Eunice, Lynnie, Sam Kitchens und der Stallmeister Chub Lodovski lehnten in einer Reihe am Zaun der Hengstkoppel in Midway und schauten Chrysalis zu, wie er Kentucky-Gras fraß. Ihre Stimmung reichte von Begeisterung bei Lodovski bis zu Gleichgültigkeit bei Eunice.
Der Ausflug in die Teton-Berge schien dem Millionengaul nicht geschadet zu haben. Nachdem Sam Kitchens ihm den Staub von Wyoming aus dem Fell gebürstet hatte, sah er besser aus als oben auf der Ranch; sein Fell glänzte im Sonnenschein. Lodovski versicherte mir hoch und heilig, ich brauche in keiner Weise zu befürchten, er könne wieder verlorengehen.
Ein ganzes Heer von Fotografen und Reportern war gekommen und wieder gegangen. Der Hengst war auf dem Weideland eines Freundes von Dave Teller >gefunden< worden, und zwar etwa dreißig Meilen von der Stelle entfernt, wo er abhanden gekommen war. Die ganze Aufregung hatte sich gelegt.
Ich ging mit Eunice und Lynnie zu Daves Haus zurück. Der Drink, den Eunice mir mixte, bestand zu vier Fünfteln aus Whisky und einem Fünftel aus Eis.
«Wer hat Sie eigentlich durch den Fleischwolf gedreht?«fragte sie.»Sie sehen aus wie ein Hochzeitsreisender nach der zehnten Nacht.«
Sam Hengelman war am Dienstag um die Mittagszeit mit Chrysalis in Midway angekommen. Am Tag zuvor war ich mit Walt nach New York geflogen und gerade erst in Lexington gelandet, so daß ich noch das Ende von Eunices Interview durch die Reporter miterlebte. Ein paar Burschen aus diesem hartgesottenen Verein stolperten mit betroffenen Gesichtern an mir vorbei, und Lynnie hatte gerade einen Lachkrampf über-
standen.
Ich probierte den harten Drink.
«Ein bißchen Schlaf könnte ich jetzt gut gebrauchen«, gab ich zu.»Hätten Sie vielleicht ein Bett für mich übrig? Oder gibt es hier in der Nähe ein Motel?«
«Bleiben Sie«, sagte Eunice.»Natürlich wohnen Sie hier.«
Ich warf Lynnie einen Blick zu. Mit einer Frau allein konnte ich nicht im Haus bleiben, mit beiden war das in Ordnung. Wie albern!
«Dann vielen Dank. Außerdem muß ich Dave in England anrufen.«
Dave lag noch im Krankenhaus.
«Ich hab’s vor einer halben Stunde in den Nachrichten gehört«, sagte er fassungslos.»Chrysalis soll ganz einfach wieder aufgetaucht sein?«
«Genauso war es«, sagte ich prompt.
«Wo war er denn?«
«Das ist eine lange Geschichte, und Drähte haben Ohren. Aber die bisherigen Kosten belaufen sich auf etwa 6300 Dollar. Reicht Ihnen das oder sind Sie noch scharf auf einige Antworten?«
«Auf welche Fragen?«Das klang unsicher.
«Zum Beispiel, warum Chrysalis geraubt wurde; warum Sie in die Themse fielen; und noch etwas: Wollen Sie Allyx wiederhaben?«
«Um Himmels willen — wissen Sie denn, wo er ist?«
«Nein. Aber vielleicht kann ich ihn finden. Allerdings muß die Versicherungssumme für Allyx an die >Buttress<-Lebensversicherung zurückgezahlt werden, falls ich ihn auftreibe, und falls er ebenso eindeutig identifiziert werden kann wie Chrysalis. Das wäre praktisch dasselbe, wie wenn Sie ihn neu kaufen müßten. Er ist jetzt drei Jahre älter, und Sie haben drei Jahrgänge an Fohlen eingebüßt. Vielleicht ist er für Sie und Ihr Syndikat gar kein so gutes Geschäft mehr. In diesem Fall ist es Ihnen vielleicht lieber, wenn er nicht gefunden wird. Das liegt ganz bei Ihnen.«
«Herr im Himmel«, sagte er.
«Wollen Sie es sich noch einmal überlegen und wieder zurückrufen?«schlug ich vor.»Ihre Frau und Lynnie stopfen mich mit Essen und Trinken voll, und ich werde wahrscheinlich heute nacht hierbleiben. Aber wenn Sie möchten, daß ich weitermache, dann stimmen Sie es mit Keeble ab. Ich muß am nächsten Montagmorgen um Punkt 9.00 Uhr hinter meinem Schreibtisch sitzen, und das schaffe ich vielleicht nicht.«
«Klar«, sagte er mit matter Stimme, und ich gab den Hörer an Eunice weiter.
