37 Der Kampf beginnt

Es herrschte ein sehr eigenartiges Schweigen, was Egwene überhaupt nicht verstehen konnte. Elayne sah Nynaeve an, und dann schauten beide auf Nynaeves schmales Silberarmband. Nynaeve blickte kurz mit geweiteten Augen zu Egwene und dann schnell zu Boden.

»Ich muß dir etwas gestehen«, flüsterte Nynaeve kaum hörbar. Ihre Stimme blieb leise, aber die Worte strömten eilig hervor. »Ich habe Moghedien gefangengenommen.« Ohne den Blick zu heben, hielt sie das Handgelenk mit dem Armband hoch. »Dies ist ein A'dam. Wir halten sie gefangen, und niemand weiß etwas davon. Außer Siuan und Leane und Birgitte. Und jetzt du.«

»Wir mußten es tun«, sagte Elayne und beugte sich eifrig vor. »Sie hätten sie hingerichtet, Egwene. Ich weiß, daß sie es verdient, aber sie besitzt so großes Wissen, Dinge, die wir uns kaum im Traum vorstellen können. Daher stammen alle unsere Entdeckungen —außer Nynaeves Heilung Siuans und Leanes und Logains und mein Ter'angreal. Sie hätten sie getötet, ohne zu versuchen, etwas von ihr zu lernen.«

Fragen wirbelten in Egwenes verwirrtem Kopf umher. Sie hatten eine der Verlorenen gefangengenommen? Wie? Elayne hatte ein A'dam erlangt? Egwene zitterte und konnte das Armband kaum ansehen. Er ähnelte in keiner Weise dem A'dam, den sie nur zu gut kannte. Wie hatten sie es geschafft, eine Verlorene unter so vielen Aes Sedai verborgen zu halten? Eine der Verlorenen war eine Gefangene. Nicht verurteilt und hingerichtet. Rand war so mißtrauisch geworden, daß er Elayne niemals wieder vertrauen würde, wenn er das herausfände.

»Bringt sie her«, brachte sie schließlich tonlos hervor. Nynaeve sprang auf und lief davon. Der Klang der Feierlichkeiten, Lachen und Musik und Gesang, schwoll einen Moment an, bevor sich die Tür wieder hinter ihr schloß. Egwene rieb sich über die Schläfen. Eine der Verlorenen. »Das muß vollkommen geheim bleiben.«

Elayne errötete. Warum, unter dem Licht... Natürlich.

»Elayne, ich habe nicht die Absicht, nach ... jemandem zu fragen, über den ich nichts wissen sollte.«

Die Frau mit dem goldenen Haar sprang auf. »Ich ... ich kann es dir vielleicht erklären. Später. Morgen vielleicht. Egwene, du mußt mir versprechen, nichts zu verraten — niemandem! —, es sei denn, ich sage es. Egal, was du ... was du siehst«

»Wenn du es so willst.« Egwene verstand nicht, warum die andere Frau so aufgeregt war. Nicht wirklich. Elayne hatte ein Geheimnis, das Egwene teilte, nur daß Egwene es zufällig herausgefunden hatte, und nun gaben sie beide vor, daß es noch immer Elaynes alleiniges Geheimnis sei. Sie hatte in Tel'aran'rhiod Birgitte getroffen, die Heldin aus der Legende, und vielleicht tat sie es noch immer. Warte, Nynaeve hatte es gesagt. Birgitte wußte von Moghedien. Meinte sie, daß die Frau in Tel'aran'rhiod darauf wartete, daß das Horn von Valere sie zurückrief? Kannte Nynaeve das Geheimnis, das Elayne Egwene gegenüber nicht hatte eingestehen wollen, als sie ertappt wurde? Nein. Dies würde nicht auf gegenseitiges Beschuldigen und Leugnen hinauslaufen.

»Elayne, ich bin die Amyrlin — wirklich die Amyrlin —, und ich habe Pläne. Die Weisen Frauen, die die Macht lenken, gehen mit einem großen Teil ihrer Gewebe anders um als die Aes Sedai.« Elayne wußte bereits von den Weisen Frauen, obwohl Egwene, wenn sie darüber nachdachte, sich nicht sicher war, ob das auch für die Aes Sedai galt. Jetzt die anderen Aes Sedai. »Manchmal handeln sie komplizierter oder grober, aber manchmal ist es auch einfacher, als man es uns in der Bürg gelehrt hat, und es funktioniert genausogut.«

»Du willst, daß Aes Sedai und Weise Frauen gemeinsam lernen?« Elayne verzog belustigt den Mund. »Egwene, dem werden sie niemals zustimmen, in tausend Jahren nicht. Sie werden jedoch vermutlich Aiel-Mädchen auf ihre Eignung zur Novizin prüfen wollen, wenn sie es herausfinden.«

