Am Abend scharten sich die Männer um das Feuer auf dem Festungshof und sangen. Sie sangen nicht etwa die ausgelassenen Marschlieder, die dafür sorgen konnten, dass unter harten Stiefeln die Meilen dahinschmolzen, sondern die sanften, melancholischen Lieder ihrer Heimat. Sie sangen von den Mädchen, die sie zurückgelassen hatten, von ihren Müttern und Kindern.
Jeden Abend flackerten im tiefen Tal unterhalb der Festungsmauern, wo Vivars Freiwillige kampierten, die Lagerfeuer. Diese Freiwilligen kamen überall aus dem Herrschaftsbereich des Grafen von Mouromorto. Sie hatten sich in einer geschützten Einbuchtung des Hügels niedergelassen, wo an einem Bach Kastanienbäume wuchsen, und sie bauten sich Hütten aus Holz und Torf. Sie waren Bauern, die dem Ruf zu den Waffen folgten, wie schon ihre Vorfahren ihre Sensen geschultert hatten und den Mauren entgegenmarschiert waren. Diese Männer waren nicht gewillt, ihre Frauen zurückzulassen, daher sah man des Abends berockte Gestalten zwischen den Feuern, und aus den Torfhütten drang Kindergeschrei.
Sharpe hörte, wie Harper die Schützen vor den Reizen der Frauen warnte. »Eine Berührung«, sagte er, »und ich schlage euch den Schädel ein wie ein verdammtes Ei.« Es kam kein Widerspruch auf, und Sharpe bewunderte die mühelose Art, mit der Harper eine Autorität, die er gar nicht gewollt hatte, ausübte.
Tagsüber wurde Arbeit geleistet, harte Arbeit, dringliche Arbeit, um aus der Niederlage einen Sieg zu machen. Die Priester skizzierten eine Karte der Stadt, in die Vivar detailgenau die französischen Stellungen einzeichnete. Täglich trafen Nachrichten von den Vorbereitungen des Feindes ein, in die Berge getragen von Flüchtlingen, die sich vor den Eroberern in Sicherheit brachten und nun von Verhaftungen und Hinrichtungen erzählten.
Die Stadt war nach wie vor von den verfallenen Mauern ihrer mittelalterlichen Verteidigungsanlagen umgeben. Diese Mauern waren stellenweise ganz verschwunden, und an anderen Stellen waren Häuser hochgezogen worden, die neue Außenbezirke bildeten, doch die Franzosen stützten ihre Verteidigung auf den alten Verlauf der Stadtmauern. Wo Steine herabgefallen waren, hatten sie Barrikaden errichtet. Ihre Befestigungen waren alles andere als Furcht einflößend. Santiago de Compostela war keine Frontstadt, umgeben von Vor- und Sternschanzen, aber die Mauern konnten für einen Infanterieangriff dennoch ein erhebliches Hindernis darstellen.
»Wir greifen kurz vor Morgengrauen an«, verkündete Vivar Anfang der Woche.
Sharpe nickte zustimmend. »Und wenn sie innerhalb der Mauern Wachtposten aufgestellt haben?«
»Damit ist zu rechnen. Wir ignorieren sie.«
Dann berichtete er Sharpe vom ersten Risiko, das eingegangen werden sollte, vom ersten Verzicht auf Sicherheit in diesem verzweifelten Zugriff auf den unmöglichen Sieg. Vivar verließ sich darauf, dass Dunkelheit und Ermüdung die Franzosen benebeln würden. Doch es bedurfte nur eines Soldaten, der in der Finsternis stolperte, eines Schusses aus einer fehlgezündeten Muskete, und der ganze Überfall wäre verraten.
Vivar schlug vor, mit ungeladenen Musketen anzugreifen. Es werde sich, sagte er, nach der ersten Überraschung genügend Zeit finden, dass die Männer ihre Gewehre laden konnten. Sharpe, ein Infanterist, der sich weitaus stärker auf seine Schusswaffe verließ als ein Kavallerist wie Vivar, gefiel der Gedanke gar nicht. Vivar übte Druck aus, aber Sharpe sagte lediglich zu, sich diesen Plan noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.
Die Pläne wurden nach und nach detaillierter, und mit ihnen wuchsen Sharpes Befürchtungen wie dunkle Wolken am Himmel. Es war leicht, auf dem Papier einen Sieg zu erringen. Dort gab es keine bellenden Hunde, keine Steine, die einen zu Fall bringen konnten, keinen Regen, der das Pulver durchnässte, und der Feind benahm sich so verschlafen, wie es sich Vivar nur wünschen konnte. Aber in der Wirklichkeit?
»Die Franzosen werden doch sicher wissen, dass wir kommen?«, wandte Sharpe ein.
»Sie werden den Verdacht haben, dass wir kommen«, gab Vivar zu. Die Menschenansammlung in den Bergen konnte den Franzosen kaum entgangen sein, obwohl es denkbar war, dass sie eine solche Bedrohung als geringfügig abtun würden. Immerhin hatten sie die Heere Spaniens und Britanniens zerschlagen, was hatten sie also von ein paar Bauern zu befürchten? Doch der Graf von Mouromorto und Oberst de l'Eclin würden genau wissen, was Blas Vivar im Schilde führte, und sie hielten sich beide in Santiago auf. Die Flüchtlinge bestätigten es. Marschall Neys Kavallerie hatte die Stadt eingenommen und war dann nach La Coruña geritten, um sich Marschall Soult anzuschließen. Innerhalb der verfallenen Rundmauern blieben zweitausend französische Kavalleristen zurück.
