Kapitel 14

Als ich Walt von allem berichtet hatte, summte sein Schweigen beredter durch die Telefondrähte als viele Worte.

«Sie haben den Verstand verloren!«sagte er schließlich. Es klang, als meine er das wirklich ernst.

«Wissen Sie etwas Besseres?«

Nach einer langen Pause gab er widerwillig zu:»Jedenfalls nichts, was rascher geht.«

«Na gut. Dann bereite ich hier alles vor und rufe Sie morgen früh wieder an. Hoffen wir, daß es funktioniert.«

«Und wenn nicht?«

«Dann müssen wir uns etwas anderes ausdenken.«

Walt knurrte und legte auf.

Ich verbrachte eine Stunde auf dem Flughafen und kehrte danach ins Motel zurück. Der Abend kroch dahin. Ohne sonderliche Begeisterung spielte ich eine Runde Roulette und verlor auf Schwarz am laufenden Band, während eine Vierzehnerserie Rot lief. Beim Abendessen hörte ich einer Sängerin zu, deren Stimme genauso zweitklassig war wie ihr Aussehen. Dann lag ich eine Weile rauchend auf meinem Bett und hielt mir die düsteren Gedanken fern, indem ich so intensiv wie nur möglich über die bevorstehende Aufgabe nachdachte.

Um zwei Uhr nachts zog ich mein dunkelgrünes Baumwoll-hemd und die schwarzen Jeans an, ging nach unten, bestieg meinen Wagen und fuhr zum Pittsville Boulevard Nummer 40159. Die ganze Stadt war zum Leben erwacht, nur die Häuser am Pittsville Boulevard waren dunkel und schliefen. Mit abgeblendeten Scheinwerfern ließ ich den Wagen so leise wie möglich über Clives Fahrweg rollen und stapelte die

Mehltüten neben der Haustür. Dann hielt ich die Wagentür fest, ohne sie allerdings zu schließen, setzte langsam zurück und parkte den Pontiac hinter den Büschen an dem leeren Haus, an derselben Stelle wie schon am Nachmittag. Da ich nicht wollte, daß sich irgendwelche Nachbarn an schlagende Autotüren erinnerten, ließ ich sie wieder ein wenig offenstehen und ging zu Clives Haus zurück.

Die Nacht war lau und samten, der Himmel leuchtete in tiefem Marineblau, und die Sterne blitzten wie ein Punktmuster. In einer Entfernung von zwei Meilen schufen die Lichter von Las Vegas eine orangefarbene Lichtglocke, aber unter den Palmen herrschte dichte, sichere Dunkelheit.

Das war nicht das erste Haus, in das ich einbrach. Die Abkürzungen, die ich wählte, um an die Wahrheit heranzukommen, waren nach allen juristischen Maßstäben einfach skandalös, und zumeist fragte mich Keeble lieber nicht, auf welchem Wege ich meine Informationen erlangt hatte. Wenn ich einmal dabei geschnappt wurde, hatte ich ohnehin die Presse, die Polizei und die öffentliche Meinung gegen mich. Ein Eiertanz war nichts dagegen. Gesetzestreue Bürger erfuhren allerdings nie, daß ich sie heimlich besucht hatte. Für die beiden Clives sahen meine Pläne etwas anders aus.

Ich streifte mir Chirurgenhandschuhe über, schob meine Schuhe hinter den Gürtel gleich links von der Parabellum und bearbeitete das Schloß an der Hintertür. In Anbetracht des komplizierten Mechanismus schaffte ich es in recht guter Zeit. Die beiden Vorhaltungen gaben lautlos nach, und das Haus war meines.

Die Luft im Inneren des Hauses war abgestanden, die Möbel hatte man mit Überzügen vor dem Staub geschützt. Im blassen Schein meiner Taschenlampe sahen sie wie geisterhafte Felsen aus. Die Hintertür führte in einen geräumigen Flur und von da aus sofort nach vorn. Ich schloß die Haustür auf, schob die Riegel zurück, holte die Mehltüten herein und ließ die Tür ein wenig offenstehen. Wie wertvoll es sein kann, sich stets einen Fluchtweg offenzuhalten, war mir von einem ehemaligen Einbrecher eingehämmert worden. Er hatte diese Vorsichtsmaßnahme einmal versäumt.

