53 Das Lichterfest

Die in den Straßen von Cairhien tanzenden Menschen ärgerten Perrin. Es war fast unmöglich hindurchzugelangen. Im Schreittanz schlängelte sich eine Kette Tanzender hinter einem großnasigen Burschen mit einer Flöte und ohne Hemd hinter ihm vorbei. Als letzte in der Reihe tänzelte eine rundliche kleine Frau, die fröhlich lachte und eine Hand von der Taille des Mannes vor ihr nahm, um zu versuchen, Perrin hinter sich in die Reihe zu ziehen. Er schüttelte den Kopf, und entweder erschreckten sie seine gelben Augen oder sein Gesichtsausdruck wirkte so grimmig, wie er es auch selbst empfand, denn sie verlor ihre Fröhlichkeit und sah ihn über die Schulter an, bis die Menge sie verbarg. Eine bereits ergrauende, aber immer noch hübsche Frau in einem dunklen, fast bis zur Taille mit farbigen Schlitzen versehenen Seidengewand schlang Perrin die schlanken Arme um den Hals und reckte den Mund hungrig zu ihm empor. Sie wirkte bestürzt, als er sie sanft unter den Armen ergriff und aus dem Weg hob. Eine Gruppe von Männern und Frauen in seinem Alter, die zu Trommelklängen tanzten, stießen gegen ihn, lachten lebhaft und zupften an seinem Umhang. Sie mißachteten sein Kopfschütteln, bis er einen der Männer schließlich heftig von sich stieß und die anderen mit dem Knurren eines Leitwolfs bedachte. Das Lachen wich einem Moment offenen Erstaunens, aber dann lachten sie erneut und versuchten, sein Knurren nachzuahmen, bevor sie fröhlich in die Menge entschwanden.

Es war der erste Tag des Lichterfests, der kürzeste Tag des Jahres, der letzte Tag des Jahres, und die Stadt feierte auf eine Art, wie es sich Perrin niemals hätte vorstellen können. In den Zwei Flüssen würden sie auch tanzen, aber so... Die Cairhiener schienen entschlossen, ein Jahr gesetzte Verhaltenheit an zwei Festtagen wieder wettzumachen. Aller Anstand war dahin und damit jede Barriere zwischen den Bürgern und den Adligen — zumindest in der Öffentlichkeit. Schwitzende Frauen in einfachen, rauhen Wollgewändern ergriffen schwitzende Männer in farbig gestreifter dunkler Seide und zogen sie in den Tanz. Männer in den Jacken der Fuhrmänner oder den Westen der Stallknechte wirbelten Frauen herum, deren Gewänder bis zur Taille farbig geschlitzt waren. Männer mit nacktem Oberkörper begossen sich und alle anderen um sich herum mit Wein. Offensichtlich durfte jeder Mann jede Frau und jede Frau jeden Mann küssen, und sie taten dies sehr ungezwungen, wohin auch immer Perrin blickte. Er bemühte sich, nicht zu genau hinzusehen. Einige der adligen Frauen mit kunstvoll aufgetürmtem gelockten Haar waren unter leichten Umhängen, die geschlossen zu halten sie sich kaum bemühten, bis zur Taille nackt. Unter den Bürgerlichen bemühten sich nur wenige Frauen, die ihre Blusen abgelegt hatten, ihren Körper mit mehr als ihrem Haar zu bedecken, und auch das nur selten ausreichend lange. Sie begossen sich selbst und jedermann sonst ausgelassen mit Wein. Ungestümes Gelächter kämpfte gegen tausend verschiedene Melodien von Flöten und Trommeln, Hörnern und Zithern und Zimbeln an.

Der Frauenkreis in Emondsfeld hätte hier hysterisch geschrien, und die dörfliche Ratsversammlung wäre vom Schlag getroffen worden, aber das verderbte Treiben war nicht vergleichbar mit Perrins Verärgerung. Nur einige Stunden, hatte Nandera gesagt, aber Rand war jetzt schon sechs Tage fort. Min war entweder mit ihm gegangen oder hielt sich bei den Aiel auf. Niemand schien etwas zu wissen. Bis auf Sorilea gaben die Weisen Frauen genauso ausweichende Antworten wie jede Aes Sedai, wenn es Perrin einmal gelang, eine von ihnen in die Enge zu treiben. Sorilea belehrte ihn offen, er solle sich um seine Frau kümmern und seine Nase aus Dingen heraushalten, die Feuchtländer nichts angingen. Er hatte keine Ahnung, woher Sorilea von den Schwierigkeiten zwischen Faile und ihm wußte, aber es kümmerte ihn nicht. Er konnte Rands Not wie ein Kribbeln überall unter der Haut spüren, und es wurde jeden Tag stärker. Jetzt kam er gerade aus Rands Schule — eine letzte Zuflucht —, aber dort war jedermann genauso mit Trinken, Tanzen und Ausschweifungen beschäftigt wie im übrigen Cairhien.

Eine Frau namens Idrien war ihm als Leiterin der Schule benannt worden, aber nachdem es ihm unter einigen Schwierigkeiten und mit nicht unerheblicher Verlegenheit gelungen war, sie beim Küssen eines jungen Mannes, der ihr Sohn hätte sein können, lange genug zu stören, um seine Frage zu stellen, konnte sie ihm nur sagen, daß vielleicht ein Mann namens Fei etwas wüßte, und Fei erwies sich als jemand, der mit drei Frauen tanzte, die seine Enkelinnen hätten sein können. Mit allen dreien auf einmal! Er schien kaum in der Lage, sich an seinen eigenen Namen zu erinnern, was unter den gegebenen Umständen nicht überraschend war. Verdammter Rand! Er war ohne ein Wort davongegangen, obwohl er Mins Vision kannte und auch sehr wohl wußte, daß er Perrin verzweifelt brauchen würde. Sogar die Aes Sedai waren offensichtlich empört gewesen. Perrin hatte gerade an diesem Morgen erfahren, daß sie bereits seit drei Tagen auf dem Rückweg nach Tar Valon waren. Sie hatten gesagt, es mache keinen Sinn mehr zu bleiben. Was hatte Rand vor? Dieses Kribbeln machte Perrin zornig. Als er den Sonnenpalast erreichte, waren alle Lampen entzündet, und Kerzen brannten überall, wo man welche hinstellen konnte. Die Gänge schimmerten wie Edelsteine in der Sonne. In den Zwei Flüssen würde bis zum Sonnenaufgang am übernächsten Morgen auch jedes Haus mit jeder verfügbaren Lampe und Kerze beleuchtet sein. Die meisten der Palastdiener befanden sich auf den Straßen, und die wenigen Verbliebenen schienen genauso viel zu lachen, zu tanzen und zu singen wie zu arbeiten. Selbst hier waren manche Frauen barbusig, Mädchen, die kaum alt genug waren, daß sie in den Zwei Flüssen ihr Haar hätten flechten dürfen, und grauhaarige Großmütter gleichermaßen. Die Aiel in den Gängen wirkten angewidert, wenn sie es bemerkten, und das kam bei ihnen tatsächlich nicht allzu häufig vor. Besonders die Töchter des Speers schienen zornig, obwohl Perrin vermutete, daß ihr Unmut nichts mit den entblößten cairhienischen Frauen zu tun hatte. Die Töchter des Speers wurden, seit Rand fortgegangen war, Katzen immer ähnlicher, die aufgeregt mit dem Schwanz schlugen.