Man hatte sie nicht zurückgelassen, um zu verhindern, dass ein altes Banner ein Grabmahl erreichte, sondern um Furage aus den Küstentälern Galiciens zu beschaffen. Nachdem er die Briten aus Spanien vertrieben hatte, wollte Marschall Soult nun nach Süden marschieren. Seine Offiziere brüsteten sich in den Tavernen von La Coruña offen mit ihren Plänen, und ihre Worte wurden Vivar getreulich übermittelt. Die Franzosen würden sich, sobald ihre durch Verwundung und Frost ausgezehrten Reihen aufgefüllt waren, in südliche Richtung nach Portugal wenden. Sie würden das Land erobern und die Briten aus Lissabon vertreiben. Damit wäre dem britischen Handel die gesamte Küste Europas verschlossen, und der Würgegriff des Kaisers wäre nicht mehr aufzubrechen.
Soults Weg nach Süden würde durch Santiago de Compostela führen. Daher hatte er befohlen, die Stadt zu einer vorgelagerten Versorgungsbasis zu machen. Sein Heer würde die angelegten Vorräte abholen, um den Angriff nach Süden zu stärken. Die französische Kavallerie patrouillierte derzeit aktiv das Land, auf der Suche nach Lebensmitteln und Futter, die nach Aussage der Flüchtlinge in den umliegenden Häusern der Plaza vor der Kathedrale gelagert wurden.
»Sie sehen also«, erklärte Vivar eines Abends Sharpe, als sie sich wie üblich trafen, um die Karte der Stadt zu studieren und ihren Angriffsplan zu präzisieren, »nun haben Sie einen eigenen Grund zum Angriff, Lieutenant.«
»Einen eigenen?«
»Sie können behaupten, nicht nur einem verrückten Spanier einen Gefallen getan zu haben. Sie schützen ihre Lissaboner Garnison, indem sie den französischen Nachschub stören. Habe ich nicht recht?«
Doch Sharpe war nicht in Stimmung, sich besänftigen zu lassen. Er starrte die Karte an und stellte sich die französischen Wachtposten vor, wie sie in die Nacht hinausblickten. »Sie werden wissen, dass wir kommen.« Sharpe wurde die Befürchtung nicht los, dass der Feind gut vorbereitet sein würde.»Aber nicht, wo wir angreifen werden und wann.«
»Wenn nur de l'Eclin nicht dort wäre.«
Vivar lachte über seine Besorgnis. »Glauben Sie etwa, die Kaiserliche Garde habe es nicht nötig zu schlafen?«
Sharpe ging nicht auf diese ironische Bemerkung ein. »Er ist nicht dort, um Bestände anzulegen. Er ist damit beauftragt, das Gonfalon zu erobern, und er weiß, dass wir es ihm bringen werden. Was immer wir planen, Major, er hat bereits daran gedacht. Er wartet auf uns! Er ist auf uns vorbereitet!«
»Sie haben Angst vor ihm.« Vivar lehnte sich gegen die Wand des Turmzimmers, in dem die Karte aufbewahrt wurde. Drunten im Hof flackerte Feuerschein, während ein Spanier ein getragenes, trauriges Lied sang.
»Ich habe Angst vor ihm«, bestätigte Sharpe, »weil er seine Sache gut versteht. Zu gut.«
»Er ist nur gut, wenn es ums Angreifen geht. Er kann nicht verteidigen! Als Sie seinen Hinterhalt attackiert haben und ich ihn auf dem Bauernhof angriff, ist er nicht sonderlich schlau vorgegangen, nicht wahr?«
»Nein«, gestand Sharpe ein.
»Und nun versucht er eine Stadt zu verteidigen! Er ist Chasseur, also ein Jäger wie der Cazador, und er versteht nichts von Verteidigung.« Vivar war nicht bereit, Defätismus zuzulassen. »Natürlich werden wir siegen! Dank Ihrer Ideen werden wir siegen.«
Das Lob zielte darauf ab, Enthusiasmus bei Sharpe hervorzurufen, der inzwischen eine ausführliche Strategie für den Überfall vorgeschlagen hatte. Der Angriff sollte die Stadt nicht Haus für Haus und Straße für Straße einnehmen, sondern schnell und heftig gegen das Stadtzentrum ausgeführt werden. Dann sollten die Angreifer, aufgeteilt in zehn Trupps, je einer für jede Straße, die durch die alten Stadtmauern nach draußen führte, die Franzosen hinaustreiben aufs offene Land. »Sollen sie ruhig entkommen!«, hatte Sharpe argumentiert. »Solange Sie die Stadt einnehmen.«
Wenn es tatsächlich gelang, die Stadt einzunehmen, was Sharpe bezweifelte, durften sie nicht damit rechnen, sie länger als sechsunddreißig Stunden zu halten. Soults Infanterie, die aus La Coruña heranmarschierte und durch die hervorragende französische Artillerie verstärkt wurde, würde die Männer des Majors bald vernichten.
