Kapitel 16

Von Engeln in Seegrün betreut, flogen wir mit der Air New Zealand nach Melbourne. Sarah sah frisch aus, Jik etwas angeschlagen, und ich laut Jik wie ein Gemisch aus Ockergelb, Paynesgrau und Weiß, was ich ihm aber nicht abnahm.

Amtliche Fernschreiben hatten uns den Weg geebnet. Kaum waren wir vom Townhouse, wo die Tragetüten mit Sarahs Siebensachen warteten, zum Flughafen gekommen, wurden wir in einen reservierten Raum geführt und mit starken Getränken abgefüllt, bis uns ein Wagen direkt zur Maschine brachte.

Nach tausend Meilen Flug übers Tasmanische Meer und einem gepflegten Nachmittagstee wurden wir vom Ausstieg direkt zu einem kleinen Dienstraum befördert, wo uns leider keine scharfen Getränke, sondern lediglich ein großer, sperriger Beamter der australischen Kripo erwartete.

«Porter«, stellte er sich vor und quetschte uns die Knochen mit dem Händedruck eines Hufschmieds.»Wer von Ihnen ist Charles Todd?«

«Ich.«

«Okay, Mr. Todd. «Er sah mich ohne Wohlwollen an.»Fehlt Ihnen was?«Seine kräftige, knarrende Stimme und seine ruppige Art waren dazu angetan, die Bösen ins Schwitzen zu bringen und die Nervösen an den Rand des Zusammenbruchs. Mir hatte er, wie ich bald merkte, immerhin die Rolle eines ihm vorübergehend unterstellten Mitarbeiters zugedacht.

«Nein«, sagte ich leise seufzend. Flugpläne warten auf niemand. Wenn ich mich verarzten ließ, verpaßten wir vielleicht den einzig möglichen Flug.

«Ihm kleben die Kleider am Leib«, bemerkte Jik in einem Ton, als wollte er nur sagen, mir sei heiß. Es war kühl in Melbourne. Porter sah ihn unsicher an.

Ich grinste.»Haben Sie nach Plan verfahren können?«fragte ich.

Er tat Jik als Spinner ab und wandte sich wieder mir zu.

«Es wurde beschlossen, zu warten, bis Sie da sind«, sagte er achselzuckend.»Draußen steht ein Wagen bereit. «Er fegte zur Tür hinaus, ohne sie für Sarah offenzuhalten, und marschierte gleich weiter.

Der Wagen hatte einen Fahrer. Porter setzte sich zu ihm nach vorn und gab in geschraubten, vorsichtigen Worten über Funk durch, daß die fragliche Person eingetroffen sei und der Einsatz wie geplant anlaufen könne.

«Wohin fahren wir?«fragte Sarah.

«Dahin, wo deine Kleider sind«, sagte ich.

Ihr Gesicht hellte sich auf.»Wirklich?«

«Und wozu?«fragte Jik.

«Um die Maus zum Käse zu bringen. «Und den Stier zum Degen, dachte ich. Die Stunde der Wahrheit für den Zauberer.

«Ihre Sachen haben wir wieder, Todd«, sagte Porter mit Genugtuung.»Wexford, Greene und Snell wurden bei der Landung gefilzt, und man hat alles bei ihnen gefunden. Die Schlösser an Ihrem Koffer waren verbeult und verkratzt, aber nicht aufgebrochen. Müßte noch alles drin sein. Können Sie sich dann morgen abholen.«

«Wunderbar«, sagte ich.»Hatten sie auch noch was von der Kundenliste?«

«Ja. Naß geworden, aber lesbar. Namen von Leuten in Kanada.«

«Gut.«

«Im Moment durchsuchen wir gerade diese Yarra-Galerie, und Wexford hilft uns dabei. Wir haben ihn hören lassen, was er hören sollte, und sobald ich grünes Licht gebe, kann er seinen Zug machen.«

«Ob er’s denn auch tut?«

«Würden Sie das nicht, guter Mann?«

Ich dachte bei mir, daß ich mich vor Danaergeschenken eher gehütet hätte, aber andererseits war ich nicht Wexford, und mir drohte keine Gefängnisstrafe.

Wir hielten am Seiteneingang des Hilton. Porter war mit einem Satz auf dem Gehsteig, stand da wie ein Baum und beobachtete mit schlecht verhohlener Ungeduld, wie Jik, Sarah und ich im Schneckentempo ausstiegen. Wir gingen durch die vertraute feudale Halle mit ihrem Rot und Blau, dann durch die Rezeption nach hinten in das Büro des Managers.

