Siebente Scene.

Luise Millerin tritt schuechtern herein und bleibt in einer grossen Entfernung von der Lady stehen; Lady hat ihr den Ruecken zugewandt und betracht sie eine Zeit lang aufmerksam in dem gegenueber stehenden Spiegel. (Nach einer Pause.)

Luise. Gnaedige Frau, ich erwarte Ihre Befehle.

Lady (dreht sich nach Luisen um und nickt nur eben mit dem Kopfe, fremd und zurueckgezogen). Aha! Ist Sie hier?-Ohne Zweifel die Mamsell-eine gewisse-wie nennt man Sie doch?

Luise (etwas empfindlich). Miller nennt sich mein Vater, und Ihro Gnaden schickten nach seiner Tochter.

Lady. Recht! Recht! ich entsinne mich-die arme Geigerstochter, wovon neulich die Rede war. (Nach einer Pause vor sich.) Seht interessant, und doch keine Schoenheit-(Laut zu Luisen.) Treten Sie naeher, mein Kind. (Wieder vor sich.) Augen, die sich im Weinen uebten-Wie lieb' ich sie, diese Augen! (Wiederum laut.) Nur naeher-Nur ganz nah-Gutes Kind, ich glaube, du fuerchtest mich?

Luise (gross, mit entschiedenem Ton). Nein, Milady. Ich verachte das Urtheil der Menge.

Lady (vor sich). Sieh doch! und diesen Trotzkopf hat sie von ihm. (Laut.) Man hat Sie mir empfohlen, Mamsell. Sie soll was gelernt haben und sonst auch zu leben wissen-Nun ja. Ich will's glauben-auch naehm' ich die ganze Welt nicht, einen so warmen Fuersprecher Luegen zu strafen.

Luise. Doch kenn' ich Niemand, Milady, der sich Muehe gaebe, mir eine Patronin zu suchen.

Lady (geschraubt). Muehe um die Clientin oder Patronin?

Luise. Das ist mir zu hoch, gnaedige Frau.

Lady. Mehr Schelmerei, als diese offene Bildung vermuthen laesst! Luise nennt sie sich? Und wie jung, wenn man fragen darf?

Luise. Sechzehn gewesen.

Lady (steht rasch auf). Nun ist's heraus! Sechzehn Jahre! Der erste Puls dieser Leidenschaft!-Auf dem unberuehrten Clavier der erste einweihende Silberton-Nichts ist verfuehrender-Setz dich, ich bin dir gut, liebes Maedchen-Und auch er liebt zum ersten Mal-Was Wunder, wenn sich die Strahlen eines Morgenroths finden? (Sehr freundlich und ihre Hand ergreifend.) Es bleibt dabei, ich will dein Glueck machen, Liebe-Nichts, nichts als die suesse, fruehe verfliegende Traeumerei. (Luisen auf die Wange klopfend.) Meine Sophie heirathet. Du sollst ihre Stelle haben-Sechzehn Jahr! Es kann nicht von Dauer sein.

Luise (kuesst ihr ehrerbietig die Hand). Ich danke fuer diese Gnade, Milady, als wenn ich sie annehmen duerfte.

Lady (in Entruestung zurueckfallend). Man sehe die grosse Dame!-Sonst wissen sich Jungfern Ihrer Herkunft noch gluecklich, wenn sie Herrschaften finden-Wo will denn Sie hinaus, meine Kostbare? Sind diese Finger zur Arbeit zu niedlich? Ist es Ihr Bischen Gesicht, worauf Sie so trotzig thut?

Luise. Mein Gesicht, gnaedige Frau, gehoert mir so wenig, als meine Herkunft.

Lady. Oder glaubt Sie vielleicht, das werde nimmer ein Ende nehmen?-Armes Geschoepf, wer dir das in den Kopf setzte-mag er sein, wer er will-er hat euch Beide zum Besten gehabt. Diese Wangen sind nicht im Feuer vergoldet. Was dir dein Spiegel fuer massiv und ewig verkauft, ist nur ein duenner, angeflogener Goldschaum, der deinem Anbeter ueber kurz oder lang in der Hand bleiben muss-Was werden wir dann machen?

Luise. Den Anbeter bedauern, Milady, der einen Demant kaufte, weil er in Gold schien gefasst zu sein.

Lady (ohne darauf achten zu wollen). Ein Maedchen von Ihren Jahren hat immer zween Spiegel zugleich, den wahren und ihren Bewunderer-die gefaellige Geschmeidigkeit des letztern macht die rauhe Offenherzigkeit des erstern wieder gut. Der eine ruegt eine haessliche Blatternarbe. Weit gefehlt, sagt der andere, es ist ein Gruebchen der Grazien. Ihr guten Kinder glaubt jenem nur, was euch dieser gesagt hat, huepft von einem zum andern, bis ihr zuletzt die Aussagen beider verwechselt-Warum begaffen Sie mich so?

Luise. Verzeihen Sie, gnaedige Frau-Ich war so eben im Begriff, diesen praechtig blitzenden Rubin zu beweinen, der es nicht wissen muss, dass seine Besitzerin so scharf wider Eitelkeit eifert.

