Wir fuhren mit Maisies Jaguar nach Shropshire und wechselten uns am Steuer ab. Donald war am Telefon zwar nicht begeistert gewesen über die Aussicht, mich so bald wiederzusehen, hatte aber auch nicht die Energie gehabt, mich abzuwimmeln. Als er uns jetzt die Haustür öffnete, erschrak ich.
Vor zwei Wochen hatte ich ihn allein gelassen, um nach Yorkshire zu fahren. In dieser Zeit hatte er mindestens sieben Kilo abgenommen und war um zehn Jahre gealtert. Seine Haut war bläulich, im Gesicht traten die Knochen stark hervor, und auch die Haare schienen grau durchzogen zu sein.
Der Schatten des alten Donald bemühte sich offensichtlich, uns mit Anstand zu empfangen.
«Immer herein«, sagte er.»Ich bin gerade im Eßzimmer. Was zu trinken?«
«Das wäre nett, mein Lieber«, sagte Maisie.
Er blickte sie mit trüben Augen an, die dicke, gutmütige, teuer gekleidete Frau mit dem glänzenden Haar, deren schicke Aufmachung knapp, aber elegant am Ordinären vorbeiging.
Als wäre es ihm zu anstrengend, überließ er es mir, die Getränke einzuschenken, und bat Maisie, Platz zu nehmen. Sein Eßzimmer war halbwegs wieder hergerichtet mit einem großen Teppich, den Stühlen aus der Glasveranda und zwei kleinen Tischen aus den Schlafzimmern. Wir setzten uns alle um einen Tisch, da ich Fragen stellen und die Antworten schriftlich festhalten wollte. Mein Cousin sah ohne jedes Interesse zu, wie ich Notizbuch und Stift bereitlegte.
«Don«, sagte ich,»hör dir bitte mal eine Geschichte an.«
«Okay.«
Maisie faßte sich ausnahmsweise kurz. Als sie erzählte, daß sie in Australien einen Munnings gekauft hatte, hob Donald den Kopf um ein paar Zentimeter und blickte mit erwachender
Aufmerksamkeit von ihr zu mir. Als sie schloß, war es kurz still.
«Ihr seid also beide nach Australien gefahren«, faßte ich zusammen,»habt beide einen Munnings gekauft, und kurz nach eurer Rückkehr ist bei euch beiden eingebrochen worden.«
«Ungewöhnliches Zusammentreffen«, sagte Donald, aber mehr sah er nicht darin.»Bist du extra hergekommen, um mir das zu erzählen?«
«Ich wollte sehen, wie es dir geht.«
«Hm. Mir geht’s gut. Nett von dir Charles, aber mir geht’s gut.«
Selbst Maisie, die ihn vorher nicht gekannt hatte, sah, daß es ihm schlechtging.
«Wo hast du dein Bild gekauft, Don? Wo genau, meine ich.«
«Na ja… in Melbourne. Im Hilton Hotel. Gegenüber dem Kricketplatz.«
Ich hatte meine Zweifel. In Hotels wurden vielerorts Bilder einheimischer Künstler angeboten, aber Werke von Munnings doch eher selten.
«Auf Bestellung«, erläuterte Don.»Jemand hat uns das Bild aufs Zimmer gebracht. Von der Galerie, wo wir es entdeckt hatten.«
«Welche Galerie?«
Er versuchte sogar, sich zu erinnern.»Könnte so was wie >Fine Arts< gewesen sein.«
«Hast du den Namen vielleicht noch auf einem Scheckabschnitt oder so?«
Er schüttelte den Kopf.»Die Kellerei, mit der ich in Verhandlung stand, hat für mich bezahlt, und nach meiner Rückkehr hat deren britische Niederlassung einen Scheck von mir bekommen.«
«Wie heißt die Kellerei?«»Monga Vineyards Proprietary Limited of Adelaide and Melbourne.«
Ich schrieb das alles auf.
«Und was war auf dem Bild? Ich meine, kannst du es beschreiben?«
Donald sah mich müde an.»So ein Aufgalopp-Bild war das. Ein typischer Munnings.«
«Meins auch«, sagte Maisie überrascht.»Eine schöne lange Reihe von Jockeys in ihren Farben vor einem dunkel gehaltenen Himmel.«
«Auf meinem waren nur drei Pferde«, sagte Donald.