Ein langer, dunkel gekleideter Hotelangestellter bat uns, Platz zu nehmen, und lud uns zu Kaffee und Sandwiches ein. Porter sah auf seine Armbanduhr und lud uns ein, unbestimmte Zeit zu warten.

Es war sechs Uhr. Nach zehn Minuten brachte ein Mann mit Hemd und Krawatte ein Funksprechgerät für Porter, der den Ohrknopf ansteckte und körperlosen Stimmen zu lauschen begann.

Das Büro hatte Neonlicht und war funktionell eingerichtet, die Wände tapeziert mit Schautafeln und Dienstplänen. Da es keine Fenster gab, sahen wir nicht, wie es draußen dunkel wurde.

Wir tranken Kaffee und warteten. Porter aß drei Sandwiches auf einmal. Die Zeit verging.

Sieben Uhr.

Sarah sah in dem künstlichen Licht blaß und müde aus. Jik, den Bart auf der Brust, ebenso. Ich dachte über Leben und Tod und gepunktete Fliegen nach.

Um elf Minuten nach sieben drückte Porter die Hand aufs Ohr und blickte konzentriert zur Decke. Als er sich dann wieder entspannte, ließ er uns an der elektrisierenden Nachricht teilhaben.

«Wexford hat genau das getan, was wir erwartet haben, und jetzt läuft die Maschinerie.«

«Welche Maschinerie?«fragte Sarah.

Porter sah durch sie hindurch.»Alles läuft, wie wir es geplant haben«, erklärte er.

«Ach so.«

Er lauschte wieder seinem Funkgerät und wandte sich direkt an mich.»Er hat angebissen.«

«Ist der dumm«, sagte ich.

Porters Gesichtsausdruck kam einem Lächeln nahe.»Alle Gauner sind Dummköpfe, so oder so.«

Es wurde halb acht. Fragend sah ich Porter an. Er schüttelte den Kopf.

«Wir dürfen über Funk nicht zuviel sagen«, meinte er,»weil man nie weiß, wer mithört.«

Genau wie in England, dachte ich. Die Presse konnte vor der Polizei am Schauplatz eines Verbrechens sein, und die Maus konnte von der Falle hören, bevor sie zuschnappte.

Wir warteten. Das Warten zog sich hin. Jik gähnte, und Sarah hatte dunkle Augenringe. Draußen ging das rege, feudale Hotelleben ungestört seinen Gang, freuten sich die angeregt plaudernden Gäste auf den bevorstehenden Renntag, den letzten der Woche.

Das Derby am Samstag, der Cup am Dienstag, das Oaks (ohne uns) am Donnerstag und das International wieder am Samstag. Vorher fuhr kein ernsthafter Freund der Rennbahn nach Hause, wenn es sich vermeiden ließ.

Porter hielt wieder sein Ohr zu und straffte sich.

«Er ist da«, sagte er.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund begann mein Herz im Akkord zu schlagen. Wir waren völlig außer Gefahr, und doch hämmerte es wie eine Dampforgel.

Porter nahm den Ohrknopf ab, stellte das Gerät auf den Schreibtisch und ging hinaus ins Foyer.

«Was tun wir jetzt?«fragte Sarah.

«Wir hören erst mal zu.«

Alle drei gingen wir zur Tür hinüber und hielten sie einen Spaltbreit offen. Wir hörten Leute nach ihren Zimmerschlüsseln fragen, nach Briefen und Nachrichten, nach Mr. und Mrs. Soundso, wie man nach Toorak kam und wie am besten zu Fanny’s.

Dann fuhr mir plötzlich ein Kribbeln in die Fingerspitzen: die Stimme, die ich kannte. Selbstbewußt, nichts Böses ahnend.»Ich möchte ein Paket abholen, das ein Mr. Charles Todd hier am Dienstag zurückgelassen hat. Es soll in der Gepäckaufbewahrung sein. Daß Sie es mir aushändigen dürfen, geht aus diesem Brief von ihm hervor.«

Papier raschelte, als der Brief überreicht wurde. Sarahs Augen waren rund und verblüfft.

«Hast du das geschrieben?«fragte sie leise.

Ich schüttelte den Kopf.»Nein.«

Draußen sagte der Portier:»Danke, Sir, wenn Sie einen Augenblick warten, hole ich Ihnen das Paket.«

Danach war Ebbe. Mein Herz machte viel Krach, aber sonst geschah wenig.

