Kapitel 13

Ich parkte meinen Mietwagen zwischen den Büschen neben der Straße, die zur Orpheus-Farm führte, und genoß eine Zigarette. Die glühende Nachmittagssonne brannte aufs Metalldach des Autos, und über der Straße flimmerte eine Fata Morgana. Ein Tag, an dem auch die Eidechsen den Schatten suchen. Den Autoverleihern waren die Wagen mit Klimaanlagen ausgegangen. Ich mußte mich mit einer von den altmodischen Kisten begnügen, bei denen man das Fenster aufmachen muß, wenn man frische Luft schnappen will. Diese Luft war allerdings genauso frisch wie eine Zeitung von vergangener Woche. Nur viel heißer.

Fünf Minuten nach vier fuhren Eunice und Lynnie, ohne mich zu bemerken, an meinem Kühler vorbei, zurück in Richtung Santa Barbara. Ich drückte meine Zigarette sorgfältig in dem verchromten, fleckigen Aschenbecher aus. Zehn Minuten lang betrachtete ich meine Fingernägel. Mir kam aber keine Erleuchtung. Um halb fünf ließ ich den Motor an, lenkte meinen Wagen in Richtung Orpheus-Farm und ging Onkel Bark besuchen.

Diesmal fuhr ich gleich am Haus vor und läutete an der schön verzierten Türklingel. Ein Hausboy erschien in derselben Aufmachung wie bei Jeff Roots. Als er Culham James suchen ging, schlich ich ihm leise nach. Auf diese Weise konnte sich mein Gastgeber, selbst wenn er gewollt hätte, nicht vor meinem Besuch drücken. Der Hausboy öffnete eine Tür, die zu einem viereckigen, gemütlich eingerichteten Raum führte, halb Wohnzimmer und halb Büro. Culham James saß an seinem Schreibtisch und hatte einen grünen Telefonhörer am Ohr.

Sowohl den Hausboy als auch mich traf ein mordlustiger Blick, dann hatte er sich wieder in der Gewalt und wurde

betont liebenswürdig.»Ich rufe später wieder an«, sagte er ins Telefon.»Da ist gerade ein gewisser Mr. Hawkins gekommen

— ja, richtig. Bis später also. «Er legte auf und hob die Augenbrauen.

«Ist Ihnen heute morgen etwas entgangen?«fragte er.

«Nein. Sollten wir etwas übersehen haben?«

Er schüttelte leicht verärgert den Kopf.»Ich wollte nur wissen, weshalb Sie mich noch einmal besuchen.«

«Mein Kollege und ich hätten gern noch zwei oder drei Fragen wegen der Vorkehrungen, die Sie gegen Feuer treffen, gestellt, insbesondere, was die kostbaren Hengste betrifft — äh

— Moviemaker und Centigrade.«

Die ganze Sache schien Culham James Offen plötzlich riesigen Spaß zu machen. Ich merkte es seinem gebräunten Gesicht an, seinen weißen Augenbrauen, dem Blitzen der blaßblauen Augen, dem leisen Glucksen in seiner Kehle. Er mußte sich mühsam zusammennehmen, um mich nicht an dem Spaß teilhaben zu lassen. Mit einiger Mühe zwang er sich wieder zu einem ernsten, gefaßten Gesicht. In sachlichem Eifer spielten wir miteinander die Farce mit der Überschrift >Feuerverhü-tungc. Ich lehnte an seinem Schreibtisch und stellte die durchaus treffend klingenden Fragen, die Walt erfunden hatte. Zumeist ging es darum, in welcher Weise die Stallungen der Hengste nachts überwacht wurden. Regelmäßige Kontrollgän-ge? Frei laufende Wachhunde? Vielleicht Selenzellen, die jeden Lichtschimmer auffingen? Oder Vorrichtungen, die Rauchentwicklung meldeten?

Offen räusperte sich und beantwortete alle Fragen mit einem ruhigen Nein.

«Wir haben, wie Sie heute morgen selbst gesehen haben, eine äußerst wirksame und kostspielige Berieselungsanlage«, erklärte er.»Sie wird alle drei Monate gründlich überprüft. Aber das habe ich Ihnen alles schon erzählt.«»Ja. Dann möchte ich Ihnen danken. Ich glaube, das wäre alles. «Ich klappte mein Notizbuch zu.»Sie waren sehr hilfsbereit, Mr. Offen.«

«Gern geschehen«, murmelte er. Wieder gluckste es in seiner Kehle, aber in den Spaß mischte sich diesmal unmißverständlich Boshaftigkeit. Für mich wurde es höchste Zeit zu gehen.