«Der größte, oder richtiger vielleicht, der vorderste Jockey auf meinem Bild hatte einen purpurroten Dreß und eine grüne Kappe«, sagte Maisie,»und auch wenn Sie das jetzt albern finden, das war mit ein Grund, warum ich es gekauft habe, denn Archie und ich haben uns mal vorgestellt, wie schön es wäre, ein Pferd zu kaufen und die Rennen als Besitzer zu erleben, und als Farben wollten wir dann Purpur mit grüner Kappe nehmen, falls das noch nicht vergeben war.«
«Don?«sagte ich.
«Hm? Ach so… drei galoppierende Braune… im Profil… einer vorn, die zwei dahinter haben sich teils überschnitten. Leuchtende Rennfarben. Genau weiß ich’s nicht mehr. Weiße Rails und viel sonniger Himmel.«
«Welches Format?«
Er runzelte leicht die Stirn.»Nicht allzu groß. Ungefähr 60 mal 45 cm, ohne Rahmen.«
«Und Ihres, Maisie?«
«Noch etwas kleiner, glaube ich.«
«Hör mal«, sagte Donald.»Worauf willst du hinaus?«
«Ich will nur sicher sein, daß es nicht noch mehr zufällige Übereinstimmungen gibt.«
Er starrte mich ausdruckslos an.
«Auf der Fahrt hierher«, sagte ich,»hat Maisie mir genau«(aber wirklich ganz genau)»erzählt, wie sie zu dem Bild gekommen ist. Kannst du uns also jetzt vielleicht erzählen, wie du zu deinem gekommen bist? Hast du beispielsweise gezielt nach einem Munnings gesucht?«
Donald fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wäre es zu mühsam, die Frage zu beantworten.
«Bitte, Don«, sagte ich.
«Ach…«Ein langgezogener Seufzer.»Nein. Ich wollte eigentlich nichts Bestimmtes kaufen. Wir hatten uns nur in der Melbourne Art Gallery mal umgeschaut. Die haben da einen Munnings… und als wir uns den ansahen, kamen wir mit einer Frau ins Gespräch, die auch da stand, wie das in Kunstgalerien so geht. Sie meinte, in einer kleinen Galerie ganz in der Nähe hinge ein Munnings zum Verkauf, den man sich auf jeden Fall ansehen sollte, auch wenn man kein Geld ausgeben wolle. Da wir Zeit hatten, sind wir hingegangen.«
Maisie war die Kinnlade heruntergefallen.»Aber, mein Lieber«- sie fing sich wieder —,»genauso war das bei meiner Schwägerin und mir, nur nicht in Melbourne, sondern in der Sydney Art Gallery. Die haben da ein wunderschönes Bild, Heraufziehender Sturm, und wir waren gerade dabei, das zu bewundern, da kommt so ein Mann und stellt sich zu uns…«
Donald wirkte plötzlich viel erschöpfter, wie ein Kranker, dem die gesunden Besucher zuviel zumuten.
«Hör mal, Charles… du willst doch damit nicht etwa zur Polizei? Denn ich glaube… noch so ein Kreuzfeuer von Fragen… könnte ich nicht aushalten.«
«Ich gehe nicht zur Polizei«, sagte ich.
«Aber… was soll das dann?«
Maisie trank ihren Gin-Tonic aus und lächelte etwas zu fröhlich.
«Wo ist denn hier für kleine Mädchen?«fragte sie und verschwand in die angedeutete Richtung.
Donald sagte schwach:»Ich kann mich nicht konzentrieren… entschuldige, Charles, aber ich kriege nichts auf die Reihe. Solange Regina nicht zum Begräbnis freigegeben, sondern einfach… gelagert wird…«
Statt dem Schmerz die Schärfe zu nehmen, hatte die Zeit ihn offenbar konserviert, als sei durch Reginas Aufbewahrung unter Eis der natürliche Verlauf der Trauer gestoppt worden. Ich hatte gehört, daß in ungeklärten Fällen die Leichen von Mordopfern ein halbes Jahr und länger zurückbehalten werden konnten. Ob Donald so lange durchhalten würde, war fraglich.
Er stand plötzlich auf und ging hinaus auf den Flur. Ich folgte ihm. Er durchquerte den Flur und trat ins Wohnzimmer.
Zögernd ging ich hinter ihm her.
Das Wohnzimmer war immer noch leer bis auf die chintzbezogenen Sitzmöbel, die jetzt übertrieben ordentlich den Wänden entlang standen. Der Fußboden, auf dem Regina gelegen hatte, war blank poliert. Es war kühl im Zimmer.
