39 Möglichkeiten

Egwene richtete ihre Stola, während sie Mat betrachtete. Sie hätte erwartet, daß er sich wie ein in die Enge getriebener Bär verhalten würde, aber er war nur leicht aus dem Gleichgewicht geraten. Sie wollte ihn so vieles fragen — wie konnte Rand von Salidar wissen? Wie konnte er überhaupt wissen, daß sie das Schnelle Reisen herausgefunden hatte? Was hatte Rand vor? —, aber sie würde diese Fragen nicht stellen. Mat und seine Horde der Roten Hand verwirrten sie. Vielleicht hatte Rand ihr ein Geschenk des Himmels gemacht.

»Mein Stuhl?« sagte sie ruhig. Sie hoffte, er habe bemerkt, daß weder sie noch Elayne noch Nynaeve schwitzten. Nynaeve schwitzte ohnehin nur selten. Siuan hatte den Trick verraten, der überhaupt nichts mit der Macht zu tun hatte, sondern nur dadurch gelang, daß man sich auf bestimmte Weise konzentrierte. Nynaeve war recht verärgert gewesen, was kaum überraschend war, daß Siuan es ihnen nicht schon früher verraten hatte, aber Siuan hatte nur ruhig erwidert, der Trick sei Aes Sedai vorbehalten, nicht Aufgenommenen. Bisher hatte Egwene ihre Gedanken angemessen beisammenhalten können, wenn Schwestern in der Nähe waren, und ein kühles anstatt ein schwitzendes Gesicht schien einigermaßen hilfreich zu sein, um Haltung zu bewahren. Einige von ihnen. Bei Mat sollte es Wunder wirken. Wenn er jemals aufhören würde zu starren und es erkannte. »Mat? Mein Stuhl?«

Er zuckte zusammen, erhob sich dann und trat beiseite, während er schweigend von ihr zu Elayne und dann zu Nynaeve schaute, als wären sie eine Art Rätsel. Nun, Nynaeve und Elayne sahen ihn fast genauso an, und sie hatten sicherlich einen besseren Grund dazu.

Sie schüttelte die Kissen aus, bevor sie sie mit einem wohl wollenden Gedanken an Chesa wieder auf den Stuhl legte. Nach zwei Tagen brauchte sie sie eigentlich nicht mehr, aber entweder gab sie das Baden auf oder sie nahm die Kissen in Kauf, bis nichts mehr von den Quetschungen zu sehen war. Chesa würde die Kissen fortnehmen, wenn Egwene es befahl. Aber ob sie nun schwitzte oder nicht — Egwene war der Amyrlin-Sitz, vor dem sich Könige verbeugten und Königinnen Hofknickse vollführten, auch wenn es bisher noch nicht geschehen war. Wer würde Elaida verurteilen und kurz darauf hinrichten lassen und diese Sache mit der Weißen Burg und somit mit der Welt in Ordnung bringen? Chesa würde es tun, bedachte Egwene aber mit solch verletzten, vorwurfsvollen Blicken, weil ihr nicht erlaubt wurde, sich um sie zu kümmern, daß es weitaus einfacher zu ertragen war, die Kissen auf dem Stuhl zu belassen.

Sie setzte sich mit gefalteten Händen an den lisch. »Mat...« Aber er unterbrach sie sofort.

»Weißt du, das ist wirklich verrückt«, sagte er leise, aber sehr bestimmt. »Du wirst letztendlich hingerichtet werden, Egwene. Ihr alle werdet hingerichtet werden. Man wird euch ... die Köpfe ... abschneiden.«

»Mat«, sagte sie lauter, aber er fuhr einfach fort.

»Hör zu, du kannst noch immer hier herausgelangen. Wenn sie glauben, du seist die Amyrlin, kannst du mit mir hinausgehen, um die Horde zu inspizieren. Du eröffnest ein Tor, und wir werden verschwunden sein, bevor diese Horde Wahnsinniger auch nur blinzeln kann.«

Nynaeve hatte Saidar um ihn herum versagen sehen, aber sie hatte schon lange, bevor sie die Macht zu lenken lernte, mit störrischen Männern zu tun gehabt. Mit einem grollend gemurmelten »Mir die Kehrseite verbleuen?«, das, wie Egwene glaubte, nicht für andere Ohren bestimmt war, raffte Nynaeve geschickt ihre Röcke und trat Mat so fest in seine Kehrseite, daß er bis zur Wand taumelte, bevor er sich mit einer Hand abfing. Elayne brach in Gelächter aus und unterdrückte es genauso schnell wieder, aber sie bebte weiterhin mit funkelnden Augen.

Egwene mußte sich auch auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen. Es war wirklich komisch. Mat wandte langsam und mit vor Empörung geweiteten Augen den Kopf zu Nynaeve. Dann senkte er die Brauen, zupfte an seinem Umhang, wie um ihn zurechtzuziehen, und schritt langsam auf sie zu. Langsam, weil er hinkte. Egwene hielt sich den Mund zu. Es wäre wirklich nicht gut zu lachen.

Nynaeve erhob sich starr. Vielleicht wurde ihr jetzt einiges klar. Sie war vielleicht zornig genug, um die Macht lenken zu können, aber Saidar war bei ihm offensichtlich nutzlos. Mat war groß für einen ZweiFlüsse-Mann, erheblich größer als sie und erheblich stärker, und in seinen Augen war ein entschieden gefährliches Glitzern erkennbar. Sie schaute zu Egwene, strich dann ihr Gewand glatt und versuchte, das starre Gesicht beizubehalten. Mat trat mit drohendem Ausdruck noch näher heran. Ein weiterer hastiger und allmählich auch besorgter Seitenblick — und sie trat einen kleinen Schritt zurück.