Egwene zögerte. Aes Sedai, die mit Weisen Frauen gemeinsam lernten. Als Lehrlinge? Das würde niemals geschehen, aber Romanda und Lelaine könnten besonderen Nutzen aus ein wenig Ji'e'toh ziehen. Und Sheriam und Myrelle und... Sie setzte sich bequemer hin und gab ihre Hirngespinste auf. »Ich bezweifle, daß die Weisen Frauen Aiel-Mädchen als Novizinnen akzeptieren würden.« Sie hätten es vielleicht früher getan, aber heute sicherlich nicht mehr. Jetzt konnte Egwene nur noch erwarten, daß sie höflich mit Aes Sedai umgingen. »Ich dachte an eine Art Bündnis. Elayne, es gibt weniger als tausend Aes Sedai. Und wenn du jene Weisen Frauen mit einbeziehst, die in der Wüste bleiben, gibt es, glaube ich, mehr Weise Frauen, die die Macht lenken können, als Aes Sedai. Vielleicht viel mehr. Wie dem auch sei, ihnen entgeht niemand mit dem Talent.« Wie viele Frauen waren auf dieser Seite der Drachenmauer gestorben, weil sie plötzlich die Macht lenken konnten, ohne vielleicht zu wissen, was sie überhaupt taten, oder jemanden zu haben, der sie lehren konnte? »Ich will mehr Frauen einbringen, Elayne. Was ist mit Frauen, die lernen können, welche die Aes Sedai aber nicht finden, bevor sie als zu alt erachtet werden, um Novizinnen zu werden? Ich sage, wenn sie lernen wollen, sollen sie es versuchen, selbst wenn sie vierzig oder fünfzig sind oder ihre Enkel wiederum Enkel haben.«

Elayne schlang lachend die Arme um sich. »Oh, Egwene, die Aufgenommenen werden es lieben, jene Novizinnenklassen zu unterrichten.«

»Sie werden es lernen müssen«, sagte Egwene bestimmt. Sie hielt es für durchführbar. Die Aes Sedai hatten stets gesagt, man könne zwar zu alt sein, um Novizin zu werden, aber wenn man lernen wolle... Sie hatten ihre Meinung bereits teilweise geändert. Sie hatte in der Menge Gesichter gesehen, die älter als Nynaeves Gesicht über dem Novizinnen-Weiß gewesen waren. »Die Burg hat ihre Aufgabe, Menschen auszuschließen, stets ernst genommen, Elayne. Wenn du nicht stark genug bist, wirst du fortgeschickt Weigere dich, dich einer Prüfung zu unterziehen, und du wirst fortgeschickt. Versage bei einer Prüfung, und du mußt fort. Sie sollten bleiben dürfen, wenn sie es wollen.«

»Aber die Prüfungen sollen sicherstellen, daß man stark genug ist«, widersprach Elayne. »Nicht nur in bezug auf die Eine Macht, sondern auch in sich selbst. Du willst doch sicherlich keine Aes Sedai, die zerbrechen, wenn sie zum ersten Mal unter Druck geraten? Oder Aes Sedai, die kaum die Macht lenken können?«

Egwene schnaubte. Sorilea wäre aus der Burg verwiesen worden, ohne jemals einer Eignungsprüfung zur Aufgenommenen unterzogen zu werden. »Vielleicht können sie keine Aes Sedai werden, aber das bedeutet nicht, daß sie nutzlos sind. Man traut ihnen immerhin zu, die Macht nach zumindest annähernd eigenem Gutdünken zu gebrauchen, sonst würden sie nicht in die Welt hinausgeschickt. Mein Traum besteht darin, daß jede Frau, die die Macht lenken kann, irgendwie mit der Burg verbunden sein sollte. Jede einzelne.«

»Auch die Windsucherinnen?« Elayne zuckte zusammen, als Egwene nickte.

»Du hast sie nicht verraten, Elayne. Ich kann nicht glauben, daß sie ihr Geheimnis so lange bewahrt haben.«

Elayne seufzte tief. »Nun, was geschehen ist, ist geschehen. Du kannst nichts ungeschehen machen. Aber wenn deine Aiel besonderen Schutz erhalten, sollte er dem Meervolk auch zugestanden werden. Laß die Windsucherinnen ihre Mädchen lehren. Keine MeervolkFrau mehr, die gegen ihren Willen von Aes Sedai vertrieben wird.«

»In Ordnung.« Egwene spie auf ihre Handfläche und streckte die Hand dann aus, und kurz darauf spie auch Elayne auf ihre Hand und grinste, als sie sich die Hände gaben, um den Handel zu besiegeln.

Dann schwand das Grinsen langsam. »Hat dies etwas mit Rand und seinem Straferlaß zu tun, Egwene?«

»Teilweise. Elayne, wie konnte der Mann so...?« Sie mochte die Frage nicht zu Ende stellen. Es gab ohnehin keine Antwort darauf. Die andere Frau nickte ein wenig traurig, weil sie verstand oder ihr zustimmte oder beides.

Die Tür wurde geöffnet, und eine stämmige Frau in dunklem Tuch kam mit einem Silbertablett mit drei Silberbechern und einem hohen, silbernen Weinkrug herein. Ihr Gesicht wirkte verbraucht — das Gesicht einer Landfrau —, aber ihre dunklen Augen glänzten, als sie Egwene und Elayne nacheinander genau betrachtete. Egwene konnte sich nur kurz darüber wundern, daß die Frau trotz ihres groben Gewandes eine silberne Halskette trug, denn hinter ihr betrat Nynaeve den Raum und schloß die Tür. Sie mußte wie der Wind gelaufen sein, weil sie auch noch Zeit gefunden hatte, das Gewand der Aufgenommenen gegen ein dunkelblaues, am Halsausschnitt und am Saum mit goldenen Verzierungen besticktes Seidengewand einzutauschen. Es war nicht annähernd so tief ausgeschnitten wie Berelains Gewand, aber noch immer erheblich tiefer, als Egwene es bei Nynaeve zu sehen erwartet hatte.

