Lynnie und Eunice plauderten während des Essens in bester Laune miteinander, und ich saß schweigend daneben und machte Pläne für den nächsten Tag. Ich hörte ihnen gar nicht zu. Nach dem Kaffee sagten wir uns höflich gute Nacht; um elf Uhr fuhr ich zur Orpheus-Farm, legte ein neues Tonband in das Gerät ein und brachte das bespielte mit zurück.
Als ich es gerade abhörte, kam Walt zu mir ins Zimmer. Wir lauschten beide, wie Culham James Offen sich erst mit Matt und dann mit Yola unterhielt.
Für uns war Yola die ergiebigere Quelle; denn ihre hohe, weibliche Stimme klang scharf aus dem Hörer. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Onkel Bark ihn ein Stück vom Ohr weghielt, um seine Trommelfelle zu schonen.
Er tat sein Bestes, sie zu beruhigen.»Matt meint, es hätte schlimmer kommen können. Einige von diesen Vandalen haben in anderer Leute Häuser sogar mit Sirup und Einmachgläsern um sich geworfen.«
«Er sagt, der ganze Fußboden sei mit Mehl bedeckt. Es wird Wochen dauern, bis alles wieder sauber ist.«
«Mit dem Staubsauger geht das doch ganz einfach, wie? Mehl klebt nicht und macht keine Flecken.«
Aber sie war nicht zu beruhigen, auch dann nicht, als er ihr versicherte, das Geld sei in Sicherheit, und ihr Nerzmantel sei nicht gestohlen worden.
Sie jammerte:»Aber Matt sagt, er sei ganz weiß gewesen.«
«Das Mehl läßt sich herausbürsten. Vielleicht wird er davon noch sauberer.«
«Du verstehst das alles nicht.«
«Doch, Yola«, sagte er geduldig.»Du hast das Gefühl, daß man dich und nicht dein Haus beleidigt hat. Du fühlst dich beschmutzt und bist wütend und möchtest den Kerl, der das getan hat, am liebsten ohrfeigen. Sicher weiß ich das. Als deine Tante Ellen noch lebte, wurde bei uns auch einmal eingebrochen. Alle ihre Ringe wurden gestohlen, und sie sagte, das sei wie eine Vergewaltigung.«
Sie redeten noch eine ganze Weile über den Einbruch. Mit hochgezogenen Augenbrauen bemerkte Walt, ich hätte mich für den Schlag auf den Kopf ganz schön gerächt. Als Offen Feierabend machte, gähnten wir alle beide. Während der letzten halben Stunde hörten wir nur noch, wie er seinem Hausboy Anweisungen erteilte. Nichts davon verriet Besorgnis oder Unsicherheit. Culham James war sehr selbstsicher, und das freute mich. Besorgte Leute sind doppelt auf der Hut.
Walt ging schlafen. Obgleich ich in der vergangenen Nacht überhaupt nicht geschlafen hatte, wachte ich nach drei Stunden schon wieder auf. Die farbigen Lichter vor dem Motel warfen bunte Lichtflecke auf die Decke meines Zimmers. Ich starrte sie an und versuchte, sie in meiner Vorstellung zu Formen und Bildern zusammenzufügen. Ich wandte jeden noch so dummen Trick an, um meinen Verstand vor einem Kopfsprung in den dunklen Abgrund zu bewahren. Der nicht abgeschlossene Fall kümmerte mich kaum noch, und es schien mir völlig unwichtig, ob Allyx oder Showman jemals wieder Nachkommenschaft zeugten oder nicht. Betrug, Diebstahl, Mordversuch — welche Rolle spielte das schon?
Ich hatte meine Parabellum mit dem Halfter auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers liegengelassen. Weder von den Clives noch von Offen erwartete ich, daß sie sich mitten in der Nacht anschlichen, mich zu erledigen, und meine anderen Feinde waren sechstausend Meilen weiter östlich zu Hause. Nur von mir selbst drohte mir Gefahr. Ich war mein gefährlichster Feind. Die Theorie, daß die magische Versuchung dahinschwinden würde, wenn ich beim Schlafengehen die Pistole außer Reichweite deponierte, erwies sich als trauriger Irrtum.
