Sechste Scene.

Luise und Secretaer Wurm.

Wurm (kommt naeher). Guten Abend, Jungfer.

Luise. Gott! Wer spricht da? (Sie dreht sich um, wird den Secretaer gewahr und tritt erschrocken zurueck.) Schrecklich! Schrecklich! Meiner aengstlichen Ahnung eilt schon die unglueckseligste Erfuellung nach. (Zum Secretaer mit einem Blick voll Verachtung.) Suchen Sie etwa den Praesidenten? Er ist nicht mehr da.

Wurm. Jungfer, ich suche Sie.

Luise. So muss ich mich wundern, dass Sie nicht nach dem Marktplatz gingen.

Wurm. Warum eben dahin?

Luise. Ihre Braut von der Schaubuehne abzuholen.

Wurm. Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht-Luise (unterdrueckt eine Antwort). Was steht Ihnen zu Diensten?

Wurm. Ich komme, geschickt von Ihrem Vater.

Luise (bestuerzt). Von meinem Vater?-Wieder ist mein Vater?

Wurm. Wo er nicht gern ist.

Luise. Um Gotteswillen! Geschwind! Mich befaellt eine ueble Ahnung-Wo ist mein Vater?

Wurm. Im Thurm, wenn Sie es ja wissen wollen.

Luise (mit einem Blick zum Himmel). Das noch! Das auch noch!-Im Thurm? Und warum im Thurm?

Wurm. Auf Befehl des Herzogs.

Luise. Des Herzogs?

Wurm. Der die Verletzung der Majestaet in der Person seines Stellvertreters-Luise. Was? was? O ewige Allmacht!

Wurm. Auffallend zu ahnden beschlossen hat.

Luise. Das war noch uebrig! Das!-Freilich, freilich, mein Herz hatte noch ausser dem Major etwas Theures-das durfte nicht uebergangen werden-Verletzung der Majestaet-Himmlische Vorsicht! Rette! o rette meinen sinkenden Glauben!-Und Ferdinand?

Wurm. Waehlt Lady Milford, oder Fluch und Enterbung.

Luise. Entsetzliche Freiheit!-Und doch-doch ist er gluecklicher. Er hat keinen Vater zu verlieren. Zwar keinen haben, ist Verdammniss genug!-Mein Vater auf Verletzung der Majestaet-mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung-Wahrlich bewundernswerth! Eine vollkommene Bueberei ist auch eine Vollkommenheit-Vollkommenheit? Nein! dazu fehlt noch etwas-Wo ist meine Mutter?

Wurm. Im Spinnhaus.

Luise (mit schmerzvollem Laecheln). Jetzt ist es voellig!-Voellig, und jetzt waer' ich ja frei-Abgeschaelt von allen Pflichten-und Thraenen-und Freuden. Abgeschaelt von der Vorsicht. Ich brauch' sie ja nicht mehr-(Schreckliches Stillschweigen.) Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich Alles hoeren.

Wurm. Was geschehen ist, wissen Sie.

Luise. Also nicht, was noch kommen wird? (Wiederum Pause, worin sie den Secretaer von oben bis unten ansieht.) Armer Mensch! du treibst ein trauriges Handwerk, wobei du unmoeglich selig werden kannst. Unglueckliche machen, ist schon schrecklich genug, aber graesslich ist's, es ihnen verkuendigen-ihn vorzusingen, den Eulengesang, dabei stehn, wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Nothwendigkeit zittert und Christen an Gott zweifeln-Der Himmel bewahre mich! Und wuerde dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds aufgewogen-ich moechte nicht du sein-Was kann noch geschehen?

Wurm. Ich weiss nicht.

Luise. Sie wollen nicht wissen?-Diese lichtscheue Bothschaft fuerchtet das Geraeusch der Worte, aber in der Grabesstille Ihres Gesichts zeigt sich mir das Gespenst-Was ist noch uebrig?-Sie sagten vorhin, der Herzog wollte es auffallend ahnden? Was nennen Sie auffallend?

Wurm. Fragen Sie nichts mehr.

Luise. Hoere, Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie verstuendest du sonst, das Eisen erst langsam bedaechtlich an den knirschenden Gelenken hinaufzufuehren und das zuckende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu necken?-Welches Schicksal wartet auf meinen Vater? Es ist Tod in Dem, was du lachend sagst; wie mag Das aussehen, was du an dich haeltst? Sprich es aus. Lass mich sie auf einmal haben, die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?

Wurm. Ein Criminal-Process.

Luise. Was ist aber das?-Ich bin ein unwissendes, unschuldiges Ding, verstehe mich wenig auf eure fuerchterlichen lateinischen Woerter. Was heisst Criminal-Process?

Wurm. Gericht um Leben und Tod.

Luise (standhaft). So dank' ich Ihnen! (Sie eilt schnell in ein Seitenzimmer.)

