Kapitel 2

Frost, der Unermüdliche mit den wachen Augen, der sich alle Wege offenhielt, erschien am Sonntagmorgen wieder. Ich öffnete ihm auf sein Klingelzeichen, und er kam mit mir in die Küche, wo Donald und ich uns die ganze Zeit aufhielten. Er setzte sich auf den Hocker, den ich ihm anbot, und drückte vorsorglich das Kreuz durch.

«Zwei Informationen, Sir, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte«, sagte er in seinem förmlichsten Ton zu Donald.»Erstens, trotz der gewissenhaften Spurensicherung gestern und vorgestern abend hier im Haus haben wir keine fremden Fingerabdrücke finden können.«

«Hätten Sie die erwartet?«fragte ich.

Er warf mir einen Blick zu.»Nein, Sir. Professionelle Einbrecher tragen stets Handschuhe.«

Donald wartete mit bleichem Gesicht und Duldermiene, als wäre alles, was Frost zu sagen hatte, belanglos. Ich wußte nicht, ob für ihn überhaupt noch etwas von Bedeutung war.

«Zweitens«, sagte Frost,»haben unsere Ermittlungen in der Nachbarschaft ergeben, daß am frühen Freitagnachmittag ein Möbelwagen vor Ihrer Haustür geparkt hat.«

Donald sah ihn verständnislos an.

«Dunkel und staubig, Sir.«

«Hm«, machte Donald nur.

Frost seufzte.»Was wissen Sie über eine Bronzefigur, die ein Pferd darstellt, Sir? Ein steigendes Pferd?«

«Die steht in der Diele«, sagte Donald automatisch, und dann, mit einem leichten Stirnrunzeln:»Da stand sie, meine ich. Sie ist weg.«

«Woher wissen Sie davon?«fragte ich Frost neugierig und erriet die Antwort, bevor ich zu Ende gesprochen hatte.»O nein…«Ich unterbrach mich und schluckte.»Ich meine, ist sie vielleicht aus dem Möbelwagen gefallen?«

«Nein, Sir. «Sein Blick war ruhig.»Wir haben sie im Wohnzimmer gefunden, bei Mrs. Stuart.«

Donald wußte ebensogut Bescheid wie ich. Er stand unvermittelt auf, trat ans Fenster und schaute eine Zeitlang auf den verlassenen Garten.

«Die Figur ist schwer«, sagte er schließlich.»Besonders der Sockel.«

«Ja, Sir.«

«Es muß… schnell gegangen sein.«

«Ja, Sir«, sagte Frost noch einmal, eher sachlich als tröstend.

«A-arme Regina. «Leise Worte, erfüllt von ungeheurer Verzweiflung. Als er wieder zum Tisch kam, zitterten seine Hände. Er ließ sich auf seinen Platz fallen und starrte ins Leere.

Frost wies vorsichtig darauf hin, daß das Wohnzimmer noch ein paar Tage versiegelt bleiben werde und wir beide es nach Möglichkeit nicht betreten sollten.

Wir wollten gar nicht hinein.

Davon abgesehen seien die Ermittlungen im Haus abgeschlossen und Mr. Stuart stehe es frei, die anderen Zimmer, wo jede blanke Fläche von der Spurensicherung grauweiß eingestäubt worden war, säubern zu lassen.

Mr. Stuart sah nicht so aus, als habe er etwas verstanden.

War Mr. Stuart mit der Liste der gestohlenen Sachen fertig?

Ich gab sie dem Inspektor. Sie enthielt nach wie vor nur das Tafelsilber und die Gemälde, an die ich mich hatte erinnern können. Frost zog die Brauen hoch und schürzte die Lippen.

«Etwas mehr brauchen wir schon, Sir.«

«Wir setzen uns heute noch mal dran«, versprach ich.»Es ist auch viel Wein verschwunden.«

«Wein?«

Ich zeigte ihm den leeren Keller, und er kam nachdenklich wieder mit nach oben.