Noch ein Tag, dachte ich schließlich. Einen einzigen Tag noch — das mußte doch zu schaffen sein. Wenn man sich das Nacht für Nacht überzeugend genug einredet, schafft man es vielleicht sogar bis ans Ende.
Die Dämmerung schob sich über die bunten Lichter und wusch die Farbeffekte weg. Ich duschte und rasierte mich. Als ich in den Spiegel schaute, mußte ich zugeben, daß ich schon besser und gesünder aussehende junge Männer gesehen hatte.
Walt betrat mein Zimmer, als ich mich um 8.30 Uhr gerade mit Orangensaft und Kaffee beschäftigte. Er warf einen Blick auf mein Frühstück und meinte:»Was Sie brauchen, ist eine ordentliche, solide Mahlzeit.«
«Ich hab’ keinen Hunger.«
Sein Blick wanderte für eine Sekunde über mein Gesicht.»Kommen Sie mit herunter, wir frühstücken gemeinsam.«
Ich schüttelte den Kopf.»Ich warte hier auf Sie.«
Er wollte allein nicht gehen. So bestellte er bei der Zimmerbedienung heiße Pfannkuchen, Eier und Kaffee. Während er sie vertilgte, kamen wir zum geschäftlichen Teil.
«Sani Hengelman wird bis Kingman zweieinhalb Tage brauchen«, sagte ich.
Er nickte mit vollem Munde.
«Er ist heute schon früh abgefahren«, fuhr ich fort.»Ich habe ihn gestern, nachdem Sie von Las Vegas durchgekommen waren, noch angerufen. Er fährt den Pferdetransporter selbst und kommt allein. Das bedeutet eine längere Fahrzeit, aber es erschien aus Gründen der Geheimhaltung als sicherer.«
«Haben Sie ihm gesagt, daß es um einen weiteren Diebstahl geht?«fragte Walt zweifelnd.
Ich lächelte.»Ich habe ihn beauftragt, hier ein Pferd abzuholen, das Dave Teller gehört. Er fragte, ob wir diesen Gaul wohl wieder mitten in der Nacht an einer einsamen Stelle einsammeln müßten, und ich antwortete, ja, wahrscheinlich.«
«Und er machte keinen Rückzieher?«
«Er hat nur eine Bemerkung fallengelassen, daß er gegen ein paar Dollar Aufschlag nichts einzuwenden habe, solange ich dafür sorge, daß er nicht ins Gefängnis muß.«
Walt wischte sich etwas Ei vom Kinn.»Droht ihm das?«
«Ich konnte ihm nicht das Gegenteil versprechen. Die Chancen stehen tausend zu eins, sagte ich ihm. Er meinte, tausend Dollar gegen eine Chance, ins Gefängnis zu müssen, seien ihm nicht gut genug.«
Walt lachte.»Und wieviel wollte er haben?«
«Fünfzehnhundert plus das normale Honorar plus alle Auslagen.«
«Nicht schlecht für eine einzige Woche. «Er rührte in seiner Tasse und fragte dann beiläufig:»Was ist denn für Sie selbst drin?«
«Für mich?«fragte ich überrascht.»Keine Ahnung. Drei Wochen Hitze anstelle des berühmten englischen Sommers…«
«Haben Sie kein Honorar ausgehandelt?«
«Nein.«
«Warum denn nicht?«
«Ich hab’ nicht daran gedacht.«
Die widersprechendsten Gefühle malten sich auf seinem Gesicht ab. Zuletzt schienen Erstaunen und Mitleid die Oberhand zu behalten.
«Und wie steht’s mit Ihnen?«fragte ich.
«Ich bin nicht im Urlaub«, erklärte er.»Ich beziehe ein recht anständiges Gehalt und bekomme einen Anteil der Summen, die ich der Gesellschaft einspare.«
«Bei Chrysalis haben sich die Überstunden also gelohnt?«
«Soll das ein Witz sein — bei eineinhalb Millionen?«Walt sah mich todernst an.»Hören Sie, Gene, ich gebe Ihnen die Hälfte meines Anteils…«
«Behalten Sie’s für Ihre Kinder«, unterbrach ich ihn.