»Mat«, sagte Egwene ruhig. Er blieb nicht stehen. »Mat, hör auf, dich zum Narren zu machen. Du befindest dich in einer recht unangenehmen Lage, aber ich sollte dich daraus befreien können, wenn du Vernunft zugänglich bist.«

Schließlich hielt er doch inne. Nach einem weiteren drohenden Blick wandte er ihr schließlich den Rücken und stemmte die Fäuste auf den Tisch. »Bin ich in einer unangenehmen Lage? Egwene, du rennst blind in dein Unglück und glaubst, alles sei in Ordnung, nur weil du noch nicht angekommen bist!«

Sie lächelte ihn gelassen an. »Mat, nicht viele hier in Salidar denken gut über die Drachen verschworenen. Lord Bryne sicherlich nicht, und seine Soldaten auch nicht. Wir haben einige sehr beunruhigende Geschichten gehört. Und auch einige wirklich üble Geschichten.«

»Drachenverschworene!« schrie er. »Was habe ich damit zu tun? Ich bin kein verdammter Drachenverschworener!«

»Natürlich bist du das, Mat.« Sie ließ es wie das Offensichtlichste auf der Welt klingen. Was es auch war, wenn man nur darüber nachdachte. »Du gehst dahin, wo Rand dich hinschickt. Was bist du also sonst, wenn kein Drachenverschworener? Aber wenn du mir zuhörst, kann ich verhindern, daß dein Kopf auf einem Spieß landet. Tatsächlich glaube ich nicht, daß Lord Bryne einen Spieß benutzen würde — er beklagt sich stets darüber, daß er nicht genug hätte —, aber ich bin sicher, daß er eine andere Idee hätte.«

Mat schaute zu den beiden anderen Frauen, und Egwene preßte einen Moment die Lippen zusammen. Sie drückte sich deutlich aus, aber er schien dennoch einen Hinweis auf das zu suchen, was sie meinte. Elayne lächelte ihn angespannt an und nickte nachdrücklich. Sie erkannte vielleicht nicht, was Egwene vorhatte, aber sie wußte, daß sie ihre Worte nicht ohne Grund wählte. Nynaeve, die sich noch immer um einen ernsten Gesichtsausdruck bemühte und an ihrem Zopf zog, sah ihn nur an, aber das war vielleicht auch besser so, obwohl sie zu schwitzen begann. Nynaeve konnte sich nicht mehr konzentrieren, wenn sie zornig wurde.

»Hör zu, Egwene«, sagte Mat, wenn auch vielleicht keinerlei Erwiderung ausreichte. Es gelang ihm, in einem sowohl vernünftigen als auch höchst beleidigenden Tonfall zu sprechen. »Wenn du dich Amyrlin nennen willst, kannst du dich Amyrlin nennen. Rand würde dich in Caemlyn mit offenen Armen empfangen, auch wenn du ihm nicht alle diese Aes Sedai bringst, aber ich weiß, daß er überglücklich sein wird, wenn du es tust. Welchen Streit auch immer du mit Elaida hast —er kann ihn beenden. Sie weiß, daß er der Wiedergeborene Drache ist. Licht, du erinnerst dich doch an ihren Brief. Nun, deine Weiße Burg wird vollkommen wiederhergestellt sein, bevor du auch nur blinzeln kannst. Keine Schlachten. Kein Blutvergießen. Du weißt, daß du kein Blutvergießen willst, Egwene.«

Das wollte sie tatsächlich nicht. Wenn das erste Blut zwischen Salidar und Tar Valon vergossen wäre, würde es schwer sein, die Burg wiederherzustellen. Wenn das erste Aes-Sedai-Blut vergossen wäre, würde es vielleicht unmöglich sein. Dennoch mußte Elaida vernichtet werden, und Egwene würde tun, was sie tun mußte. Es gefiel ihr nur nicht. Und es gefiel ihr nicht, daß Mat ihr sagte, was sie wußte, und sie mochte es um so weniger, als es stimmte. Es kostete sie wirklich Mühe, die Hände auf dem Tisch stillzuhalten, denn sie wollte aufstehen und ihn ohrfeigen.

»Wie auch immer ich mit Rand umgehe«, verkündete sie kühl, »du kannst sicher sein, daß ich die Aes Sedai nicht drängen werde, ihm oder irgendeinem anderen Mann die Treue zu schwören.« Kühl und überhaupt nicht streitsüchtig. Eine ruhige Feststellung einfacher Tatsachen. »Und es ist meine Sache, wie ich mit Elaida verfahre, nicht deine. Wenn du auch nur ein wenig Verstand hast, Mat, wirst du den Mund halten, solange du dich in Salidar aufhältst. Wenn du den Aes Sedai in dem Moment, in dem sie das Knie vor Rand beugen, erzählst was er vorhat, könnten dir die Antworten vielleicht nicht gefallen. Rede davon, mich oder Nynaeve oder Elayne fortzubringen, und du wirst sehr froh darüber sein, von keinem Schwert durchbohrt zu werden.«

Er richtete sich jäh auf und starrte sie an. »Ich werde wieder mit dir sprechen, wenn du bereit bist, auf den Verstand zu hören, Egwene. Ist Thom Merrilin hier?« Sie nickte kurz. Was wollte er von Thom? Wahrscheinlich in Wein versinken. Nun, viel Glück bei der Suche nach einem Gasthaus in Salidar. »Wenn du bereit bist, zuzuhören«, wiederholte er grimmig und stolzierte hinkend zur Tür.