Ich betrat die Schlafzimmer — wieder waren für Matt und Yola große, getrennte Zimmer vorhanden. Jeder hatte ein eigenes Bad. Ich zog alle Schutzhüllen von den Möbeln und warf den Inhalt aller Schubladen auf den Boden. Dann folgte der Inhalt der Schränke. Über das so entstandene Chaos schüttete ich pro Zimmer sechs Pfund erstklassiges Kuchenmehl.

In der Küche verschüttete ich ein großes Paket Seifenpulver, ein Paket Reis, eine ordentliche Portion Cornflakes und vier Pfund braunen Zucker. Alles fand ich griffbereit in den Schränken. Ich entriegelte das Fenster zum Vorrats schrank mitsamt dem Fliegengitter nach außen und ließ es offenstehen. Da ich schon so schön im Zuge war, stieß ich noch einige Dosen Obst von den Regalen, um glaubhaft zu machen, daß der Einbrecher hier eingedrungen war.

Auch in dem geräumigen Wohnzimmer zog ich alle Hüllen von den Möbeln, warf sämtliche beweglichen Gegenstände auf einen großen Haufen und schüttete Mehl darüber. Es flog im ganzen Zimmer umher. In einem gemütlichen kleinen Zimmer zur Straße hin fand ich einen Schreibtisch voller Papiere, zwei große Bücherregale und ein gut gefülltes Nähkästchen. Zuletzt war das hübsche Durcheinander auf dem Boden gut knöcheltief. Über alles ergoß sich wie Schnee pfundweise Kuchenmehl.

Als ich gerade die allerletzte Mehltüte aufreißen wollte, um sie im Flur zu verstreuen, hörte ich von fern die Polizeisirene. Ich erstarrte und wollte erst nicht glauben, daß das mir galt, aber dann überlegte ich, daß irgendein wachsamer Nachbar vielleicht durch die Jalousien den Schein meiner Lampe gesehen hatte oder daß die Sicherheitsschlösser vielleicht nicht die einzige Einbruchsicherung darstellten — es konnte gut sein, daß von Clives Haus eine direkte Alarmleitung zur Polizei führte. Rasch schloß ich die Haustür und verriegelte sie. Die letzte Tüte Mehl entleerte ich über die Plastikblumen im Flur. Danach schlüpfte ich durch die Hintertür hinaus und zog sie hinter mir ins Schloß. Die Lampe schob ich wieder in die Tasche.

Das Heulen hielt genau vor dem Haus. Türen klappten, Männerstimmen riefen, Stiefel knirschten im Sand. Eine Megaphonstimme forderte mich auf, mit erhobenen Händen das Haus zu verlassen. Die Ecken des Hauses waren plötzlich von Scheinwerfern grell beleuchtet.

Als gerade die erste Uniform an der Hausecke auftauchte, schlüpfte ich zwischen die Büsche am Swimmingpool. Meine Schritte spielten nun keine Rolle mehr, weil die Männer rings ums Haus einen ziemlichen Lärm machten. Schwieriger war es schon, unsichtbar zu bleiben. Sie brachten auf der Rückseite einen weiteren Scheinwerfer in Stellung und leuchteten das Haus ab. Die blinden Fenster erwiderten stumm den Blick der Lichtquelle und reflektierten ihn bis fast an mein Versteck heran. In den Nachbarhäusern wurde Licht eingeschaltet. Köpfe fuhren wie dunkle Baumstümpfe aus allen Fenstern. Vorsichtig schlich ich mich davon. Ich war dem Zirkus immer noch viel zu nahe und stand mit einem Bein schon im Gefängnis.

Ein Schrei von der Seite des Hauses ließ mich erkennen, daß sie das aufgebrochene Fenster der Speisekammer entdeckt hatten. Nach den Stimmen zu urteilen, waren es insgesamt vier Beamte, bis an die Zähne bewaffnet. Ich schnitt in der Dunkelheit eine Grimasse und entfernte mich, ohne noch allzusehr auf Deckung zu achten. Ich wollte ihnen möglichst keine Gelegenheit bieten, den Zeigefinger ein wenig zu üben, aber die Zeit wurde mir knapp.