Der Portier kam zurück.»Bitte sehr, Sir. Es sind Gemälde.«

«Ganz recht.«

Man hörte, wie die Leinwände und die Grafikmappe nach vorn getragen wurden.

«Ich bringe sie Ihnen, Sir«, sagte der Portier, plötzlich näher bei uns.»Bitte sehr. «Er ging am Büro vorbei und durch die Schwingtür am Empfang nach vorn.»Schaffen Sie das allein, Sir?«

«Jaja. Vielen Dank. «Jetzt, wo er die Beute in den Händen hielt, hatte er es offenbar eilig.»Danke. Auf Wiedersehen.«

Sarah hatte ein enttäuschtes» Das war alles?«auf den Lippen, als Porters laute Stimme wie eine Axt in den Hilton-Plüschsamt krachte.

«Die Bilder übernehmen wir mal, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte er.»Porter, Stadtpolizei Melbourne.«

Ich öffnete die Tür etwas weiter und sah hinaus. Porter stand breitbeinig in der Halle, groß und kantig, die Hand fordernd ausgestreckt.

Neben ihm zwei Beamte in Zivil. Am Haupteingang zwei in Uniform. Wahrscheinlich waren auch die anderen Ausgänge bewacht. Sie gingen kein Risiko ein.

«Aber Inspektor… ich bin doch nur im Auftrag hier, ehm… für meinen jungen Freund Charles Todd.«

«Und die Gemälde?«

«Fragen Sie mich nicht. Er hat mich nur gebeten, sie für ihn abzuholen.«

Leise trat ich aus dem Büro und ging durch die Schwingtür nach vorn. Ich lehnte mich etwas flatterig gegen die Theke. Er stand keine zwei Meter entfernt, rechts vor mir. Ein Schritt, und ich hätte ihn berühren können. Hoffentlich fand Porter das für seine Zwecke nah genug.

Ein gewisses Unbehagen hatte sich unter den Gästen des Hilton breitgemacht. Sie standen mehr oder minder im Halbkreis und beobachteten das Geschehen aus den Augenwinkeln.

«Mr. Charles Todd hat Sie gebeten, diese Bilder abzuholen?«fragte Porter laut.

«So ist es.«

Plötzlich blickte Porter zu mir.

«Stimmt das?«

«Nein«, sagte ich.

Die Wirkung war so durchschlagend, wie es sich die Polizei von Melbourne nur wünschen konnte, und weitaus stärker, als ich erwartet hatte. Es gab keine höfliche, diskrete Gegenüberstellung mit anschließender höflicher, diskreter Festnahme. Ich hätte an meine Theorie von der Brutalität des Kopfs der Bande denken sollen.

Jetzt blickte ich dem Stier direkt in die Augen. Er begriff, daß er überlistet worden war. Daß er sich durch sein

Erscheinen und durch die dafür gelieferte Begründung verraten hatte. Die Wut schoß wie ein Geiser in ihm hoch, und er sprang mir an die Gurgel.

«Du bist tot!« schrie er. »Du bist tot, du Arsch!«

Durch die Wucht seines Angriffs verlor ich die Balance und schlug mit dem Knie auf, während er mich im Würgegriff hielt, und seine zweihundert Pfund mich halb erdrückten, da es mir nicht gelang, ihn mit den Fäusten abzuwehren. Sein Zorn ergoß sich wie Lava über mich. Weiß der Himmel, was er vorhatte, aber Porters Männer rissen ihn zurück, ehe es zum Schlimmsten kam. Als ich mich hochrappelte, hörte ich die Handschellen klicken.

Er stand dicht vor mir, zitternd, als wäre er kaum zu halten, schwer atmend, zerzaust, mit bitterem Blick. Alles Kultivierte weggefegt in einem Moment unbezähmbarer Wut. Der gewalttätige Kern lag blank.

«Tag, Hudson«, sagte ich.

«Tut mir leid«, meinte Porter obenhin.»Hätte nicht gedacht, daß er wild wird.«

«Daß er es so ausläßt«, korrigierte ich.

«Bitte?«

«Er war immer wild, nur nicht nach außen.«

«Wenn Sie es sagen. Ich sehe den Mann heute zum ersten Mal. «Er nickte Jik, Sarah und mir zu, bevor er seinem entschwindenden Gefangenen nacheilte.

