14 Träume und Alpträume

Beim Anblick von Nynaeve und Elayne trat Egwene nicht etwa aus dem Traum heraus, nein, sie sprang heraus. Nicht zu ihrem schlafenden Körper nach Cairhien zurück — dazu war die Nacht noch zu jung — aber in eine ungeheuer ausgedehnte Schwärze hinein, die mit blinkenden Stecknadelköpfen aus Licht erfüllt war, einer viel größeren Anzahl davon, als es Sterne auch am klarsten Nachthimmel gab, doch jeder scharf umrissen und klar, soweit das Auge reichte. Das heißt, wenn sie hier überhaupt Augen besessen hätte. Körperlos schwebte sie in der Unendlichkeit zwischen Tel'aran'rhiod und der wachenden Welt, in jener engen Lücke zwischen Traum und Wirklichkeit.

Hätte sie hier ein Herz besessen, es hätte wie wild geschlagen. Sie glaubte nicht, daß die beiden sie gesehen hatten, aber was, unter dem Licht, machten, sie hier, in einem Teil der Burg, der überhaupt nichts Interessantes enthielt? Bei diesen nächtlichen Erkundungsgängen mied sie sorgfältig jede Nähe zum Arbeitszimmer der Amyrlin, zu den Quartieren der Novizinnen und sogar denen der Aufgenommenen. Es schien ihr, daß irgend jemand sich stets dort aufhielt, wenn nicht Nynaeve oder Elayne oder beide, dann jemand anders. Natürlich hätte sie Nynaeve oder Elayne ansprechen können —sie konnten gewiß ein Geheimnis wahren — aber irgend etwas sagte ihr, sie solle davon Abstand nehmen. Sie hatte davon geträumt, und jedesmal erschien es ihr wie ein Alptraum. Nicht die Art, bei der man schweißgebadet erwachte, sondern eher diejenige, bei der man sich gequält herumwälzte. Diese anderen Frauen. War den Aes Sedai in Salidar klar, daß Fremde in der Weißen Burg der Welt der Träume wandelten? Für sie zumindest waren es Fremde. Sollten sie das nicht wissen, hatte sie keine Möglichkeit, sie zu warnen. Jedenfalls keine, die sie anwenden durfte. Es war niederschmetternd!

Der riesige, sternenübersäte Ozean der Dunkelheit wogte um sie, schien sich zu bewegen, während sie stillstand. Wie ein Fisch, der in diesem Meer zu Hause war, schwamm sie selbstsicher weiter. Sie mußte genausowenig dabei denken wie der Fisch. Diese flackernden Lichter waren Träume, alle Träume aller Menschen auf der Welt. Menschen aller Welten, derer, die nicht ganz mit ihrer eigenen übereinstimmten, und solcher, die völlig anders und fremdartig waren. Verin Sedai hatte ihr zuerst von jenen erzählt, und die Weisen Frauen hatten ihre Existenz bestätigt. Und dann hatte auch sie selbst Derartiges gesehen, flüchtige Blicke auf Dinge erhascht, die einfach nicht existieren konnten, nicht einmal im Traum. Keine Alpträume — die schienen immer in ein Rot oder Blau oder ein schummriges Grau wie in tiefe Schatten getaucht — jedoch erfüllt von unmöglichen Dingen. Es war besser, ihnen aus dem Weg zu gehen, denn ganz eindeutig paßte sie nicht in diese Welten. Wenn sie in einen solchen Traum hineinspähte, war es, als sei sie plötzlich von Spiegelscherben umgeben, die um sie herumwirbelten, so daß es weder ein oben noch unten gab. Dann verspürte sie den Wunsch, sich zu übergeben, und wenn sie hier auch keinen Magen besaß, wartete doch einer auf sie, sobald sie in ihren Körper zurückkehrte. Doch sich zu übergeben war nicht gerade erstrebenswert, um aufzuwachen.

Sie hatte auf diese Weise ganz allein einiges gelernt und dem hinzugefügt, was die Weisen Frauen sie gelehrt hatten, ja, sie war sogar Wege gegangen, die jene vor ihr versperrt hätten. Und doch... Sie bezweifelte nicht, daß sie mehr, viel mehr in Erfahrung gebracht hätte, wenn ihr eine Traumgängerin zur Seite stünde. Sicher, sie hätte ihr gesagt, dies sei noch zu gefährlich und jenes ganz verboten, aber ihr auch vorgeschlagen, was sie ebenfalls ausprobieren könne. Die einfachen Dinge, die leicht herauszufinden waren — nun gut, nicht ganz so leicht, das waren sie nie —, hatte sie längst hinter sich gelassen und einen Punkt erreicht, von dem aus sie den nächsten Schritt auch allein tun konnte, aber es waren Schritte, die von den Traumgängerinnen unter den Weisen Frauen schon vor langer Zeit unternommen worden waren. Wofür sie einen Monat brauchte, um es aus eigener Kraft zu beherrschen, könnten sie ihr in einer Nacht, ja, in einer Stunde beibringen. Wenn sie entschieden, daß sie dafür bereit sei. Vorher nicht. Das wurmte sie, denn alles, was sie wollte, war ja, zu lernen! Alles zu lernen. Jetzt gleich. Augenblicklich.

Ein Lichtpünktchen sah genauso aus wie jedes andere, und doch hatte sie gelernt, eine Handvoll davon zu identifizieren. Dabei wußte sie nicht einmal genau, wie ihr das möglich war, und das war etwas, was ihr ungeheuer gegen den Strich ging. Selbst die Weisen Frauen hatten davon keine Ahnung. Und dennoch, sobald sie herausfand, welcher Traum zu welcher Person gehörte, konnte sie deren Träume künftig so sicher aufspüren wie ein Pfeil das Ziel, und wenn sie sich auch auf die andere Seite der Welt begaben. Dieses Licht dort war Berelain, die Erste von Mayene, die Frau, der Rand die Führung in Cairhien anvertraut hatte. Egwene fühlte sich nicht sehr wohl, wenn sie in Berelains Träumen herumspionierte. Für gewöhnlich unterschieden sie sich nicht von denen irgendeiner anderen Frau, oder zumindest einer Frau, die gleichermaßen an Macht, Politik und der neuesten Mode interessiert war, aber gelegentlich träumte Berelain von Männern, sogar von Männern, die Egwene kannte, und zwar auf eine Weise, daß Egwene sogar bei der bloßen Erinnerung daran errötete.

Und dieses leicht gedämpfte Glühen dort stand für Rand, der seine Träume hinter einem Wachgewebe aus Saidin verbarg. Sie wollte schon verharren, denn es ärgerte sie, daß etwas, das sie weder sehen noch fühlen konnte, sie dennoch wie eine Steinmauer zurückhielt, ließ es dann aber sein. Eine weitere nutzlos vertane Nacht wirkte nicht gerade verlockend auf sie.

