KAPITEL 8

Dies war kein guter Ort, sich einholen zu lassen: weites, offenes Gelände, wo die Kavallerie beinahe nach Belieben manövrieren konnte. Sicher, am Rand der Felder, die wie die Straße von niedrigen Steinmauern gesäumt waren, gab es sumpfige Stellen, aber Sharpe war sich darüber im Klaren, dass es ihm schwerfallen würde, seine Männer vor dem Zugriff des Feindes zu bewahren.

»Sind Sie sicher, dass es sich um Franzosen handelt?«, fragte George Parker.

Sharpe machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten. Ein Soldat, der nicht fähig war, den Feind an dessen Silhouette zu erkennen, war es nicht wert zu überleben. Dasselbe galt für einen Soldaten, der zögerte.

»Los! Los!«, rief er dem Kutscher zu, und der ließ, aufgeschreckt durch Sharpes plötzliches Gebrüll, seine Peitsche auf die beiden vordersten Zugpferde niederknallen. Zugriemen klirrten, Gestänge bog sich unter der Belastung, und die Kutsche fuhr ruckartig an.

Die Rifles zerrten die Lumpen aus ihren Gewehrschlössern. Sharpe sprach ein stilles Dankgebet an jene Gottheit, die für die Soldaten zuständig war, dass man diesen Männern just an dem Tag, als sie vom Heer abgeschnitten wurden, so viel Munition ausgeteilt hatte. Sie würden sie brauchen, denn sie waren bei Weitem in der Minderzahl, und ihre einzige Hoffnung lag darin, mithilfe ihrer Büchsen die Verfolgung durch den Feind aufzuhalten.

Sharpe nahm an, dass die Franzosen zehn Minuten brauchen würden, um den Pinienhain zu erreichen, der derzeit die Schützen verbarg. In östlicher oder westlicher Richtung gab es kein Entrinnen. Dort waren nur offene Felder. Er musste die Hügelkuppe im Süden erreichen, wo das Bauernhaus stand, und hoffen, dass ein Wunder geschah oder dass er dahinter ein für die Reiter unüberwindbares Hindernis vorfinden würde. Sollte auch dort kein Entkommen möglich sein, musste das Bauernhaus zur Festung verbarrikadiert werden. Aber zehn Minuten reichten nicht aus, um das Gehöft zu erreichen, deshalb hielt Sharpe ein Dutzend Männer im Pinienhain zurück. Die übrigen brachen unter Williams' Kommando zusammen mit der Kutsche auf.

Sharpe behielt Hagman da, denn der alte Wilderer konnte ungeheuer gut mit dem Gewehr umgehen, und Harper samt seinen Spießgesellen, weil Sharpe sie für die besten Kämpfer hielt.

»Lange können wir sie nicht aufhalten«, sagte er zu der kleinen Schar von Männern, »aber wir können etwas Zeit gewinnen. Sobald wir den Rückzug antreten, heißt es rennen wie der Teufel.«

Harper bekreuzigte sich. »Gott schütze Irland.« Vor seinen Augen kamen mindestens zweihundert Dragoner hintereinander die morastige Straße entlang, die vor kaum einer Stunde der Kutsche solche Mühe bereitet hatte.

Die Schützen lagen am Rand der Baumgruppe. Für die immer noch eine halbe Meile entfernten Franzosen waren sie unsichtbar.

»Verhaltet euch still!«, ermahnte Sharpe seine Männer. »Zielt auf die Pferde. Wir müssen auf große Entfernung treffen.« Er hätte gern gewartet, bis der Feind auf zweihundert Yards herangekommen war, um das Feuer zu eröffnen, aber das hätte bedeutet, die Reiter allzu nahe heranzulassen. So war er gezwungen, auf äußerste Reichweite seiner Gewehre zu schießen, in der Hoffnung, dass die Kugeln genügend Panik und Verwirrung stiften würden, um die Franzosen ein paar kostbare Minuten lang aufzuhalten.

Sharpe stand im Schutz der Dunkelheit, die unter den Pinien herrschte, mehrere Schritte hinter seinen Männern. Er zog sein Teleskop hervor und stützte das lange Rohr gegen einen Pinienstamm.