Perrin schlenderte auf der Suche nach Abwechslung durch die Gänge. Fast wünschte er sich, Berelain würde sich auf ihn stürzen. In seinem Geist flammte das Bild auf, wie er seine Zähne in ihren Nacken schlug und sie schüttelte, bis sie bereitwilligst davonlief. Vielleicht war es ein Glück, daß er seine Räume erreichte, ohne auch nur ein Haar von ihr zu sehen.

Faile hätte fast von ihrem Brettspiel aufgeschaut, als er hereinkam. Noch immer schwebte der Geruch von Eifersucht von ihr heran, aber es war nicht der stärkste Geruch im Raum. Ihr Zorn roch noch schärfer, wenn auch nicht im schlimmsten Maße, aber am deutlichsten war ein fader, milder Geruch, den er als Enttäuschung erkannte. Warum war sie von ihm enttäuscht? Warum wollte sie nicht mit ihm reden? Ein Wort, das auch nur andeutungsweise daran erinnert hätte, wie es gewesen war — und er läge auf den Knien, um die Schuld für alles auf sich zu nehmen, was sie ihm anlasten wollte. Aber sie setzte nur einen schwarzen Stein und murmelte: »Ihr seid an der Reihe, Loial. Loial?«

Loials Ohren drehten sich unbehaglich, und seine langen Augenbrauen sanken herab. Der Ogier besaß vielleicht keinen nennenswerten Geruchssinn — nun, man konnte sagen, daß er nicht ausgeprägter war als Failes —, aber Loial konnte Stimmungen erspüren, wo kein menschliches Wesen etwas bemerken würde. Wenn sich Perrin und Faile im gleichen Raum aufhielten, schien Loial zum Heulen zumute zu sein. Gerade jetzt seufzte er wie ein durch eine Höhle fegender Wind und setzte einen weißen Stein an eine Stelle, von der aus er einen großen Teil von Failes Steinen festsetzen konnte, wenn sie nicht aufpaßte. Aber wahrscheinlich würde sie es bemerken. Sie und Loial waren ebenbürtige und weitaus bessere Spieler als Perrin.

Sulin kam mit einem Kissen in den Armen zur Schlafzimmertür und sah Faile und Perrin stirnrunzelnd an. Ihr Geruch erinnerte Perrin an eine Wölfin, die das stürmische Spiel ihrer Jungen mit ihrem Schwanz würdig ertrug. Sie roch aber auch besorgt und seltsamerweise ängstlich. Obwohl Perrin nicht verstand, warum es seltsam sein sollte, daß eine weißhaarige Dienerin —selbst eine mit Sulins vernarbtem, ledrigem Gesicht —ängstlich roch.

Er nahm ein Buch mit goldgeprägtem Ledereinband hoch, setzte sich in einen Sessel und schlug den Band auf. Aber er las nicht, noch sah er das Buch deutlich genug, um zu wissen, welches er in der Hand hielt. Er atmete tief ein und schloß alles außer Faile aus. Enttäuschung, Zorn, Eifersucht und darunter, auch noch unter dem ganz schwachen frischen Kräutergeruch ihrer Seife, war sie. Perrin atmete sie gierig ein. Ein Wort, mehr brauchte sie nicht zu sagen.

Als es an der Tür klopfte, stolzierte Sulin aus dem Schlafraum hervor, schwenkte ihre rotweißen Röcke und sah Perrin und Faile und Loial an, als frage sie sich, warum nicht einer von ihnen auf das Klopfen reagierte. Sie zeigte ihren Hohn recht offen, als sie Dobraine erblickte — sie schien dies häufig zu tun, seit Rand fort war —, aber dann atmete sie tief durch, als stähle sie sich, und zwang sich sichtlich zu fast kriecherischer Sanftmut. Ihr tiefer Hofknicks wäre eines Königs würdig gewesen, der Gefallen daran fand, sein eigener Scharfrichter zu sein, und so verharrte sie, das Gesicht fast am Boden. Plötzlich begann sie zu zittern. Der Geruch ihres Zornes wich, und selbst die Sorge wurde von einem Geruch wie tausend haarfeine, nadelscharfe Splitter überwogen. Perrin hatte schon früher Scham gerochen, aber dieses Mal hätte er behauptet, daß sie daran sterben könnte. Er roch die bittere Süße, die Frauen ausströmten, wenn sie aus Gefühl weinten.

Natürlich sah Dobraine sie nicht einmal an. Statt dessen betrachteten seine tiefliegenden Augen Perrin, das Gesicht unter seiner rasierten und gepuderten Stirn ernst, beinahe düster. Dobraine roch noch nicht einmal schwach nach Alkohol und wirkte kaum, als hätte er getanzt. Als Perrin ihm das bisher einzige Mal zuvor begegnet war, hatte er gedacht, der Mann röche wachsam, als laufe er durch ein Dickicht voller Giftschlangen. Dieser Geruch war heute noch zehnmal stärker. »Seid gegrüßt, Lord Aybara«, sagte Dobraine und neigte den Kopf. »Kann ich Euch allein sprechen?«

Perrin legte das Buch auf den Boden neben seinen Sessel und deutete auf den Sessel gegenüber. »Möge das Licht Euch bescheinen, Lord Dobraine.« Wenn der Mann förmlich sein wollte, konnte auch Perrin förmlich sein. Aber es gab Grenzen. »Was auch immer Ihr zu sagen habt — meine Frau kann es ruhig hören. Ich habe keine Geheimnisse vor ihr. Und Loial ist mein Freund.«

Er konnte Failes auf sich gerichteten Blick spüren. Ihr plötzlicher Geruch überwältigte ihn fast. Aus irgendeinem Grund verband er ihn damit, daß sie ihn liebte. Wenn sie in ihrer zärtlichsten Stimmung war oder ihn äußerst wild küßte, überwältigte ihn dieser Duft auch beinahe. Er dachte daran, Dobraine zum Gehen aufzufordern — und Loial und Sulin ebenfalls. Wenn Faile so roch, konnte er sicherlich alles wieder irgendwie in Ordnung bringen —› aber der Cairhiener saß bereits.

»Ein Mann, der seiner Frau vertrauen kann, Lord Aybara, ist unendlich reich beschenkt.« Dennoch betrachtete Dobraine sie noch einen Moment, bevor er fortfuhr. »Cairhien hat heute zwei Schicksalsschläge erlitten. Heute morgen wurde Lord Maringil tot in seinem Bett gefunden, allem Anschein nach vergiftet. Und nur kurze Zeit später wurde Hochlord Meilan auf der Straße offenbar das Opfer der Klinge eines Straßenräubers. Höchst ungewöhnlich während des Lichterfests.«

»Warum erzählt Ihr mir das?« fragte Perrin zögernd.