Als ich später ins >Vacationer< zurückkehrte, sah ich Walt, Eunice und Lynnie trübsinnig hinter leeren Gläsern sitzen. Ich warf mich ihnen gegenüber in einen Sessel und fragte:»Warum so niedergeschlagen?«

«Sie haben sich verspätet«, antwortete Walt.

«Ich hab’ euch doch gleich gesagt, ihr sollt nicht mit dem Essen auf mich warten. «Ich erwischte einen Kellner und bestellte eine neue Runde.

«Wir dachten schon an eine Suchaktion«, sagte Eunice.

Ich sah mir die drei genauer an. Dann sagte ich resigniert:»Also habt ihr großen Kriegsrat gehalten.«

«Ich finde, das ist nicht schön von Ihnen — gemein ist das!«platzte Lynnie heraus.»Mich mitgehen lassen und sich selbst dann absichtlich — ja, absichtlich! — in solche Gefahr zu begeben!«

«Lynnie, hören Sie doch damit auf. Es war nicht gefährlich für mich. Schließlich sitze ich doch hier, oder?«

«Aber Walt sagte.«

«Walt muß bald mal zu einem Psychiater.«

Walt blitzte mich an und preßte die Lippen zu einer geraden Linie zusammen.»Sie haben mir nichts davon gesagt, daß Offen erfahren sollte, daß Sie der Mann waren, der Chrysalis geholt hat. Und Sie haben mir nicht verraten, daß es die Clives waren, die Dave Teller umbringen wollten.«

«Und mir haben Sie verschwiegen«, fügte Eunice heftig hinzu,»daß auf dem Foto im Hintergrund die beiden Clives zu sehen waren und daß die beiden auch Sie umbringen wollten.«

«Sie hätten dann wohl nie zugelassen, daß Lynnie ihm das Foto zeigte, was?«

«Nein«, antwortete sie zögernd.

«Dann ist’s doch gut, daß ich nichts davon gesagt habe.«

«Und Sie haben mich absichtlich irregeführt, als Sie sagten, Sie wollten Offen entlasten. Das hatten Sie gar nicht vor.«

«Hm — nein. Aber ich wollte, daß Sie sich ihm gegenüber ganz normal benehmen. Und außerdem — was soll das ganze Theater?«

«Wir dachten«, begann Lynnie mit unterdrückter Stimme,»wir dachten beinahe… Sie sind so lange weggeblieben… daß Sie. daß man.«

«Sie haben mir nichts getan«, erklärte ich lächelnd.

«Aber wollen Sie uns das nicht bitte erklären?«fragte Lynnie.»Warum wollten Sie, daß ich Sie auf diese Weise verriet?«

«Das hat mehrere Gründe. Zunächst ging es um Daves Sicherheit.«

«Das begreife ich nicht«, sagte Eunice.

«Offen sollte wissen — und es den Clives mitteilen —, daß wir die Anwesenheit der beiden in England beweisen können; sie sind auf dem Bild zu sehen, das bei dem Ausflug an die Themse geknipst wurde. Ein als Unfall getarnter Mord ist nur so lange sinnvoll, wie es kein erkennbares Motiv gibt und der Mörder nicht mit dem Opfer in Verbindung gebracht werden kann. Wir haben ihnen nun gezeigt, daß wir sowohl über das Motiv wie auch über die Verbindung Bescheid wissen. Sie wissen jetzt, daß sie die Hauptverdächtigen wären, wenn Dave etwas zustieße. Dadurch wird es höchst unwahrscheinlich, daß sie es noch einmal versuchen.«

«Teufel!«stieß Lynnie hervor.»Weiter!«

«Als Walt und ich heute morgen auf der Orpheus-Farm herum stöberten und angeblich eine Untersuchung wegen der Feuerversicherung anstellten, da machte Offen sich noch keine Sorgen. Natürlich erkannte er mich da auch noch nicht. Das war ja, bevor Sie Offen die Fotos gezeigt hatten. Er zeigte sich aber in keiner Weise davon beunruhigt, daß plötzlich zwei Fremde auftauchten, um unter einem Vorwand, den er nicht einmal nachprüfte, herumzuschnüffeln. Nichts von der Nervosität, die man eigentlich erwarten sollte, nachdem ihm gerade ein gestohlenes Pferd wieder abgenommen worden war, während er zwei weitere auf seinem Hof stehen hatte. Das gefiel mir nicht. Etwas daran stimmte nicht.«

«Also hat er sie nicht«, sagte Eunice erleichtert.»Ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß Culham James Offen Pferde stiehlt! Ich meine, er ist ein so angesehener Mann.«

Walt und ich tauschten einen unbemerkten amüsierten Blick. Ansehen ist die denkbar beste Tarnung für Betrug. Ohne Ansehen könnte es praktisch keinen Betrug auf der Welt geben.