»Dies ist Marigan«, sagte Nynaeve und warf ihren Zopf mit geübter Bewegung über die Schulter. Der Große Schlangenring schimmerte an ihrer rechten Hand golden.

Egwene wollte gerade fragen, warum sie den Namen so ausdrücklich betonte, erkannte aber dann jäh, daß deren Halskette zu dem Armband an Nynaeves Handgelenk paßte. Sie konnte nicht umhin, die Frau anzustarren. Sie sah sicherlich nicht annähernd so aus, wie sich Egwene eine Verlorene vorgestellt hätte. Sie sprach es aus, und Nynaeve lachte.

»Sieh her, Egwene.«

Sie schaute nicht nur hin — sie sprang fast von ihrem Stuhl auf und umarmte tatsächlich Saidar. Als Nynaeve zu sprechen begann, hatte das Schimmern auch Marigan umhüllt, nur einen Augenblick lang, und bevor es wieder schwand, hatte sich die Frau in dem einfachen Wollkleid vollkommen verändert. Es waren eigentlich nur kleine Veränderungen, aber sie bewirkten, daß die Frau völlig anders aussah, eher hübsch als schön, aber überhaupt nicht mehr verbraucht —eine stolze, sogar stattliche Frau. Nur die Augen waren gleich geblieben, glänzten noch immer. Egwene konnte jetzt glauben, daß diese Frau Moghedien war.

»Wie?« fragte sie nur Sie hörte aufmerksam zu, während Nynaeve und Elayne erklärten, wie man Verkleidungen wob und Gewebe umkehrte, aber sie betrachtete dabei Moghedien. Sie war stolz, von sich selbst erfüllt, und ruhte fest in sich.

»Bringt sie zurück«, sagte Egwene, als die Erläuterungen geendet hatten. Wieder blieb das Schimmern Saidars nur kurz bestehen, und es waren keine sichtbaren Gewebe mehr erkennbar, als es verging. Moghedien war erneut eine einfache und verbrauchte Frau, eine Landfrau, die ein hartes Leben geführt hatte und älter aussah, als sie war. Die schwarzen Augen blitzten Egwene haßerfüllt und vielleicht auch voller Abscheu vor sich selbst an.

Als Egwene erkannte, daß sie Saidar noch immer festhielt, fühlte sie sich einen Moment töricht. Weder Nynaeve noch Elayne hatten die Quelle umarmt. Aber andererseits trug Nynaeve dieses Armband. Egwene erhob sich, ohne ihren Blick von Moghedien abzuwenden, und streckte die Hand aus. Nynaeve schien bestrebt, das Armband von ihrem Handgelenk loszuwerden, was Egwene gut verstehen konnte.

Nynaeve gab ihr das Armband und sagte: »Stellt das Tablett auf den Tisch, Marigan. Und benehmt Euch gut. Egwene hat bei den Aiel gelebt.«

Egwene drehte das Silberarmband in den Händen und versuchte, nicht zu erschaudern. Eine hübsche Arbeit, so geschickt in Abschnitte geteilt, daß es fast massiv wirkte. Sie hatte sich einst am anderen Ende eines A'dam befunden. Ein Seanchan-Gegenstand, mit einem Silberband, das die Halskette und das Armband verband, aber dennoch das gleiche war. Ihr Magen rebellierte, wie er es nicht mehr getan hatte, seit sie dem Saal gegenübergestanden hatte. Sie schloß das Silber bedächtig um ihr Handgelenk. Sie hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was zu erwarten war, aber sie wäre dennoch beinahe zusammengezuckt. Die Empfindungen der anderen Frau, und auch ihr körperlicher Zustand, lagen in einem abgeschiedenen Winkel ihres Geistes vor Egwene ausgebreitet. Sie sah hauptsächlich bebende Angst, und der Abscheu vor sich selbst, den sie zu erkennen geglaubt hatte, war in fast ebenso starkem Maße vorhanden. Moghedien gefiel ihre gegenwärtige Erscheinung nicht. Vielleicht gefiel sie ihr besonders nach der kurzen Rückkehr in ihre eigene Gestalt nicht mehr.

Egwene dachte daran, wen sie ansah — eine der Verlorenen, eine Frau, deren Name jahrhundertelang benutzt worden war, um Kinder zu erschrecken, eine Frau, deren Verbrechen hundert Mal den Tod verdienten. Sie dachte an das Wissen in diesem Kopf. Sie lächelte. Es war kein schönes Lächeln. Sie wollte es nicht so geraten lassen, aber sie glaubte auch nicht, daß sie es anders hatte gestalten können, wenn sie es versucht hätte. »Sie haben recht. Ich habe bei den Aiel gelebt. Wenn Ihr also von mir erwartet, daß ich genauso sanft mit Euch umgehe wie Nynaeve und Elayne, dann schlagt Euch das aus dem Kopf. Macht mir gegenüber nur einen Fehler, und ich werde Euch um den Tod betteln lassen. Nur daß ich Euch nicht töten werde. Ich werde einen Weg finden, damit Ihr dieses Gesicht für immer behalten müßt. Wenn Ihr mir gegenüber jedoch mehr als einen Fehler macht...« Sie lächelte jetzt breiter, bis es nur noch ein Zähnezeigen war.