Wurm (steht betroffen da). Wo will das hinaus! Sollte die Naerrin etwa?-Teufel! Sie wird doch nicht-Ich eile nach-ich muss fuer ihr Leben buergen. (Im Begriff, ihr zu folgen.)

Luise (kommt zurueck, einen Mantel umgeworfen). Verzeihen Sie, Secretaer. Ich schliesse das Zimmer.

Wurm. Und wohin denn so eilig?

Luise. Zum Herzog. (Will fort.)

Wurm. Was? Wo hin? (Er haelt sie erschrocken zurueck.)

Luise. Zum Herzog. Hoeren Sie nicht? Zu eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und Leben will richten lassen-Nein! nicht will-muss richten lassen, weil einige Boeswichter wollen; der zu dem ganzen Process der beleidigten Majestaet nichts hergibt, als eine Majestaet und seine fuerstliche Handschrift.

Wurm (lacht ueberlaut). Zum Herzog!

Luise. Ich weiss, worueber Sie lachen-aber ich will ja auch kein Erbarmen dort finden-Gott bewahre mich! nur Ekel-Ekel nur an meinem Geschrei. Man hat mir gesagt, dass die Grossen der Welt noch nicht belehrt sind, was Elend ist-nicht wollen belehrt sein. Ich will ihm sagen, was Elend ist-will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des Todes, was Elend ist-will es ihm vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Toenen, was Elend ist-und wenn ihm jetzt ueber der Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluss in die Ohren schrei'n, dass in der Sterbestunde auch die Lungen der Erdengoetter zu roecheln anfangen und das juengste Gericht Majestaeten und Bettler in dem naemlichen Siebe ruettelt. (Sie will gehen.)

Wurm (boshaft freundlich). Gehen Sie, o gehen Sie ja. Sie koennen wahrlich nichts Kluegeres thun. Ich rathe es Ihnen, gehen Sie, und ich gebe Ihnen mein Wort, dass der Herzog willfahren wird.

Luise (steht ploetzlich still). Wie sagen Sie?-Sie rathen mir selbst dazu? (Kommt schnell zurueck.) Hm! Was will ich denn? Etwas Abscheuliches muss es sein, weil dieser Mensch dazu rathet-Woher wissen Sie, dass der Fuerst mir willfahren wird?

Wurm. Weil er es nicht wird umsonst thun duerfen.

Luise. Nicht umsonst? Welchen Preis kann er auf eine Menschlichkeit setzen?

Wurm. Die schoene Supplicantin ist Preises genug.

Luise (bleibt erstarrt stehen, dann mit brechendem Laut). Allgerechter!

Wurm. Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um diese gnaedige Taxe nicht ueberfordert finden?

Luise (auf und ab, ausser Fassung). Ja! ja! Es ist wahr! Sie sind verschanzt, eure Grossen-verschanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigenen Laster, wie hinter Schwerter der Cherubim-Helfe dir der Allmaechtige, Vater! Deine Tochter kann fuer dich sterben, aber nicht suendigen.

Wurm. Das mag ihm wohl eine Neuigkeit sein, dem armen verlassenen Mann-"Meine Luise," sagte er mir, "hat mich zu Boden geworfen. Meine Luise wird mich auch aufrichten."-Ich eile, Mamsell, ihm die Antwort zu bringen. (Stellt sich, als ob er ginge.)

Luise (eilt ihm nach, haelt ihn zurueck). Bleiben Sie! bleiben Sie! Geduld! Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu machen!-Ich hab' ihn niedergeworfen. Ich muss ihn aufrichten. Reden Sie! Rathen Sie! Was kann ich? was muss ich thun?

Wurm. Es ist nur ein Mittel.

Luise. Dieses einzige Mittel?

Wurm. Auch Ihr Vater wuenscht-Luise. Auch mein Vater?-Was ist das fuer ein Mittel?

Wurm. Es ist Ihnen leicht.

Luise. Ich kenne nichts Schwereres, als die Schande.

Wurm. Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen.

Luise. Von seiner Liebe? Spotten Sie meiner?-Das meiner Willkuer zu ueberlassen, wozu ich gezwungen ward?

Wurm. So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer. Der Major muss zuerst und freiwillig zuruecktreten.

Luise. Er wird nicht.

Wurm. So scheint es. Wuerde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen koennten?

Luise. Kann ich ihn zwingen, dass er mich hassen muss?

Wurm. Wir wollen versuchen. Setzen Sie sich.

Luise (betreten). Mensch! Was bruetest du?

Wurm. Setzen Sie sich. Schreiben Sie! Hier ist Feder, Papier und Dinte.

Luise (setzt sich in hoechster Beunruhigung). Was soll ich schreiben? An wen soll ich schreiben?

Wurm. An den Henker Ihres Vaters.

Luise. Ha! du verstehst dich darauf, Seelen auf die Folter zu schrauben. (Ergreift die Feder.)