Lady (erroethend). Keinen Seitensprung, Lose!-Wenn es nicht die Promessen Ihrer Gestalt sind, was in der Welt koennte Sie abhalten, einen Stand zu erwaehlen, der der einzige ist, wo Sie Manieren und Welt lernen kann, der einzige ist, wo Sie sich Ihrer buergerlichen Vorurtheile entledigen kann?

Luise. Auch meiner buergerlichen Unschuld, Milady?

Lady. Laeppischer Einwurf! Der ausgelassenste Bube ist zu verzagt, uns etwas Beschimpfendes zuzumuthen, wenn wir ihm nicht selbst ermunternd entgegen gehn. Zeige Sie, wer Sie ist. Gebe Sie sich Ehre und Wuerde, und ich sage Ihrer Jugend fuer alle Versuchung gut.

Luise. Erlauben Sie, gnaedige Frau, dass ich mich unterstehe, daran zu zweifeln. Die Palaeste gewisser Damen sind oft die Freistaetten der frechsten Ergoetzlichkeit. Wer sollte der Tochter des armen Geigers den Heldenmuth zutrauen, den Heldenmuth, mitten in die Pest sich zu werfen und doch dabei vor der Vergiftung zu schaudern? Wer sollte sich traeumen lassen, dass Lady Milford ihrem Gewissen einen ewigen Skorpion halte, dass sie Geldsummen aufwende, um den Vortheil zu haben, jeden Augenblick schamroth zu werden?-Ich bin offenherzig, gnaedige Frau-Wuerde Sie mein Anblick ergoetzen, wenn Sie einem Vergnuegen entgegen gingen? Wuerden Sie ihn ertragen, wenn Sie zurueckkaemen?-O besser, besser, Sie lassen Himmelsstriche uns trennen-Sie lassen Meere zwischen uns fliessen!-Sehen Sie sich wohl fuer, Milady-Stunden der Nuechternheit, Augenblicke der Erschoepfung koennten sich melden-Schlangen der Reue koennten Ihren Busen anfallen, und nun-welche Folter fuer Sie, im Gesicht Ihres Dienstmaedchens die heitre Ruhe zu lesen, womit die Unschuld ein reines Herz zu belohnen pflegt. (Sie tritt einen Schritt zurueck.) Noch einmal, gnaedige Frau. Ich bitte sehr um Vergebung.

Lady (in grosser innrer Bewegung herumgehend). Unertraeglich, dass sie mir das sagt! Unertraeglicher, dass sie Recht hat! (Zu Luisen tretend und ihr starr in die Augen sehend.) Maedchen, du wirst mich nicht ueberlisten. So warm sprechen Meinungen nicht. Hinter diesen Maximen lauert ein feurigeres Interessen, das dir meine Dienste besonders abscheulich malt-das dein Gespraech so erhitzte-das ich (drohend) entdecken muss.

Luise (gelassen und edel). Und wenn Sie es nun entdeckten? Und wenn Ihr veraechtlicher Fersenstoss den beleidigten Wurm aufweckte, dem sein Schoepfer gegen Misshandlung noch einen Stachel gab?-Ich fuerchte Ihre Rache nicht, Lady-Die arme Suenderin auf dem beruechtigten Henkerstuhl lacht zum Weltuntergang. Mein Elend ist so hoch gestiegen, dass selbst Aufrichtigkeit es nicht mehr vergroessern kann. (Nach einer Pause sehr ernsthaft.) Sie wollen mich aus dem Staub meiner Herkunft reissen. Ich will sie nicht zergliedern, diese verdaechtige Gnade. Ich will nur fragen, was Milady bewegen konnte, mich fuer die Thoerin zu halten, die ueber ihre Herkunft erroethet? Was sie berechtigen konnte, sich zur Schoepferin meines Gluecks aufzuwerfen, ehe sie noch wusste, ob ich mein Glueck auch von ihren Haenden empfangen wollte?-Ich hatte meinen ewigen Anspruch auf die Freuden der Welt zerrissen. Ich hatte dem Glueck seine Uebereilung vergeben-Warum mahnen Sie mich aufs Neu an dieselbe?-Wenn selbst die Gottheit dem Blick der Erschaffenen ihre Strahlen verbirgt, dass nicht ihr oberster Seraph vor seiner Verfinsterung zurueckschaure-warum wollen Menschen so grausam-barmherzig sein?-Wie kommt es, Milady, dass Ihr gepriesenes Glueck das Elend so gern um Neid und Bewunderung anbettelt?-Hat Ihre Wonne die Verzweiflung so noethig zur Folie?-O lieber! so goennen Sie mir doch eine Blindheit, die mich allein noch mit meinem barbarischen Loos versoehnt-Fuehlt sich doch das Insekt in einem Tropfen Wassers so selig, als waer' es ein Himmelreich, so froh und so selig, bis man ihm von einem Weltmeer erzaehlt, worin Flotten und Wallfische spielen!-Aber gluecklich wollen Sie mich ja wissen? (Nach einer Pause ploetzlich zur Lady hintretend und mit Ueberraschung fragend:) Sind Sie gluecklich, Milady? (Diese verlaesst sie schnell und betroffen, Luise folgt ihr und haelt ihr die Hand vor den Busen.) Hat dieses Herz auch die lachende Gestalt Ihres Standes? Und wenn wir jetzt Brust gegen Brust und Schicksal gegen Schicksal auswechseln sollten-und wenn ich in kindlicher Unschuld-und wenn ich auf Ihr Gewissen-und wenn ich als meine Mutter Sie fragte-wuerden Sie mir wohl zu dem Tausche rathen?