«Aber trotzdem vielen Dank für das Angebot.«
Er drang weiter in mich, aber ich hörte ihm einfach nicht zu. Nach zwei weiteren Versuchen gab er es auf. Während ich ihm Vorschläge wegen unserer nächsten Maßnahmen machte, hielt sich hartnäckig im Hintergrund meines Gehirns der Verdacht, daß ich sein großmütiges Geschenk nur deshalb ausgeschlagen hatte, weil es eine egoistische Verschwendung gewesen wäre, wenn ich keine Gelegenheit mehr gefunden hätte, es auszugeben. Ich hatte wieder ein paar Stricke zerschnitten, mit denen mein Gewissen mich ans Leben zu fesseln suchte. Die todsuchende Kraft in mir regte sich wieder einmal.
«Eine Zangenbewegung, würde ich sagen. Oder vielmehr ein gleichzeitiger Zweifrontenangriff.«
«Wie?«
«Culham James Offen muß seine Aufmerksamkeit auf die beiden Pferde konzentrieren, die er auf seiner Farm stehen hat
— Moviemaker und Centigrade. Unterdessen lassen wir die beiden anderen verschwinden.«
«Prima!«stimmte mir Walt zu.
«Sie können Offen übernehmen«, sagte ich.
«Und Sie die Pferde?«
Ich nickte. Walt überlegte, wie es wohl wäre, wenn wir die Rollen tauschten, dann erhob er keinen Einwand mehr.
«Könnte man vielleicht herausbekommen, bei welcher Gesellschaft Matt das Haus in Las Vegas versichert hat?«
Walt überlegte.»Das kann unser dortiger Agent vielleicht feststellen. Aber warum?«
«Ich — hm — ich würde die Pferde dort lieber holen, wenn ich Matt in sicherer Entfernung wüßte.«
Walt lächelte.
Ich fuhr fort:»Es könnte also nicht allzu schwierig sein, ihn zur Rückkehr in das Haus am Pitts zu veranlassen. Seine Versicherung könnte ihn beispielsweise ersuchen, die Sicherheitsvorkehrungen dort zu überprüfen oder irgendwelche Dokumente zu unterzeichnen, ehe sie wieder die volle Deckung übernimmt. Aus den Telefongesprächen mit Offen wissen wir, daß Matt und Yola dort einen Safe mit einer Menge Geld drin haben. Nach dem einen Einbruch wird Matt sicherlich nicht eine Minute lang ohne Versicherung sein wollen.«
«Das können wir von seiner Versicherung nicht verlangen…«:, begann Walt und sah mich argwöhnisch an.
«Sehr richtig. «Ich nickte.»Sie können es aber. Sie sind firm im Fach. Sobald wir von Sam Hengelman erfahren, daß er die Grenze von Arizona erreicht hat, lassen Sie Ihre Tricks auf Matt los.«
«Von hier aus?«
«Ja. Erkundigen Sie sich, welche Zeit ihm passen würde, aber versuchen Sie, ihn am späten Nachmittag oder am frühen Abend kommen zu lassen, sagen wir, zwischen sechs und sieben Uhr. Dann ist es schon dunkel, wenn er wieder nach Hause kommt. Und spät. Es wird ihn ein wenig aufhalten, wenn er den Verlust der Pferde bemerkt. Vielleicht legt er sogar in Las Vegas eine Pause ein und spielt ein paar Stunden.«
Walt meinte nachdenklich:»Ich glaube, ich fahre lieber zum Pittsville-Haus und treffe mich dort mit ihm.«
«Nein«, widersprach ich hart.