Die Angst nahm so stark zu, daß sie alles andere erstickte. Moghedien stand vor dem Tisch, umklammerte ihre Röcke so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten, und zitterte sichtbar. Nynaeve und Elayne sahen Egwene an, als hätten sie sie noch niemals zuvor gesehen. Licht, erwarteten sie von ihr, daß sie einer der Verlorenen gegenüber höflich war? Sorilea würde die Frau draußen in der Sonne pfählen, um sie in ihre Schranken zu verweisen, wenn sie ihr nicht gleich die Kehle durchschnitt.

Egwene trat näher an Moghedien heran. Die andere Frau war größer, aber sie drückte sich nach hinten an den lisch, warf die Weinbecher auf dem Tablett um und ließ den Krug schwanken. Egwenes Stimme nahm einen kalten Tonfall an. Es würde nicht lange dauern. »Der Tag, an dem ich Euch bei einer Lüge ertappe, ist der Tag, an dem ich Euch eigenhändig hinrichte. Also, ich habe erwogen, von einem Ort zum anderen zu reisen, indem ich von hier nach dort eine Öffnung schaffe. Eine Öffnung durch das Muster, so daß keine Entfernung zwischen dem einen und dem anderen Ende liegt. Würde das funktionieren?«

»Bei Euch und jeder anderen Frau überhaupt nicht«, antwortete Moghedien atemlos und schnell.

Die sich in ihr steigernde Angst war jetzt auch auf ihrem Gesicht deutlich erkennbar. »So Reisen nur Männer.« Es war eindeutig, was gemeint war. Sie sprach von einem der verlorenen Talente. »Wenn Ihr es versucht, werdet Ihr hineingesogen werden... Ich weiß nicht, was es ist. Vielleicht der Raum zwischen den Strängen des Musters. Ich glaube nicht, daß Ihr sehr lange leben würdet. Ich weiß, daß Ihr niemals zurückkämt.«

»Reisen«, murrte Nynaeve angewidert. »Wir haben niemals ans Reisen gedacht!«

»Nein, das haben wir nicht getan.« Elayne klang nicht zufriedener. »Ich frage mich, an was wir sonst noch nicht gedacht haben.«

Egwene achtete nicht auf sie. »Gibt es einen anderen Weg?« fragte sie wohlwollend. Es war stets besser, die Stimme ruhig zu halten, als jemanden anzuschreien.

Moghedien zuckte zusammen, als hätte Egwene sie doch angeschrien. »Ihr laßt die beiden Orte im Muster identisch werden. Ich kann Euch zeigen wie. Es ist ein wenig mühsam, wegen der ... der Halskette, aber ich kann... «

»So?« fragte Egwene, umarmte Saidar und wob Stränge aus Geist. Dieses Mal versuchte sie nicht, die Welt der Träume anzurühren, aber sie erwartete etwas sehr Ähnliches, wenn es funktionieren würde. Doch sie bekam etwas völlig anderes.

Der dünne Vorhang, den sie wob, schimmerte nicht und bestand nur einen Moment, bevor er ruckartig zu einer senkrechten Linie zusammenfiel, die dann plötzlich zu einem Schlitz aus silbrig blauem Licht wurde. Das Licht weitete sich schnell — oder kehrte sich um, wie es ihr schien — zu ... etwas aus. Dort, mitten auf dem Fußboden, entstand ein ... ein Eingang, der überhaupt nicht so verschwommen wirkte, wie es bei dem Blick aus ihrem Zelt auf Tel'aran'rhiod gewesen war, ein Eingang, der sich in ein von der Sonne versengtes Land Öffnete, das sogar die schlimmste Dürre hier fruchtbar wirken ließ. Felsspitzen und scharfe Klippen ragten über einer staubigen, tongelben Ebene auf, durch die Risse verliefen und die nur wenige verkümmerte Büsche aufwies, die sogar aus der Entfernung dornig wirkten.

Egwene sah gebannt hin. Es war die auf halbem Weg zwischen der Kaltfelsenfestung und dem Tal des Rhuidean gelegene Aiel-Wüste, ein Ort, an dem wohl kaum jemand zu sehen sein oder verletzt würde; Rands Vorsichtsmaßnahmen mit seinem besonderen Raum im Sonnenpalast hatten sie auf den Gedanken gebracht, ebenfalls Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen —, aber sie hatte nur gehofft, es zu erreichen, und sie war sich sicher gewesen, daß es durch einen schimmernden Vorhang zu sehen wäre.

»Licht!« keuchte Elayne. »Weißt du, was du getan hast, Egwene? Weißt du es? Ich glaube, ich kann es auch tun. Wenn du das Gewebe wiederholst, werde ich mich bestimmt erinnern.«

»An was erinnern?« jammerte Nynaeve fast. »Wie hat sie es gemacht? Oh, verflucht sei diese verdammte Blockierung! Elayne, tritt mir gegen den Knöchel.