Ich fuhr fort:»Ich wollte ihn deshalb wissen lassen, daß ich mich besonders für Moviemaker und Centigrade interessiere, und daß ich nicht mit Feuerversicherungen zu tun habe, sondern im Gegenteil der Mann bin, dem er den Verlust von Chrysalis zu verdanken hat. Nachdem ihr beide weggefahren wart, ging ich noch einmal zu ihm, aber er machte sich immer noch keine Sorgen. Im Gegenteil. Die Situation schien ihm ausgesprochen Spaß zu machen. Ich stellte ihm eine Menge Fragen hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen für Moviemaker und Centigrade, und er zeigte sich immer noch völlig ungerührt. «Ich hielt inne.

«Das läßt nur einen Schluß zu: Die beiden Hengste, die er in seinem Stall stehen hat, sind tatsächlich genau das, was sie sein sollen: Moviemaker und Centigrade. Schnüffler stören ihn nicht, und ich mit meinen offenkundigen Dieb stahl svorberei-tungen konnte auch keinen Eindruck auf ihn machen. Er muß demnach ganz sicher sein, vor Gericht beweisen zu können, daß die beiden Hengste echt sind. Bei einem Diebstahlsversuch würde er mich schnappen und in echte Schwierigkeiten bringen. Das wäre für ihn dann ein kleiner Ausgleich für den Verlust von Chrysalis.«

Walt nickte kurz.

Eunice sagte beharrlich:»Nach meiner Meinung beweist das alles nur, daß Sie den falschen Baum anbellen. Er macht sich deshalb keine Sorgen, weil er sich einfach nichts zuschulden hat kommen lassen.«

«Er hat Ihnen also gut gefallen?«

«Ja«, antwortete sie.»Er war verdammt nett zu uns.«

Lynnie nickte.»Der Meinung bin ich auch.«

«Wie verhielt er sich, als Sie ihm die Fotos zeigten?«

«Erst hat er nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen, dann nahm er sie mit ans Fenster«, antwortete Lynnie.

«Dann fragte er mich, wer die Bilder aufgenommen hätte, wann und wo. Ich erzählte ihm von dem Ausflug an die Themse, und wie Sie und Dave über das Wehr gegangen sind.«

Eunice lächelte mich von der Seite an: >Ich hab’s ja gleich gesagt!<

«Er machte ein paar nette Bemerkungen über Sie«, schloß Lynnie.»Ich erzählte ihm dann noch, Sie seien nach Amerika gekommen, um Chrysalis zu suchen, und hätten das auf irgendeine Weise auch geschafft.«

«Er erkundigte sich, wo Sie ihn entdeckt hätten«, fügte Eunice hinzu.»Aber das wußten wir ja nicht. Ich sagte, nun suchten Sie nach Allyx, und auch das störte ihn überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, daß Sie sich täuschen.«

Ich lächelte sie an. Sie wollte gar nicht, daß der Hengst gefunden wurde. Als Verbündete war sie genauso zuverlässig wie dünnes Eis an einem sonnigen Tag. Ich nahm mir vor, ihr in Zukunft nichts mehr zu erzählen, was ich nicht an Offen weitergetragen haben wollte. Wie die meisten gesetzestreuen Bürger konnte sie sich einfach nicht vorstellen, daß man einem Menschen die kriminelle Neigung nicht ansehen konnte und daß sich ein liebenswürdiges Äußeres durchaus mit Betrug und Mord vertrug.»So ein netter Mensch!«sagen die Nachbarn erschüttert, wenn sich herausstellt, daß im Garten von Mr. Smith ein Dutzend ermordete Frauen vergraben sind.»Und immer so freundlich…«

Eunice war beherrscht von dem halb unbewußten Wunsch, daß Allyx nicht aufgefunden würde. Dabei konnte es sein, daß sie Offen alles offenbarte, einfach deshalb, weil sie nicht glaubte, daß ein so >liebenswerter< Mensch eine tödliche Gefahr darstellen konnte. Vielleicht trieb sie dabei auch derselbe Impuls, der sie veranlaßt hatte, die Pistole auf mich zu richten.