Er sah mich an.»Daran haben Sie also auch schon gedacht?«
«Sie werden nirgendwo hinfahren, wo Matt Clive in der Nähe ist.«
«Und warum nicht?«
«Wollen Sie sich vielleicht den Schädel einschlagen lassen?«
«Das wäre mir ebenso lieb wie Bauchschmerzen. «Er lächelte immer noch.»Aber was geschieht, wenn Matt dort aufkreuzt und kein Versicherungsmann läßt sich blicken? Was würden Sie dann tun? Wahrscheinlich die Versicherungsgesellschaft anrufen. Er stellt fest, daß bei der Gesellschaft niemand etwas von einer Verabredung in seinem Haus weiß, und er denkt krampfhaft nach. Ich an seiner Stelle würde sofort die zuständige Polizeidienststelle anrufen und auf dem schnellsten Weg ein paar Beamte zum Nachschauen auf die Farm schicken. Sie haben die Straße nicht gesehen, die von Kingman hinführt — aber ich! Die letzten zehn Meilen bis zur Farm gibt es keine Abzweigungen und keine Nebenwege. Was geschieht, wenn Sie und Sam Hengelman — mitsamt den zwei gestohlenen Pferden — nun der Polizei in die Arme rennen?«
«Er wird es nicht riskieren, die Polizei anzurufen.«
«Er wird sich vielleicht sagen, wenn er schon alles verliert, dann sollen Sie auch mit drinhängen. Und das zu Recht!«
Mein Instinkt sagte mir, daß ich auf jeden Fall ein Zusammentreffen zwischen Walt und Matt Clive verhindern mußte.
«Und wenn er sich auf eine so späte Verabredung nicht einläßt?«fuhr er fort.»Ich gebe zu, die meisten Leute in der Versicherung wären dann schon gegangen, und er könnte kaum etwas nachprüfen. Aber wenn er nun auf drei Uhr nachmittags oder dem nächsten Morgen besteht? Wollen Sie die Pferde am hellen Tage stehlen?«
«Nicht gern. Aber er braucht mindestens zwei Stunden hin und zwei zurück. Rechnen Sie eine weitere Stunde Wartezeit hinzu. Selbst wenn er die Polizei anruft, kann er das frühestens drei Stunden nach seiner Abfahrt zu Hause tun. Dann sind wir mit den Pferden schon zwei Stunden unterwegs.«
Walt schüttelte stur den Kopf.»Das ist zeitlich zu knapp. Auf den schlechten Straßen schafft ein Pferdetransporter höchstens dreißig Meilen in der Stunde, wenn überhaupt so viel. Sie müssen bis Kingman, das ist Kentucky genau entgegengesetzt, dann quer durch Arizona. Dieser Staat hat nicht viele gute Straßen, er besteht größtenteils aus Wüste. Die Polizei würde Sie dort allzu leicht finden.«
«Runter nach Phoenix.«
«Die Straße nach Phoenix windet sich in Haarnadelkurven durch die Berge.«
«Ich will aber nicht, daß Sie sich in einem leeren Haus mit Matt Clive treffen.«
Er sah mich ausdruckslos an.»Aber Sie würden hingehen. Ich meine, wenn er Sie nicht kennen würde.«
«Das ist etwas anderes.«
«Inwiefern?«fragte er halb gekränkt, halb herausfordernd.
Ich sah ihn von der Seite an.»Ich wette, ich kann schneller laufen als Sie.«
Die Falten verschwanden von seiner Stirn.»Zugegeben, Sie sind in recht guter körperlicher Verfassung. Trotzdem fahre ich nach Las Vegas.«
Mit Sicherheit konnte ich ihm nun nicht mehr kommen. Von jedem anderen Gesichtspunkt aus war die Idee gut. Am Ende gab ich entgegen meinem Instinkt nach.
«Ich verziehe mich morgen und sehe mir die Farm hinter Kingman an«, sagte ich.»Sie könnten wohl nicht nachsehen, ob sich dort außer den beiden Pferden, hinter denen wir her sind, noch weitere befinden?«
Er hob verdutzt den Kopf.»Meinen Sie, es könnte wieder Schwierigkeiten mit der Identifizierung geben?«
«Vielleicht. Ich möchte allerdings als sicher annehmen, daß unsere beiden Tiere die Zuchtbuchnummern von Moviemaker und Centigrade im Maul eintätowiert haben. Stallmeister, die sie ansehen kommen, würden sich sonst nicht davon überzeugen lassen, daß ihre Stuten von den richtigen Hengsten beschält wurden. Aber ich habe Allyx und Showman noch nie gesehen. Wenn dort noch andere Pferde sind, dann müssen wir einfach von einem zum anderen gehen und ihnen allen ins Maul schauen.«
Walt sandte einen verzweifelten Blick gen Himmel.
