Kapitel 17

Maisie sah mich zuerst und stürzte sich wie ein großer scharlachroter Vogel mit ausgebreiteten Schwingen auf mich.

Montag Mittag auf der Rennbahn von Wolverhampton, neblig und kalt.

«Tag, mein Lieber, wie schön, daß Sie gekommen sind. Hoffentlich hatten Sie einen guten Flug — das ist doch so weit, da kommt doch die ganze innere Uhr durcheinander?«Sie tätschelte mir den Arm und musterte mich aufmerksam.»So richtig gut sehen Sie nicht aus, wenn ich das sagen darf, Charles. Und braun geworden sind Sie auch nicht, obwohl anderthalb Wochen dafür vielleicht auch etwas knapp sind, aber die Hand haben Sie sich ja bös zerschnitten, und mir fällt auf, daß Sie sehr vorsichtig gehen.«

Sie schwieg und sah zu, wie eine Reihe Jockeys an uns vorbei zum Start galoppierten. Leuchtende Farben gegen den dünnen grauen Nebel. Ein Sujet für Munnings.

«Schon gewettet, mein Lieber? Und ist Ihnen der Anorak auch wirklich warm genug? Ich finde immer, Jeans sind nichts für den Winter, das ist schließlich nur Baumwolle, und wie ist es Ihnen denn nun in Australien ergangen? Ich meine, haben Sie da drüben was erreicht?«

«Das ist eine furchtbar lange Geschichte…«

«Die man sich am besten in der Bar erzählt, nicht wahr?«

Sie bestellte uns zwei große Brandys mit Ginger-Ale und ließ sich an einem kleinen Tisch nieder, gespannte Erwartung in den freundlichen Augen.

Ich erzählte ihr von Hudsons Organisation, von der Galerie in Melbourne und der Liste der Einbruchskandidaten.

«Stand ich da drauf?«

Ich nickte.»Ja.«

«Und Sie haben sie der Polizei gegeben?«fragte sie ängstlich.

Ich grinste.»Seien Sie unbesorgt, Maisie. Ihr Name war schon gestrichen. Ich habe ihn noch ein paarmal mehr durchgestrichen. Den kann jetzt keiner mehr entziffern, schon gar nicht auf einer Fotokopie.«

Sie lächelte breit.»Sie sind wirklich auf Draht.«

Da war ich mir nicht so sicher.»Ihre neuntausend Pfund«, sagte ich,»müssen Sie aber wohl abschreiben.«

«Und wenn schon«, meinte sie vergnügt.»Das hab ich eben davon, daß ich den Zoll betrügen wollte, aber offen gestanden würde ich es beim nächsten Mal wieder so machen, denn die Steuer ärgert mich doch gewaltig. Allerdings bin ich schon froh, daß sie diesmal nicht bei mir anklopfen, oder vielmehr bei meiner Schwester Betty, denn wie man Ihnen im Beach sicher gesagt hat, wohne ich wieder bei ihr, bis mein Haus fertig ist.«

Ich stutzte.»Welches Haus?«

«Nun, mein Lieber, ich habe mir überlegt, daß ich das Haus in Worthing doch nicht wieder aufbauen lasse, denn ohne die Schätze, die Archie und ich dort zusammengetragen haben, wäre es doch nicht dasselbe, und so habe ich das Seegrundstück für ein Vermögen verkauft und mir ein hübsches Plätzchen in Sandown gesucht, ganz nah an der Rennbahn.«

«Sie gehen also nicht nach Australien?«

«Ach nein, Charles, das wäre mir zu weit weg. Von Archie, wenn Sie verstehen.«

Ich verstand. Ich mochte Maisie sehr.

«Ihr Geld habe ich leider ganz ausgegeben«, sagte ich.

Den gut frisierten Kopf auf die Seite gelegt, lächelte sie mich an und streichelte gedankenverloren ihre Krokodilhandtasche.