Tapfer waren sie schon. Einer oder mehrere wagten sich ins

Haus und schalteten die Lampen ein. Ich rannte immer rascher durch den hinteren Teil des Gartens, sprang über die weißgestrichenen Steine weg und lief schnurstracks in die Wüste hinaus.

Schon nach fünf Schritten wurde mir klar, daß ich jetzt die Schuhe anziehen mußte. Nach zehn Schritten merkte ich, wie stachelig und noch dazu dicht verfilzt die Vegetation hier war. Die Dornen konnten mich glatt umbringen.

Hinter mir, im Haus der Clives, hatte das Gejammer über die Unordnung vorübergehend aufgehört. Man suchte jetzt den Boden nach Spuren ab. Auch an den Nachbarhäusern bewegten sich Taschenlampen. Wenn sie fünf Häuser weitergingen und den Wagen entdeckten, dann konnte es ausgesprochen ungemütlich werden.

Eigentlich hatte ich vor, rechtzeitig ins Motel zurückzukehren und dann früh am Morgen die Polizei anzurufen und zu sagen, ich sei ein verantwortungsbewußter Bürger und hätte gerade einen Einbrecher aus Clives Haus kommen sehen…

Als ich merkte, daß sich ein paar Scheinwerfer in die Wüste hinausrichteten, legte ich mich flach auf den Boden und lauschte meinem Herzklopfen. Der Lichtstrahl huschte bleich über das Gebüsch und enthüllte die scharfen, dolchartigen Dornen. Ich konnte aus der Entfernung nicht viel anders aussehen als einer der Schatten, den die Büsche warfen. Hinter mir wurde eine ganze Weile schreiend darüber diskutiert, ob man in der Wüste nachsehen sollte oder nicht, doch zu meiner großen Erleichterung kamen sie nur bis an die weißgestrichenen Grenzsteine heran. Allmählich erstarb der Lärm, sie zogen sich enttäuscht zurück.

Auch im Haus gingen die Lichter aus. Der Streifenwagen fuhr weg. Die Nachbarn gingen wieder schlafen. Ich erhob mich und klopfte mir den überflüssigen Wüstenstaub aus der Kleidung. Wenn man mich so gefunden hätte, noch mit den

Mehlspuren behaftet, so wäre es nicht schwer gewesen, mir das Vergehen anzuhängen.

Viel vorsichtiger als vorhin schlich ich mich zu den Häusern zurück, aber in einem Winkel, von dem ich hoffte, daß er mich in die Nähe des Wagens führen würde. Je eher ich dieser hübschen Gegend den Rücken kehren konnte, um so besser!

Dann blieb ich stocksteif stehen.

Wie fängt man einen herumschleichenden Einbrecher? Indem man so tut, als verließe man den Tatort. In einiger Entfernung wartet man ab, bis der Bursche unvorsichtig wird und sich hervorwagt, dann schnappt die Falle zu.

Ich beschloß, für den Rückweg aus dieser stillen Sackgasse nicht den Wagen zu benutzen. Sicher ist sicher.

Im fünften Haus vor den Clives war alles still. Ich schlich auf leisen Pfoten ums Haus und sah mir den Wagen aus der Ferne an. Er war noch vorhanden. Kein Polizist in der Nähe. Länger, als wahrscheinlich nötig war, stand ich abwartend im Dunkeln, dann wagte ich es. Ich trat an den Wagen heran und schaute hinein. Leer. Vorsichtshalber durchsuchte ich rasch noch die stacheligen, niedrigen Palmen, die ihn zur Straße hin deckten.

Nichts. Keine zornigen Schreie. Alles still. Den Wagen hatten sie nicht entdeckt. Erleichtert seufzte ich auf und verscheuchte die Vorstellung eines erbosten Matt Clive, der wutschnaubend meine Fährte verfolgte. Ich öffnete die angelehnte Tür und ließ mich wie ein halbleerer Sack auf den Sitz sinken. Fünf Minuten lang konnte ich nichts weiter tun als aufatmen. Ausgiebig.