Dieser Ort verzerrte die Entfernungen, wie Tel'aran'rhiod die Zeit verzerrte. Rand schlief in Caemlyn, falls er nicht in kürzester Zeit nach Tear gereist war. Wie er das anstellte, hätte sie auch nur zu gern gewußt, aber ein wenig von seinem Traum entfernt entdeckte Egwene ein anderes Licht, das sie erkannte. Bair, in Cairhien, Hunderte von Wegstunden von Rand entfernt. Wo sich Rand auch aufhalten mochte, sie wußte jedenfalls, daß er sich heute nacht nicht in Cairhien befand. Wie brachte er das nur fertig?

Das Lichtermeer huschte an ihr vorbei, als Egwene sich hastig vom Traum der Weisen Frau entfernte. Hätte sie auch Amys und Melaine gesehen, wäre sie nicht geflohen, doch wenn die beiden anderen Traumgängerinnen nicht schliefen und träumten, konnte es sein, daß auch sie gerade in Träumen wandelten. Eine von ihnen mochte sich sogar bei ihr selbst befinden, bereit, sich hineinzustürzen und sie aus ihrem Traum zu reißen, oder sie in den eigenen Traum mit hineinzuziehen. Sie bezweifelte, daß sie die anderen daran hindern konnte. Noch nicht jedenfalls. Sie wäre den anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, lediglich ein Teil ihres Traums. Innerhalb eines fremden Traums an sich selbst festzuhalten, war schon schwierig genug, wenn die träumende Person ein ganz gewöhnlicher Mensch war, der keine Ahnung davon hatte, was vorging. Es war aber auch nicht schwieriger als aus dem Traum zu entkommen, bevor diese Person aufhörte, von ihr zu träumen, was unwahrscheinlich war. Meist wachte derjenige auf, wenn sie sich noch mitten in seinem oder ihrem Traum befand. Bei einer Traumgängerin, die genauso bewußt träumte, wie sie sich in der wachenden Welt bewegte, war das unmöglich. Und das wäre in diesem Fall noch der angenehmste Teil an der Sache.

Langsam dämmerte es ihr, daß sie sich töricht benahm. Wegrennen nützte überhaupt nichts. Falls Amys oder Melaine sie entdeckt hatten, würde sie sich bereits woanders befinden. Außerdem konnte es sein, daß sie sich geradewegs auf die beiden zu bewegte. Das Vorbeihuschen der Lichter verlangsamte sich nicht allmählich, nein, es hörte vollständig auf und sie stand still. So war das nun einmal hier.

Beunruhigt überlegte sie, was sie als nächstes unternehmen sollte. Abgesehen davon, daß sie auf eigene Faust alles über Tel'aran'rhiod lernen wollte, was sie nur bewältigen konnte, war der wichtigste Zweck ihres Aufenthalts, ein wenig über die Geschehnisse der wachenden Welt herauszufinden. Es gab Zeiten, da es ihr schien, die Weisen Frauen würden ihr nicht einmal mitteilen, ob die Sonne am Himmel stand. Sie mußte alles selbst herausbekommen. Sie meinten immer, sie solle sich nicht aufregen. Doch wie konnte sie das vermeiden, wenn sie ständig darüber nachgrübelte, was sie alles nicht wußte? Das hatte sie zumindest in der Weißen Burg vorgehabt: ein paar Andeutungen aufschnappen, was Elaida beabsichtigte. Und Alviarin. Andeutungen waren noch das einzige, was sie hatte aufspüren können, und auch davon gab es nur wenige. Sie haßte Ungewißheit; nichts zu wissen war, als sei man blind und taub zugleich.

Nun ja, die Burg durfte sie jetzt auch von ihrer Liste streichen, da sie nicht mehr sicher sein konnte, in welchen Teilen sie unentdeckt bleiben werde. Den Rest von Tar Valon hatte sie bereits gestrichen, und zwar nach dem vierten Zusammentreffen mit einer Frau mit kupferfarbenem Teint. Sie war beinahe über die andere gestolpert, die zufrieden nickend vor einem Stall stand, der frisch in Blau gestrichen worden zu sein schien. Wer sie auch sein mochte, durch Zufall und einen kurzen Traum war sie jedenfalls nicht nach Tel'aran'rhiod geraten. Sie verschwand nicht wie ein flüchtiger Träumer, und sie schien aus feinem Dunst zu bestehen. Offensichtlich benützte sie einen Ter'Angreal, und das bedeutete, daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Aes Sedai war. Egwene kannte nur einen einzigen Ter'Angreal, mit dessen Hilfe man die Welt der Träume betreten konnte, ohne die Macht zu benützen, und der war in Nynaeves und Elaynes Besitz. Die gertenschlanke Frau konnte allerdings noch nicht lange zu den Aes Sedai gehören. Sie war sehr schön, trug ein aufreizend durchscheinendes Kleid und schien etwa gleich alt wie Nynaeve zu sein. Die typische Alterslosigkeit zeigte sich bei ihr noch nicht.

Egwene hätte versuchen können, sie zu verfolgen, da sie möglicherweise zu den Schwarzen Ajah gehörte, denn die hatten Ter'Angreal zum Träumen gestohlen. Aber wenn sie das Risiko recht bedachte, entdeckt, vielleicht sogar gefangen zu werden, obwohl sie nicht einmal irgend jemandem mitteilen konnte, was sie herausgefunden hatte, jedenfalls nicht vor ihrem nächsten offiziellen Gespräch mit Nynaeve und Elayne ... oder falls sie etwas derart Schlimmes entdeckte, daß jede es erfahren mußte... Schließlich gingen die Schwarzen Ajah in erster Linie die Aes Sedai etwas an, ganz abgesehen davon, daß es noch weitere Gründe gab, ihre Geheimnisse zu wahren. Sie hatte gar keine andere Wahl.

Geistesabwesend betrachtete sie die nächstgelegenen Lichtpunkte in der Schwärze. Sie erkannte keinen davon. Sie schwebten völlig unbeweglich in der Dunkelheit schimmernde Sterne, die in klarem, schwarzem Eis eingefroren waren.

In letzter Zeit trieben sich für ihren Geschmack zu viele Fremde in der Welt der Träume herum. Eigentlich nur zwei, aber das waren eben zwei zuviel. Die Frau mit dem kupferfarbenen Teint und eine weitere, eine stämmige, hübsche Frau, die zielbewußt einherschritt, mit blauen Augen und Entschlossenheit in den Zügen. Die entschlossene Frau — so nannte Egwene sie —mußte wohl in der Lage sein, Tel'aran'rhiod aus eigener Kraft zu betreten, denn sie schien aus fester Materie zu bestehen und nicht wie aus Dunst geschnitten, und wer sie auch sein mochte, welcher Grund sie auch hierherführen mochte, sie befand sich öfter in der Burg als Nynaeve und Elayne und Sheriam und der ganze Rest zusammengenommen. Überall tauchte sie auf. Außer in der Burg hatte sie Egwene beinahe bei ihrem letzten Abstecher nach Tear erwischt. Natürlich nicht in einer Nacht, für die ein Treffen angesetzt war. Die Frau war durch das Herz des Steins stolziert und hatte zornige Selbstgespräche geführt. Und sie hatte sich bei Egwenes letzten beiden Abstechern ebenfalls in Caemlyn befunden.