«Wie geht’s denn, Liebling?«fragte sie. Ich nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Glas, lehnte den Kopf im Sessel zurück und hörte mir mit geschlossenen Augen eine Unterhaltung an, wie sie zwischen langjährigen Ehepaaren eben üblich ist.
«Frag mich nicht, wie er es geschafft hat, Dave, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er gestern nachmittag aus New York anrief und sich nach dem Namen eines guten Freundes von uns erkundigte, der nach Möglichkeit einflußreich und angesehen sein sollte und in Züchterkreisen einen gewissen Ruf haben mußte — jedenfalls ein Mann, dessen Wort bei der Presse Gewicht hat. Nach einigem Überlegen sagte ich, Jeff Roots erfülle diese Bedingungen am besten. Und siehe da, heute morgen taucht Chrysalis zufällig auf Jeffs Weideland auf. - Ja, der Hengst ist so gut wie neu. Er ist auf jeden Fall richtig behandelt worden. - Hör mal, Dave, laß es damit genug sein. Ich habe gehört, was Gene über die Auffindung von Allyx sagte. Tu es nicht. Wir brauchen Allyx so dringend wie Kopfschmerzen. Außerdem ist dein Freund hier kein Herkules, und in seinem jetzigen Zustand wirft ihn der nächste Windstoß um. - Ja, Lynnie geht’s gut. Morgen machen wir einen Ausflug nach Kalifornien. Ich will die Maße für die Vorhänge auf der neuen Farm nehmen und ein paar Dinge erledigen, und Lynnie kann am Strand faulenzen. Vielleicht geht sie auch mit den Jungen von Vesey zum Wellenreiten. Sollen wir Gene nicht lieber mitnehmen? — Natürlich habe ich im Hotel >Vacationer< in Santa Barbara Zimmer bestellt. Die haben sicher noch eins frei…«
Enttäuscht hörte ich ihr zu. Wenn ich irgendwo faulenzen wollte, dann am liebsten hier auf der Midway-Farm, neben dem Swimmingpool, in dem ruhigen, grünen Garten liegen, schlafen, trinken und Lynnie ansehen.
Eunice legte den Hörer auf. Wir gingen zum Abendessen. Später am Abend rief Dave noch einmal an.
«Hören Sie, Gene«, sagte er.»Gibt es, abgesehen von purer Neugier, irgendwelche triftigen Gründe, warum wir nach den Antworten suchen sollten, von denen Sie sprachen?«
«Ja. Um eine Wiederholung zu verhindern«, antwortete ich prompt.
«Sie meinen, damit keine Hengste mehr geklaut werden und ich kein Bad im Fluß mehr nehmen muß?«
«Genau.«
Es entstand eine Pause.
«In diesem Fall möchte ich die Antworten haben, wenn Sie sie mir geben können«, sagte er dann.»Und was Allyx betrifft
— wenn Sie glauben, daß es eine Chance gibt, ihn lebend und gesund wiederzubekommen, dann bin ich wohl moralisch verpflichtet, Ihnen grünes Licht zu geben. Natürlich muß ich mit ihm das ganze Geschäft von neuem aufziehen. Er ist jetzt zwölf. Das heißt, daß er als Zuchthengst nur noch sechs oder acht wirklich gute Jahre vor sich hat, aber seine Nachkommenschaft ist jetzt schon so gut, daß sie überall in Europa das Rennen gewinnt.
Was das Geschäft angeht, bin ich nicht sehr glücklich über die drei verlorenen Jahre. Aber vom züchterischen Standpunkt aus wäre es einfach ein Verbrechen, nicht zu versuchen, ihn wiederzubekommen.«
«In Ordnung«, sagte ich.»Ich will sehen, was sich in der Sache tun läßt.«
«Was Sie für die Wiederauffindung von Chrysalis ausgegeben haben, ist weniger als die Deckgebühr für eine einzige Stute. Bei Allyx gebe ich Ihnen wieder völlig freie Hand.«
«Gut«, sagte ich.
«Ich habe mit Sim Keeble gesprochen; er verlängert Ihren Urlaub um weitere sieben Tage. Er sagte, diese Woche stünde Ihnen ohnehin zu, weil Sie von Weihnachten her noch Urlaub übrig haben.«
Das hatte ich ganz vergessen.