»Mat«, sagte Elayne, »ich würde nicht zu gehen versuchen, wenn ich du wäre. Nach Salidar hineinzugelangen, ist entschieden einfacher, als wieder hinauszugelangen.«

Er grinste sie überheblich an, und bei der Art, wie er sie von Kopf bis Fuß betrachtete, konnte er von Glück sagen, daß Elayne ihm keinen so harten Schlag versetzte, daß er alle Zähne verlor. »Dich, meine edle Lady, nehme ich mit zurück nach Caemlyn, auch wenn ich dich zu einem Paket verschnüren muß, um dich Rand zu übergeben, aber ich will verdammt sein, wenn ich es nicht tue. Und ich werde, verflucht noch mal, gehen, wann ich will.« Er verbeugte sich spöttisch vor Elayne und Egwene. Nynaeve wurde nur ein finsterer Blick und ein Drohen mit dem Zeigefinger zugedacht.

»Wie kann Rand solch einen gemeinen, unerträglichen Kerl zum Freund haben?« fragte Elayne niemand Besonderen, bevor sich die Tür noch ganz hinter Mat geschlossen hatte.

»Mit seiner Ausdrucksweise ist es sicherlich bergab gegangen«, murrte Nynaeve düster und warf den Kopf zurück, so daß der Zopf über ihre Schulter schwang. Egwene dachte, sie befürchtete vielleicht, ihn samt den Haarwurzeln auszuziehen, wenn sie ihn nicht außer Reichweite brachte.

»Ich hätte ihn nach seinem Gutdünken handeln lassen sollen, Nynaeve. Du mußt daran denken, daß du jetzt eine Aes Sedai bist. Du kannst nicht umhergehen und Leute treten oder ohrfeigen oder sie mit Stöcken schlagen.« Nynaeve starrte sie an und verzog den Mund, während sich ihr Gesicht immer stärker rötete. Elayne betrachtete aufmerksam den Teppich.

Egwene faltete die gestreifte Stola seufzend zusammen und legte sie auf eine Seite des Tisches. So stellte sie sicher, daß Elayne und Nynaeve sich daran erinnerten, daß sie allein waren. Manchmal veranlaßte die Stola sie, zum Amyrlin-Sitz anstatt zu Egwene al'Vere zu sprechen. Es funktionierte, wie immer. Nynaeve atmete tief durch.

Bevor sie jedoch sprechen konnte, sagte Elayne: »Willst du dich ihm und seiner Horde der Roten Hand zu Gareth Bryne anschließen?«

Egwene schüttelte den Kopf. Die Behüter sagten, Mats Horde bestünde jetzt aus sechs- oder siebentausend Mann, mehr als sie von Cairhien her in Erinnerung hatte. Das war eine erhebliche Anzahl, wenn auch nicht annähernd so viele, wie die beiden Gefangenen behauptet hatten, aber Brynes Soldaten würden Drachenverschworenen wirklich nicht freundlich begegnen. Außerdem hatte sie ihren eigenen Plan, den sie den beiden anderen Frauen erklärte, während sie sich Stühle zum Tisch zogen. Es war, als säße man plaudernd in der Küche. Sie schob die Stola noch weiter beiseite.

»Das ist hervorragend.« Elaynes Grinsen bewies, daß sie ihre Worte ehrlich meinte. Aber andererseits sagte Elayne stets, was sie meinte. »Ich habe bei dem anderen Plan eigentlich nicht geglaubt, daß er funktionieren würde, aber dieser hier ist wirklich hervorragend.«

Nynaeve schnaubte verärgert. »Warum glaubst du, daß Mat aufhören wird? Er wird dir nur aus Spaß Steine in den Weg legen.«

»Ich denke, er hat ein Versprechen gegeben«, erwiderte Egwene nur, und Nynaeve nickte. Zögernd und widerwillig, aber sie nickte. Elayne wirkte natürlich verwirrt denn sie kannte ihn nicht. »Elayne, Mat tut genau das, was er tun will. Das war schon immer so.«

»Egal, wie schwierig es war«, fügte Nynaeve mürrisch hinzu, »oder wie oft er auf die Nase fiel.«

»Ja, das ist Mat«, seufzte Egwene. Er war der verantwortungsloseste Junge in Emondsfeld und vielleicht sogar in den Zwei Flüssen gewesen. »Aber wenn er sein Wort gibt, dann hält er es auch. Und ich glaube, er hat Rand versprochen, dich nach Caemlyn zurückzubringen, Elayne. Erinnere dich, daß er mir gegenüber ausgewichen ist, es ›in gewisser Weise‹ getan zu haben, aber er wird dir kein Haar krümmen. Ich denke, er wird versuchen, dir möglichst nahe zu bleiben. Aber wir werden ihn dich nicht einmal sehen lassen, bis er tut, was wir wollen.« Sie hielt inne. »Elayne, wenn du mit ihm gehen willst, dann kannst du das tun. Zu Rand, meine ich. Sobald wir von Mat und seiner Horde alles Wissenswerte herausbekommen haben.«

Elayne schüttelte ohne Zögern heftig den Kopf. »Nein, Ebou Dar ist zu wichtig.« Dieser Sieg war überraschenderweise nur durch einen Vorschlag errungen worden. Elayne und Nynaeve würden sich Merilille an Tylins Hof anschließen. »Wenn er in der Nähe bliebe, hätte ich vielleicht wenigstens einige Zeit, den Ter'angreal zu betrachten, den er trägt. Es muß ein Ter'angreal sein, Egwene. Nichts sonst würde es erklären.«

Egwene konnte ihr nur zustimmen. Sie hatte ihn an Ort und Stelle in Luft einhüllen wollen, nur als sanfte Erinnerung daran, wen er schlecht zu behandeln versuchte, aber die Stränge berührten ihn und zerschmolzen. Dies war die einzig mögliche Erklärung. Die Stränge zerschmolzen, wenn sie ihn berührten. Sie spürte diesen Schreckensmoment in der Erinnerung noch immer, und sie erkannte, daß sie nicht die einzige war, die plötzlich Röcke richtete, die nicht gerichtet werden mußten.

