Kapitel 18

Lynnie legte zögernd ihre braungebrannte Hand auf meine und fragte:»Gene, was ist denn los?«

«Nichts«, sagte ich.

«Sie sehen viel schlimmer aus als bei Ihrer Rückkehr mit Chrysalis. Viel schlimmer.«

«Ich vertrage das Essen nicht.«

Sie schnaubte verächtlich und zog die Hand weg. Wir saßen auf der Seeterrasse und warteten auf Eunice, um gemeinsam zu essen. Die Sonne legte ihr letztes Stück Weg bis zur Dämmerung zurück, und in unseren Cocktails klickerten die Eiswürfel.

«Ist Walt schon zurück?«fragte Lynnie.

«Nein.«

«Ein seltsamer Mann, nicht wahr?«sagte sie.»Launen und ein finsteres Gesicht, dann plötzlich lächelt er, und man merkt erst, wie nett er ist. Ich mag ihn wirklich sehr.«

Nach einer langen Pause sagte ich:»Ich auch.«

«Wie war’s in San Francisco?«fragte sie.

«Neblig.«

«Was ist denn los?«

«Nichts.«

Seufzend schüttelte sie den Kopf.

Eunice schwebte in einer Wolke von gelbem Chiffon heran und klimperte mit ihrem goldenen Armband, als sie nach ihrem Glas griff. Ihre strahlende Laune war kaum zu ertragen.

«Na, mein Lieber, wann sind Sie denn gelandet?«

«Heute nachmittag«, antwortete ich.

«Was gibt’s Neues?«

«Ich hab’s aufgegeben, nach den Pferden zu suchen.«

Eunice richtete sich mit einem Ruck auf.»Da soll doch gleich…«

«Ich fliege bald wieder nach Hause. Morgen abend wahrscheinlich.«

«Ach nein«, sagte Lynnie.

«Doch, ich fürchte schon. Mein Urlaub ist vorüber.«

«Sieht nicht danach aus, als ob er Ihnen viel genützt hätte«, bemerkte Eunice.»Und wie werden Sie jetzt damit fertig?«

«Womit?«

«Mit dem Versagen. Damit, etwas nicht geschafft zu haben.«

Mit schiefem Lächeln antwortete ich:»Den Tatsachen ins Auge blicken und sie schlucken.«

«Es wird Sie schon erwischen«, sagte Eunice sarkastisch.»In mir nagt es immer. «Sie trank ihren zweiten Schluck und betrachtete mich gedankenvoll.»Wenn ich es mir recht überlege — ich glaube, Sie hat es schon erwischt.«

«Vielleicht fange ich doch an, Golf zu spielen.«

Sie lachte und war viel gelöster, als ich sie jemals gesehen hatte.

«Spiele sind langweilig«, sagte sie.

Ich brachte es nicht fertig, die beiden zum Essen in den Speisesaal zu begleiten, und fuhr statt dessen zur OrpheusFarm zurück, um mein Tonbandgerät abzuholen. Die kurze Fahrt wurde mir unendlich lang.

Von Kingman zurück nach Santa Barbara waren es fast 450 Meilen, weder ein Bad noch die Rasur, noch die zwei Stunden Ruhe in meinem Zimmer schienen etwas zu nützen.

Ich kehrte in mein Zimmer im >Vacationer< zurück und spielte das ganze Vier stundenband ab. Die ersten

Unterhaltungen und zwei oder drei geschäftliche Anrufe stammten vom letzten Morgen, nachdem Walt ein neues Tonband eingelegt hatte. Dann folgte für die nächsten eineinhalb Stunden ein Gespräch zwischen Offen und einem Mann von der Dienststelle, bei der Vollblüter registriert werden. Sie hatten die Pferde schon besichtigt, und Offen legte einen Beweis nach dem anderen vor, daß die Pferde in seinem Stall tatsächlich echt waren und Moviemaker und Centigrade hießen. Ein Pferdepfleger, der Centigrade während seiner Rennzeit betreut hatte, mußte eine Erklärung unterschreiben, daß er den Hengst erkannt habe und bereit sei, seine Echtheit zu beschwören.

Der Mann vom Zuchtamt entschuldigte sich immer wieder dafür, daß jemand an Offens Ehrlichkeit gezweifelt hatte. Offen schien die ganze Sache unheimlichen Spaß zu machen, ich hörte immer wieder das vergnügte Glucksen in seiner Kehle. Nachdem der Besuch ihn verlassen hatte, lachte er lauthals. Ich freute mich mit ihm. In nächster Zeit würde er nicht mehr viel zu lachen haben.