»Ich brauche nur einen Tag«, sagte Vivar zögernd. »Wir erobern im Morgengrauen die Stadt, wir spüren die Verräter gegen Mittag auf, wir zerstören die Vorräte, und am Abend entfalten wir das Gonfalon. Am nächsten Tag ziehen wir ruhmreich ab.«
Sharpe trat an das schmale Fenster. Fledermäuse, durch die Ankunft der Soldaten in der Festung aus ihrem Winterschlaf aufgeschreckt, flatterten im roten Feuerschein. Die Hügel lagen im Dunkeln. Irgendwo an jenen schwarzen Hängen unternahm eine Patrouille der Rifles unter Sergeant Harper einen langen Marsch auf gewundenen Wegen. Die Patrouille diente nicht nur dazu, kampierende französische Patrouillen aufzuspüren, sondern auch dazu, die Männer abzuhärten und an die Unwägbarkeiten des nächtlichen Marschierens zu gewöhnen. Vivars kleine Truppe, darunter auch die halb ausgebildeten Freiwilligen, hatte so eine Wanderung vor sich, und Sharpe, der erlebt hatte, welches Chaos so ein Nachtmarsch bei den Soldaten anrichten konnte, erschauerte innerlich. Er dachte an das schreckliche Ungleichgewicht. In Santiago de Compostela gab es zweitausend französische Kavalleristen. Nicht alle würden dort sein, wenn Vivar angriff. Einige würden auf den Feldern lagern, die sie geplündert hatten, aber dennoch würde die Übermacht des Feindes gewaltig sein.
Und gegen diese Übermacht würden fünfzig Rifles antreten, einhundertfünfzig Cazadores, von denen nur einhundert Pferde besaßen, und an die dreihundert halb ausgebildete Freiwillige.
Ein wahnsinniges Unterfangen! Sharpe wandte sich an den Spanier. »Warum warten Sie nicht, bis die Franzosen nach Süden aufgebrochen sind?«
»Weil Abwarten nicht für eine Geschichte sorgen würde, die in jeder spanischen Taverne erzählt wird. Weil ich einen Bruder habe, der sterben muss. Weil man mich, wenn ich warte, für ebenso rückgratlos halten wird wie die übrigen Offiziere, die nach Süden geflohen sind. Weil ich geschworen habe, es zu tun. Weil ich mich nicht mit der Niederlage abfinden mag. Nein. Wir brechen bald auf, sehr bald.« Vivar sprach wie zu sich selbst, während er auf die mit Kohle eingezeichneten Stellungen der Franzosen starrte. »Sobald die Freiwilligen so weit sind, brechen wir auf.«
Sharpe sagte nichts. Die Wahrheit war, dass er den Angriff nun erst recht für Irrsinn hielt, doch war dies ein Irrsinn, bei dessen Planung er geholfen und dessen Ausführung zu unterstützen er geschworen hatte.
Etwa so, wie das unschuldige Scharren eines Eulenkükens im Dachgeschoss durch die Furcht eines Kindes in die nächtlichen Schritte eines entsetzlichen Ungeheuers verwandelt werden kann, ging es Sharpe nun mit seinen Befürchtungen, die mit der Zeit immer größer wurden.
Er konnte seine Gewissheit, dass der Überfall zum Scheitern verurteilt war, niemandem mitteilen. Er wollte sich nicht Vivars Spott einhandeln, indem er sie zugab, und einen anderen gab es nicht, dem er sich hätte anvertrauen können. Harper schien wie der Major beseelt von heiterer Zuversicht, dass der Angriff Erfolg haben würde. »Allerdings, Sir, wird der Major noch eine Woche warten müssen.«
Der Gedanke an einen Aufschub ließ in Sharpe Hoffnung aufkommen. »Er wird warten müssen?«
»Diese Freiwilligen, Sir. Sie sind noch nicht so weit, ganz und gar nicht.« Harper, der die Aufgabe übernommen hatte, die Freiwilligen in der Kunst des Pelotonfeuerns zu unterrichten, hörte sich ernstlich besorgt an.
»Hast du es dem Major schon gesagt?«
»Er kommt morgen zur Inspektion, Sir.«
»Ich werde da sein.«
Und am nächsten Morgen ging Sharpe durch einen Regen, der die Felsen dunkel verfärbte und von den Bäumen tropfte, hinab ins Tal, wo Leutnant Davila und Sergeant Harper dem Major die Ergebnisse der einwöchigen Ausbildung vorführten.
Es war eine Katastrophe. Vivar hatte lediglich verlangt, dass man den dreihundert Mann die Grundlagen des Musketendrills beibrachte, damit sie wie ein halbes Bataillon in drei Reihen dastehen und jene unablässigen Pelotonsalven abgeben konnten, die eine angreifende Streitmacht aufhalten würde.
Aber die Freiwilligen konnten die geraden, engen Reihen nicht einhalten, die das Musketenfeuer in tödliche Kanäle leitete. Das Problem nahm seinen Anfang, als die Männer in der hinteren Reihe instinktiv zurücktraten, um sich mehr Platz für die Handhabung ihrer langen Landestöcke zu schaffen, während die mittlere Reihe ebenfalls einen Schritt zurück tat, um Abstand von den Männern vor ihnen zu gewinnen. Dadurch löste sich die gesamte Formation auf. Unter Feuer würde sich dieser Rückzug instinktiv fortsetzen, und nach wenigen Salven würden die Franzosen diese Männer in die Flucht geschlagen haben. Hinzu kam, dass sie ohne Munition geübt hatten, denn es gab dafür nicht genug Pulver und Kugeln. Sie hatten den ganzen Musketendrill nur durchgespielt. Wie die vordere Reihe auf den Widerhall der Musketenschüsse aus den hinteren Reihen reagieren würde, wagte Sharpe sich nicht auszudenken.
Als »Muskete« wurde jede Schusswaffe eingesetzt, die die Männer mitgebracht hatten. Da gab es altersschwache Vogelflinten, Streubüchsen (Musketen mit kurzem Lauf und trichterförmiger Mündung), Sattelpistolen und sogar ein Gewehr mit Luntenschloss. Einige der Bergarbeiter hatten nicht einmal Feuerwaffen, sondern nur ihre Spitzhacken mitgebracht. Zweifellos ließen sich aus solchen Männern Furcht erregende Kämpfer machen, wenn sie sich ihren Feinden erst genähert hatten, aber die Franzosen würden das nicht zulassen. Sie würden diese Männer zerfleischen.