«Gehen wir essen«, schlug ich vor. Eunice und Lynnie gingen ihre Toilette auffrischen.

Walt sah mich gedankenvoll an, dann wanderten seine Augenbrauen fragend in die Höhe.

Ich nickte.»Ich hab’ ihm ein Abhörmikrofon unter die Tischplatte geklebt, nur eine Armlänge vom Telefon entfernt. Ich habe mich deshalb verspätet, weil ich noch lauschte. Er rief Yola an und berichtete ihr über meinen Besuch, aber sonst war nichts. Ich habe den Empfänger in einem Versteck zurückgelassen und bin hierher gefahren.«

«Glauben Sie, diese beiden Hengste sind tatsächlich Moviemaker und Centigrade?«

«Klar. Vergessen Sie nicht, er hat sie ganz offiziell erstanden. Und anscheinend hat er sie auch behalten. Er konnte ja nie sicher sein, ob nicht ein früherer Besitzer sie besuchen kam. Diese Pferde bekommen eine Kennummer eintätowiert, ehe sie

zum ersten Rennen starten. Das ist doch hier Vorschrift, wie? Es wird sich leicht nachweisen lassen, daß sie echt sind.«

«Aber Sie glauben doch auch nicht, daß Mrs. Teller recht hat

— daß er Allyx und Showman demnach nie besessen hat?«

«Bei Gelegenheit spiele ich Ihnen sein Telefongespräch mit Yola vor. Er war vorsichtig genug, die beiden Hengste von der Orpheus-Farm verschwinden zu lassen, als wir Chrysalis erwischten. Heute morgen hat er unseren Besuch mehr oder weniger erwartet. Ich fürchte, Culham James können wir nicht viel anhängen. - Walt, haben Sie Eunice und Lynnie irgendwelche Einzelheiten über unseren Ausflug in die Teton-Berge erzählt?«

Er schien sich in seiner Haut nicht recht wohl zu fühlen.

«Ich war über Sie verärgert.«

«Was haben Sie den beiden genau erzählt?«

«Nicht viel. Ich war entsetzt, als ich hörte, daß Lynnie Offen die Fotos gezeigt hat, wo die Clives mit drauf sind. Als Mrs. Teller auch noch sagte, Sie hätten das bewußt geplant, da habe ich Sie für völlig verrückt gehalten — weil die Clives Sie schon einmal umzubringen versuchten. Das habe ich den beiden gesagt.«

«Auch wie?«

Er nickte und wich meinem Blick aus.

«Haben Sie etwas von dem Abhörgerät gesagt?«

«Nein.«

«Das ist sehr wichtig, Walt!«

Er sah mich an.»Nein, ich habe nichts davon erwähnt.«

Mir wurde leichter.»Und unser Ausflug in die Berge?«

«Keine Einzelheiten.«

«Wo es war?«

«Ich denke, ich habe etwas von den Teton-Bergen erwähnt.«

Das konnte nicht schaden.

«Wieviel haben Sie über Showman und Allyx gesagt?«

«Nur, daß Sie die Zuchtbücher durchgearbeitet hätten, und daß Offen sie demnach im Besitz haben müßte.«

«Haben Sie den >Onkel Bark< erwähnt?«

Er schüttelte den Kopf.»Das hatte ich selbst ganz vergessen.«

Ich seufzte.»Walt — Mrs. Teller wollte nicht, daß Chrysalis gefunden wurde, und Allyx will sie ebensowenig wiederhaben. Wir können ihr also keine Staatsgeheimnisse anvertrauen.«

Seine Miene wurde ein wenig düsterer, und er preßte die Lippen zusammen. Kurz danach kamen Eunice und Lynnie wieder. Das Dinner gestaltete sich recht schweigsam und nicht gerade übertrieben freundlich.

Nach dem Kaffee kam Walt zu einer Besprechung herauf in mein Zimmer.

«Wie finden wir sie?«Er kam sofort zur Sache und versenkte sich in meinen einzigen Sessel.