Die nächste Aufnahme waren Offens Anweisungen an seinen Hauptverwalter, die Alkoholvorräte aufzufüllen, dann folgte eine Stunde Fernsehprogramm. Danach rief Matt an.

Seine Stimme konnte ich nicht hören, nur Offens Antworten, aber die reichten mir.

«Hallo Matt.«

«Langsam, langsam, ich komme nicht mit. Wo bist du jetzt?«

«Was hast du auf der Straße nach Las Vegas zu suchen?«

«Nun, das sehe ich ein, daß das Haus versichert werden muß.«

«Was hast du unter dem Handschuhfach gefunden?«

«Wie willst du denn wissen, daß es ein Sender ist?«

«Diese Minisender sind für mich ein Buch mit sieben

Siegeln.«

«Wer kann ihn da angebracht haben?«

«Ich verstehe das nicht. Wie war das mit der gelben Farbe?«

«Aber die Polizei sagt doch, es waren Vandalen.«

«Schon gut, Matt. Schrei nicht so. Ich gebe mir ja alle Mühe. Also noch einmal: Du greifst nach einer Packung Zigaretten und stößt dabei gegen dieses — Ding. Ja, den Sender. Und jetzt machst du dir Sorgen, daß entweder Hawkins oder Prensela es dir in den Wagen geschmuggelt haben und daß sie dich damit und mit Hilfe der gelben Farbe verfolgen wollten, damit sie immer wissen, wo du bist. Stimmt das?«

«Matt, ich glaube, du machst aus einer Mücke einen Elefanten.«

«Aber hast du denn tatsächlich gesehen, daß dir ein Hubschrauber gefolgt ist?«

«Nun ja, sicher. Wenn du meinst, du sollst zurückfahren, dann fahr zurück. Die Pferde sind viel wichtiger als die Versicherung für das Haus. Aber ich glaube, du irrst dich. Hawkins und Prensela konzentrieren sich die ganze Zeit auf Moviemaker und Centigrade. Sie haben auch den Staatsanwalt in Los Angeles und das Zuchtamt rebellisch gemacht, ich habe die ganzen letzten Tage den reinsten Zirkus hier. Die versuchen gar nicht, woanders die Pferde zu finden, weil sie ganz sicher sind, daß die Hengste bei mir im Stall stehen.«

«Nun, ich weiß doch auch nicht, wer dir den Sender in den Wagen gesteckt hat.«

«Ja, in Ordnung, fahr zurück.«

«Ruf mich morgen früh an.«

«Gute Nacht, Matt.«

Der Hörer wurde auf gelegt, dann hörte ich ein paar Sekunden lang undeutliche Geräusche — Offen murmelte vor sich hin, räusperte sich, brummte und schien mit sich selbst

uneins zu sein.

Ich schaltete das Tonbandgerät aus und machte mir bittere Vorwürfe darüber, daß Matt den Sender gefunden hatte. Ich konnte ihn nicht mehr entfernen. Während meines ersten nächtlichen Besuchs auf der Farm stand in der Garage nur der Mietwagen, während sein eigener von der Farbe gereinigt wurde. Aber ich hätte es auch so als kein großes Risiko betrachtet, da diese kleinen Kapseln sehr leicht sind und sehr fest kleben. Es war schon wirklich ein Zufall, daß er im Dunkeln während der Fahrt nach Zigaretten tastete und zufällig dagegenstieß. Damit konnte ich nicht rechnen.

Irgendwo auf dem Rückweg zur Farm mußte ihm der Gedanke gekommen sein, daß die Verabredung mit dem Versicherungsmann vielleicht ein Ablenkungsmanöver war. Wenn wir ihn schon einmal mit einem Trick nach Las Vegas gelockt hatten, konnten wir es vielleicht ein zweites Mal versuchen. Und wenn wir ihn aus dem Weg schaffen wollten, dann doch nur, um die Pferde zu holen. Also wartete er im Dunkeln wie ein sprungbereites Raubtier.

Als er die drei Stunden warten mußte, die unsere Reparatur an der Dichtung dauerte, mußte er wohl gedacht haben, daß Onkel Bark recht hatte und nicht er. Und dann waren wir am Ende doch gekommen.

Ich schaltete das Tonband wieder ein. Der ganze Rest der Nacht schrumpfte zu zwanzig Sekunden Schweigen zusammen, denn seine nächsten Telefonanrufe tätigte Offen eindeutig am Morgen.