Dobraine spreizte die Hände. »Ihr seid der Freund des Lord Drache, und er ist nicht hier.« Er zögerte, und als er fortfuhr, schien es, als müsse er sich zu den Worten zwingen. »Gestern abend speiste Colavaere mit Gästen aus einer Anzahl kleiner Häuser: Daganred, Chuliandred, Annallin, Osiellin und andere. Jedes einzelne Haus klein, aber insgesamt zahlreich. Sie besprachen das Bündnis mit dem Hause Saighan und die Unterstützung Colavaeres für den Sonnenthron. Colavaere gab sich kaum Mühe, das Treffen geheimzuhalten.« Er hielt erneut inne und maß Perrin mit seinen Blicken. Was auch immer Dobraine sah — er schien zu glauben, daß weitere Erklärungen nötig seien. »Das ist höchst seltsam, weil sowohl Maringil als auch Meilan den Thron einnehmen wollten, und beide hätten sie mit ihren eigenen Kissen erstickt, wenn sie davon erfahren hätten.«

Schließlich verstand Perrin, obwohl er nicht begriff, warum der Mann so um den heißen Brei herumreden mußte. Er wünschte, Faile würde etwas dazu sagen. Sie war in diesen Dingen viel geschickter als er. Er konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie sie den Kopf über das Spielbrett beugte und ihn ebenfalls aus den Augenwinkeln betrachtete. »Wenn Ihr glaubt, daß Colavaere ein Verbrechen begangen hat, Lord Dobraine, solltet ihr zu ... Rhuarc gehen.« Er hatte eigentlich Berelain sagen wollen, aber in dem Moment hatte die Eifersucht in Failes Geruch leicht zugenommen.

»Der Aiel-Wilde?« schnaubte Dobraine. »Dann sollte ich wohl besser zu Berelain gehen, und auch das wäre nicht gut. Ich gebe zu, daß dieses Mayene-Mädchen weiß, wie man eine Stadt regiert, aber sie glaubt, jeder Tag wäre ein Lichterfest. Colavaere wird sie in Stücke schneiden und herzhaft zubereiten lassen. Ihr seid der Freund des Wiedergeborenen Drachen. Colavaere hingegen...« Diesmal hielt er inne, weil er bemerkt hatte, daß Berelain den Raum ohne anzuklopfen betreten hatte, und etwas Langes, Schmales, in eine Decke Gehülltes in den Armen hielt.

Perrin hatte den Türriegel gehört, und bei ihrem Anblick, den Busen halb entblößt, spülte Zorn fast alles andere aus seinen Gedanken fort. Die Frau kam hierher, um vor seiner Frau mit ihm zu schäkern? Die Wut trieb ihn hoch, und er schlug die Hände mit einem Donnerkrachen zusammen. »Raus! Sofort! Raus, jetzt! Oder ich werde Euch so weit hinauswerfen, daß Ihr zweimal aufschlagt!«

Berelain erschrak bei seinem ersten Ton so sehr, daß sie ihre Last fallen ließ und mit geweiteten Augen einen Schritt zurücktrat, obwohl sie nicht ging. Beim letzten Wort erkannte Perrin, daß alle ihn ansahen. Dobraines Gesicht schien ungerührt, aber er roch vollkommen erstaunt Loials Ohren standen aufrecht, und sein Kinn ruhte auf seiner Brust. Und Faile, die jenes kühle Lächeln zeigte ... verstand Perrin überhaupt nicht. Er erwartete die Gewebe der Eifersucht, da Berelain hier im Raum stand, aber warum roch sie genauso stark nach Schmerz?

Plötzlich sah Perrin, was Berelain fallen gelassen hatte. Die Decke hatte sich geöffnet und Rands Schwert und Gürtel mit der Drachenschnalle freigegeben. Hätte Rand seinen Schwertgurt zurückgelassen? Perrin durchdachte Dinge gerne gründlich. Wenn man eilig handelte, konnte man unwillentlich Menschen verletzen. Aber dieses Schwert auf dem Boden wirkte wie ein Blitz. Eile war bei Schmiedearbeiten töricht, denn dann wurden sie ungenau, aber Perrins Nackenhaare stellten sich auf, und ein Grollen drang tief aus seiner Kehle.

»Sie haben ihn gefangengenommen!« wimmerte Sulin plötzlich. Den Kopf zurückgeworfen, die Augen fest zusammengepreßt, klagte sie zur Decke gewandt, und der Klang ihrer Stimme ließ Perrin erschaudern. »Die Aes Sedai haben meinen Erst-Bruder gefangengenommen!« Ihre Wangen glänzten vor Tränen.

»Beruhigt Euch, gute Frau«, sagte Berelain fest. »Geht nach nebenan und beruhigt Euch.« An Perrin und Dobraine gewandt fügte sie hinzu: »Wir dürfen nicht zulassen, daß sie die Nachricht verbreitet...«

»Ihr erkennt mich nicht«, unterbrach Sulin sie wild, »in diesem Gewand und mit den längeren Haaren. Sprecht erneut über mich, als wäre ich nicht hier, und ich werde Euch geben, was Rhuarc Euch, wie ich gehört habe, im Stein von Tear gegeben hat und auch weiterhin hätte geben sollen.«

Perrin wechselte verwirrte Blicke mit Dobraine und Loial und auch mit Faile, bevor diese ihren Blick jäh abwandte. Berelain aber wurde abwechselnd blaß und karmesinrot. Sie roch nach reiner Demütigung.

Sulin war zur Tür geschritten und hatte sie aufgerissen, bevor sie irgend jemand daran hindern konnte. Dobraine versuchte es wenigstens, aber eine junge, blonde Tochter des Speers, die vorüberging, hatte Sulin bereits gesehen und grinste belustigt. »Wischt Euch das Gesicht ab, Luaine«, fauchte Sulin. Luaines Grinsen war daraufhin tatsächlich wie weggewischt. »Sagt Nandera, sie soll sofort herkommen. Und Rhuarc. Und bringt mir den Cadin'sor und eine Schere, um mir das Haar angemessen zu schneiden. Lauft, Frau! Seid Ihr eine Far Dareis Mai oder eine Shae'en M'taal?« Die blonde Tochter des Speers schoß davon, und Sulin wandte sich zufrieden nickend wieder um und schlug die Tür zu. Faile sperrte den Mund auf.

»Dem Licht sei Dank«, grollte Dobraine. »Sie hat der Aiel nichts erzählt. Die Frau muß verrückt sein. Wir können entscheiden, was wir ihnen sagen wollen, sobald wir sie gefesselt und geknebelt haben.« Er vollführte eine Bewegung, als wolle er es tatsächlich tun, und zog sogar ein grünes Tuch aus seiner Jackentasche, aber Perrin ergriff seinen Arm.

»Sie ist eine Aiel, Dobraine«, sagte Berelain. »Eine Tochter des Speers. Ich verstehe es nicht, warum sie diese Livree trägt.« Überraschenderweise erhielt Berelain einen warnenden Blick von Sulin.

Perrin atmete langsam aus; er wollte die weißhaarige alte Frau vor Dobraine schützen. Der Cairhiener sah ihn fragend an und hob die Hand mit dem Tuch ein wenig. Er bevorzugte anscheinend immer noch das Fesseln und Knebeln. Perrin trat zwischen die beiden und nahm Rands Schwert auf.

