54 Die Übermittlung

Die aufgehende Sonne war erst ein dünnes, schwaches Schimmern am Horizont, aber die Straßen Cairhiens waren am zweiten Tag des Lichterfests bereits von Zechern bevölkert. Tatsächlich hatten viele die Nacht durchgezecht. Die Festlichkeiten waren von Begeisterung begleitet und nur wenige gönnten dem Mann mit dem lockigen Bart, dem grimmigen Gesicht und der Streitaxt an der Hüfte, der einen großen Kastanienbraunen die pfeilgeraden Straßen auf den Fluß zu führte, mehr als einen Blick. Einige betrachteten jedoch seine Begleiter. Ein Aielmann war inzwischen ein gewohnter Anblick, obwohl sie die Straßen mieden, seit die Feierlichkeiten begonnen hatten, aber man sah nicht jeden Tag einen Ogier, der größer war als ein Mann zu Pferde, und insbesondere keinen Ogier, der eine Streitaxt trug, deren Griff fast so lang wie er groß war. Der Ogier ließ den bärtigen Mann leutselig wirken.

Die Schiffe auf dem Alguenya hatten alle ihre Laternen angezündet, einschließlich der MeervolkSchiffe, die viele Gerüchte bewirkten, weil sie so lange vor Anker blieben, ohne nennenswerte Kontakte mit dem Ufer zu halten. Den Gerüchten nach, die Perrin gehört hatte, mißbilligte das Meervolk die Vorgänge in der Stadt noch mehr als die Aiel, und er dachte, Gaul würde vor Schreck sterben, wann immer er einen Mann und eine Frau sich küssen sah. Ob die Frau eine Bluse trug oder nicht, schien Gaul weitaus weniger zu kümmern als die Tatsache, daß sie sich in aller Öffentlichkeit küßten.

Lange Steinpiere ragten zwischen hohen, flankierenden Mauern in den Fluß hinein, und Schiffe jeglicher Größe und Bauart hatten angelegt, einschließlich Fähren, die nur ein einziges bis hin zu fünfzig Pferden aufnehmen konnten, aber Perrin sah auf keiner der Fähren mehr als einen Mann. Er zügelte seinen Kastanienbraunen, als er zu einem breiten Schiff ohne Masten von einigen sechs oder sieben Spann Länge kam, das an Steinpfosten befestigt war. Seine Rampe zum Pier war an ihrem Platz. Ein dicker, grauhaariger Mann mit bloßem Oberkörper saß an Deck auf einem umgedrehten Faß, und eine grauhaarige Frau mit einem halben Dutzend leuchtenden Schlitzen am Oberteil ihres dunklen Gewandes saß auf seinen Knien.

»Wir wollen übersetzen«, sagte Perrin laut und versuchte, nur soweit hinzusehen, daß er erkennen konnte, ob die beiden sich losließen. Sie taten es nicht. Perrin warf ein andoranisches Goldstück auf die Fähre, und der Klang der auf das Deck prallenden großen Goldmünze ließ den Burschen den Kopf wenden. »Wir wollen übersetzen«, wiederholte Perrin und legte ein zweites Goldstück auf seine Handfläche. Kurz darauf legte er noch ein weiteres dazu.

Der Fährmann leckte sich die Lippen. »Ich werde Ruderer suchen müssen«, murrte er mit einem Blick auf Perrins Hand.

Perrin nahm seufzend zwei weitere Goldstücke aus seiner Börse. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihm selbst beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen waren, weil er eine solche Münze haben wollte.

Der Fährmann sprang auf, ließ die Adlige schwungvoll auf ihr Hinterteil plumpsen und kletterte die Rampe hinauf, wobei er keuchend hervorbrachte, es würde nur Augenblicke dauern, Mylord, nur Augenblicke. Die Frau sah Perrin äußerst vorwurfsvoll an und entschwebte mit einer Würde die Pier hinab, die nur dadurch ein wenig beeinträchtigt wurde, daß sie sich das Gesäß rieb. Bald jedoch raffte sie ihre Röcke und schloß sich eilig einer Gruppe von Tänzern an, die am Ufer entlanghüpften. Perrin konnte ihr Lachen hören.

Es dauerte länger als nur Augenblicke, aber anscheinend genügte das Versprechen des Goldes, denn in nicht allzu langer Zeit hatte der Fährmann genügend Burschen versammelt, so daß die meisten Ruderbänke besetzt werden konnten. Perrin stand da und streichelte die Nase des Kastanienbraunen, während das Schiff auf den Fluß hinausfuhr. Er hatte sich noch nicht für einen Namen entschieden. Das Tier stammte aus den Ställen des Sonnenpalasts und bot einen prächtigen Anblick, obwohl es nicht mit Stepper zu vergleichen war.

Sein Bogen von den Zwei Flüssen war auf einer Seite durch den Sattelgurt geschoben, und ein ordentlich eingehülltes Bündel war hinten am Sattel befestigt. Rands Schwert. Faile hatte das Paket selbst verschnürt und es Perrin wortlos übergeben. Sie hatte etwas gesagt, nachdem er sich abgewandt hatte, als er erkannte, daß er einen Kuß bekommen würde.

»Wenn du umkommst«, hatte sie geflüstert, »werde ich dein Schwert aufnehmen.«

Er war sich nicht sicher, ob er ihre Worte hatte hören sollen oder nicht. Ihr Geruch war solch ein Durcheinander gewesen, daß er nichts Bestimmtes hatte ausmachen können.

Er wußte, daß er über sein Vorhaben nachdenken sollte, aber stets schlich sich Faile wieder behutsam in seinen Geist. Er hatte bereits damit gerechnet, daß sie ankündigen würde, mit ihm zu gehen, und sein Herz hatte sich bei dem Gedanken verkrampft. Wenn sie es getan hätte, wäre er kaum in der Lage gewesen, es ihr zu verweigern — das nicht und auch nichts anderes, nach all dem Leid, das er ihr zugefügt hatte —, aber vor ihnen befanden sich sechs Aes Sedai und Blut und Tod.

Perrin wußte, daß er wahnsinnig würde, wenn Faile stürbe. Das Thema war aufgekommen, als Berelain sagte, sie würde ihre Beflügelte Wache von Mayene bei dieser Jagd anführen. Glücklicherweise war dieser Moment schnell vergangen, wenn auch auf seltsame Weise.

»Wenn Ihr die Stadt verlaßt, die Rand al'Thor Euch als seiner Stellvertreterin übergeben hat«, sagte Rhuarc ruhig, »wie viele Gerüchte werden dann daraus entstehen? Wenn Ihr alle Eure Speere ausschickt, wie viele Gerüchte werden dann daraus entstehen? Und was wird aus jenen Geschichten erwachsen?« Es klang nach einem Rat, aber andererseits auch wieder nicht.

Berelain sah ihn an und roch dabei eigensinnig und hochmütig. Der eigensinnige Geruch verging allmählich, und sie murmelte zu sich selbst: »Manchmal glaube ich, es gibt zu viele Männer, die... « Nur Perrin konnte es hören. Dann sagte sie lächelnd und in bemerkenswert erhabenem Tonfall mit lauter Stimme: »Das ist ein guter Rat, Rhuarc. Ich denke, ich werde ihn befolgen.«

Das Erstaunlichste war jedoch, wie sich Rhuarcs und ihr Geruch miteinander verbanden. Perrin gewann den Eindruck eines Wolfs und eines fast erwachsenen, weiblichen Wolfsjungen. Ein nachsichtiger Vater, der Freude an seiner Tochter hatte und sie an ihm, obwohl er sie manchmal noch immer scharf zurechtweisen mußte, damit sie sich angemessen benahm. Aber wichtig war, daß Perrin die Absicht aus Failes Blick schwinden sehen konnte. Was sollte er tun, wenn er am Leben blieb und sie wiedersah?