Blieb noch das Problem des Telefongesprächs mit Walt. Während ich darüber nachdachte, zog ich mir gedankenverloren Stacheln aus den Füßen.

Ich verstand es recht gut, Leitungen anzuzapfen, wenn ich das nötige Werkzeug dazu hatte, doch das war in Putney. Zweifellos befand sich in dem leeren Haus auch ein Telefon.

Aber ich war nicht sicher, ob dieses Haus nicht genau wie das der Clives irgendeine direkte Leitung zur Polizei hatte. Andererseits befand ich mich schon zwanzig Minuten in Clives Haus, ehe die Streife auftauchte. Beim zweiten derartigen Alarm konnten sie natürlich schneller sein.

Nach einer halben Stunde zog ich mir wieder die Gummihandschuhe über, stieg aus dem Wagen und öffnete die Haustür. Mit dem Schloß wurde ich wohl fertig, aber die vorsichtigen Hausbesitzer hatten leider zusätzliche Riegel angebracht. Also mußte ich wieder von der Rückseite her eindringen. Auf einem Tisch im Flur stand ein Telefon. Ich ging darauf zu, dann denselben Weg wieder zurück, ließ die Tür einen Spaltbreit offen, kehrte zum Wagen zurück und fuhr so leise wie möglich zum toten Ende der Straße, bis ich die Betonpiste hinter mir hatte und hinter einigen Kurven in der Wüste verschwunden war. Dann schaltete ich die Scheinwerfer aus und rauchte eine Zigarette.

Eine weitere halbe Stunde verstrich. Keine Lichter gingen an, keine Polizeisirenen heulten, nichts rührte sich. Vorsichtig fuhr ich zurück, parkte an derselben Stelle wie zuvor, ging ins Haus und rief Walt an.

Er zeigte sich wenig erfreut darüber, daß ich ihn morgens um fünf Uhr weckte.

«Nur eine geringfügige Änderung im Zeitplan«, besänftigte ich ihn.»Die Polizei hat den Schlamassel schon entdeckt.«

Er holte tief Luft.»Aber Sie hat man nicht erwischt!«

«Nein. «Es war sinnlos, ihm auf die Nase zu binden, wie knapp ich entkommen war. Er war mit meinem Plan von Anfang an nicht einverstanden.

«Dann soll ich also kommen, wie?«fragte er resigniert.

«Ja, bitte. Sobald Sie können. Lassen Sie die Wagenschlüssel am Auskunftsschalter des Flughafens Los Angeles, ich hole sie mir dort ab. Der Hubschrauberpilot, den ich in Las Vegas engagiert habe, heißt Michael King. Er erwartet Sie, fragen Sie nur nach ihm. Das Funkgerät im Hubschrauber nimmt die Wellenlänge des Senders auf, den ich bei mir trage. Sie brauchen also das Bandgerät nicht mitzubringen. War heute etwas auf dem Band?«

«Gestern«, verbesserte Walt.»Nicht viel. Ich war gestern abend nach dem Dinner drüben und hab’ abgehört. Offen hatte einen Freund bei sich — zwei Stunden ganz gewöhnliches Getratsch. Um eins war ich wieder im Bett.«

«Wenn das alles vorbei ist, können Sie vierzehn Tage lang ausschlafen.«

«So, wirklich?«fragte er ironisch.»Das müssen Sie mal meinem Chef sagen.«

Er legte sanfter als sonst auf. Lächelnd zog ich eine Fünfdollarnote heraus und schob sie unter das Telefon, dann verließ ich das Haus wieder, schloß die Tür hinter mir ab und ging zum Wagen zurück.

Drei Stunden lang passierte gar nichts. Aus der Nacht wurde allmählich Tag. Die Temperatur begann wie jeden Morgen zu steigen. Einige besonders energische Vögel begannen zu zwitschern. Und ich zündete mir noch eine Zigarette an.

Kurz nach acht Uhr kam ein Streifenwagen mit laut heulender Sirene die Straße entlang. Der Pittsville Boulevard erwachte. Ich schob mich aus dem Wagen, ging vorsichtig bis an die Straße und duckte mich unsichtbar zwischen eine Palme und einen Busch. Von hier aus konnte ich alle sehen, die zu Clives Haus fuhren.