Donald stand vor dem leeren Kamin und betrachtete mein Porträt von Regina, das auf dem Sims stand.
«Ich bin meistens hier bei ihr«, sagte er.»Sonst halte ich es nirgends aus.«
Er ging zu den Sesseln und setzte sich direkt dem Porträt gegenüber.
«Ihr findet ja selbst hinaus, nicht wahr, Charles?«sagte er.»Ich bin wirklich furchtbar müde.«
«Paß auf dich auf. «Unnützer Rat. Es war klar, daß er das nicht tun würde.
«Mir geht’s gut«, sagte er.»Das geht schon. Mach dir keine Gedanken.«
An der Tür drehte ich mich noch einmal um. Er saß regungslos da und betrachtete Regina. Ich wußte nicht, ob es besser oder schlechter gewesen wäre, wenn ich sie ihm nicht gemalt hätte.
Maisie schwieg, ein einsamer Rekord, während der ganzen ersten Stunde der Rückfahrt.
Von Donald aus waren wir zunächst zu einem der Nachbarn gefahren, die ihm als erste ihren Beistand angeboten hatten, denn jetzt brauchte er Hilfe nötiger denn je.
Die Nachbarin hatte verständnisvoll zugehört, aber den Kopf geschüttelt.
«Ja, ich weiß, er braucht Gesellschaft und müßte mal aus dem Haus kommen, aber er will ja nicht. Wie oft hab ich’s versucht. Ihn angerufen. Und nicht nur ich, auch viele andere. Er sagt immer nur, es geht ihm gut. Er will sich nicht helfen lassen.«
Maisie fuhr konzentriert Meile um Meile. Schließlich sagte sie:»Wir hätten ihn nicht damit behelligen sollen. Noch nicht…«
Drei Wochen, dachte ich. Erst drei Wochen war es her. Donald kamen sie vielleicht wie drei Monate vor, vergangen im Zeitlupentempo. In drei Wochen Schmerz steckt manchmal soviel Leid wie in einem ganzen Leben.
«Ich fahre nach Australien«, sagte ich.
«Sie haben ihn sehr gern, was?«fragte Maisie.
Gern? So hätte ich das nicht ausgedrückt, dachte ich, aber vielleicht stimmte es sogar.
«Er ist acht Jahre älter als ich, aber wir sind immer gut miteinander ausgekommen. «Ich dachte zurück.»Wir waren beide Einzelkinder. Seine Mutter und meine waren Schwestern. Sie haben sich immer besucht, mit Donald und mir im Schlepptau. Er hatte viel Geduld mit seinem kleinen Vetter.«
«Er sieht sehr schlecht aus, Charles.«
«Ja.«
Sie fuhr wieder zehn Meilen schweigend. Dann sagte sie:»Wäre es nicht doch besser, zur Polizei zu gehen? Wegen der Bilder, meine ich. Sie sind ja überzeugt, daß die etwas mit den
Einbrüchen zu tun haben, und die Polizei kommt vielleicht eher an Informationen heran als Sie.«
Da gab ich ihr recht.»Sicher, Maisie. Aber was soll ich der Polizei sagen? Sie haben ja gehört, daß Donald meint, er könne eine weitere Befragung nicht durchstehen. Oder trauen Sie ihm das zu, nachdem Sie ihn heute kennengelernt haben? Und für Sie selbst wäre es nicht damit erledigt, daß Sie eine kleine Schmuggelei zugeben und ein Bußgeld zahlen, sondern Sie wären ein für allemal vorbestraft, hätten bei jeder Reise den Zoll am Hals und müßten tausend andere Komplikationen und Demütigungen in Kauf nehmen. Wenn man heutzutage auf einer schwarzen Liste steht, kommt man so gut wie nicht mehr runter.«
«Ich dachte, das wäre Ihnen egal. «Sie hängte ein Lachen an, aber es klang nicht echt.
Wenig später tauschten wir die Plätze. Ich fuhr den Wagen gern, zumal ich seit meinem Verzicht auf ein festes Einkommen vor drei Jahren kein eigenes Auto mehr besaß. Der Motor schnurrte leise unter der hellblauen Haube und fraß die Meilen Richtung Süden.