Zu Anfang machten die grob gekleideten Ruderer mit nacktem Oberkörper raune Scherze, nicht allzu unfreundlich, aber sie machten deutlich, daß jeglicher Goldbetrag kaum aufwog, was ihnen fehlte. Sie lachten, während sie sich in die Ruder legten, und ein jeder behauptete, schon einmal eine Adlige geküßt zu haben. Ein schlaksiger Bursche mit grobem Kinn behauptete sogar, er hätte eine tairenische Adlige auf seinen Knien sitzen gehabt, bevor er auf Manals Ruf herauskam, aber niemand glaubte ihm. Perrin sicherlich auch nicht. Die tairenischen Männer hatten die Vorgänge nur eines Blickes gewürdigt und sich dann kopfüber in die Feierlichkeiten gestürzt und die tairenischen Frauen hatten die Vorgänge nur eines Blickes gewürdigt und sich dann mit Wächtern vor der Tür in ihren Zimmern eingeschlossen.

Die Späße und das Gelächter hielten nicht lange an. Gaul stand soweit wie möglich in der Mitte des Bootes, den leicht gehetzt wirkenden Blick auf das jenseitige Ufer gerichtet und auf Zehen stehend, als wäre er bereit zu springen. Er fürchtete natürlich all das Wasser um ihn herum, aber das konnten die Ruderer nicht wissen. Loial, der auf seiner langstieligen Axt lehnte, die er im Sonnenpalast gefunden hatte und die reich verzierte Gravuren aufwies, stand still wie eine Statue. Sein breites Gesicht schien wie aus Granit gehauen. Der Fährleute versanken in Schweigen und zogen die Ruder so hart wie möglich durch, wobei sie ihre Passagiere kaum anzusehen wagten. Als die Fähre schließlich am Westufer des Alguenya anlegte, gab Perrin dem Besitzer — wenn er darüber nachdachte, hoffte er zumindest, daß der Mann der Besitzer war —das versprochene Gold und außerdem eine Handvoll Silber für seine Leute, um sie für die Angst vor Loial und Gaul zu entschädigen. Der dicke Mann zuckte zurück, nachdem er das Gold genommen hatte, und verbeugte sich trotz seines wuchtigen Körpers so tief, daß sein Kopf fast die Knie berührte. Vielleicht hatten Gaul und Loial nicht als einzige furchterregende Gesichter.

Große, fensterlose Gebäude standen von Holzgerüsten umgeben da, die Mauern geschwärzt und vielerorts zerfallen. Die Getreidespeicher waren vor einiger Zeit bei Aufständen angezündet worden, und erst jetzt wurden Reparaturen vorgenommen, aber es war keine Menschenseele auf den von Getreidespeichern und Ställen, Lagerhäusern und Stallhöfen gesäumten Straßen zu sehen. Alle, die hier arbeiteten, hielten sich jetzt in der Stadt auf. Es war niemand in Sicht bis zwei Männer aus einer Seitenstraße herausritten.

»Wir sind bereit, Lord Aybara«, sagte Havien Nurelle eifrig. Der junge Mann mit den rosigen Wangen, der erheblich größer war als sein Begleiter, trug einen roten Brustharnisch und einen Helm mit einer einzigen schmalen roten Feder. Er roch sogar eifrig, und jung.

»Ich fing schon an zu glauben, Ihr würdet nicht kommen«, sagte Perrin, während er den Kastanienbraunen umwandte. Was sollte er nur wegen Faile tun? Rands Not drang unter seine Haut. »Sie sind uns jetzt vier Tage voraus.« Er bohrte dem Pferd leicht die Fersen in die Flanken und trieb es zu gleichmäßigem Schritttempo an. Eine lange Jagd. Es hätte keinen Zweck, die Pferde zu ermüden. Weder Loial noch Gaul fiel es schwer, Schritt zu halten.

Die breiteste der geraden Straßen wurde unvermittelt zu Cairhiens Straße von Tar Valon — es gab auch noch andernorts Straßen mit dem gleichen Namen —, ein breites Band festgetretener Erde, das sich durch waldbestandene Hügel, die niedriger waren als jener, auf dem die Stadt erbaut worden war, nach Westen und Norden wand. Nachdem sie eine Meile durch den Wald geritten waren, schlossen sich ihnen zweihundert Beflügelte Wachen von Mayene und fünfhundert Waffenträger des Hauses Taborwin an, die alle die besten verfügbaren Pferde ritten.

Die Mayener trugen rote Brustharnische und Helme wie mit Rändern versehene Töpfe, die bis über den Nacken reichten, und ihre Speere wiesen rote Streifen auf. Viele von ihnen schienen fast genauso eifrig wie Nurelle. Die kleineren Cairhiener trugen einfache Brustharnische und Helme wie abgeschnittene Glocken, die harte Gesichter freigaben, wobei Helme und Brustharnische oft gleichermaßen verbeult waren. Ihre Speere waren ungeschmückt, obwohl hier und da Dobraines Con zu sehen war, ein kleines Viereck auf einem kurzen Stab, blau mit zwei weißen Edelsteinen, das Offiziere oder niedriger gestellte Lords des Hauses Taborwin kennzeichnete. Von ihnen wirkte niemand eifrig, nur grimmig. Sie hatten alle schon Kämpfe erlebt. In Cairhien nannten sie es ›den Wolf sehen‹.

Das brachte Perrin fast zum Lachen. Die Zeit der Wölfe war noch nicht gekommen.

Gegen Mittag trabte eine kleine Gruppe Aiel aus dem Wald und den Hang zur Straße hinab. Neben Rhuarc ritten zwei Töchter des Speers — Nandera und, wie Perrin nach einem Moment erkannte, Sulin. Sie sah im Cadin'sor ganz anders aus, das weiße Haar bis auf den Zopf am Hinterkopf kurz geschnitten. Sie wirkte ... natürlich, was in Livree niemals der Fall gewesen war. Amys und Sorilea kamen hinter ihnen. Die Stolen um die Arme geschlungen, die Halsketten und Armbänder aus Gold und Elfenbein klimpernd, hielten sie ihre bauschigen Röcke am Hang gerafft, aber sie taten es den anderen in jeder Beziehung gleich.

Perrin schwang sich vom Pferd, um allen anderen voraus mit ihnen zu gehen. »Wie viele?« fragte er nur.

Rhuarc schaute zu Gaul und Loial zurück, die vor der Kolonne neben Dobraine und Nurelle hergingen. Sie waren sogar für Perrins feines Gehör zu weit entfernt, um über das Hufgetrappel, das Klingen des Zaumzeugs und das Knirschen der Sättel hinweg etwas verstehen zu können, aber Rhuarc sprach dennoch leise. »Fünftausend Mann aus verschiedenen Gemeinschaften, etwas mehr als fünf. Ich konnte nicht viele mitbringen. Timolan war mißtrauisch, weil ich nicht mit ihm gegen die Shaido gezogen bin. Wenn allgemein bekannt wird, daß Aes Sedai den Car'a'carn gefangenhalten, fürchte ich, daß die Trostlosigkeit uns alle verschlingen wird.« Nandera und Sulin husteten gleichzeitig laut. Die beiden Frauen sahen einander an, und Sulin wandte den Blick schließlich errötend ab. Rhuarc sah sie kurz an — er roch verärgert — und murrte: »Ich habe auch fast eintausend Töchter des Speers versammelt Hätte ich nicht durchgegriffen, wäre mir jede einzelne von ihnen mit einer Fackel in der Hand nachgerannt um der Welt mitzuteilen, daß Rand al'Thor in Gefahr ist.« Seine Stimme wurde plötzlich härter. »Jede Tochter des Speers, die uns folgen will, wird lernen müssen, daß ich meine, was ich sage.«

Sulin und Nandera wurden beide rot, was auf ihren sonnengebräunten Gesichtern verblüffte.

»Ich...«, begannen beide im gleichen Augenblick. Abermals wurden jene Blicke gewechselt, und Sulin wandte schließlich mit womöglich noch stärker gerötetem Gesicht den Blick ab. Perrin konnte sich von Bain und Chiad her — die einzigen beiden Töchter, die er wirklich kannte — nicht an all dieses Erröten erinnern. »Ich habe es versprochen«, sagte Nandera steif, »und auch jede andere Tochter hat es feierlich versprochen. Wir werden den Befehlen des Häuptlings folgen.«

Perrin versagte sich die Frage, was die Trostlosigkeit sei, ebenso wie er nicht nachfragte, wie Rhuarc die Aiel ohne Fähren über den Alguenya gebracht hatte, da doch Wasser — über das sie nicht gehen konnten —das einzige war, was Aiel aufzuhalten vermochte. Er hatte es gerne gewußt, aber die Antworten waren unwichtig. Sechstausend Aiel, fünfhundert von Dobraines Waffenträgern und zweihundert Beflügelte Wachen. Gegen sechs Aes Sedai, ihre Behüter und einige fünfhundert Wächter — das sollte genügen. Aber die Aes Sedai hielten Rand fest. Würde irgend jemand die Hand gegen sie zu erheben wagen, wenn sie ihm ein Messer an die Kehle legten?