Von der Straße her vernahm ich mehrere aufgeregte Stimmen, zumeist von Kindern. Ein kleiner Junge und ein Mädchen kamen auf Fahrrädern an mir vorbeigeschossen, als wollten sie die Rekorde von Indianapolis brechen.

Von den Nachbarhäusern fuhren mehrere Wagen vorbei, alle nur mit Männern besetzt, dann kam eine Frau. Aus der anderen

Richtung, von der Stadt her, kamen drei Frauen mit gespannter Miene. Um 9.30 Uhr erschienen aus Richtung Las Vegas zwei Männer, von denen einer eine riesige Kamera umhängen hatte: die hiesige Presse.

Eine Stunde später glitt ein Hubschrauber mit leisem Motorengeräusch über mich hinweg und landete irgendwo draußen zwischen zwei Hügeln.

Um 10.50 Uhr zog der Köder endlich das richtige Wild an.

Ein offenes, himmelblaues Cabriolet mit Matt am Steuer — er kochte vor Wut. Seine Jugend, seine Kraft und die Wut ballten sich zusammen und veranlaßten ihn zu einer rücksichtslosen Geschwindigkeit. Ich spürte förmlich die Schockwelle, die von dem Wagen ausging. Im letzten Augenblick trat er auf die Bremse und hielt mit kreischenden Reifen vor seinem Haus. Die Kinder flatterten auf und davon wie die Tauben.

Zufrieden und steifbeinig richtete ich mich wieder auf und ging zurück zu meinem Wagen. Ich entnahm dem Kofferraum den weißen Overall, die Baumwollhandschuhe und die Kappe, zog mich um und setzte noch eine Sonnenbrille auf. Mit einem Schraubenzieher aus dem Werkzeugkasten öffnete ich die Farbdose und rührte das ölige Zeug um. Dann säuberte ich den Schraubenzieher, legte ihn an seinen Platz zurück und drückte den Deckel nur leicht auf die Dose. Mit der Rechten nahm ich sie beim Henkel, die Pinsel und die Leiter packte ich mit der Linken und schlenderte gemächlich auf die Straße hinaus, hinauf zum Haus der Clives.

Matts himmelblauer Ford stand schräg hinter dem Polizeiwagen. Eine Menge Leute standen noch herum, glotzten und tratschten in der warmen Sonne. Ich schlängelte mich langsam zwischen ihnen hindurch und schob mich näher an den blauen Wagen heran. Dann zog ich mich diskret an den Rand des Geschehens zurück.

Ich zog den winzigen Sender aus der Tasche und rief Walt.

Ich konnte nur hoffen, daß er mich hörte, denn antworten konnte er nicht. Die Minisender arbeiten nur in eine Richtung.

«Hören Sie mich, Walt? Hier ist Gene. Unser junger Freund ist mit seinem eigenen Wagen gekommen, nicht mit einem Taxi oder Mietwagen. Sein Name steht vorn drin auf der Zulassungskarte. Blaßblaues Ford Cabrio mit grauer Polsterung, zur Zeit mit aufgeklapptem Verdeck. Kennzeichen aus Nevada, Nummer 3711-42. Wenn möglich, bringe ich einen Farbfleck an, aber den kriegt er vielleicht weg. Auf jeden Fall mogle ich ihm einen kleinen Sender in den Wagen. Sie werden ihn hören, wenn er startet. Viel Glück! Und lassen Sie ihn um Himmels willen nicht aus den Augen.«

Auf einem Umweg schob ich mich wieder an den Wagen heran. Niemand kümmerte sich um mich. Ich war nur einer der lästigen Zuschauer, ein Arbeiter, der eigentlich arbeiten sollte. Manche von den Kindern und ein paar von den Müttern hatten die Räume in ihrem gepuderten Zustand gesehen und schimpften darüber. Ich lehnte meine Leiter an das Cabrio, stellte lässig Farbtopf und Pinsel auf dem Kofferraumdeckel ab und wischte mir den Schweiß vom Gesicht.