«Das macht nichts, Charles. Dann malen Sie mir eben zwei Bilder. Eins von mir und eins von meinem neuen Haus.«

Ich ging nach dem dritten Rennen, nahm den Zug nach Shrewsbury und fuhr von dort mit dem Bus zu Inspektor Frosts Dienststelle.

Er saß an seinem Schreibtisch, bis zum Hals in Akten vergraben. Ebenfalls anwesend war der durchdringend blickende Kommissar Wall, der Donald so zermürbt hatte und den ich noch nicht kannte. Beide gaben mir ruhig und geschäftsmäßig die Hand, wobei Walls Augen unbeeindruckt über den Anorak, die Jeans und meine Wüstentreter glitten. Ein lehnenloser Stuhl aus Formplastik wurde mir angeboten.

«Da haben Sie ja einen wahren Termitenbau aufgedeckt«, meinte Frost mit einem leisen Lächeln.

Wall zog die Brauen zusammen, als wäre ihm dieser Ton zu locker.»Wie es ausschaut, sind Sie auf eine recht große Organisation gestoßen.«

Beide Männer blickten auf den Berg von Papieren.

«Was ist mit Donald?«fragte ich.

Frost hielt den Blick gesenkt. Seine Mundwinkel zuckten.

Wall sagte:»Wir haben Mr. Stuart mitgeteilt, daß für den Einbruch in sein Haus und für den Tod von Mrs. Stuart nach unseren Erkenntnissen Dritte verantwortlich sind, die ohne sein Wissen und ohne sein Zutun gehandelt haben.«

Ein schwacher Trost.»Hat er das auch verstanden?«

Wall zog die Brauen hoch.»Ich war heute früh selbst bei ihm. Es dürfte ihm alles eingegangen sein.«

«Und was ist mit Regina?«

«Mit der Leiche von Mrs. Stuart«, verbesserte Wall.

«Donald möchte sie beerdigen«, sagte ich.

Frost sah mit einem direkt menschlichen Ausdruck von Mitgefühl auf.»Das Problem ist«, sagte er,»daß in einer Mordsache die Leiche des Opfers bereitgehalten werden muß für den Fall, daß die Verteidigung eine eigene Leichenschau beantragt. Hier haben wir bislang keine Anklage wegen Mordes erheben können, und Verteidiger konnten schon gar nicht bestellt werden. «Er räusperte sich.»Wir werden Mrs. Stuarts Leichnam zur Bestattung freigeben, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.«

Ich schlug die Augen nieder, verschränkte die Finger.

«Sie haben schon sehr viel für Ihren Cousin getan«, sagte Frost.»Mehr kann er nicht verlangen.«

Ich lächelte schief und stand auf.»Ich werde ihn besuchen«, sagte ich.

Wall gab mir die Hand, und Frost kam mit mir hinaus zur Straße. Lampen leuchteten hell im frühen Winterabend.

«Inoffiziell«, begann er, während er langsam auf dem Gehsteig neben mir herging,»will ich Ihnen sagen, daß die Melbourner Polizei in der Galerie eine Liste mit den Namen einschlägig bekannter Einbrecher sichergestellt hat. Aufgeteilt nach Ländern, wie die Überseekundschaft. Vier Engländer waren dabei. Wahrscheinlich sollte ich darüber nicht spekulieren, und bestimmt sollte ich Ihnen das jetzt nicht sagen, aber es könnte durchaus sein, daß der Mörder von Mrs. Stuart darunter zu suchen ist.«

«Glauben Sie?«

«Ja. Aber behalten Sie das für sich. «Er sah besorgt aus.

«Sie haben mein Wort«, sagte ich.»Die Einbrüche sind also von Inländern verübt worden?«

«Das war offenbar das übliche Verfahren.«

Greene, dachte ich. Mit >e<. Greene konnte sie angeworben haben. Um nach getaner Arbeit dann die Brandruinen zu inspizieren.