«Es muß Stunden gedauert haben, das alles auszuräumen«, sagte ich.

«Anzunehmen, Sir«, meinte er knapp.

Mehr gab er von seinen Gedanken nicht preis. Statt dessen schlug er vor, Donald solle der hungrigen Reportermeute, die wieder draußen wartete, eine Erklärung vorlesen, damit sie ihre Story hätten und verschwinden würden.

«Nein«, sagte Donald.

«Nur eine kurze Erklärung«, sagte Frost überredend.»Wenn Sie wollen, setzen wir sie gleich auf.«

Er schrieb sie mehr oder weniger allein, und ich konnte mir denken, daß er die Presse nicht nur Donald zuliebe loswerden wollte, denn er selbst mußte sich jedesmal durch die Meute boxen. Er las uns die fertige Erklärung vor. Sie klang wie ein Polizeibericht, war aber gerade wegen ihrer Formelhaftigkeit so weit von Donalds nacktem Kummer entfernt, daß sich mein Cousin schließlich bereit fand, sie vorzutragen.

«Aber keine Fotos«, sagte er nervös, und Frost versprach, dafür zu sorgen.

Sie drängten sich in die Diele, ein Haufen nüchterner Tatsachenjäger, alles abgebrühte Spitzenleute ihrer Branche, die sich schon hundertmal ähnlich in menschliche Tragödien eingemischt hatten. Natürlich bedauerten sie den Mann der erschlagenen Frau, aber Fakten waren Fakten, und schlechte Neuigkeiten verkauften sich gut, und wenn sie keine Story lieferten, verloren sie ihren Job an weniger Zimperliche. Die brutalen Drückermethoden von einst hatte der Presserat zwar unterbunden, aber auch die erlaubten Mittel gingen manchmal noch weit über die Kräfte der Betroffenen.

Donald stand auf der Treppe, vor der Frost und ich uns aufgebaut hatten, und las mit ausdrucksloser Stimme, als wäre von jemand anderem die Rede.

«… Gegen siebzehn Uhr kam ich nach Hause und stellte fest, daß in meiner Abwesenheit eine beträchtliche Anzahl von

Wertstücken entwendet worden war… Ich verständigte sofort die Polizei… Meine Frau, die freitags normalerweise außer Haus war, muß unerwartet nach Hause gekommen sein und… so wird vermutet, die Einbrecher gestört haben.«

Er schwieg. Die Reporter schrieben pflichtbewußt die gestelzten Sätze auf und machten enttäuschte Gesichter. Ein offensichtlich vorab bestimmter Wortführer stellte in sanft überredendem, mitfühlendem Ton Fragen zur Sache.

«Können Sie uns sagen, welche dieser geschlossenen Türen in das Zimmer führt, wo Ihre Frau…«

Donalds Blick huschte unwillkürlich in Richtung Wohnzimmer. Alle Köpfe drehten sich, aller Augen musterten die nichtssagende weiße Tür, die Stifte schrieben,»Und was wurde denn im einzelnen gestohlen?«

«Silber. Gemälde.«

«Von wem waren die Gemälde?«

Donald schüttelte den Kopf und wurde noch blasser.

«Können Sie uns sagen, wieviel sie wert waren?«

Nach einer Pause sagte Donald:»Das weiß ich nicht.«

«Waren sie versichert?«

«Ja.«

«Wie viele Zimmer hat das Haus?«

«Bitte?«

«Wie viele Zimmer?«

Donald war verwirrt.»Fünf… glaube ich.«

«Könnten Sie uns vielleicht etwas über Ihre Frau erzählen? Wie sie war und was sie beruflich gemacht hat? Und könnten Sie uns ein Foto überlassen?«

Donald konnte nicht. Er schüttelte den Kopf, sagte:»Bedaure«, drehte sich um und ging festen Schrittes nach oben.

«Das war’s«, sagte Frost mit Entschiedenheit.

«Das ist aber nicht viel«, meckerten sie.

