Kapitel 12

Walt sagte gleich viermal hintereinander» heiliger Strohsack!«und gab zu, daß die >Buttress< ihn wahrscheinlich von einem Ende des Landes zum anderen schicken würde, wenn Allyx der Goldschatz am Ende des Regenbogens war.

«Los Caillos liegt etwas nordöstlich von Los Angeles«, sagte ich.»Ich dachte daran, ein Stück nördlich davon an der Küste zu bleiben.«

«Wie Sie wollen.«

«Dann kommen Sie ins Motel >Vacationer< in Santa Barbara, am Großen Strand. Dort treffen wir uns morgen.«

Er wiederholte die Anschrift.»Wer bezahlt das?«fragte er.

«Das sollen >Buttress< und Dave Teller untereinander ausmachen. Ich schicke die Rechnung an Teller. Können Sie Ihrer Firma die Reisekosten abluchsen?«

«Ich denke schon. «Sein Seufzer klang durch den Draht mehr als kummervoll.»Meiner Frau und den Kindern wird das gar nicht gefallen. Ich wollte mit ihnen am Sonntag ein Picknick machen.«

«Verschieben Sie’s um eine Woche«, empfahl ich.

«Ich hab’s Ihretwegen schon zweimal verschoben.«

«Ach…«

Nach einer Weile sagte er:»Also dann bis morgen, so gegen sechs Uhr Ortszeit.«

«Ja, das müßte reichen.«

«Bis dann«, murmelte er und legte auf. Ich legte den Hörer sanft auf die Gabel und sah mich in dem grün-tomatenroten Raum der Tellers um.

Nichts zu machen.

Ich mixte mir umständlich einen Drink und kippte ihn hinunter. Dann schlenderte ich zum Schwimmbad, überlegte mir, ob ich noch ein bißchen schwimmen sollte, aber mir war das Ausziehen zu umständlich. Ich ging ins Haus zurück und ließ mir von Eva etwas zu essen richten. Sie freute sich so sehr, mit jemandem in ihrer Muttersprache reden zu können, daß ich bald bedauerte, ihr etwas davon gesagt zu haben. Ich wünschte mir nichts weiter, als daß sie den Mund halten und abhauen sollte, und als sie es schließlich tat, nutzte das auch nichts.

Ich versuchte zu lesen, blätterte achtmal um, nahm aber nicht eine Seite davon wirklich auf. Ruhelos ging ich wieder in den Garten hinaus, in die aus schwarzem Samt und tiefgrünem Rasen bestehende Nacht, setzte mich an den Swimmingpool und betrachtete die Finsternis drinnen und draußen. Es widersprach aller Vernunft, daß ich mich nicht ganz normal von Carolines Verlust erholt hatte, daß ich mich nicht der Freiheit erfreute, um die mich andere Männer beneideten, daß ich mit dem, was ich hatte, nicht zufrieden sein konnte. Grausam, daß diese niedergeschlagene Stimmung keinerlei Respekt vor Rang und Leistung hatte und mich so tief traf, daß kein Erfolg der Welt etwas dagegen vermochte.

Großer Ruhm, Ehrungen, Scharen von Freunden hatten es nicht vermocht, viele Genies aus den Klauen dieser Depression zu reißen, und jedes Jahr packte sie Tausende von Menschen meines Schlages, über die nichts in der Zeitung stand und die das auch nicht wollten. Wahrscheinlich war diese Depression eine Krankheit wie die Gelbsucht, und eines Tages würde man die Menschen sicher im Kindesalter dagegen impfen. Ich mußte wohl noch froh sein, daß sie bei mir nicht in ihrer akuten Form ausgebrochen war; dann streckt sie wie ein Tintenfisch die Tentakel aus und saugt das letzte Restchen Geist und Mut aus dem Körper, bis das Leben buchstäblich unerträglich geworden ist und einem der letzte Sprung plötzlich als der einzige logische, erlösende Ausweg bleibt.

Das wollte ich nicht erleben, wenn ich es verhindern konnte. Nein, das nicht!