An dem Haus waren einige Jalousien hochgezogen, so daß man an einigen Stellen ins Haus blicken konnte. Niemand schaute heraus. Ich schob meine Hand mit dem Abhörgerät darin über die Seite des Wagens und spürte, wie der Saugnapf unter dem Handschuhfach festklebte.

Immer noch kein Gesicht am Fenster.

Ich sagte zum nächststehenden Jungen:»Jemand hat mir erzählt, der Einbrecher ist durch das Fenster in die Speisekammer eingestiegen, gleich da um die Ecke.«

«Wirklich?«fragte er mit großen Augen.

«Ganz bestimmt.«

Er sagte es seiner Mutter. Sie gingen nachschauen. Fast alle anderen folgten ihnen, und jemand gab den Presseleuten einen

Tip. Sie wollten das fragliche Fenster fotografieren.

Ich warf noch einen raschen Blick auf die Fenster, dann wandte ich mich zum Gehen. Mit der Hand stieß ich rasch noch den Farbtopf auf dem Kofferraum um. Der Deckel sprang ab. Die Dose rollte langsam über den Kofferraumdeckel und klapperte laut auf den Boden. Das Ergebnis war ein leuchtendgelber Farbstreifen auf dem hellen Blau und eine Pfütze auf der Straße.

Ich war schon auf der Straße, als einer der Jungen es bemerkte und mir nachgelaufen kam.

«Mister, Sie haben Ihren Farbtopf umgeworfen.«

«Ja, ich weiß. Nichts anrühren! Niemand darf das anrühren, hörst du? Ich hol nur das Zeug, mit dem man’s wegmachen kann.«

Der Junge nickte ernsthaft und rannte zurück. Ich erreichte sicher meinen Mietwagen, fuhr ungehindert nach Las Vegas hinein und zog unterwegs Kappe und Handschuhe aus. Sie hatten ihre Dienste getan. Im Motel duschte ich, zog mich um, packte und bezahlte meine Rechnung. Dann fuhr ich zum Flughafen und gab den Mietwagen zurück. Ich hielt die Augen offen für den Fall, daß auch Matt Clive sich zum Fliegen entschlossen hatte. Ich aß endlich ein Sandwich, was äußerst nötig war, dann nahm ich die nächste Maschine nach Los Angeles.

Als ich die Wagenschlüssel am Empfang abholte, lag eine Notiz von Walt dabei.

Sie sind mir vielleicht ein verrückter Kerl! Glauben Sie ja nicht, ich wüßte nicht, was Sie dabei riskiert haben. Wenn Sie diese Zeilen lesen, dürften Sie es wahrscheinlich geschafft haben und nicht hinter Gittern sitzen. Mein Freund beim CIA sagte mir, bei Ihnen müßte man mit den verrücktesten Sachen rechnen, und er hatte recht. Haben Sie eigentlich keine

Nerven? Das nächstemal bin ich nicht dabei, bestimmt nicht.

Walt

Überrascht und erfreut, daß er sich diese Mühe gemacht hatte, schob ich den Brief in die Tasche und fuhr in die Stadt, um mir ein Fachgeschäft für Bandgeräte zu suchen. Es gelang mir, für eine Woche ein erstklassiges Gerät zu mieten, mit dem man auch Bänder überlangsam ablaufen lassen konnte, wie bei meinem eigenen Gerät. Ich stellte es neben mich und lenkte meinen Wagen in Richtung Orpheus-Farm in Los Caillos. Ich nahm das volle Band von dem Gerät in meinem Radio und ersetzte es durch ein neues. Niemand schien das Versteck im Gebüsch, zwischen den drei Steinen, gefunden zu haben. Anscheinend war auch mein Besuch unbemerkt geblieben.

Als ich ins Motel >Vacationer< zurückkam, spazierten Eunice und Lynnie gerade vom Strand herauf. Sie grüßten mich beide gleich frostig und gingen an mir vorbei. Dabei murmelten sie, wir würden uns vielleicht beim Dinner sehen.

Leicht erstaunt zuckte ich die Achseln, nahm meine Tasche und das neue Bandgerät und ging in mein Zimmer hinauf. Dort spulte ich das gebrauchte Band zurück und ließ es abspielen, während ich meinen Stadtanzug ablegte und die Klimaanlage voll aufdrehte.