»Ich will Gewißheit« Plötzlich erkannte er, daß ihn seine Schritte sehr nahe an Berelain herangebracht hatten. Sie blickte unbehaglich zu Sulin und trat noch näher zu ihm, als suche sie Schutz, aber sie roch entschlossen, nicht ängstlich. Sie roch wie ein Jäger. »Ich mag keine übereilten Entscheidungen«, sagte er und trat neben Failes Stuhl. Nicht eilig, nur wie ein Mann, der sich neben seine Frau stellt. »Dieses Schwert allein beweist nichts.« Faile erhob sich und umrundete den Tisch, um das Spielbrett über Loials Schulter zu betrachten. Nun, eher über seinen Ellenbogen. Berelain kam wieder auf Perrin zu. Sie warf noch immer ängstliche Blicke zu Sulin, ohne im geringsten nach Angst zu riechen, und dann hob sie die Hand, als wollte sie seinen Arm ergreifen. Er folgte Faile und versuchte, es zufällig wirken zu lassen. »Rand sagte, drei Aes Sedai könnten ihm keinen Schaden zufügen, wenn er wachsam wäre.« Faile trat um die andere Seite des Tisches herum wieder zu ihrem Stuhl. »Ich habe gehört, daß er niemals mehr als drei in seine Nähe gelassen hat.« Berelain folgte ihm und sah Sulin besorgt an. »Man hat mir gesagt, daß an dem Tag, an dem er fortging, auch nur drei zu ihm kamen.« Er folgte Faile jetzt ein wenig eiliger. Sie sprang wieder von ihrem Stuhl auf und trat erneut an Loials Seite. Loial hatte den Kopf in die Hände gelegt und stöhnte leise. Berelain schlich Perrin mit geweiteten Augen nach — das vollkommene Bild einer schutzsuchenden Frau. Licht, sie roch entschlossen!

Perrin wirbelte zu ihr herum und stieß die starren Finger so fest gegen ihre Brust, daß sie aufschrie. »Hört sofort auf!« Er erkannte jäh, wo genau seine Finger lagen und riß sie zurück, als hätte er sich verbrannt Es gelang ihm jedoch, einen harten Tonfall beizubehalten. »Bleibt hier stehen!« Er wich vor ihr zurück und sah sie mit einem Blick an, der eine Mauer hätte bersten lassen können. Er konnte verstehen, warum ihm Failes Eifersucht wie eine Wolke in die Nase stieg, aber warum nur roch sie noch verletzter als zuvor?

»Nur wenige Männer können mir Gehorsam abverlangen«, sagte Berelain leise lachend, »aber ich glaube, Ihr gehört dazu.« Ihr Gesicht und Tonfall — und noch wichtiger: ihr Geruch — wurden ernst. »Ich habe in den Räumen des Lord Drache nachgesehen, weil ich mir Sorgen machte. Jedermann wußte, daß die Aes Sedai gekommen waren, um ihn nach Tar Valon zu geleiten, und ich konnte nicht verstehen, warum sie aufgegeben hatten. Ich erhielt selbst nicht weniger als zehn Besuche von verschiedenen Schwestern, die mich anwiesen, was ich tun sollte, wenn er mit ihnen zur Burg zurückkehren würde. Sie schienen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein.« Sie zögerte, und obwohl sie Faile nicht ansah, gewann Perrin den Eindruck, daß sie überlegte, ob sie etwas Bestimmtes in ihrer Gegenwart sagen sollte. Und auch in Dobraines Gegenwart, aber vor allem in Failes. »Man hat mir sehr deutlich gemacht, daß ich nach Mayene zurückkehren sollte, und daß ich, wenn ich es nicht täte, sehr wohl dorthin geleitet werden könnte.«

Sulin murrte leise etwas, aber Perrins Ohren konnten es deutlich verstehen. »Rhuarc ist ein Narr. Wenn sie wirklich seine Tochter wäre, hätte er keine Zeit mehr für etwas anderes, weil er sie ständig schlagen müßte.«

»Zehn?« fragte Dobraine. »Ich erhielt nur einen Besuch. Ich dachte, sie sei enttäuscht, als ich ihr deutlichmachte, daß ich dem Lord Drache Treue geschworen hatte. Aber ob zehn Besuche oder keiner — Colavaere ist der Schlüssel. Sie weiß genauso gut wie jeder andere, daß der Lord Drache den Sonnenthron für Elayne Trakand bestimmt hat.« Er verzog das Gesicht. »Elayne Damodred sollte sie sein. Taringail hätte darauf bestehen sollen, daß sie in das Haus Damodred einheiratet, anstatt in Trakand einzuheiraten. Sie brauchte ihn so sehr, daß sie es getan hatte. Nun, Elayne Trakand oder Elayne Damodred — sie hat genauso viel Anspruch auf den Thron wie jeder andere und einen weitaus größeren Anspruch als Colavaere, und doch bin ich davon überzeugt, daß Colavaere Maringil und Meilan töten ließ, um sich ihren Weg zum Thron zu sichern. Das hätte sie niemals gewagt, wenn sie geglaubt hätte, daß der Lord Drache zurückkehrt.«

»Darum also.« Berelain runzelte beunruhigt die Stirn. »Ich habe Beweise dafür, daß sie einen Diener angewiesen hat, Gift in Maringils Wein zu geben — sie war sorglos, und ich hatte zwei gute Diebefänger bei mir —, aber ich wußte nicht warum.« Sie beugte leicht den Kopf und zeigte sich damit für Dobraines bewundernden Blick erkenntlich. »Sie wird dafür hängen, wenn es eine Möglichkeit gibt, den Lord Drache zurückzuholen. Wenn nicht, fürchte ich, daß wir alle sehen müssen, wie wir am Leben bleiben.«

Perrins Hand krampfte sich um die Schwertscheide. »Ich werde ihn zurückholen«, grollte er. Dannil und die beiden anderen Männer von den Zwei Flüssen konnten noch nicht weiter als auf halbem Weg nach Cairhien sein, da sie die Wagen mit sich führten. Und da waren die Wölfe. »Und wenn ich allein gehen muß — ich werde ihn zurückholen.«

»Nicht allein«, sagte Loial, und es klang wie aufeinander mahlende Steine. »Niemals allein, wenn ich hier bin, Perrin.« Seine Ohren drehten sich plötzlich verlegen. Er schien stets verlegen zu werden, wenn jemand merkte, daß er mutig war. »Immerhin wird mein Buch kein allzu gutes Ende finden, wenn Rand in der Burg gefangen ist. Und ich kann kaum über seine Rettung schreiben, wenn ich nicht dabei bin.«

»Ihr werdet nicht allein gehen, Ogier«, sagte Dobraine. »Ich kann bis morgen fünfhundert Männer ausheben, denen ich vertraue. Ich weiß nicht, was wir gegen sechs Aes Sedai ausrichten können, aber ich halte mich an meinen Eid.« Er sah Sulin an und betastete das Tuch, das er noch immer in Händen hielt. »Aber können wir den Wilden trauen?«

»Können wir den Baumtötern trauen?« fragte Sorilea mit einer Stimme, die genauso ledrig und zäh wirkte wie sie selbst, nachdem sie ohne anzuklopfen eingetreten war. Ein grimmig riechender Rhuarc war bei ihr, und Amys, deren allzu jugendliches Gesicht in diesem unpassenden Rahmen weißen Haars so kühl wirkte wie das Gesicht jeder Aes Sedai, sowie Nandera, die ein graubraungrünes Bündel mit sich trug und nach tödlichem Zorn roch.

»Ihr wißt es bereits?« fragte Perrin ungläubig.

Nandera schob Sulin das Bündel zu. »Es war längst an der Zeit, daß Ihr Euer Toh als erledigt betrachtet. Fast eineinhalb Monate. Sogar die Gai'shain sagen, Euer Stolz sei zu ausgeprägt.« Die beiden Frauen zogen sich in den Schlafraum zurück.