Es war nicht so, dass es den Freiwilligen an Mut gefehlt hätte. Ihre Anwesenheit in diesem entlegenen Tal zeugte von ihrer Bereitschaft zu kämpfen, aber sie ließen sich nicht so einfach in Soldaten verwandeln. Es dauerte Monate, um einen Infanteristen auszubilden. Es verlangte stahlharte Disziplin, um einen Mann so weit zu bringen, dass er in der Schlachtreihe stehen und sich den zahllosen Trommeln und schimmernden Bajonetten der Franzosen stellen konnte. Natürliche Tapferkeit oder übertriebener Eigensinn waren kein Ersatz für Ausbildung, eine Tatsache, die der Kaiser immer wieder unter Beweis gestellt hatte, wenn seine Veteranen Europas schlechter gedrillte Heere ausschalteten.
Ein französischer Infanterieangriff war eine eindrucksvolle Angelegenheit. Die französischen Truppen griffen nicht in Linien, sondern in riesigen Marschsäulen an. Reihe um Reihe dicht gedrängt marschierten die Männer im Rhythmus der Trommeln, die mitten unter ihnen von Knaben geschlagen wurden. Vorn und an den Flanken stürzten einzelne Männer, wenn Stoßtrupps über die Marschsäule herfielen. Gelegentlich fegte eine Kanonenkugel durch die engen Reihen, doch immer schlossen sich die Franzosen erneut zusammen und marschierten voran. Der Anblick war Furcht erregend, der Eindruck von Gewalt erschreckend, und selbst die tapfersten Männer konnten beim bloßen Anblick zusammenbrechen, wenn sie nicht monatelanger Drill gelehrt hatte standzuhalten.
»Aber wir werden es nicht mit Infanterie zu tun bekommen.« Vivar suchte angesichts der Katastrophe nach einem Hoffnungsfunken. »Nur mit der Kavallerie.«
»Keine Infanterie?« Sharpes Stimme klang zweifelnd.
»Es gibt nur ein paar Infanteristen zum Schutz des französischen Hauptquartiers«, sagte Vivar verächtlich.
»Aber wenn sie sich so ausbreiten«, Sharpe wies auf die entmutigten Freiwilligen, »können sie keiner Kavallerie standhalten, geschweige denn Infanterie.«
»Die französischen Kavalleristen sind erschöpft.« Vivar war deutlich von Sharpes ständigem Pessimismus pikiert. »Sie haben ihre Pferde bis auf die Knochen niedergeritten.«
»Wir sollten abwarten«, sagte Sharpe. »Abwarten, bis sie nach Süden aufgebrochen sind.«
»Glauben Sie denn, sie werden Galicien nicht weiter besetzt halten?« Vivar bestand auf seiner Weigerung zu warten. Er winkte Davila und Harper heran: Wie lange es dauern würde, die Freiwilligen in Form zu bringen?
Davila, der kein Infanterist war, blickte Harper an. Der Ire zuckte mit den Schultern. »Die Lage ist zum Verzweifeln, Sir. Ungeheuer schwierig.«
Harpers Antwort widersprach so sehr seiner üblichen Zuversicht, dass sogar Vivar sich davon deprimieren ließ. Der Spanier brauchte nichts weiter, als dass diese Freiwilligen auf ein Mindestmaß an Kampftüchtigkeit gebracht wurden, ehe er seinen Angriff ausführte, aber die Niedergeschlagenheit des Iren schien die Notwendigkeit anzudeuten, ihn auf unbestimmte Zeit zu verschieben oder gar ganz abzublasen.
Harper räusperte sich. »Was ich allerdings nicht verstehe, Sir, ist der Grund, warum Sie überhaupt Soldaten aus ihnen machen wollen.«
»Um eine Schlacht zu gewinnen«, warf Sharpe ein.
»Wenn es zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen diesen Burschen und französischen Dragonern kommt, werden wir nicht als Sieger hervorgehen ...«, Harper hielt inne, »... wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir.« Keiner der Offiziere sagte etwas. Harpers Stimme nahm einen Beiklang von Autorität an, wie immer, wenn ein praktisch denkender Mann Toren eine einfache Angelegenheit klarmacht. »Was hat es für einen Sinn, sie zur offenen Schlacht auszubilden, wenn Sie mit so einer Schlacht nicht rechnen? Warum müssen sie lernen, wie man Pelotonsalven abfeuert? Diese Burschen müssen in den Straßen kämpfen, Sir. Das bedeutet Nahkampf, wahrhaftig, und ich möchte wetten, darin sind sie so gut wie jeder Franzose. Schaffen Sie sie in die Stadt, dann lassen Sie sie los. Ich hätte keine Lust, mich diesen Halunken zu stellen.«
»Zehn ausgebildete Männer können einen Pöbelhaufen in Schach halten.« Sharpe, der seine Hoffnung auf einen Aufschub durch Harpers Worte zunichtegemacht sah, hatte sich barsch zu Wort gemeldet.
»Jawohl, aber wir haben zweihundert ausgebildete Männer«, sagte Harper, »und die setzen wir jeweils dort ein, wo es echte Probleme gibt.«
»Mein Gott!« Vivar war plötzlich begeistert. »Sergeant, Sie haben recht!«
»Nichts für ungut, Sir.« Harper freute sich offensichtlich über dieses Lob.
