Kapitel 13

Einen großen Teil der Nacht hindurch studierte ich das Kundenverzeichnis Übersee, vor allem, weil es mir immer noch schwerfiel, eine angenehme Schlafstellung zu finden, aber auch, weil nichts anderes zum Lesen da war.

Nach und nach stellte sich heraus, daß ich noch viel zu wenig hatte mitgehen lassen. Das gestohlene Verzeichnis ging in Ordnung, aber zusammen mit einem Lagerkatalog

entsprechend den Nummern in der rechten Spalte wäre es doppelt so nützlich gewesen.

Andererseits waren die Verzeichnisnummern auf eine bestimmte Art codiert, und wenn ich sie mir richtig anschaute, trat vielleicht ein erkennbares Schema zutage.

Die allermeisten, zumal in dem großen Verzeichnis vorn, begannen mit dem Buchstaben M. In dem zweiten, kleineren Verzeichnis fingen weniger Nummern mit M an, dafür mehr mit S, A, W und B.

Donalds Nummer begann mit M. Maisies mit einem S.

Angenommen, das M stand einfach für Melbourne und das S für Sydney, dachte ich, beides also für die Stadt, wo sie ihre Bilder gekauft hatten.

Was hieß dann A, W und B? Adelaide, Wagga Wagga und Brisbane? Alice?

Im ersten Verzeichnis schienen die Buchstaben und Zahlen hinter dem M keinem bestimmten Muster zu folgen. Im zweiten jedoch war der dritte Buchstabe immer ein K, der letzte immer ein R, und die Zahlen waren, wenn auch auf verschiedene Länder verteilt, mehr oder minder fortlaufend. Sie gingen bis zur 54, verkauft an einen Mr. Norman Updike in Auckland, Neuseeland. Die vollständige Katalognummer in seinem Eintrag lautete WHK54R. Der Eintrag war erst eine Woche alt, und Mr. Updike war nicht durchgestrichen.

Alle Bilder im kleinen Verzeichnis waren in den letzten drei Jahren verkauft worden. Die frühesten Daten im großen Verzeichnis reichten fünfeinhalb Jahre zurück.

Ich fragte mich, wie es vor fünfeinhalb Jahren angefangen hatte — mit der Galerie oder mit der Idee. War Wexford von Hause aus ein Gauner, der sich bewußt eine eindrucksvolle Fassade zugelegt hatte, oder war er ein ehemals ehrbarer Kunsthändler, der kriminelle Möglichkeiten für sich entdeckt hatte? Nach dem soliden Eindruck, den die Galerie machte, und nach meiner bisherigen Einschätzung von Wexford hätte ich auf letzteres getippt. Aber die ausgeprägte Gewaltbereitschaft paßte nicht dazu.

Ich seufzte, legte den Hefter weg und löschte das Licht. Lag im Dunkeln, dachte an das Telefongespräch, das ich geführt hatte, nachdem Jik wieder hinunter zu Sarah gegangen war.

Vom Motel aus war die Verbindung nicht so leicht herzustellen gewesen wie vom Hilton, aber dann war sie doch einwandfrei.

«Haben Sie mein Telegramm bekommen?«hatte ich gefragt.

«Seit einer halben Stunde warte ich auf Ihren Anruf.«

«Entschuldigung.«

«Um was geht’s denn?«

«Ich habe Ihnen einen Brief geschrieben«, antwortete ich.»Jetzt möchte ich Ihnen sagen, was drinsteht.«

«Aber…«

«Hören Sie zu«, sagte ich.»Reden können Sie nachher. «Ich sprach ziemlich lange, während vom anderen Ende nur gelegentlich ein Brummen kam.

«Wissen Sie das alles genau?«

«Das meiste schon«, sagte ich.»Manches kann ich nur vermuten.«

«Wiederholen Sie’s.«

«Gern«, und ich erzählte die ganze Geschichte noch einmal.

«Ich habe alles auf Band aufgenommen.«»Gut.«

«Hm… Was haben Sie denn jetzt vor?«

«Ich fliege bald nach Hause. Bis dahin stecke ich weiter meine Nase in Dinge, die mich nichts angehen.«

«Das kann ich nicht gutheißen.«

Ich grinste den Hörer an.»Das glaube ich Ihnen, aber wenn ich in England geblieben wäre, hätten wir das alles nicht herausbekommen. Und noch eins — kann ich Sie per Telex erreichen, wenn mir etwas auf den Nägeln brennt?«

«Telex? Augenblick.«

Ich wartete.