»Da sind auch noch vierundneunzig Weise Frauen«, sagte Amys. »Sie beherrschen die Eine Macht am besten.« Sie äußerte letzteres nur widerwillig — er erinnerte sich daran, daß Aielfrauen nicht gern zugaben, daß sie die Macht lenken konnten —, aber sie sprach weiter. »Wir hätten nicht so viele mitgebracht, aber sie wollten alle mitkommen.« Sorilea räusperte sich, und jetzt errötete Amys. Er würde Gaul danach fragen müssen. Aiel waren allen anderen Menschen, denen er jemals begegnet war, so unähnlich. Vielleicht erröteten sie erst, wenn sie älter wurden. »Sorilea führt uns an«, schloß Amys, und die ältere Frau schnaubte höchst zufrieden. Und sicherlich roch sie zufrieden.

Perrin unterdrückte nur mühsam ein Kopfschütteln. Sein Wissen über die Eine Macht hätte, noch zusammen mit einem dicken Daumen, in einen Fingerhut gepaßt, aber er hatte erlebt, wozu Verin und Alanna imstande waren, und er hatte die Flamme gesehen, die Sorilea geschaffen hatte. Wenn sie eine derjenigen unter den Weisen Frauen war, welche die Macht am besten führen konnten, war er sich nicht sicher, daß sechs Aes Sedai sie nicht alle vierundneunzig zu einem Bündel verschnüren konnten. Dafür hätte er jedoch nicht die Hand ins Feuer gelegt.

»Sie müssen siebzig oder achtzig Meilen vor uns sein«, erklärte er. »Vielleicht auch hundert, wenn sie ihre Wagen vorantreiben. Wir werden uns beeilen müssen.« Während er wieder in den Sattel stieg, trabten Rhuarc und die anderen bereits weiter und den Hügel hinauf. Perrin hob die Hand, und Dobraine bedeutete den Reitern den Aufbruch. Es kam Perrin keinen Augenblick in den Sinn, sich zu fragen, warum Männer und Frauen, die alt genug waren, um seine Eltern sein zu können und die es gewohnt waren zu befehlen, ihm folgten.

Allerdings fragte er sich, wie schnell sie vorankommen würden. Aiel im Cadin'sor konnten mit den Pferden mithalten, aber er sorgte sich vor allem um die Weisen Frauen, von denen einige vielleicht bereits so alt wie Sorilea waren. Aber ob sie nun Röcke trugen oder nicht und ihr Haar weiß war oder nicht — die Weisen Frauen kamen genauso schnell voran wie alle anderen und hielten mit den Pferden mit, während sie sich in Gruppen ruhig unterhielten.

Die Straße wand sich weit sichtbar vor ihnen. Niemand begab sich während des Lichterfests auf die Reise und auch nur wenige in den Tagen davor, es sei denn, ihre Angelegenheit war so dringend wie seine. Die Sonne stieg höher, die Hügel wurden niedriger, und als sie in der Dämmerung ihr Lager errichteten, schätzte Perrin, daß sie vielleicht fünfunddreißig Meilen zurückgelegt hatten. Ein gutes Tagespensum. Ausgezeichnet für eine so große Gruppe Menschen, aber andererseits auch nur halb soviel, wie die Aes Sedai bewältigen konnten, es sei denn, sie wollten ihre Zugtiere töten. Er sorgte sich nicht mehr darum, ob er sie noch vor Tar Valon einholen könnte, sondern nur darum, was er tun konnte, wenn es soweit wäre.

Perrin lag auf seinen Decken, den Kopf auf dem Sattel, und blickte lächelnd zur Mondsichel hinauf. Wenn Wolken dagewesen wären, wäre die Nacht nicht annähernd so hell gewesen. Es war eine gute Nacht zum Jagen. Eine Gute Nacht für Wölfe.

Ein Bild gestaltete sich in seinem Geist: ein junger wilder Stier mit gelocktem Fell, stolz und mit in der Morgensonne schimmernden Hörnern. Perrin strich mit dem Daumen über die neben ihm liegende Streitaxt mit ihrer gefährlich gebogenen Klinge und dem scharfen Dorn. Die Stahlhörner von Junger Stier, wie ihn die Wölfe nannten.

Er ließ seinen Geist auf die Suche gehen, sandte das Bild in die Nacht hinaus. Dort würden Wölfe sein, und sie würden von Junger Stier wissen. Die Nachricht von einem Menschen, der mit Wölfen sprechen konnte, würde sich wie ein Lauffeuer im Land verbreiten. Perrin mußte nur zwei Wölfe treffen. Der eine ein Freund, der andere ein armer Teufel, der das Menschsein nicht hatte bewahren können. Er hatte die Geschichten über die Flüchtlinge gehört, die in die Zwei Flüsse einsickerten. Sie erzählten alte Geschichten von Männern, die sich in Wölfe verwandelten, Geschichten, die nur wenige wirklich glaubten und die erzählt wurden, um Kinder zu unterhalten. Drei behaupteten, Männer gekannt zu haben, die Wölfe wurden und verwildert waren, und wenn Perrin die Einzelheiten auch falsch erschienen waren, so war die Art, wie die beiden seine gelben Augen unbehaglich gemieden hatten, doch eine Bestätigung. Jene beiden, eine Frau aus Tarabon und ein Mann aus der Ebene von Almoth, würden nachts nicht nach draußen gehen. Sie schenkten ihm aus irgendeinem Grund Knoblauch, das er mit großem Genuß aß. Aber er versuchte nicht mehr, andere seiner Art zu finden.

Er spürte Wölfe, und ihre Namen kamen zu ihm.

Zwei Monde und Feuersturm und Alter Hirsch und Dutzende weitere stürzten auf seinen Geist ein. Es waren eigentlich nicht wirklich Namen, sondern eher Bilder und Empfindungen. Junger Stier war ein einfaches Bild, um einen Wolf zu benennen. Zwei Monde war in Wahrheit ein von der Nacht verhüllter Teich, in einem Augenblick glatt wie Eis, bevor eine Brise die Oberfläche kräuselte, Herbstgeruch in der Luft lag, ein Vollmond am Himmel stand und ein weiterer Mond so vollkommen von der Wasseroberfläche reflektiert wurde, daß es schwierig war zu bestimmen, welcher der wirkliche Mond war. Und das berührte tief.

Eine Zeitlang war da nur der Austausch von Namen und Gerüchen. Dann dachte er: Ich suche Menschen, die sich vor mir befinden. Aes Sedai und Männer mit Pferden und Wagen. Natürlich dachte er nicht genau das, nicht mehr als Zwei Monde wirklich zwei Monde war. Menschen waren ›Zweibeiner‹ und Pferde ›Vierbeiner‹. Aes Sedai waren ›zweibeinige Weibchen, die den Wind berühren, der die Sonne bewegt, und Feuer heraufbeschwören‹. Wölfe mochten Feuer nicht, und sie hüteten sich vor den Aes Sedai noch mehr als vor anderen Menschen. Es erstaunte sie, daß er eine Aes Sedai nicht erkennen konnte. Sie hielten diese Fähigkeit für genauso selbstverständlich, wie er die Fähigkeit für selbstverständlich hielt, ein weißes Pferd in einer Herde schwarzer Pferde zu finden, was sicherlich nicht erwähnenswert war. Und sicherlich nichts, was man deutlich erklären mußte.