Er sah dunkelgrüne Uniformröcke mit rosa Besatz und Schnauzbärte. Das Fernrohr holte die anrückende französische Marschformation so dicht heran, dass die Linse erfüllt war mit Männern, die sich im Sattel hoben und senkten. Säbelscheiden, Musketen, Munitions- und Proviantbeutel wippten. Auf diese Entfernung wirkten die Gesichter der Franzosen im Schatten ihrer Feldmützen ausdruckslos und bedrohlich. Hinter die Sättel hatten sie merkwürdige Bündel geschnallt, bei denen es sich, wie Sharpe erkannte, um Futternetze für die Pferde handelte. Jetzt machten die Franzosen halt.

Sharpe fluchte leise.

Er schwenkte das Teleskop von rechts nach links. Die Dragoner hatten den schlimmsten Morast hinter sich gebracht und in einer reglosen Reihe Stellung bezogen. Einzelne Pferde senkten die Köpfe, um am feuchten Gras zu zupfen.

»Sir?«, rief Hagman. »Auf der Straße, Sir! Sehen Sie die Halunken?«

Sharpe riss das Fernrohr herum, zurück zur Mitte der feindlichen Linie. Eine Gruppe von Offizieren war dort erschienen. Ihre Achselschnüre und Epauletten glänzten matt silbern im Wintersonnenschein. In ihrer Mitte befanden sich der Gardeoffizier im roten Pelz und der Zivilist mit dem schwarzen Mantel und den hellen Stiefeln. Sharpe fragte sich, welch übersinnliche Gabe es diesen Männern ermöglicht hatte, seine Spur über das winterliche Land zu verfolgen.

Der Gardeoffizier zog sein Teleskop aus. Sharpe hatte das Gefühl, als würde der Franzose direkt in das verräterische Rund seiner eigenen Linse starren. Er rührte sich nicht, bis das andere Teleskop wieder zusammengeschoben wurde. Dann beobachtete er, wie der Oberst einem Dragoneroffizier, offenbar einem Adjutanten, einen Befehl erteilte, worauf dieser in westlicher Richtung davongaloppierte.

Ergebnis des Befehls war, dass eine kleine Abteilung der Dragoner die schweren Helme zur Hand nahm, die von ihren Sattelknäufen hingen. Sechs Männer stülpten sich die Helme auf: ein sicheres Zeichen, dass sie das Kommando zum Vorrücken erhalten hatten. Der Gardeoffizier ahnte, dass sich bei den Pinien ein Hinterhalt verbergen konnte, und sandte deshalb eine Vorhut aus.

Sharpe hatte den Überraschungsvorteil verloren. Obwohl der Feind nicht wusste, dass sie auf ihn warteten, war er auf Schwierigkeiten gefasst. Sharpe schob sein Fernrohr zusammen und fluchte auf die Vorsicht des französischen Befehlshabers, der ihm nun eine gefährliche Wahl aufzwang.

Sharpe konnte die sechs Männer töten lassen, aber ob dadurch die übrigen Dragoner aufgehalten wurden? Würden sie nicht vielmehr, nachdem sie mithilfe der wenigen abgefeuerten Schüsse seine Kampfstärke eingeschätzt hatten, zum vollen Galopp ansetzen, der die Mehrzahl der Reiter an die Bäume heranführen würde, lange, bevor die Schützen den südlichen Hügelkamm erreicht hatten? Statt zehn Minuten hätte er so nur noch fünf Minuten gewonnen.

Er zögerte. Wenn er jedoch als Soldat eines gelernt hatte, dann die Einsicht, dass jede Entscheidung, und sei es die falsche, besser war als keine Entscheidung. »Rückzug antreten! Schnell! In Deckung bleiben!«

Die Schützen krochen rückwärts und standen erst auf, als die Bäume sie vor den Franzosen verbargen. Dann folgten sie Sharpe auf die Straße und rannten.

»Jesus!« Es war Harper, der diese Verwünschung ausstieß, beim Anblick der parkerschen Kutsche, die kaum zweihundert Yards vor ihnen stecken geblieben war. Der Kutscher hatte in seiner Hast an einer Wegbiegung ein Rad gegen die Steinmauer gerammt. Williams und seine Männer mühten sich vergebens, das Gefährt freizubekommen.