Lady (heftig bewegt in den Sopha sich werfend). Unerhoert! Unbegreiflich! Nein, Maedchen! Nein! Diese Groesse hast du nicht auf die Welt gebracht, und fuer einen Vater ist sie zu jugendlich. Luege mir nicht. Ich hoere einen andern Lehrer-Luise (fein und scharf ihr in die Augen sehend). Es sollte mich doch wundern, Milady, wenn Sie jetzt erst auf diesen Lehrer fielen, und doch vorhin schon eine Condition fuer mich wussten.

Lady (springt auf). Es ist nicht auszuhalten!-Ja denn! weil ich dir doch nicht entwischen kann. Ich kenn' ihn-weiss Alles-weiss mehr, als ich wissen mag. (Ploetzlich haelt sie inne, darauf mit einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben steigt.) Aber wag' es, Unglueckliche-wag' es, ihn jetzt noch zu lieben oder von ihm geliebt zu werden-Was sage ich?-Wag' es, an ihn zu denken oder einer von seinen Gedanken zu sein-Ich bin maechtig, Unglueckliche-fuerchterlich-so wahr Gott lebt! Du bist verloren!

Luise (standhaft). Ohne Rettung, Milady, sobald Sie ihn zwingen, dass er Sie lieben muss.

Lady. Ich verstehe dich-aber er soll mich nicht lieben. Ich will ueber diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdruecken und das deinige zermalmen-Felsen und Abgruende will ich zwischen euch werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein Name soll eure Kuesse, wie ein Gespenst Verbrecher, auseinander scheuchen; deine junge bluehende Gestalt unter seiner Umarmung welk, wie eine Mumie, zusammenfallen-Ich kann nicht mit ihm gluecklich werden-aber du sollst es auch nicht werden-Wisse das, Elende! Seligkeit zerstoeren ist auch Seligkeit.

Luise. Eine Seligkeit, um die man Sie schon gebracht hat, Milady. Laestern Sie Ihr eigenes Herz nicht. Sie sind nicht faehig, Das auszuueben, was Sie so drohend auf mich herabschwoeren. Sie sind nicht faehig, ein Geschoepf zu quaelen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als dass es empfunden hat wie Sie-Aber ich liebe Sie um dieser Wallung willen, Milady.

Luise (die sich jetzt gefasst hat). Wo bin ich? Wo war ich? Was hab' ich merken lassen? Wen hab' ich's merken lassen?-O Luise, edle, grosse, goettliche Seele! Vergib's einer Rasenden-Ich will dir kein Haar kraenken, mein Kind. Wuensche! Fordre! Ich will dich auf den Haenden tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein-Du bist arm-Sieh! (Einige Brillanten herunternehmend.) Ich will diesen Schmuck verkaufen-meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen-Dein sei Alles, aber entsag' ihm!

Luise (tritt zurueck voll Befremdung). Spottet sie einer Verzweifelnden, oder sollte sie an der barbarischen That im Ernst keinen Antheil gehabt haben?-Ha! So koennt' ich mir ja noch den Schein einer Heldin geben und meine Ohnmacht zu einem Verdienst aufputzen. (Sie steht eine Weile gedankenvoll, dann tritt sie naeher zur Lady, fasst ihre Hand und sieht sie starr und bedeutend an.) Nehmen Sie ihn denn hin, Milady!-Freiwillig tret' ich Ihnen ab den Mann, den man mit Haken der Hoelle von meinem blutenden Herzen riss. -Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Milady, aber Sie haben den Himmel zweier Liebenden geschleift, von einander gezerrt zwei Herzen, die Gott aneinander band; zerschmettert ein Geschoepf, das ihm nahe ging wie Sie, das er zur Freude schuf wie Sie, das ihn gepriesen hat wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird-Lady! ins Ohr des Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms-Es wird ihm nicht gleichgueltig sein, wenn man Seelen in seinen Haenden mordet! Jetzt ist er Ihnen! Jetzt, Milady, nehmen Sie ihn hin! Rennen Sie in seine Arme! Reissen Sie ihn zum Altar-Nur vergessen Sie nicht, dass zwischen Ihren Brautkuss das Gespenst einer Selbstmoerderin stuerzen wird-Gott wird barmherzig sein-Ich kann mir nicht anders helfen! (Sie stuerzt hinaus.)

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