Ich blieb stehen. Wir waren vor dem Blumengeschäft, in dem Regina gearbeitet hatte. Frost betrachtete die großen, bronzefarbenen Chrysanthemen im hell erleuchteten

Schaufenster und sah mich fragend an.

Ich griff in meine Tasche und zog die sechs Patronenhülsen hervor. Gab sie Frost.

«Die sind aus dem Revolver, mit dem der Mann namens Greene auf mich geschossen hat«, sagte ich.»Er hat sie beim Nachladen verloren. Ich habe Ihnen am Telefon davon erzählt.«

Er nickte.

«Wahrscheinlich läßt sich nicht viel damit anfangen«, sagte ich.»Aber immerhin ersehen Sie daraus, daß Greene imstande ist zu morden.«

«Und weiter?«

«Es ist nur so ein Gefühl…«

«Heraus damit.«

«Greene«, sagte ich,»war um die Zeit, als Regina starb, in England.«

Er starrte mich an.

«Vielleicht kannte Regina ihn«, sagte ich.»Sie war ja mit in der Galerie in Australien. Vielleicht hat sie ihn unter den Einbrechern in ihrem Haus gesehen… er könnte den Ablauf überwacht haben… und vielleicht wurde sie umgebracht, weil es eben nicht genügt hätte, sie zu fesseln und zu knebeln — sie hätte ihn zweifelsfrei identifizieren können, wenn sie am Leben geblieben wäre.«

Er sah aus, als fiele ihm das Atmen schwer.

«Das sind reine… Vermutungen«, sagte er.

«Ich weiß genau, daß Greene zwei Wochen nach Reginas Tod in England war. Ich weiß genau, daß er in den Verkauf und den anschließenden Diebstahl von Gemälden verwickelt war. Ich weiß genau, daß er nicht davor zurückschreckt, jemand umzubringen, der ihn überführen könnte. Alles weitere… liegt bei Ihnen.«

«Mein Gott«, sagte Frost.»Mein Gott.«

Ich ging weiter in Richtung Bushaltestelle. Er blieb mit glasigem Blick neben mir.

«Uns würde interessieren«, sagte er,»was Sie überhaupt auf die Spur der Organisation gebracht hat.«

Ich lächelte.»Ein heißer Tip.«

«Von wem?«

Von einer Schmugglerin in scharlachrotem Mantel, mit glanzgelacktem Haar und Krokodilhandtasche.»Informanten gibt man nicht preis«, sagte ich.

Er seufzte, schüttelte den Kopf, blieb stehen und zog einen Telexstreifen aus dem Jackett.

«Kennen Sie einen australischen Kriminalbeamten namens Porter?«

«Allerdings.«

«Dann ist das hier für Sie. «Er gab mir das Blatt Papier, und ich las die säuberlich getippten Worte:

«Ich lasse dem Pinselschwinger danken.«

«Würden Sie ihm für mich antworten?«

Er nickte.»Und was?«

«>Kein Problem««, sagte ich.

Ich stand im Dunkeln vor dem Haus meines Cousins und schaute hinein.

Er saß im erleuchteten Wohnzimmer, der ungerahmten Regina auf dem Kaminsims gegenüber. Ich seufzte und klingelte an der Tür.

Nach einer Weile hörte ich Donald. Er öffnete mir.

«Charles!«rief er überrascht.»Ich dachte, du seist in Australien.«

«Seit gestern zurück.«

«Komm rein.«

Wir gingen in die Küche, wo es wenigstens warm war, und setzten uns einander gegenüber an den Tisch. Er war hager im Gesicht und sah wie fünfzig aus, der Schatten eines Mannes, der sich vom Leben zurückgezogen hat.

«Wie geht das Geschäft?«fragte ich.

«Geschäft?«

«Der Weinhandel.«»Ich war nicht im Büro.«

«Wenn deine finanzielle Lage nicht ohnehin schon kritisch war«, sagte ich,»dann wird sie es bald sein.«

«Das ist mir ziemlich egal.«

«Du bist stehengeblieben«, sagte ich.»Steckengeblieben wie die Nadel auf der Schallplatte. Die immer wieder das gleiche Ende spielt.«

Er sah an mir vorbei.