»Aufhören!«, bellte Sharpe. »Aufhören!«

Mrs Parkers Kopf erschien am Fenster der Kutsche. Sie schickte sich an, seinen Befehlen zu widersprechen. »Schiebt! Schiebt!«

»Aussteigen!« Sharpe quälte sich durch den Morast. »Aussteigen!« Sollte die Kutsche gerettet werden, musste man die Pferde zwingen, rückwärts auszuweichen, sich zu drehen und dann wieder vorwärts zu gehen. Das brauchte Zeit, die er nicht hatte, daher musste das Fahrzeug aufgegeben werden.

Aber Mrs Parker war nicht gewillt, den Komfort der Kutsche zu opfern. Sie ignorierte Sharpe und lehnte sich gefährlich weit aus dem Fenster, um den Kutscher mit ihrem gewickelten Schirm zu bedrohen. »Gib ihnen die Peitsche, du Narr! Fester!«

Sharpe packte die Türklinke und drückte sie herunter. »Aussteigen! Raus jetzt!«

Mrs Parker schlug mit dem Schirm nach ihm, sodass ihm der fleckige Tschako über die Augen rutschte, aber Sharpe ergriff ihr Handgelenk und zog. Mit einem Aufschrei stürzte sie in den Schmutz. »Sergeant Williams?«

»Sir?«

»Zwei Männer, um die Kisten vom Dach zu holen!« Die Kisten enthielten Sharpes Ersatzmunition.

Gataker und Dodd kletterten hinauf, droschen mit ihren Schwertbajonetten auf die Halteseile ein und warfen den wartenden Schützen die schweren Kisten zu.

George Parker wollte Sharpe ansprechen, doch der Offizier hatte für seine Sorgen keine Zeit. »Sie müssen wohl oder übel rennen, Sir. Zum Bauernhof!« Sharpe drehte den hochgewachsenen Mann in Richtung des Steinhauses und der Scheune, die weit und breit die einzige Zuflucht in dieser kahlen Landschaft waren.

In Louisas Augen spiegelte sich nervöse Erregung. Das Mädchen wurde von Mrs Parker beiseite gestoßen. Beschmutzt durch ihren unsanften Fall und beinahe von Sinnen, weil sie Kutsche und Gepäck verlieren sollte, versuchte sie, sich auf Sharpe zu stürzen. Doch der brüllte die Familie an, sie sollten endlich losrennen.

»Sind Sie denn lebensmüde, Frau? Nun aber los! Sergeant Williams! Eskortieren Sie die Damen! Rettet euch in das Bauernhaus!«

Mrs Parker schrie nach ihrer Reisetasche, die Mr Parker zitternd wie Espenlaub aus dem Innern der Kutsche barg. Endlich stürmte die Familie, umgeben von Schützen, den Hang hinauf.

»Sir?« Harper hielt Sharpe auf. »Straßenblockade?« Er wies auf die Kutsche.

Sharpe hatte keine Zeit, sich über die plötzliche Hilfsbereitschaft des Iren zu wundern. Er erkannte jedoch den Wert seines Vorschlags. Wenn die Straße blockiert war, mussten die Franzosen die Steinmauern überwinden, die zu beiden Seiten die Felder säumten. Dadurch war nicht viel gewonnen, aber in dieser verzweifelten Lage kam es auf jede Minute an. Er nickte. »Wenn's geht.«

»Kein Problem, Sir.« Harper hakte die Zugriemen, Gestänge und Deichseln aus, während andere Männer Halfter und Zügel kappten. Der Ire schlug den Tieren auf die Flanke, um das befreite Gespann den Hügel hinaufzutreiben. »So, Jungs! Jetzt kippen wir den Kasten um!«

Die Schützen versammelten sich auf der rechten Seite der Kutsche. Sharpe spähte in Richtung der Bäume, wartete auf die Vorhut des Feindes. Dann konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen, sich umzudrehen und zu beobachten, wie der Ire seinen Helfern befahl, die Kutsche anzuheben.