«Wenn Sie das sagen, dann klingt alles so verdammt einfach. Zum Gipfel des Everest sind’s schließlich nur gut acht Kilometer oder fünf Meilen — und fünf Meilen kann man bequem Spazierengehen, wie?«
Lächelnd erkundigte ich mich nach der genauen Lage der Farm. Er beschrieb mir den Weg.
«Und nun die andere Seite«, fuhr ich fort.»Haben Sie irgendwelche Beziehungen zum Betrugsdezernat in Los Angeles?«
«Kaum. Ich kenne dort niemanden.«
«Aber die Firma >Buttress< steht doch hinter Ihnen?«
Er seufzte.»Sie möchten also, daß ich hingehe und behutsam vorfühle?«
«Nicht nur das. Sie sollen versuchen, bis zum obersten Boss vorzudringen und ihm klarzumachen, die >Buttress<-Ver-sicherung hege den Verdacht, daß es sich bei Moviemaker und Centigrade um Allyx und Showman handelt. Bringen sie alles hübsch durcheinander. Zwingen Sie Offen dazu, eindeutig nachzuweisen, daß die beiden Pferde auf der Orpheus-Farm tatsächlich Moviemaker und Centigrade sind.«
Er nickte.»Okay, das nehme ich mir gleich heute morgen vor. Dabei muß ich allerdings aufpassen, denn Offen hängt uns sonst eine Klage wegen übler Nachrede an, bevor wir wissen, wie uns geschieht.«
«An so etwas dürften Sie doch gewöhnt sein.«
«Hm — ja.«
Ich gab ihm die Seite, die Miss Britt in Lexington für mich getippt hatte.
«Das sind die Angaben. Die kann niemand anzweifeln, nicht einmal Offen. Das wird Ihnen vielleicht nützlich sein, wenn Sie den Beschützern des Rechts auf die Sprünge helfen.«
Er nickte und schob das Blatt Papier in seine Brieftasche. Kurz danach wuchtete er sich mit seinem üblichen Märtyrerstöhnen aus dem Sessel und marschierte davon.
Ich dachte noch eine Weile nach, aber mir fiel nichts Neues mehr ein. Während der nächsten Tage konnte ich nicht viel mehr tun als warten und die Augen offenhalten, bis Sam Hengelman quer durch den ganzen Kontinent zweitausend Meilen weit angerollt kam.
Als ich zum Mittagessen nach unten ging, saßen Eunice und Lynnie in leichten bunten Sommerkleidern im Schatten der Seeterrasse. Ihr Haar schimmerte sorgsam frisiert, ihre großen Ohrringe wippten sanft, ihre Beine waren glatt und sonnenbraun, das Weiß ihrer Augen konnte einer Waschmittelreklame entstammen.
Ich konnte ihnen nicht die Aufmerksamkeit widmen, die ihnen eigentlich gebührte; denn neben ihnen saß — genauso gepflegt und gelassen wie die beiden — Culham James Offen alias Onkel Bark.
Alle drei waren leicht betroffen, als ich mich auf dem vierten Stuhl an dem kleinen runden Tisch niederließ, auf dem ihre kalten Getränke in beschlagenen Gläsern standen.
Offen und ich nickten einander kurz zu. Er hatte immer noch die überlegene, leicht amüsierte Art an sich, mit der er mich in seinem Haus behandelt hatte. Lynnie lächelte mir ermutigend zu, allerdings erst nach einem raschen Seitenblick auf Eunice, um festzustellen, daß diese den winzigen Verrat nicht wahrnahm. Aber Eunice begegnete mir mit einem Ausdruck, der deutlich sagte: Ich bin die Frau deines Brötchengebers. Sie hatte den Abend im rosa Bademantel wohl nicht vergessen, nahm ich an. Ich auch nicht.
«Wir haben gedacht, Sie seien mit Walt nach Los Angeles gefahren«, sagte Lynnie.