»Sie haben recht!« Vivar klopfte dem Iren auf die Schulter. »Ich hätte selbst darauf kommen müssen. Das Volk, nicht das Heer, wird Spanien befreien, warum also soll man das Volk in ein Heer verwandeln? Und wir vergessen, meine Herren, was für Kräfte innerhalb der Stadt auf unserer Seite stehen werden. Die Bürger! Sie werden sich erheben und für uns kämpfen, und wir würden uns nicht einfallen lassen, ihre Hilfe abzulehnen, weil sie nicht ausgebildet sind!« Vivars Optimismus, ausgelöst durch Harpers Worte, stand in voller Blüte. »Demnach können wir bald aufbrechen, meine Herren. Wir sind so weit!«
Nun würde man also auch noch auf jegliche Ausbildung verzichten, dachte Sharpe. Ein zahlenmäßig unterlegener Haufen würde zum Marsch auf eine ganze Stadt antreten. Aus Vivars Munde klang alles so einfach, als ginge es darum, eine Grube mit Ratten zu füllen und dann die Terrier loszulassen. Aber diese Grube war eine Stadt, und die Ratten warteten auf sie.
Vivars Freiwillige mochten keine ausgebildeten Soldaten sein, aber der Major bestand darauf, sie auf den Dienst an der spanischen Krone zu vereidigen. Die Priester führten die Zeremonie durch, und der Name jedes einzelnen Mannes wurde feierlich auf Papier festgehalten, als ordnungsgemäß vereidigter Soldat Seiner Christlichsten Majestät, Ferdinand VII. Nun durften die Franzosen Vivars Freiwillige nicht wie zivile Kriminelle behandeln.
Andererseits brauchten Soldaten Uniformen, und es gab kein farbiges Tuch, um leuchtend bunte Röcke anzufertigen, geschweige denn andere Ausrüstungsgegenstände des Soldaten wie Tschakos, Koppel, Munitionsbeutel oder Gamaschen. Aber es war reichlich grober brauner Wollstoff vorhanden, und aus diesem dürftigen Material ließ Vivar einfache Jacken nähen. Außerdem hatte man aus einem zwanzig Meilen entfernten Nonnenkloster weißes Leinen herangeschafft, aus dem man Schärpen herstellte. Heraus kam eine improvisierte Uniform, mit Schlaufen und knöchernen Knöpfen befestigt, aber wenn man Vivars Expedition überhaupt nach militärischen Kriterien beurteilen durfte, genügten die braunen Jacken durchaus als Soldatenröcke. Die Frauen der Freiwilligen schnitten die braunen Jacken zu und nähten sie zusammen, während Louisa Parker hoch droben in der Festung den Schützen half, ihre grünen Jacken zu flicken. Sie waren abgewetzt, zerrissen, fadenscheinig und angesengt, doch das Mädchen erwies sich als außerordentlich geschickt im Umgang mit Nadel und Faden. Sie nahm Sharpes grünen Rock an sich und sorgte in weniger als einem Tag dafür, dass er so gut wie neu aussah.
»Ich habe das Ungeziefer mit dem Bügeleisen vertrieben«, sagte sie fröhlich und hob eine Naht am Kragen an, um ihm zu beweisen, dass die Läuse tatsächlich mithilfe des zerbrochenen Säbels ausgerottet worden waren, den sie als Bügeleisen verwendet hatte.
»Ich danke Ihnen.« Sharpe nahm den Rock entgegen und sah, dass sie den Kragen gewendet, die Ärmel ausgebessert und die schwarzen Aufschläge geflickt hatte. Bei seiner Hose ließ sich das ursprüngliche Grau ohnehin nicht wieder herstellen, daher hatte sie Flicken aus braunem Wollstoff auf die schlimmsten Risse aufgesetzt. »Sie sehen aus wie ein Harlekin, Lieutenant.«
»Wie ein Narr?«
Ihre Unterhaltung fand am Abend jenes Tages statt, an dem Harper Vivar von der Nutzlosigkeit überzeugt hatte, die Freiwilligen auszubilden. Sharpe ging, wie an den vorangegangenen Abenden auch, mit Louisa auf der Festungsmauer spazieren. Diese Momente waren ihm teuer. Während die Angst vor der Niederlage in ihm heranwuchs, bot jedes Gespräch, für das er sich Zeit nahm, vorübergehend Hoffnung. Er liebte es, ihr vom Feuerschein erleuchtetes Gesicht zu betrachten, liebte die Sanftheit, die gelegentlich ihre Lebhaftigkeit dämpfte. Als sie sich jetzt gegen die Brustwehr lehnte, war sie in sanfter Stimmung. »Glauben Sie, mein Onkel und meine Tante werden in Santiago sein?«
»Möglich.«
Louisa war in den Mantel eines Cazadors gehüllt und trug eine eng anliegende Kappe. »Vielleicht wird meine Tante mich nicht wiederhaben wollen. Vielleicht empfindet sie mein schreckliches Betragen als so skandalös, dass ich aus Haus und Gemeinde verstoßen werde.«
»Halten Sie das für möglich?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Louisa nachdenklich. »Manchmal habe ich den Verdacht, dass ich es mir wünsche.«
»Wünschen?« Sharpe war überrascht.