Einen Moment lang wollte sie sich nicht vom Fleck rühren, dann schien Harper das ganze Gewicht des Gefährts auf die eigenen mächtigen Schultern zu nehmen. Er stemmte sich dagegen. Da bewegten sich die Räder im Schlamm, und die Achsnabe kratzte dort, wo sie sich verfangen hatte, am Gemäuer entlang. »Hievt!« Harper dehnte das Wort zu einem lang gezogenen Schrei, während die Kutsche sich immer höher in die Lüfte erhob. Eine Sekunde lang drohte sie, rückwärts umzukippen und die Grünjacken unter sich zu begraben. Sharpe rannte los, um das riesige Gefährt mit seinem eigenen Gewicht abzustützen. Die Kutsche wankte noch einen Moment, dann stürzte sie mit splitterndem Krachen auf die Seite und versperrte die Straße. Drinnen hagelte es Gepäckstücke und Sitzkissen, und die spanischen Ausgaben des Neuen Testaments verteilten sich im Morast.

»Kavallerie, Sir!«, rief Hagman.

Sharpe wandte sich nach Norden und sah, wie die sechs feindlichen Reiter ihre Pferde am Rand der Baumgruppe zügelten. Er zielte rasch, zu rasch, und sein Schuss ging fehl. Hagman, der eine Sekunde später schoss, sorgte dafür, dass sich eines der Pferde aufbäumte. Die übrigen Dragoner rissen ihre Tiere herum. Zwei weitere Schüsse fielen, ehe sich die feindliche Vorhut unter den Pinien in Sicherheit bringen konnte.

»Los jetzt!«, brüllte Sharpe.

Die Schützen rannten los. Ihre Schwertbajonette wippten, und die Tornister schlugen mit dumpfem Laut gegen ihre Rücken, während sie die Straße hinaufeilten. Eine Musketenkugel, auf große Entfernung abgeschossen, zischte über Sharpes Kopf hinweg. Er sah, dass Mrs Parker von zwei Schützen mitgezerrt werden musste, und hätte bei dem Anblick am liebsten gelacht. Es war zu lächerlich. Er war der Kavallerie in die Falle gegangen und zugleich hätte er sich ausschütten können vor Lachen.

Sharpe holte zu Sergeant Williams' Trupp auf. Mrs Parker war wütend, jedoch zu sehr außer Atem, um ihn anzuschreien. Sie war schlicht zu dick, um schnell voranzukommen. Sharpe sah sich nach Harper um. »Schleppt sie einfach mit!«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein, Sir!«

»Dann tragt sie, wenn's sein muss!«

Der Ire stemmte sich gegen Mrs Parker. Louisa lachte, aber Sharpe rief dem Mädchen zu, es solle weiterrennen. Er selbst ging mit den verbliebenen Männern im Schutz einer Steinmauer neben der Straße in Stellung und hielt Ausschau nach den Verfolgern.

Sharpe hörte, wie sich die Dragoner mit Trompetensignalen untereinander verständigten. Die Vorhut hatte signalisiert, dass der Feind in Sicht und auf der Flucht sei, daher würden die übrigen Dragoner nun losreiten, nachdem sie statt ihrer Feldmützen mit Stoff überzogene Helme aufgesetzt hatten. Säbel würden rasselnd aus der Scheide fahren, Musketen von der Schulter genommen.

»Die müssen durch die Bäume, also werden wir den Schweinehunden eine Salve verpassen und uns dann aus dem Staub machen! Zielt dorthin, wo die Straße zwischen den Bäumen herauskommt, Jungs!«

Sharpe hoffte, die Dragoner mindestens eine Minute lang aufzuhalten oder gar noch länger. Wenn die Spitze der feindlichen Kolonne unter den Bäumen erschien, würde er sie mit einer gut gezielten Salve bedecken, und die nachfolgenden Reiter würden Zeit brauchen, um an den verwundeten Tieren vorbeizukommen.