«So, da wären wir. «Er gab mir eine Nummer. Ich notierte sie.»Richten Sie jede Mitteilung an mich persönlich, und schreiben Sie >Dringend< dazu.«

«Gut«, sagte ich.»Und können Sie die Antwort auf drei Fragen für mich herausfinden?«Er hörte zu und meinte, er könne.»Vielen Dank«, sagte ich.»Und schlafen Sie gut.«

Sarah und Jik empfingen mich am nächsten Morgen träge und mit schweren Lidern. Eine erfolgreiche Nacht, wie es aussah.

Wir meldeten uns im Motel ab, luden meinen Koffer in den Kofferraum und setzten uns ins Auto, um den Tagesablauf zu planen.

«Können wir bitte endlich unsere Sachen aus dem Hilton holen?«fragte Sarah bedrückt.

Jik und ich sagten wie aus einem Mund:»Nein.«

«Ich ruf da jetzt mal an«, entschied Jik.»Sie sollen unser Zeug zusammenpacken und es für uns aufbewahren, und wegen der Rechnung sage ich ihnen, daß sie einen Scheck von mir bekommen. «Er stieg wieder aus, um das zu erledigen.

«Wenn du was brauchst, kauf es doch von meinem Wettgewinn«, wandte ich mich an Sarah.

Sie schüttelte den Kopf.»Ich hab noch Geld. Das ist es nicht. Ich wünschte nur… ich wünschte, das alles wäre vorbei.«

«Ist es auch bald«, sagte ich ruhig. Sie seufzte schwer.»Was wäre für dich das ideale Leben?«fragte ich.

«Oh…«Sie schien überrascht.»Im Moment möchte ich, glaube ich, nur mit Jik auf dem Boot sein und eine schöne Zeit haben wie vor deinem Besuch.«

«Und so soll es bleiben?«

Sie sah mich grübelnd an.»Du glaubst vielleicht, ich wüßte nicht, daß Jik ein komplizierter Mensch ist, Todd, aber man braucht doch nur seine Bilder anzusehen… Da wird mir heiß und kalt. Das ist eine Seite von Jik, die ich nicht kenne, denn seit wir zusammen sind, hat er noch nichts gemalt. Du befürchtest vielleicht, daß der Welt etwas verlorengeht, wenn Jik erst mal glücklich ist, aber ich mache mir nichts vor, ich weiß, daß sich das, was ihn dazu treibt, so zu malen, auf jeden Fall wieder durchsetzt… Deshalb sind diese ersten gemeinsam verlebten Monate für mich unglaublich kostbar… Und nicht nur die äußere Gefahr, in die du uns gebracht hast, macht mich fertig, sondern auch das Gefühl, daß die schönste Zeit für uns jetzt schon vorbei ist — weil du ihn an seine Malerei erinnerst und er, wenn du fort bist, gleich wieder damit anfängt… vielleicht Monate früher, als er es sonst getan hätte.«

«Fahr mit ihm segeln«, sagte ich.»Auf dem Meer ist er immer glücklich.«

«Dir ist das ganz egal, oder?«

Ich sah ihr in die kummervollen Augen.»Ihr seid mir alles andere als egal.«

«Dann gnade Gott denjenigen, die du haßt.«

Und mir, dachte ich, gnade Gott, wenn ich die Frau meines ältesten Freundes noch lieber gewinne. Ich wandte den Blick von ihr und sah aus dem Fenster. Gegen Zuneigung war nichts zu sagen. Mehr als Zuneigung wäre fatal.

Jik kam mit zufriedener Miene wieder.»Alles gewickelt. Und es hieß, für dich, Todd, sei vor ein paar Minuten ein Brief abgegeben worden. Sie wollten eine Nachsendeadresse haben.«

«Was hast du ihnen gesagt?«

«Du würdest selbst anrufen.«

«Gut… machen wir uns auf den Weg.«

«Wohin?«

«Nach Neuseeland, meinst du nicht?«

«Das sollte weit genug sein«, sagte Jik trocken.

Er fuhr zum Flughafen, der voller Leute war, die vom Cup nach Hause wollten.

«Wenn Wexford und Greene uns suchen«, sagte Sarah,»dann haben sie doch bestimmt den Flughafen im Visier.«

Sonst müßten wir eine Fährte legen, dachte ich im stillen — und auch Jik, den ich eingeweiht hatte, sprach es nicht aus.

«In der Öffentlichkeit können sie nichts machen«, sagte er beschwichtigend.