»Wir könnten ihm von einigen Behütern die Taschen leeren lassen.« Nynaeve klang bei dieser Vorstellung überaus zufrieden. »Dann werden wir sehen, wie Meister Cauthon das gefällt.«

»Wenn wir ihm etwas fortnehmen«, sagte Egwene geduldig, »meinst du nicht, daß er dann mißtrauisch wird, wenn wir ihm sagen, was er tun soll?« Mat hatte Befehle noch niemals bereitwillig angenommen, und seine übliche Reaktion auf Aes Sedai und die Eine Macht bestand darin, bei erster Gelegenheit zu verschwinden. Vielleicht würde sein Rand gegebenes Versprechen es verhindern — es mußte dieses Versprechen gegeben haben; nichts sonst könnte sein Verhalten erklären —, aber sie würde das Risiko nicht eingehen. Nynaeve nickte eher widerwillig.

»Vielleicht...« Elayne tippte mit den Fingern auf den Tisch und blickte einen Moment nachdenklich ins Leere. »Vielleicht könnten wir ihn mit nach Ebou Dar nehmen. Auf diese Weise hätte ich eine bessere Chance, das Ter'angreal zu betrachten. Obwohl ich, wenn es Saidar aufhält, nicht erkennen kann, wie ich es jemals betrachten können soll.«

»Diesen jungen Grobian mitnehmen!« Nynaeve setzte sich jäh auf. »Das kannst du nicht ernst meinen, Elayne. Er würde uns jeden Tag verleiden. Darin ist er sehr gut. Er wird niemals tun, was man ihm sagt. Außerdem wird er dafür niemals Zeit verschwenden. Er ist so von seiner Aufgabe erfüllt, dich nach Caemlyn zu bringen, daß ihn keine zehn Pferde davon abbringen.«

»Aber wenn er mich im Auge behalten will, bis Caemlyn erreicht ist«, belehrte Elayne sie, »wird er keine andere Wahl haben, als mitzugehen.«

»Es ist vielleicht keine schlechte Idee«, warf Egwene ein, während Nynaeve nach weiteren Einwänden suchte. Es schien noch immer richtig, die Schale zu holen, aber je mehr sie darüber nachdachte, wo sie suchen müßten, desto besorgter wurde sie. »Einige Soldaten wären vielleicht gut zu eurem Schutz, es sei denn, du hast ohne mein Wissen bereits Behüter ausgesucht. Es ist vollkommen in Ordnung, Thom und Juilin und Birgitte mitzunehmen, aber ihr sucht einen rauhen Ort auf.«

»Einige Soldaten wären vielleicht gut«, sagte Elayne, aber dann entstand eine deutliche Pause, bevor sie gereizt den Kopf schüttelte. »Wir werden wohl kaum Duelle ausfechten, Egwene, wie empfindlich diese Ebou Dari auch sein mögen. Thom und Juilin werden durchaus genügen. Ich denke, daß alle diese Geschichten, die wir gehört haben, uns nur entmutigen sollen.« Sie alle hatten Geschichten über Ebou Dar gehört, seit bekannt geworden war, daß sie dorthin ziehen wollten. Chesa hatte verschiedene Geschichten gehört, von denen jede schrecklicher war als die vorige: daß Fremde wegen eines schiefen Blicks getötet würden, bevor sie blinzeln könnten, Frauen wegen eines falschen Wortes zu Witwen und Kinder zu Waisen gemacht würden und Frauen auf den Straßen mit Messern kämpften. »Nein, wenn wir Tanchico nur mit Thom und Juilin und Liandrin und einigen ihrer Schwarzen Schwestern überleben konnten, werden wir in Ebou Dar auch ohne Mat Cauthon oder irgendwelche Soldaten sehr gut zurechtkommen. Mat als Befehlshaber von Soldaten! Er hat niemals auch nur daran gedacht, die Kühe seines Vaters zu melken, wenn er nicht auf den Schemel gesetzt wurde und den Eimer in die Hand gedrückt bekam.«

Egwene seufzte leise. Jede Erwähnung Birgittes hatte diese Wirkung. Sie begannen herumzualbern und stotterten dann entweder herum oder fuhren fort, als sei sie gar nicht erwähnt worden. Ein Blick hatte Egwene davon überzeugt, daß die Frau, die Elayne und Nynaeve überallhin folgte — aus irgendeinem Grund besonders Elayne — dieselbe Frau war, die sie in Tel'aran'rhiod gesehen hatte. Birgitte der Legenden, die Bogenschützin, die ihr Ziel niemals verfehlte, eine der toten Heldinnen, die auf den Ruf des Horns von Valere warteten. Eine tote Heldin, keine lebende Frau, die in den Straßen Salidars wandelte, aber dennoch dieselbe Frau. Elayne hatte noch immer keine Erklärung abgegeben, nur ein vorsichtiges, verlegenes Gemurmel, daß sie nicht darüber reden könnte. Birgitte selbst, die Heldin der Legenden, kehrte um oder ging die Straße hinab, wenn sie Egwene kommen sah. Es stand außer Frage, die Frau in ihr Arbeitszimmer zu beordern und eine Erklärung von ihr zu verlangen. Sie hatte immerhin ein Versprechen gegeben, egal, wie töricht sie sich in der Situation fühlte. Wie dem auch sei — es schien wohl kaum zu schaden. Sie wünschte nur, sie wüßte warum. Und wie.

