Erste Scene.

Luise sitzt stumm und ohne sich zu ruehren in dem finstersten Winkel des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer grossen und tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet aengstlich im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf den Tisch und setzt die Laterne nieder.

Miller. Hier ist sie auch nicht. Hier wieder nicht-Durch alle Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf allen Thoren hab' ich gefragt-mein Kind hat man nirgends gesehen. (Nach einigem Stillschweigen.) Geduld, armer, ungluecklicher Vater! Warte ab, bis es Morgen wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann ans Ufer geschwommen-Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgoettisch an diese Tochter hing?-Die Strafe ist hart. Himmlischer Vater, hart! Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart! (Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)

Luise (spricht aus dem Winkel). Du thust recht, armer alter Mann! Lerne bei Zeit noch verlieren.

Miller (springt auf). Bist du da, mein Kind? Bist du?-Aber warum denn so einsam und ohne Licht?

Luise. Ich bin darum doch nicht einsam. Wenn's so recht schwarz wird um mich herum, hab' ich meine besten Besuche.

Miller. Gott bewahre dich! Nur der Gewissenswurm schwaermt mit der Eule. Suenden und boese Geister scheuen das Licht.

Luise. Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen redet.

Miller. Kind! Kind! Was fuer Reden sind das?

Luise (steht auf und kommt vorwaerts). Ich hab' einen harten Kampf gekaempft. Er weiss es, Vater. Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist entschieden. Vater, man pflegt unser Geschlecht zart und zerbrechlich zu nennen. Glaub' Er das nicht mehr. Vor einer Spinne schuetteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung druecken wir im Spass in die Arme. Dieses zur Nachricht, Vater. Seine Luise ist lustig.

Miller. Hoere, Tochter! ich wollte du heultest. Du gefielst mir so besser.

Luise. Wie ich ihn ueberlisten will, Vater! Wie ich den Tyrannen betruegen will!-Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und kuehner-das hat er nicht gewusst, der Mann mit dem traurigen Stern-O, sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu thun haben; aber sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Boeswichter dumm-Mit einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln? Eide, Vater, binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sacramente eisernes Band. Ferdinand wird seine Luise kennen-Will Er mir dies Billet besorgen, Vater? Will Er so gut sein?

Miller. An wen, meine Tochter?

Luise. Seltsame Frage! Die Unendlichkeit und mein Herz haben mit einander nicht Raum genug fuer einen einzigen Gedanken an ihn-Wenn haett' ich denn wohl an sonst Jemand schreiben sollen?

Miller (unruhig). Hoere, Luise! Ich erbrechen den Brief.

Luise. Wie Er will, Vater-aber Er wird nicht klug daraus werden. Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge der Liebe.

Miller (liest). "Du bist verrathen, Ferdinand!-Ein Bubenstueck ohne Beispiel zerriss den Bund unsrer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat ueberall seine Horcher gestellt. Doch, wenn du Muth hast, Geliebter,-ich weiss einen dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher geht." (Miller haelt inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)

Luise. Warum sieht Er mich so an? Les' Er doch ganz aus, Vater.

Miller. "Aber Muth genug musst du haben, eine finstre Strasse zu wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Luise und Gott-Ganz zur Liebe musst du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine brausenden Wuensche; nichts kannst du brauchen, als dein Herz. Willst du-so brich auf, wenn die Glocke den zwoelften Streich thut auf dem Carmeliterthurm. Bangt dir-so durchstreiche das Wort stark vor deinem Geschlechte, denn ein Maedchen hat dich zu Schanden gemacht." (Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen, starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und sagt mit leiser, gebrochener Stimme.) Und dieser dritte Ort, meine Tochter?

Luise. Er kennt ihn nicht? Er kennt ihn wirklich nicht, Vater?-Sonderbar! Der Ort ist zum Finden gemalt. Ferdinand wird ihn finden.

Miller. Hum! rede deutlicher.

Luise. Ich weiss so eben kein liebliches Wort dafuer-Er muss nicht erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein haessliches nenne. Dieser Ort-O warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! den schoensten haette sie diesem gegeben. Der dritte Ort, guter Vater-aber Er muss mich ausreden lassen-der dritte Ort ist das Grab.

Miller (zu seinem Sessel hinwankend). O mein Gott!

Luise (geht auf ihn zu und haelt ihn). Nicht doch, mein Vater! Das sind nur Schauer, die sich um das Wort herum lagern-Weg mit diesem, und es liegt ein Brautbette da, worueber der Morgen seinen goldenen Teppich breitet und die Fruehlinge ihre bunten Guirlanden streun. Nur ein heulender Suender konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein holder, niedlicher Knabe, bluehend, wie sie den Liebesgott malen, aber so tueckisch nicht-ein stiller, dienstbarer Genius, der der erschoepften Pilgerin Seele den Arm bietet ueber den Graben der Zeit, das Feenschloss der ewigen Herrlichkeit aufschliesst, freundlich nickt und verschwindet.