Der Nachthimmel schien in seinem Kopf umherzuwirbeln und bedeckte plötzlich ein Lager mit Wagen und Zelten und Lagerfeuern. Sie waren nicht sehr deutlich zu sehen — Wölfe kümmerten sich kaum um Menschliches, also erschienen die Wagen und Zelte nur vage, die Lagerfeuer schienen gefährlich zu brüllen und die Pferde wirkten recht schmackhaft —, und dieses Bild wurde von Wolf zu Wolf weitergegeben, bis es ihn erreichte. Das Lager war größer, als Perrin erwartet hatte, aber Feuersturm hegte keinerlei Zweifel. Ihr Rudel schlich gerade am Rande dieses Lagers entlang, in dem sich die ›zweibeinigen Weibchen, die den Wind berühren, der die Sonne bewegt, und Feuer heraufbeschwören‹ befanden. Perrin versuchte zu erfahren, wie viele es waren, aber Wölfe hatten keine Vorstellung von Zahlen. Sie stellten fest, wie viele Dinge es von etwas gab, indem sie zeigten, wie viel sie gesehen hatten, und als Feuersturm und ihr Rudel die Aes Sedai erst erspürt hatten, hatten sie nicht die Absicht, noch wesentlich näher heranzugehen.

Die Frage Wie weit? wurde erheblich genauer beantwortet, wieder von Wolf zu Wolf weitergegeben, wenn die Antwort auch erst entschlüsselt werden mußte. Feuersturm sagte, sie könne zu dem Hügel gehen, wo ein mürrischer Rüde namens Halbschwanz sein Rudel an Rotwild herangeführt hatte, während der Mond so und so weit über den Himmel gewandert war, in einem bestimmten Winkel. Halbschwanz konnte wiederum Hasennase erreichen — offensichtlich ein junger und sehr wilder Rüde —, während der Mond so und so weit wanderte, in einem anderen Winkel. Und so ging es weiter, bis Zwei Monde erreicht wurde. Zwei Monde bewahrte würdiges Schweigen, was für einen alten Rüden mit überwiegend weißer Schnauze angemessen war. Er und sein Rudel waren nicht viel weiter als eine Meile von Perrin entfernt, und der Gedanke, daß Perrin den Standort der Aes Sedai nicht genau kannte, wäre eine Beleidigung gewesen.

Perrin dachte so gründlich wie möglich über die erhaltenen Angaben nach und kam auf sechzig oder siebzig Meilen. Morgen würde er wissen, wie schnell sie sich ihnen näherten.

Warum? Das war Halbschwanz, der kenntlich an seinem Geruch vorüberzog.

Perrin zögerte mit der Antwort. Er hatte diese Frage befürchtet. Er empfand den Wölfen gegenüber genau wie den Leuten von den zwei Flüssen gegenüber. Sie haben Schattentöter gefangengesetzt, dachte er schließlich. So nannten die Wölfe Rand, aber er wußte nicht, ob ihnen Rand wichtig war.

Das Entsetzen, das seinen Geist erfüllte, genügte als Antwort, und Geheul erfüllte die Nacht, nah und fern, ein mit Wut und Angst durchsetztes Geheul. Die Pferde im Lager wieherten erschreckt und stampften mit den Hufen, während sie an den Pflockseilen zerrten. Männer liefen hin, um sie zu beruhigen, und andere spähten in die Dunkelheit, als erwarteten sie, daß ein großes Rudel Wölfe die Pferde angreifen würde.

Wir kommen, antwortete Halbschwanz schließlich.

Nur das, und dann antworteten auch die anderen, Rudel, mit denen Perrin gesprochen hatte, und auch Rudel, die dem Zweibeiner, der wie die Wölfe sprechen konnte, schweigend zugehört hatten. Wir kommen. Nicht mehr.

Perrin drehte sich zur Seite, schlief ein und träumte, er sei ein Wolf, der über endlose Hügel lief. Am nächsten Morgen war kein Zeichen von Wölfen zu sehen — nicht einmal die Aiel berichteten, einen gesehen zu haben —, aber Perrin konnte sie spüren, mehrere hundert und mehr Wölfe auf dem Weg.

Während der nächsten vier Tage flachte das Land zu wogenden Ebenen ab, deren höchste Erhebungen im Vergleich zu den Bergen am Alguenya kaum den Namen Hügel verdienen. Der Wald wurde lichter und machte Weideland Platz, braun und versengt, mit sich weit erstreckenden Dickichten. Die Flüsse und Bäche, die sie überquerten, benäßten kaum die Hufe der Pferde und bewirkten auch sonst nicht viel mehr, bevor sie im von der Sonne gehärteten Schlamm versickerten. Jede Nacht teilten die Wölfe Perrin mit, was sie von den vorauseilenden Aes Sedai in Erfahrung bringen konnten, was aber nicht viel war. Feuersturms Rudel folgte ihnen unbemerkt, wenn auch in großem Abstand. Eines wurde deutlich: Perrin legte jeden Tag die gleiche Strecke zurück wie am ersten Tag, und jeden Tag kam er den Aes Sedai um zehn Meilen näher. Aber was würde er tun, wenn er sie einholte?

Bevor sich die Wölfe in jeder Nacht meldeten, saß Perrin in leiser Unterhaltung mit Loial versunken, während sie zusammen eine Pfeife rauchten. Perrin wollte über den Ernstfall reden. Dobraine schien zu glauben, sie sollten einfach angreifen und bei dem Versuch, ihr Bestes zu tun, sterben. Rhuarc sagte nur, daß sie abwarten müßten, was der morgige Tag bringen würde, und daß alle Männer aus dem Traum erwachen müßten, was nicht allzu weit von Dobraines Sicht der Dinge entfernt war. Loial war zwar für einen Ogier noch jung, aber er war dennoch bereits über neunzig. Perrin vermutete, daß Loial mehr Bücher gelesen hatte, als er selbst jemals gesehen hatte, und er verfügte über ein erstaunliches Wissen über die Aes Sedai.

»Es gibt mehrere Bücher über Aes Sedai, die sich mit Menschen befassen, die die Macht lenken können.« Loial blickte stirnrunzelnd um seine Pfeife herum, deren blattförmiger Kopf so groß wie Perrins beide Fäuste war. »Elora, Tochter von Amar Tochter von Coura, schrieb während der frühen Regentschaft Artur Falkenflügels Männer aus Feuer und Frauen aus Luft. Und Ledar, Sohn von Shandin Sohn von Koimal, schrieb erst vor ungefähr dreihundert Jahren Eine Betrachtung über Männer, Frauen und die Eine Macht unter Menschen. Ich denke, das sind die beiden besten Werke. Besonders das von Elora. Sie schrieb im Stil von... Nein. Ich werde es kurz machen.« Perrin bezweifelte das. Sich kurz und präzise auszudrücken, gehörte nicht zu den Tugenden Loials, wenn er über Bücher sprach. Der Ogier räusperte sich. »Nach Burgrecht muß ein Mann zum Verhör zur Burg gebracht werden, bevor er gedämpft werden kann.« Loials Ohren zuckten einen Moment heftig, und seine langen Augenbrauen sanken grimmig nach unten, aber er klopfte Perrin tröstlich auf die Schulter. »Ich kann nicht glauben, daß sie das vorhaben, Perrin. Ich habe gehört, daß sie darüber sprachen, ihm Ehre zu erweisen, schließlich ist er der Wiedergeborene Drache.«

»Ehre?« erwiderte Perrin ruhig. »Vielleicht betten sie ihn auf Seide, aber ein Gefangener ist noch immer ein Gefangener.«

»Ich bin zuversichtlich, daß sie ihn gut behandeln, Perrin.« Aber der Ogier klang nicht überzeugt, und sein Seufzen klang hohl. »Und er ist sicher, bis er Tar Valon erreicht. Elora und Ledar — und mehrere andere Schriftsteller ebenso — stimmen darin überein, daß dreizehn Aes Sedai nötig sind, um einen Mann zu dämpfen. Ich kann nur nicht verstehen, wie sie ihn gefangennehmen konnten.« Loial wurde mit einemmal nachdenklich. »Perrin, sowohl Elora als auch Ledar schreiben, daß die Aes Sedai, wenn sie einen Menschen mit großer Macht finden, stets dreizehn von ihresgleichen versammeln, um ihn gefangenzunehmen. Oh, sie erzählen auch Geschichten, in denen es nur vier oder fünf sind, und beide erwähnen Caraighan — sie brachte einen Mann fast zweitausend Meilen weit allein zur Burg, nachdem er ihre beiden Behüter getötet hatte —, aber... Perrin, sie schrieben von Yurian Steinbogen und Guaire Amalasan. Und ebenso von Kaolin Darksbane und Davian, aber es sind die anderen, die mir Sorgen machen.« Damit meinte er vier der Mächtigsten unter den Männern, die sich als der Wiedergeborene Drache bezeichnet hatten, aber dies alles war vor langer Zeit, vor Artur Falkenflügel, geschehen. »Sechs Aes Sedai haben versucht, Steinbogen zu überwältigen, und er hat drei getötet und die anderen gefangengenommen. Sechs versuchten, Amalasan gefangenzunehmen. Er hat eine getötet und zwei weitere gedämpft. Rand ist sicherlich genauso stark wie Steinbogen und Amalasan. Befinden sich wirklich nur sechs Aes Sedai vor uns? Es würde vieles erklären.«