Hagman lud sorgsam sein Gewehr mit Pulver und Kugel von bester Qualität. Er scheute die fertigen Patronen, die mit gröberem Pulver hergestellt waren. Stattdessen benutzte er für sein Gewehr das feinste Pulver, das jeder der Schützen in einem Horn bei sich trug. Die Kugel hüllte er in das eingefettete Stück Leder, das beim Abschuss der Waffe dafür sorgen würde, dass die sieben spiralförmigen Rillen und Erhebungen griffen, die der Kugel Drall verliehen. Er rammte die lederumhüllte Kugel gegen den Widerstand des Viertelgewindes in den Lauf, dann füllte er die Pfanne mit einer Prise guten Pulvers. Es dauerte lange, ein Gewehr so zu laden, aber der nachfolgende Schuss konnte höllisch genau sein. Als Hagman fertig war, legte er das Gewehr über die Steinmauer und gab einen Strahl vom Tabak verfärbter Spucke von sich. »Bei dem Wind müsst ihr einen Schritt nach links zielen.«

Auf der Mauer neben Sharpe landete ein Regentropfen. Er betete, der Regen möge noch so lange auf sich warten lassen, bis seine Gewehre geschossen hatten, und ging dabei zwischen den Männern auf und ab. »Hier wird nicht lange geschossen! Eine Salve und dann nichts wie weg.«

»Sir?« Ein Mann am Ende ihrer Linie zeigte auf die Bäume östlich der Straße, und als er den Blick dorthin wandte, meinte Sharpe, dort eine Bewegung erspäht zu haben. Er knöpfte die Tasche auf, in der er sein Teleskop aufbewahrte, aber noch ehe er das Glas aus seiner Schutzhülle ziehen konnte, brach der Feind in einer einzigen mächtigen Sturmreihe zwischen den Bäumen hervor.

Sharpe hatte erwartet, dass die Franzosen hintereinander durch die Lücke kommen würden, die die Straße zwischen den Pinien freiließ, aber die Dragoner waren nach rechts und links unter die Bäume ausgeschert. Nun preschte, behelmt und mit gezogenen Säbeln, die gesamte Streitmacht des Feindes heran.

»Feuer!«

Was kam, war eine kraftlose Salve. Hätten die Gewehre sich auf eine dicht gedrängte Marschsäule konzentrieren können, wäre es ihnen gelungen, die Straße in ein Schlachthaus schreiender Pferde und blutender Männer zu verwandeln. Aber gegen eine breite Front von Reitern, die in einer einzigen Reihe angriffen, konnten ihre Kugeln kaum mehr Schaden anrichten als die lästigen Pferdefliegen. Nur ein Pferd wurde von Hagmans sorgfältig gezielter Kugel getroffen, strauchelte und fiel hin.

»Und los!«, brüllte Sharpe.

Die Rifles rannten, als sei ihnen der Teufel auf den Fersen. Die Franzosen hatten ihre Salve vorausgesehen, waren davor auf der Hut gewesen. Nun hatten sie offenes Gelände erreicht und stürmten mit Gebrüll voran wie Jäger, die Blut gerochen haben. Weiter vorn bogen die übrigen Schützen soeben in Richtung Bauernhaus ab. Louisa, sah Sharpe, trug den Tornister des verwundeten Cameron und zog den Mann an der Hand hinter sich her.

»Rechts sind die Schweinehunde auch!«, rief Hagman warnend. Als Sharpe sich umdrehte, sah er, dass die Reiter im Osten den festeren Boden unter sich hatten und daher seine kleine Schar wahrscheinlich am ehesten einholen würden. Die Dragoner ritten wie bei einem Hindernisrennen, die Ahnung des Sieges in den Nüstern. Eine Bresche in der Mauer ermöglichte ihnen zusätzliche Schnelligkeit, sorgte aber zugleich dafür, dass sie dichter zusammenrückten, wie es beim Rennen geschieht, wenn die Beteiligten einer Kurve entgegenstreben. Sharpe sah Wasser von den Hufen der Pferde aufsprühen, als die Kavalleristen durch eine sumpfige Stelle ritten, dann jedoch war er verblüfft, als zwei der Pferde außerdem rotes Blut verspritzten und ein Säbel durch die Luft wirbelte. Dann sah er, wie sich ein Mann im Sattel krümmte, herabfiel und von einem verängstigt wiehernden Pferd mitgeschleift wurde. Erst da hörte Sharpe vor sich das Krachen von Büchsen.