Wir sahen uns ein wenig ratlos an. Die zuerst noch neugierigen Hotelgäste entfernten sich langsam. Matt ließen wir uns auf das nächste blaue Samtsofa sinken, Sarah in der Mitte.

Jik nahm ihre Hand und drückte sie. Sie legte ihre Hand auf meine.

Neun Tage hatte es gedauert.

Ein weiter Weg lag hinter uns.

«Ich weiß nicht, wie es mit euch ist«, sagte Jik,»aber ich könnte ein Bier vertragen.«

«Todd«, sagte Sarah,»erzähle.«

Wir waren oben in meinem Zimmer, sie beide in friedlicher Stimmung, ich in Jiks Morgenmantel, er und ich eingehüllt in eine aseptische Wolke.

Ich gähnte.»Von Hudson?«

«Was sonst? Und schlaf nicht ein, bevor wir ganz im Bilde sind.«

«Tja… ich habe nach ihm — oder jemand wie ihm — gesucht, bevor ich ihn überhaupt kannte.«

«Und wieso?«

«Wegen des Weins«, sagte ich.»Weil Donalds Weinkeller ausgeräumt worden war. Der Weindieb wußte nicht nur, daß der Wein dort im Basement war, hinter einer unauffälligen Tür, die nach Besenkammer aussieht — ich war schon öfter im Haus und hatte keine Ahnung von dem Keller —, sondern muß laut Donald auch mit entsprechend vielen Kisten angerückt sein. Weinkisten fassen gewöhnlich zwölf Flaschen… und Donald wurden mindestens zweitausend Flaschen gestohlen. Die wollen erst mal bewegt sein. Das dauert, und Zeit ist für Einbrecher immer ein Risiko. Außerdem waren es besondere Weine. Ein kleines Vermögen wert, sagte Donald. Weine, die als Kapitalanlage gehandelt werden und die, falls sie überhaupt jemand trinkt, schließlich einen Wochenlohn pro Flasche kosten. Jedenfalls mußte der Wein fachmännisch behandelt und gehandelt werden… und da Donald Weinhändler ist und Wein ihn auch nach Australien geführt hat, habe ich von Anfang an nach jemand gesucht, der Donald kennt, weiß, daß er einen Munnings gekauft hat, und etwas von gutem Wein und Weinhandel versteht. Prompt stieß ich auf Hudson Taylor, auf den das alles zutraf. Aber es schien zu simpel… weil der äußere Eindruck dagegen sprach.«»Elegant und freundlich«, nickte Sarah.

«Und reich«, ergänzte Jik.

«Geldoman wahrscheinlich«, sagte ich, schlug die Bettdecke zurück und betrachtete sehnsüchtig die kühlen, weißen Laken.

«Bitte?«

«Geldoman. Das Wort habe ich mir gerade ausgedacht für Leute, die hemmungslos hinter Knete her sind.«

«Von denen wimmelt es«, lachte Jik.

Ich schüttelte den Kopf.»Trinken tut jeder, aber bei Alkoholikern ist es eine Sucht. Geldomanen sind süchtig. Sie kriegen einfach nie genug. Wieviel sie auch haben, sie wollen immer mehr. Und ich rede hier nicht von uns Normalverbrauchern, sondern von wirklich Verrückten. Geld, Geld, Geld. Wie eine Droge. Geldomanen tun dafür alles… Entführung, Mord, Banken und Datenbanken ausrauben, ihre Großmutter verkaufen… ganz egal.«

Ich saß mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett und fühlte mich alles andere als fit. Zu viele blaue Flecke, die schmerzten, zu viele Schnittwunden, die brannten. Sicher auch bei Jik. Die Steine hatten es in sich gehabt.

«Geldomanie«, dozierte Jik wie vor einer müden Studentenschaft,»ist eine weitverbreitete Krankheit mit einem Syndrom, das jeder kennt, der schon mal einen Anflug von Habgier verspürt hat, also wirklich jeder.«

«Mach weiter mit Hudson«, sagte Sarah.

«Hudson hatte das nötige Organisationstalent… Als ich herkam, wußte ich zwar nicht, daß die Organisation so groß war, aber daß Organisation dahintersteckte, wußte ich. Das Ding lief international. So was geht nicht mit links. Da gehört schon allerhand dazu.«

Jik riß eine Dose Bier auf und verzog das Gesicht vor Schmerz, als er sie mir herüberreichte.