Daß diese Frau den Schwarzen Ajah angehörte, war ebensogut möglich wie bei der anderen, aber sie konnten natürlich auch aus Salidar kommen. Eine, oder auch beide. Egwene hatte sie allerdings noch nie zusammen gesehen oder in Gesellschaft einer anderen aus Salidar. Theoretisch konnten beide auch aus der Burg selbst kommen. Die Spaltung dort war so verworren, daß sehr wohl die eine Seite die andere ausspionieren würde. Früher oder später würden die Aes Sedai der Burg ohnehin von Tel'aran'rhiod erfahren, falls das nicht sowieso schon der Fall gewesen war. Diese beiden Fremden brachten nur endlose Fragen, die unbeantwortet blieben. Egwene blieb nur eines übrig, nämlich, beide zu meiden.

Natürlich bemühte sie sich in letzter Zeit, alle zu meiden, die sich in der Welt der Träume aufhielten. Sie hatte sich angewöhnt, sich häufig umzublicken, weil sie glaubte, jemand schleiche sich hinter ihr an, oder auch Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Sie glaubte, aus den Augenwinkeln Blicke auf Rand, Perrin und sogar Lan erhascht zu haben. Selbstverständlich bildete sie sich das nur ein, oder sie hatte durch puren Zufall ihre Träume einen Augenblick lang berührt, aber sie fühlte sich dadurch so nervös wie eine Katze im Hundezwinger.

Sie runzelte die Stirn — oder besser: sie hätte das getan, hätte sie ein Gesicht besessen. Eines dieser Lichter sah aus wie... Es kam ihr eigentlich gar nicht bekannt vor; sie erkannte es wirklich nicht. Aber es schien ... sie anzulocken. Wohin sie auch blickte, nach ein paar Momenten kehrte ihr Blick zu jenem glitzernden Punkt zurück.

Vielleicht sollte sie erneut versuchen, Salidar zu finden. Das hätte aber bedeutet, daß sie darauf warten mußte, bis Nynaeve und Elayne Tel'aran'rhiod verlassen hatten. Deren Träume erkannte sie natürlich sofort — sie konnte sie im Schlaf finden, wie sie unter lautlosem Kichern feststellte. Doch ein Dutzend Versuche, Salidar zu finden, hatte bisher genau die gleichen Resultate erbracht wie ihr Bemühen, das Wachgewebe um Rands Träume zu durchdringen. Entfernungen und Position hier hatten absolut nichts mit denen der wachenden Welt zu tun. Amys behauptete sogar, hier gebe es weder Entfernung noch Position. Andererseits konnte sie genausogut...

Überraschenderweise begann mit einem Mal der Lichtpunkt, der ihren Blick immer wieder anzog, auf sie zuzutreiben. Er schwoll an, und was zuerst ein ferner Stern gewesen war, wurde nun zu einem weißen Vollmond. Ein Funken der Angst keimte in ihr auf. Einen Traum zu berühren und hineinzuspähen war einfach — wie ein Finger das Wasser so leicht berührt, daß das Wasser am Finger haftet aber die Oberfläche nicht bewegt wird — doch das alles richtete sich nach ihrem freien Willen. Eine Traumgängerin suchte sich den Traum aus, nicht umgekehrt. Sie befahl in Gedanken dem Traum, sich wegzubegeben, stellte sich die sternübersäte Schwärze wieder in Bewegung vor. Doch nur dieses eine Licht rührte sich und dehnte sich so aus, daß ihr gesamtes Gesichtsfeld von weißem Licht erfüllt wurde. Verzweifelt versuchte sie, sich loszureißen. Weißes Licht. Nichts als weißes Licht, das sie in sich aufnahm...

Sie blinzelte und sah sich erstaunt um. Ein ganzer Wald mächtiger weißer Säulen erstreckte sich um sie. Die meisten erschienen ihr verschwommen, undeutlich, besonders die am weitesten entfernten, aber eines konnte sie ganz deutlich erkennen: Gawyn, der über den weiß gefliesten Fußboden auf sie zu schritt. Er trug einen einfachen grünen Rock, und auf seiner Miene mischten sich Angst und Erleichterung. Jedenfalls war es annähernd Gawyns Gesicht. Gawyn sah vielleicht nicht so blendend aus wie sein Halbbruder Galad, doch er war trotzdem ein sehr gut aussehender Mann. Aber dieses Gesicht kam ihr ... gewöhnlich vor. Sie versuchte, sich zu bewegen, konnte es aber nicht, jedenfalls nicht nennenswert Ihr Rücken berührte eine der Säulen, und ihre Handgelenke wurden von Ketten hoch über ihrem Kopf festgehalten.

Das mußte Gawyns Traum sein. Unter all diesen ungezählten Lichtpunkten hatte sie ausgerechnet bei seinem Traum haltgemacht. Und war irgendwie hineingezogen worden. Wie — diese Frage mußte sie sich für später aufheben. Jetzt wollte sie vor allem wissen, wieso er davon träumte, sie gefangenzuhalten. Energisch hielt sie sich an die Wahrheit, die in ihrem Gehirn schlummerte. Dies war ein Traum, der Traum eines anderen Menschen. Sie war immer noch sie selbst und nicht, was er in ihr sehen wollte. Nichts hier konnte ihr wahres Ich berühren. Diese Wahrheiten wiederholte sie wie ein Gebet in ihrem Kopf. Das machte es ihr wohl schwer, an etwas anderes zu denken, aber solange sie daran mit aller Macht festhielt, konnte sie es riskieren, hier zu verweilen. Wenigstens solange, bis sie herausfand, welche eigenartigen Zwangsvorstellungen diesem Mann im Kopf herumspukten. Sie gefangenzuhalten!

Mit einem Mal erblühte eine mächtige Flammenfontäne über den Fliesen, und beißender, gelber Qualm stieg empor. Rand trat aus diesem Inferno heraus, ganz in goldbesticktes Rot gekleidet, wie es einem König gebührte. Er stand Gawyn gegenüber, und Feuer und Qualm verblichen. Nur sah er kaum wie der echte Rand aus. Der wirkliche Rand war etwa genauso groß und breit wie Gawyn, während dieses Traumbild Gawyn um einen Kopf überragte. Das Gesicht erinnerte nur vage an Rand, war gröber und härter, als es sein sollte, das kalte Gesicht eines Mörders. Dieser Mann verzog höhnisch den Mund. »Du wirst sie nicht bekommen«, stieß er hervor.

»Du wirst sie nicht behalten«, erwiderte Gawyn ruhig, und plötzlich hielten beide Männer Schwerter in den Händen.

Egwene starrte die Szene mit aufgerissenen Augen an. Nicht Gawyn war es, der sie gefangenhielt. Er träumte davon, sie zu befreien! Aus Rands Gefangenschaft! Es war Zeit, diesen Wahnsinn hinter sich zu lassen. Sie konzentrierte sich darauf, draußen zu sein und dies von außen her zu betrachten. Nichts geschah.