«Hast du von Matt gehört?«

«Nein, er wollte mich heute morgen anrufen, aber ich habe noch nichts gehört. Auf der Farm meldet sich auch niemand.«

«An die Hühner und Kälber dachte ich nicht mehr.«

«Nein, eigentlich nicht. Er rief mich gestern abend an, weil er auf die verrückte Idee kam, Hawkins könnte eine Spur der

Pferde…«

Da hörte ich einen lauten Schrei von Yola.

«Es war irgend etwas von einem Geheimsender und gelber Farbe.«

Nun redete Yola eine Weile, und als Offen ihr antwortete, klang seine Stimme besorgt.

«Ja, ich weiß. Den ersten Hengst hat er auch gefunden, obwohl wir das für unmöglich hielten — glaubst du wirklich, Matt könnte recht behalten?«

«Yola, das ist ausgeschlossen. Warum fährst du nicht selbst?«

«Dann mach die Ranch zu. Schick sie alle nach Hause.«

«Hör mal, wenn du recht hast, wenn Matt recht hat — nehmen wir einmal an, er kam gestern abend zurück, und der Staatsanwalt wartete schon auf ihn, dann sitzt der jetzt noch dort und wartet nur auf mich. Warum antwortet Matt dann nicht? Nein, Yola, ich betrete diese Farm nicht. Sonst muß ich vielleicht noch Fragen beantworten, was ich da zu suchen habe und warum die beiden Pferde im Stall ausgerechnet Moviemakers und Centigrades Registriernummern im Maul eintätowiert haben. Ich fahre nicht hin.«

«Vielleicht verfolgt Matt schon einen eigenen Plan.«

«Nein, heute warte ich noch. Wenn ich bis morgen nichts von ihm gehört habe, dann… Ich lass’ mir schon noch etwas einfallen.«

Yolas letzte Bemerkung konnte auch ich laut und deutlich vernehmen. Ihre Stimme klang besorgt und verärgert zugleich.

«Wenn Matt etwas passiert ist…«

Da lief das Ende des Bandes von der Spule. Ich schaltete das Gerät aus. Yolas Leben würde sich nun ebenso von Grund auf ändern wie das von Walts Frau.

Ich legte mich ins Bett und blieb wach, obgleich jede Faser meines Körpers nach Schlaf fieberte. Meine Glieder waren entspannt, aber nicht mein Geist. Den ganzen Tag über hatte ich nur ein Bild vor Augen: Walt, wie er regungslos auf dem Rücken im Staub lag. Über ihm war einmal die Sonne aufgestiegen und wieder untergegangen. Bis morgen würde er ungeschützt daliegen. Ich konnte nicht schlafen, bis er Ruhe fand. Ich gab mir alle Mühe, aber es ging nicht.

Auf der Rückfahrt nach Santa Barbara hatte ich eine Kaffeepause eingelegt, mir Geld wechseln lassen und Paul M. Zeissen im Zentralbüro der >Buttress<-Versicherung in der 33. Straße angerufen. Nach New Yorker Zeit war es fast 18.00 Uhr. Zeissen wollte gerade ins Wochenende abfahren. Ich sagte ihm, ich mache mir einige Sorgen um Walt. Er sei wegen einer Versicherungsangelegenheit auf eine Farm in Arizona gefahren, und ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört. Zeissen und ich unterhielten uns ein paar Minuten kultiviert und höflich darüber und beschlossen dann, daß >Buttress< die Staatspolizei von Arizona verständigen sollte, wenn ich bis zum nächsten Morgen nichts von Walt gehört hatte. Die Beamten aus Kingman sollten dann einmal auf der Farm nachschauen.

Morgen früh mußte ich Zeissen zu Hause anrufen. Gegen Mittag konnten die Polizeibeamten aus Kingman eventuell auf der Farm sein. Für sie lag der Fall klar: Ein

Versicherungsvertreter kommt zu einer Verabredung und steigt aus dem Wagen. Matt Clive kommt eilig auf den Hof gefahren, weil er sich verspätet hat, sieht die dunkelgekleidete Gestalt zu spät, überfährt sie und kracht aufgrund des Schocks gegen die Mauer. Eine Blutprobe würde nachweisen, daß Matt nicht nüchtern war, außerdem lag die zersplitterte Flasche neben ihm im Wagen. Im Haus lag neben dem Telefon der Notizblock mit der Verabredung für 21.00 Uhr von Matts eigener Hand. Sonst nichts. Keine Pferde. Kein Hinweis auf weitere Besuche. Keinerlei Anzeichen dafür, daß es sich nicht um einen tragischen Unfall handelte.

Matt verstand sich gut auf Unfälle. Ich auch.

Den ganzen Vormittag lag ich auf dem Bauch im Sand, während Lynnie neben mir saß und Sandkörner durch die Finger rieseln ließ. Eunice war nach Santa Monica hinübergefahren.