Vielleicht tat es das, aber es lag kein Trost darin. Dreizehn Aes Sedai könnten jeden Angriff Perrins abwehren, auch ohne ihre Behüter und Wächter. Dreizehn Aes Sedai konnten damit drohen, Rand zu dämpfen, wenn Perrin angriff. Sicherlich würden sie es nicht tun — sie wußten, daß Rand der Wiedergeborene Drache war; sie wußten, daß er bei der Letzten Schlacht dabeisein mußte —, aber durfte Perrin das riskieren? Wer wußte, warum die Aes Sedai irgend etwas taten? Er hatte sich niemals dazu überwinden können, auch nur jenen Aes Sedai zu trauen, die sich als Freunde zu erweisen versucht hatten. Sie bewahrten stets ihre Geheimnisse, und wie durfte ein Mann jemals sicher sein, wenn sie sich hinter seinem Rücken regten, wie sehr sie ihm auch ins Gesicht lächelten? Wer konnte ahnen, was die Aes Sedai tun würden?

Tatsächlich wußte Loial nicht viel, das hilfreich wäre, wenn der Tag kam, und außerdem war er weitaus mehr daran interessiert, über Erith zu sprechen. Perrin wußte, daß er zwei Briefe bei Faile hinterlassen hatte, einer an seine Mutter und der andere an Erith gerichtet, die Faile überbringen sollte, wenn die Dinge ungünstig verliefen. Loial hatte ihr äußerst nachdrücklich versichert, daß dies nicht geschähe. Er sorgte sich immer schrecklich darum, jemand anderen besorgt zu machen. Perrin hatte ebenfalls einen Brief für Faile hinterlegt. Amys hatte ihn den Weisen Frauen im Aiellager zur Aufbewahrung gebracht.

»Sie ist so wunderschön«, murmelte Loial, der in die Nacht starrte, als sähe er sie. »Ihr Gesicht wirkt so zart und doch gleichzeitig so stark. Wenn ich ihr in die Augen sehe, scheint es, als könnte ich nichts anderes mehr wahrnehmen. Und ihre Ohren!« Seine eigenen Ohren zitterten plötzlich heftig, und er verschluckte sich an seiner Pfeife. »Bitte«, keuchte er, »vergiß, daß ich das gesagt habe... Ich hätte nicht davon sprechen sollen... Du weißt, daß ich nicht ungehobelt bin, Perrin.«

»Ich habe es bereits vergessen«, sagte Perrin schwach. Ihre Ohren?

Loial wollte wissen, wie es war, verheiratet zu sein. Nicht daß er die Absicht hätte, Erith zu heiraten, wie er hastig hinzufügte. Er war zu jung und mußte sein Buch beenden, und er war noch nicht bereit, sich in einem Leben einzurichten, bei dem er das Stedding niemals wieder verlassen könnte, außer wenn er ein anderes Stedding besuchte, worauf eine Frau sicherlich bestehen würde. Er war einfach neugierig. Nichts weiter.

Also sprach Perrin von seinem Leben mit Faile, wie sie seine Wurzeln verpflanzt hatte, bevor er es gemerkt hatte. Einst waren die Zwei Flüsse seine Heimat gewesen, und jetzt war seine Heimat dort, wo Faile war. Der Gedanke daran, daß sie auf ihn wartete, beschleunigte seine Schritte. Ihre Gegenwart erhellte einen Raum, und bei ihrem Lächeln verflog jeder Kummer. Natürlich konnte er nicht darüber sprechen, wie der Gedanke an sie sein Blut zum Wallen brachte oder ihr Anblick sein Herz schneller schlagen ließ — es wäre nicht schicklich gewesen —, und er hatte sicherlich nicht die Absicht, den Kummer zu erwähnen, den sie in sein Herz gepflanzt hatte. Was sollte er tun? Er war wirklich bereit, auf Knien zu ihr zu kriechen, aber ein eigensinniger, harter Kern in ihm forderte zuerst dieses eine Wort von ihr. Wenn sie nur einfach sagen würde, daß alles wieder so sein sollte wie vorher.

»Was ist mit ihrer Eifersucht?« fragte Loial, und jetzt verschluckte sich Perrin. »Sind Ehefrauen alle so?«

»Eifersüchtig?« fragte Perrin beherzt. »Faile ist nicht eifersüchtig. Wie kommst du darauf? Sie ist vollkommen.«

»Natürlich ist sie das«, sagte Loial schwach, während er in seinen Pfeifenkopf blickte. »Hast du noch Tabak von den Zwei Flüssen? Ich habe jetzt nur noch ein wenig scharfen cairhienischen Tabak.«

Wäre alles so verlaufen, wäre es in gewisser Weise eine friedliche Reise gewesen, soweit man eine Jagd so bezeichnen konnte. Das Land zog vorüber, ohne daß sie jemandem begegneten. Wenn die Sonne wie geschmolzenes Gold und die Luft wie in einen Backofen war, kreisten Falken am wolkenlosen blauen Himmel. Aber es gab ein altes Sprichwort: »Der einzige wirklich friedvolle Mann ist ein Mann ohne Mittelpunkt.«

Die Cairhiener fühlten sich in Gegenwart der Aiel natürlich nicht wohl, betrachteten sie häufig stirnrunzelnd oder verhöhnten sie offen. Mehr als einmal murmelte Dobraine etwas darüber, zwölf zu eins in der Minderheit zu sein. Er respektierte ihr Kampfvermögen, aber nur auf die Art, wie man gefährliche Eigenschaften bei einem Rudel wütender Wölfe respektiert. Die Aiel schauten nicht und höhnten auch nicht. Sie machten einfach nur deutlich, daß die Cairhiener nicht beachtenswert waren. Perrin wäre nicht überrascht gewesen zu sehen, wie einer von ihnen durch einen Cairhiener hindurchging, weil er sich weigerte zuzugeben, daß er vorhanden war. Rhuarc glaubte, es gäbe keinen Ärger, solange die Baumtöter nicht damit begännen. Dobraine wiederum glaubte, es gäbe keinen Ärger, solange ihm die Wilden aus dem Weg blieben. Perrin wünschte, er könnte sicher sein, daß sie einander nicht töteten, bevor sie die Aes Sedai, die Rand gefangenhielten, auch nur zu Gesicht bekamen.

Er hegte die leise Hoffnung, daß die Mayener eine Brücke zwischen den beiden schlagen könnten, obwohl er manchmal auch merkte, daß er es bedauerte. Die Männer mit den roten Brustharnischen verstanden sich gut mit den kleineren Männern in den einfacheren Harnischen — es hatte niemals einen Krieg zwischen Mayene und Cairhien gegeben —, und die Mayener verstanden sich auch mit den Aiel gut. Abgesehen vom Aiel-Krieg hatte Mayene niemals Aiel bekämpft. Dobraine ging recht freundlich mit Nurelle um, teilte oft die Abendmahlzeit, und Nurelle gewöhnte es sich an, eine Pfeife mit verschiedenen Aiel zu rauchen. Besonders mit Gaul. Daher rührte das Bedauern.