Sie verdrängte die Gedanken an Birgitte und beugte sich über den Tisch zu Nynaeve. »Vielleicht können wir Mat nicht dazu bringen, Befehle auszuführen, aber wäre es nicht gut, ihn bei der Aufgabe als dein Leibwächter schmoren zu sehen?«

»Das wäre sicherlich der Mühe wert«, sagte Elayne nachdenklich, »wenn Rand ihn wirklich zum Lordhauptmann ernannt hat. Mutter sagte oft, auch die besten Männer nähmen nur widerwillig Befehle entgegen, und es wäre immer gut, sie zu belehren. Ich kann Mat nicht als einen der Besten ansehen — Lini sagt ›Narren hören nur sich selbst zu‹ —, aber wenn wir ihn in so ausreichendem Maße belehren können, daß er keinen vollständigen Narren aus sich macht, werden wir Rand einen großen Gefallen erweisen. Außerdem brauche ich Zeit, wenn ich dieses Ter'angreal betrachten soll.«

Egwene unterdrückte ein Lächeln. Elayne begriff stets sehr schnell. Andererseits würde sie Mat wahrscheinlich sogar zu belehren versuchen, wie man aufrecht sitzt. Das bliebe abzuwarten. Sie mochte Elayne und bewunderte ihre Stärke, aber sie würde bei diesem Wettstreit auf Mat setzen.

Nynaeve gab widerwillig etwas Boden auf. Mat war verbohrt. Er würde aus reiner Boshaftigkeit ›hinunter‹ sagen, wenn sie ›hinauf‹ sagten. Er konnte selbst dann noch Schwierigkeiten verursachen, wenn er in ein Faß eingenagelt wurde. Sie würden ihn ständig aus Tavernen und Spielhöhlen herauszerren müssen. Letztendlich dachte sie nur noch, Mat würde Elayne wahrscheinlich zwicken, sobald sie ihm zum ersten Mal den Rücken wandte, aber Egwene wußte, daß sie ihre Einwände überwinden würden. Mat verbrachte sicherlich viel Zeit damit, hinter Frauen herzujagen, was Egwene kaum gutheißen konnte, aber Nynaeve wußte sicher genauso gut wie sie, daß er, auch wenn er zum falschen Zeitpunkt und auf die falsche Art Ausschau hielt, mit unheimlicher Zielgenauigkeit jene Frauen erwählte, die erwählt werden wollten, auch wenn es die unwahrscheinlichsten Frauen waren. Leider kündete ein Klopfen an der Tür Sheriam in dem Moment an, als sie glaubte, Nynaeve würde nachgeben.

Sheriam wartete nicht auf die Erlaubnis, eintreten zu dürfen. Das tat sie niemals. Sie hielt in ihrer blauen Stola mit kühlem Blick inne, um Nynaeve und Elayne zu betrachten. Auch wenn die Behüterin nach der Amyrlin an zweiter Stelle stand, hatte sie keine wirklichen Befugnisse über Aes Sedai, außer der, die die Amyrlin ihr zugedachte, und sie besaß sicherlich keine Berechtigung, jemanden aus der Gegenwart der Amyrlin zu entlassen, obwohl ihr Blick genau das ausdrücken sollte.

Elayne erhob sich anmutig und vollführte einen tiefen, formvollendeten Hofknicks vor Egwene. »Wenn Ihr mich entschuldigen wollt, Mutter, werde ich Aviendha aufsuchen.«

Nynaeve aber hielt Sheriams Blick stand, bis Egwene sich räusperte und die gestreifte Stola um ihre Schulter legte.

Nynaeve errötete und sprang auf. »Ich sollte auch gehen. Janya sagte, sie wollte mit mir über die verlorenen Talente sprechen.«

Die Wiedererlangung jener Talente erwies sich nicht als so einfach, wie Egwene gehofft hatte. Die Schwestern waren sehr gesprächsbereit, aber die Schwierigkeit bestand darin, daß Moghedien verstehen mußte, was mit einer ungenauen Beschreibung oder manchmal nur einem Namen gemeint war, und dann blieb noch zu hoffen, daß sie wirklich etwas wußte. Es war beispielsweise recht gut zu wissen, daß Metalle verstärkt wurden, wenn man die Grundmasse abglich, aber die Frau wußte weniger von Metallen als vom Heilen, und was, unter dem Licht, waren Wirbelndes Erdfeuer oder, um bei solchen Dingen zu bleiben, Milchige Tränen?

Moghedien schien bereitwillig helfen zu wollen, verzweifelt helfen zu wollen, besonders seit Siuan den Trick verraten hatte, wie man nicht schwitzte. Sie hatte Nynaeve und Elayne diesbezüglich offenbar belogen. Überzeugt davon, daß Egwene dies für ihre eine Lüge halten würde, war die Frau auf den Knien gekrochen, hatte mit klappernden Zähnen geweint und gebettelt und ihren Rocksaum geküßt. Aber ob sie nun bereitwillig half oder nicht — es hatte die Angst größer werden lassen. Das beständige, widerwärtige Rieseln wehleidigen Schreckens war einfach zuviel. Das A'dam- Armband befand sich jetzt, trotz ihrer Absichten, in Egwenes Tasche. Sie hätte es Nynaeve gegeben — und wäre froh gewesen, es los zu sein —, aber es vor anderen hin- und herzureichen, würde früher oder später Gerede hervorrufen.