«Fliegen Sie wirklich heute zurück?«fragte Lynnie.

«Ja, mit der nächsten Maschine.«

«Hätten Sie etwas dagegen — wenn ich mitkäme?«

Ich blickte überrascht auf.

«Ich dachte, Sie wollten für immer hierbleiben?«

«Ja, aber mit Ihnen — und Eunice. Und jetzt wollen Sie weg… Wissen Sie, Eunice war diese Woche auch nicht viel hier. Ich war die meiste Zeit allein. Am Strand kann man nicht viel anfangen, es ist jeden Tag dasselbe.«

«Wo war Eunice denn?«

«In Santa Monica, wie jetzt. Sie verbringt dort die ganze Zeit in einem Laden, der Vasen, Skulpturen und teure Lampen importiert. Vorgestern hat sie mich mitgenommen. Ich muß sagen, das war schon herrlich. Sie haben dort auch prächtige Stoffe.«

«Vielleicht ist sie gekränkt, wenn Sie einfach verschwinden.«

«Aber nein. Ich habe heute morgen, bevor sie wegfuhr, mit ihr darüber gesprochen, und ich glaube, sie war sogar erleichtert. Sie sagte nur, wenn ich wirklich weg wolle, sei sie einverstanden. Und in ein oder zwei Tagen würde sie ohnehin nach Santa Monica übersiedeln.«

«Schön, wenn Sie wirklich wollen. Ich fliege mit der Nachtmaschine nach Washington. Morgen früh habe ich noch einen Besuch in Lexington zu machen, danach geht’s zurück nach New York und von da aus nach England.«

«Und es macht Ihnen wirklich nichts aus, wenn Sie mich mitnehmen?«Es klang ein bißchen unsicher.

«Dann habe ich wenigstens jemanden, der mich bei den Zwischenlandungen aufweckt«, sagte ich.

Zum Mittagessen bestellten wir uns nur ein Sandwich, aber ich brachte keinen Bissen hinunter. Dann kam das Mädchen vom Empfang und sagte, ich würde am Telefon verlangt.

Paul M. Zeissen teilte mir mit entsprechend gedämpfter Stimme mit, daß die Polizei von Arizona sich freundlicherweise bereit erklärt hätte, auf der Farm nachzusehen, wobei Walt tot aufgefunden worden sei. Ich tat erschrocken. Zeissen bat mich, Walts Sachen einzupacken und zurückzuschicken. Ich versprach es ihm.

«Ich nehme an, Sie und Walt haben die andere Angelegenheit nicht zu Ende gebracht?«fragte er anzüglich.

«Die Pferde?«

«Ein Pferd — Allyx«, berichtigte er in tadelndem Ton.

«Der andere Hengst, Showman, war bei einer anderen Gesellschaft versichert.«

«O doch. Allyx ist in Sicherheit und dürfte innerhalb eines Monats identifiziert sein und wieder seine Pflichten als Zuchthengst erfüllen. Der Züchterverband wird sich bestimmt mit Ihnen in Verbindung setzen. Walt hat sehr hart an diesem Fall gearbeitet, und es ist allein seinen Bemühungen zu verdanken, daß die >Buttress<-Versicherung den größten Teil der ausgezahlten Versicherungssumme von eineinhalb Millionen Dollar zurückbekommen wird.«

«Wo hat er das Pferd gefunden?«

«Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ist das wichtig?«

«Nein«, meinte er nachdenklich.»Wenn wir die Ware zurückbekommen, stellen wir keine Fragen. Nach diesem

Prinzip arbeiten alle Versicherungsgesellschaften.«

«In Ordnung«, sagte ich.»Seine Provision wird doch sicher an die Witwe ausbezahlt?«

«Äh — ja, natürlich. Walt hatte selbstverständlich bei uns auch eine Lebensversicherung. Ich bin sicher, daß Mrs. Prensela gut versorgt ist.«

Versorgt. Geld. Aber kein Walt. Kein Picknick.

Ich verabschiedete mich von Zeissen und ging langsam zu Lynnie zurück.

Als ich ihr sagte, daß Walt tot war, weinte sie.

Ich ging in Walts Zimmer und packte seine Sachen. Das gerahmte Foto von ihm und seiner Familie hielt ich lange Zeit in der Hand, dann legte ich es in meinen Koffer und nicht in seinen. Es war bestimmt nicht das einzige Foto, das sie besaß, und es machte ihr nichts aus, wenn sie es nicht mit dem Gepäck zurückerstattet bekam.