Die Schwerter klirrten aufeinander, und die beiden Männer tanzten einen tödlichen Tanz. Tödlich jedenfalls, wäre es nicht ein Traum gewesen. Es war alles Unsinn. Ausgerechnet von einem Duell mit Schwertern zu träumen. Und es war kein Alptraum; alles wirkte echt vielleicht ein wenig verschwommen, aber keineswegs verfärbt. »Die Träume eines Mannes stellen ein Labyrinth dar, das auch er selbst nicht kennt«, hatte Bair ihr einmal gesagt.

Egwene schloß die Augen und konzentrierte sich ganz stark. Draußen. Sie befand sich draußen und blickte hinein. Kein Platz für etwas anderes in ihrem Geist. Draußen, und hineinblicken. Draußen, hineinblicken. Draußen!

Sie öffnete erneut die Augen. Der Kampf strebte seinem Höhepunkt zu. Gawyns Klinge fuhr tief in Rands Brust, und als Rand zusammenbrach, glitt die Klinge wieder heraus und vollführte einen schimmernden Halbkreis. Rands Kopf purzelte über den Fußboden beinahe vor ihre Füße. Er blieb liegen, so daß seine Augen zu ihr aufblickten. Ein Schrei stieg bis in ihre Kehle auf, ein Schrei, den sie nicht unterdrücken konnte. Ein Traum. Lediglich ein Traum. Doch diese starren, toten Augen erschienen sehr real.

Dann stand Gawyn vor ihr, und sein Schwert steckte wieder in der Scheide. Rands Kopf und Körper waren verschwunden. Gawyn faßte nach den Handschellen, die sie festhielten, und dann waren auch diese nicht mehr vorhanden.

»Ich wußte, du würdest kommen«, hauchte sie und fuhr dabei zusammen. Sie war sie selbst! Sie konnte dem Traum nicht nachgeben, nicht einen Augenblick lang, sonst säße sie wirklich und wahrhaftig in der Falle.

Lächelnd nahm Gawyn sie auf seine Arme. »Ich bin froh, daß du es gewußt hast«, sagte er. »Ich wäre früher gekommen, aber es war mir nicht möglich. Ich hätte dich niemals so lange in dieser Gefahr zurücklassen sollen. Kannst du mir verzeihen?«

»Ich kann dir alles verzeihen.« Es gab jetzt zwei Egwenes. Eine schmiegte sich zufrieden in Gawyns Arme, während er sie durch den Korridor eines Palastes trug, dessen Wände mit bunten Wandbehängen und großen Spiegeln mit herrlich verzierten Goldrahmen geschmückt waren. Die andere ritt im Kopf der ersten mit und beobachtete.

Das wurde langsam ernst. So sehr sie sich auch darauf konzentrierte, sich wieder draußen zu befinden, verblieb sie doch hier und beobachtete alles durch die Augen einer anderen Egwene. Schleunigst unterdrückte sie alle Neugier auf das, was Gawyn in bezug auf sie träumte. Diese Art von Anteilnahme war gefährlich. Sie sträubte sich gegen diesen Traum! Und doch änderte sich nichts.

Der Korridor erschien ihr beinahe real, als sie ihn betrachtete, obwohl alles, was sie aus den Augenwinkeln sah, leicht verschwommen blieb. Ihr eigenes Spiegelbild erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie hätte sich gern umgedreht, um es zu betrachten, als sie vorbeikamen, doch sie war nur ein Passagier im Kopf der Frau aus Gawyns Traum. Sie war die Frau, deren Spiegelbild sie einen Moment lang gesehen hatte. Es gab keinen Zug an diesem Gesicht, auf den sie hätte deuten können und behaupten, er wiche von ihrem echten Gesicht ab. Trotzdem ergab das Ganze einen Eindruck... Schön, so konnte man sagen. Erstaunlich schön! Sah Gawyn sie etwa so?

Nein! Keine Neugier! Draußen!

Von einem Schritt zum nächsten wurde aus dem Korridor der von Blumen übersäte Abhang eines Hügels. Eine sanfte Brise trug ihr den starken Duft der Blüten zu. Die wirkliche Egwene fuhr innerlich zusammen. Hatte sie diese Änderung zuwege gebracht? Die Schranke zwischen ihr und der anderen wurde schwächer. Zornig konzentrierte sie sich erneut. Es war nicht wirklich; sie weigerte sich, dies alles als Wirklichkeit anzuerkennen; sie war sie selbst. Draußen. Sie wollte nach draußen und lediglich hineinblicken.

Sanft legte Gawyn sie auf einen ausgebreiteten Umhang inmitten der Blumen, so, wie man es sich erträumt. Er kniete neben ihr nieder, strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und streichelte mit seinen Fingerspitzen weiter bis zu ihrem Mundwinkel. Sich auf etwas zu konzentrieren, fiel ihr sehr schwer. Sie beherrschte wohl den Körper nicht, in dem sie zu Gast war, doch sie teilte seine Gefühle, und seine Fingerspitzen schienen beinahe Funken in ihr auszulösen.

»Mein Herz ist dein«, murmelte er leise, »meine Seele, alles von mir.« Sein Mantel war scharlachrot und kunstvoll mit goldenen Blättern und silbernen Löwen bestickt. Er gestikulierte auf grandiose Weise, wobei er seinen Kopf oder seine Brust berührte. »Wenn ich an dich denke, ist kein Platz mehr für andere Gedanken. Dein Duft erfüllt mein Gehirn und bringt mein Blut zum Wallen. Mein Herz hämmert so, daß ich nicht hören würde, wenn die ganze Welt sich spaltete. Du bist meine Sonne und mein Mond und meine Sterne, mein Himmel und meine Erde, kostbarer für mich als das Leben oder der Atem oder...« Mit einem Mal hielt er inne und verzog das Gesicht. »Du klingst wie ein Narr«, knurrte er in sich hinein.

Egwene hätte ihm widersprochen, hätte sie ihre Stimmbänder unter Kontrolle gehabt Es war so schön, all dies zu hören, auch wenn alles ein wenig übertrieben war. Nur ein wenig.

Als er das Gesicht verzog, spürte sie eine Lockerung, aber schnipp.

Sanft legte Gawyn sie auf einen ausgebreiteten Umhang inmitten der Blumen, so, wie man es sich erträumt. Er kniete neben ihr nieder, strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und streichelte mit seinen Fingerspitzen weiter bis zu ihrem Mundwinkel. Sie beherrschte wohl den Körper nicht, in dem sie zu Gast war, doch sie teilte seine Gefühle, und seine Fingerspitzen schienen beinahe Funken in ihr auszulösen.

Nein! Sie konnte es nicht zulassen, daß sie ein Teil seines Traums blieb!

Sein Gesicht war ein Abbild des Schmerzes, sein Mantel nüchtern grau. Seine zu Fäusten geballten Hände hatte er auf die Knie gelegt. »Ich habe kein Recht, so mit dir zu sprechen, wie ich möchte«, sagte er förmlich. »Mein Bruder liebt dich. Ich weiß, daß sich Galad vor Angst um dich verzehrt. Nicht zuletzt deswegen ist er ein Weißmantel, weil er glaubt, die Aes Sedai hätten dich mißbraucht. Ich weiß, daß er...« Gawyn schloß gequält die Augen. »Oh, Licht, hilf mir!« stöhnte er.