Harper hatte Mrs Parker sich selbst überlassen und war am Rande der äußeren Gehöftmauern mit seinen Schützen in Stellung gegangen. Ihre Salve hatte die von Osten kommende Kavallerie zerstreut, sodass Sharpes Trupp wenigstens eine geringe Chance bekam.

»Los! Los!«

Die Männer schlangen sich ihre Büchsen um und rannten los. Sharpe hörte hinter sich feindliches Hufgetrappel. Er hörte das Knirschen der Sättel, die Zurufe der Offiziere und Unteroffiziere. Weitere Kugeln zischten an ihm vorüber, abgeschossen vom Bauernhof aus, um ihm Deckung zu gewähren. Louisa starrte mit weit aufgerissenen Augen herüber.

»Links, Sir!«, rief ein Mann. »Links!« Nun kamen auch von Westen Kavalleristen herangeritten, jene Männer, die die Straßensperre umrundet hatten und sich nun mit ihren Tieren anschickten, am Straßenrand über die Steinmauer zu setzen. Ein Mann wurde mitten im Sprung von einer Kugel getroffen und herumgerissen. Die anderen ritten unversehrt weiter, und Sharpe wusste, dass sein Trupp in der Falle saß. Er zog den großen Degen, stellte sich breitbeinig auf und ließ den ersten Franzosen herankommen. »Rennt weiter!«, brüllte er seinen Männern zu. »Weiter!«

Der erste Franzose war ein Dragoneroffizier, der sich tief über die Mähne beugte und die Spitze seines Säbels hielt wie eine Lanze, um Sharpe damit den Bauch aufzuschlitzen. Sharpe holte mit dem Degen aus und schwang ihn von rechts nach links - ein beidhändiger Hieb, der auf das Maul des Pferdes abzielte. Er traf Knochen und Zähne, das Tier wich ruckartig aus, und Sharpe warf sich gegen seinen Leib, sodass der Säbel des Franzosen außen an ihm vorbeistieß und ihn verfehlte. Er versuchte den Reiter aus dem Sattel zu ziehen, bekam ihn aber nicht zu fassen. Sein Tschako flog davon, als das Futternetz ihn umwarf. Die Hinterhand des Pferdes traf seine Hüfte, dann war der Dragoner fort, und Sharpe rappelte sich mühsam auf.

»In Deckung!« Das war Harpers Stimme, und Sharpe ließ sich instinktiv fallen, als eine weitere Salve über ihn hinwegbrauste. Ein Pferd wieherte, glitt aus und fiel in den Morast der Straße. Ein ausschlagender Huf verfehlte Sharpes Kopf nur knapp.

»Los jetzt!«, bellte Harper.

Sharpe warf noch einen Blick auf das Blutbad auf der Straße. Harpers Salve, ausgerichtet auf das Getümmel, das in der Enge zwischen den Steinmauern herrschte, hatte die Reiter wirksam aufgehalten.

Sharpe rannte durch das Tor des Bauerngehöfts. Nun musste er nur noch eine Weide überqueren, dann war er in Sicherheit. Die Schützen retteten sich bereits einer nach dem anderen ins Bauernhaus, und Sharpe entdeckte den ersten Fensterladen, der von einem Gewehrlauf aufgestoßen wurde.

»Hinter Ihnen!« Wieder erklang Hufgetrappel, diesmal von links. Mit einem Knurren drehte sich Sharpe um. Seinen Degen stieß er in Richtung des Pferdes, doch das Tier wich ihm aus und zwang seinen Reiter, den schwierigen Hieb nach unten quer über den eigenen Körper hinweg zu versuchen. Als er sich nach vorn warf, spürte Sharpe, wie sich sein Degen in den linken Oberschenkel des Dragoners bohrte. Das Tempo von Mann und Pferd riss den Reiter von der Klinge los. Weitere Schüsse ertönten. Eine Kugel pfiff so dicht an Sharpe vorbei, dass er sie wie einen Windstoß spürte.