«Was wollen Sie denn? Blut vielleicht?«Frost öffnete die Haustür und komplimentierte sie hinaus.»Versetzen Sie sich mal in seine Lage.«

«Jaja«, meinten sie zynisch; aber sie gingen.

«Haben Sie die Blicke gesehen?«fragte ich.»Wie die hier alles verschlungen haben?«

Frost lächelte verhalten.»Sie werden lange Storys spinnen aus dem bißchen Garn.«

Aber der Pressetermin hatte weitgehend die gewünschte Wirkung. Die meisten Autos fuhren ab, und die anderen würden sicher nachziehen, sobald die nächste Neuigkeit zu ihnen drang.

«Warum wollten sie wissen, wie viele Zimmer hier sind?«fragte ich.

«Um den Wert des Hauses abzuschätzen.«

«Du lieber Gott.«

«Jeder wird zu einem anderen Ergebnis kommen. «Frost schien belustigt.»Das ist immer so. «Er sah in den ersten Stock hinauf, wo Donald verschwunden war, und fragte fast beiläufig:»Steckt Ihr Cousin in finanziellen Schwierigkeiten?«

Inzwischen kannte ich seine Überrumpelungstaktik.

«Das sollte mich wundern«, meinte ich gelassen.»Am besten fragen Sie ihn selbst.«

«Das werde ich tun, Sir. «Er sah mir prüfend ins Gesicht.»Was wissen Sie?«

«Nur, daß die Polizei zu Mißtrauen neigt«, sagte ich, ohne eine Miene zu verziehen.

Darauf ging er nicht ein.»Hat Mr. Stuart geschäftliche Sorgen?«

«Davon hat er nie etwas gesagt.«

«Zur Zeit gehen ja viele mittel ständische Unternehmen bankrott.«

«Ich habe davon gehört.«

«Weil zuwenig Geld hereinkommt«, ergänzte er.

«Ich kann Ihnen nicht helfen. Da müssen Sie sich die Firmenbücher ansehen.«

«Das werden wir tun, Sir.«

«Und sollte seine Firma pleite sein, dann folgt daraus noch lange nicht, daß Donald einen Einbruchsdiebstahl vortäuschen würde.«

«Er wäre nicht der erste«, meinte Frost trocken.

«Wenn er Geld brauchte, hätte er das Zeug doch einfach verkaufen können«, wandte ich ein.

«Eben. Vielleicht hat er einen Teil davon verkauft. Oder den größten Teil.«

Ich zog langsam die Luft ein und schwieg.

«Dieser Wein, Sir. Sie sagen selbst, daß es zeitaufwendig gewesen sein muß, den rauszuschaffen.«

«Die Firma ist eine GmbH«, sagte ich.»Ihr Bankrott würde weder Donalds Haus noch sein Privatvermögen berühren.«

«Sie wissen aber gut Bescheid, was?«

«Ich stehe im Leben«, sagte ich gelassen.

«Künstler gelten doch eigentlich als weltfremd.«

«Einige sind es.«

Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als überlegte er, wie auch ich in die Planung und Durchführung des Einbruchsdiebstahls verwickelt sein könnte.

«Mein Cousin Donald ist ein ehrenwerter Mann«, sagte ich ohne Nachdruck.

«Das Wort ist veraltet.«

«Es paßt noch auf ziemlich viele Leute.«

Er sah mich ganz und gar ungläubig an. In seinem Beruf, seinem Arbeitsalltag begegnete ihm immer nur Korruptheit.

Donald kam zögernd die Treppe herunter, und Frost entführte ihn sofort zur nächsten Exklusivbefragung in die Küche. Wenn er ihn so hart rannahm wie mich, dachte ich bei mir, dann war Don wirklich zu bedauern. Während sie sich unterhielten, wanderte ich ziellos im Haus umher, schaute in

Abstellkammern, öffnete Schränke, blickte sozusagen hinter die Kulissen im Leben meines Cousins.