»Dem größten Abenteuer der Welt vorbehaltlos ausgesetzt zu werden? Warum denn nicht?« Louisa lachte. »Als Kind, Lieutenant, hat man mir weisgemacht, es sei gefährlich, die Dorfwiese zu überqueren. Dort könnten mich die Zigeuner holen. Und sollten jemals Soldaten im Dorf erscheinen ...« Sie schüttelte den Kopf, um die enorme Gefahr anzudeuten, die ein derartiges Ereignis in den Augen ihrer Umgebung war. »Nun stecke ich mitten im Krieg und befinde mich ausschließlich in Gesellschaft von Soldaten!« Sie lächelte über ihre missliche Lage, dann bedachte sie Sharpe mit einem Blick, in dem sich Neugier und Zärtlichkeit vermengten. »Don Blas sagt, Sie seien der beste Soldat, dem er je begegnet ist.«
Sharpe fand es seltsam, dass sie Vivars Vornamen benutzte. Dann nahm er an, das Kompliment entspreche einer Gepflogenheit der Hidalgos. »Er übertreibt.«
»Wörtlich hat er gesagt«, Louisa sprach langsam, und Sharpe spürte, dass sie ihm eine Botschaft übermittelte, »wenn Sie mehr Vertrauen in sich selbst hätten, wären Sie der beste Soldat überhaupt. Wahrscheinlich hätte ich Ihnen das nicht sagen dürfen?« Er fragte sich, ob diese Kritik berechtigt war. Louisa, die sein Schweigen fälschlich als Betroffenheit interpretierte, entschuldigte sich.
»Ich bin sicher, dass es der Wahrheit entspricht«, sagte Sharpe hastig.
»Sind Sie gern Soldat?«
»Ich habe immer davon geträumt, einen Bauernhof zu besitzen. Gott weiß warum, denn ich verstehe nichts von diesem Gewerbe. Vermutlich würde ich die Rüben verkehrt herum einpflanzen.« Er blickte auf die Lagerfeuer im tiefen Tal: winzige Funken von Wärme und Licht in der weiten kalten Finsternis. »Ich habe mir vorgestellt, ein paar Pferde im Stall zu haben, einen Bach zum Angeln ...«, er unterbrach sich, zuckte mit den Schultern, »... und Kinder.«
Louisa lächelte. »Ich habe immer davon geträumt, in einem großen Schloss zu leben. Dort sollte es Geheimgänge geben, Verliese und geheimnisvolle Reiter, die des Nachts mit Botschaften eintreffen. Ich hätte es sicherlich vorgezogen, zu Zeiten der Königin Elizabeth zu leben. Katholische Priester im Gebüsch und Spanier im Ärmelkanal! Aber diese alten Feinde sind inzwischen unsere Freunde, nicht wahr?«
»Selbst die Priester?«
»Sie sind nicht die Ungeheuer, für die ich sie gehalten habe.« Sie schwieg eine Sekunde lang. »Aber wenn man zu streng nach einem Glaubensbekenntnis erzogen ist, wird man zwangsläufig neugierig auf den Feind, ist es nicht so? Und uns Engländern hat man immer beigebracht, die Katholiken zu hassen.«
»Mir nicht.«
»Aber Sie wissen, was ich meine. Sind Sie denn nicht neugierig auf die Franzosen?«
»Eigentlich nicht.«
Louisa runzelte die Stirn. »Ich bin jedenfalls neugierig auf die Katholiken. Derzeit hege ich sogar eine höchst unprotestantische Zuneigung zu ihnen. Ich bin sicher, Mister Bufford wäre empört.«
»Wird er je davon erfahren?«, fragte Sharpe.
Louisa zuckte mit den Schultern. »Ich werde ihm meine Abenteuer schildern müssen, nicht wahr? Und ich werde gestehen müssen, dass die Inquisition mich nicht gefoltert oder versucht hat, mich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.« Sie starrte hinaus in die Nacht. »Eines Tages wird mir das alles wie ein Traum vorkommen.«
»Wirklich?«
»Ihnen natürlich nicht«, sagte sie wehmütig. »Mir dagegen wird es eines Tages schwerfallen zu glauben, dass sich alles so abgespielt hat. Ich werde Mrs Bufford aus Godalming sein, eine höchst respektable, langweilige Dame.«
»Sie könnten doch hierbleiben«, sagte Sharpe und fand, dass er sehr tapfer sei, so etwas zu äußern.
»Könnte ich?« Louisa wandte sich ihm zu. Zu ihrer Linken war ein Glühen zu erkennen, wo einer der Schützen an seiner Pfeife zog, doch sie achtete nicht darauf. Sie wandte sich ab und zog ein unsichtbares Muster auf der Brustwehr nach. »Wollen Sie damit sagen, dass das britische Heer in Portugal bleiben wird?«
Die Frage überraschte Sharpe, der geglaubt hatte, auf eine intimere Gesprächsebene vorgedrungen zu sein. »Das weiß ich nicht.«
»Ich glaube, die Lissaboner Garnison ist längst aufgelöst«, sagte Louisa mit tonloser Stimme. »Und wenn nicht, was für einen Nutzen hätte so eine kleine Garnison, wenn die Franzosen gen Süden marschieren? Nein, Lieutenant, der Kaiser hat uns eine tüchtige Lehre erteilt, und ich fürchte, wir werden nicht noch einmal wagen, unser Heer aufs Spiel zu setzen.«
Sharpe fragte sich, woher sie ihre festen Überzeugungen zu Fragen der Strategie hatte. »Als ich sagte, sie könnten hier bleiben, habe ich gemeint ...«, begann er linkisch.
»Verzeihen Sie mir, ich weiß«, unterbrach Louisa ihn rasch. Dann herrschte zwischen ihnen ein ausgesprochen verlegenes Schweigen, ehe sie erneut das Wort ergriff. »Ich weiß, was Sie sagen wollten, und ich bin mir der Ehre nur allzu bewusst, die Sie mir erweisen, aber ich will nicht, dass Sie etwas von mir verlangen.« Sie sprach ihre förmliche Ablehnung mit sehr kleinlauter Stimme aus.