Bitte!«

Moghediens Gesicht war sehr ruhig geworden. Fast genauso viel Unsicherheit wie Angst wurde jetzt durch das Armband vermittelt. Gefühle zu lesen, ähnelte kaum dem Lesen von Wörtern auf einer Buchseite, aber diese beiden Empfindungen waren deutlich erkennbar. »Wer...?« Moghedien leckte sich die Lippen. »Wer hat Euch das gelehrt?«

Egwene lächelte, wie sie Aes Sedai hatte lächeln sehen. Sie hoffte zumindest, daß es geheimnisvoll wirkte. »Seid niemals zu sicher, daß ich die Antwort nicht vielleicht schon kenne«, sagte sie kühl. »Erinnert Euch. Belügt mich nur einmal.« Plötzlich fiel ihr auf, wie das für Nynaeve und Elayne klingen mußte. Sie hatten die Frau gefangengenommen, hielten sie unter den unmöglichsten Umständen fest und holten alle möglichen Informationen aus ihr heraus. Sie wandte sich zu ihnen um und lachte kurz auf. »Es tut mir wirklich leid. Ich wollte das nicht einfach übernehmen.«

»Warum sollte es dir leid tun?« Egwene lächelte breit. »Du sollst es übernehmen.«

Nynaeve zog an ihrem Zopf und betrachtete ihn dann. »Nichts scheint zu funktionieren! Warum kann ich nicht wütend werden? Oh, was mich betrifft, so kannst du sie für immer hierbehalten. Wir könnten sie ohnehin nicht mit nach Ebou Dar nehmen. Warum kann ich nicht wütend werden? Oh, Blut und blutige Asche!« Ihre Augen weiteten sich, als sie erkannte, was sie gesagt hatte, und sie schlug sich die Hand vor den Mund.

Egwene sah Moghedien an. Die Frau stellte eifrig die Weinbecher wieder auf und goß Wein ein, der nach süßen Gewürzen duftete, aber während Nynaeve gesprochen hatte, war etwas anderes durch das Armband zu spüren gewesen. Vielleicht Erschrecken? Vielleicht würde sie die ihr vertrauten Herrinnen denjenigen vorziehen, die sie fast beim ersten Atemzug mit dem Tode bedrohten.

Ein festes Klopfen erklang an der Tür, und Egwene ließ Saidar eilig fahren. Die Öffnung zur Wüste verschwand. »Kommt herein.«

Siuan trat einen Schritt in das Arbeitszimmer, blieb stehen und bemerkte Moghedien, das Armband an Egwenes Handgelenk und Nynaeve und Elayne. Sie schloß die Tür und vollführte einen flüchtigen Hofknicks, der an Romanda und Lelaine erinnerte. »Mutter, ich bin gekommen, um Euch in das Zeremoniell einzuweisen, aber wenn es Euch lieber wäre, wenn ich später wiederkomme...?« Sie hob fragend die Augenbrauen.

»Geht«, befahl Egwene Moghedien. Wenn Nynaeve und Elayne sie bereitwillig ungehindert umhergehen ließen, mußte das A'dam sie einschränken, wenn niemand sie ständig im Auge behielt. Sie betastete das Armband — sie haßte dieses Ding, aber sie beabsichtigte es Tag und Nacht zu tragen — und fügte hinzu: »Aber haltet Euch verfügbar. Ich werde einen Fluchtversuch genauso ahnden wie eine Lüge.« Angst strömte durch das A'dam, während Moghedien hinauseilte. Das konnte bedrohlich werden. Wie hatten Nynaeve und Elayne mit einem solchen Ansturm an Furcht leben können? Aber das würde sie später klären müssen.

Sie wandte sich Siuan zu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das wird nichts nützen, Siuan. Ich weiß alles, Tochter.«

Siuan neigte den Kopf. »Manchmal bietet Wissen dennoch keinen Vorteil. Manchmal bedeutet es nur, die Gefahr zu teilen.«

»Siuan!« sagte Elayne halbwegs erschrocken und halbwegs warnend, und zu Egwenes Überraschung tat Siuan etwas, was sie bei ihr niemals erwartet hätte. Sie errötete.

»Ihr könnt nicht von mir erwarten, über Nacht jemand anderer zu werden«, murrte die Frau verdrießlich.

Egwene vermutete, daß Nynaeve und Elayne ihr bei dem helfen könnten, was sie tun mußte, aber wenn sie wirklich die Amyrlin sein wollte, mußte sie es allein tun. »Elayne, ich weiß, daß du dieses Gewand einer Aufgenommenen loswerden willst. Warum tust du es also nicht? Und dann sieh, was du über die verlorenen Talente herausfinden kannst. Nynaeve, für dich gilt das gleiche.«

Sie wechselten einen Blick, sahen dann Siuan an, erhoben sich schließlich und vollführten vollendete Hofknickse, während sie respektvoll murmelten: »Wie Ihr befehlt, Mutter.« Siuan schien das nicht zu beeindrucken. Sie stand da und beobachtete Egwene mit verzerrtem Gesichtsausdruck, während Nynaeve und Elayne gingen.

Egwene umarmte Saidar erneut, nur kurz, um ihren Stuhl wieder auf seinen Platz hinter dem Tisch gleiten zu lassen, richtete dann ihre Stola und setzte sich hin. Sie betrachtete Siuan einen langen Moment schweigend. »Ich brauche Euch«, sagte sie schließlich. »Ihr wißt, was es bedeutet, die Amyrlin zu sein, und was die Amyrlin tun kann und was nicht. Ihr kennt die Sitzenden, Ihr wißt, wie sie denken, was sie wollen. Ich brauche Euch, und ich will Euch haben. Sheriam und Romanda und Lelaine glauben vielleicht, daß ich unter dieser Stola noch immer das Weiß der Novizinnen trage — vielleicht glauben es alle —, aber Ihr werdet mir helfen, ihnen zu zeigen, daß dem nicht so ist. Ich bitte Euch nicht, Siuan. Ich ... werde ... Eure ... Hilfe ... bekommen.« Nun brauchte sie nur noch abzuwarten.