Von Faile war ein verwirrender Geruch herangeschwebt, als Perrin gesprochen hatte. »Die Zeichensprache der Töchter«, murmelte sie so leise, daß nur Perrin sie verstehen konnte. Er sah sie dankbar an, aber sie schien sich auf das Spielbrett zu konzentrieren. Warum nahm sie nicht Anteil? Sie konnte gut beraten, und er wäre für jeden Rat dankbar gewesen, den sie ihm hätte gewähren wollen. Sie setzte einen Stein und sah dann Loial stirnrunzelnd an, der auf Perrin und die anderen achtete.

Perrin unterdrückte ein Seufzen und sagte tonlos: »Es kümmert mich nicht, wer wem traut. Rhuarc, seid Ihr bereit, Eure Aiel gegen die Aes Sedai zu führen? Gegen sechs Aes Sedai. Einhunderttausend Aiel könnten sie jedoch außer Gefecht setzen.« Die von ihm genannte Anzahl erstaunte ihn — zehntausend Mann bildeten bereits ein nicht unerhebliches Heer —, aber es waren die Zahlen, von denen Rand gesprochen hatte, und was Perrin von den Aiellagern in den Hügeln gesehen hatte, ließ ihn daran glauben. Rhuarc roch zu seiner Überraschung zögerlich.

»So viele sind nicht möglich«, sagte der Stammeshäuptling bedächtig und hielt inne, bevor er weitersprach. »Heute morgen kamen Boten. Es steht fest, daß die Shaido von Brudermörders Dolch südwärts ins Herz von Cairhien ziehen. Ich habe vielleicht genug Männer, um sie aufzuhalten — sie scheinen nicht alle hierherzukommen —, aber wenn ich so viele Speere aus diesem Land abziehe, wird alles, was wir erreicht haben, erneut getan werden müssen. Zumindest werden die Shaido diese Stadt, lange bevor wir zurückkehren, geplündert haben. Wer weiß, wie weit sie gezogen sein werden — vielleicht sogar in andere Länder — und wie viele Verschleppte Gai'shain zu sein behaupten.« Ein strenger Geruch nach Verachtung strömte von ihm aus, aber Perrin verstand nichts von alledem. Welche Bedeutung hatte es, wieviel Land zurückerobert werden müßte — oder auch wie viele Menschen starben, obwohl dieser Gedanke widerwillig und schmerzlich war —, wenn man Rand befreien wollte, den Wiedergeborenen Drachen, der in Tar Valon gefangengehalten wurde?

Sorilea hatte Perrin beobachtet. Unter den Blicken der Weisen Frauen fühlte er sich oft genauso wie unter denen der Aes Sedai — als würde er abgewogen und vermessen. »Erzählt ihm alles, Rhuarc«, befahl sie barsch.

Amys legte eine Hand auf Rhuarcs Arm. »Er hat ein Recht, es zu erfahren, Schatten meines Herzens. Er ist Rand al'Thors Nächstbruder.« Ihre Stimme klang sanft, obwohl sie entschlossen roch.

Rhuarc sah die Weisen Frauen angestrengt und daraufhin Dobraine verächtlich an. Schließlich richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich kann nur Töchter des Speers und Siswai'aman mitnehmen.« Seinem Tonfall und Geruch nach zu schließen, hätte er wohl lieber einen Arm verloren, als diese Worte auszusprechen. »Zu viele der anderen wollen nicht in den Speerkampf mit den Aes Sedai eintreten.« Dobraine schürzte verächtlich die Lippen.

»Wie viele Cairhiener werden gegen Aes Sedai kämpfen?« fragte Perrin ruhig. »Sechs Aes Sedai, und wir haben nur Stahl.« Wie viele der Töchter des Speers und dieser Sis-sowieso könnte Rhuarc versammeln? Egal, da waren immer noch die Wölfe. Wie viele Wölfe würden sterben?

Dobraines Lippen glätteten sich wieder. »Ich werde kämpfen, Lord Aybara«, sagte er steif. »Ich und meine fünfhundert Mann, und wenn es sechzig Aes Sedai wären.«

Sogar Sorileas höhnisches Lachen wirkte ledern. »Fürchtet die Aes Sedai nicht, Baumtöter.« Plötzlich tanzte eine winzige blaue Flamme vor ihr in der Luft. Sie konnte die Macht lenken!

Sie ließ die Flamme verschwinden, als sie Pläne schmiedeten, aber in Perrins Gedanken blieb sie bestehen. Klein und schwach flackernd, schien sie irgendwie eine stärkere Kriegserklärung als Trompeten, einen Kampf bis aufs Messer zu liefern.

»Wenn Ihr mit uns zusammenarbeitet«, sagte Galina leutselig, »wird Euer Leben erfreulicher sein.«

Das Mädchen erwiderte ihren Blick mürrisch und regte sich auf ihrem Stuhl, wobei sie noch immer leichte Schmerzen empfand. Sie schwitzte heftig, obwohl sie die Jacke ausgezogen hatte. In dem Zelt mußte es heiß sein. Galina vergaß die Temperatur manchmal vollkommen. Sie wunderte sich nicht zum ersten Mal über diese Min, oder Elmindreda oder wie auch immer sie in Wirklichkeit hieß. Als Galina ihr zum ersten Mal begegnet war, war sie wie ein Junge gekleidet gewesen und hatte sich in Begleitung Nynaeve al'Mearas und Egwene al'Veres befunden. Elayne Trakand war auch dabeigewesen, aber nur die anderen beiden waren mit al'Thor verbunden. Beim zweiten Mal hatte sich Elmindreda als die Art Frau erwiesen, die Galina haßte, schwierig und schmachtend und so sehr unter dem persönlichen Schutz Siuan Sanches stehend, daß es keinen Unterschied machte. Galina konnte nicht verstehen, wie Elaida jemals so töricht sein konnte, ihr zu erlauben, die Burg zu verlassen. Welches Wissen schlummerte im Geist dieses Mädchens? Vielleicht würde Elaida sie nicht sofort wiederbekommen. Wenn das Mädchen in der Burg richtig eingesetzt würde, könnte sie es Galina sogar ermöglichen, Elaida wie eine Schwalbe zu fangen. Dank Alviarin war Elaida eine dieser starken, fähigen Amyrlins geworden, die jeden Zügel fest in die eigene Hand nahmen. Sie gefangenzusetzen, würde Alviarin sicherlich schwächen. Wenn sie genau jetzt richtig eingesetzt würde...

Eine Veränderung der Stränge, die sie gespürt hatte, ließen Galina sich jäh aufrichten. »Ich werde erneut mit Euch sprechen, wenn Ihr Zeit zum Nachdenken hattet, Min. Überlegt Euch sorgfältig, wie viele Tränen ein Mann wert ist.«

Als Galina draußen war, fauchte sie den wachhabenden Behüter an. »Bewacht sie dieses Mal besser.« Carilo war während des Zwischenfalls in der letzten Nacht nicht auf seinem Posten gewesen, aber die Gaidin waren verweichlicht. Wenn sie überhaupt eine Daseinsberechtigung hatten, sollten sie wie Soldaten behandelt werden und nicht wie Höhergestellte.

Sie ignorierte seine Verbeugung und entfernte sich auf der Suche nach Gawyn vom Zelt. Dieser junge Mann war in sich gekehrt und viel zu still, seit al'Thor gefangengenommen worden war. Sie würde ihn nicht alles dadurch verderben lassen, daß er seine Mutter zu rächen versuchte. Kurz danach sah sie Gawyn am Rande des Lagers auf seinem Pferd sitzen und sich mit der Gruppe Jungen unterhalten, die sich ›die Jünglinge‹ nannten.