»Ich habe mit Gaul gesprochen«, sagte Nurelle schüchtern. Es war am vierten Tag ihrer Reise, und er war neben Perrin am Anfang der Truppe geritten. Perrin horte nur halbwegs zu. Feuersturm hatte einem der jüngeren Rüden ihres Rudels erlaubt, nahe heranzuschleichen, als die Aes Sedai am Morgen aufgebrochen waren, aber er hatte Rand nicht gesehen. Anscheinend wußte jeder Wolf, wie Schattentöter aussah. Alle Wagen bis auf einen schienen, trotz aller Unvollkommenheit dessen, was Morgenwolke gesehen hatte, eine Plane über dem Aufbau aufzuweisen. Rand befand sich wahrscheinlich in einem dieser Wagen und hatte es im Schatten erheblich bequemer als Perrin, dem der Schweiß in den Nacken lief. »Er hat mir von der Schlacht von Emondsfeld berichtet«, fuhr Nurelle fort, »und von Eurem Feldzug bei den Zwei Flüssen. Lord Aybara, ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Ihr mir selbst von Euren Schlachten erzählen würdet.«

Perrin setzte sich jäh im Sattel auf und sah den Jungen an. Nein, kein Junge, trotz der rosigen Wangen und diesem offenen Gesicht. Nurelle war sicherlich genauso alt wie er selbst. Aber der Geruch des Mannes, sehr aufgeweckt und leicht zitternd... Perrin stöhnte beinahe. Er kannte diesen Geruch von kleinen Jungen in seiner alten Heimat, aber von einem Mann seines Alters wie ein Held verehrt zu werden, war fast mehr, als er ertragen konnte.

Wäre das jedoch das Schlimmste gewesen, hätte es ihn nicht gestört. Er erwartete, daß die Aiel und die Cairhiener sich nicht mochten. Er hätte auch erwarten sollen, daß ein junger Mann, der noch niemals an einem Kampf teilgenommen hatte, zu jemandem aufschauen würde, der gegen Trollocs gekämpft hatte. Die Unwägbarkeiten, die er nicht hatte voraussehen können, machten ihn besorgt. Das Unvorhergesehene konnte einen zu Fall bringen, wenn man es am wenigsten erwartete und es sich am wenigsten leisten konnte, beunruhigt zu sein.

Außer Gaul und Rhuarc hatte jeder Aielmann einen Streifen karmesinroten Stoff mit einer schwarzweißen Scheibe um die Stirn gebunden. Perrin hatte sie schon in Cairhien und in Caemlyn gesehen, aber als er jetzt Gaul und dann Rhuarc fragte, ob sie das als die Siswai'aman kennzeichne, von denen Rhuarc gesprochen hatte, versuchten beide Männer vorzugeben, sie wüßten nicht, worüber er spräche, als könnten sie die roten Stirnbänder bei den fünftausend Männern nicht sehen. Perrin fragte sogar den Mann, der unter Rhuarc anscheinend die Befehlsgewalt hatte und den Perrin schon vor langer Zeit kennengelernt hatte, aber Urien schien auch nicht zu verstehen. Nun, Rhuarc hatte gesagt, er könne nur Siswai'aman erheben, also hielt Perrin sie dafür, selbst wenn er nicht wußte, was es bedeutete.

Er wußte nur, daß es zwischen den Siswai'aman und den Töchtern des Speers Ärger geben könnte. Wenn einige jener Männer die Töchter des Speers ansahen, streifte Perrin ein Hauch Eifersucht. Wenn eine der Töchter die Siswai'aman ansah, erinnerte ihn der Geruch an eine über dem Kadaver eines Wildes kauernde Wölfin, die keinem der anderen des Rudels einen Bissen gönnte, auch wenn ,sie erstickte, wenn sie alles allein fraß. Er fand keinerlei Erklärung dafür, aber es war deutlich erkennbar.

Während der ersten zwei Tage nach Verlassen der Stadt taten sich Sulin und Nandera beide hervor, wann immer Rhuarc etwas über die Töchter des Speers sagte. Sulin zuckte jedesmal errötend zurück, aber sie war beim nächsten Mal wieder bei ihm. Am zweiten Abend, als das Lager errichtet war, versuchten sie einander mit bloßen Händen zu töten.

Zumindest hatte Perrin den Eindruck, als sie aufeinander eintraten, sich mit Fäusten schlugen, einander zu Boden warfen und sich die Arme dermaßen verdrehten, daß er meinte, die Knochen müßten brechen. Rhuarc hinderte ihn daran einzugreifen und wirkte überrascht, daß er überhaupt daran gedacht hatte. Viele der Cairhiener und Mayener fanden sich ein, um zuzusehen und Wetten zu plazieren, aber kein Aiel sah sich den Kampf auch nur an und auch nicht die Weisen Frauen.

Schließlich drückte Sulin Nandera mit dem Gesicht in den Staub, einen Arm schmerzhaft nach hinten verdreht, packte Nanderas Haare und schlug ihren Kopf auf den Boden, bis sie leblos dalag. Die ältere Frau stand lange Zeit da und betrachtete die Unterlegene. Dann hob Sulin die bewußtlose Nandera auf ihre Schultern und schwankte mit ihr davon.

Perrin nahm an, daß Sulin von jetzt an das Reden übernehmen würde, aber das war nicht der Fall. Sie war noch immer stets gegenwärtig, aber eine blau verfärbte Nandera beantwortete Rhuarcs Fragen und nahm seine Befehle entgegen, während sich eine gleichermaßen blau verfärbte Sulin ruhig verhielt, und als Nandera Sulin um etwas bat, tat sie es ohne zu zögern. Perrin kratzte sich nur am Kopf und fragte sich, ob er den Kampf tatsächlich so hatte ausgehen sehen, wie es der Fall gewesen war.

Die Weisen Frauen gingen stets in Gruppen unterschiedlicher Anzahl und wechselnder Zusammensetzung die Straße entlang. Am Ende des ersten Tages erkannte Perrin, daß sich alle diese Veränderungen in Wirklichkeit nur um zwei Frauen herum vollzogen, Sorilea und Amys. Am Ende des zweiten Tages war er sicher, daß die beiden auf sehr unterschiedlichen Ansichten beharrten. Es gab zu viele Blicke und zu häufiges Stirnrunzeln. Amys wich langsamer zurück und errötete weitaus seltener. Rhuarc roch manchmal schwach ängstlich, wenn er seine Frau ansah, aber das war das einzige Zeichen dafür, daß er überhaupt etwas merkte. Beim dritten Lager ihrer Reise erwartete Perrin halbwegs, Sulins und Nanderas Kampf zwischen den Weisen Frauen wiederholt zu sehen.

Statt dessen nahmen die beiden Frauen einen Wasserschlauch und entfernten sich ein Stück, wo sie sich allein auf den Boden setzten und die gefalteten Tücher abnahmen, die ihr Haar hielten. Er beobachtete sie bis zur mondbeschienenen Dunkelheit und hielt sich weit genug zurück, daß er nicht zufällig etwas aufschnappte, bis er ins Bett ging, aber sie tranken nur Wasser und redeten. Am nächsten Morgen wechselten die anderen Weisen ebenfalls von Gruppe zu Gruppe, aber bevor die Truppe drei Meilen zurückgelegt hatte, erkannte Perrin, daß sich jetzt alles um Sorilea drehte. Hin und wieder traten sie und Amys allein an den Straßenrand und redeten miteinander, aber es gab keine weiteren Blicke. Wären sie Wölfe gewesen, hätte Perrin gesagt, daß eine Herausforderung an den Rudelführer abgeschlagen worden war, aber ihrem Geruch nach zu urteilen, akzeptierte Sorilea Amys jetzt als fast gleichgestellt, was bei Wölfen niemals der Fall wäre.

Am siebten Tag seit ihrem Aufbruch von Cairhien, während sie unter einer brütenden Morgensonne einherritten, sorgte er sich darüber, welche Überraschung die Aiel ihm als nächstes bescheren würden, ob die Aiel und die Cairhiener sich nicht eines Tages gegenseitig an die Kehle gehen würden und was er tun sollte, wenn er die Aes Sedai in drei oder vier Tagen einholte.

Alles das verblaßte bei einer Übermittlung von Halbschwanz. Eine große Gruppe Menschen — vielleicht Frauen; Wölfe hatten manchmal ihre Schwierigkeiten, männliche Menschen von weiblichen zu unterscheiden —befand sich nur wenige Meilen westlich und ritt schnell in die gleiche Richtung, in die Perrin eilte. Es war das flüchtige Bild der zwei hinterherreitenden Bannerträger, das Perrin anzog.