Schnipp.

Sanft legte Gawyn sie auf einen ausgebreiteten Umhang inmitten der Blumen, so, wie man es sich erträumt. Er kniete neben ihr nieder, strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und streichelte mit den Fingerspitzen weiter bis zu ihrem Mundwinkel.

Nein! So verlor sie das letzte bißchen Kontrolle über die Lage! Sie mußte entfliehen! Wovor hast du eigentlich Angst? Sie konnte nicht mehr entscheiden, ob das ihr eigener Gedanke gewesen war oder der jener anderen Egwene. Die Schranke zwischen ihnen bestand nur noch aus einem Schleier. Das ist Gawyn. Gawyn.

»Ich liebe dich«, sagte er zögernd. Er hatte nun wieder den grünen Mantel an und sah nicht ganz so gut aus wie in Wirklichkeit. Er zupfte an einem der Knöpfe, bevor er die Hand wieder fallen ließ. Er sah sie an, als fürchte er sich vor dem, was er auf ihrer Miene entdecken könnte. Wohl verbarg er die Furcht, aber nicht sehr gut. »Ich habe das noch nie zu einer Frau gesagt, noch niemals auch nur sagen wollen. Du hast keine Ahnung, wie schwer es mir fällt, dir das zu sagen. Nicht, daß ich es gar nicht wollte«, fügte er hastig hinzu, wobei er eine Hand nach ihr ausstreckte, »aber es auszusprechen, und das ohne jede Ermutigung, ist so, als schleuderte ich mein Schwert weg und entblößte meine Brust dem Todesstoß. Nicht, daß ich ernsthaft glaubte, du könntest... Licht! Ich kriege das einfach nicht heraus. Gibt es einen Hoffnungsschimmer, daß du ... vielleicht ... mit der Zeit ... irgendein Gefühl ... für mich ... empfinden könntest? Etwas ... mehr als Freundschaft?«

»Du süßer Idiot!« Sie lachte leise. »Ich liebe dich.« Ich liebe dich warf ein Echo durch den Teil von ihr, der wirklich sie selbst war. Sie spürte, wie sich die Schranke auflöste, hatte einen Augenblick, um zu erkennen, daß es ihr gleich war, und dann gab es nur noch eine Egwene, eine Egwene, die überglücklich die Arme um Gawyn schloß.

Nynaeve saß im trüben Mondschein auf dem Hocker, hob die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu unterdrücken und blinzelte mit Augen, die ein Gefühl erweckten, als habe jemand Sand hineingestreut. Das mußte einfach klappen, jawohl! Sie würde einschlafen, während sie noch Theodrin guten Morgen sagte, wenn nicht schon früher. Ihr Kinn sank herab, und sie riß sich gewaltsam zusammen und sprang auf. Der Hocker war ihr bereits wie ein Stein vorgekommen, weil ihr Hinterteil völlig gefühllos geworden war, aber anscheinend reichte das auch nicht mehr aus. Vielleicht half ein kleiner Spaziergang? Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich zur Tür.

Plötzlich wurde die Nacht von einem fernen Schrei zerrissen, und gleichzeitig schlug der Hocker so hart gegen ihren Rücken, daß sie mit einem überraschten Aufschrei gegen die rauhe Tür prallte. Wie betäubt starrte sie den Hocker an, der nun umgekippt auf dem Boden lag. Eines der Beine stand schief weg.

»Was ist los?« rief Elayne und schoß auf dem Bett hoch.

Weitere Aufschreie und Rufe erschollen in Salidar, einige davon innerhalb des Hauses, in dem sie wohnten, und dazu war ein leichtes Rumpeln und Klappern hörbar, das von überall her gleichzeitig zu kommen schien. Nynaeves verlassenes Bett ratterte und rutschte dann einen Fuß weit über den Boden. Elaynes Bett bäumte sich auf und warf sie beinahe ab.

»Eine Blase des Bösen.« Nynaeve war selbst überrascht, wie kühl und sachlich ihre Stimme klang. Es hatte keinerlei Zweck, wild herumzurennen und mit den Armen zu fuchteln, obwohl sie innerlich genau das tat. »Wir müssen alle aufwecken, die noch schlafen.« Ihr war unverständlich, wie jemand bei diesem Lärm schlafen könne, aber diejenigen, die das fertigbrachten, würden möglicherweise sterben, bevor sie zu Bewußtsein kamen.

Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern eilte hinaus und riß die nächste Tür am Flur auf. Dann duckte sie sich, als eine weiße Waschschüssel genau dorthin flog, wo sich ihr Kopf einen Augenblick vorher befunden hatte, und anschließend an der Wand hinter ihr zersplitterte. Vier Frauen teilten sich dieses Zimmer und schliefen in zwei Betten, die ein wenig breiter waren als ihr eigenes. Nun lag ein Bett mit den Füßen nach oben da, und zwei Frauen bemühten sich, darunter hervorzukrabbeln. Auf dem anderen zuckten Emara und Ronelle, eine weitere Aufgenommene, wild umher und gaben erstickte Laute von sich. Ihr eigenes Bettuch hatte sich eng um sie geschlungen.

Nynaeve packte die erste Frau, die sie unter dem umgestürzten Bett hervorziehen konnte — eine hagere Dienerin namens Mulinda, die mit offenem Mund gaffte —, und schubste sie in Richtung der Tür. »Geht! Weckt alle im Haus, die noch schlafen und helft jeder, der ihr helfen könnt! Geht!« Mulinda stolperte hinaus, während Nynaeve ihre zitternde Bettgenossin auf die Beine zerrte. »Helft mir, Satina. Helft mir, Emara und Ronelle zu befreien.«

Sie zitterte leicht, aber die mollige Frau nickte und machte sich energisch ans Werk. Es ging natürlich nicht nur darum, ein Bettuch aufzuwickeln, es schien ein Eigenleben zu besitzen, wie eine Ranke, die sich solange zusammenzieht, bis das erdrückt ist, was sich darin befindet. Nynaeve und Satina konnten es gemeinsam kaum von den Kehlen der beiden Frauen wegreißen. Dann hob sich der Krug vom Waschtisch und krachte an die Decke. Satina zuckte zusammen und ließ los, und das Bettuch schnellte aus Nynaeves Händen, geradewegs wieder an die Kehlen der beiden Frauen. Deren Kampfkraft ließ langsam nach. Die eine gab ein Rasseln in der Kehle von sich, während von der anderen nichts mehr zu hören war. Selbst im schwachen Mondschein, der durch das geöffnete Fenster fiel, erschienen ihre Gesichter verschwollen und dunkel angelaufen.