Entweder er oder Regina hatte mit Leidenschaft leere Schachteln gesammelt. Ich fand sie ohne Zahl, in allen Formen und Größen, in jedes Fach, jeden Winkel gestopft: Pappkartons einfach oder bunt kaschiert, Pralineschachteln mit Schleifchen, alle zu hübsch oder zu praktisch, um weggeworfen zu werden. Die Einbrecher hatten viele zwar aufgemacht, die meisten aber ungeöffnet auf den Boden geschmissen. Ich konnte mir ihren Frust lebhaft vorstellen.

Die große Glasveranda, die nur wenige Antiquitäten und keine Gemälde enthielt, hatten sie links liegenlassen, und dort, zwischen ausladenden Topfpflanzen, setzte ich mich schließlich auf einen Bambusstuhl und schaute hinaus in den windbewegten Garten. Windböen fegten welkes Laub von den Bäumen, ein paar späte Rosen hielten sich hartnäckig an ihren dornigen Stengeln.

Ich haßte den Herbst. Zeit der Schwermut, Zeit des Todes. Meine Stimmung sank jedes Jahr, wenn die Blätter fielen, und erst im rappelkalten Winter lebte ich wieder auf. Laut Statistik gab es die meisten Selbstmorde im Frühling, zur Zeit des Neuanfangs, wo alles wächst und sich der Sonne entgegenreckt. Mir war das ein Rätsel. Sollte ich jemals von einer Brücke springen, dann sicher in der deprimierenden Zeit des Verfalls.

Die Veranda war grau und kalt. Keine Sonne an diesem Sonntag.

Ich holte meinen Koffer von oben. Im Laufe meines Wanderlebens hatte ich das traditionelle Reisegepäck des Malers auf den Kopf gestellt: Der Koffer enthielt jetzt mein Handwerkszeug, die Malertasche meine Kleider. Tatsächlich war der große, robuste Koffer, dessen Innenausstattung ich meinen Bedürfnissen angepaßt hatte, eine Art tragbares Atelier mit Pinseln, Farben, einer zusammenklappbaren Staffelei aus

Leichtmetall, unzerbrechlichen Behältern mit Leinöl und Terpentin sowie einem Gestell, in dem sich bis zu vier noch feuchte Gemälde transportieren ließen. Dazu kamen Abdeckfolie, eine Großpackung Papiertücher und reichlich Spiritus, um Schmutz zu vermeiden und alles möglichst sauberzuhalten. Der maßgeschneiderte Koffer hatte mir schon manche unnötigen Kosten erspart.

Ich stellte die Staffelei auf, bereitete meine Palette vor und legte auf einer mittelgroßen Leinwand die Grundzüge einer melancholischen Landschaft an, bestehend aus Donalds Garten, wie ich ihn sah, vor dem Hintergrund kahler Äcker und düsteren Waldes. Nicht meine gewohnte Malerei und offen gestanden auch nichts, was im nächsten Jahrhundert Schlagzeile machen würde, aber so hatte ich wenigstens etwas zu tun. Immer mehr frierend, arbeitete ich beharrlich, bis der noch kältere Inspektor Frost zu gehen geruhte; und er ging, ohne noch einmal mit mir zu sprechen, geradewegs zur Tür hinaus, die hinter ihm ins Schloß fiel.

Donald saß vollkommen erledigt in der Küche, die Arme auf dem Tisch verschränkt und den Kopf auf die Arme gelegt, ein Bild tiefster Verzweiflung. Als er mich hereinkommen hörte und langsam aufblickte, war sein Gesicht merklich gealtert und voll tiefer Falten.

«Weißt du, was er denkt?«fragte er.