«Falls diese eine Woche nicht reicht, kann ich wahrscheinlich bei ihm noch mehr herausholen.«
«Wenn die Sache in einer Woche nicht gelaufen ist, hat es ohnehin keinen Zweck mehr weiterzumachen, und ich kann genausogut nach Hause fahren.«
«Ach so. «Das klang enttäuscht.»Na gut, lassen wir es vorläufig dabei. «Er räusperte sich.»Eunice hatte den Eindruck, daß Sie nicht besonders gut aussehen.«
«Der Bursche, der Sie von dem Kahn aus bewußtlos geschlagen hat, tat mir den gleichen Gefallen.«
«Gene!«Das klang erschrocken.
«Na ja, aber sagen Sie meinem Chef nichts davon, daß mir so etwas zustoßen kann. Wenn ich mir’s recht überlege — wahrscheinlich weiß er es ohnehin.«
Dave Teller lachte.»Sollten Sie das Bürschchen noch einmal zu sehen bekommen, dann kleben Sie ihm links und rechts eine mit schönen Grüßen von uns beiden.«
«Mach ich«, sagte ich. Allerdings war ich für meine Arbeit als Ermittlungsbeamter von klugen Leuten ausgebildet worden, die sich einfach nicht vorstellen konnten, daß Leute wie ich hin und wieder um ihr Leben kämpfen müssen. Bevor ich ihnen das Gegenteil beweisen konnte, war ich schon zu alt, um noch ein Experte für Boxen oder Judo zu werden, ganz abgesehen davon, daß ich ohnehin nicht viel davon hielt. Statt dessen hatte ich halbwegs schießen gelernt, und meine Parabellum hatte mir in den letzten drei Jahren zweimal dazu verholfen, aus heiklen Situationen ungeschoren davonzukommen. In einem Kampf Mann gegen Mann mit diesem jungen Stier Matt Clive mußte ich ein todsicherer Verlierer sein. Schon physisch war der Vorschlag, ihm rechts und links eine zu kleben, gar nicht durchführbar.
«Wir hören wieder voneinander«, sagte Dave.
«Klar«, antwortete ich noch einmal und meinte eigentlich gar nichts damit. Wir legten auf.
Eunice hockte mit untergeschlagenen Beinen mir gegenüber auf ihrem tomatenroten Sofa und sagte düster:
«Also haben wir anscheinend doch diesen verdammten Allyx auf dem Hals.«
«Nur, wenn wir ihn wiederfinden.«
«Wie ich Sie kenne, schaffen Sie das. Zum Teufel. «Das klang so verbittert, daß Lynnie ihr einen verwunderten Blick zuwarf. Sie war zu jung, um das zu begreifen. Eunice wollte mich nicht verletzen, ihre Bitterkeit richtete sich gegen das Leben ganz allgemein.
Kurz darauf gingen die beiden nach oben und entschuldigten sich mit Vorbereitungen wegen der Reise morgen nach Kalifornien. Ich schaltete das Licht aus und saß beinahe im
Dunkeln; beim vierten Glas von Eunices knallharten Spezialdrinks überlegte ich mir, welche Fragen ich morgen stellen mußte. Wenn ich Glück hatte, konnte ich Allyx auf dem Papier wohl finden, aber es war kaum einzurichten, daß er nach drei Jahren plötzlich wieder auftauchte. Drei Wochen waren da entschieden die äußerste Grenze. Die ganze Geschichte mußte also mehr nach der üblichen Masche aufgezäumt werden. Außerdem hatte ich nicht die Absicht, mich noch einmal den gestellten Unfällen des mörderischen Geschwisterpaars Clive auszusetzen.
Nach einer Weile ließ ich den Rest meines Whiskys stehen und ging nach oben in das geräumige Zimmer mit Klimaanlage, das Eunice mir zugewiesen hatte. Müde schaltete ich das Licht ein, und die braunen, goldenen und weißen Möbel strahlten angenehm gelb im Licht der Lampe. Ein rosa Fleck leuchtete allerdings dazwischen, und zwar Eunice selbst. Sie lag in einem flauschigen Bademantel mitten auf meinem Bett.
Langsam ging ich über den dicken weißen Teppich und setzte mich auf die Kante der weißen, gepunkteten Decke.
«Was wollen Sie eigentlich?«fragte ich leise.
«Dreimal darfst du raten.«
Ich schüttelte den Kopf.
«Soll das >Nein< heißen?«Ihre Stimme klang plötzlich nüchtern und sachlich.
«Ich fürchte schon«, sagte ich.
«Sie haben doch behauptet, nicht schwul zu sein.«
«Bin ich auch nicht. «Ich lächelte sie an.»Aber für mich gibt es eine unumstößliche Regel.«
«Und die wäre?«
«Nie mit den Frauen oder Töchtern der Männer zu schlafen, für die ich arbeite.«
Sie richtete sich mit einem Ruck auf. Ihr Gesicht war meinem sehr nahe. Die Pupillen waren klein, wie meistens bei Leuten, die zu einem Viertel betrunken sind.