Siuan betrachtete sie, schüttelte dann leicht den Kopf und lachte leise. »Sie haben einen großen Fehler begangen, nicht wahr? Ich habe ihn natürlich zuerst begangen. Das unbeholfene häßliche Entlein entpuppt sich zu einem selbstbewußten stolzen Schwan.« Sie breitete bei einem tiefen Hofknicks ihre Röcke weit aus und beugte den Kopf. »Mutter, bitte erlaubt mir, Euch zu dienen und zu beraten.«

»Solange Ihr Euch bewußt seid, daß es nur eine Beratung ist, Siuan. Ich habe bereits zu viele Menschen um mich herum, die glauben, sie könnten mich als Marionette benutzen. Das werde ich von Euch nicht dulden.«

»Das werde ich genauso wenig versuchen, wie ich mich selbst als Marionette benutzen würde«, sagte Siuan trocken. »Ihr wißt, daß ich Euch niemals wirklich mochte. Vielleicht weil ich in Euch zu vieles von mir selbst wiedergefunden habe.«

»In diesem Fall«, erwiderte Egwene in gleichermaßen trockenem Tonfall, »könnt Ihr mich Egwene nennen. Wenn wir allein sind. Und nun setzt Euch und erzählt mir, warum der Saal noch immer hier sitzt und wie ich sie in Bewegung bringen kann.«

Siuan zog einen der Stühle heran, bevor sie sich erinnerte, daß sie ihn jetzt mit Saidar bewegen konnte. »Sie sitzen noch, weil sich die Weiße Burg spalten wird, wenn sie sich erst regen. Und wenn ich Euch raten soll, wie Ihr sie in Bewegung bringen könnt...« Es folgte ein sehr ausführlicher Ratschlag. Einiges davon bewegte sich in Bahnen, an die Egwene auch schon gedacht hatte, und alles schien vernünftig.

In ihrem Zimmer in der Kleinen Burg goß Romanda Pfefferminztee für drei weitere Schwestern ein; nur eine von ihnen war eine Gelbe. Der Raum befand sich an der Rückseite der Burg, aber die Geräusche der Festlichkeiten drangen dennoch bis hierher. Romanda mißachtete sie gewissenhaft. Diese drei waren bereit gewesen, sie bei der Einnahme des Amyrlin-Sitzes zu unterstützen. Für das Mädchen zu stimmen, war eine genauso gute Möglichkeit wie jede andere gewesen, Lelaines Ernennung zu verhindern. Lelaine würde toben, wenn sie jemals davon erführe. Auch jetzt, wo Sheriam ihre Kind-Amyrlin eingesetzt hatte, waren diese drei noch immer bereit zuzuhören.

Besonders nachdem sie durch Verfügung zur Stola erhoben worden waren. Das mußte Sheriams Werk gewesen sein. Sie und ihre kleine Gruppe hatten alle vier befördert. Ihr Vorschlag war es gewesen, Theodrin und Faolain über die anderen Aufgenommenen zu erheben, und sie hatte dies gleichzeitig für Elayne und Nynaeve vorgeschlagen. Sie fragte sich stirnrunzelnd, was Delana aufhielt, aber sie begann dennoch zu sprechen, nachdem sie den Raum gegen Lauscher in Saidar gehüllt hatte. Delana würde sich einfach anschließen müssen, wenn sie kam. Wichtig war, daß Sheriam einsah, daß sie nicht soviel Macht erlangt hatte, wie sie glaubte, indem sie die Aufgabe der Behüterin an sich gerissen hatte.

In einem Haus auf halber Strecke durch Salidar hindurch servierte Lelaine vier Sitzenden, von denen nur eine ihrer eigenen Blauen Ajah angehörte, gerade Eiswein. Saidar schirmte den Raum gegen Lauscher ab. Der Klang der Festlichkeiten ließ sie lächeln. Die vier Frauen, die hier bei ihr waren, hatten vorgeschlagen, daß sie sich selbst um den Amyrlin-Sitz bemühen sollte, und sie hatte es bereitwillig getan, aber eine Niederlage hätte bedeutet, daß statt dessen Romanda ernannt worden wäre, was Lelaine genauso geschmerzt hätte wie eine Verbannung. Wie würde Romanda mit den Zähnen knirschen, wenn sie jemals erführe, daß sie alle für das Kind gestimmt hatten, nur damit Romanda nicht die Stola um die Schultern legen konnte. Aber jetzt waren sie zusammengekommen, um darüber zu sprechen, wie sie Sheriams Einfluß zurückdrängen konnten, nachdem sie sich die Stola der Behüterin angeeignet hatte. Diese Lächerlichkeit, Aufgenommene durch die Verfügung des Mädchens zu Aes Sedai zu erheben! Sheriam mußte wahnsinnig geworden sein. Während sie weitersprachen, begann sich Lelaine zu fragen, wo Delana war. Sie hätte dabeisein sollen.

Delana saß in ihrem Zimmer und betrachtete Halima, die auf Delanas Bettkante kauerte. Der Name Aran'gar durfte niemals benutzt werden. Delana fürchtete, daß Halima es bemerken würde, wenn sie den Namen auch nur dachte. Sie hatten nur einen kleinen, lediglich sie beide umgebenden Schutzwall gegen Lauscher errichtet. »Das ist verrückt«, brachte sie schließlich hervor.