Das Motel >Vacationer< lag gleich am Strand. Das leise Rauschen des Pazifiks untermalte die Geräuschkulisse aus Transistorradios, Klimaanlage, gedämpftem Geplauder, Kinderlachen und Autolärm. Zum Meer hin waren keine Zimmer mehr frei. Walt und ich wohnten nebeneinander und blickten auf den Parkplatz hinaus.

Als ich ankam, waren Eunice und Lynnie ausgegangen, und als Walt etwa um sechs Uhr ankam, waren sie immer noch nicht zurück. Ich ging mit ihm hinunter in die Bar, um vor dem Abendessen noch ein Glas zu trinken. Für Eunice hatte ich eine Nachricht beim Empfang hinterlassen, aber ich hatte Walt nichts davon verraten, daß sie auch hier war. Als er sie mit Lynnie dasitzen sah, blieb er wie vor den Kopf geschlagen stehen. Dann warf er mir einen bösen Blick des Abscheus und des Ärgers zu. Wenn ich ihm gesagt hätte, daß sie bei uns sein würde, wäre er nicht gekommen. Er wußte, daß ich das wußte. Sein Zorn war also berechtigt.

Aber immerhin war Eunice die Frau eines sehr guten Kunden seiner Firma. Er schluckte seine Gefühle wie eine Pille herunter und spülte ein Glas Whisky hinterher. Eunice und Lynnie schlürften mit Wohlbehagen geeiste Rumcocktails. Mit ihrer honigbraunen Haut und der warmen Sonne in allen ihren Bewegungen sahen die beiden großartig aus. Eunice trug ein fluoreszierendes Grün mit einem bißchen Gold an strategisch wichtigen Punkten wie Ohrläppchen, Arm- und Fußgelenken. Lynnie hatte sich hier eine flotte orangefarbene Tunika gekauft. Die wenigen Riemen ihrer Sandalen schienen aus geschliffenen Halbedelsteinen zu bestehen. Selbst Walt gelang es nicht, seinen Blick ganz von den beiden abzuwenden.

Das Abendessen nahmen wir draußen unter einem Spalier ungezählter kleiner, bunter Lampen ein, auf einer flachen Terrasse, die unmittelbar in den Strand überging. Eunices Ausdrucksweise war ausnahmsweise so sanft wie das Rieseln des weichen Sandes. Daher wurde der gesellige Abend einigermaßen zu einem Erfolg.

Beim Kaffee fragte ich Eunice so gleichgültig, daß Walt mir einen durchdringenden Blick zuwarf:»Haben Sie zufällig schon einmal von einem Pferdezüchter namens Culham James Offen gehört?«

«Gehört?«wiederholte sie.»Natürlich hab’ ich das. Alle Welt kennt ihn.«

«Ich zum Beispiel nicht«, knurrte Walt. Man konnte von ihm nicht verlangen, daß er sofort kapitulierte. Er gab sich schon allergrößte Mühe.

«Ich meine, die ganze Züchterwelt kennt ihn«, verdeutlichte Eunice ein wenig ungeduldig.»Er ist der Besitzer eines unerhört erfolgreichen Hengstes namens Moviemaker. Dave meint, man sollte seine Stuten noch von einem anderen seiner Hengste decken lassen — Centigrade. Die ersten Fohlen von ihm gewinnen überall die Rennen der Zweijährigen. «Sie lächelte freundlich.»Aber ganz abgesehen davon werden wir ihn wahrscheinlich von jetzt an sehr häufig sehen.«

«Wir — wie bitte?«fragte ich.

«Wir wohnen gleich Tür an Tür — in unserer neuen Farm.«

Walt blieb der Mund offenstehen, und ich hörte unwillkürlich auf, in meinem Kaffee zu rühren.

«Was sagen Sie da?«fragte ich und merkte, wie ausdruckslos meine Miene wurde. Das passiert mir immer im Zustand des Schocks.