Eunices durchdringender Seitenblick entging ihr.»Wir haben Mr. Offen rein zufällig hier in der Halle getroffen. Ist das nicht seltsam?«
«Sehr seltsam«, stimmte ich ihr zu.
Offen hob und senkte flüchtig die weißen Augenbrauen. So ganz konnte er seine Verlegenheit doch nicht meistern.
«Es war mir auf jeden Fall ein Vergnügen«, sagte er,»Sie alle etwas näher kennenzulernen. «Damit wandte er sich jedoch ausschließlich an Eunice.
Sie erwärmte sich rasch wieder an dem Charme, den er eigens für sie hervorzauberte. Für mich hatte sie nur die Andeutung eines verächtlichen Blickes übrig, der mir deutlich sagte: Wie konnte ich es nur wagen, einen so netten und einflußreichen Ehrenmann für einen Gauner zu halten?
«Wie geht’s eigentlich Matt und Yola?«erkundigte ich mich im Plauderton.
Offen zuckte sichtlich zusammen. Eine frostige Stimmung breitete sich aus. Ich fuhr in wohlwollendem Ton fort:»Wirklich reizende junge Leute. Ihre Nichte und Ihr Neffe, wie ich annehme?«Dabei bemerkte ich, wie Eunice sich offenbar an das erinnerte, was Dave zugestoßen war, vielleicht sogar an Walts Bericht über das Attentat der beiden auf mich.
Am wenigstens eindrucksvoll in Offens weißgerahmtem, braungebranntem Gesicht waren seine blaßblauen Augen, in denen ich einen Anflug von Müdigkeit las. Ich fragte mich, ob ich sein inneres Gleichgewicht vielleicht zu sehr zerstört hatte, indem ich Eunice an die herbe Wirklichkeit erinnerte.
«Die beiden möchten Sie nur allzu gern wiedersehen«, sagte Offen langsam und mit einem so bösartigen Unterton, daß in Eunice der Glaube an das glatte, menschenfreundliche Äußere dieses Herrn deutlich zerstört wurde.
«Erwarten Sie die beiden in den nächsten Tagen?«fragte ich und ließ eine winzige Spur von Besorgnis erkennen.
Er verneinte. Schlagartig war sein amüsierter Unterton wieder da. Es war mir gelungen, ihn davon zu überzeugen, daß ich seine Pferde nun bald von der Orpheus-Farm entführen wollte. Kurz darauf erhob er sich mit einem energischen Ruck, schenkte Eunice ein strahlendes Lächeln, Lynnie ein etwas verhalteneres und mir ein hinterhältiges. Mit gewichtigen Schritten verließ er die Halle.
Nach einer langen Pause sagte Eunice rundheraus:»Ich fürchte, in diesem Kerl habe ich mich doch getäuscht.«
Wir aßen schön zu Mittag und verbrachten den Nachmittag am Strand unter einem fransenbesetzten Sonnenschirm. Der blaue Pazifik rauschte zu unseren Füßen auf den Strand. Draußen auf der Dünung ritten Jungen auf ihren Wellenbrettern, und neben mir lag die kleine Lynnie flach auf dem Bauch und stöhnte vor Wohlbehagen.
«Ich wünschte mir nur, es könnte immer so sein«, sagte sie.
«Ich auch.«
Eunice lag auf der anderen Seite von Lynnie. Sie stützte sich auf einen Ellbogen.»Ich gehe schwimmen«, sagte sie.
«Wer kommt mit?«
«Gleich«, antwortete Lynnie faul. Eunice ging allein weg.