»Versteht Ihr nicht? Wenn ich weiterhin versuche, jede Zwietracht zu unterstützen, werden sie mich früher oder später ertappen!«

»Jeder muß gewisse Risiken eingehen.« Die Bestimmtheit in Halimas Stimme strafte das Lächeln um ihren üppigen Mund Lügen. »Und Ihr werdet weiterhin darauf drängen, daß Logain wieder einer Dämpfung unterzogen wird. Andernfalls muß er getötet werden.« Die Frau wirkte tatsächlich ein wenig hübscher, als sie das Gesicht leicht verzog. »Wenn sie ihn jemals aus diesem Haus herausgelangen ließen, würde ich mich selbst um die Angelegenheit kümmern.«

Delana konnte es sich vorstellen, aber sie würde ihre Zweifel der Frau gegenüber erst dann äußern, wenn sie versagte. »Ich verstehe nicht, warum Ihr solche Angst vor einem Mann habt, den sechs Schwestern Tag und Nacht abschirmen.«

Halimas grüne Augen blitzten, als sie aufsprang. »Ich habe keine Angst! Behauptet das nie wieder! Ich will, daß Logain abgesondert oder getötet wird, und mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Habt Ihr mich verstanden?«

Delana dachte nicht zum ersten Mal daran, die andere Frau zu töten, aber sie war sich insgeheim sicher, daß sie dann diejenige wäre, die sterben würde. Halima wußte irgendwie, wann sie Saidar umarmte, auch wenn Halima selbst nicht die Macht lenken konnte. Die schlimmste Vorstellung war aber, daß Halima sie nicht töten würde, weil sie sie brauchte. Delana wußte nicht, was sie statt dessen tun würde, aber allein das unbestimmte Gefühl einer Bedrohung ließ sie bereits erschaudern. Sie sollte fähig sein, die Frau genau hier und jetzt zu töten. »Ja, Halima«, sagte sie demütig und haßte sich dafür.

* * * »Das ist nett von Euch«, murmelte Siuan und hielt Lelaine ihren Becher hin, damit sie dem Tee einen Spritzer Branntwein hinzufügen konnte. Die Sonne sank bereits und verlieh dem Licht einen rötlichen Schimmer, aber draußen auf den Straßen ging es noch immer hoch her. »Ihr habt keine Vorstellung davon, wie ermüdend es ist, diesem Mädchen das Zeremoniell beizubringen. Sie scheint zu glauben, daß alles gutgehen würde, solange sie sich wie eine Weise aus ihrer Heimat benähme. Der Saal soll der Frauenkreis oder etwas Ähnliches werden.«

Lelaine bekundete ihr Mitgefühl. »Ihr sagt, sie habe sich über Romanda beklagt?«

Siuan zuckte die Achseln. »Sie sagte etwas darüber, daß Romanda darauf bestünde, wir sollten hierbleiben, anstatt nach Tar Valon zu gehen, soweit ich es verstanden habe. Licht, das Mädchen hat ein Temperament wie ein Reiher in der Paarungszeit. Ich hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt, aber sie trägt jetzt natürlich die Stola. Nun, wenn ich meine Lehrstunden beendet habe, werde ich nichts mehr mit ihr zu tun haben. Erinnert Ihr Euch...?«

Siuan lächelte innerlich und beobachtete, wie Lelaine mit dem Tee auch alles andere schluckte. Nur der erste Satz war wirklich wichtig gewesen. Die Bemerkung über das Temperament hatte sie selbst hinzugefügt, aber diese Worte würden die Sitzenden vielleicht veranlassen, Egwene etwas vorsichtiger zu behandeln. Außerdem hegte sie den Verdacht, daß es stimmen könnte. Sie würde niemals wieder selbst die Amyrlin sein, und sie war sich ziemlich sicher, daß der Versuch, Egwene zu beeinflussen, genauso nutzlos wäre, wie es der Versuch, sich selbst zu beeinflussen, gewesen war — und genauso schmerzhaft —, aber eine Amyrlin lehren, eine Amyrlin zu sein... Sie freute sich darauf mehr als auf irgend etwas anderes in letzter Zeit. Egwene al'Vere würde eine Amyrlin sein, die drei Throne zum Zittern brachte.

»Aber was ist mit meiner Blockierung?« fragte Nynaeve, und Romanda sah sie stirnrunzelnd an. Sie befanden sich in Romandas Raum in der Kleinen Burg, und es war der Zeitpunkt, an dem Romanda sie nach dem Zeitplan der Gelben haben sollte. Die Musik und das Lachen draußen schienen die Gelbe zu stören.