«Das bezieht sich auf Lynnie auch«, sagte sie.
«Ja, stimmt.«
«Der Teufel soll mich holen. Wollen Sie damit sagen, daß Sie in New York eine Nacht mit ihr verbracht haben, ohne auch nur zu versuchen…«
«Es hätte auch nicht viel genützt, wenn ich es versucht hätte«, sagte ich lachend.
«Nicht zu fassen. Sie läßt Sie nie aus den Augen, und als Sie weg waren, hat sie von nichts anderem geredet.«
Ich sah sie mit echter Überraschung an.»Sie müssen sich irren.«
«Ich bin doch nicht von gestern«, murmelte sie betrübt.
«Sie hat auch zwei Fotos von Ihnen.«
«Fotos?«Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
«Ihr Bruder hat Sie geknipst. Bei dem Ausflug auf der Themse.«
«Aber sie sollte doch nicht.«
«Vielleicht sollte sie nicht«, unterbrach mich Eunice trocken.»Aber sie tut es. «Sie schwang ihre Beine über die Bettkante und saß nun neben mir. Für eine Frau, die eine Verführung plant, war sie ziemlich vollständig bekleidet.
«Sie haben von mir ein >Nein< erwartet«, sagte ich.
Sie verzog das Gesicht.»Ich habe zumindest damit gerechnet. Aber es war einen Versuch wert.«
«Eunice, Sie haben den Verstand verloren.«
«Ich langweile mich«, brach es aus ihr hervor. Und das war zweifellos die Wahrheit.
«Dann reihen Sie mich in dieselbe Kategorie ein wie Golf und Bridge.«
Sie spielte wohl immer.
«Sie sind wenigstens verdammt menschlich«, sagte sie und verzog ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln.»Bei den meisten Männern kann man das nicht behaupten.«
«Worauf freuen Sie sich am meisten in Kalifornien?«fragte ich.
Sie machte große Augen.»Ihr Verstand funktioniert verdammt sprunghaft. Was hat das mit Sex zu tun?«
«Beantworten Sie meine Frage, dann sage ich es Ihnen.«
«Du liebe Zeit…«Aber sie gab sich keine Mühe mehr, sich zu konzentrieren, und am Schluß antwortete sie genau das, was ich wohl erwartet hatte.
«Ich glaube, ich freue mich am meisten darauf, das Haus einzurichten.«
«Sie haben das alles selbst gemacht?«fragte ich mit einer umfassenden Handbewegung.
«Ja. Und?«
«Warum fangen Sie nicht ein Geschäft an? Warum tun Sie das nicht für andere Leute?«
Sie versuchte ein spöttisches Lachen, aber der Haken saß. Sie mußte selbst schon daran gedacht haben, weil mein Vorschlag sie gar nicht in Erstaunen setzte.
«Ich bin doch kein verdammtes Genie.«
«Sie haben ein Gefühl für Farben, mehr noch: für Stimmungen. Dies ist das gemütlichste Haus, das ich jemals betreten habe.«
«Gemütlich?«fragte sie erstaunt.
«Ja. Lache Bajazzo, so ungefähr. Sie bringen es fertig, anderen Menschen etwas zu geben, auch wenn Sie sich selbst inwendig leer vorkommen.«
Ihr stiegen Tränen in die graugrünen Augen und sie senkte die Lider. Ihre Stimme klang aber ganz normal.
«Woher wissen Sie das?«
«Ich weiß es eben.«
Nach einer Pause sagte sie:»Mit Sex hat das wahrscheinlich insofern etwas zu tun, als Innendekorateurin der passende Ausgleich für eine Frau in mittleren Jahren ist, deren Anziehungskraft rascher nachläßt als ihr Appetit…«Ihr bitterer Ton verriet eine lange Bekanntschaft mit diesem Jargon und Freudschen Ansichten.
«Nein«, sagte ich sanft.»Genau das Gegenteil.«
«Wie?«Sie machte die Augen wieder auf. Sie schimmerten feucht.
«Spielen ist leichter als arbeiten.«
«Sagen Sie das deutlicher«, bat sie.»Sie reden in Rätseln.«
«Sex, besonders in dieser zufälligen Form. «Ich klopfte mit der Hand auf die Stelle, wo sie gelegen hatte.
«Sex kann auch eine Form des Davonlaufens vor wirklichen Aufgaben sein. Ein Liebhaber dient manchmal als Ersatz für ein tieferes Bedürfnis. Leute, die sich den Forderungen des einen nicht stellen mögen, vertreiben sich manchmal die Zeit mit dem anderen.«
«Um Himmels willen — ich verstehe kein einziges verdammtes Wort davon. «Sie schloß die Augen und legte sich auf den Rücken.