Wurm (dictiert). "Gnaediger Herr"-Luise (schreibt mit zitternder Hand).

Wurm. "Schon drei unertraegliche Tage sind vorueber-sind vorueber-und wir sahen uns nicht"

Luise (stutzt, legt die Feder weg). An wen ist der Brief?

Wurm. An den Henker Ihres Vaters.

Luise. O mein Gott!

Wurm. "Halten Sie sich desswegen an den Major-an den Major-der mich den ganzen Tag wie ein Argus huetet"

Luise (springt auf). Bueberei, wie noch keine erhoert worden! An wen ist der Brief?

Wurm. An den Henker Ihres Vaters.

Luise (die Haende ringend, auf und nieder). Nein! nein! nein! das ist tyrannisch, o Himmel! Strafe Menschen menschlich, wenn sie dich reizen, aber warum mich zwischen zwei Schrecknisse pressen? Warum zwischen Tod und Schande mich hin und her wiegen? Warum diesen blutsaugenden Teufel mir auf den Nacken setzen?-Macht, was ihr wollt. Ich schreibe das nimmermehr.

Wurm (greift nach dem Hut). Wie Sie wollen, Mademoiselle! Das steht ganz in Ihrem Belieben.

Luise. Belieben, sagen Sie? In meinem Belieben?-Geh, Barbar! Haenge einen Ungluecklichen ueber dem Abgrund der Hoelle aus, bitt' ihn um etwas, und laestre Gott, und frag' ihn, ob es ihm beliebe?-O du weisst allzu gut, dass unser Herz an natuerlichen Trieben so fest als an Ketten liegt-Nunmehr ist Alles gleich. Dictieren Sie weiter! Ich denke nichts mehr. Ich weiche der ueberlistenden Hoelle. (Sie setzt sich zum zweitenmal.)

Wurm. "Den ganzen Tag wie ein Argus huetet"-Haben Sie das?

Luise. Weiter! weiter!

Wurm. "Wir haben gestern den Praesidenten im Haus gehabt. Es war possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre sich wehrte"-Luise. O schoen, schoen! o herrlich!-Nur immer fort.

Wurm. "Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht-zu einer Ohnmacht-dass ich nicht laut lachte"

Luise. O Himmel!

Wurm. "Aber bald wird mir meine Maske unertraeglich-unertraeglich-Wenn ich nur loskommen koennte"-Luise (haelt inne, steht auf, geht auf und nieder, den Kopf gesenkt, als suchte sie was auf dem Boden; dann setzt sie sich wiederum, schreibt weiter). "Loskommen koennte"

Wurm. "Morgen hat er den Dienst-Passen Sie ab, wenn er von mir geht, und kommen an den bewussten Ort"-Haben Sie "bewussten?"

Luise. Ich habe Alles!

Wurm. "An den bewussten Ort zu Ihrer zaertlichen.... Luise"

Luise. Nun fehlt die Adresse noch.

Wurm. "An Herrn Hofmarschall von Kalb."

Luise. Ewige Vorsicht! Ein Name, so fremd meinen Ohren, als meinem Herzen diese schaendlichen Zeilen. (Sie steht auf und betrachtet eine grosse Pause lang mit starrem Blick das Geschriebene, endlich reicht sie es dem Secretaer mit erschoepfter, hinsterbender Stimme.) Nehmen Sie, mein Herr. Es ist mein ehrlicher Name-es ist Ferdinand-es ist die ganze Wonne meines Lebens, was ich jetzt in Ihre Haende gebe-Ich bin eine Bettlerin.

Wurm. O nein doch! Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiselle. Ich habe herzliches Mitleid mit Ihnen. Vielleicht-wer weiss?-Ich koennte mich noch wohl ueber gewisse Dinge hinwegsetzen-Wahrlich! Bei Gott! Ich habe Mitleid mit Ihnen.

Luise (blickt ihn starr und durchdringend an). Reden Sie nicht aus, mein Herr. Sie sind auf dem Wege, sich etwas Entsetzliches zu wuenschen.

Wurm (im Begriff, ihre Hand zu kuessen). Gesetzt, es waere diese niedliche Hand-Wie so, liebe Jungfer?

Luise (gross und schrecklich). Weil ich dich in der Brautnacht erdrosselte und mich dann mit Wollust aufs Rad flechten liesse. (Sie will gehen, kommt aber schnell zurueck.) Sind wir jetzt fertig, mein Herr? Darf die Taube nun fliegen?

Wurm. Nur noch die Kleinigkeit, Jungfer. Die muessen mit mir und das Sacrament darauf nehmen, diesen Brief fuer einen freiwilligen zu erkennen.

Luise. Gott! Gott! und du selbst musst das Siegel geben, die Werke der Hoelle zu verwahren? (Wurm zieht sie fort.)

Vierter Akt.

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