Er war schnell von Dobraine und Nurelle, Rhuarc und Urien, Nandera und Sulin, Sorilea und Amys umgeben. »Reitet weiter«, befahl er und wandte sein Pferd gen Westen. »Vielleicht schließen sich uns einige Freunde an, aber wir wollen auf keinen Fall Zeit verlieren.«

Sie ritten weiter, als er sich entfernte, aber sie ließen ihn nicht allein gehen. Bevor er eine Viertelmeile zurückgelegt hatte, folgten ihm ein Dutzend Männer der Beflügelten Wache und genauso viele Cairhiener, mindestens zwanzig von Sulin angeführte Töchter des Speers und eine gleiche Anzahl Siswai'aman hinter einem grauhaarigen Mann mit grünen Augen und einem zerfurchten Gesicht. Perrin war nur überrascht, daß nicht auch eine oder zwei Weise Frauen dabei waren.

»Freunde«, murmelte Sulin vor sich hin, während sie neben seinem Steigbügel hertrabte. »Freunde, die ohne Vorwarnung auftauchen, und er weiß plötzlich einfach, daß sie da sind.« Sie sah zu ihm hoch und sprach lauter. »Ich möchte Euch nicht wieder stolpern und auf die Nase fallen sehen.«

Perrin schüttelte den Kopf und fragte sich, welche anderen Waffen er ihr noch in die Hände gegeben hatte, während sie als Dienerin verkleidet gewesen war. Aiel waren seltsam.

Er ritt fast eine Stunde lang in glühender Hitze, von den Wölfen so sicher geleitet wie ein Pfeil zum Ziel, und als er die Kuppe einer kleinen Anhöhe erreichte, war er über den Anblick ungefähr zwei Meilen voraus nicht überrascht: Berittene Männer in einer langen Zweierreihe, Männer von den Zwei Flüssen mit seinem eigenen Roten Wolfskopf-Banner, das am Anfang der Reihe in einer leichten Brise flatterte. Ihn überraschte nur, daß auch Frauen dabei waren — er zählte neun — und eine Anzahl Männer, bei denen er sicher war, daß sie nicht zu seinem Volk gehörten. Das zweite Banner ließ ihn die Kiefer zusammenpressen. Der Rote Adler von Manetheren. Er wußte nicht, wie oft er sie angewiesen hatte, jene nicht aus den Zwei Flüssen herauszubringen. Aber dies war eines der wenigen Dinge, die er zu Hause nicht einfach hatte unterbinden können, indem er vom Hissen dieses Banners abriet. Die unvollkommene Übermittlung der Wölfe hatte ihn vorbereitet.

Sie bemerkten ihn und seine Begleiter natürlich sofort. In dieser Horde gab es gute Augen. Sie kamen heran und warteten ab, während Perrin einige schußbereite Bogen bemerkte, die großen Zwei-Flüsse-Bogen, die einen Mann auf dreihundert und mehr Schritte Entfernung töten konnten.

»Bleibt alle hinter mir«, sagte Perrin. »Sie werden nicht schießen, wenn sie mich erkennen.«

»Gelbe Augen können anscheinend weit sehen«, bemerkte Sulin tonlos. Einige der anderen sahen ihn seltsam an.

»Bleibt einfach hinter mir«, seufzte Perrin.

Als er näher an die Spitze dieser seltsamen Gesellschaft heranritt, wurden die erhobenen Bogen gesenkt und die Pfeile wieder herausgenommen. Sie hatten Stepper bei sich, wie Perrin erfreut erkannte, und Swallow, wie er weniger erfreut erkannte. Faile würde es ihm niemals verzeihen, wenn er zuließ, daß ihre schwarze Stute verletzt würde. Es wäre ein gutes Gefühl, seinen Grauen wieder zu reiten, aber vielleicht würde er auch Steher, wie er sein neues Pferd genannt hatte, behalten. Ein Lord konnte zwei Pferde besitzen. Auch ein Lord, der vielleicht nur noch vier Tage zu leben hatte.

Dannil ritt aus der Reihe der Leute von den Zwei Flüssen heraus, zupfte an seinem dichten Schnurrbart, und Aram und die Frauen ritten mit ihm. Perrin erkannte alterslose Aes Sedai-Gesichter, noch bevor er Verin und Alanna erkannte, die beide hinter den Frauen ritten. Er kannte keine der anderen, aber er wußte sofort, wer sie waren, wenn es auch ein Rätsel war, wie sie hierhergelangt waren. Neun. Neun Aes Sedai könnten in drei oder vier Tagen sehr nützlich sein, aber wie weit konnte er ihnen trauen? Sie waren neun, und Rand hatte ihnen gesagt, daß nur sechs ihm folgen dürften. Er fragte sich, welche Merana, die Anführerin, war. Eine Aes Sedai mit kantigem Gesicht, die unter ihrer Alterslosigkeit wie eine Bäuerin wirkte, sprach, bevor Dannil das Wort an ihn richten konnte. Ihr Pferd war eine robuste, braune Stute. »Also Ihr seid Perrin Aybara. Lord Perrin, sollte ich wohl sagen. Wir haben schon viel von Euch gehört.«

»Es überrascht uns, Euch hier in solch seltsamer Begleitung anzutreffen«, bemerkte eine hochnäsige, wenn auch wunderschöne Frau kühl. Sie ritt einen dunklen Wallach mit lebhaften Augen. Perrin hätte wetten können, daß das Tier als Kampfroß ausgebildet war. »Wir glaubten, daß Ihr uns weit voraus wärt.«

Perrin achtete nicht auf sie, sondern sah Dannil an. »Nicht daß es mir mißfiele, aber wie seid Ihr hierhergelangt?«

Dannil schaute zu den Aes Sedai und strich sich heftig den Schnurrbart, »Wir sind so aufgebrochen, wie Ihr gesagt hattet, Lord Perrin, und zwar so schnell wie möglich. Ich meine, wir haben die Wagen und alles andere zurückgelassen, da wir annahmen, daß Ihr einen Grund hattet so übereilt abzureisen. Dann holten uns Kiruna Sedai und Bera Sedai und die anderen ein, und sie sagten, Alanna könne Rand finden — den Lord Drache, meine ich —, und da Ihr mit ihm gegangen wart, vermuten wir, Ihr wärt, wo immer er wäre, und nichts gab uns zu erkennen, ob Ihr Cairhien verlassen hattet, und...« Er atmete tief durch. »Wie dem auch sei, anscheinend hatten sie recht, nicht wahr, Lord Perrin?«

Perrin runzelte die Stirn und fragte sich, wie Alanna ihn hatte finden können. Aber sie hatte es fertiggebracht, sonst wären Dannil und die anderen nicht hier. Alanna und Verin sahen ihn weiterhin an, ebenso wie eine schlanke Frau mit haselnußbraunen Augen, die häufig seufzte.

»Ich bin Bera Harkin«, sagte die Frau mit dem kantigen Gesicht, »und dies ist Kiruna Nachiman.« Sie deutete auf ihre hochmütige Begleiterin. Anscheinend sollten die anderen erst später vorgestellt werden. »Wollt Ihr uns sagen, warum Ihr hier seid, obwohl sich der junge al'Thor — der Lord Drache — mehrere Tage nördlich befindet?«

Er brauchte nicht lange zu überlegen. Wenn diese neun sich mit den vor ihnen befindlichen Aes Sedai zusammenschließen wollten, konnte er nur wenig tun, um sie daran zu hindern. Aber neun Aes Sedai auf seiner Seite... »Er wird gefangengehalten. Eine Aes Sedai namens Coiren und mindestens fünf weitere bringen ihn nach Tar Valon. Zumindest ist das ihre Absicht. Und ich habe vor, sie aufzuhalten.« Diese Nachricht bewirkte erhebliches Entsetzen. Dannils Augen weiteten sich, und die Aes Sedai sprachen alle gleichzeitig. Aram schien als einziger nicht betroffen zu sein, aber andererseits schien ihn nichts sonderlich betroffen zu machen, außer Perrin und sein Schwert. Die Gerüche der Aes Sedai kündeten trotz ihrer unbewegten Gesichter von Zorn und Angst.