Eunice kehrte müde und zerstreut aus Santa Monica zurück. Nachdem sie den Schrecken über die Nachricht von Walts Tod verdaut hatte, zeigte sie sich wenig beeindruckt, als Lynnie ihr bei einem frühen Dinner mitteilte, sie wolle mit mir zusammen nach England zurückkehren.

«Es ist immer besser, wenn man auf einer Reise einen Mann bei sich hat, der sich um alles kümmert«, bemerkte Eunice geistesabwesend. Dann streifte sie mich mit einem durchdringenden Blick und fügte hinzu:»Aber laß dich auf keine Tricks ein.«

Lynnie seufzte:»Das versucht er doch nicht.«

«Na«, meinte sie und war nicht recht überzeugt. Dann fragte sie mich:»Werden Sie nach Ihrer Rückkehr mit Dave reden?«

Ich nickte.»Gleich nach der Landung.«

«Dann sagen Sie ihm bitte, daß ich in Santa Monica ein reizendes, kleines Geschäft gefunden habe. Die brauchen einen Partner mit ein wenig Kapital, um ein neues Zweiggeschäft zu eröffnen. Und wenn die Bücher stimmen, möchte ich gern einsteigen. Ich werde ihm natürlich alles schreiben, aber Sie können ihm erklären… Ich glaube, Sie können es ihm besser erklären als sonst jemand.«

«Ja, ich werde es ihm erklären.«

Eunice sagte, sie sei zu müde, um noch einmal mit uns nach Los Angeles zu fahren, so verabschiedeten wir uns in der Halle von ihr, und sie gab Lynnie und mir erstaunlich gerührt einen Kuß auf die Wange.

Als wir wegfuhren, meinte Lynnie:»Ich werde sie vermissen. Das ist doch seltsam. Ja, ich vermisse sie tatsächlich.«

«Sie werden wiederkommen.«

«Dann wird aber alles anders sein.«

Am Flughafen gab ich den Mietwagen zurück, und wir nahmen die Maschine nach Washington. Unterwegs holte ich einen Teil des in drei Nächten versäumten Schlafes nach. In Lexington sagte Lynnie, nun glaube sie allmählich auch, daß ich einen Wecker für die Zwischenlandungen brauche.

Wir fuhren mit einem Taxi zu Jeff Roots. Seine Tochter entführte Lynnie zum Schwimmen, und ich saß mit ihm unter seiner weinberankten Pergola und überlegte, wie kühl und sachlich er in seinem hellen, offenen Sonntagshemd wirkte.

«Sam Hengelman müßte eigentlich heute nachmittag oder am frühen Abend in Lexington ankommen«, sagte ich.»Er ruft Sie dann an, um Sie zu fragen, wohin er die Pferde bringen soll.«

Roots nickte.

«Es ist alles vorbereitet.«

«Würden Sie ihm etwas von mir bestellen?«

«Natürlich, gern.«

«Sagen Sie ihm nur, es ist alles okay. Ich hätte es gesagt.«

«Gut. Aber Sie sind hunderprozentig sicher, daß es sich wirklich um Showman und Allyx handelt?«

«Hundertprozentig. Es kann nicht der leiseste Zweifel bestehen.«

Er seufzte.»Dann werde ich mal die Identifizierung einleiten. Aber wer soll Showman nach zehn Jahren noch kennen? Ein Brauner ohne Merkmale… Und er war erst vier Jahre alt, als er aus England kam. «Er hielt inne, dann fuhr er fort:»Was sollen wir hinsichtlich Offen unternehmen? Eine Anzeige wegen Betrugs und Diebstahls?«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich bin nicht bei der Polizei. Mich interessiert nicht die Bestrafung von Verbrechen, sondern ihre Verhinderung. «Ich lächelte.»Mein Auftrag lautete, die Pferde wiederzufinden, sonst nichts. Gut — sie sind wieder da. Ich habe meinen Auftrag erledigt, alles andere geht mich nichts an.«

Er betrachtete mich prüfend.»Dann soll Offen auch weiterhin die Deckgebühren kassieren?«

«Das wird er nicht können«, antwortete ich.»Jedenfalls nicht, wenn jemand das Gerücht in Umlauf setzt, daß sowohl Moviemaker als auch Centigrade von einem geheimnisvollen Virus befallen wurden, der mit Sicherheit ihre Zeugungskraft beeinträchtigt. Man kann die Besitzer von Stuten unter der Hand dahingehend beraten, daß sie Deckgebühren erst bezahlen, wenn die Fohlen ihre Qualitäten unter Beweis gestellt haben. Danach… Nun, Offen ist schließlich ganz legal der Besitzer von Moviemaker und Centigrade, und als solcher hat er ein Anrecht auf Deckgebühren, die die beiden Hengste tatsächlich verdienen.«

«Sie sind ein ungewöhnlicher Mensch«, sagte er.»Sie wollen also nicht, daß Offen hinter Gitter wandert?«

«Nicht unbedingt«, antwortete ich.