Wir kauften unsere Tickets und stellten fest, daß wir entweder gegen Mittag direkt oder in knapp einer halben Stunde über Sydney nach Auckland fliegen konnten.

«Über Sydney«, meinte Sarah entschieden, als schöpfe sie Kraft aus der Vorstellung, daheim zwischenzulanden.

Ich schüttelte den Kopf.»Auckland direkt. Schauen wir mal, ob es im Restaurant noch Frühstück gibt.«

Wir drängten uns an der betont auf Wand- und Armbanduhr blickenden Bedienung vorbei und bestellten einen Berg Eier mit Speck.

«Was wollen wir in Neuseeland?«fragte Sarah.

«Mit dem Besitzer eines Bildes sprechen und ihm raten, eine Zusatzversicherung abzuschließen.«

«Und das soll der Grund sein?«

«Ein sehr guter«, sagte ich.

«Ich sehe nicht ein, warum wir so weit reisen müssen, wenn Jik sagt, ihr habt in der Galerie genug gefunden, um die ganze Sache auffliegen zu lassen.«

«Hm…«, sagte ich.»Weil wir sie nicht auffliegen lassen wollen. Der Laden soll intakt sein, wenn wir ihn der Polizei übergeben.«

Sie musterte mein Gesicht.»Du sprichst in Rätseln.«

«Nicht auf der Leinwand«, warf Jik ein.

Nach dem Frühstück schlenderten wir durch die Geschäfte auf dem Flughafen, kauften einmal mehr Zahnputzzeug und dergleichen für Jik und Sarah und eine weitere Flugtasche. Keine Spur von Wexford, Greene, dem Jungen, dem Schrank, Renbo oder unserem Beschatter aus Alice Springs. Wenn sie uns hier entdeckt hatten, war uns das entgangen.

«Ich werde mal im Hilton anrufen«, sagte ich.

Jik nickte. Ich telefonierte in Sicht- und Hörweite von ihm und Sarah.

«Sie hatten um eine Nachsendeadresse gebeten«, sagte ich der Frau am Empfang.»Leider habe ich noch keine. Ich bin auf dem Weg nach Neuseeland. In ein paar Stunden fliege ich nach Auckland.«

Sie fragte, was mit dem Brief geschehen solle.

«Ehm… würden Sie ihn öffnen und mir vorlesen?«

Aber gern, sagte sie. Der Brief war von Hudson Taylor, der bedauerte, mich auf der Rennbahn nicht gesehen zu haben, und sich erbot, mir sein Weingut zu zeigen, falls ich Interesse hätte, so etwas in Australien zu besichtigen.

Vielen Dank, sagte ich. Nichts zu danken, sagte die Empfangsdame. Ich bat sie, falls nach mir gefragt würde, mein Reiseziel anzugeben. Aber gern, selbstverständlich.

In der nächsten Stunde rief Jik die Autovermietung an, um die Rechnung zu begleichen und Bescheid zu sagen, daß der Wagen auf dem Flughafenparkplatz abgestellt sei, und ich gab meinen Koffer bei der Air New Zealand auf. Pässe waren kein Problem, da der Reiseverkehr zwischen Australien und Neuseeland ebenso frei war wie zwischen England und Irland.

Von Wexford und Greene immer noch keine Spur. Wir saßen in der Abflughalle, und jeder hing seinen Gedanken nach.

Wieder entdeckte ich den Beobachter erst, als unser Flug aufgerufen wurde. Wieder lief es mir kalt über den Rücken. Ich war blind gewesen. Blind und blöd.

Nicht Wexford, nicht Greene, weder Renbo noch der Junge noch irgendein ruppiger Kraftmensch. Ein hübsches Tageskleid, hübsche Frisur, unauffällige Handtasche, einfache Schuhe. Ein ruhiges, konzentriertes Gesicht. Ich bemerkte sie, weil sie Sarah anstarrte. Sie stand vor der Abflughalle und schaute hinein. Die Frau, die mich bei Yarra River Fine Arts empfangen, mir einen Katalog in die Hand gedrückt und mich nachher auch hinausgelassen hatte.

Als fühlte sie sich beobachtet, richtete sie plötzlich den Blick auf mein Gesicht. Ich sah mit Pokermiene sofort weg und hoffte, sie wußte jetzt nicht, daß ich sie gesehen, oder zumindest nicht, daß ich sie erkannt hatte.