Nynaeve packte das Bettuch mit beiden Händen, öffnete sich Saidar und erreichte nichts. Ich Öffne mich dir, verdammt! Ich öffne mich! Ich brauche die Macht! Nichts. Das Bett schrammte an ihre Knie und Satina quiekte auf. »Steht nicht so herum!« fauchte Nynaeve. »Helft mir!«

Schlagartig riß sich das Bettuch wieder aus ihrem Griff los, doch anstatt sich wieder um Emara und Ronelle zu wickeln, zog es so stark in die entgegengesetzte Richtung, daß sie übereinander purzelten. Es wickelte sich so schnell auf, daß das Auge der Bewegung kaum folgen konnte. Nynaeve bemerkte, daß Elayne in der offenen Tür stand; sie schloß den Mund, daß ihre Zähne aufeinanderschlugen. Das Bettuch hing nun an der Decke. Die Macht. Natürlich.

»Alle sind wach«, sagte Elayne und reichte ihr einen Umhang. Sie hatte sich bereits etwas über das dünne Nachthemd angezogen. »Ein paar Schwellungen und Schrammen, ein oder zwei schlimmere Schnittverletzungen, nach denen wir sehen müssen, wenn wir Zeit haben. Ich denke, jede wird in den nächsten paar Tagen Alpträume haben, aber das ist in etwa alles. Hier jedenfalls.« Immer noch durchschnitten Schreie und Rufe die Nacht. Satina fuhr noch einmal zusammen, als Elayne das Bettuch fallen ließ, aber es lag schlicht auf dem Boden. Allerdings rührte sich das umgestürzte Bett wieder mit einem Knarren. Elayne beugte sich über die ächzenden Frauen auf dem anderen Bett. »Ich glaube, ihnen ist nur schlecht. Satina, helft mir bitte, sie auf die Beine zu bringen.«

Nynaeve blickte finster den Umhang in ihrer Hand an. Klar, daß ihnen schwindlig und schlecht war, so, wie sie herumgebeutelt worden waren. Licht, sie war doch vollkommen nutzlos. Hereinzustürmen und das Kommando zu übernehmen. Ohne die Macht konnte sie niemandem nutzen.

»Nynaeve, würdest du mir helfen?« Elayne hielt eine wankende Emara aufrecht, während Satina Ronelle mehr oder weniger zur Tür schleppte. »Ich glaube, Emara wird sich gleich übergeben, und das besser draußen. Die Nachttöpfe dürften alle kaputt sein,« Dem Geruch nach hatte sie recht. Tonscherben scharrten über den Boden in dem Versuch, unter dem umgestürzten Bert hervorzurutschen.

Nynaeve steckte ärgerlich die Arme durch die Aussparungen im Umhang. Mittlerweile konnte sie die Wahre Quelle fühlen, ein warmes Glühen knapp außerhalb ihres Gesichtsfeldes, aber sie mißachtete das absichtlich. Sie war jahrelang ohne die Macht ausgekommen, also würde sie auch jetzt ohne sie auskommen. Sie zog sich Emaras freien Arm über die Schulter und half dabei, die stöhnende Frau in Richtung des Ausgangs zur Straße zu fuhren. Sie schafften es beinahe.

Als sie schließlich draußen waren und sie Emaras Gesicht abgewischt hatten, waren alle anderen bereits in Bademänteln oder welcher Kleidung auch immer vor dem Haus versammelt und drückten sich ängstlich aneinander. Der immer noch volle Mond, der an einem klaren Himmel hing, tauchte sie in einen hellen Schein. Aus den anderen Häusern rannten ebenfalls kreischende und schreiende Bewohner. Eine Latte in einem Zaun fing an zu wackeln, dann eine weitere. Plötzlich flog ein Eimer sich überschlagend die Straße entlang. Ein mit Feuerholz beladener Karren rollte mit einem Mal vorwärts. Die beiden Deichseln zogen seichte Furchen durch den harten Lehmboden. Von einem Haus weiter unten an der Straße erhob sich eine Rauchwolke und Stimmen begannen, nach Wasser zu rufen.

Eine dunkle Gestalt, die auf der Straße lag, zog Nynaeve an. Es war einer der Nachtwächter, nach der flackernden Laterne zu urteilen, die neben seiner ausgestreckten Hand lag. Sie sah, wie seine leblosen Augen im Mondschein glitzerten, sah das Blut, das sein Gesicht überströmt hatte und die klaffende Wunde an der Seite seines Kopfes, wo ihn etwas wie ein Axthieb getroffen hatte. Sie fühlte trotzdem nach seinem Hals, ob noch ein Pulsschlag zu spüren sei. Am liebsten hätte sie vor Zorn laut aufgeheult. Menschen sollten am Ende eines langen Lebens in ihren Betten sterben, von der Familie und Freunden umringt. Alles andere war Verschwendung von Leben. Reine verfluchte Verschwendung!

»Also habt Ihr heute nacht Saidar gefunden, Nynaeve. Gut.«

Nynaeve fuhr zusammen und blickte zu Anaiya hoch. Ihr wurde bewußt, daß sie tatsächlich Saidar in sich aufgenommen hatte. Und selbst dann war sie noch nutzlos. Sie erhob sich, klopfte sich innerlich er» schöpft den Staub von den Knien und bemühte sich, den toten Mann nicht mehr anzusehen. Wäre sie schneller gewesen, hätte das einen Unterschied gemacht?

Das Glühen der Macht umgab Anaiya, aber nicht nur sie: Das Licht umfaßte auch noch zwei weitere vollständig bekleidete Aes Sedai, eine Aufgenommene in einem Bademantel und drei Novizinnen im Nachthemd. Eine dieser drei war Nicola. Nynaeve bemerkte nun andere dieser glühenden Gruppen, viele Dutzende sogar, die sich auf den Straßen bewegten. Manche schienen nur aus Aes Sedai zu bestehen, doch die meisten waren gemischt.

»Öffnet Euch der Verknüpfung«, fuhr Anaiya fort. »Und Ihr, Elayne, und... Was stimmt mit Emara und Ronelle nicht?« Als sie erfuhr, den beiden sei lediglich schlecht, knurrte sie leise etwas vor sich hin und befahl ihnen dann, eine Gruppe zum Verknüpfen zu finden, sobald sie wieder klar im Kopf seien. Schnell erwählte sie vier weitere Aufgenommene aus dem Gedränge um Elayne. »Sammael — falls er es ist und keiner der anderen — wird erfahren, daß wir keineswegs hilflos sind. Nun macht schnell. Berührt die Quelle, aber verhaltet an dem Berührungspunkt Ihr seid offen und gebt dem Strom nach.«

»Das stammt nicht von einem der Verlorenen«, fing Nynaeve an, doch die mütterliche Aes Sedai schnitt ihr energisch das Wort ab: »Widersprecht nicht, Kind, öffnet Euch nur. Wir haben einen Angriff erwartet, wenn auch nicht gerade so wie jetzt, und uns darauf vorbereitet. Schnell, Kind. Wir haben keine Zeit für müßiges Geschwätz.«

Nynaeve klappte den Mund zu und bemühte sich, zu jener Schwelle zurückzukehren, an der man Saidar gerade berühren und sich der Macht hingeben konnte. Es war nicht leicht. Zweimal spürte sie, wie die Macht nicht nur in sie einströmte, sondern durch sie hindurch in Anaiya, und zweimal brach der Strom ab und zuckte zur Quelle zurück. Anaiya verzog ärgerlich den Mund und sah Nynaeve an, als glaube sie, die jüngere Frau habe das mit Absicht getan. Beim dritten Mal fühlte sie sich, als habe sie jemand am Kragen gepackt. Saidar rauschte durch Nynaeve in Anaiya, und als sie versuchte, die Macht zurückzuhalten — es hatte doch an ihr gelegen und nicht an dem Strom selbst wurde ihr jetzt bewußt — wurde der Strom festgehalten und vereinigte sich mit einem noch stärkeren.