«Tausende von Menschen haben nie etwas ernsthaft versucht, weil sie Angst haben zu versagen«, sagte ich.
Sie schluckte. Nach einer Weile meinte sie:»Und was, zum Teufel, tut man, wenn man wirklich versagt?«
Ich gab ihr keine Antwort. Nach einer Weile wiederholte sie ihre Frage nachdrücklicher.
«Sagen Sie mir, was Sie tun, wenn Sie versagen.«
«Das Problem habe ich selbst noch nicht gelöst.«
«Ach!«Sie ließ ein mattes Lachen hören.»Ach Gott. Ein Blinder führt einen anderen Blinden. Das ist genau wie überall bei dieser verdammten Menschenrasse.«
«Ja. «Ich seufzte und stand auf.»Wir alle stolpern im Dunkeln dahin. So ist das nun mal.«
«Ich weiß nicht, ob Sie es mir glauben werden, aber ich war Dave immer vollkommen treu, bis auf jetzt.«
«Davon bin ich überzeugt«, sagte ich.
Sie stand auf und schwankte ein wenig.»Ich glaube, ich hab’ zuviel getrunken.«
«Manches andere ist schlimmer«, sagte ich lächelnd.
«Ersparen Sie mir um Himmels willen um ein Uhr morgens diese verdammten Andeutungen. Wenn Sie nach diesem Allyx suchen, dann können Sie wahrscheinlich nicht mit nach Kalifornien kommen?«
«Ich möchte gern.«
«Verdammter Lügner«, murmelte sie.»Gute Nacht.«
Ohne sich umzudrehen, verließ sie das Zimmer.
Am Morgen fuhr ich sie zum Flughafen. Eunice hatte mir den Wagen und das Haus überlassen, solange ich beides brauchte. Über ihren nächtlichen Besuch war sie beim Frühstück mit einer sarkastischen Bemerkung hinweggegangen.
«Lieber zuwenig Sex als zuviel Kummer.«
«Wie bitte?«fragte Lynnie.
«Eunice versucht gerade, das Problem der Überbevölkerung zu lösen«, erklärte ich.
Lynnie kicherte. Eunice zeigte mir ihre herrlich blitzenden Zähne und bat mich um die Sahne.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, richtete ich mich nach einer Straßenkarte und Eunices ungenauen Beschreibungen und erreichte schließlich die Perrystud-Farm, Eigentum von Mr. Jefferson L. Roots, unter anderem auch Vorsitzender des Vollblüter-Zuchtverbandes. Ein Hausboy in fleckenloser weißer Jacke führte mich durchs Haus in den Innenhof. Das Gebäude bestand aus großen, kühlen Betonwürfeln mit grob verputzten Wänden und einem golden leuchtenden Holzfußboden. Wilder Wein, der über eine Loggia rankte, spendete dem Innenhof Schatten. Um einen Tisch aus Glas und Stahl standen niedrige, bequeme Liegestühle. Aus einem von ihnen erhob sich Jeff Roots und streckte mir die Hand entgegen.
Er war ein dicker Mann mit einem Bauch, der alle Schlankheitskuren überstanden hatte, und er machte sich Sorgen um sein Gewicht. Er hatte die leise, etwas geringschätzige Lässigkeit des echten harten Amerikaners an sich: Wie bei einem Rolls-Royce ahnte man die Kraft, die unter der Haube steckte, am leisen Schnurren des Motors. Er trug einen superleichten Stadtanzug, und schon nach kurzer Zeit erinnerte ihn eine äußerst tüchtige Sekretärin daran, daß seine Maschine nach Miami nicht wartete.
«Etwas zu trinken?«fragte er.»Es ist heute schon sehr heiß. Was möchten Sie gern?«
«Vielleicht Zitronensaft oder etwas Ähnliches.«
Ich bekam frisch gepreßte Zitronen auf zerhacktem Eis. Mein Gastgeber trank geschmackloses Sodawasser und verzog dabei das Gesicht.
«Ich brauche nur Pommes frites zu riechen, und schon passen meine Hemden nicht mehr«, beklagte er sich.
«Warum machen Sie sich Sorgen drum?«fragte ich.
«Noch nie etwas von hohem Blutdruck gehört?«
«Den können auch schlanke Leute bekommen.«»Erzählen Sie das mal Ihrer Großmutter — oder noch besser, erzählen Sie es meiner Frau. Sie versucht, mich auszuhungern. «Mit düsterer Miene betrachtete er sein Glas und schwenkte es, bis die Eisstückchen dem Rand ziemlich nahe kamen.»Na ja, einerlei. Womit kann ich Ihnen helfen, Mr. Hawkins?«
Er schob mir eine zusammengefaltete Zeitung über den Tisch und deutete mit anerkennendem Lächeln auf eine Überschrift.