«Man hat sie uns sozusagen schon geschenkt«, antwortete ich nachdenklich.»Wir können ein paar Rechtsanwälte damit beauftragen, die Identität von Moviemaker und Centigrade nachzuprüfen. Dann wissen wir ganz eindeutig, daß Offen uns tatsächlich diese beiden Pferde gezeigt hat. Er wird ganz scharf darauf sein — und sobald das erledigt ist, hängt er fest. Inzwischen lassen wir die beiden anderen vorübergehend verschwinden und auf eigenem Grund und Boden identifizieren. Ist erst einmal klargestellt, daß es sich wirklich um Allyx und Showman handelt, kann Offen sie nicht gut zurückfordern.«

«Zwei Einwände«, sagte Walt.»Wir wissen nicht, wo Allyx und Showman sind. Und wenn wir sie finden — warum setzen wir dann nicht gleich die Anwälte ein? Warum erst all die Mühe und Gefahr mit dem Verschwindenlassen?«

«Es ist genau wie bei Chrysalis«, erklärte ich ihm.

«Beim allerersten Anzeichen der echten Gefahr wird man die Hengste niederschießen. Es ist nicht verboten, sein Pferd zu töten und den Kadaver an einen Hersteller von Hundefutter zu verkaufen. Ein totes Pferd läßt sich ungleich schwerer identifizieren. Ich würde sagen, es ist so gut wie ausgeschlossen, das mit der letzten Gewißheit zu schaffen, die hier nötig ist.«

«Nehmen wir einmal an, wir bekommen sie, sie werden identifiziert, und alles geht glatt über die Bühne; dann wird Offen aber immer noch diese immensen Deckgebühren von einer halben Million Dollar pro Jahr einstreichen, weil wir nicht nachweisen können, daß in den letzten zehn Jahren Showman der Vater eines jeden Fohlens war, das im Zuchtbuch als Abkömmling von Moviemaker eingetragen ist.«

Ich lächelte.»Das klären wir, wenn wir den Rest erledigt haben.«

«Damit wären wir wieder beim Hauptproblem: Wo

anfangen?«

Ich hockte mich auf den Fenstersims und blickte hinunter auf den Parkplatz. Die farbigen Glühbirnen an der Fassade des Motels warfen bunte, zuckende Reflexe über die polierten Autodächer. Für mich war das ein sehr melancholischer Kommentar zum Thema >Leistung des Menschen<. Und doch wollte ich nicht ohne elektrischen Strom und ohne Auto leben

— falls ich überhaupt leben wollte. Mein Zimmer lag nur im ersten Stock. Höher war das Motel nicht. Das war nicht tief genug. Ich kannte einmal eine Frau, die sprang aus dem fünften Stock und überlebte es. Da war eine Pistole schon sicherer.

«Nun?«fragte Walt eindringlich.

«Entschuldigen Sie…«, murmelte ich und wandte mich wieder ihm zu.

«Wo beginnen wir mit der Suche?«

«Ach ja, richtig.«

«Auf der Ranch?«

«Sehr zweifelhaft, meinen Sie nicht auch? Sie müssen doch wissen, daß wir dort zuallererst nachsehen werden.«

«Die Gegend dort ist weitläufig. Da können viele Pferde verschwinden.«

Ich schüttelte den Kopf.»Sie müßten die Hengste nahe am Haus in einer Koppel halten. Der Name >Rocky Montains< — >Felsengebirge< — besteht schon zu Recht. Sie können die wertvollen Hengste nicht frei laufen lassen, weil sie fürchten müssen, daß sie sich die Beine brechen. Nachsehen sollten wir aber trotzdem. «Ich starrte auf den Teppich, ohne das Muster zu sehen.»Ich glaube aber, Matt hat die Pferde bei sich. Offen hält sich auf der Orpheus-Farm auf, und Yola ist an die Ranch gebunden, weil sich schließlich jemand um die dreißig Gäste kümmern muß. Aber wo ist Matt?«

«Ja — wo?«wiederholte Walt bedrückt.

«Er und Yola verbringen die Winter nicht auf der Ranch, weil das Tal dann eingeschneit ist. Yola sagte mir, sie gingen dann in den Süden. Bei einem der Telefongespräche sagte sie zu Offen, sie könnten Chrysalis nicht an einem Ort halten, den sie >Pitts< nannte, der sei ungeeignet. Aber da wußten sie noch nicht, daß wir hinter ihnen her waren. Es brannte noch nicht.«

«Irgendwo südlich der Teton-Berge muß also dieses >Pitts< liegen. Wenn wir es finden, wird Matt mit den Pferden dort auf uns warten…?«:

«Genau. «Ich lächelte.»Klingt ganz einfach.«

«Einfach!«rief Walt.