Sie hatten heute unvermeidlicherweise früh angehalten, und die Nachmittagssonne ließ die Zelte und Wagen neben der Straße lange Schatten werfen. Wogende Ebenen und niedrige Hügel umgaben das Lager, und nur wenige vereinzelte Dickichte waren zu sehen, die zumeist karg und niedrig waren. Dreiunddreißig Aes Sedai und ihre Diener — und Behüter; neun waren Grüne, nur dreizehn Rote und der Rest Weiße, Alviarins frühere Ajah — bildeten bereits ein Lager erheblichen Ausmaßes, auch wenn man Gawyn und seine Soldaten nicht mit hinzurechnete. Einige Schwestern standen vor ihren Zelten oder schauten hinaus, da sie dasselbe wie Galina empfunden hatten. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit waren sieben Aes Sedai, von denen sechs auf Stühlen rund um eine messingbeschlagene Kiste saßen, die dort stand, wo sie alle noch verbliebene Kraft der Sonne aufnehmen konnte. Die siebte Aes Sedai war Erian. Sie hatte sich kaum von der Kiste entfernt, seit al'Thor gestern abend wieder hineingesteckt worden war. Er hatte einmal herauskommen dürfen, als sie Cairhien verlassen hatten, aber Galina vermutete, daß Erian ihn für den Rest der Reise in die Kiste einsperren wollte.

Die Grüne wandte sich zu ihr um, sobald sie in ihre Nähe kam. Erian war für gewöhnlich recht hübsch, ihr Gesicht ein blasses, fein gemeißeltes Oval, — aber jetzt überzog Karmesinrot ihre Wangen, und ihre schönen dunklen Augen waren rot gerändert. »Er hat den Schild erneut zu durchbrechen versucht, Galina.« Zorn vermischte sich mit Verachtung für die Torheit des Mannes und ließ ihre Stimme barsch klingen. »Er muß erneut bestraft werden. Ich will diejenige sein, die ihn bestraft.«

Galina zögerte. Es wäre viel besser, Min zu bestrafen. Das würde al'Thor bezwingen. Er hatte gestern abend sicherlich getobt, als er gesehen hatte, wie sie für ihren Ausbruch bestraft worden war, der wiederum dadurch bedingt gewesen war, daß sie gesehen hatte, wie er bestraft wurde. Der Zwischenfall hatte begonnen, als al'Thor entdeckt hatte, daß Min im Lager war, nachdem einer der Behüter ihr sorglos erlaubt hatte, in der Dunkelheit umherzuspazieren, anstatt sie sicher verwahrt in ihrem Zelt zu halten. Wer hätte gedacht, daß al'Thor, abgeschirmt und eingekreist, so reagieren würde? Nicht nur, daß er versucht hatte, den Schild zu durchbrechen, er hatte auch einen Behüter mit bloßen Händen getötet und einen weiteren mit dem Schwert des toten Mannes so ernstlich verletzt, daß dieser beim Heilen ebenfalls starb. Und alles das innerhalb eines Augenblicks, den die Schwestern brauchten, um ihr Entsetzen zu überwinden und ihn mit der Macht zu binden.

Galina hätte, wenn es nach ihr gegangen wäre, schon vor Tagen die anderen Roten Schwestern versammelt und al'Thor gedämpft. Da dies aber verboten war, hätte sie ihn genausogut unbehandelt zur Burg gebracht, solange er vernünftig war. Sie dachte daran, daß es nützlich wäre, Min hier herauszubringen und ihn hören zu lassen, wie sie wieder jammerte und weinte, und ihn wissen zu lassen, daß er der Grund für ihre Qual war. Aber zufällig gehörten die beiden toten Behüter zu Erian. Die meisten der Schwestern würden der Ansicht sein, daß sie das Recht zur Bestrafung hätte. Und Galina wollte selbst auch, daß die puppenähnliche, illianische Grüne sich sobald wie möglich von ihrer Wut befreite. Es wäre weit besser, den restlichen Weg zurückzulegen, wenn man auf diesem porzellanartigen Gesicht einen gelassenen Ausdruck bewundern konnte.

Galina nickte.

Rand blinzelte, als plötzlich Licht in seine Kiste strömte. Unwillkürlich zuckte er zurück. Er wußte, was käme. Lews Therin wurde still. Rand hielt das Nichts an einem Fingernagel, doch er war sich der verkrampften Muskeln, die murrten, als er hochgezogen wurde, nur allzu bewußt. Er biß die Zähne zusammen und versuchte, nicht gegen die Helligkeit anzublinzeln. Die Luft schien wunderbar frisch. Sein durchnäßtes Hemd klebte an seiner Haut und troff vor Schweiß. Er war nicht gefesselt, aber er hätte auch keinen Schritt tun können, wenn es um sein Leben gegangen wäre. Hätte man ihn nicht mit Hilfe der Macht aufrecht gehalten, wäre er hingefallen. Bis er sah, wie tief die Sonne stand, hatte er keine Ahnung, wie lange er in einer Schweißpfütze und mit dem Kopf zwischen den Knien in der Kiste gesessen hatte.

Sein Blick streifte die Sonne jedoch nur kurz. Dann wanderte er unfreiwillig zu Erian, kurz bevor sie sich direkt vor ihn stellte. Die kleine, schlanke Frau spähte zu ihm hinauf, die dunklen Augen zornerfüllt, und er zuckte fast erneut zurück. Anders als gestern abend schwieg sie.

Der erste unsichtbare Schlag traf ihn über die Schultern, der zweite auf die Brust und der dritte auf die Oberschenkel. Das Nichts zerbrach. Luft. Nur Luft. So klang es sanfter. Jeder Schlag fühlte sich wie ein Peitschenhieb an, von einem Arm geführt, der stärker war als der eines jeden Mannes. Bevor sie richtig begann, überzogen ihn bereits von den Schultern bis zu den Knien kreuz und quer blaue Striemen. Er war sich ihrer bewußt gewesen, und nicht so dumpf, wie er es sich vielleicht gewünscht hätte. Er hatte sogar im Nichts weinen wollen. Nachdem das Nichts zerbrochen war, wollte er schreien.

Statt dessen biß er die Zähne zusammen. Manchmal entschlüpfte ihm ein Laut, und wenn dies geschah, verstärkte Erian ihre Anstrengungen, als wollte sie mehr hören. Er weigerte sich, es ihr zu gewähren. Er konnte es nicht verhindern, bei jedem Schlag dieser unsichtbaren Peitsche zu erschaudern, aber mehr würde er ihr nicht zeigen. Er richtete seine Augen auf ihre und weigerte sich, fortzuschauen oder auch nur zu blinzeln.

Ich habe meine Ilyena getötet. Lews Therin stöhnte jedesmal auf, wenn ein Schlag traf.

Rand hatte seine eigene Litanei. Schmerz drosch auf seine Brust ein. Das kommt davon, wenn man den Aes Sedai traut. Feuer peitschte seinen Rücken. Niemals wieder; keinen Fingerbreit; nicht eine Haaresbreite. Wie mit einer Rasierklinge. Das kommt davon, wenn man Aes Sedai traut.