Chrysalis eingefangen. Darunter stand in kleineren Buchstaben: Kostbarer Hengst büßt Freiheit ein, wird in Perry eingefangen und nach Midway zurückgebracht. Ob sich die Stuten darüber freuen werden? Bestimmt aber die Züchter. Ein Foto zeigte Chrysalis in seiner Koppel, Daves Beinverletzung wurde erwähnt, dann kamen ein paar bissige Seitenhiebe auf die Polizei und andere Leute mit angeblichem Pferdeverstand, die nicht in der Lage waren, auf zehn Schritt Entfernung ein Millionenpferd zu erkennen.
«Wo haben Sie den Gaul geklaut?«fragte Roots.»Sam Hengelman will es mir nicht sagen. Sieht ihm gar nicht ähnlich.«
«Sam hat sich der Beihilfe bei einem kleinen Schwindel schuldig gemacht. Es handelte sich um eine Vertauschung. Wir haben ein Pferd zurückgelassen und ein anderes mitgenommen
— er will keinen Ärger bekommen.«
«Sie haben den anderen Hengst natürlich bezahlt.«
«Das schon.«
«Aus Ihrem Anruf muß ich aber schließen, daß Sie nicht wegen Chrysalis gekommen sind?«
«Nein, es geht um Allyx.«
«Allyx?«
«Ja, der zweite Hengst, der.«
«Das weiß ich«, unterbrach er mich.»Bei der Suche nach ihm haben sie den ganzen Staat auf den Kopf gestellt und ihn ebensowenig entdecken können wie Chrysalis.«
«Erinnern Sie sich zufällig noch an ein Pferd namens Showman, das vor zehn Jahren verschwunden ist?«
«Showman? Der ist doch einem Stallburschen abgehauen, der ihn bewegen sollte, oder so ähnlich. Und dann kam er in den Appalachen um.«
«Wurde er mit Sicherheit identifiziert?«
Jeff Roots stellte sein Sodawasser vorsichtig auf die Tischplatte.
«Wollen Sie damit sagen, daß der Hengst noch lebt?«
«Ich habe nur laut gedacht«, sagte ich freundlich.»Soweit man mir erzählt hat, wurde zwei Jahre nach Showmans Verschwinden ein totes Pferd gefunden. Es war schon stark verwest, aber erst seit drei Monaten tot. Es wäre doch genausogut möglich, daß es sich nicht um Showman handelte, sondern um ein anderes Pferd, das ihm in Farbe und Größe ähnlich sah.«
«Wenn er es wirklich nicht war…«
«Dann könnte es sein, daß wir ihn in der Nähe von Allyx finden.«
«Haben Sie…«Er räusperte sich.»Haben Sie irgendeine Ahnung, wo er gefunden werden könnte?«
«Ich fürchte, nein. Noch nicht.«
«Doch nicht in der gleichen Gegend wie Chrysalis?«
«Nein. Das war nur sozusagen eine Durchgangsstation. Chrysalis sollte auch an einen anderen Ort gebracht werden.«
«Und dieser andere Ort, vielleicht finden wir dort.«
«Durchaus möglich.«
«Die Hengste können wieder ins Ausland gegangen sein. Vielleicht nach Mexiko oder Südamerika.«»Das wäre möglich, aber ich glaube es nicht so recht.«
Wer immer dieser Onkel Bark war, er mußte irgendwo in den Vereinigten Staaten wohnen, denn Yola hatte sich nicht über das Auslandsfernamt mit ihm verbinden lassen. Sie konnte seine Nummer direkt wählen.
«Das alles kommt mir sehr ungewöhnlich vor. «Roots schüttelte den Kopf.»Ein Irrer soll herumlaufen und Hengste stehlen, deren Wert sofort auf den Nullpunkt sinkt, weil er ja nicht zugeben kann, daß er sie besitzt. Glauben Sie denn an einen Fanatiker, der damit experimentiert? Der vielleicht ein Superpferd züchten will? Oder vielleicht an ein kriminelles Syndikat, das alle seine Stuten für einen Penny vom blauesten Blut decken läßt? Nein, das ginge nicht. Die Fohlen könnten sie an kein Gestüt verkaufen, die ganze Sache würde sich nicht bezahlt machen.«
«Ich glaube, die Sache ist viel einfacher«, sagte ich lächelnd.»Viel weniger kompliziert.«
«Wie denn?«
Ich erklärte es ihm.
Er grübelte darüber nach, und ich trank meinen Zitronensaft.