»Los jetzt!«, rief Harper erneut.

Sharpe rannte. Er erreichte das Bauernhaus, als der letzte Schütze soeben die Schwelle überschritten hatte. Harper stand bereit, um die Tür zu schließen und mit einer Truhe zu versperren.

»Danke!«, rief Sharpe keuchend, nachdem er wie eine Kanonenkugel durch die Tür geschossen war. Harper ignorierte ihn.

Sharpe fand sich in einem Durchgang wieder, der von Norden nach Süden durch das gesamte Bauernhaus verlief. Beide Enden des Durchgangs waren mit Türen verschlossen, während zwei weitere Türen ins Innere des Hauses führten. Er wählte die Tür zur Linken und kam in eine geräumige Küche, wo ein Mann und eine Frau zitternd vor Angst neben dem Herdfeuer kauerten. Im Herd hing an einem Topfhaken ein brodelnder Kessel mit stinkender Seifenlauge.

Der Kutscher der Parkers redete dem Paar gut zu, dann begann er, eine mächtige Sattelpistole zu laden. Louisa war damit beschäftigt, eine kleine Pistole mit Elfenbeingriff aus ihrem Futteral zu befreien.

»Wo ist Ihre Tante?«, fragte Sharpe.

»Dort.« Sie zeigte auf eine Tür an der Innenwand der Küche.

»Sehen Sie zu, dass Sie auch dort verschwinden.«

»Aber ...«

»Ich sagte, verschwinden!« Sharpe schloss das Pistolenfutteral und schob Louisa, obwohl diese sehr entrüstet war, in Richtung Vorratskammer, wo ihre Tante und ihr Onkel zwischen hohen Steinkrügen kauerten. Dann trat er hinkend an das nächstgelegene Fenster und sah die Dragoner unweit der kleinen Scheune. Seine Männer schossen auf sie. Ein Pferd bäumte sich auf, ein Franzose fuhr mit der Hand an den getroffenen Arm, und eine Trompete schmetterte.

Die Dragoner zerstreuten sich. Sie entfernten sich nur so weit, dass sie hinter der gemauerten Scheune oder den Feldmauern Schutz suchen konnten. Sharpe wusste, dass es nur noch Sekunden dauern konnte, bis sie abgesessen waren und anfangen würden, das Bauernhaus unter Beschuss zu nehmen. »Wie viele Fenster gibt es hier, Sergeant?«

»Keine Ahnung, Sir.« Williams keuchte immer noch von der Anstrengung, bergauf gerannt zu sein.

Von draußen pfiff eine Kugel durch die Küche. Sie traf hoch über Sharpes Kopf einen Deckenbalken. »Haltet eure verdammten Köpfe unten! Und erwidert das Feuer!«

Drunten gab es drei Räume: die große Küche, die ein Fenster nach Norden und eines nach Süden hatte. Die kleine Vorratskammer, in der die Parkers saßen, hatte keine Fenster. Auf der anderen Seite des Durchgangs befand sich außerdem ein wesentlich größerer Raum, eine Stallung für die Tiere. Zwei Schweine und ein Dutzend verschreckter Hühner waren die einzigen Bewohner.

Von der Küche aus führte eine Leiter hinauf in den einzigen Schlafraum. Ein massives Bett und eine Kommode zeugten vom relativen Wohlstand des Gehöfts. Der Raum hatte zwei Fenster, die ebenfalls nach Norden und Süden wiesen. Sharpe platzierte Schützen an beiden Fenstern, dann befahl er Sergeant Williams, dort oben das Kommando zu übernehmen und in die östlichen und westlichen Wände Schießscharten hauen zu lassen. »Und ins Dach!«

»Ins Dach?« Williams starrte zu den dicken Balken empor, die die Dachziegeln verbargen.

»Damit wir auch nach Westen und Osten Ausschau halten können«, bekräftigte Sharpe. Solange er an dieser Flanke blind war, war er einem französischen Überraschungsangriff hilflos ausgesetzt.