«Sie müssen doch bei der Post eine Anschrift hinterlegt haben. Sie führen ein ganz normales Leben wie jeder andere gesetzestreue Bürger auch. Ihr gut eingeführtes Geschäft unterhält sie auf ganz legale Art und Weise. In Jackson muß es Dutzende von Leuten geben, die ihre Winteradresse kennen.«

«Die könnte unser dortiger >Buttress<-Agent gleich morgen früh feststellen.«

«Fein!«

Walt erhob sich aus dem Sessel und blieb zögernd stehen.

«Kommen Sie mit zu mir, ich hab’ eine Flasche drüben.«

Ich war nicht sicher, ob ich das wollte, aber dann lächelte er ganz plötzlich und wischte jeglichen Widerstand weg. Einen Ölbaumzweig schlägt man dem Überbringer nicht um die Ohren.

«Ja, gern«, antwortete ich.

Sein Lächeln wurde herzlicher und hielt auf dem ganzen Weg in sein Zimmer vor. Bei ihm sah es genauso aus wie bei mir. Vom Fenster aus sah man dieselben Autos, wenn auch aus einem etwas anderen Winkel. Er hatte allerdings zwei Armsessel und nicht nur einen. Auf einem runden Tablett standen die Whisky flasche, Gläser und eine Wasserkaraffe. Neben dem Bett hatte er ein in Leder gerahmtes Foto stehen. Während er aus der Eismaschine auf dem Flur ein paar Würfel holen ging, nahm ich das Foto gedankenlos in die Hand. Walt mit seiner Familie. Eine hübsche Frau, ein schlichtes Mädchen, ein angehender Teenager, und ein magerer Junge von etwa zehn Jahren. Alle vier lächelten fröhlich in die Linse. Als ich das Bild wieder hinstellte, trat er ein.

«Das mit dem Picknick tut mir leid«, sagte ich.

«Das können wir nächste Woche nachholen«, antwortete er.»Wir haben ja wohl noch den ganzen Sommer vor uns.«

Wir saßen in den Sesseln und tranken gemächlich unseren Whisky. Eigentlich bin ich nicht für Bourbon, aber das spielte keine Rolle. Er erzählte mir von dem ranchartigen Haus mit gegeneinander verschobenen Stockwerken, in das sie letztes Jahr eingezogen waren, daß seine Tochter mit den Nachbarn so gut auskäme, über den Kummer mit der Gesundheit des Jungen

— er litt unter Rheuma…

«Und wie sieht für Sie die Zukunft bei >Buttress< aus?«fragte ich.

«Nun, viel weiter werde ich wohl nicht mehr kommen«, antwortete er mit überraschender Offenheit.»Mir geht’s nur noch um einen weiteren Schritt höher: Ich möchte Chefinspektor werden. In der Abteilung für Kundenforderungen. Nächstes Jahr wird der gegenwärtige Abteilungsleiter in den Ruhestand versetzt, dann bin ich dran.«

Er füllte erneut unsere Gläser, rieb sich bedächtig mit dem Daumen über die Fingerkuppen und erzählte, daß Amy und die Kinder so gern hinter dem Haus einen Swimmingpool haben wollten. Amys Mutter sei so schwierig, seit Amys Vater im vergangenen Herbst starb. In der auslaufenden Saison sei er nicht bei einem einzigen Baseballspiel gewesen. Zuviel zu tun

Wir saßen über eine Stunde zusammen, ohne die Pferde auch nur einmal zu erwähnen. Dann gähnte er, und ich erhob mich aus dem bequemen Sessel. Ich stellte mein leeres Glas hin. Schläfrig und mit selbstverständlicher Freundlichkeit sagte er mir gute Nacht. Zum erstenmal sah ich ihn wirklich entspannt. Als ich mich in meinem Zimmer auszog, fragte ich mich, wie lange das wohl vorhalten würde. Wahrscheinlich bis zu meinem nächsten unerfreulichen Vorschlag. Ich wußte nicht recht, ob ich ihn wegen seines geborgenen Familienlebens beneiden sollte oder ob es mich erdrücken würde. Aber ich wußte, daß ich ihn trotz all seiner Launen mochte — als Mensch wie als Partner bei der Arbeit.

Der Agent der >Buttress<-Lebensversicherung in Jackson rief schon zwanzig Minuten nach Walts Anfrage zurück und teilte uns die Winteranschrift der Clives mit: 40159 Pittsville Boulevard, Las Vegas, Nevada.