«Dieser Spur möchte ich wenigstens nachgehen und sehen, wohin sie führt.«
«Einfach haarsträubend«, murmelte Roots.»Ich kann nur hoffen, daß Sie sich irren.«
Ich lachte.»Ja, das sehe ich ein.«
«Sie werden Monate brauchen, um sich da durchzuarbeiten, und ich glaube nicht, daß Sie die Vollblutzucht in Amerika so genau kennen. Warum lassen Sie sich nicht helfen?«
«Dafür wäre ich sehr dankbar.«
Neben seinem Lehnstuhl stand ein Telefon. Er hob den Hörer ab und drückte auf ein paar Knöpfe. Dann vereinbarte er mit dem Herausgeber einer führenden Fachzeitschrift für den
Pferdesport, daß ich mit Hilfe von zwei erfahrenen Mitarbeitern die Archive durchstöbern durfte.
«So, das wäre erledigt«, sagte er und erhob sich.»Das Büro des Verlags ist am North Broadway in Lexington. Sagen Sie mir, was Sie erreicht haben?«
«Ganz bestimmt.«
«Dave und Eunice sind wirklich nette Leute.«
«Ja, das stimmt.«
«Grüßen Sie sie von mir«, sagte er mit einem Blick auf die Uhr.
«Sie ist nach Kalifornien gereist.«
«Auf die neue Farm?«
Ich nickte.
«Eine verrückte Idee von Dave, an die Küste zu fliehen. Das Zentrum der Vollblutzucht ist hier in Lexington, und hierhin gehört er auch.«
Ich gab ein unverbindliches Gemurmel von mir, das er auch als Kritik auffassen konnte. Dann hielt er mir die Hand hin.
«Ich muß zur Aktionärsversammlung in Miami«, sagte er entschuldigend und führte mich durch das Haus zur Auffahrt, wo seine Sekretärin schon in einem Cadillac neben Eunices Oldsmobile wartete.
Bei der Zeitung stellte ich fest, daß man hier übereifrig alles tat, was Jeff Roots wünschte. Meine beiden Helfer waren ein älterer Mann, der den größten Teil seiner Zeit mit der Aufstellung eines Verzeichnisses aller Hengste verbrachte, und eine mindestens fünfzig Jahre alte Dame, an deren Pferdegesicht und männliche Stimme man sich gewöhnen konnte, da sie außerdem über ein unerwartet süßes Lächeln und ein phänomenales Gedächtnis verfügte.
Als ich den beiden erklärte, wonach ich suchte, starrten sie mich fassungslos an.
«Das geht also nicht?«fragte ich.
Mr. Harris und Miss Britt erholten sich einigermaßen und sagten, es gehe doch.
«Und wenn wir schon dabei sind, dann können Sie auch gleich eine Liste aller Leute aufstellen, deren Namen oder Spitznamen Bark oder vielleicht auch Bard ist. Ich glaube aber, es muß Bark mit k sein.«
Wie aus der Pistole geschossen nannte Miss Britt die Adressen von sechs Barkleys, alle aus der Umgebung von Lexington.
«Ich glaube, so kommen wir nicht weiter. «Ich seufzte.
«Macht nichts«, sagte Miss Britt energisch.»Wir können die Listen ja erst mal aufstellen.«
Sie hielt mit Mr. Harris Kriegsrat, dann begaben sie sich ins Archiv und stürzten sich sofort in die Arbeit. Während sie bis an die Ellbogen in alten Zeitungen und Büchern wühlten, baten sie mich, ich solle mich hinsetzen und eine Zigarette rauchen. Das tat ich den ganzen Tag.
Um fünf Uhr brachten sie mir die Ergebnisse.
«Mehr haben wir nicht gefunden«, sagte Miss Britt bedauernd.»Wissen Sie, in den Vereinigten Staaten gibt es über dreitausend Zuchthengste. Wir sollten Ihnen die heraussuchen, deren Deckgebühren in den letzten acht oder neun Jahren ständig gestiegen sind, und das sind auch noch 209. «Sie reichte mir eine engzeilig beschriebene Liste hin.
«Außerdem wollten Sie die Namen aller Hengste wissen, die sich in verdächtiger Weise bei der Zucht als erfolgreicher erwiesen haben, als nach ihrer Abstammung eigentlich zu erwarten war. Von dieser Sorte haben wir 280 gefunden. «Sie gab mir eine zweite Liste.
«Als nächstes wollten Sie alle Zweijährigen dieser Saison haben, die beim Rennen auffallend besser abgeschnitten haben, als nach ihrem Stammbaum zu erwarten war. Von dieser Sorte haben wir 29. «Ich bekam die dritte Liste.