«Offen wohnt genau unserer neuen Farm gegenüber. Von unseren Schlafzimmerfenstern aus können wir seine Koppeln überblicken. «Ich starrte Eunice fasziniert an, während sie mir so harmlos die Gründe für den Mordversuch an ihrem Mann darlegte. Er selbst hatte mir erklärt, daß die Nachlaßverwalter von Davis L. Davis sein Angebot für den Besitz erst kürzlich angenommen hatten, eine Woche vor seiner denkwürdigen Fahrt auf der Themse. Das, was Matt und Yola Clive >dazwischengekommen< war, mußte die Entdeckung sein, daß ausgerechnet Dave Teller in Offens unmittelbare Nähe übersiedeln wollte. Das hatten sie herausgefunden, nachdem sie das Pferd geraubt hatten, sonst wären sie von dem Plan sicher wieder abgekommen.

«Warum lachen Sie?«fragte Eunice.»Was ist komisch daran?«

«Komisch ist das gar nicht«, antwortete ich und wurde wieder ernst.»Ganz und gar nicht. Kennen Sie Culham James persönlich?«

«Noch nicht. Ist das wichtig?«Sie sah mich immer noch verständnislos an.

«Es könnte ratsam sein, sich nicht so rasch mit ihm näher anzufreunden.«

«Warum nicht?«

«Vielleicht ist er eine Rose mit Dornen. «Ich stellte mir unwillkürlich vor, wie Dave Teller Tag für Tag aus seinem Schlafzimmerfenster hinaus auf die Koppel schaute, auf der Allyx und Chrysalis weiden sollten. Vielleicht hätte er die beiden Hengste nicht wiedererkannt. Vielleicht aber doch. Culham James durfte dieses Risiko auf keinen Fall eingehen. Deshalb waren Matt und Yola sofort nach England geflogen, um Dave weit weg vom eigentlichen Ort der Gefahr zu erledigen. Wenn Allyx noch auf der Orpheus-Farm stand und Dave sich von dem Plan der Übersiedlung nicht abbringen ließ, blieb die Gefahr weiterbestehen. Matt Clive hatte vielleicht vorübergehend seine Absicht zurückgestellt, aber ich konnte nur hoffen, daß die Detektivagentur Radnor-Halley in ihrer Wachsamkeit nicht für eine Sekunde nachließ. Es wäre richtig, Keeble anzurufen — selbst von Kalifornien aus, überlegte ich.

«Ich mache einen Spaziergang am Strand«, sagte Lynnie und streifte die Sandalen ab.»Wer kommt mit?«

Ich war eine Idee schneller als Walt und handelte mir einen grimmigen Blick von ihm ein, weil ich ihn nun mit Eunice allein ließ. Spöttisch lächelnd meinte Lynnie dazu, als wir uns ein Stück entfernt hatten:»Das paßt ihm gar nicht.«

«Ihr Fluchen gefällt ihm nicht, das ist alles«, erklärte ich.

«Hier in Kalifornien gebraucht sie nicht mehr so oft harte Ausdrücke«, bemerkte Lynnie.»Sie trinkt auch nicht mehr, abgesehen von ein oder zwei Gläschen vor dem Essen und ein paar am Abend. Woher mag das wohl kommen?«

«Sie ist dem Käfig in Lexington entronnen.«

«Dieses himmlische Haus — ein Käfig?«

«Mhm.«

«Das neue Haus ist nicht halb so schön!«widersprach sie.

«Es wird aber so schön sein, wenn Eunice es eingerichtet hat. Dann werden ihr die Wände wieder auf den Kopf fallen.«

«Sie meinen, wieder ein Käfig?«

«Wieder ein Käfig.«

«Das Leben kann doch nicht nur darin bestehen, daß man aus einem Käfig in den nächsten flieht«, sagte sie explosiv. Eine so klägliche Aussicht wies sie unwillkürlich heftig von sich.