Ehrfurcht machte sich in ihr breit. Sie ertappte sich dabei, wie sie die Gesichter der anderen musterte und sich fragte, ob sie das gleiche fühlten. Sie war ein Teil von etwas, das mehr als nur sie selbst war, größer als sie allein. Das lag nicht nur an der Einen Macht. Gefühle überschlugen sich in ihrem Inneren, Furcht und Hoffnung und Erleichterung, und, ja, Ehrfurcht, stärker als alle anderen Gefühle, und eine innere Ruhe und Gelassenheit, die von den Aes Sedai ausgehen mußte. Und sie wußte nicht zu sagen, welche dieser Gefühle ihre eigenen seien und welche nicht. Eigentlich hätte sie einen kalten Schauer verspüren sollen, und doch fühlte sie eine Nähe zu diesen Frauen, größer als die Nähe zu einer Schwester. Es war, als seien sie alle ein Fleisch und ein Blut. Eine schlaksige Graue namens Aschmanaille lächelte sie warmherzig an, da sie offenbar ihre Gedanken spürte.

Nynaeve stockte der Atem, als ihr auffiel, daß sie nicht mehr wütend war. Der Zorn war verschwunden, vom puren Staunen verschluckt. Und doch, nun, da die Blaue Schwester die Kontrolle über die Macht übernommen hatte, blieb der Strom Saidars durch sie beständig. Ihr Blick fiel auf Nicola, und statt eines schwesterlichen Lächelns las sie in deren Miene nur berechnende Nachdenklichkeit. Zurückschreckend versuchte Nynaeve, sich aus der Verknüpfung zu lösen, aber nichts geschah. Bis Anaiya den Zirkel auflöste, war sie ein Teil davon, ob sie nun wollte oder nicht.

Elayne schloß sich dem Zirkel viel leichter an, nachdem sie das silbrige Armband in eine Tasche ihres Umhangs gesteckt hatte. Kalter Schweiß stand auf Nynaeves Stirn. Was würde geschehen, wenn Elayne sich verknüpft hätte, obgleich sie durch den A'dam bereits mit Moghedien verbunden war? Sie hatte keine Ahnung, was die Frage aber nur noch quälender machte. Nicolas leicht verfinsterter Blick wanderte von Nynaeve zu Elayne. Sicher konnte sie nicht unterscheiden, welche Gefühle zu welcher Frau gehörten, nicht, wenn Nynaeve ihre eigenen Gefühle kaum noch erkennen konnte. Die letzten beiden wurden genauso leicht in den Zirkel einbezogen: Shimoku, eine hübsche Kandori mit dunklen Augen, die ganz kurz vor der Spaltung der Burg zur Aufgenommenen erhoben worden war, und Calindin, eine Frau aus Tarabon mit einer Unzahl dünner schwarzer Zöpfe auf dem Kopf, die schon gut zehn Jahre lang zu den Aufgenommenen gehörte. Eine Frau, die kaum mehr als eine Novizin war, und eine andere, die sich jedes bißchen Wissen mühsam aneignen mußte, aber sie hatten keinerlei Schwierigkeiten, sich mit den anderen zu verknüpfen.

Plötzlich sprach Nicola, und es klang, als schlafe sie beinahe: »Das Löwenschwert der geweihte Speer, sie, die jenseits alles anderen blickt. Drei in dem Boot, und dazu jener, der tot ist und doch lebt. Die große Schlacht ist vorüber, doch die Welt hat noch nicht die letzten Schlachten gesehen. Das Land ist durch die Rückkehr gespalten, und die Wächter sind gleich stark wie die Diener. Die Zukunft steht auf Messers Schneide.«

Anaiya starrte sie verblüfft an. »Wie war das, Kind?«

Nicola blinzelte. »Habe ich etwas gesagt, Aes Sedai?« fragte sie mit schwacher Stimme. »Ich fühle mich so ... sonderbar.«

»Also, falls Ihr euch übergeben müßt«, sagte Anaiya gefühllos, »bringt es hinter Euch. Die Verknüpfung hat beim ersten Mal die seltsamsten Wirkungen auf manche Frauen. Wir haben keine Zeit, Euren Magen zu besänftigen.« Als wolle sie das unterstreichen, raffte sie den Rock hoch und ging die Straße hinunter. »Bleibt jetzt alle nahe bei mir. Und sagt mir Bescheid, wenn Ihr etwas bemerkt, worum wir uns kümmern müssen.«

Dazu bot sich ihnen reichlich Gelegenheit. Die Menschen drängten sich auf den Straßen, schrien sich gegenseitig zu, was eigentlich geschehen sei, oder sie schrien einfach hysterisch, und Gegenstände bewegten sich von allein. Türen schlugen zu und Fenster auf, ohne daß jemand sie auch nur berührte. Krachen und Splittern war aus den Häusern zu vernehmen, aber die Bewohner standen draußen. Töpfe, Werkzeuge, Steine, alles, was nicht festgemacht war, konnte jeden Moment losfliegen und jemanden treffen. Eine dickliche Köchin im Nachthemd schnappte mit einem beinahe wahnsinnigen Lachen einen herumfliegenden Eimer aus der Luft, aber als ein blasser, hagerer Bursche in Unterwäsche versuchte, einen abgesägten Ast Brennholz zur Seite zu schlagen, hörte man ein deutliches Knacken, denn sein Arm wurde gebrochen. Seile wanden sich um Beine und Arme, und sogar die Kleidungsstücke mancher Menschen fingen an, selbständig herumzukriechen. Sie fanden einen stark behaarten Mann, dessen Hemd sich um seinen Kopf gewickelt hatte und der so verzweifelt um sich schlug, daß er die Helfer daran hinderte, das Hemd von ihm wegzureißen, bevor es ihn ersticken konnte. Eine Frau, die es geschafft hatte, sich schnell noch ein Kleid überzuziehen und wohl auch zuzuknöpfen, hielt sich mit aller Kraft an den Strohbündeln eines Daches fest und schrie aus voller Kehle, während ihr Kleid sich bemühte, sie über das Haus hinwegzuzerren oder vielleicht sogar mit ihr gen Himmel zu fliegen.

Solche Schwierigkeiten zu beheben, war auch nicht schwerer, als sie aufzuspüren. Die Stränge der Macht, die Anaiya durch die Verknüpfung an sich zog und lenkte, waren so stark — wie auch bei den anderen Zirkeln deutlich sichtbar wurde —, daß sie auch eine Herde durchgehender Bullen aufgehalten hätte, ganz zu schweigen von einem Wasserkessel, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, das Fliegen zu erlernen. Und sobald ein Gegenstand aufgehalten worden war, ob mit Hilfe der Macht oder nur mit der Hand, rührte er sich nicht mehr. Aber es waren so viele! Sie hatten nicht einmal Zeit, jemanden zu heilen, außer er schwebte in Lebensgefahr. Schrammen, Schwellungen, blutende Wunden und gebrochene Knochen mußten warten, während wieder eine Zaunlatte zu Boden geschlagen wurde, bevor sie jemandem den Schädel einschlug, während ein weiteres wild umherrollendes Faß aufgehalten wurde, bevor es Beine brach.