Für Offen war das Prestige beinahe wichtiger als sein

Einkommen. Er würde nun beides einbüßen. Und Yola — ohne Matt mußte sie hart arbeiten und wahrscheinlich das teure Haus am Pittsville Boulevard aufgeben. Da erschienen mir Gitter überflüssig.

Jeff Roots schüttelte den Kopf und gab es auf.»Ich bin sicher, daß wir Anzeige erstatten müssen. Ich werde mit unseren Rechtsanwälten darüber reden.«

Er rief seinen Hausboy und bestellte Whisky, aber dann seufzte er nur, als ich sagte, ich würde lieber mit ihm ein Glas von seinem geschmacklosen Sodawasser trinken.

Wir nippten an dem eiskalten, faden Getränk. Er meinte noch einmal, gegen Offen müsse Anzeige erstattet werden, und sei es nur, um damit zu begründen, warum Allyx und Showman so viele Jahre lang verschwunden waren und nun im Maul die falschen Tätowierungen trugen.

«Das kann ich schon verstehen«, sagte ich.»Es wird Ihnen aber sehr schwerfallen zu beweisen, daß die für Moviemaker und Centigrade gebuchten Stuten in Wirklichkeit von Showman oder Allyx gedeckt wurden. Ich habe weder Showman noch Allyx auf Offens Farm gefunden. Es wird auch kaum jemand bezeugen können, daß sie sich dort befanden. Offen wird es bestimmt abstreiten, und zwar bis zum bitteren Ende. Das ist seine einzige Hoffnung. «Ich hielt inne.»Ich konnte einige Bandaufnahmen bekommen, aber selbst wenn man die als Beweismaterial benutzen könnte, bieten sie leider kaum Anhaltspunkte. Offen hat Showman oder Allyx nie beim Namen genannt.«

Roots starrte düster vor sich hin.»Dadurch wird alles schwierig«, sagte er.»Im Grunde genommen sagen Sie damit doch folgendes: Wir wissen, daß Offen die Hengste vertauscht hat, aber wegen der Tätowierungen kann es niemand beweisen.«

Ich blickte hinüber, wie Lynnie zusammen mit Roots Tochter gerade ins Wasser sprang. Ihr fröhliches, sorgloses und sehr junges Lachen klang zu uns herüber.

«Ich würde das nicht versuchen«, sagte ich.»Ob zu Recht oder zu Unrecht, ich habe jedenfalls die gestohlenen Pferde ihrem Besitzer zurückgebracht, indem ich sie wieder stahl. Erstens sollte Offen keine Gelegenheit haben, sie zu töten; und zweitens wollte ich jahrelange Verzögerung vermeiden, die durch den Streit der Anwälte entstehen würde. In diesen Jahren wären die Hengste nutzlos gewesen, und ihr Wert wäre mit jedem Tag gesunken; drittens — und das ist beinahe am wichtigsten — sollte Offen keine Gelegenheit haben, sie zurückzubekommen, sobald einmal Gras über die Sache gewachsen war. Wenn er nämlich klug ist wird er schwören und auch Zeugen dafür beibringen, daß die beiden fraglichen Pferde wertlose Halbblüter ohne Rennerfahrung seien, und er wird die Tätowierungen im Maul damit erklären, daß er eine neue Farbe oder ein neues Verfahren ausprobieren wollte. Und was ist da einleuchtender, als daß er die Nummern seiner beiden besten Hengste nimmt. Das würde viel überzeugender klingen als die Behauptung, er hätte zwei weltberühmte Hengste gestohlen und mit ihnen einen großangelegten Schwindel aufgezogen. Der Mann kann sehr überzeugend wirken.«

Roots nickte.»Ich kenne ihn.«

«Offens Neffe hat Showman und Allyx versorgt«, sagte ich.»Offen kann behaupten, er hätte ihm die beiden alten Gäule geliehen und könne sich nicht vorstellen, daß jemand sie stehlen wollte.«

«Ja, er hat schon einige gute Argumente für sich«, gab Roots zu.

«Sein augenblicklicher Stallmeister ist unschuldig«, sagte ich.»Davon wird er auch jeden überzeugen. Wenn Sie alles so lassen, wie es ist, wird Offen weder Allyx noch Showman zurückbekommen. Wenn Sie ihn anzeigen, schafft er es vielleicht.«

Erschüttert starrte Roots in sein Glas, aber als erfahrener Mann sah er beide Seiten der Medaille.