Sharpe hatte sagen wollen, dass er bereit sei, ihr alles in seiner Macht Stehende zu bieten. Das mochte nicht viel sein. Was das Geld anging, war es nichts, doch in Bezug auf sklavische Anbetung alles. Er hatte es nicht gesagt, doch Louisa hatte sein zusammenhangloses Gerede richtig verstanden, und nun fühlte er sich peinlich berührt und zurückgewiesen.
Louisa spürte offenbar seine Verlegenheit und bedauerte, sie herbeigeführt zu haben. »Ich will nicht, dass Sie im Augenblick etwas von mir verlangen, Lieutenant. Werden Sie mir Zeit lassen, bis die Stadt erobert ist?«
»Natürlich.« Erneut flammte in Sharpe die Hoffnung auf und vermischte sich mit der Scham, die sein ungeschickter Antrag hinterlassen hatte. Er ging davon aus, dass er zu früh gesprochen hatte und zu ungestüm, doch Louisas offensichtliches Verlangen, in Spanien zu bleiben und dem Schicksal einer Ehe mit Mr Bufford zu entgehen, hatte seine Worte provoziert.
Der Wachtposten entfernte sich von ihnen, und der Geruch seines Tabaks wehte hinter ihm her. Das Feuer im Hof loderte hoch auf, als ein Mann einen Holzscheit nachlegte. Louisa drehte sich um und sah zu, wie die Funken bis zu den Turmzinnen emporsprühten. Irgendwo aus der Tiefe der Festung drang der klagende Laut eines galicischen Dudelsacks, der Sharpes Männern jedes Mal gespielte Schreie des Entsetzens entlockte. Sie lächelte, als sie die pflichtschuldigen Proteste hörte, dann wandte sie sich mit einem anklagenden Stirnrunzeln an Sharpe. »Sie glauben also nicht, dass Don Blas mit der Eroberung der Stadt Erfolg haben wird, wie?«
»Natürlich glaube ich ...«
»Nein«, unterbrach sie ihn. »Ich habe Ihnen zugehört. Sie denken, es seien zu viele Franzosen in Santiago. Und insgeheim meinen Sie, dass wir es mit Don Blas' Wahnsinn zu tun haben.«
Sharpe geriet ob dieser Anschuldigung ein wenig aus der Fassung. Er hatte Louisa gegenüber seine wahren Befürchtungen nicht geäußert, doch sie hatte ihn ganz und gar durchschaut. »Es ist in der Tat Wahnsinn«, wandte er ein. »Sogar Major Vivar gibt das zu.«
»Er sagt, es sei Gottes Wahnsinn, und das ist etwas anderes«, erwiderte Louisa in sanftem Tadel. »Aber es würde sich eher ausführen lassen, nicht wahr, wenn weniger Franzosen in der Stadt wären?«
»Es würde sich sehr viel eher ausführen lassen«, sagte Sharpe trocken, »wenn ich vier Bataillone bester Rotröcke hätte, zwei Batterien mit Neunpfündern und weitere zweihundert Rifles.«
»Einmal angenommen ...«, begann Louisa, dann brach sie ab.
»Fahren Sie fort.«
»Einmal angenommen, die Franzosen würden glauben, Sie seien zu einem Versteck in der Nähe der Stadt marschiert. An einen Ort, wo sie den Tag über warten wollen, um kurz nach Einbruch der Dunkelheit anzugreifen. Und einmal angenommen«, fuhr sie eilig fort, um zu verhindern, dass er sie unterbrach, »die Franzosen wüssten, wo sich dieses Versteck befindet?«
Sharpe zuckte mit den Schultern. »Sie würden natürlich Männer aussenden, um uns abzuschlachten.«
»Und wenn Sie sich nun an einem ganz anderen Ort aufhalten würden«, sagte Louisa nun mit der gleichen Begeisterung, die sie für das Geheimnis der Truhe aufgebracht hatte, »könnten Sie Ihren Angriff durchführen, während sie aus der Stadt heraus sind!«
»Das ist alles reichlich kompliziert«, äußerte Sharpe mit kritischem Wohlwollen.
»Aber einmal angenommen, ich würde ihnen davon erzählen?«
Sharpe schwieg verblüfft. Dann schüttelte er abrupt den Kopf. »Machen Sie sich nicht lächerlich!«
»Nein, im Ernst! Wenn ich nach Santiago ginge«, übertönte Louisa mit erhobener Stimme seinen Protest, »wenn ich dorthin ginge und sagen würde, das sei es, was Sie vorhätten, würde man mir glauben! Ich könnte sagen, dass Sie mich nicht mitnehmen wollten und darauf bestanden hätten, ich müsse allein nach Portugal reisen, ich aber hätte mich lieber auf die Suche nach meiner Tante und meinem Onkel gemacht. Man würde mir glauben!«
»Niemals!« Sharpe wollte diesem Anfall von Wahnsinn ein Ende machen. »Major Vivar hat ihnen diesen Streich bereits einmal gespielt. Er hat das Gerücht verbreitet, er sei mit mir unterwegs, worauf die Franzosen eilig nach Süden gejagt sind. Sie werden nicht noch einmal darauf hereinfallen.« Es tat ihm leid, so viel Enthusiasmus zerstören zu müssen, aber ihre Idee war absolut unbrauchbar. »Selbst wenn Sie den Franzosen mitteilen, dass wir uns irgendwo verstecken, würden sie erst nach Sonnenaufgang Kavallerie aussenden, um uns zu finden. Und dann wäre es zu spät, noch anzugreifen. Wenn es einen Weg gäbe, die Garnison bei Nacht unterzubesetzen ...« Er zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, dass es so einen Weg nicht gebe.