Sie glaubten, sie könnten ihn zerbrechen, ihn dazu bringen, zu Elaida zu kriechen! Er zwang sich, das Schwerste zu tun, was er jemals in seinem Leben getan hatte. Er lächelte. Sicherlich berührte dieses Lächeln nur seine Lippen, aber er blickte Erian dennoch in die Augen, und er lächelte. Ihre Augen weiteten sich, und sie zischte etwas. Dann schienen Peitschenhiebe von überallher gleichzeitig zu kommen.

Die Welt bestand aus Schmerz und Feuer. Er konnte nicht sehen, nur fühlen. Marter und Hölle. Aus irgendeinem Grund war er sich der Tatsache bewußt, daß seine Hände in unsichtbaren Fesseln heftig zitterten, aber er konzentrierte sich darauf, die Zähne zusammenzubeißen. Das kommt von... Ich werde nicht aufschreien! Ich werde nicht auf...! Niemals wieder; keinen Finger...! Keinen Fingerbreit; keine Haaresbreite! Niemals wie... ! Ich werde es nicht tun! Niemals ein...! Niemals! Niemals! NIEMALS!

Zuerst war da die Wahrnehmung zu atmen. Luft, gierig durch die Nase eingesaugt. Sein ganzer Körper pochte — er war eine pulsierende Flamme -, aber die Schläge hatten aufgehört. Es traf ihn fast wie ein Schock, als er es erkannte. Das Ende von etwas, das niemals zu enden schien. Er schmeckte Blut, und sein Kiefer schmerzte fast genauso wie sein restlicher Körper. Gut. Er hatte nicht aufgeschrien. Seine Gesichtsmuskeln waren vollkommen verkrampft. Es würde Mühe kosten, den Mund zu öffnen, selbst wenn er es wollte.

Als letztes kehrte das Sehvermögen zurück, und als es geschah, fragte er sich, ob ihm der Schmerz Halluzinationen bescherte. Zwischen den Aes Sedai stand eine Gruppe Weise Frauen, die an ihren Stolen zupften und die Aes Sedai mit aller ihnen verfügbaren Anmaßung ansahen. Als er entschied, daß sie real waren — es sei denn, es entspränge auch seiner Phantasie, daß Galina mit einer seiner Einbildungen sprach —, war sein erster Gedanke Rettung. Irgendwie hatten die Weisen Frauen... Es war unmöglich, aber irgendwie würden sie... Dann erkannte er die Frau, mit der Galina sprach.

Sevanna schlenderte auf ihn zu, ein Lächeln um den prallen, gierigen Mund. Die hellgrünen Augen spähten aus diesem schönen, von Haaren wie aus gesponnenem Gold umrahmten Gesicht zu ihm hoch. Rand hätte genauso gerne einem tollwütigen Wolf in die Augen geschaut. Etwas an ihrer Haltung war seltsam. Sie stand leicht vornübergebeugt, die Schultern zurückgenommen. Sie beobachtete seine Augen. Er verspürte plötzlich, trotz seiner Schmerzen, das Bedürfnis zu lachen. Und er hätte es getan, wenn er hätte sicher sein können, welcher Laut seinem Mund entschlüpft wäre. Hier stand er, ein Gefangener, fast zu Tode geprügelt und eine Frau, die ihn haßte, dessen war er sich sicher, und die ihn wahrscheinlich für den Tod ihres Geliebten verantwortlich machte, versuchte zu erkennen, ob er ihr in die Bluse schauen würde!

Sie ließ gemächlich einen Fingernagel seine Kehle entlangstreifen — tatsächlich soweit um seinen Hals herum, wie sie ihn erreichen konnte —, als stelle sie sich vor, ihm den Kopf abzuschneiden. Sehr passend, wenn man Couladins Schicksal bedachte. »Ich habe ihn gesehen«, sagte sie mit einem zufriedenen Seufzen. »Ihr habt Euren Teil des Handels eingehalten, und ich habe meinen eingehalten.«

Dann sicherten ihn die Aes Sedai erneut und drängten ihn wieder mit dem Kopf zwischen den Knien in die Kiste, wo er sich abermals in diese Schweißpfütze kauern mußte. Der Deckel wurde geschlossen, und Dunkelheit hüllte ihn ein.

Erst da ließ sich sein Kiefer wieder bewegen, bis er den Mund öffnen konnte und einen langen, zitternden Atemzug ausstieß. Licht, wie er brannte!

Was tat Sevanna hier? Um welchen Handel ging es? Schön und gut zu wissen, daß ein Handel zwischen der Burg und den Shaido bestand, aber darüber würde er sich später sorgen. Jetzt mußte er an Min denken. Er mußte sich befreien. Sie hatten Min verletzt. Dieser Gedanke war so schlimm, daß er fast den Schmerz dämpfte. Fast.

Um das Nichts wieder anzunehmen, mußte er einen Sumpf heftigen Schmerzes durchwaten, aber schließlich war er von Nichts umgeben und streckte sich nach Saidin aus... Nur um Lews Therin dort ebenso schnell vorzufinden, wie ein Paar Hände, die nach etwas griffen, das nur ein Mensch festhalten konnte.

Verdammt seist du! grollte Rand in Gedanken. Verdammt seist du! Wenn du doch nur einmal mit mir zusammenarbeiten würdest, anstatt gegen mich zu handeln!

Du sollst mit mir zusammenarbeiten! fauchte Lews Therin zurück.

Rand verlor vor Entsetzen beinahe das Nichts. Diesmal konnte es kein Mißverständnis geben. Lews Therin hatte ihn gehört und ihm geantwortet. Wir könnten zusammenarbeiten, Lews Therin. Er wollte nichts mit dem Mann zu tun haben. Er wollte ihn aus seinem Kopf vertrieben wissen. Aber da war Min. Und nur noch begrenzte Zeit bis Tar Valon. Er wußte instinktiv, daß keine Chance mehr bestand, wenn sie ihn so weit brächten. Niemals. » Ein unsicheres, furchtsames Lachen antwortete ihm. Dann: Zusammen? Ein weiteres Lachen, diesmal vollkommen wahnsinnig. Zusammen. Wer auch immer du bist. Und Stimme und Gegenwart verschwanden.

Rand erschauderte. Dort kniete er, während sich die Schweißpfütze um ihn vergrößerte.

Er griff erneut vorsichtig nach Saidin... Und traf natürlich auf den Schild. Das, was er gesucht hatte. Langsam, unendlich vorsichtig, tastete er sich bis zu einer Stelle daran entlang, wo eine harte Fläche plötzlich zu sechs nachgiebigen Stellen wurde.

Weich, sagte Lews Therin keuchend. Weil sie dort sind. Sie halten den Puffer aufrecht. Er ist hart, wenn sie ihn verknüpfen. Mit Zeit. Er hielt so lange inne, daß Rand glaubte, er sei wieder fort, aber dann flüsterte er: »Bist du real?« Und dann war er wirklich fort.