Yola rief in höchster Aufregung an. Der Hausboy hob ab und ging dann Offen holen, der noch im Bett lag. Ich hatte Glück: Offen sprach von seinem Nebenapparat im Schlafzimmer aus, aber der Boy vergaß, den Hörer im Erdgeschoß aufzulegen. So konnte mein Empfänger die ganze Unterhaltung aufnehmen.

«Die Polizei in Las Vegas hat mich angerufen…«

«Schrei nicht so, Yola, ich bin doch nicht taub.«

Sie hörte nicht zu.»Ein paar Vandalen haben das Haus am Pitts ruiniert. «Es schien ihr tatsächlich nahezugehen. In ihrer Stimme klang ebensoviel Leid wie Ärger mit.

«Was soll das heißen — ruiniert?«

«Angeblich wurde alles im Haus auf den Fußboden geworfen und mit Mehl, Zucker und allem möglichen überschüttet. Sie wollen wissen, was gestohlen wurde. Matt oder ich sollen hinkommen und uns darum kümmern. Ich kann doch nicht, Onkel Bark, ich kann einfach nicht. Wir haben zweiunddreißig Leute hier, da kann ich unmöglich weg. Matt wird hinfahren müssen.«

«Aber Matt…«

«Klar«, jammerte sie.»Als ob ich das nicht wüßte! Aber er muß. Die Pferde werden schon nicht eingehen, wenn er sie für ein paar Stunden allein läßt. Ich hab’s viel weiter, ich wäre mindestens zwei Tage weg. Das ist aussichtslos. Seit wir den verdammten Chrysalis geschnappt haben, geht alles schief.«

«Vielleicht erinnerst du dich daran, daß diese Idee von dir und Matt stammt«, sagte Culham James ungehalten.

«Ich habe immer gesagt, es ist zu kurz nach dem anderen. Aber du und Matt, ihr beiden seid zu geldgierig, seit ihr auf den Geschmack.«

«Unter Verwandten sollte man die guten Dinge teilen, sie nicht für sich behalten.«

«Das sagst du immer.«

Nichts hält eine Familie enger zusammen als eine kleine Erpressung, dachte ich belustigt. Offen war anscheinend mit seiner halben Million pro Jahr zufrieden gewesen, aber dann stolperten Matt und Yola über die Goldgrube, und sie wollten immer mehr. Immer handelten sie unter Zwang, diese genialen, raffgierigen Clives. Wenn sie sich mit Allyx und Showman begnügt hätten, wäre Offen nie aufgefallen.

Yola ging über den alten Streit hinweg und kam auf das neue Unglück zurück:»Ich habe Matts Nummer nicht. Sag sie mir bitte.«

«Ich hab’ sie nicht hier. Sie muß unten in meinem Buch stehen.«

«Hör mal, rufst du ihn bitte an? Sag ihm, er soll sofort hinfahren, die Polizei wartet auf ihn. Er soll mich von dort aus anrufen und mir sagen, was los ist. Es wäre mir unerträglich, wenn diese Bestien meine Nerzstola gestohlen hätten. Außerdem ist doch noch Geld im Safe.«

«Finde dich lieber mit dem Gedanken ab, daß es weg ist«, sagte Offen mit einer gerade noch wahrnehmbaren Spur von Bosheit.

«Vielleicht hatten sie nicht genug Zeit«, sagte Yola.»Der Alarm wird gegeben, wenn jemand das kleine Zimmer betritt. Bis zum Eintreffen der Polizei kann eigentlich niemand den Safe öffnen und ausräumen. Wir haben schließlich genug dafür bezahlt.«

Sie hatten insofern Pech, als ich mir durch Zufall das kleine Zimmer bis zuletzt aufgespart hatte.

