bißchen Spaß abzugewinnen, und so bin ich dem Hobby unserer wenigen gemeinsamen Jahre treu geblieben, das darin bestand, große Auktionen zu besuchen, denn da findet man die hübschesten Sachen, ganz preiswert manchmal, und natürlich ist es auch reizvoll, wenn die Sachen von jemand Bekanntem oder Berühmtem stammen. «Sie schaltete abrupt und überholte überfallartig einen harmlosen kleinen Lieferwagen.»Und jetzt ist das alles verbrannt, die ganzen Erinnerungen an Archie und die Orte, wo wir zusammen waren, sind hin, und ich kann Ihnen sagen, mein Lieber, das macht mich rasend.«

«Es ist wirklich ein böser Schlag für Sie.«

«Ja.«

Ich überlegte, daß mir nun zum zweiten Mal innerhalb von vierzehn Tagen die Rolle des Trösters zufiel, und ich hatte den Eindruck, als könnte ich ihr so wenig helfen wie zuvor Donald.

Sie trat vor der Ruine ihres Hauses auf die Bremse, und wir blieben ruckartig stehen. Den feudalen kleinen Villen links und rechts nach zu urteilen, war ihr Haus alles andere als eine Hütte gewesen, aber jetzt war nicht mehr als ein großer, schwarzer Schutthaufen davon übrig, der einstige Umriß noch erkennbar an gezackten Resten der Außenmauer, und mittendrin ragte, wie sie gesagt hatte, der massiv gemauerte Kamin standhaft gen Himmel. Eine Ironie des Schicksals, dachte ich flüchtig, daß allein der Schlot die Flammen überstanden hatte.

«Da, mein Lieber«, sagte Maisie.»Was halten Sie davon?«

«Ein sehr heißes Feuer.«

Sie hob die nachgezogenen Augenbrauen.»Feuer ist doch immer heiß, mein Lieber. Und hier gab’s natürlich eine Menge Holz. Viele dieser alten Häuser am Meer sind weitgehend aus Holz gebaut.«

Noch bevor wir aus ihrem großen hellblauen Wagen stiegen, konnte ich die Asche riechen.

«Wann ist das passiert?«fragte ich.

«Letztes Wochenende. Am Sonntag.«

Während wir einen Augenblick schweigend das Chaos betrachteten, kam hinter dem Kamin langsam ein Mann hervor. Er blickte konzentriert zu Boden und bückte sich nach jedem Schritt, um in dem Schutt zu stochern.

Maisie war trotz ihrer rotummäntelten Leibesfülle sehr beweglich.

«He«, rief sie, war mit einem Sprung aus dem Wagen und eilte entschlossen auf den Mann zu.»Was machen Sie da?«

Der Mann richtete sich erschrocken auf. Um die Vierzig, schätzte ich, mit einem Regenmantel, keck aufgesetztem Trilby und hängendem Schnurrbart.

Er zog höflich den Hut.»Versicherung, Madam.«

«Ich dachte, Sie wollten am Montag kommen.«

«Ich war zufällig in der Gegend. Was man heute kann besorgen… «

«Mag sein«, sagte Maisie.»Und auf das Geld lassen Sie mich hoffentlich auch nicht lange warten, obwohl mir das meine Schätze nicht wiederbringt und die mir hundertmal lieber wären, denn Geld habe ich sowieso genug.«

Der Mann war Maisies Freimütigkeit nicht gewohnt.

«Ehm…«, sagte er.»Ach so. Verstehe.«

«Haben Sie die Brandursache gefunden?«wollte Maisie wissen.

«Nein, Madam.«

«Haben Sie überhaupt etwas gefunden?«

«Nein, Madam.«

«Tja, und wann kann ich hier räumen lassen?«

«Jederzeit, Madam.«

Vorsichtig über verkohlten Schutt steigend, kam er auf uns zu. Er hatte ruhige graue Augen, ein kräftiges Kinn und machte einen sehr intelligenten Eindruck.

«Wie heißen Sie?«fragte Maisie.

«Greene, Madam. «Er zögerte kurz und setzte hinzu:»Mit >e<.«

«Nun, Mr. Greene mit >e<«, sagte Maisie gutmütig.»Das hätte ich noch alles gern schriftlich.«

Er neigte den Kopf.»Sobald ich wieder im Büro bin.«»Gut«, sagte Maisie, und Greene lüftete abermals den Hut, wünschte ihr einen schönen Tag und ging zu einem weißen Ford, der weiter unten an der Straße stand.

«So hab ich das gern«, sagte Maisie zufrieden und schaute ihm nach.»Wieviel soll Ihr Bild nun kosten?«

«Zweihundert plus zwei Übernachtungen in einem Hotel am Ort.«

«Das ist mir etwas happig, mein Lieber. Einhundert plus zwei Übernachtungen, und das Bild muß mir zusagen, sonst zahle ich nicht.«

«Kein Fohlen, kein Geld?«

Der volle rote Mund lächelte breit.»Ganz genau.«

Wir einigten uns auf hundertfünfzig, wenn ihr das Bild gefiel, sonst fünfzig, und ich sollte am Montag anfangen, falls es nicht regnete.

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