«Wir alle leben hinter Gittern«, sagte ich.»Es kommt nur darauf an, daß man gar nicht erst versucht auszubrechen.«

«Hören Sie auf!«sagte sie betroffen.»So etwas will ich gar nicht hören.«

«Früher hielt man Hänflinge in Käfigen, zur Zeit sind Wellensittiche Mode. Sie brauchen keine Angst zu haben, kleiner Hänfling, Ihnen geschieht nichts.«

«Bei Ihnen weiß man nie, wann Sie es ernst meinen.«

«Immer.«

«Aber meistens klingt das, was Sie sagen, so — so verrückt.«

«Das Leben ist ernst und verrückt zugleich. Alles Verrückte ist ernst, und alles Ernste ist verrückt. - Kommen Sie, sehen wir mal, wer schneller an der Strandhütte dort ist!«

Sie schlug mich, weil sie barfuß lief. Dann lehnte sie lachend und schwer atmend an der Holzwand, während ich eine halbe Tonne Sand aus meinen Schuhen kippte. Wir gingen noch ein Stück weiter, dann setzten wir uns in den warmen Sand und blickten über den dunklen, friedlichen Ozean hinweg. Kein Stückchen Land zwischen uns und Japan, und doch eine Welt dazwischen.

«Sind Sie hergekommen, um bei uns zu sein — oder um Allyx zu finden?«fragte sie.

«Beides.«

Sie schüttelte den Kopf.»Sie haben Walt mitgebracht. Also geht es nur um Allyx.«

«Walt wäre lieber woanders«, sagte ich lächelnd.»Wegen Allyx sind wir nach Kalifornien gekommen, Ihretwegen nach Santa Barbara. Zufrieden?«

Sie murmelte etwas Unverständliches, dann saßen wir wieder schweigend da.

«Glauben Sie, daß Sie ihn finden werden?«fragte sie schließlich.

«Allyx? Schon möglich.«

«Wann ungefähr?«

«Das weiß ich nicht. Vielleicht morgen.«

«Und dann — dann fliegen Sie wieder zurück?«

«Ich glaube schon.«»Zurück ins Büro…«Sie machte eine weit ausholende Geste, die den ganzen Himmel umfaßte. Zurück ins Büro, dachte ich kalt. Zurück zu den Schnüffeleien in anderer Leute Privatleben, zur Wut mancher abgewiesener Bewerber, zurück in den Nieselregen, nach Putney, in die Leere meiner Wohnung. Kurzum: zurück in mein normales Leben. Es kommt nur darauf an, daß man nicht ausbrechen will.

«Was werden Sie eigentlich machen, nachdem Sie die Schule nun verlassen haben?«fragte ich.

Sie holte tief Luft.»Nach dem hier erscheint mir alles von früher unheimlich trist.«

«Dave bekommt bald einen Gehgips.«

«Ich weiß!«heulte sie.»Natürlich weiß ich das. Ich sollte im September in einer Sekretärinnenschule anfangen. Aber jetzt will ich nicht mehr. Warum kann man nicht einfach am Strand leben und den ganzen Tag warm in der Sonne liegen. «Sie schlang die Arme um die Knie und schaukelte hin und her.

«Dafür gibt’s nicht genug Strände.«

Sie lachte leise.»Von allen Männern auf der Welt sind Sie wohl der unromantischste. Das kommt vermutlich davon, daß Sie Beamter sind. Wie Daddy.«

Nach einer Weile gingen wir zum Motel zurück. Am Rand des Wassers blieben wir noch einen Augenblick stehen. Sie legte mir die Hand auf den Arm und blieb einfach abwartend stehen. Ich gab ihr einen Kuß auf die Stirn, dann auf die Nase, schließlich auf den Mund. Alles sehr, sehr sanft und absolut entnervend.

«Das hat keinen Sinn«, sagte ich und nahm meine Hände von ihren Schultern.»Überhaupt keinen Sinn!«

«Es ist nicht mein erster Kuß«, sagte sie beunruhigt.

«Wirklich nicht.«

«Das meine ich jetzt nicht. «Beinahe mußte ich lachen.