Statt dessen sagte sie: »Nynaeve, du solltest Mat besser aus dem Weg gehen, bis er sich wieder beruhigt hat.« Sie war sich nicht sicher, daß Mat seine Drohung wirklich wahr machen würde, aber wenn jemand ihn dazu aufstacheln konnte, dann sicherlich Nynaeve, und danach wäre sie nicht mehr zu überzeugen. »Oder versichere dich wenigstens, daß du nur mit ihm sprichst, wenn viele Leute in der Nähe sind. Vielleicht auch einige Behüter.«

Nynaeve öffnete den Mund und schloß ihn dann nach einem Moment wieder. Ihre Wangen erblaßten ein wenig, und sie schluckte. Sie verstand, was Egwene meinte. »Ja, ich glaube, das wäre das beste, Mutter.«

Sheriam beobachtete mit leicht gerunzelter Stirn, wie sich die Tür schloß, und wandte sich dann mit demselben Gesichtsausdruck zu Egwene um. »Das waren harte Worte, Mutter.«

»Es war nur das, was man erwarten kann, wenn alte Freunde sich nach langer Zeit wiederbegegnen. Nynaeve hat Mat noch als Lausbub in Erinnerung, aber er ist nicht mehr zehn Jahre alt und nimmt das übel.« Durch den Eid daran gebunden, nicht zu lügen, hatten die Aes Sedai die Halblüge, die Viertellüge und die Andeutung zur Kunstform erhoben. Egwenes Ansicht nach waren dies nützliche Fertigkeiten. Besonders bei Aes Sedai. Die Drei Eide nutzten niemandem, und den Aes Sedai am wenigsten.

»Es ist manchmal schwer einzusehen, daß sich die Menschen verändern.« Sheriam setzte sich, ohne zu fragen, und richtete sorgfältig ihre blauen Seidenröcke. »Ich nehme an, daß derjenige, wer auch immer die Drachenverschworenen befehligt, Mat mit einer Botschaft von Rand al'Thor hierhergesandt hat? Ich hoffe. Ihr habt nichts gesagt, was er als Versprechen auffassen könnte, Mutter. Ein Heer von Drachenverschworenen keine zehn Meilen entfernt stellt uns vor eine heikle Situation. Es wird nicht sehr hilfreich sein, wenn ihr Befehlshaber glaubt, wir würden Versprechungen nicht einhalten.«

Egwene betrachtete die Frau einen Moment. Nichts berührte Sheriam. Zumindest ließ sie es niemanden erkennen. Sheriam wußte viel über Mat, wie auch einige andere Schwestern in Salidar. Konnte das benutzt werden, um ihn in die gewünschte Richtung zu drängen, oder würde er sich dann davonmachen? Zu Mat kommen wir später, dachte sie entschlossen. Und jetzt zu Sheriam. »Würdet Ihr wohl jemanden bitten, Tee zu bringen, Sheriam? Ich bin ein wenig durstig.«

Sheriams Gesichtsausdruck änderte sich nur wenig, nur eine leichte Anspannung um jene schrägstehenden Augen, die ihre anscheinende Gelassenheit kaum störte. Egwene konnte die hervordrängende Frage jedoch fast sehen. Was hatte sie zu Mat gesagt, worüber sie nicht sprechen wollte? Welche Versprechen hatte sie gegeben, vor deren Erfüllung Sheriam sie würde retten müssen, ohne Romanda und Lelaine gegenüber Boden zu verlieren?

Sheriam sagte zu jemandem draußen nur wenige Worte, und als sie sich wieder hinsetzte, gab Egwene ihr gar nicht erst die Gelegenheit zu sprechen. Statt dessen versetzte sie ihr sozusagen einen Schlag mitten ins Gesicht. »Anscheinend ist Mat der Befehlshaber, Sheriam, und in gewisser Weise ist das Heer die Botschaft. Anscheinend möchte Rand, daß wir alle zu ihm nach Caemlyn kommen. Es war die Rede von Treueschwüren.«

Sheriam hob mit geweiteten Augen ruckartig den Kopf. Allerdings waren ihre Züge angesichts dieses Vorschlags nur teilweise von Zorn geprägt. Sie zeigten entschieden ... nun, bei jeder anderen als einer Aes Sedai hätte Egwene es Angst genannt. Es wäre sehr verständlich, wenn dem so wäre. Wenn sie das versprochen hätte — und sie stammte aus demselben Dorf; einer der Gründe, warum sie die Amyrlin war, bestand darin, daß sie mit Rand aufgewachsen war —, wäre es eine Grube ohne Boden, aus der man erst wieder herausgelangen müßte. Die Nachricht würde sich verbreiten, gleichgültig, was Sheriam unternähme. Einige Angehörige des Saals könnten ihr sehr wohl die Schuld dafür geben oder es immerhin als Vorwand benutzen. Romanda und Lelaine waren nicht die einzigen Sitzenden, die Egwene davor gewarnt hatten, Sheriams Rat ohne Rücksprache mit dem Saal zu folgen. Delana war in Wahrheit die einzige, die Sheriam wirklich vollkommen zu unterstützen schien, aber sie riet ebenfalls, auch auf Romanda und Lelaine zu hören, als sei es tatsächlich möglich, gleichzeitig in drei verschiedene Richtungen zu gehen. Und selbst wenn man mit dem Saal zurechtkäme — wenn die Nachricht über das Versprechen und das Zurücknehmen des Versprechens Rand erreichte, würde er noch zehnmal schwerer zu lenken sein. Hundert Mal.

Egwene wartete nur, bis sich Sheriams Lippen teilten, und sprach dann zuerst. »Natürlich habe ich ihm gesagt, das sei lächerlich.«

»Natürlich.« Sheriams Stimme war nicht mehr ganz so ruhig wie vorher. Sehr gut.