Yola legte auf. Nach zwanzig Sekunden Pause hörte ich, wie Onkel Bark vom unteren Telefon aus Matt anrief. Was Matt sagte, konnte ich nicht hören, aber seine Stimme klang wütend. Er schien sich einverstanden zu erklären, sofort zu kommen, aber nichts von dem, was Offen sagte, gab mir einen Hinweis auf Matts gegenwärtigen Aufenthaltsort. Allerdings mußte er sich irgendwo in erreichbarer Nähe von Las Vegas aufhalten, da er kommen, sich um alles kümmern und die Pferde rechtzeitig am Abend wieder füttern wollte. Das Gebiet, in dem ich ihn zu suchen hatte, schmolz damit auf nur hundertfünfzigtausend Quadratmeilen zusammen, grob überschlagen. Ein Taschentuch.

Dann folgte ein kurzes, uninteressantes Telefongespräch. Später, anscheinend am Nachmittag, hörte Offen am Fernseher eine Sportreportage von einem Pferderennen. Es nahm, wie ich mit Stichproben feststellte, die gesamte restliche Spielzeit des

Bandes von insgesamt vier Stunden ein.

Seufzend schaltete ich aus und ging nach unten. Eunice und Lynnie trugen Kleider in atemberaubenden Farben und tranken ihren Rumcocktail. Dabei beobachteten sie den Sonnenuntergang über dem Pazifik. Wieder empfingen sie mich recht kühl und beantworteten meine Fragen recht einsilbig.

Schließlich sagte Eunice unnahbar:»War’s schön in San Francisco?«

Ich mußte blinzeln.»Hm, ja, danke.«

Wieder hüllten sie sich in Schweigen, das ein Ober unterbrach, der mich ans Telefon rief.

Es war Walt.

«Wo sind Sie jetzt?«fragte ich.

«Am Flughafen Las Vegas.«

«Wie war’s?«

«Ich kann Sie beruhigen«, sagte er.»Die Pferde befinden sich auf einer kleinen Farm in einem Tal in Arizona, nicht weit von Kingman entfernt. Dort sind wir gelandet, und ich habe ein bißchen herumgefragt. Das Ehepaar, dem die Farm gehört, kommt anscheinend nicht besonders gut zurecht. Aber letzte Woche haben sie erzählt, ein Freund bezahle ihnen eine Reise nach Miami, und ein junger Mann würde sich um die Farm kümmern, während sie fort seien.«

«Großartig!«rief ich begeistert.

«Mit der Farbe war’s einfach. Als er es bemerkt hat, schrie er Zeter und Mordio, aber da war sie anscheinend schon so angetrocknet, daß er sie nicht mehr wegwischen konnte. Es war schließlich schon kurz nach Mittag. Ich hatte schon Sorge, er könnte das Abhörmikrofon entdeckt haben. Jedenfalls sind wir gestartet, als er den Motor anließ. Der gelbe Fleck war aus jeder Höhe leicht zu erkennen, wie Sie schon sagten. Er fuhr durch Las Vegas und über die Hoover-Damm-Straße nach

Arizona hinüber. Ich habe ihn mit dem Glas beobachtet, und ich bin sicher, daß wir nie so nahe herankamen, daß er uns bemerken konnte. Er fuhr eine Serpentinenstraße hinauf in die Berge südöstlich von Kingman.«

«Sie haben ein Wunder vollbracht.«

«Na sicher. Aber es lief alles viel besser, als wir befürchtet hatten. Bis in eine Höhe von mehreren hundert Metern konnte man durch die Kopfhörer des Hubschraubers alles recht gut hören. Selbst im Dunkeln hätten wir ihn verfolgen können, da er fast den ganzen Weg sein Radio eingeschaltet hatte. Ab und zu hörten wir Musik und Nachrichten.«

«Kommen Sie heute abend noch zurück?«

«Ja, in einer halben Stunde fliegt eine Maschine. Aber ich kann erst nach Mitternacht dort sein.«

«Ich bin noch wach«, sagte ich.»Übrigens, Walt — was haben Sie Eunice und Lynnie als Grund für meine Reise nach Los Angeles angegeben?«

Er räusperte sich.»Ich sagte, Sie hätten dort etwas zu erledigen.«

«Was denn?«

«Äh — hm — eine Frau…«

«Danke«, sagte ich ironisch.»Sie sind mir ein schöner Freund!«

Als ich auflegte, traf ein Laut meine Ohren, der sich verdächtig nach Lachen anhörte.

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