Jik, Sarah und ich standen auf und zogen mit allen anderen zum Ausgang. In den Scheiben spiegelte sich die Frau: Regungslos sah sie uns nach. Ohne mich umzudrehen, ging ich hinaus zum Flugzeug.

Mrs. Norman Updike stand in der Tür, schüttelte den Kopf und sagte, ihr Mann werde nicht vor sechs zu Hause sein.

Sie war dünn, hatte ein verkniffenes Gesicht und redete mit stark neuseeländischem Einschlag. Wenn wir ihren Mann sprechen wollten, müßten wir noch einmal herkommen.

Sie musterte uns: Jik mit seinem verwegenen blonden Bart, Sarah mit ihrem etwas verknitterten hellen Safarikleid und mich mit dem Arm in der Schlinge unterm Hemd, die Jacke lose über der Schulter. Ein Trio, das man so leicht nicht vergaß. Mit steil herabgezogenen Mundwinkeln beobachtete sie unseren Rückmarsch zur Straße.

«Eine Seele von Mensch«, meinte Jik leise.

Wir fuhren mit dem am Flughafen gemieteten Wagen davon.

«Wohin jetzt?«fragte Jik.

«Ich brauche was zum Anziehen. «Sarahs Machtwort.

Die Läden waren in der Queen Street, wie sich herausstellte, und noch eine halbe Stunde geöffnet. Jik und ich blieben im Auto, warteten und sahen die Welt an uns vorbeiziehen.

«Das ist jetzt die Zeit, wo all die Vöglein aus ihren Bürokäfigen kommen«, sagte Jik gutgelaunt.

«Na und?«

«Ich zähle immer die ohne Büstenhalter.«

«Und dabei bist du verheiratet.«

«Alte Gewohnheiten wird man schwer los.«

Wir zählten acht klare Fälle und ein Vielleicht, bis Sarah zurückkam. Sie trug einen hell olivgrünen Rock mit einer rosa Bluse und erinnerte mich an Pistazieneis.

«So ist es besser«, sagte sie und warf zwei prall gefüllte Tragetüten auf den Rücksitz.»Jetzt können wir.«

Die therapeutische Wirkung der neuen Kleider hielt während unseres ganzen Aufenthalts in Neuseeland an und erstaunte mich maßlos. Sie fühlte sich offenbar sicherer, wenn sie frisch und sauber aussah, und damit besserte sich auch ihre Gemütsverfassung. Baumwollpanzer, dachte ich. Bügelfrei und kugelsicher. Selbstschutz von der Stange.

Ohne Eile kehrten wir zu der Anhöhe über der Bucht zurück und zu der dichtbebauten Vorortstraße, in der Norman Updike wohnte. Das Haus der Updikes war groß, aber eingezwängt zwischen den Nachbarn, und den Grund für das Gedränge erkannte man erst, wenn man hineinging. Wegen der schönen Aussicht nämlich waren so viele Häuser wie irgend möglich hier aufgestellt worden. Die Stadt selbst dehnte sich offenbar meilenweit entlang der zerklüfteten Küste aus, und die Grundstücke erschienen winzig klein.

Norman Updike entpuppte sich als so aufgeschlossen, wie seine Frau zugeknöpft war. Sein runder, blanker Glatzkopf saß auf einem rundlichen kleinen Körper, und er nannte seine bessere Hälfte ganz ohne Sarkasmus Zuckerl.

Jik und ich sagten, wir seien Maler, würden uns sehr für das bekannte Bild interessieren, das er kürzlich erworben habe, und wären sehr dankbar, wenn wir es einen Augenblick bewundern dürften.

«Kommen Sie auf Empfehlung der Galerie?«fragte er und strahlte vor Freude über das indirekte Kompliment an seinen Kunstverstand und seinen Reichtum.

«Sozusagen«, antworteten wir, und Jik fügte hinzu:»Mein Freund hier ist in England ein bekannter Pferdemaler und mit seinen Bildern in vielen führenden Galerien vertreten; auch die Royal Academy hat ihn schon öfter ausgestellt…«

Ich fand, er trug ein bißchen dick auf, aber Norman Updike war beeindruckt und öffnete seine Tür weit.

«Bitte sehr. Kommen Sie rein. Das Bild hängt im Wohnzimmer. Hier entlang, Fräulein, hier entlang.«

Er führte uns in einen großen, vollgestopften Raum mit dunklem, samtweichem Teppichboden, großen dunklen Schränken und der herrlichen Aussicht auf sonnenbeschienenes Wasser.

Zuckerl saß stur vor dem Fernseher, in dem eine hirnrissige britische Klamotte lief, und warf uns zur Begrüßung einen säuerlichen Blick zu.