»Das war nur so eine Idee.« Louisa starrte kläglich den Fledermäusen nach, die an den Festungsmauern vorbei durch die Nacht flatterten.
»Es war freundlich von Ihnen, dass Sie uns helfen wollten.«
»Ich will in der Tat helfen.«
»Sie helfen mir, indem Sie einfach da sind.« Sharpe versuchte, galant zu sein. Der Wachtposten machte am anderen Ende der Brustwehr kehrt und kam wieder langsam auf sie zu. Sharpe spürte, dass sich das Mädchen nun jeden Augenblick in ihr Gemach zurückziehen würde, und konnte, obwohl das Risiko weiterer Peinlichkeiten bestand, den Augenblick nicht verstreichen lassen, ohne seine schwache Hoffnung zu nähren. »Habe ich Sie vorhin beleidigt?«, fragte er unbeholfen.
»Wie kommen Sie nur darauf? Geschmeichelt bin ich.« Louisa betrachtete die Lichter im tiefen Tal.
»Ich kann nicht glauben, dass wir aus Spanien fliehen.« Wenn das Louisas ganzer Einwand gegen seinen Antrag war, dann war Sharpe entschlossen, ihn zu zerstreuen, nicht weil er wusste, dass die Garnison in Lissabon erhalten bleiben würde, sondern weil er nicht hinnehmen konnte, dass die britische Intervention gescheitert war. »Wir werden bleiben. Die Lissaboner Garnison wird verstärkt werden, und wir werden erneut angreifen!« Er hielt inne, dann wagte er sich näher an den Kern der Dinge vor. »Und beim Heer gibt es Offiziersfrauen. Einige leben in Lissabon, andere bleiben einen Tagesmarsch oder so hinter dem Heer, aber immerhin kommt es vor.«
»Mister Sharpe.« Louisa legte ihm eine behandschuhte Hand auf den Arm. »Geben Sie mir Zeit. Ich weiß, Sie wollen mir sagen, ich solle den Augenblick nutzen, aber ich weiß nicht, ob dieser Augenblick jetzt gekommen ist.«
»Tut mir leid.«
»Es gibt nichts, was Ihnen leidtun müsste.« Sie raffte ihren Mantel um sich. »Darf ich mich jetzt zurückziehen? Ich bin recht müde vom Nähen.«
»Gute Nacht, Miss.«
Kein Mensch auf der Welt, dachte Sharpe, kommt sich so töricht vor wie ein zurückgewiesener Mann, doch er redete sich ein, er sei nicht zurückgewiesen worden. Er sagte sich, dass sie ihm eine Antwort versprochen hatte, nachdem Santiago de Compostela erobert war. Es war seine Ungeduld, die eine frühere Antwort verlangte. Diese Ungeduld würde ihm keine Ruhe lassen und ihn vorantreiben in den Kampf um eine Stadt, von dem er triumphierend oder geschlagen zurückkehren würde, um die Antwort zu erhalten, nach der er sich sehnte.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Im Innenhof der Festung wurde die Messe gelesen, und anschließend traf ein Trupp Reiter aus dem Norden ein: finster dreinblickende, schwer bewaffnete Männer, die Vivar mit argwöhnischer Höflichkeit gegenübertraten. Später erzählte er Sharpe, dass diese Männer rateros seien, Straßenräuber, die ihre Gewalttätigkeit vorübergehend gegen den gemeinsamen Feind zu richten bereit waren.
Die rateros brachten Neuigkeiten von einem französischen Kurier, den sie mit seiner Eskorte vier Tage zuvor samt seiner verschlüsselten Depesche gefangen genommen hatten. Die Depesche sei verloren gegangen, aber man habe ihren Inhalt dem französischen Offizier entlockt, ehe er starb. Der Kaiser sei ungeduldig. Soult habe zu lange gewartet. Portugal müsse fallen, und die Briten, falls sie immer noch in Lissabon herumlungerten, müssten vor Ende Februar vertrieben werden. Marschall Ney solle im Norden bleiben und unter den feindlichen Kräften in den Bergen aufräumen. Es stand also fest, dass es, selbst wenn Vivar gewartet hätte, bis Soult unterwegs war, weiterhin französische Truppen in Santiago de Compostela geben würde.
Wenn Vivar dagegen jetzt angriff, während Soult noch zwölf Tagesreisen entfernt im Norden war und der kostbare Nachschub in der Stadt gelagert wurde, ließ sich ein doppelter Schlag austeilen: Die Vorräte konnten zerstört und das Banner konnte entfaltet werden.
Vivar dankte den Reitern, dann zog er sich ein Stunde lang allein zum Gebet in die Festungskapelle zurück.
Anschließend suchte er Sharpe auf. »Wir brechen morgen auf.«
»Nicht heute?« Wenn Eile so dringend geboten war, warum zusätzliche vierundzwanzig Stunden warten?
Doch Vivar ließ sich nicht davon abbringen. »Morgen. Wir brechen morgen Vormittag auf.«
Am kommenden Morgen, noch ehe er sich rasiert oder gar einen Becher von dem heißen, bitteren Tee getrunken hatte, den die Rifles so liebten, entdeckte Sharpe, warum Vivar noch einen Tag gewartet hatte. Der Spanier versuchte, die Franzosen mit einer weiteren falschen Spur irrezuführen. Zu diesem Zweck hatte er am Vorabend Louisa aus der Festung entsandt. Ihr Gemach war leer, ihr Bett kalt, und sie war verschwunden.