«Mehr oder weniger.«

Er schaute mich finster an.»Ich konnte ihn nicht überzeugen. Er bohrt und bohrt. Immer wieder stellt er dieselben Fragen. Warum glaubt er mir nicht?«

«Die Polizei wird oft angelogen. Das fördert wohl eine gewisse Skepsis.«

«Morgen sind wir in meiner Firma verabredet. Er sagt, er bringt ein paar Kollegen mit. Die sollen sich die Bücher ansehen.«

Ich nickte.»Du kannst froh sein, daß er dich nicht heute schon hingeschleift hat.«

«Wahrscheinlich.«

«Entschuldige, Don«, sagte ich verlegen.»Ich habe ihm erzählt, daß der Wein weg ist. Das hat ihn mißtrauisch gemacht… Ich bin schuld, daß er dich so getriezt hat.«

Er schüttelte müde den Kopf.»Ich hätte es ihm auch gesagt. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, ihm das zu verschweigen.«

«Aber… ich habe ihn auch noch darauf aufmerksam gemacht, daß es lange gedauert haben muß, die ganzen Flaschen rauszuschaffen.«

«M-hm. Nun, darauf wäre er auch so gekommen.«

«Was meinst du eigentlich, wie lange das gedauert hat?«

«Kommt darauf an, wieviel Leute es waren. «Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht und rieb sich die müden Augen.»Jedenfalls müssen sie richtige Weinkisten gehabt haben. Demnach haben sie gewußt, daß der Wein da war, und sind nicht etwa zufällig darauf gestoßen. Und daraus folgt… laut Frost… daß ich ihn entweder vor einiger Zeit selbst verkauft habe und jetzt behaupte, er sei gestohlen worden, damit ich die Versicherung zur Kasse bitten kann, oder aber — wenn er wirklich am Freitag gestohlen worden ist — daß ich den Dieben gesagt habe, was sie für Kisten brauchen, und somit für die ganze schreckliche Geschichte selbst verantwortlich bin.«

In gedrücktem Schweigen dachten wir darüber nach. Schließlich sagte ich:»Wer wußte denn, daß du den Wein hier hattest? Und daß freitags nie jemand im Haus war? Und ging es in erster Linie um den Wein, die Antiquitäten oder die Gemälde?«

«Gott, Charles, du hörst dich an wie Frost.«

«Entschuldige.«

«Allen Unternehmen fehlt es heutzutage an Geld«, sagte er, als müsse er sich verteidigen.»Die verstaatlichte Industrie macht Millionenverluste. Steigende Löhne, Steuern, Inflation — wie soll ein kleiner Betrieb da die gewohnten Gewinne erzielen? Natürlich haben wir ein Liquiditätsproblem. Wer denn nicht?«

«Wie groß ist eures?«fragte ich.

«Auszuhalten. Schlimm genug. Aber von der Liquidation sind wir weit entfernt. Eine GmbH darf ja nur Handel treiben, solange sie ihre Kosten decken kann.«

«Aber das könnte sie länger… wenn du Kapital nachschießen würdest?«

Er betrachtete mich mit dem Anflug eines Lächelns.»Mich wundert immer noch, daß du Maler geworden bist.«

«So kann ich wenigstens jederzeit ruhigen Gewissens zum Pferderennen gehen.«

«Fauler Hund. «Einen Moment lang kam der alte Donald zum Vorschein, aber dann war es mit der Unbeschwertheit wieder vorbei.»Es würde mir nicht im Traum einfallen, ein Unternehmen, das in den letzten Zügen liegt, mit meinem Privatvermögen zu unterstützen. Stände es so schlecht um meine Firma, würde ich sie liquidieren. Sonst wäre ich verrückt.«

Ich schnalzte mit der Zunge.»Frost hat dich bestimmt auch gefragt, ob die gestohlenen Sachen über ihrem Wert versichert waren.«

«Ja. Mehr als einmal.«

«Dabei würdest du ihm das wohl kaum auf die Nase binden.«

«Sie waren’s aber nicht.«

«Nein.«

«Höchstens unterversichert. «Er seufzte.»Weiß der Himmel, ob sie für den Munnings zahlen. Die Versicherung war nur telefonisch vereinbart. Ich habe ihnen noch gar nicht die Prämie überwiesen.«