Miller. Was hast du vor, meine Tochter?-Du willst eigenmaechtig Hand an dich legen.

Luise. Nenn' Er es nicht so, mein Vater. Eine Gesellschaft raeumen, wo ich nicht wohl gelitten bin-an einen Ort vorausspringen, den ich nicht laenger missen kann-ist denn das Suende?

Miller. Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind-die einzige, die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missethat zusammenfallen.

Luise (bleibt erstarrt stehn). Entsetzlich!-Aber so rasch wird es doch nicht gehn. Ich will in den Fluss springen, Vater, und im Hinuntersinken Gott den Allmaechtigen um Erbarmen bitten.

Miller. Das heisst, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das Gestohlene in Sicherheit weisst-Tochter! Tochter! Gib Acht, dass du Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnoethen hast. O! es ist weit, weit mit dir gekommen!-Du hast dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige zog seine Hand von dir.

Luise. Ist lieben denn Frevel, mein Vater!

Miller. Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben-Du hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur Grube gebeugt.-Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer machen-Tochter, ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein. Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch laenger geheim halten? Du warst mein Abgott. Hoere, Luise, wenn du noch Platz fuer das Gefuehl eines Vaters hast-Du warst mein Alles. Jetzt verthust du nichts mehr von deinem Eigenthum. Auch ich hab' Alles zu verlieren. Du siehst, mein Haar faengt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich allgemach bei mir, wo uns Vaetern die Kapitale zu statten kommen, die wir im Herzen unsrer Kinder anlegten-Wirst du mich darum betruegen, Luise? Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und davon machen?

Luise (kuesst seine Hand mit der heftigsten Ruehrung). Nein, mein Vater. Ich gehe als Seine grosse Schuldnerin aus der Welt und werde in der Ewigkeit mit Wucher bezahlen.

Miller. Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden?-Sieh! wie du blass wirst!-Meine Luise begreift es von selbst, dass ich sie in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so frueh dahin eile, wie sie. (Luise stuerzt ihm in den Arm, von Schauern ergriffen-Er drueckt sie mit Feuer an seine Brust und faehrt fort mit beschwoerender Stimme.) O Tochter! Tochter! gefallene, vielleicht schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich kann nicht ueber dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du kannst dich mit einer Stricknadel toedten. Vor Gift kann ich dich bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwuergen. -Luise-Luise-nur warnen kann ich dich noch-Willst du es darauf ankommen lassen, dass dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen Bruecke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor des Allwissenden Thron mit der Luege wagen: Deinetwegen, Schoepfer, bin ich da-wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe suchen?-Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt Wurm wie du, zu den Fuessen deines Richters sich windet, deine gottlose Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Luegen straft und deine betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende fuer sich selbst kaum erflehen kann-wie dann? (Nachdruecklicher, lauter.) Wie dann, Unglueckselige? (Er haelt sie fester, blickt sie eine Weile starr und durchdringend an, dann verlaesst er sie schnell.) Jetzt weiss ich nichts mehr-(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott Richter! fuer diese Seele nicht mehr. Thu, was du willst. Bring deinem schlanken Juengling ein Opfer, dass deine Teufel jauchzen und deine guten Engel zuruecktreten-Zieh hin! Lade alle deine Suenden auf, lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht vollkommen-Hier ist ein Messer-durchstich dein Herz und (indem er lautweinend fortstuerzen will) das Vaterherz!

Luise (springt auf und eilt ihm nach). Halt! halt! O mein Vater! -dass die Zaertlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth! -Was soll ich? Ich kann nicht! Was muss ich thun?

Miller. Wenn die Kuesse deines Majors heisser brennen als die Thraenen deines Vaters-stirb!

Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit). Vater! Hier ist meine Hand! Ich will-Gott! Gott! Was thu' ich? was will ich?-Vater, ich schwoere-wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich mich neige!-Vater, es sei!-Ferdinand-Gott sieht herab!-So zernicht' ich sein letztes Gedaechtniss. (Sie zerreisst ihren Brief.)

Miller (stuerzt ihr freudetrunken an den Hals). Das ist meine Tochter! -Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafuer hast du einen gluecklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie umarmend.) Kind! Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war! Gott weiss, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin! -Mein Luise, mein Himmelreich!-O Gott! ich verstehe ja wenig vom Lieben, aber dass es eine Qual sein muss, aufzuhoeren-so was begreif' ich noch.

Luise. Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater-Weg von der Stadt, wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist auf immerdar-Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es moeglich ist-Miller. Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts waechst ueberall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! lass auch Alles dahingehn-Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute, singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriss-wir betteln mit der Ballade von Thuere zu Thuere, und das Almosen wird koestlich schmecken von den Haenden der Weinenden-

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