Rand tastete sich erneut behutsam den Schild entlang bis zu den sechs nachgiebigen Stellen vor. Zu den sechs Aes Sedai. Mit Zeit? Wenn sie ihn verknüpften, was sie bisher nicht getan hatten, in ... wie lange war es? Sechs Tage? Sieben? Acht? Egal. Er konnte es sich nicht leisten, zu lange zu warten. Jeder neue Tag bedeutete, Tar Valon einen Tag näher gekommen zu sein. Morgen würde er wieder versuchen, die Barriere zu durchbrechen. Es hatte sich angefühlt, als hätte er mit den Händen gegen Stein geschlagen, aber er hatte dennoch mit all seiner Kraft dagegengeschlagen. Wenn Erian ihn morgen züchtigte — er war sich sicher, daß sie es sein würde —, würde er sie abermals anlächeln, und wenn sich der Schmerz aufbaute, würde er die Schreie herauslassen. Am nächsten Tag würde er den Schild nur streifen, vielleicht fest genug, daß sie es merkten, aber nur das, und dann nicht wieder, bis er wußte, ob sie ihn bestraften oder nicht. Vielleicht würde er um Wasser bitten. Sie hatten ihm in der Morgendämmerung etwas zu trinken gegeben, aber er war wieder durstig. Selbst wenn sie ihn mehr als einmal am Tag etwas trinken ließen, würde es keinen Argwohn erregen, wenn er um Wasser bat. Wenn er sich dann noch immer in der Kiste befand, könnte er auch darum bitten, herausgelassen zu werden. Er glaubte, daß es so sein würde. Es bestand nur eine geringe Chance, daß sie ihn für längere Zeit herausließen, bevor sie nicht überzeugt waren, daß er seine Lektion gelernt hatte. Die verkrampften Muskeln zuckten bei dem Gedanken an zwei oder drei weitere, hier drinnen zu verbringende Tage. Es war kein Platz, irgend etwas zu bewegen, aber sein Körper versuchte es. Zwei oder drei Tage, und sie wären sicher, daß er gebrochen war. Er würde furchtsam wirken und aller Blicke meiden. Ein armer Kerl, den sie aus der Kiste herauslassen konnten.

Und was noch wichtiger war: ein armer Kerl, den sie nicht mehr so genau bewachen mußten. Und dann würden sie vielleicht beschließen, daß nicht mehr sechs Aes Sedai nötig wären, den Schild aufrechtzuerhalten, oder daß sie ihn losbinden könnten, oder ... oder irgend etwas. Er brauchte eine Chance!

Es war ein verzweifelter Gedanke, aber er erkannte, daß er lachte und nicht mehr aufhören konnte. Er konnte auch nicht damit aufhören, die Barriere zu ertasten, ein Blinder, der seine Finger verzweifelt über glattes Glas gleiten läßt.

Galina blickte stirnrunzelnd hinter den Aiel-Frauen her, bis diese eine Hügelspitze erreichten und schließlich auf der anderen Seite verschwanden. Jede einzelne dieser Frauen außer Sevanna selbst hatte die Macht lenken können, und mehrere sogar recht stark. Sevanna hatte sich von ungefähr einem Dutzend Wilden umgeben zweifellos sicherer gefühlt. Ein belustigender Gedanke. Diese Wilden waren ein unzuverlässiger Haufen. Sie würde sie in wenigen Tagen wieder benutzen, beim zweiten Teil von Sevannas ›Handel‹ — beim bedauerlichen Tod von Gawyn Trakand und dem größten Teil seiner Jünglinge.

Sie kehrte ins Lager zurück und fand Erian noch immer über die Kiste gebeugt vor, in der sich al'Thor befand.

»Er weint wahrhaftig, Galina«, stieß sie heftig hervor. »Kannst du ihn hören? Er weint...« Plötzlich rannen Tränen Erians Gesicht hinab. Sie stand einfach da und schluchzte leise, die zu Fäusten geballten Hände in ihre Röcke geklammert.

»Kommt mit in mein Zelt«, sagte Galina mitfühlend.

»Ich habe guten Blaubeertee, und ich werde Euch ein kühles, feuchtes Tuch auf die Stirn legen.«

Erian lächelte durch die Tränen hindurch. »Danke, Galina, aber ich kann nicht. Rashan und Bartol werden schon auf mich warten. Ich fürchte, sie leiden noch stärker als ich. Sie spüren nicht nur mein Leid, sondern leiden auch, weil sie wissen, daß ich leide. Ich muß sie trösten.« Sie drückte Galina dankbar die Hand und ging dann davon.

Galina betrachtete stirnrunzelnd die Kiste. Al'Thor schien tatsächlich zu weinen... Oder er lachte, und das bezweifelte sie sehr. Sie sah Erian nach, die gerade im Zelt ihres Behüters verschwand. Al'Thor würde noch oft weinen. Sie brauchten noch mindestens zwei weitere Wochen bis Tar Valon, und Elaida hatte einen triumphalen Einzug geplant. Ja, mindestens zwanzig weitere Tage. Von jetzt an, ob Erian es wollte oder nicht, würde er jeden Tag am Morgen und in der Abenddämmerung bestraft werden. Wenn sie ihn in die Weiße Burg brachten, würde er Elaidas Ring küssen, antworten, wenn man ihn ansprach und in einer Ecke knien, wenn er nicht gebraucht wurde. Sie schritt mit starrem Blick zu ihrem Zelt, um den Blaubeertee selbst zu trinken.

* * * Als sie den dichten Wald betraten, wandte sich Sevanna zu den anderen um und dachte, wie bemerkenswert es war, daß sie die Bäume so wenig beachtete. Bevor sie die Drachenmauer überquert hatten, hatte sie noch nie so viele Bäume gesehen. »Habt Ihr alle die Mittel erkannt, mit denen sie ihn festhalten?« fragte sie und ließ es so klingen, als hätte sie ›auch‹ statt ›alle‹ gesagt.

Therava sah die anderen an, die nickten. »Wir können alles genauso weben wie sie«, antwortete Therava.

Sevanna befühlte den kleinen Steinkubus mit den komplizierten Gravuren in ihrer Tasche. Der seltsame Feuchtländer, der ihr den Stein gegeben hatte, hatte gesagt, sie solle ihn benutzen, wenn al'Thor gefangen sei. Sie hatte es vorgehabt, bis sie ihn tatsächlich gesehen hatte. Jetzt beschloß sie, den Kubus wegzuwerfen. Sie war die Witwe eines Häuptlings, der in Rhuidean gewesen war, und eines Mannes, der Häuptling genannt worden war, ohne diesen Besuch durchgeführt zu haben. Jetzt würde sie die Frau des Car'a'carn selbst werden. Jeder Aiel-Speer würde für sie gesenkt werden. Sie konnte noch immer al'Thors Hals an den Fingern spüren, wo sie die Linie nachgezogen hatte, an der sie ihm das eiserne Halsband anlegen würde.

»Es ist an der Zeit, Desaine«, sagte sie.

Desaine blinzelte natürlich überrascht, und dann hatte sie nur noch Zeit zu schreien, bevor die anderen mit ihrer Arbeit begannen. Desaine hatte sich damit begnügt, über Sevannas Stellung zu murren. Aber Sevanna hatte ihre Zeit besser genutzt. Bis auf Desaine stand jede Frau hier entschlossen hinter ihr und noch mehr neben ihr.

Sevanna beobachtete sehr genau, was die anderen Weisen Frauen taten. Die Eine Macht faszinierte sie, alle jene Dinge, die so wundersam entstanden, so mühelos, und es war sehr wichtig, daß dafür gesorgt würde, daß das, was mit Desaine geschähe, nur mit der Macht geschehen sein konnte. Sie hielt es für ziemlich erstaunlich, daß ein menschlicher Körper mit nur so wenig Blutvergießen zerteilt werden konnte.

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