Mir fiel wieder ein, wie Yola beim Gedanken an den Winter gelächelt hatte. Las Vegas war die Erklärung dafür. Yola spielte gern.

«Und was nun?«fragte Walt.

«Ich fahr’ hin und seh’ mich mal um.«

«Allein?«In seiner Stimme klang eine gewisse Unruhe mit. Ich interpretierte das so, daß er nicht allein mit Eunice in Santa Barbara zurückbleiben wollte.

«Sie werden hier gebraucht«, besänftigte ich ihn.»Sagen Sie auf keinen Fall, wohin ich gefahren bin.«

Er sah mich böse an.»Natürlich nicht.«

Wir fuhren mit dem Mietwagen zur Orpheus-Farm hinaus. Dort zeigte ich ihm, wo ich den Empfänger zwischen drei Steinen versteckt hatte. Die Antenne ragte aus dem dichten Gebüsch. Die nächste der sauber eingezäunten Koppeln war ein paar Schritte entfernt, bis zum Haus waren es ungefähr hundert Meter. Wir nahmen das Radio mit und parkten den Wagen in einiger Entfernung am Straßenrand.

«Und wenn er uns jetzt sieht?«Walt schaute mir zu, wie ich das Tonband zurücklaufen ließ.

«Dann wird er nur denken, daß wir routinemäßig die Farm beobachten, um einen günstigen Augenblick abzupassen, an dem wir Moviemaker holen können. Der Empfänger hier hat eine Reichweite von mindestens einer Viertelmeile, aber darüber hinaus wird der Empfang schlecht. Das Ding arbeitet mit Luftschwingungen. Da ist die Verstärkung nicht so gut wie bei einem elektronischen System. Kennen Sie sich damit aus?«

«Mit Abhörgeräten?«Er schüttelte den Kopf.»Damit haben wir nur selten zu tun. Telelinsen sind besser. Da erwischt man oft einen Klienten, der munter mit seinen gelähmten Beinen spazierengeht. «Seine Stimme klang zufrieden. Er war wie ich ein Vollblutjäger.

Lächelnd schaltete ich das Gerät ein. Mit allen Unterbrechungen dauerten Culham James’ Gespräche eine dreiviertel Stunde, aber es kam nichts Brauchbares dabei heraus. Ich ließ das Band wieder zurücklaufen, dann versteckten wir den Empfänger an seinem alten Platz. Walt erklärte sich bereit, nach Einbruch der Dämmerung herzufahren und abzuhören, was tagsüber aufgezeichnet worden war.

Danach fuhr er mich zum Flughafen nach Los Angeles. Ich erwischte die nächste Maschine nach Las Vegas und landete dort am frühen Nachmittag. Als die Türen der Maschine geöffnet wurden, schlug uns die Wüstenhitze wie aus einem Backofen entgegen. Der Autoverleiher am Flughafen versicherte mir, das sei schon eine recht ungewöhnliche Hitzewelle, aber im Juli müsse man eben mit so was rechnen. Er vermietete mir einen unauffälligen Pontiac, der diesmal allerdings Klimaanlage hatte. Ich fuhr eine Weile in der Gegend herum, dann sah ich mir den Pittsville Boulevard aus der Nähe an.

Die hohen Nummern reichten bis zwei Meilen außerhalb der Stadt. Es waren teuer aussehende Häuser an einer Betonstraße und mit der Wüste dicht im Rücken. Clives Haus hatte zu beiden Seiten Nachbarn, nicht gerade bedrängend, aber viel zu nahe, um hier ungesehen ein paar Pferde unterbringen zu können. Yola hatte schon recht: >Pitts< war nicht der geeignete Platz für die Hengste.

Das Haus selbst war niedrig und weiß gestrichen. Es hatte ein Flachdach und war von Palmen und Orangenbäumen flankiert. Moskitonetze und Fliegengitter ließen die Fenster blind erscheinen, und das Gras zu beiden Seiten hatte die Färbung von ausgetrocknetem Biskuit. Es war nicht frischgrün vom

Wasser wie bei den Nachbarn. Ich parkte den Wagen auf der anderen Straßenseite und schaute mich um. Unter der sengenden Sonne regte sich kein Blatt. Zehn Minuten krochen dahin, und nichts regte sich auf der ganzen Straße. Nachdem ich den Motor ausgeschaltet hatte, kletterte im Wagen die Temperatur in die Höhe wie die Preise vor Weihnachten. Ich ließ den Motor wieder an, atmete dankbar den ersten kühlen Atemzug der Klimaanlage ein und machte mich wieder auf den Weg.