«Hier drüben. «Norman Updike strahlte und schob sich an einer Abteilung dicker Polstersessel vorbei.»Na, was sagen Sie jetzt?«Mit Besitzerstolz deutete er auf das Ölbild an seiner Wand. Ein eher kleines Bild, 35 mal 45 Zentimeter. Ein schwarzes Pferd, dessen überlanger Hals sich vor dem blauweißen Himmel wölbte, ein gestutzter Schweif, im Vordergrund gelbes Gras, und das Ganze mit einem alt anmutenden Firnis überzogen.

«Herring«, meinte ich ehrfürchtig.

Norman Updikes Lächeln wurde noch breiter.»Ich sehe, Sie kennen sich aus. Das ist einiges wert, das Bild.«

«Eine ganze Menge«, stimmte ich bei.

«Ich glaube, da habe ich einen guten Fang gemacht. Die Galerie meint, das ließe sich jederzeit mit Gewinn verkaufen.«

«Darf ich mir ansehen, wie es gemalt ist?«fragte ich höflich.

«Bitte sehr.«

Ich ging näher ran. Es war sehr gut. Es sah wirklich nach Herring, gestorben 1865, aus. Aber irgendwie sah es auch nach dem pingeligen Renbo aus. Nur mit dem Mikroskop und einer chemischen Analyse konnte man das klären.

Ich trat zurück und schaute mich im Zimmer um. Sonst sprang nichts Wertvolles ins Auge, und die wenigen anderen Bilder waren Kunstdrucke.

«Sehr schön«, sagte ich bewundernd, wieder dem Herring zugewandt.»Der Stil ist unverkennbar. Ein wahrer Meister.«

Updike strahlte.

«Sie sollten sich vor Einbrechern hüten.«

Er lachte.»Hörst du, was der junge Mann sagt, Zuckerl? Wir sollen uns vor Einbrechern hüten.«

Zuckerls Augen schenkten mir zwei Sekunden unwillige Beachtung und kehrten zum Bildschirm zurück.

Updike klopfte Sarah auf die Schulter.»Ihr Freund braucht sich wegen Einbrechern keine Sorgen zu machen.«

«Wieso nicht?«fragte ich.

«Das ganze Haus ist mit Alarmanlagen gesichert«, strahlte er.»Keine Sorge, ein Einbrecher käme nicht weit.«

Auch Jik und Sarah blickten sich im Zimmer um und sahen kaum etwas, das sich zu stehlen lohnte. Mit Sicherheit nichts, was Alarmanlagen im ganzen Haus rechtfertigte. Updike beobachtete uns, und sein Lächeln wurde breiter.

«Soll ich den jungen Leuten unsere Schätze zeigen, Zuckerl?«fragte er.

Zuckerl gab ihm nicht mal eine Antwort. Aus dem Fernsehen kam Konservengelächter.

«Das würde uns sehr interessieren«, sagte ich.

Er war sich der Bewunderung für das, was er uns zeigen wollte, so sicher, daß er schon vorher selbstzufrieden grinste. Mit zwei, drei Schritten war er bei einem der großen Einbauschränke und riß schwungvoll die Flügeltür auf.

Im Innern waren ein halbes Dutzend tiefe Fächer, vollgestellt mit aufwendigen Jadeschnitzereien. Hellrosa, cremeweiß und hellgrün, glatt, poliert, kunstvoll und teuer; jedes Stück stand auf einem robusten schwarzen Sockel. Jik, Sarah und ich gaben beifällige Laute von uns, und Norman Updike strahlte um so mehr.

«Hongkong natürlich«, sagte er.»Ich habe dort jahrelang gearbeitet, müssen Sie wissen. Hübsche kleine Sammlung, was?«Er ging zum nächsten dunklen Schrank und zog wieder die Flügeltür auf. Im Innern weitere Fächer, weitere Schnitzereien.

«Von Jade verstehe ich leider nicht viel«, sagte ich entschuldigend.»Ich kann Ihre Sammlung gar nicht voll würdigen.«

Er erzählte uns mehr über die kleinen Kostbarkeiten, als wir eigentlich wissen wollten. Sie waren in den vier Schränken im Wohnzimmer untergebracht, aber auch im Schlafzimmer und in der Diele.

«In Hongkong konnte man Jade sehr billig kaufen«, sagte er.»Und ich war über zwanzig Jahre dort.«

Jik und ich wechselten Blicke. Ich nickte leicht.