«Die Polizei weiß, daß du mit dem Einbruchsdiebstahl nichts zu tun hattest.«

Er nickte langsam.»Dieser Wall war da… und hat es mir gesagt. Heute morgen.«

«Na siehst du.«

«Das ändert doch auch nichts.«

«Wegen Regina?«

Er gab keine Antwort.

«Du mußt damit aufhören, Donald«, sagte ich.»Sie ist tot. Seit fünf Wochen und drei Tagen ist sie tot. Möchtest du sie sehen?«

Er sah mich entsetzt an.»Nein! Natürlich nicht.«

«Dann hör auf, an ihren Leichnam zu denken.«

«Charles!«Er stand so heftig auf, daß er seinen Stuhl dabei umwarf. Sichtlich geschockt, schwankte er zwischen Zorn und Empörung.

«Sie liegt in einem Kühlfach«, sagte ich,»und du hättest sie gern in einer Kiste unter der kalten Erde. Wo ist da der Unterschied?«

«Verschwinde«, sagte er laut,»ich will davon nichts hören.«

«Du meinst, es geht dir um Regina«, sagte ich, ohne mich zu rühren,»aber du bist besessen von einem Haufen Mineralien. Diese… diese Hülle da in der Tiefkühlung ist nicht Regina. Die wahre Frau ist in deinem Kopf. In deiner Erinnerung. Du kannst sie nur am Leben erhalten, indem du an sie denkst. Da, in deinem Kopf, ist sie unsterblich. Wenn du dich dem Leben verweigerst, bringst du sie noch einmal um.«

Er drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus. Ich hörte ihn auf dem Flur und nahm an, er wollte ins Wohnzimmer.

Nach einer Weile folgte ich ihm. Die weiß gestrichene Tür war geschlossen.

Ich öffnete sie. Trat ins Zimmer.

«Geh weg«, sagte er.

Was nützt es dem Menschen, dachte ich, wenn er von Balkons geworfen, beschossen und von Felsen aufgespießt wird und doch die Seele seines Cousins nicht retten kann?

«Ich nehme das Bild mit nach London«, sagte ich. Bestürzung. Er sprang auf.»Das tust du nicht!«

«Doch.«

«Nein. Du hast es mir geschenkt.«

«Es muß gerahmt werden«, sagte ich.»Sonst verzieht es sich.«

«Du darfst es nicht mitnehmen.«

«Komm doch auch mit.«

«Ich kann hier nicht weg«, sagte er.

«Wieso nicht?«

«Werd nicht blöd«, fuhr er auf.»Du weißt genau, warum. Weil ich…«Seine Stimme erstarb.

«Regina wird bei dir sein, wohin du auch gehst«, sagte ich.»Wann immer du an sie denkst, wird sie dasein.«

Nichts.

«Sie ist nicht hier im Zimmer. Sie ist in deinem Kopf. Du kannst hier weggehen und sie mitnehmen.«

Nichts.

«Sie war eine tolle Frau. Es ist sicher schrecklich ohne sie. Aber sie hat verdient, daß du dein Bestes gibst.«

Nichts.

Ich ging zum Kamin hinüber und nahm das Bild vom Sims. Reginas Gesicht lächelte mich lebhaft an. Ihr linker Nasenflügel war mir nicht so ganz gelungen, fand ich.

Donald versuchte nicht, mich aufzuhalten.

Ich legte die Hand auf seinen Arm.

«Komm, wir holen deinen Wagen raus und fahren zu mir«, sagte ich.»Jetzt gleich.«

Keine Antwort.

«Komm«, sagte ich.

Und endlich konnte er weinen.

Ich holte tief Luft und wartete.»Okay«, sagte ich schließlich.»Wie sieht’s mit Benzin aus?«

«Wir können…«, er zog die Nase hoch,»wir können auf der Autobahn tanken.«

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