«Das müßte schon klargehen, wenn du den Kauf nachweisen kannst und so weiter.«

Er schüttelte verzagt den Kopf.»Sämtliche Belege dafür waren in dem Schreibtisch in der Diele. Die Quittung von der Galerie, die mir das Bild verkauft hat, der Herkunftsnachweis und der Zollschein. Alles weg.«

«Das wird Frost nicht gefallen.«

«Es gefällt ihm nicht.«

«Nun… du hast ihm hoffentlich klargemacht, daß du wohl kaum teure Gemälde kaufen und um die Welt reisen würdest, wenn du völlig blank wärst.«

«Er meinte, ich wäre vielleicht deshalb blank, weil ich teure Gemälde kaufe und Weltreisen mache.«

Frosts Verdächtigungen umschlossen Donald wie Mauern, an denen er sich den Kopf einrennen konnte. Mein Cousin mußte da herausgeholt werden, bevor er stehend k.o. ging.

«Magst du Spaghetti?«fragte ich.

«Was?«

«Es ist so ziemlich das einzige, was ich kochen kann.«

«Ach so…«Er blickte ungefähr in Richtung Küchenuhr. Es war halb fünf und, wenn es nach meinem Magen ging, höchste Zeit, etwas zu essen.

«Von mir aus«, sagte er.

Die Polizei ließ ihn am nächsten Morgen zu der Feuerprobe im Büro abholen. Er fuhr willenlos mit, nachdem er beim Frühstück mehr oder weniger ausdrücklich erklärt hatte, er werde sich nicht verteidigen.

«Das mußt du aber, Don«, sagte ich.»Du brauchst jetzt einen klaren Kopf, darfst keinen Fehler machen und dich nicht beirren lassen. Kurz, du mußt du selbst sein.«

Er lächelte matt.»Dann geh du doch für mich. Mir ist das zuviel. Und was liegt daran?«Sein Lächeln erlosch, und plötzlich zeigte sich sein ganzes Unglück wie ein dunkler Wasserspiegel unter zerbrochenem Eis.»Ohne Regina… macht Geldverdienen keinen Sinn.«

«Wir reden nicht vom Geldverdienen, sondern von Mordverdacht. Wenn du dich nicht verteidigst, werden sie annehmen, du kannst es nicht.«

«Ich bin es leid. Die können denken, was sie wollen.«

«Don«, sagte ich ernst,»sie werden denken, was du sie denken läßt.«

«Das ist mir ziemlich egal«, sagte er dumpf: und da lag das Problem. Es kümmerte ihn wirklich nicht.

Er war den ganzen Tag fort. Ich malte.

Nicht die traurige Landschaft. Die Glasveranda erschien mir an diesem Morgen besonders grau und kalt, und ich wollte nicht schon wieder in Schwermut versinken. Ich ließ die halbfertige Leinwand dort auf dem Tisch zurück und begab mich mit allem Drum und Dran in die warme Küche. Nicht ganz so gutes Licht vielleicht, aber es war der einzige Raum im Haus, der Leben atmete.

Ich malte Regina an ihrem Herd, mit einem Kochlöffel in der einen Hand und einer Flasche Wein in der anderen. Ich malte, wie sie beim Lächeln den Kopf in den Nacken legte, und ich malte ihr Lächeln, strahlend, ohne Falsch und unverkennbar glücklich. Ich malte die Küche hinter ihr, so wie ich sie vor Augen hatte, und Regina selbst, wie sie vor meinem inneren Auge stand. So klar und deutlich sah ich sie vor mir, daß ich ein paarmal von dem Gesicht auf der Leinwand aufschaute, um etwas zu ihr zu sagen, und verdutzt feststellte, daß sie nicht da war. Wirkliches und Unwirkliches schienen merkwürdig miteinander vermischt zu sein.