Eine Meile hinter dem Clive-Haus endete die feste Straßendecke. Die Straße verlor sich als staubig-grauer Strich in der Wüste. Ich wendete und fuhr, tief in Gedanken versunken, zurück. Da es sich praktisch um eine Sackgasse handelte, ließ sich die Ruhe um das Haus der Clives erklären. Das bedeutete aber auch, daß ich nicht allzuoft vorbeifahren durfte, wenn ich nicht die Nachbarn mißtrauisch machen wollte. Allerdings brachte es mich auch nicht weiter, wenn ich ein scheinbar leerstehendes Haus überwachte.

Das fünfte Haus nach der Stadtmitte zu hatte genauso braunes Gras wie das der Clives. Ich verließ mich einfach darauf, daß die Bewohner weit weg waren, fuhr den Pontiac zielbewußt bis an die Haustür und stieg aus. Ich war von Walt mit einigen Fachausdrücken aus der Versicherungsbranche gewappnet und drückte gut zwanzig Sekunden lang auf die Klingel. Niemand kam. Alles war ruhig, heiß und tot.

Langsam schlenderte ich den Fahrweg zwischen den Palmen entlang bis vor zur Straße. Von dort aus schaute ich zurück. Den Wagen konnte man hinter den Büschen nicht sehen. Zu Fuß wanderte ich zu Clives Haus zurück und bemühte mich, wie ein Mensch auszusehen, der nichts weiter vor hat als der normalen Beschäftigung bei einer Hitzewelle nachzugehen: Spazierengehen. Schon nach wenigen Schritten war mir klar, warum das bei diesem Wetter eben nicht der normale Zeitvertreib war. Der Schweiß trocknete auf meiner Haut, ehe er sich zu Tropfen formen konnte.

Die Erkundung des Hauses nahm eine Stunde in Anspruch. Alles war verschlossen, es war offenbar niemand da. Auch die Fenstergitter waren fest verriegelt, das Glas war von innen mit Jalousien zusätzlich geschützt, und ich konnte nicht hineinsehen. An den Türen befanden sich Sicherheitsschlösser. Die Clives hatten streunenden Einbrechern das Eindringen in ihr Haus so gut wie unmöglich gemacht.

Vorsichtig durchstöberte ich den Morgen Land hinter dem Haus. Palmen und Büsche schützten den blattförmigen Swimmingpool vor den Blicken neugieriger Nachbarn, aber von einigen Stellen aus konnte man die Schwimmbecken der Nachbarhäuser in einer Entfernung von ungefähr siebzig oder achtzig Schritten erkennen. Neben einem der Swimmingpools lag regungslos eine Frau in gelbem Bikini, die mich an Eunice erinnerte. Sie riskierte einen Hitzschlag und zog sich eine so tiefe Bräune zu, daß man sie in Südafrika sicherlich in eine andere Bevölkerungsgruppe eingeordnet hätte. Nun bewegte ich mich noch vorsichtiger, aber sie bemerkte mich nicht.

Die hintere Begrenzung des Grundstücks war durch weißgestrichene Steine markiert. Wüstenbüsche und Kakteen wuchsen zu beiden Seiten der Grenze. Bruder und Schwester konnten aus ihren Fenstern einen weiten Landstrich überblicken, bis hinein in die Hügel der Wildnis. Zwei Meilen nach der anderen Seite zu wetteiferten Neonlichter mit der Mittagssonne, und der Lärm der Spielautomaten übertönte fast noch den Straßenverkehr. Ich fragte mich unwillkürlich, welcher Anteil von Onkel Barks dunklen Geschäften in die Taschen von Matt und Yola wanderte und wieviel davon wiederum in den gierigen Schlitzen der Automaten von Las Vegas verschwand. So kamen die Deckgebühren in Umlauf, und der einzige Geprellte war die >Buttress<-Versicherung.

Auf dem Rückweg zum Motel hielt ich an jedem Supermarkt an, den ich sah. Überall kaufte ich zwei Dreipfundtüten Mehl.

In einem Haushaltwarengeschäft erstand ich eine kurze

Leiter, einen weißen Overall, eine weiße Schildmütze, Bürsten und Pinsel und eine große Dose gelber, schnelltrocknender Farbe.

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