Wir schauten ihrer straffen, gutgeformten Gestalt nach, wie sie zum Strand hinunterging. Lynnie sprach dann aus, was ich dachte:»Sie trinkt kaum noch.«
«Ihre Gesellschaft tut ihr gut.«
«Und ob!«Sie lachte leise und räkelte sich wie eine Katze.»Ist diese Wärme nicht einfach herrlich?«
«Mhm.«
«Woher haben Sie eigentlich all die Narben?«
«Löwen, Tiger und Blinddarm.«
Sie schnaubte.»Wollen wir auch schwimmen?«
«Gleich. Worüber haben Sie und Eunice mit Offen geredet, bevor ich dazukam?«
«Ach…«Es klang gelangweilt.»Er wollte wissen, was Sie treiben. Eunice erzählte ihm, Sie und Walt brüteten etwas aus, aber sie wisse nicht, was. Und — ach ja! — er wollte noch wissen, ob Walt wirklich ein Versicherungsagent sei, und Eunice bestätigte es ihm. Er hat noch mehr über Sie gefragt. Worin Ihre Aufgabe besteht, was Sie hier bei uns zu suchen haben und so weiter.«
«Hat Eunice ihm gesagt, daß ich sie gebeten habe, ihm das Foto absichtlich zu zeigen? Hat sie ihm gesagt, daß ich sicher bin, die beiden Pferde auf der Orpheus-Ranch seien wirklich Moviemaker und Centigrade?«
Lynnie schüttelte den Kopf.
«Ganz sicher?«
«Völlig sicher. Wäre das schlimm gewesen?«
«Nein, aber katastrophal.«
«Dann machen Sie sich keine Sorgen. Er war nur etwa eine Viertelstunde da, ehe Sie dazukamen. Eunice hat ihm nur gesagt, Sie seien — hm, es waren tatsächlich ihre eigenen Worte
— ein verdammter kleiner Büroangestellter auf Urlaub. «Lynnie lachte.»Sie sagte, ihr Mann habe Ihnen sein Leben zu verdanken, und deshalb bezahle er Ihre Rechnung hier. Ansonsten interessierten Sie sich für nichts anderes als für ein bestimmtes Mädchen in San Francisco.«
Ich schaute zur Brandung hinunter, wo immer wieder Eunices Kopf auftauchte. Dabei fragte ich mich, ob sie ihm diese gerissenen Antworten bedacht, aus Überlegung oder nur aus Gemeinheit gegeben hatte.
«Wie sieht sie eigentlich aus?«fragte Lynnie.
«Wer?«
«Das Mädchen in San Francisco?«
«Da fragen Sie lieber Walt. «Ich drehte mich zu ihr um.
«Er hat sie erfunden.«
Es verschlug ihr den Atem, dann lachte sie laut auf.»Du liebe Zeit! Dann… ich meine, was haben Sie denn in Wirklichkeit dort gemacht?«
«Hm, das ist etwas, was Eunice dem lieben Culham Offen besser nicht erzählen sollte.«
Sie sah mich sekundenlang unverwandt an. Um wieviel selbstsicherer ist sie doch als damals bei jenem Ausflug auf der Themse, dachte ich. Damals war sie noch ein Kind.
«Ist das der Grund, warum Sie uns praktisch überhaupt nichts verraten haben? Vertrauen Sie ihr nicht?«
«Sie wollte die Pferde nicht wiederhaben.«
Lynnie blinzelte.»Aber sie wird doch nicht — sie wird Ihnen doch nicht absichtlich einen Strich durch die Rechnung machen. Schließlich tun Sie doch alles für ihren Mann.«
Ich lächelte. Sie setzte sich plötzlich auf und schlang die Hände um die Knie.»Neben Ihnen komme ich mir so naiv vor.«
«Ich bewundere Sie«, sagte ich.
«Und jetzt machen Sie sich auch noch über mich lustig.«
Ich wollte ihr ganz spontan sagen, daß ich sie liebte, aber ich war nicht sicher, ob das auch wirklich stimmte. Vielleicht wollte ich nichts weiter als ein Gegenmittel, das mir half, meine Depression zu bekämpfen. Sie war die beste Medizin, die ich finden konnte.
«Ich muß morgen früh wieder fort«, sagte ich,»San Francisco?«
«Ungefähr diese Gegend.«
«Für wie lange?«
«Zwei Nächte.«
«Es ist Ihre letzte Woche«, sagte sie und schaute aufs Meer hinaus.
Unwillkürlich kam mir der Gedanke: Wenn’s doch nur so wäre! Aber ich schüttelte heftig den Kopf, als könnte man damit einen bösen Gedanken verjagen. Dann stand ich gemächlich auf.
«Heute sind wir jedenfalls noch hier«, sagte ich lächelnd.»Kommen Sie, wozu ist das Wasser denn da?«
Walt kam um sieben Uhr abends zurück. Er konnte die Beine kaum noch heben und brachte einen furchtbaren Durst mit.