«Können Sie sich denn die Flugkosten leisten, mein Lieber?«fragte Maisie.»Und die Hotels und das alles?«
«Ich habe einen Freund drüben. Ebenfalls Maler. Bei ihm werde ich wohnen.«
Sie sah mich zweifelnd an.»Sie können aber nicht per Anhalter hinfahren.«
Ich lächelte.»Ich komme schon zurecht.«
«Ja, gut, das glaube ich Ihnen, aber trotzdem — und da dulde ich jetzt keine dumme Widerrede — bin ich dank Archie mit weltlichen Gütern reichlich gesegnet, Sie aber nicht, und da Sie unter anderem deshalb fahren, weil ich etwas geschmuggelt habe, bestehe ich darauf, Ihnen Ihr Flugticket zu bezahlen.«
«Nein, Maisie.«»Doch, mein Lieber. Und jetzt seien Sie schön brav und tun Sie, was ich Ihnen sage.«
Sicher war sie eine gute Krankenschwester gewesen, dachte ich. Schön brav die Medizin schlucken, mein Lieber. Es fiel mir nicht leicht, ihr Angebot anzunehmen, aber auf der Bank hätte ich das nötige Geld wirklich nicht gehabt.
«Soll ich Sie dafür malen, Maisie, wenn ich zurückkomme?«
«Das fände ich sehr nett, mein Lieber.«
Ich hielt vor dem Haus in der Nähe von Heathrow, wo ich im Dachgeschoß wohnte und wo Maisie mich am Morgen abgeholt hatte.
«Wie halten Sie bloß diesen Lärm aus, mein Lieber?«sagte sie und zuckte zusammen, als ein riesiger Jet im Steilflug über uns hinwegzog.
«Ich denke an die günstige Miete.«
Sie lächelte, öffnete die Krokodilhandtasche und zog ihr Scheckbuch hervor. Der Betrag auf dem Scheck, den sie mir ausstellte, überstieg die Flugkosten bei weitem.
«Wenn es Ihnen peinlich ist«, entgegnete sie auf meine Einwendungen,»können Sie mir zurückgeben, was Sie übrig haben. «Ernst sah sie mich aus ihren graublauen Augen an.»Sie werden doch vorsichtig sein?«
«Ja, Maisie.«
«Es könnte nämlich sein, mein Lieber, daß Sie da ein paar wirklich üblen Leuten in die Quere geraten.«
Fünf Tage später, gegen Mittag, landete ich auf dem Flughafen Mascot, nachdem ich von hoch oben schon einen Blick auf die berühmte Oper und die Hafenbrücke von Sydney hatte werfen können.
Hinter dem Zoll empfing mich Jik mit einem breiten Grinsen und einer Flasche Champagner.
«Hundsfott Todd«, sagte er.»Wer hätte das gedacht. «Seine Stimme drang mühelos durch den Lärm.»Jetzt wird auf den Putz gehauen!«
Begeistert schlug er mir die schwielige Hand auf den Rücken, denn er wußte nicht, wie stark er war. Jik Cassavetes, mein alter Freund, mein Alter ego in jeder Beziehung.
Bartträger im Gegensatz zu mir. Ausgelassen, laut, extravagant, unberechenbar — Eigenschaften, um die ich ihn beneidete. Blaue Augen und strohblondes Haar. Kräfte, die mir den Atem verschlugen. Unglaublicher Erfolg bei Frauen. Eine scharfe Zunge — und tief empfundene Verachtung für meine Malerei.
Wir hatten uns auf der Kunstschule kennengelernt und oft gemeinsam den Unterricht geschwänzt, um zur Rennbahn zu fahren. Jik fuhr zu jedem Rennen, aber nur, um zu wetten, nicht um die Pferde zu bewundern, und schon gar nicht, um sie zu malen. Pferdemaler gehörten für ihn in die untere Schublade. Ein ernsthafter Künstler wäre lieber tot, als daß er Pferde malt, meinte er oft.
Jiks vorwiegend abstrakte Gemälde waren die dunkle Kehrseite seines sonnigen Gemüts: Geburten der Schwermut, verzweifelte Abbilder des Hasses und des Schmutzes, die unsere schöne Welt zerstörten.
Mit Jik zu leben war wie eine Schlittenfahrt, schnell, gefährlich und aufregend. In den letzten beiden Jahren des Kunststudiums hatten wir eine Atelierwohnung geteilt und uns dauernd wegen irgendwelcher Frauen gegenseitig rausgeschmissen. Nur wegen seines ungewöhnlichen Talents war er nicht von der Schule geflogen, denn im Sommer hatte er oft wochenlang gefehlt, um seiner anderen Leidenschaft, dem Segeln, zu frönen.