Ich arbeitete selten länger als vier Stunden am Stück, zum einen, weil mich die körperliche Anspannung ermüdete, zum anderen, weil die Konzentration dazu führte, daß mir kalt wurde und ich Hunger bekam. Gegen Mittag legte ich also eine Pause ein, aß Cornedbeef aus der Dose mit Pickles auf Toast und machte dann einen Spaziergang unter Ausschluß der

Öffentlichkeit, indem ich durch den Obstgarten ging und durch die Hecke schlüpfte.

Eine Zeitlang wanderte ich ziellos durch den weitläufigen Ort, dachte an das Bild und wurde im Laufen die überschüssige Energie los, die ich nach der Arbeit an der Staffelei oft verspürte. Mehr gebrannte Umbra für die Falten der Vorhänge, dachte ich; und einen Purpurschatten auf dem Kochtopf. Das cremefarbene Hemd von Regina brauchte Ocker unterm Kragen, vielleicht auch eine Spur Grün. Der Herd mußte noch viel mehr ausgearbeitet werden, und ich hatte gegen meine eigene Grundregel verstoßen, ein Bild immer als Ganzes zu gestalten, Sujet und Hintergrund Schritt für Schritt.

Reginas Gesicht war schon klar herausgearbeitet und fertig bis auf den Glanz der Lippen und einen Lichttupfer innen an den unteren Augenlidern, denn dafür mußte der Untergrund erst trocken sein. Ich hatte Angst gehabt, sie nicht mehr so klar zu sehen, wenn ich mir zuviel Zeit ließ, aber dadurch war jetzt das Bildgleichgewicht gestört, und ich würde die Küche sorgfältig auf die Figur abstimmen müssen, damit das Ganze wie aus einem Guß aussah und harmonisch und natürlich wirkte.

Der Wind war beißend kalt, der Himmel bedeckt mit schnell dahintreibenden dunklen Wolken. Ich vergrub die Hände in meinen Anoraktaschen und schlüpfte durch die Hecke zurück, als die ersten Regentropfen fielen.

Die Nachmittagssitzung war wegen des Lichts wesentlich kürzer, und zu meinem Verdruß fand ich nicht die richtigen Farbtöne für die Kücheneinrichtung. Was auf der Palette richtig aussah, konnte auf der Leinwand falsch aussehen, trotz meiner jahrelangen Erfahrung. Ich griff dreimal daneben und machte Schluß.

Als ich die Pinsel reinigte, kam Donald zurück. Ich hörte, wie der Wagen anhielt, hörte Türen schlagen und — zu meiner

Überraschung — das Klingeln an der Haustür. Donald hatte seine Schlüssel mitgenommen.

Ich ging durch den Flur und öffnete. Ein Polizist in Uniform stand draußen und hielt Donald am Arm. Im Hintergrund eine Reihe gespannt zuschauender Gesichter. Mein vorher schon blasser Cousin sah jetzt wachsbleich aus. Die Augen waren leblos wie der Tod.

«Don!«sagte ich, und mein Entsetzen war mir sicher anzusehen.

Er schwieg. Der Polizist beugte sich vor, sagte:»Da wären wir, Sir«, und übergab Donald symbolisch, aber auch ganz konkret meiner Obhut, denn danach drehte er sich auf dem Absatz um, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.

Ich führte Donald ins Haus und schloß die Tür. Noch nie hatte ich jemand in einem so beängstigenden Zustand der Auflösung gesehen.

«Ich habe mich wegen der Beerdigung erkundigt«, sagte er.

Sein Gesicht war reglos, und er stieß die Worte hervor.

«Sie sagen…«Er brach ab, zog die Luft ein, setzte neu an.»Es… gibt keine Beerdigung.«

«Donald… «

«Sie sagen… sie dürfe erst beerdigt werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen seien. Das könne… noch Monate dauern. Sie sagten… sie würden sie einfrieren…«

Er litt furchtbare Qualen.

«Sie sagten…«Er schwankte ein wenig.»Sie sagten… die Leiche eines Mordopfers gehöre dem Staat.«

Ich konnte ihn nicht halten. Bewußtlos brach er vor meinen Augen zusammen.

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