»Aber Ihr habt ganz recht. Die Situation ist heikel. Es ist zu schade. Euer Rat, wie mit Romanda und Lelaine umzugehen sei, war gut, aber ich glaube nicht, daß verstärkte Vorbereitungen zum Aufbruch jetzt noch genügen werden.«

Romanda hatte sie in die Enge getrieben und grimmig darüber belehrt, daß Hast Unheil anrichtete. Gabriel Brynes Heer mußte groß genug werden, daß die Nachricht seiner Größe Elaida einschüchtern würde. Und im übrigen konnte Romanda gar nicht nachdrücklich genug betonen, daß die Abordnungen zu den Herrschern zurückgerufen werden mußten. Nur Aes Sedai sollte es erlaubt sein, von mehr Schwierigkeiten in der Burg zu erfahren als vermeidbar. Lelaine kümmerten weder Lord Brynes Heer noch die Herrscher — beide waren unwichtig —, obwohl sie zu Vorsicht und abwartender Haltung riet. Die richtige Annäherung an die noch in der Burg befindlichen Aes Sedai würde sicherlich Vorteile bringen. Elaida konnte auf eine Weise vom Amyrlin-Sitz vertrieben werden und Egwene ihn einnehmen, daß nur einige wenige Schwestern jemals sicher wüßten, was tatsächlich geschehen war. Mit der Zeit würde die Tatsache, daß die Weiße Burg jemals gespalten gewesen war, nur als eine Geschichte vom Lande angesehen. Es hätte vielleicht sogar funktioniert, wenn sie genug Zeit gehabt hätten. Wenn das Abwarten Elaida nicht ebensoviel Gelegenheit gegeben hätte, auf die Schwestern hier einzuwirken.

Der Unterschied bei Lelaine war, daß sie alles mit einem Lächeln geäußert hatte, das sehr gut einer gehorsamen Novizin oder einer Aufgenommenen hätte gelten können, auf die sie sehr stolz war. Egwenes Wiederentdeckung des Schnellen Reisens veranlaßte viele Aes Sedai zu lächeln, obwohl nur eine Handvoll von ihnen stark genug waren, ein größeres Tor zu gestalten, als ihr Arm benötigte, und die meisten brachten nicht einmal das zustande. Romanda wollte Tore benutzen, um die Eidesrute und bestimmte andere Gegenstände aus der Burg fortzuschaffen —Egwene wurde nicht gesagt, was genau —, damit sie in Salidar wahre Aes Sedai sein konnten, während sie Elaida der Fähigkeit beraubten. Sicherlich wollte Egwene eine wahre Aes Sedai sein. Darin stimmte Lelaine mit Romanda überein, nicht aber darin, Tore in die Burg zu benutzen. Die Gefahr der Entdeckung war zu groß, und wenn jene in der Burg das Schnelle Reisen erlernten, ginge zuviel Vorteil verloren. Diese Einwände waren vom Saal schwer gewichtet worden, was Romanda überhaupt nicht gefiel.

Sheriam hatte ebenfalls gelächelt, weil Lelaine mit etwas einverstanden gewesen war, aber jetzt lächelte sie nicht. »Mutter, ich bin nicht sicher, daß ich das verstehe«, sagte sie viel zu duldsam. »Die Vorbereitungen reichen sicherlich aus, dem Saal zu zeigen, daß Ihr Euch nicht einschüchtern laßt. Es könnte sich als verhängnisvoll erweisen, wenn wir aufbrechen, bevor alles geregelt ist.«

Egwene gelang ein verschlagener Gesichtsausdruck. »Ich verstehe, Sheriam. Ich weiß nicht, was ich ohne Euren Rat tun würde.« Wie sehr sie sich auf den Tag freute, an dem sie damit aufhören konnte. Sheriam würde eine sehr gute Behüterin abgeben — sie wäre vielleicht sogar eine gute Amyrlin gewesen —, aber Egwene würde den Tag genießen, an dem sie die Frau darüber belehren könnte, daß sie die Behüterin war und nicht die Amyrlin. Sheriam und den Saal. »Es ist nur so, daß Mat jetzt dieses Heer Drachenverschworener an unsere Schwelle geführt hat. Was wird Lord Bryne tun? Oder was werden einige seiner Soldaten auf eigene Faust tun? Jedermann spricht darüber, daß er Männer aussenden wolle, diese Drachenverschworenen zu jagen, die Dörfer niederbrennen. Ich weiß, daß man ihm befohlen hat, sie hart im Zaum zu halten, aber...«

»Lord Gareth wird genau das tun, was wir — was Ihr —befehlt, und nicht mehr.«

»Vielleicht.« Er war nicht so glücklich mit diesem harten Zaum, wie Sheriam glaubte. Siuan verbrachte viel Zeit mit Gareth Bryne, obwohl sie über den Mann schimpfte, und er erzählte ihr gewisse Dinge. Egwene konnte es sich jedoch nicht leisten, Siuans Treue zu verraten. »Ich hoffe, dasselbe kann man von jedem seiner Soldaten behaupten. Wir können nicht westwärts nach Amadicia gehen, aber ich dachte, wir könnten vielleicht flußabwärts ziehen, nach Ebou Dar. Vielleicht durch ein Tor. Dort sind Aes Sedai sicherlich willkommen. Lord Bryne könnte außerhalb der Stadt lagern. Wenn wir aufbrechen, zeigen wir damit, daß wir Rands Angebot nicht annehmen werden, wenn man es überhaupt so nennen kann. Und wenn wir weitere Vorbereitungen treffen wollen, bin ich sicher, daß wir dies in einer großen Stadt mit Straßen und einem Hafen wesentlich leichter bewerkstelligen können.«