«Und hier schließlich die Leute, deren Spitzname >Bark< lauten könnte. Es sind 32, angefangen von der Bark-Ranch bis zu Barry Kyle.«
«Sie haben wahre Wunder vollbracht«, sagte ich ganz aufrichtig.»Aber es wäre wahrscheinlich zuviel verlangt zu hoffen, daß irgendeine Farm auf allen vier Listen auftaucht.«
«Die meisten Hengste der ersten Liste kommen in der zweiten wieder vor. Das stand zu erwarten. Aber kein einziger Vater der ungewöhnlichen Zweijährigen steht auf einer der beiden ersten Listen. Und kein Mann mit dem Spitznamen >Bark< ist der Züchter einer der Zweijährigen. «Dieses scheinbar negative Ergebnis all ihrer Arbeit schien sie zu bedrücken.
«Macht nichts«, sagte ich.»Wir versuchen es morgen noch einmal.«
Miss Britt gab ein Schnauben von sich, das ich als Zustimmung wertete.»Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut«, sagte sie und nickte. Mr. Harris schien daran zu zweifeln, daß unser Rom sich aus dem verfügbaren Material überhaupt erbauen ließ, aber am nächsten Morgen um neun Uhr war er klaglos wieder zur Stelle, und die beiden vertieften sich in neue Permutationen.
Um die Mittagszeit waren die ersten beiden Listen bis auf zwanzig Namen zusammengestrichen. Wir legten eine Pause ein und aßen ein Sandwich. Um zwei Uhr nahmen wir die Arbeit wieder auf. Um zehn Minuten nach drei ließ Miss Britt einen erstaunten Schnaufer hören und riß die Augen auf. Sie kritzelte rasch etwas auf ein weißes Blatt Papier, legte den Kopf schief, betrachtete die Zeile und schaute dann mich an.
«Nun«, sagte sie.»Nun. «Sie konnte es kaum aussprechen.
«Sie haben also etwas gefunden?«fragte ich.
Sie nickte, aber ganz glaubte sie es selbst noch nicht.
«Wir haben nach Ihrem Wunsch alle Pferde danach überprüft, wo sie starteten, in welchem Jahr sie gekauft wurden, welche besonderen Merkmale sie trugen und wie alt sie ungefähr waren. Das führte zu zwölf Namen, die auf den ersten beiden Listen standen. Einer der Väter der Zweijährigen entspricht Ihrer Beschreibung und stammt aus demselben Gestüt wie eines dieser zwölf Pferde — Können Sie mir noch folgen?«
«Ganz genau«, sagte ich lächelnd.
Mr. Harris und ich standen auf und schauten ihr über die Schulter.
Moviemaker, 14 Jahre alt, gegenwärtige Deckgebühr 10000 Dollar.
Centigrade, 12 Jahre alt, diesjährige Deckgebühr 1500 Dollar, Gebühr im nächsten Jahr 2500 Dollar.
Beide stehen in der Orpheus-Farm in Los Caillos.
Beide sind Eigentum von Culham James Offen.
Moviemaker und Centigrade — Showman und Allyx. Ein ganz klarer Fall.
Hengste werden normalerweise in jeder Zuchtsaison für dreißig bis vierzig Stuten gebucht. Bei 10000 Dollar pro Deckakt bedeutete das im Jahr 400000 Dollar, vielleicht ein bißchen mehr oder weniger. Moviemaker hatte bei einer Auktion vor zehn Jahren nach Angaben von Miss Britt 150000 Dollar gekostet. Seitdem hatte Offen etwa 2,5 Millionen Dollar an Deckgebühren kassiert.
Centigrade war bei der Auktion in Keneland für
100000 Dollar erstanden worden. Bei einer Deckgebühr von 2500 Dollar mußte er in einem einzigen Jahr den Kaufpreis einbringen. Höchstwahrscheinlich würde auch bei ihm die Gebühr schon bald erheblich höher liegen.
Völlig fassungslos sagte Miss Britt:»Culham James Offen ist ein sehr geachteter Züchter. Ich kann es einfach nicht glauben. Er gehört zur Spitze der Branche.«
«Allerdings gibt es hier keine Verbindung zu dem Spitznamen >Bark<«, bemerkte Mr. Harris bedauernd.
Miss Britt sah mich an und dann lächelte sie lieblich und triumphierend.
«Aber natürlich ist da eine Verbindung. Sie haben den Namen nur falsch verstanden. Der Mann wird nicht >Bark<, sondern >Bach< genannt — was ziemlich ähnlich ausgesprochen wird. Mr. Harris, Sie sind kein Musiker. Haben Sie noch nie von der Operette >Orpheus in der Unterwelt< gehört, von Jacques Offenbach?«