»Ihr wart früher nicht so eifrig. Ich hörte, daß Ihr Dagdara gesagt habt, Ihr wärt auch eine Aes Sedai und sie solle sich einen See suchen und sich ertränken.«

Nynaeve errötete. Man konnte sich darauf verlassen, daß sich ihr Temperament ihr in den Weg stellte. »Vielleicht hatte ich erkannt, daß ich die Macht nicht leichter als zuvor lenken kann, nur weil ich eine Aes Sedai bin.«

Romanda schnaubte. »Aes Sedai. Bis dahin habt Ihr noch einen langen Weg zurückzulegen... Also gut. Etwas, was wir bisher noch nicht versucht haben. Hüpft auf einem Fuß auf und ab. Und sprecht dabei.« Sie setzte sich, noch immer stirnrunzelnd, in einen geschnitzten Sessel nahe dem Bett. »Ich glaube, es ist nur Geschwätz. Plauderei. Was sagte Lelaine noch, worüber die Amyrlin mit mir sprechen wollte?«

Nynaeve sah sie einen Moment empört an. Auf einem Fuß hüpfen? Das war lächerlich! Aber sie war ohnehin nicht wirklich wegen ihrer Blockierung hier. Sie raffte ihre Röcke und begann zu hüpfen. »Egwene ... die Amyrlin ... hat nicht viel gesagt. Nur etwas darüber, in Salidar bleiben zu müssen...« Dies sollte besser funktionieren, sonst würde Egwene einige ausgewählte Worte zu hören bekommen, ob sie nun die Amyrlin war oder nicht.

»Ich denke, dies wird besser wirken, Sheriam«, sagte Elayne und reichte der anderen einen gedrehten, blauroten Ring aus dem, was heute morgen noch Gestein gewesen war. In Wahrheit unterschied er sich von keinem anderen, den sie gefertigt hatte. Sie standen abseits von der Menge, am Eingang einer engen Gasse, die von der roten Sonne beleuchtet wurde. Hinter ihnen klagten Fiedeln und sangen Flöten.

»Danke, Elayne.« Sheriam steckte den Ter'angreal in ihre Gürteltasche, ohne ihn auch nur anzusehen. Elayne hatte Sheriam in einer Tanzpause abgefangen, ihr Gesicht unter all der kühlen Aes-Sedai-Gelassenheit ein wenig gerötet, aber der klare Blick aus den grünen Augen, der Elaynes Knie als Novizin zum Zittern gebracht hatte, war auf ihr Gesicht gerichtet. »Warum habe ich das Gefühl, daß das nicht Euer einziger Grund war, mich aufzusuchen?«

Elayne verzog das Gesicht und drehte den Großen Schlangenring an ihrer rechten Hand. Die rechte Hand. Sie mußte in Erinnerung behalten, daß sie jetzt eine Aes Sedai war. »Es geht um Egwene. Um die Amyrlin, sollte ich vermutlich sagen. Sie ist besorgt, Sheriam, und ich hatte gehofft, daß Ihr ihr helfen könntet. Ihr seid die Behüterin, und ich wußte wirklich nicht, zu wem ich sonst gehen sollte. Ich weiß noch nicht genau, worum es geht. Ihr kennt Egwene. Sie würde sich nicht einmal beklagen, wenn ihr der Fuß abgeschnitten würde. Ich glaube, Romanda ist der Grund, obwohl sie nur von Lelaine sprach. Ich glaube, eine der beiden oder sogar beide haben sie bedrängt, hier in Salidar zu bleiben und nicht fortzugehen, weil es zu gefährlich sei.«

»Das ist ein guter Rat«, sagte Sheriam zögerlich. »Ich weiß nichts von einer Gefahr, aber diesen Rat würde ich ihr auch selbst geben.«

Elayne spreizte hilflos die Hände. »Ich weiß. Sie hat es mir erzählt, aber... Sie hat es nicht eigentlich gesagt, aber ich glaube, daß sie ein wenig Angst vor den beiden hat. Ich weiß, daß sie jetzt die Amyrlin ist, aber ich denke, sie geben ihr das Gefühl, noch eine Novizin zu sein. Ich glaube, daß sie Angst hat, daß sie, wenn sie ihren Rat befolgt — selbst wenn es tatsächlich ein guter Rat ist — von ihr erwarten werden, daß sie es beim nächsten Mal wieder tut. Ich denke ... Sheriam, sie hat Angst, daß sie beim nächsten Mal nicht nein sagen kann, wenn sie jetzt ja sagt. Und ... und ich befürchte das auch. Sheriam, sie ist der Amyrlin-Sitz. Sie sollte nicht von Romanda oder Lelaine oder irgend jemandem sonst beherrscht werden. Ihr seid die einzige, die ihr helfen kann. Ich weiß nicht wie, aber ihr seid es.«

Sheriam schwieg so lange, daß Elayne zu glauben begann, die andere Frau würde ihr sagen, jedes ihrer Worte sei lächerlich. »Ich werde tun, was ich kann«, sagte Sheriam schließlich.

Elayne unterdrückte ein erleichtertes Seufzen, bevor sie erkannte, daß es nichts ausgemacht hätte.

Egwene beugte sich vor, stützte die Arme auf den Rand der Kupferwanne und ließ Chesas Geplapper über sich ergehen, während die Dienerin ihr den Rücken schrubbte. Sie hatte von einem richtigen Bad geträumt, aber tatsächlich in dem Seifenwasser zu sitzen, das mit einem Blütenöl versetzt war, fühlte sich nach den Dampfzelten der Aiel seltsam an. Sie hatte erste Schritte als Amyrlin unternommen, ihr in der Minderheit befindliches Heer ordnungsgemäß aufgestellt und den Angriff begonnen. Sie erinnerte sich an Rhuarcs Worte, daß ein Schlachtführer keinerlei echte Kontrolle mehr über die Ereignisse hatte, wenn die Schlacht erst begonnen hatte. Sie konnte jetzt nur noch abwarten. »Obwohl ich glaube, daß die Weisen Frauen stolz wären«, sagte sie leise.

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