In Nynaeves Innerem stieg immer mehr Verbitterung auf. So viele Dinge auf einmal, die man aufhalten mußte, alle wohl nur klein, aber ein Mann, dem von einer Bratpfanne der Schädel eingeschlagen wurde, oder eine Frau, die vom eigenen Nachthemd erwürgt wurde, waren genauso tot wie jemand, der von der Macht niedergestreckt wurde. Nicht nur sie war niedergeschlagen. Sie spürte, wie dieses Gefühl sich von jeder Frau des Zirkels her ausbreitete, sogar von den Aes Sedai. Doch sie konnte nichts anderes tun, als mit den anderen mitzumarschieren und zuzusehen, wie Anaiya ihre gemeinsamen Stränge verwob, um gegen tausend kleine Gefahren anzukämpfen. Nynaeve verlor sich in dem Gefühl, ein Kanal für die Eine Macht zu sein, eins zu sein mit einem Dutzend anderer Frauen.

Schließlich blieb Anaiya mit gerunzelter Stirn stehen. Nynaeve wurde völlig überrascht, als sich die Verknüpfung auflöste. Einen Augenblick lang sackte sie beinahe in sich zusammen und starrte verständnislos vor sich hin. Stöhnen und lautes Weinen hatten die Schreie und Rufe abgelöst. Die vom Mondschein undeutlich erhellte Straße war nun ruhig, abgesehen von Menschen, die Verletzte versorgten. Dem Stand des Mondes nach war nicht einmal eine Stunde vergangen, aber Nynaeve schienen es eher zehn Stunden gewesen zu sein. Ihr Rücken schmerzte, wo der Hocker sie getroffen hatte, ihre Knie waren weich und ihre Augen brannten. Sie gähnte so heftig, daß sie glaubte, ihre Trommelfelle müßten platzen.

»Von einem der Verlorenen hätte ich etwas anderes erwartet«, grollte Anaiya hörbar in sich hinein. Auch sie machte einen müden Eindruck, dennoch zwang sie sich dazu, die nächsten Aufgaben in Angriff zu nehmen. Sie packte Nicola an der Schulter. »Ihr könnt Euch kaum noch auf den Beinen halten. Ins Bett mit Euch. Geht schon, Kind. Ich will gleich am Morgen mit Euch sprechen, noch vor dem Frühstück. Angla, Ihr bleibt da. Ihr könnt Euch wieder mit mir verknüpfen und mir ein wenig Kraft zum Heilen zuführen. Lanita — ins Bett.«

»Es waren nicht die Verlorenen«, sagte Nynaeve. Oder, genauer gesagt, murmelte sie erschöpft. Licht, war sie müde! »Es war eine Blase des Bösen.« Die drei Aes Sedai blickten sie an. Und nicht nur sie —auch die anderen Aufgenommenen und die Novizinnen, alle, bis auf Elayne. Sogar Nicola, die immer noch nicht weg war, starrte sie an. Diesmal war es Nynaeve aber egal, wie abschätzend der Blick dieser Frau sein mochte; sie war einfach zu müde, um dabei etwas zu empfinden.

»Wir haben in Tear schon einmal eine erlebt«, berichtete Elayne, »mitten im Stein.« Es waren eigentlich nur die Nachwehen gewesen, aber doch so schlimm, daß beide gehofft hatten, sich nie wieder einer solchen Blase nähern zu müssen. »Hätte uns Sammael angegriffen, würde er nicht nur mit Stöcken nach uns werfen.« Aschmanaille tauschte einen unergründlichen Blick mit Bharatine, einer Grünen, bei der sogar ein so dürrer Körper lediglich schlank und graziös wirkte, und deren lange Nase noch wohlgeformt aussah.

Anaiya zuckte nicht mit der Wimper. »Ihr scheint noch über eine Menge Energie zu verfügen, Elayne. Ihr könnt mir beim Heilen helfen. Und was Euch betrifft, Nynaeve... Ihr habt Saidar wieder verloren, nicht wahr? Nun ja, Ihr wirkt ohnehin, als müsse man Euch ins Bett tragen, aber dorthin müßt Ihr schon alleine finden. Shimoku, steht auf und geht ins Bett, Kind. Calindin, Ihr kommt mit mir.«

»Anaiya Sedai«, sagte Nynaeve vorsichtig, »Elayne und ich haben heute nacht etwas herausgefunden. Könnten wir vielleicht allein mit Euch...«

»Morgen, Kind. Ins Bett mit Euch. Und zwar sofort, bevor Ihr mir umfallt.« Anaiya wartete nicht einmal, um zu sehen, ob ihre Anweisung befolgt wurde. Sie zog Calindin mit und schritt hinüber zu einem stöhnenden Mann, dessen Kopf im Schoß einer Frau lag. Als sie sich über den Mann beugte, zog Aschmanaille Elayne mit sich fort, und Bharatine ging mit Angla in eine andere Richtung. Bevor sie in der Menge verschwand, blickte sich Elayne schnell noch einmal nach Nynaeve um und schüttelte kaum sichtbar den Kopf.

Nun gut, dies war möglicherweise wirklich nicht der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort, um die Schale und Ebou Dar zur Sprache zu bringen. Anaiyas Reaktion war ein wenig eigenartig gewesen, als sei sie enttäuscht darüber, daß es sich nicht wirklich um einen Angriff der Verlorenen gehandelt hatte. Warum aber? Sie war zu müde, um noch nachdenken zu können. Wohl hatte Anaiya die Stränge gelenkt, aber Saidar hatte Nynaeve dennoch eine gute Stunde lang durchströmt, und das hätte gereicht, auch jemanden zu ermüden, die eine ganze Nacht lang gut geschlafen hatte.

Vor Erschöpfung wankend erblickte Nynaeve nun auch noch Theodrin. Die Domanifrau humpelte mit einem Paar weißgekleideter Novizinnen an ihrer Seite die Straße entlang und blieb dort stehen, wo jemand mit einer Verletzung lag, die sie mit ihren mageren Fähigkeiten zum Heilen gerade noch behandeln konnte. Sie sah Nynaeve offensichtlich nicht.

Ich gehe jetzt ins Bett, dachte Nynaeve mürrisch. Anaiya Sedai hat es mir befohlen. Warum war ihr Anaiya so enttäuscht vorgekommen? Ein Gedanke nagte gerade am Rande ihres Verstands, aber sie war zu müde, um ihn zu verfolgen. Ihre Schritte schleppten sich dahin. Beinahe wäre sie auf ebener Straße noch gestolpert. Sie würde jetzt schlafen! Sollte Theodrin doch machen, was sie wollte.

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