Schon gab Jik Norman Updike die Hand, legte den Arm um Sarah und erklärte, wir müßten gehen. Updike sah fragend zu Zuckerl hinüber, die immer noch am Fernseher klebte und auf die Rolle der Gastgeberin pfiff. Als sie keine Anstalten machte, in unsere Richtung zu blicken, zuckte er gutmütig die Achseln und kam mit uns zur Haustür. Jik und Sarah gingen hinaus, sobald er sie geöffnet hatte, und ließen mich mit ihm in der Diele allein.

«Mr. Updike«, sagte ich.»Wer hat Ihnen in der Galerie den Herring verkauft?«

«Mr. Grey«, antwortete er prompt.

«Mr. Grey… Mr. Grey…«Ich runzelte die Stirn.

«Ein netter Mann«, nickte Updike strahlend.»Ich sagte ihm, daß ich von Bildern wenig verstehe, aber er hat mir versichert, dieser Herring würde mir ebensoviel Freude bereiten wie meine Jadesammlung.«

«Sie haben ihm von Ihrer Sammlung erzählt?«

«Natürlich. Ich meine… wenn man von einer Sache nichts versteht, na ja… dann zeigt man eben, daß man sich dafür mit etwas anderem auskennt. Ist doch nur menschlich, oder?«

«Ganz menschlich«, stimmte ich lächelnd bei.»Wie hieß noch mal Mr. Grey s Galerie?«

«Was?«Er stutzte.»Ich denke, er hat Sie auf mein Bild hier hingewiesen?«

«Ich gehe in so viele Galerien, daß ich dummerweise vergessen habe, welche es war.«

«Ruapehu Fine Arts«, sagte er.»Ich war letzte Woche unten.«

«Unten…?«

«In Wellington. «Sein Lächeln kippte.»Also was hat denn das zu bedeuten?«Argwohn huschte über sein rundes Gesicht.»Weshalb sind Sie hergekommen? Ich glaube, Mr. Grey hat Sie gar nicht geschickt.«

«Nein«, gab ich zu.»Aber wir führen nichts gegen Sie im Schilde, Mr. Updike. Mein Freund und ich sind wirklich Maler. Und… nachdem wir jetzt Ihre Jadesammlung gesehen haben, halten wir es wirklich für angebracht, Sie zu warnen. Wir haben von mehreren Leuten gehört, die Bilder gekauft haben und bei denen kurz darauf eingebrochen wurde. Ich an Ihrer

Stelle würde mich vergewissern, ob der Einbruchsalarm, den Sie hier haben, in einwandfreiem Zustand ist.«

«Aber… du meine Güte…«

«Da ist eine Bande am Werk«, sagte ich.»Die gehen Bilderkäufen nach und brechen bei den Käufern ein. Wahrscheinlich nehmen sie an, wer sich einen Herring oder so etwas leisten kann, hat auch noch andere wertvolle Sachen im Haus.«

Er sah mich an, als ginge ihm ein Licht auf.»Junger Mann, wollen Sie damit sagen, weil ich Mr. Grey von meiner Sammlung erzählt habe…«

«Sagen wir mal«, erwiderte ich,»es wäre ratsam, besondere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.«

«Aber… für wie lange?«

Ich schüttelte den Kopf.»Das weiß ich nicht, Mr. Updike. Vielleicht für immer.«

Sorge stand auf seinem runden, gemütlichen Gesicht.»Und warum haben Sie sich die Mühe gemacht, hierherzukommen und mir das alles zu erzählen?«

«Um dieser Bande das Handwerk zu legen, würde ich noch viel mehr tun.«

Da er noch einmal fragte, warum, sagte ich es ihm.»Mein Cousin hat ein Bild gekauft. Dann wurde bei ihm eingebrochen. Seine Frau hat die Einbrecher gestört und wurde umgebracht.«

Norman Updike sah mir aufmerksam ins Gesicht. Ich hätte meinen ungebrochenen Zorn nicht vor ihm verbergen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ihn schauderte.

«Bin ich froh, daß Sie hinter mir nicht her sind«, sagte er.

Ich brachte ein Lächeln zustande.»Mr. Updike… seien Sie vorsichtig. Eines Tages kommt dann vielleicht die Polizei zu Ihnen und fragt, wo Sie das Bild gekauft haben… Wenn es nach mir geht, kommt sie bestimmt.«

Das runde Gesicht lächelte wieder, ruhig und gefaßt.»Ich werde sie erwarten«, sagte er.

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