«Dafür würden Sie fast ein Diplom bekommen. Nein, kleine Lynnie. Wir sind nur weit weg von zu Hause, und an Freitagen bekommen brünette Mädchen nie mehr als einen Kuß. «Ich wandte mich zum Motel und bat sie mit einem Wink, mir zu folgen. Die besten Vorsätze der Welt zerfließen gegenüber einem Mädchen wie Lynnie wie Butter auf einer heißen Herdplatte. Da hilft nur sofortige Flucht. Lynnie schien nicht dieser Meinung zu sein, doch da konnte ich ihr nicht helfen. Mit raschen Schritten begleitete ich sie das letzte Stück zum Motel und machte einen Witz darüber, was Walt wohl mit Eunice reden mochte. So kamen wir halbwegs gefaßt zurück und fanden, daß unsere Besorgnis unbegründet war. Die beiden saßen einander am Tisch gegenüber, durch Meilen getrennt, und schwiegen sich gegenseitig an. Eunice betrachtete uns eingehend und kühl, und Walt waren scheinbar alle Illusionen vergangen. Lynnie wurde dabei völlig unnötigerweise rot und bestätigte damit Eunices offenkundigen Verdacht. Der harmlose kleine Spaziergang war keine gute Idee, gleichgültig von welchem unserer vier Standpunkte aus man ihn auch betrachtete.

Am nächsten Morgen fuhren Walt und ich schweigend zur Orpheus-Farm. Wenn einer etwas sagte, dann war er es. Fachsimpelei über ein versicherungstechnisches Meisterstück. Wegen der Bearbeitung einer neuen Feuerversicherung, so erklärte er überzeugend, sei es erforderlich, daß wir uns die ganze Anlage genauer ansähen.

Das taten wir auch. Jede Box in jedem Stall, jeden Strohhalm, jeden Zoll. Wir sahen Moviemaker. Und wir sahen Centigrade. Wir machten uns sehr viele Notizen.

Culham James Offen geleitete uns persönlich in den kühlsten Stall, in dem seine vier Hengste standen. Selbstzufriedenheit umflatterte ihn wie ein weiter Mantel. Ich bemerkte es mit Unruhe und Argwohn.

Onkel Bark war nicht nur ein Mann von Mitte fünfzig mit weißem Haar, er hatte auch einen grauen Kombi in der dritten Garage einer langen Reihe stehen. Ich merkte, wie Walt den Wagen mit einem Seitenblick streifte. Zweifellos war es Onkel Bark gewesen, der den Möbelanhänger der Firma >Snail Express< in Rock Springs bei >dem alten Hagstrom seinem Jungen< abgeliefert hatte. Höchstwahrscheinlich war er auch Sam Hengelmans Pferdetransporter über die Autobahn nachgefahren. Aber das ließ sich unmöglich beweisen.

Sein Haar hatte sich vorzeitig verfärbt. Das glatte, sonnenbraune Gesicht war nur von wenigen Falten gezeichnet. Die Augenbrauen hoben sich davon wie Schneeflocken ab. Sie wuchsen über der Nase fast zusammen.

Er trug den Kopf hoch erhoben auf seinen kräftigen Schultern, und der muskulöse Körper unter dem luftigen weißen Hemd wirkte ganz und gar nicht verweichlicht. Einen solchen Mann kann man nirgends übersehen. Sein Äußeres sprach deutlich von Erfolg. Dieser Erfolg hatte seinem Benehmen eine Arroganz verliehen, wobei ihm Bescheidenheit viel besser zu Gesicht gestanden hätte.

Der ganzen Farm sah man deutlich an, daß Geld hier keine Rolle spielte. Schnurgerade, schneeweiß gestrichene Zaunpfähle begrenzten die Koppeln. Rings um das im spanischen Stil errichtete Haus erstreckten sich gepflegte, bewässerte Rasenflächen mit Palmen und dazwischengestreuten Beeten voller seltener Blumen. Im Haus hatten wir nichts zu suchen. Walts Feuerversicherung erstreckte sich nur auf die Stallungen.

Nachdem wir die Hengste besichtigt hatten, vertraute uns Offen seinem Stallmeister an, einem überraschend jungen Mann, den er Kiddo rief. Er sprach einen langsamen, rollenden Western-Dialekt und machte ganz den Eindruck, als habe er es seit seiner Geburt noch nie eilig gehabt. Nach jedem zweiten Wort machte er >äh<, und er bewegte sich grundsätzlich nur im ersten Gang fort.

«Schon lange hier?«fragte ich ihn, als er uns die makellosen Fohlenställe zeigte.

«Fünf oder — äh — sechs Monate. «Die persönliche Frage schien ihn nicht zu stören. Er war gutmütig, hegte keinerlei Verdacht und hatte gesunde Nerven.