«Aber er überzeugte mich, daß ich bei ihm falsch lag«, sagte ich und trank einen Schluck.»Weil er so vorsichtig war. Er hat getan, als müßte er den Namen der Galerie, wo Donald sein Bild gekauft hat, erst nachschauen. Wobei er mich gar nicht als Bedrohung ansah, sondern eben nur als Donalds Cousin. Bis er dann mit Wexford sprach.«

«Auf der Rennbahn«, sagte Sarah.»Du meintest, jetzt sei alles zu spät.«

«Mhm… weil ich dachte, jetzt hat er Wexford erzählt, daß ich Donalds Cousin bin, aber umgekehrt hat Wexford ihm da natürlich auch erzählt, daß ich Greene bei Maisies abgebranntem Haus in Sussex gesehen und mir in seiner Galerie dann das Original von Maisies verbranntem Bild angeschaut hatte.«

«Allmächtiger«, sagte Jik.»Kein Wunder, daß wir nach Alice Springs verduftet sind.«

«Ja, aber da hatte ich Hudson eigentlich nicht in Verdacht. Ich war hinter einem brutalen Kerl her, der Leute hat, die für ihn Gewalt gebrauchen. Hudson hatte nichts Brutales an sich. «Ich schwieg.»Nur einmal bekam der Lack einen ganz kleinen Riß, und zwar, als beim Pferderennen seine Wette platzte. Da hat er sein Fernglas so fest gepackt, daß die Knöchel weiß hervortraten. Aber man hält ja nicht gleich jemand für einen Schwerverbrecher, bloß weil er sich über eine verlorene Wette aufregt.«

Jik grinste.»Sonst wäre ich auch verdächtig.«

«Doppelt und dreifach«, sagte Sarah.

«Im Krankenhaus in Alice Springs habe ich darüber nachgedacht… In der kurzen Zeit zwischen dem Kauf von Renbos Bild in der Galerie und meinem Flug vom Balkon konnten die Schläger nicht von Melbourne nach Alice gekommen sein, sehr wohl aber von Adelaide aus, und in Adelaide saß Hudson… aber das schien mir viel zu dünn.«

«Sie könnten auch schon vorher in Alice gewesen sein«, gab Jik zu bedenken.

«Könnten sie, aber wozu?«Ich gähnte.»Dann habt ihr mir am Abend nach dem Cup erzählt, Hudson hätte sich ausdrücklich nach mir erkundigt… und ich habe mich gefragt, woher er euch kennt.«

«Das hat mich auch gewundert«, fiel Sarah ein,»aber was war schon dabei? So wie wir ihn von der Tribüne aus gesehen hatten, konnte er uns ja irgendwo mit dir gesehen haben.«

«Der Junge kannte euch«, sagte ich.»Und er war auf der Rennbahn, denn er ist euch mit Greene zum Hilton gefolgt. Der Junge wird Greene auf euch hingewiesen haben.«

«Und der wiederum Wexford, und Wexford Hudson?«fragte Jik.

«Sehr wahrscheinlich.«

«Und da wußten sie inzwischen«, sagte er,»daß sie dir dringend den Mund stopfen mußten und daß sie schon mal eine Gelegenheit dazu gehabt hatten, ohne sie zu nutzen… Ich wäre zu gern dabeigewesen, als sie in der Galerie unseren Einbruch entdeckt haben. «Er lachte leise und hob die Bierdose an, um die letzten Tropfen aufzufangen.

«Am Morgen danach«, sagte ich,»wurde ein Brief von Hudson im Hilton abgegeben. Woher wußte er, daß wir dort wohnen?«

Sie starrten mich an.»Wahrscheinlich von Greene«, sagte Jik.»Von uns bestimmt nicht. Wir haben es keinem erzählt. Da waren wir vorsichtig.«

«Ich auch«, sagte ich.»Der Brief war eine Einladung zur Weinbergbesichtigung. Nun… hätte ich nicht so an ihm gezweifelt, wäre ich vielleicht darauf eingegangen. Er war ein Bekannter von Donald… und Weingüter sind schon interessant. Von seinem Standpunkt aus lohnte es sich jedenfalls, das zu versuchen.«

«Heiland!«

«Als wir am Abend nach dem Cup in dem Motel hinter Box Hill waren, habe ich die Polizei in England angerufen und mit dem Mann gesprochen, der Donalds Fall bearbeitet, einem Inspektor Frost. Ich bat ihn, Donald ein paar Fragen zu stellen… und heute morgen, außerhalb von Wellington, habe ich die Antworten bekommen.«

«Heute morgen scheint einige Lichtjahre weit weg zu sein«, meinte Sarah.