«Die Herren in der Staatsanwaltschaft skalpieren mich, wenn sie dahinterkommen, daß wir sie nur ausnutzen«, sagte er düster, nachdem er sich in meinem Zimmer niedergelassen hatte.»Zwei waren bereit, morgen zur Orpheus-Farm hinauszufahren. Ich treffe mich mit ihnen an der Ausfallstraße und zeige ihnen den Weg. Übermorgen fährt jemand vom Amt hin, bei dem die Zuchtpferde registriert sind. Die Staatsanwaltschaft hat das für mich vereinbart.«
«Ausgezeichnet!«
Walt lud seine leergelaufenen Batterien mit Whisky auf und fragte:»Und was gibt’s bei Ihnen Neues?«
«Offen hat hier herumgeschnüffelt.«
«Was hat er?«
«Er kam her und stellte verschiedene Fragen. Eunice hat ihm ein paar prächtige Antworten verpaßt, die ihm auch nicht weiterhelfen. Er ging in dem festen Glauben wieder weg, daß wir in Kürze erneut bei ihm auf der Matte stehen werden.«
«Wahrscheinlich wollte er herausfinden, ob wir die ganze Sache abblasen und nach Hause fahren«, vermutete Walt,»und ob er es wagen konnte, die Pferde wieder zurückzuholen. Er hat seit Tagen nichts mehr von uns gespürt. Das muß für ihn ein Gefühl sein, wie wenn er auf einer tickenden Wasserstoffbombe sitzt. «Er nahm einen kräftigen Schluck und fuhr sich genießerisch mit der Zunge über die Lippen.»Morgen kriegt er, was er haben will.«
Als er sich müde wegschleppte, um vor dem Dinner noch zu duschen, rief ich Jeff Roots an.
«Wie war’s in Miami?«fragte ich.
«Heiß und scheußlich. Ich hab’ vier Pfund zugenommen.«
Ich bedauerte ihn, bedankte mich für seine Hilfe bei der Zeitung und berichtete ihm, daß Miss Britts Scharfsinn die beiden Hengste aufgespürt habe.
«Am liebsten war’s mir, wenn ich das nicht glauben müßte. Sind Sie auch ganz sicher?«
«Ja.«
Sein Seufzer kam aus tiefstem Herzen.»Dann leiten wir lieber gleich die erforderlichen Maßnahmen.«
«Ich habe schon alles Nötige veranlaßt«, unterbrach ich ihn.»In ein oder zwei Tagen werden wir zwei Pferde in Besitz haben, die bei einer angesehenen Persönlichkeit untergebracht werden müssen, bis ihre Identität einwandfrei geklärt ist. Da sie so lange Zeit verschollen waren, dürfte es ein bis zwei
Monate dauern, bis sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden können. Wo könnte man sie nach Ihrer Meinung unterstellen?«
Nach einer Pause fragte er:»Wahrscheinlich wollen Sie damit anfragen, ob Sie die Hengste zu mir stellen können?«
«Eigentlich nicht«, erklärte ich.»Nach der Sache mit Chrysalis wäre das wohl zuviel des Zufalls. Ich dachte mehr an eine offizielle Stelle — ich weiß nicht, was es in dieser Richtung gibt.«
«Mir wird schon etwas einfallen. «Er hüstelte.»Im Zusammenhang mit der Wiederbeschaffung wird es doch wohl zu keinen Ungesetzlichkeiten kommen?«
«Nicht mehr als bei Chrysalis auch.«
«Das ist keine Antwort.«
«Es dürfte eigentlich keinen Ärger mit der Polizei geben«, sagte ich.
«Damit muß ich mich wohl zufriedengeben. «Er seufzte.»Wann kann ich mit den Hengsten rechnen?«
«Wenn alles glattgeht, werden sie am Sonntag in Lexington eintreffen.«
«Und wenn nicht alles glattgeht?«
«Dann sind Sie allen Ärger los.«
Er lachte.»Und Sie?«
«Auf das kommt’s dann auch nicht mehr an.«