«Sie müssen eine Menge können, wenn Sie so jung schon einen solchen Job bekommen«, beglückwünschte ich ihn.

Nach einer ganzen Weile sagte er:»Sehen Sie, ich hab’ eben ein Gefühl für Pferde. Stuten fohlen fast immer nachts. Das kommt davon, daß sie draußen in der Wildnis ihre Jungen nur nachts zur Welt bringen, verstehen Sie?«

«Warum denn nachts?«fragte Walt verdutzt.

Wieder eine Pause. Mir wurde klar, daß er nicht bewußt nach Worten suchte, sondern daß es einfach eine Weile dauerte, bis sich sein instinktives Wissen zu Worten formte.

«Wenn die Stuten am Tag fohlen, dann kommt ‘ne hungrige Hyäne daher und reißt das Junge sofort. Fohlen kommen fertiger zur Welt als die meisten anderen Tiere. Sie können gleich auf den Beinen stehen, aber sie brauchen eine halbe Stunde zum Trockenwerden.«

«Aber hier müssen sie doch vor nichts davonlaufen«, widersprach Walt.

«Das weiß die Natur aber nicht«, erwiderte Kiddo sehr vernünftig.»Noch etwas: Stuten fohlen meistens ziemlich schnell. Manche machen das im Handumdrehen. Sehen Sie, ich weiß immer, wann eine Stute soweit ist. Dann geh’ ich meistens in den Stall und sorge dafür, daß alles in Ordnung geht.«

«Woher wissen Sie das?«fragte ich fasziniert.

Diesmal entstand eine viel längere Pause. Dann sagte er:

«Ich weiß nicht, woher ich das weiß. Ich fühl’s eben. Manchmal wach’ ich mitten in der Nacht auf und denk’ mir:

Rose ist jetzt bald dran, und ich geh’ zu ihr raus. Manchmal braucht sie keine Hilfe, aber manchmal hat das Fohlen auch die Nabelschnur um den Hals und erstickt fast. Sehen Sie, ich war mein ganzes Leben lang immer mit Pferden zusammen.«

«Wo waren Sie denn, bevor Sie hierherkamen?«fragte ich.

«Äh — überall. Vor einiger Zeit hatte ich ‘nen Job in Lexington, aber dort haben sie gesagt, ich komm’ nicht pünktlich genug zur Arbeit. «Er grinste plötzlich boshaft. Das breite Gesicht leuchtete dabei richtig auf.»Dann — äh — war ich bei ‘nem Kerl in Maryland. Der Stall fiel bald zusammen, und die Zäune waren morsch, das Unkraut ist ihm bei den Fenstern ins Haus gekrochen. Aber prima Stuten hat er gehabt. Eine davon war die Mutter von dem Pferd, das letztes Jahr den Preakness-Preis gewonnen hat. Ich geh’ aber nie selbst zu einem Rennen.«

«Und was kam nach Maryland?«fragte ich.

«Äh — hier. Ich hab’ in der Zeitschrift Vollblüter die Anzeige gelesen und drauf geschrieben. Eigentlich mehr aus Spaß. Hab’ nie erwartet, daß ich was hör’, hab’ ja gewußt, was für ein großes Gestüt das hier ist und so weiter. Aber Mr. Offen hat anscheinend keinen großen Geschäftsmann gesucht, sondern einfach jemanden mit Pferdeverstand. Er behält mich deswegen auch, obgleich er sagt, vor mir waren zwei andere da, die es nie länger wie ‘nen Monat ausgehalten haben.«

Darüber schien er sich keine Sorgen zu machen. Sein Standpunkt war: Der liebe Gott wird schon dafür sorgen. Angst kannte er nicht, und für den Winter sorgte er auch nicht vor. Sein >Gefühl für Pferde< war in der Tat unbezahlbar. Vermutlich würde er nie den besten Preis dafür herausschlagen, aber arbeitslos wurde er mit Sicherheit auch nicht.