«Mhm…«

«Was für Fragen und was für Antworten?«wollte Jik wissen.

«Gefragt hatte ich, ob Donald Hudson von dem Wein in seinem Keller erzählt habe, ob er auch Wexford von dem Wein im Keller erzählt habe und ob der Vorschlag, sie sollten sich den Munnings im Arts Centre ansehen, von Hudson gekommen sei. Und die Antworten waren: >Ja, natürliche, >Nein, wie käme ich dazu?< und >Ja<.«

Schweigend dachten sie darüber nach. Jik ging an den Kühlschrank und holte noch eine Dose Foster’s aus dem Getränkefach.

«Und dann?«fragte Sarah.

«Der Polizei Melbourne genügte das nicht als Beweis, aber wenn sich Hudson einwandfrei mit der Galerie in Verbindung bringen ließ, war der Fall klar. Also haben sie Hudson die Bilder und die anderen Sachen, die wir aus der Galerie gestohlen hatten, unter die Nase gehalten, und schon kam er, um sie abzuholen.«

«Wie denn unter die Nase gehalten?«

«Sie ließen Wexford wie zufällig Bruchstücke aus einem fingierten Bericht hören, in dem es um nicht abgeholtes Gepäck in verschiedenen Hotels ging, darunter auch die Bilder im Hilton. Nachdem wir dann hier angekommen waren, gaben sie ihm Gelegenheit, >ungestört< zu telefonieren, und er rief Hudson unter der Adresse an, die er während der Rennwoche immer bewohnt, und gab ihm Bescheid. Prompt stellte sich Hudson eine Vollmacht von mir aus und kam angedüst, um das belastende Material zu entfernen.«»So ein Irrsinn.«

«Dumm. Aber er dachte ja, ich sei tot… und er ahnte nicht, daß er unter Verdacht stand. Normalerweise hätte er sich sagen müssen, daß die Polizei Wexfords Anruf mithört… aber wie ich von Frost weiß, war alles so eingerichtet, daß Wexford annahm, er spreche von einer normalen Telefonzelle aus.«

«Hinterhältig«, meinte Sarah.

Ich gähnte.»Heimtücker fängt man mit Heimtücke.«

«Bei Hudson hätte ich überhaupt nicht gedacht, daß er derart ausrasten kann«, sagte sie.»Er sah so… so gefährlich aus. «Sie fröstelte.»Man sollte nicht meinen, daß jemand eine so beängstigende Gewalttätigkeit unter äußerer Freundlichkeit verbergen kann.«

«Der nette Ire von nebenan«, sagte Jik im Aufstehen,»kann eine Bombe legen, die Kindern die Beine abreißt.«

Er zog Sarah hoch.»Was glaubst du eigentlich, was ich male?«sagte er.»Blumensträuße?«Er sah auf mich herunter.»Pferde?«

Wir trennten uns am nächsten Morgen auf dem Flughafen von Melbourne, auf dem wir inzwischen schon recht heimisch waren.

«Komisch, jetzt so auseinanderzugehen«, meinte Sarah.

«Ich komme wieder«, sagte ich.

Sie nickten.

«Tja…«Wir sahen auf unsere Uhren.

Es war wie jeder Abschied. Viel zu sagen gab es nicht.

Ich sah in ihren Augen, und sie in den meinen sicher auch, daß die vergangenen zehn Tage bald zur wehmütigen Erinnerung verblassen würden. Ein Streich aus unserer verrückten Jugend. Weit entfernt.

«Würdest du das Ganze noch mal machen?«fragte Jik.

Ich mußte ohne rechten Zusammenhang an Luftwaffenpiloten denken, die vierzig Jahre nach dem Krieg

Rückschau hielten. Waren ihre Erfolge das Blut, den Schweiß, die Lebensgefahr, unter denen sie errungen wurden, wert gewesen? War da ein bitterer Nachgeschmack?

Ich lächelte. In den nächsten vierzig Jahren war alles möglich. Was die Zukunft aus der Vergangenheit machte, war ihr Problem. Was wir aus dem Heute machten, nur darauf kam es an.

«Ich denke schon«, sagte ich.

Ich beugte mich vor und küßte Sarah, die Frau meines ältesten Freundes.

«He«, sagte er,»such dir selber eine.«

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