«Wir könnten es mit Blutproben versuchen«, sagte er zuletzt.

«Blutproben?«

«Für den Abstammungsnachweis. «Er nickte.»Wenn Zweifel bestehen, wer der Vater eines Fohlens ist, dann nehmen wir Blutproben. Hat der fragliche Hengst eine ähnliche Blutgruppe wie das Fohlen und der andere in Frage kommende eine ganz andere, dann ist der Fall geklärt.«

Ich fragte:»Aber genau wie beim Menschen kann man zwar feststellen, welcher Hengst nicht der Vater sein kann, aber man kann nicht mit Sicherheit sagen, welcher von zwei Hengsten mit gleicher Blutgruppe tatsächlich der Vater ist?«

«Das stimmt.«

Roots überlegte eine Weile, dann sagte er zuversichtlich:

«Wenn wir nachweisen können, daß keines der sogenannten Moviemaker-Fohlen tatsächlich von Moviemaker abstammen kann, daß aber alle von Showman stammen könnten, dann sitzt Offen in der Falle.«

«Wäre es nicht möglich, daß er sich vor dem Kauf von Moviemaker vergewissert hat, daß seine und Showmans Blutgruppe ähnlich sind? Ich meine, als Züchter muß er doch über diese Tests Bescheid wissen.«

Roots versank wieder in trübsinniges Brüten.»Ja, das wäre möglich. Auch Centigrade und Allyx könnten ähnliche Blutgruppen haben. «Plötzlich sah er mich an und merkte, daß ich lächelte.»Ihnen kann das komisch vorkommen«, sagte er und ahmte mein Lächeln nach.»Sie brauchen dieses Durcheinander nicht zu klären. Was machen wir aber mit dem Zuchtbuch? Moviemakers — nein Showmans — Nachkommen sind in einigen Fällen auch schon als Zuchthengste eingetragen. Wir haben das Durcheinander also bereits wieder in der zweiten Generation. Wie soll das jemals wieder ausgebügelt werden?«

Ich gab mir alle Mühe, mir meine Belustigung nicht anmerken zu lassen.»Selbst wenn Sie beweisen, daß nicht Moviemaker der Vater der Fohlen sein kann, die angeblich von ihm abstammen, so können sie auch nicht nachweisen, daß Showman der Vater ist.«

Er verzog das Gesicht zu einer komisch-schmerzlichen Grimasse.»Welcher andere Hengst könnte so brillante Nachfolger zeugen?«Er schüttelte den Kopf.»Nein, wir werden es Offen anhängen, selbst wenn wir warten müssen, bis Showman und Allyx wieder zur Zucht freigegeben sind und ihre ersten offiziellen Nachkommen genausoviel Geld einbringen wie alle anderen. Dann wird Offen nicht mehr behaupten können, daß es sich nur um zwei billige Halbblüter handelt, die er seinem Neffen zum Herumreiten geliehen hat. Wir erwischen ihn schon.«

«Im Rennsport ist das der Skandal des Jahres«, sagte ich lächelnd.

«Jahres? Soll das ein Witz sein? Des Jahrhunderts!«

Am Abend starteten Lynnie und ich vom Kennedy-Flughafen, bekamen unser Dinner über Kanada um Mitternacht serviert und drei Stunden später das Frühstück über Irland. Ich betrachtete sie, wie sie auf dem zurückgeklappten Liegesitz neben mir schlief. Ihre Haut war fein und zart wie bei einem Kind, und im Schlaf hatte sie auch das Gesicht eines Kindes. Die Frau in ihr war noch eine Knospe, und es würde noch eine Weile dauern, bis sie aufblühte.

Keeble holte uns am Flughafen Heathrow ab. Wie üblich regnete es. Lynnie begrüßte ihn mit einem herzhaften Kuß. Er gab mir sogar die Hand. Auf seiner linken Backe hatte er wieder einige Bartstoppeln stehenlassen, seine Augen blinzelten rasch hinter den Gläsern. Santa Barbara lag sechstausend Meilen entfernt. Wir waren wieder zu Hause.

Keeble lud uns zu einer Tasse Kaffee ein, bevor wir vom Flughafen abfuhren. Er fragte seine Tochter, wie es ihr gefallen habe. Sie redete pausenlos, etwa zwanzig Minuten lang, und ihre braunen Augen blitzten.

Schließlich wandte er sich mir zu. Seine Miene wirkte ein wenig gespannt.

«Und was haben Sie getrieben?«fragte er.