Kiddo verabschiedete uns mit derselben ruhigen Freundlichkeit, mit der er uns alles gezeigt hatte. Auf dem Rückweg nach Santa Barbara waren Walt und ich uns darin einig, daß er kaum als Gegner in Betracht kam. Wahrscheinlich bewies er, wenn es darauf ankam, gegenüber Offen seine Treue, aber im Augenblick hatte Kiddo jedenfalls keine Ahnung, was vor sich ging.

«Es sei denn, er ist ein ausgezeichneter Schauspieler«, fügte Walt hinzu.

Ich schüttelte den Kopf.»Er hat uns nichts vorgemacht. Dafür waren keinerlei Anzeichen zu bemerken.«

Walt sah mich prüfend an und nahm seine Augen beinahe zu lange von der Straße.»Wissen Sie das eigentlich immer?«

Ich lächelte.»Das ist eine von diesen Fragen, die man nicht beantworten kann. Ich habe ein Gefühl dafür, genau wie Kiddo für seine Stuten. Aber wenn es mich gelegentlich im Stich läßt

— woher sollte ich das wissen?«

«Sie würden es sehr bald erfahren, wenn von der anderen Seite ein paar Geheimnisse durchsickerten«, sagte Walt.»Haben Sie jemals einen Bewerber durchgehen lassen, der sich nachher als Spion entpuppte?«

«Ja.«

«Wie oft?«

«Einmal.«

«Wahrscheinlich während Ihres ersten Jahres«, sagte Walt mit mildem Sarkasmus.

«In meinem zweiten Jahr. Er war der erste wirklich gefährliche Spion, mit dem ich zu tun hatte, und ich erkannte ihn nicht. Sechs Monate später erwischten ihn die Kollegen von der Spionageabwehr, aber da hatte er schon eine Menge Schaden angerichtet. In der Presse erschienen die üblichen bissigen Bemerkungen über die Nachlässigkeit unseres Kontrollsystems.«

«Und das nahmen Sie sich zu Herzen«, bemerkte Walt trocken.

«Ich denke schon.«

Nach etwa einer Meile fuhr er fort:»Und inzwischen sind Sie so gut geworden, daß man Sie zusammenschlägt. Was denken Sie sich eigentlich, wenn so etwas passiert?«

«Daß nun bald ein großer Fisch kommen muß und man mich aus dem Weg räumen will.«

«Also strengen Sie sich um so mehr an. «Das war eine Feststellung, keine Frage.

«Ja, so könnte man es ausdrücken.«

«Eines Tages wird man Sie umbringen.«

Ich gab ihm keine Antwort. Seufzend warf er mir einen Seitenblick zu.»Wahrscheinlich ist Ihnen das sogar gleichgültig.«

«In unserem Amt gibt’s noch eine ganze Menge anderer.«

Ohne ein weiteres Wort fuhr Walt bis Santa Barbara. Auf der Terrasse aßen wir zusammen mit Eunice und Lynnie zu Mittag. An diesem Morgen, so erzählten uns die beiden, hätten sie die langen Ohrringe gekauft, die bei jeder Kopfbewegung lustig hin und her schlenkerten. Lynnie hatte scharlachrote, Eunice grüne. Sonst waren sie genau gleich. Immer noch befreundet, dachte ich mit stiller Erleichterung. Immer noch harmonisch. Eine andere Frage war allerdings, ob Eunice bereit sein würde, mir einen kleinen Gefallen zu tun.

Wir aßen Muscheln und danach Makrelen. Lynnie meinte, bei dieser meerbetonten Ernährungsweise würden ihr noch Flossen wachsen. Als sie dann nach dem Kaffee ruhelos aufstand und erklärte, sie wolle noch ein paar Schritte am Strand tun, erhob sich Walt nach kurzem Zögern und bot ihr seine Begleitung an. Sie warf mir einen besorgten, fragenden Blick zu, dann wandte sie sich brüsk ab und ging mit ihm weg. Ihre Stimme klang viel zu fröhlich.

«Tun Sie dem Kind nicht so weh!«fauchte Eunice zornig.

«Ich will’s ja nicht.«

«Verdammt, Sie sehen zu gut aus.«

«Na klar. Damit lock’ ich die Vögel von den Bäumen.«

Es sollte sarkastisch klingen.»Kleine Ehefrauen vertrauen mir, weil ich so verdammt gut aussehe, immer die Geheimnisse ihrer Ehemänner an.«

Sie wirkte erschrocken. Das war etwas ganz Neues für sie, bisher hatte sie immer nur verteilt.