In den Jahren danach war ich mehrmals mit ihm auf Törn gewesen. Wahrscheinlich hatte er uns einige Male näher mit dem Tod in Berührung gebracht als unbedingt nötig, aber
jedenfalls kamen wir vom Alltag weg. Er war ein toller Segler, schnell, stark, elegant und effizient, mit einem sicheren Gespür für Wind und Wellen. Es hatte mich traurig gestimmt, als er eines Tages den Entschluß faßte, die Welt zu umsegeln. Seine letzte Nacht an Land hatten wir wüst gefeiert, und noch an dem Tag, als er in See stach, kündigte ich meinem Grundstücksmakler.
Jetzt hatte Jik einen Wagen dabei — seinen eigenen, wie sich herausstellte. Es war ein dunkelblauer britischer MG, passend zu den beiden Seiten seiner Persönlichkeit, extrovertiert und introvertiert, extravagant, aber gedämpft in der Farbe.
«Gibt es hier viele davon?«fragte ich erstaunt, als ich Koffer und Malertasche im Kofferraum verstaute.»So weit vom Nest?«
Er grinste.»Einige. Sie sind aber nicht mehr so beliebt, weil sie hemmungslos Benzin schlucken. «Röhrend sprang der Motor an, gleichsam zur Bestätigung, und er schaltete die Scheibenwischer an, da ein Schauer einsetzte.»Willkommen im sonnigen Australien. Hier regnet es ununterbrochen. Manchester ist nichts dagegen.«
«Aber es gefällt dir?«
«Sehr, mein Freund. Sydney ist wie Rugby, hart, ruppig, aber wenn’s drauf ankommt, auch herzlich.«
«Und wie geht das Geschäft?«
«In Australien gibt es Maler zu Tausenden. Die Heimindustrie blüht. «Er warf mir einen schrägen Blick zu.»Verdammt viel Konkurrenz.«
«Ich bin nicht gekommen, um hier mein Glück zu machen.«
«Aber du hast einen bestimmten Grund«, sagte er.
«Hättest du Lust auf etwas Teamarbeit?«
«Meine Kräfte und dein Grips? Wie früher?«
«Das war Spielerei.«
Er zog die Brauen hoch.»Risiken?«
«Brandstiftung und Mord bis jetzt.«»Heiland.«
Der blaue Wagen schnurrte elegant zur Stadtmitte. Wolkenkratzer ragten empor wie Bohnenstangen.
«Ich wohne ganz drüben auf der anderen Seite«, sagte Jik.»Gott, hört sich das banal an. Nach Vorstadt. Was ist bloß aus mir geworden?«
«Ein durch und durch zufriedener Mensch«, meinte ich lächelnd.
«Ja. Gut. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich glücklich. Du wirst das bestimmt bald ändern.«
Der Wagen bog auf die Schnellstraße, peilte die Brücke an.
«Wenn du über deine rechte Schulter siehst«, sagte Jik,»erblickst du den Triumph der Phantasie über die Wirtschaft. Vergleichbar der Concorde. Es lebe der Irrsinn, das einzige auf Erden, das uns weiterbringt.«
Ich schaute hin. Erhaschte einen Blick auf die Oper, grau im Regen.
«Tagsüber ist sie tot«, sagte Jik.»Man muß sie nachts sehen. Fabelhaft.«
Der große Brückenbogen erhob sich vor uns, filigran wie stählerne Spitze.»Das ist der einzige flache Straßenabschnitt in Sydney«, sagte Jik. Drüben ging es wieder bergauf.
Links von uns, zuerst halb verdeckt von gewöhnlichen Hochhäusern, aber dann in seiner ganzen Pracht sichtbar, ragte ein leuchtend orangerotes Gebäude empor, dessen Fassade aus gleichförmigen Reihen großer, bronzefarbener Fensterquadrate mit abgerundeten Ecken bestand.
Jik grinste.»Design des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Mut und Phantasie. Ich liebe dieses Land.«
«Wo ist dein angeborener Pessimismus geblieben?«
«Bei Sonnenuntergang glänzen die Fenster wie Gold. «Wir ließen das schimmernde Ungetüm hinter uns.»Das ist die Wasserversorgung«, sagte Jik und schnitt ein Gesicht.»Der Boß hat sein Boot neben meinem liegen.«
Die Straße ging bergauf, bergab durchs Zentrum und dann durch dichte Reihen einstöckiger Häuser, deren Dächer aus der Luft wie ein roter Flickenteppich ausgesehen hatten.