»Wir müssen sie aufhalten, Bera«, rief eine Frau, die ihr Haar zu Zöpfen geflochten und auf tarabonische Art mit Perlen geschmückt hatte, während eine blasse Cairhienerin auf einer schmalen, kastanienbraunen Stute sagte: »Wir dürfen ihn Elaida nicht überlassen, Bera.«

»Sechs?« fragte die Frau mit den haselnußbraunen Augen ungläubig. »Sechs könnten ihn nicht gefangennehmen, dessen bin ich mir sicher.«

»Ich habe Euch doch gesagt, daß er verletzt ist.« Alanna war den Tränen nahe. Perrin kannte ihren Geruch gut genug, um ihn zu erkennen. Sie roch nach Qual. »Ich habe es Euch gesagt.« Verin verhielt sich ruhig, aber sie roch zornig — und ängstlich.

Kiruna ließ ihre dunklen Augen verächtlich über Perrins Begleiter schweifen. »Ihr wollt die Aes Sedai mit diesen Leuten aufhalten, junger Mann? Verin hat mir nicht gesagt, daß Ihr ein Narr wärt.«

»Ich habe noch einige Männer mehr auf der Straße nach Tar Valon«, sagte er trocken. Perrin konnte nicht verstehen, warum Kirunas Haltung ihm so zuwider war, aber jetzt war keine Zeit, das zu ergründen. »Ich habe auch dreihundert Bogenschützen von den Zwei Flüssen bei mir, die ich mit zurück zur Straße nehmen will.« Wie konnte Alanna wissen, daß Rand verletzt war? »Ihr Aes Sedai könnt gerne mitkommen.«

Das gefiel ihnen sicherlich nicht. Sie ritten ein Dutzend Schritte zur Seite und berieten sich — sogar seine Ohren konnten nichts aufnehmen; sie mußten irgendwie die Macht benutzt haben —, und Perrin dachte eine Weile, sie würden allein weiterreiten.

Letztendlich kamen sie mit, aber Bera und Kiruna ritten den ganzen Weg zur Straße zurück rechts und links neben ihm, während sie ihm abwechselnd erzählten, wie gefährlich und verfahren diese Situation sei, und daß er nichts tun dürfe, was den jungen al'Thor gefährde. Bera dachte zumindest manchmal daran, Rand den Wiedergeborenen Drachen zu nennen. Sie machten Perrin recht deutlich klar, daß er den anderen nicht vorauseilen sollte, ohne sie vorher zu fragen. Bera schien allmählich ein wenig beunruhigt darüber, daß er sich vielleicht nicht an ihre Worte erinnern würde. Kiruna hingegen sah sie als verpflichtend an. Perrin fragte sich allmählich, ob er einen Fehler gemacht hatte, als er sie aufgefordert hatte mitzukommen.

Wenn die Aes Sedai von der Ansammlung von Aiel, Mayenern und Cairhienern, welche die Straße entlangmarschierten, beeindruckt waren, so verzogen sie doch keine Miene. Sie trugen jedoch ihren geringen Teil zur allgemeinen Unruhe bei. Die Mayener und Cairhiener schien das Auftauchen von neun Aes Sedai und sechzehn Behütern sehr zu ermutigen, und sie verbeugten sich fast, wann immer eine der Frauen sich ihnen näherte. Andererseits sahen die Töchter des Speers und die Siswai'aman die Aes Sedai unglücklich an, wenn diese nicht hinsahen, als erwarteten sie, daß die Frauen sie zertreten würden. Die Weisen Frauen hielten ihre Gesichter genauso ausdruckslos wie die Aes Sedai, aber Perrin roch bei ihnen das Aufwallen reinen Zorns. Bis auf eine Braune namens Masuri ignorierten die Aes Sedai die Weisen Frauen zunächst vollkommen, aber nachdem Masuri während der nächsten Tage mindestens zwei Dutzend Mal abgewiesen worden war — sie war beharrlich, aber die Weisen Frauen mieden die Aes Sedai so gekonnt, daß Perrin dachte, sie täten es instinktiv —, beobachteten Bera und Kiruna und alle anderen die Weisen Frauen ständig und sprachen hinter einer unsichtbaren Schranke miteinander, die verhinderte, daß Perrin ihre Worte belauschte.

Er hätte es getan, wenn es möglich gewesen wäre. Sie verbargen mehr als nur ihre Gespräche über die Aiel-Frauen. Zunächst weigerte sich Alanna, ihm zu sagen, woher sie von Rands Aufenthaltsort wußte —»Es gibt Wissen, das jeden Geist außer dem der Aes Sedai versengen würde«, belehrte sie ihn kühl und geheimnisvoll aber sie roch recht stark nach Angst und Qual —, und sie wollte nicht einmal zugeben, gesagt zu haben, er sei in irgendeiner Weise verletzt. Verin sprach kaum mit ihm, sondern beobachtete nur alles mit jenen dunklen, vogelähnlichen Augen und einem kleinen, geheimen Lächeln, und doch strahlte sie Enttäuschung und Zorn aus. Vom Geruch her hätte Perrin vermutet, daß entweder Bera oder Kiruna die Anführerin war. Von Bera glaubte er es, obwohl der Geruch begrenzt war und manchmal zeitweise in die andere Richtung zu deuten schien. Es war schwer, es anders zu beurteilen, obwohl die eine oder andere jeden Tag eine gute Stunde lang neben ihm ritt und Variationen ihres ursprünglichen ›Rates‹ wiederholte, und er nahm schließlich an, daß sie beide die Befehlsgewalt hatten. Nurelle schien dies auch zu glauben, da sie ihre Befehle entgegennahm, ohne Perrin auch nur anzusehen, und Dobraine schaute zunächst nur. Eineinhalb Tage lang vermutete Perrin, daß Merana in Caemlyn geblieben sei, und er war schockiert, als er hörte, wie die schlanke Frau mit den haselnußbraunen Augen mit diesem Namen angesprochen wurde. Rand hatte gesagt, sie führe die Abordnung aus Salidar, aber auch wenn die Aes Sedai oberflächlich betrachtet gleich schienen, erkannte Perrin sie als niedriger gestellten Wolf im Rudel. Sie roch nach dumpfer Ergebenheit und Angst. Es war natürlich keine Überraschung, daß Aes Sedai Geheimnisse bewahrten, aber er beabsichtigte Rand von Coiren und den anderen, die ihnen vorausritten, zu erretten, und er wäre für einen Hinweis dankbar gewesen, ob er ihn dann auch vor Kiruna und ihren Freundinnen erretten müßte.

Zumindest war es gut, wieder mit Dannil und den anderen vereint zu sein, auch wenn sie sich mit den Aes Sedai fast genauso gebärdeten wie die Mayener und die Cairhiener. Die Männer von den Zwei Flüssen waren so froh, ihn zu sehen, daß nur wenige murrten, als er ihnen befahl, den Roten Adler einzurollen. Er würde wieder gehißt werden, dessen war Perrin sich gewiß, aber Dannils Cousin Ban, der bis auf eine Hakennase und einen langen Schnurrbart in der Art der Domani fast genauso aussah wie Dannil, steckte ihn sorgfältig gefaltet in seine Satteltasche. Sie ritten natürlich nicht ohne Banner weiter. Einerseits war da sein eigener Roter Wolfskopf. Sie hätten seinen Befehl, auch ihn einzurollen, vielleicht mißachtet, und außerdem erweckte Kirunas kühler, verächtlicher Blick in ihm aus irgendeinem Grund den Wunsch, ihn zu zeigen. Aber neben seinem eigenen Banner zeigten auch Dobraine und Nurelle ihre Banner, da ohnehin bereits eines gehißt war. Aber es waren nicht die Aufgehende Sonne von Cairhien oder der Goldene Falke von Mayene. Beide hatten eine von Rands Standarten hervorgeholt, das Rot und Gold auf Weiß des Drachen und die schwarzweiße Scheibe auf Karmesinrot. Die Aiel schien dies alles nicht zu stören, und die Aes Sedai wurden sehr abweisend, aber es schienen passende Banner zu sein, um ihnen zu folgen.

Am zehnten Tag, als die Sonne auf halbem Weg zum Zenit stand, empfand Perrin trotz der Banner und der Männer von den Zwei Flüssen und seinem vertrauten Pferd Stepper unter sich Groll. Sie würden die Wagen der Aes Sedai nicht lange nach Mittag einholen, aber er wußte noch immer nicht, was er dann tun sollte. In diesem Moment kam die Übermittlung von den Wölfen: Kommt jetzt. Viele Zweibeiner. Viele, viele, viele! Kommt jetzt!

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