«Meinen Sie — Sie machen davon regelrecht Gebrauch?«

«Ich benutze das wie einen Dosenöffner. Und als Katalysator. Wer tut das nicht? Verkäufer, Politiker, Schauspieler, Frauen — alle machen es doch genauso.«

«Da soll doch gleich…«Ihre Stimme klang matt, aber gleichzeitig mußte sie lachen.

«Aber nicht bei Lynnie«, fügte ich betrübt hinzu.

«Das haben Sie wohl auch nicht nötig. Es war viel wirkungsvoller, wie Sie Dave aus dem Wasser zogen.«

Ich betrachtete Lynnie und Walt. Sie standen jetzt unten am Wasser.

«Deshalb also?«Ich richtete die Frage mehr an mich selbst.

«Heldenverehrung«, sagte Eunice bissig.»Freut Sie das wenigstens?«

«Das ist mir genauso angenehm, wie wenn mich ein Muli in den Magen getreten hätte.«

Sie lachte.»Man kann nicht gerade behaupten, daß Sie sonst übertrieben hübsch wären.«

«Nein, das bin ich wirklich nicht«, gab ich wahrheitsgemäß zu.

Ich glaubte schon, sie wollte noch mehr sagen, aber dann überlegte sie es sich anders. Ich hakte ein, während sie sich noch in dieser halb flirtenden, wissenden, und dieses Wissen verachtenden Stimmung befand; jetzt bestand eher die Aussicht, daß sie meinen Wunsch erfüllen würde.

«Hat Lynnie noch diese Fotos von mir?«

«Keine Sorge«, sagte sie sarkastisch.»Wenn’s brennt, dann wird sie die Bilder zuallererst retten.«

«Ich möchte, daß Culham James Offen sie zu sehen bekommt.«

«Wie bitte? Wovon reden Sie eigentlich?«

«Ich möchte, daß Sie heute nachmittag mit Lynnie hinfahren und Culham James einen nachbarlichen Besuch abstatten. So ganz nebenbei, meine liebe Eunice, könnten Sie ihm erzählen, daß ich Dave aus der Themse gezogen habe. Lynnie soll ihm dann ein Foto von mir zeigen. Besonders das Bild, auf dem wir vor der Wirtschaft an dem kleinen runden Tisch sitzen. Das Gruppenbild.«

Sie schnappte aufgeregt nach Luft, dann setzte bei ihr wieder der Denkprozeß ein.

«So eitel kann man doch eigentlich nicht sein, daß… Du liebe Zeit, wofür soll das gut sein?«

«Es ist ein Experiment.«

«Das ist keine Antwort.«

«Ich möchte mir meinen Aufenthalt im >Vacationer< verdienen.«

Ein Ausdruck von Abscheu zog ihre Mundwinkel nach unten.

«Sie wollen das verdammte Pferd finden?«

«Ich fürchte ja.«

«Sie wollen damit doch nicht etwa sagen — daß Offen vielleicht etwas damit zu tun haben könnte?«

«Ich möchte sichergehen, daß er wirklich nichts damit zu tun hat.«

«Ah, jetzt verstehe ich. Nun, ich denke, das ist nicht zuviel

verlangt. Gut. Ich werde Lynnie bitten, mitzukommen.«

«Und sagen Sie ihm auch, daß ich Allyx suche.«

Sie sah mich gerade und prüfend an, dann fragte sie:

«Und was ist mit Chrysalis?«

«Wie Sie wollen. Sagen Sie ruhig, daß Dave mich beauftragt hat, die Pferde wiederzubeschaffen.«

«Ich weiß gar nicht, warum ich das überhaupt mache.«»Interessieren Sie sich mehr für Golf?«fragte ich.

«Soll das vielleicht ein Spiel sein?«Es klang skeptisch.

«Nun — so ähnlich wie eine Bärenjagd. «Ich lächelte sie an.»Ach so. «Sie nickte ironisch.»Also ein Sport.«

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