«Einen Haken gibt’s«, sagte Jik.»Ich habe vor drei Wochen geheiratet.«
Der Haken lebte mit ihm auf seinem Zweimaster, in einer wahren Bootskolonie vor einer Landzunge, die er den Spieß nannte — und wo man die Übel der Welt zumindest vorübergehend wirklich vergessen konnte.
Sie war weder häßlich noch hübsch. Ovales Gesicht, mittelbraunes Haar, leidliche Figur und praktische Kleidung. Weder den Stil noch die lebhafte Spontaneität von Regina. Ich sah mich kritisch von einem Paar glänzend brauner Augen gemustert, die Willenskraft und Klugheit verrieten.
«Sarah«, sagte Jik.»Todd. Todd, Sarah.«
Wir sagten:»Tag «und:»Guten Flug gehabt?«und:»Ja. «Meinem Eindruck nach wäre es ihr lieber gewesen, ich wäre zu Hause geblieben.
Jiks Zehnmeter-Ketsch, die in England als eine Kreuzung zwischen Atelier und Lagerhaus für Schiffsausrüstung losgesegelt war, hatte jetzt Gardinen, Kissen und eine blühende Grünpflanze. Als Jik den Champagner aufmachte, goß er ihn in blitzende Kelchgläser statt in Plastikbecher.
«Bei Gott«, sagte er.»Es ist schön, dich zu sehen.«
Sarah trank höflich, aber mit eher gemischten Gefühlen, auf meinen Besuch. Ich entschuldigte mich dafür, daß ich in die Flitterwochen hineingeplatzt war.
«Geschenkt«, sagte Jik und meinte es offensichtlich auch so.»Zuviel Wonne im Haus hält keiner aus.«
«Es kommt darauf an«, meinte Sarah mit unbeteiligter Stimme,»ob man Liebe oder Einsamkeit als Antrieb braucht.«
Bei Jik war es stets die Einsamkeit gewesen. Ich war neugierig, was er in letzter Zeit gemalt hatte, aber in der gemütlich hergerichteten Kajüte war noch nicht einmal ein Pinsel zu sehen.
«Ich bin im siebten Himmel«, sagte Jik.»Ich könnte den Everest erstürmen und auf dem Gipfel einen doppelten Salto machen.«
«Die Kombüse reicht«, sagte Sarah,»falls du daran gedacht hast, die Krebse zu kaufen.«
Als wir zusammenwohnten, war Jik der Koch gewesen, und daran schien sich nichts geändert zu haben. Er, nicht Sarah, brach schnell und gekonnt die Krebse aus, gab Käse und Senf darüber und schob sie in den Backofen. Er wusch den frischen Salat und stellte knuspriges Brot und Butter bereit. Wir schlemmten am Kajütentisch, während der Regen auf das Dach und gegen die Bullaugen prasselte und die Wellen im auffrischenden Wind gegen die Seiten schlugen. Beim Kaffee erzählte ich auf Jiks Drängen, weshalb ich nach Australien gekommen war.
Sie hörten mir schweigend und konzentriert zu. Dann schimpfte Jik, der wie eh und je mit der Linken sympathisierte, leise über» die Bullen«, und Sarah sah aus, als befürchte sie Schlimmes.
«Keine Sorge«, beschwichtigte ich sie.»Jetzt, wo ich weiß, daß Jik verheiratet ist, werde ich nicht um Hilfe bitten.«
«Brauchst du auch nicht. Du hast sie schon«, platzte er heraus.
Ich schüttelte den Kopf.»Nein.«
«Wie willst du das denn angehen?«fragte Sarah.
«Zuerst mal will ich feststellen, wo die beiden Munnings’ herkamen.«
«Und dann?«
«Wenn ich wüßte, wonach ich suche, brauchte ich nicht erst zu suchen.«
«Das ist nicht gesagt«, meinte sie abwesend.
«Melbourne«, warf Jik plötzlich ein.»Eins von den Bildern kam doch aus Melbourne, hast du gesagt. Damit ist die Sache geritzt. Natürlich helfen wir dir. Wir fahren gleich hin. Das kommt doch wie gerufen. Weißt du, was am Dienstag ist?«
«Erzähl«, sagte ich.
«Der Melbourne Cup!«
Es klang triumphierend. Sarah starrte mich düster über den Tisch hinweg an.
«Ich wünschte, du wärst nicht gekommen«, sagte sie.