Als ich nicht antwortete, sagte Lynnie zögernd:»Einen guten Teil der Zeit hat er mit uns am Strand verbracht.«

Keeble strich ihr über den Arm.»Haben Sie die Pferde wiedergefunden?«fragte er.

Ich nickte.

«Alle drei?«

«Ja, aber nicht allein.«

«Ich habe Dave versprochen, daß ich Sie nachher am Krankenhaus absetze«, sagte er.»Er liegt immer noch flach, aber er hofft, nächste Woche entlassen zu werden.«

«Ich habe ihm eine Menge zu erzählen, und er muß so manche Entscheidung treffen.«

Dabei dachte ich, die schwerste Entscheidung wird sein, ob er wirklich in die Nähe der Orpheus-Farm ziehen oder ob er Eunice hinsichtlich ihres neuentdeckten Berufs enttäuschen sollte. Nichts ist leicht im Leben, nichts ist einfach.

«Sie sehen gar nicht gut aus«, sagte Keeble plötzlich.

«Ich werde es überleben«, antwortete ich. Er sah mich überrascht und gedankenvoll an. Ich lächelte schwach und wiederholte:»Ich werde es überleben.«

Dann standen wir auf. Statt mir die Hand zu geben, legte Lynnie mir plötzlich ihren Arm um die Taille und drückte ihren Kopf an meine Brust.

«Ich möchte dir nicht Lebewohl sagen«, murmelte sie undeutlich.»Ich möchte dich wiedersehen.«

«Nun«, antwortete ich,»wir werden uns schon wiedersehen.«

«Ich meine — oft.«

Keeble und ich sahen uns über ihren Kopf hinweg an. Er betrachtete seine Tochter mit ernstem Blick, aber ohne innere Unruhe.

«Sie ist zu jung«, sagte ich zu ihm, und er wußte genau, wie ich das meinte. Ich war nicht zu alt für sie, aber sie war zu jung für mich. Hatte zu wenig Erfahrung, Verständnis, Raffinesse.

«Ich werde älter«, sagte sie.»Reicht einundzwanzig?«

Ihr Vater lachte, aber sie hielt meinen Arm fest.»Reicht das?«

«Ja«, antwortete ich, ohne zu überlegen, und merkte eine Sekunde später, daß es mir damit ernst war.

«Sie wird es sich anders überlegen«, sagte Keeble leichthin.

Ich sagte:»Ja, natürlich. «Aber Lynnie sah mir in die Augen und schüttelte den Kopf.

Es war spät am Nachmittag, als ich in meine Wohnung zurückkam. Die ordentlichen, langweiligen, nichtssagenden Zimmer hatten sich überhaupt nicht verändert. Als ich einen Blick in die Küche warf, mußte ich daran denken, wie Lynnie hier ihr Rührei anbrennen ließ, und mit einiger Verwirrung wünschte ich mir bald wieder angebrannte Rühreier.

Ich packte meine Sachen aus. Der Abend lag grau und lang vor mir. Ich saß da und starrte blicklos die nackten Wände an.

>Wenn< ist ein quälendes Wort, dachte ich. Wenn Sam

Hengelman zur Reparatur der defekten Dichtung länger gebraucht hätte, dann hätte Walt uns noch auf der Straße eingeholt und davon abgehalten, zur Farm zu fahren. Wenn Sam schneller gearbeitet hätte, wären wir längst vor Walt dort gewesen, und Matt hätte, wie es seine Absicht war, mich getötet und nicht ihn.

Wenn ich nicht auf den Gedanken gekommen wäre, die Pferde durch einen Diebstahl wiederzubeschaffen, dann könnte Walt noch leben. Zusammen waren sie vielleicht fünf Millionen Dollar wert. Walts Leben waren sie aber nicht wert.

Hätte ich nur nicht mit dieser Sache angefangen!

Aus dem grauen Tag wurde graue Dämmerung. Ich stand auf und schaltete das Licht ein. Dann holte ich zwei Dinge und legte sie auf den niedrigen Tisch neben meinem Sessel.

Die Parabellum und Walts Familienfoto.

Wenn man ein Geschenk bekommt, das man gar nicht haben will, dann kommt man sich so gemein vor, wenn man es wieder wegwirft. Besonders dann, wenn es mehr gekostet hat, als der Schenkende sich leisten kann.

Ich werde Walts Geschenk nicht wegwerfen. Auch wenn Lynnie es sich anders überlegen sollte, werde ich weiterleben.

Um zehn Uhr ging ich todmüde schlafen. Ich schob die Pistole unter das Kopfkissen und hängte das Foto an die Wand.

Und schlief.

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