Sheriam verlor erneut soweit die Kontrolle, daß ihre Stimme leicht atemlos klang. »Ebou Dar ist nicht sehr gastfreundlich, Mutter. Und wenige Schwestern unterscheiden sich sehr von mehreren Hundert, die ein Heer hinter sich wissen. Mutter, schon ein Hinweis darauf könnte Tylin zu dem Glauben führen, wir wollten die Stadt einnehmen. Tylin und auch viele altarenische Adlige, denen nichts lieber wäre als ein Vorwand dafür, sie stürzen und den Thron der Winde selbst einnehmen zu können. Eine solche Verwicklung würde unser Verhältnis zu allen Herrschern verderben. Nein, Mutter, das steht eigentlich außer Frage.«

»Aber können wir es wagen hierzubleiben? Mat wird nichts unternehmen, aber was geschieht, wenn nur eine Handvoll von Lord Brynes Soldaten beschließen, die Angelegenheit in die Hand zu nehmen?« Egwene betrachtete stirnrunzelnd ihre Röcke, glättete sie dann, als sorge sie sich, und seufzte. »Je länger wir herumsitzen und nichts tun, während uns ein Heer Drachenverschworener beobachtet, desto schlimmer wird es werden. Ich wäre nicht überrascht, von Gerüchten zu erfahren, daß sie uns angreifen wollen, und Leute sagen zu hören, wir sollten ihnen zuvorkommen.« Wenn dies nicht funktionierte, würde es in der Tat Gerüchte geben. Nynaeve und Elayne und Siuan und Leane würden dafür sorgen. Es wäre gefährlich, aber sie konnte eine Möglichkeit ersinnen, Mat zum Rückzug zu bewegen, bevor die Funken flogen — wenn es dazu käme. »Nun, so wie sich Gerüchte verbreiten, würde es mich nicht wundern, wenn halb Altara in weniger als einem Monat glaubte, wir seien Drachenverschworene.« Das war ein Gerücht, dem sie gern Einhalt geboten hätte, wenn sie gewußt hätte wie. Der Saal führte Logain zwar keinen Adligen mehr vor, seit er geheilt war, aber Brynes Werbungsoffiziere zogen noch immer hinaus, und Gruppen von Aes Sedai suchten neue Novizinnen, und Männer nahmen mit ihren Karren und Wagen die lange Reise zu den nächstgelegenen Dörfern auf sich, um Vorräte zu kaufen. Dieses Gerücht konnte also auf hundert verschiedenen Wegen verbreitet werden, obwohl nur einer nötig war. »Sheriam, ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß wir eingeschlossen sind, und wenn wir nicht hinausgelangen, wird nichts Gutes dabei herauskommen. Überhaupt nichts Gutes.«

»Die Lösung liegt darin, die Drachenverschworenen fortzuschicken«, sagte Sheriam jetzt nicht mehr so duldsam wie zuvor. »Ich bedaure es, Mat wieder entwischen lassen zu müssen, aber ich fürchte, es ist nicht zu verhindern. Ihr habt ihm gesagt, daß das Angebot abgelehnt wird. Nun sagt ihm, er soll gehen.«

»Ich wünschte, es wäre so einfach. Ich glaube nicht, daß er gehen wird, wenn ich es ihm sage, Sheriam. Er hat angedeutet, daß er genau dort abwarten soll, wo er sich jetzt befindet, bis etwas geschieht. Er erwartet vielleicht Befehle von Rand oder sogar dessen Ankunft. In Cairhien kursierte ein Gerücht, daß er mit einigen Männern, die er um sich versammelt hat, das Schnelle Reisen übt. Mit denjenigen, die er die Macht zu lenken lehrt? Ich weiß nicht, was wir tun sollen, wenn das geschieht.«

Sheriam starrte sie an, wobei sie für ihren ruhigen Gesichtsausdruck recht schwer atmete.

Ein Klopfen an der Tür, und Tabitha betrat mit einem Silbertablett den Raum. Sie bemerkte die Stimmung nicht und machte sich mit der grünen Porzellanteekanne und Bechern, dem silbernen Honigtopf, einem kleinen Krug Sahne und spitzengesäumten Leinenmundtüchern zu schaffen, bis Sheriam sie schließlich so heftig anfuhr, sie solle endlich fertig werden, daß Tabitha aufschrie, mit geweiteten Augen einen Hofknicks vollführte, bei dem ihr Kopf fast den Boden berührte, und davonlief.

Sheriam beschäftigte sich einen Moment damit, ihre Röcke glattzustreichen, während sie ihre Haltung wiedererlangte. »Vielleicht«, sagte sie schließlich widerwillig, »müssen wir Salidar doch verlassen. Eher, als ich es mir wünschen würde.«

»Aber der einzig mögliche Weg führt nach Norden.« Egwene sah Sheriam mit großen Augen an. Licht, wie sie das haßte! »Es wird so aussehen, als zögen wir nach Tar Valon.«

»Das weiß ich«, erwiderte Sheriam fast bissig. Sie atmete tief durch und dämpfte ihre Stimme. »Vergebt mir, Mutter. Ich fühle mich ein wenig... Ich mag es nicht, zu etwas gezwungen zu werden, und ich fürchte, Rand al'Thor setzt uns unter Druck, bevor wir bereit sind.«

»Ich werde ein ernstes Gespräch mit ihm führen, wenn ich ihn sehe«, versprach Egwene. »Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich ohne Euren Rat zurechtkäme.« Vielleicht konnte sie eine Möglichkeit ersinnen Sheriam als Lehrling zu den Weisen Frauen zu schicken. Der Gedanke an Sheriam nach ungefähr einem halben Jahr mit Sorilea ließ sie lächeln, so daß Sheriam tatsächlich zurücklächelte. »Süß oder herb?« fragte Egwene und nahm die Teekanne hoch.

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