Wieder unten angekommen, befahl Sharpe, neben dem Schornstein eine weitere Schießscharte zu hauen. Der spanische Bauer nahm, als er verstand, was zu tun war, selbst eine Spitzhacke zur Hand und begann, auf die Mauer einzuschlagen. Ein Kruzifix, das an der weiß getünchten Wand hing, erzitterte unter der Gewalt der Hiebe, die der Mann ausführte.

»Schweinehunde von rechts!«, rief Harper drüben am Fenster. Büchsen wurden abgefeuert. Jene Grünjacken, die geschossen hatten, zogen sich in geduckter Haltung zurück und machten anderen Platz. Mehrere abgesessene Dragoner hatten versucht, das Bauernhaus im Sturm zu nehmen. Nun lagen drei von ihnen in einer Pfütze. Zwei davon rappelten sich auf und brachten sich hinkend in Sicherheit, der Dritte blieb reglos liegen. Sharpe sah, wie die Regentropfen die blutgetränkte Wasserfläche trafen.

Dann blieb es einen Moment lang ziemlich ruhig.

Keiner von Sharpes Männern war verwundet. Sie waren atemlos und ziemlich nass, aber in Sicherheit. Wegen der Bedrohung durch das Musketenfeuer, das ständig die Fenster traf, standen sie gebückt, sodass die Kugeln nur im Haus Schaden anrichteten. Sharpe spähte erneut nach draußen und sah, dass der Feind in Abzugsgräben beziehungsweise hinter dem Misthaufen in Deckung gegangen war. In der Küche bot die Bauersfrau mit fahrigen Bewegungen den Grünjacken in Scheiben geschnittene Wurst an.

George Parker kam auf Händen und Knien aus der Vorratskammer gekrochen. Ängstlich wartete er, bis Sharpe auf ihn aufmerksam wurde. Dann erkundigte er sich, welchem Aktionsplan Lieutenant Sharpe zu folgen gedenke.

Lieutenant Sharpe teilte Mr Parker mit, er habe vor, zu warten, bis es dunkel wurde.

Parker schluckte. »Das kann Stunden dauern!«

»Höchstens fünf, Sir.« Sharpe lud sein Gewehr nach. »Es sei denn, Gott lässt die Sonne stillstehen.«

Parker wollte auf diese leichtfertige Bemerkung nicht eingehen. »Und dann?«

»Dann brechen wir aus, Sir. Aber erst, wenn es ganz dunkel ist. Wir verdreschen die Schweinehunde, wenn sie am wenigsten damit rechnen, bringen ein paar von ihnen um und hoffen, dass die anderen darüber in Verwirrung geraten.« Sharpe richtete sein Gewehr waagerecht aus und füllte die Pfanne mit Zündpulver. »Sie können uns nicht viel anhaben, solange wir uns bedeckt halten.«

»Aber ...« Parker zuckte zusammen, als eine Kugel über seinem Kopf in die Wand schlug. »Meine liebe Frau, Lieutenant, wünscht, dass Sie ihr versichern, dass wir unsere Kutsche wiederbekommen.«

»Ich fürchte, das geht nicht, Sir.« Sharpe richtete sich halb auf, sah hinter dem Misthaufen einen Schatten und schoss sein Gewehr ab. Die Waffe rauchte, und auf dem Boden schwelte ein Fetzen Papier. »Dazu wird keine Zeit sein, Sir.« Er duckte sich, holte eine Patrone aus seiner Munitionstasche und biss sie auf.

»Aber meine Bibeln!«

Sharpe dachte nicht daran, ihm zu offenbaren, dass die Bücher, als er sie zuletzt gesehen hatte, im spanischen Morast verstreut waren. Er schüttete das Pulver in die Mündung seines Gewehrs. »Ihre Bibeln, Sir, sind Napoleons Heer in die Hände gefallen.« Er rammte Kugel und Papier in den Gewehrlauf. Der Salpeter hatte einen stechenden Geschmack und trocknete ihm den Mund aus.

»Aber ...« Wieder wurde Parker von einer Musketenkugel zum Schweigen gebracht. Sie traf scheppernd einen Topf, der von einem Balken herabhing, hinterließ ein Loch in dessen Metallboden, prallte gegen den nächsten Deckenbalken und fiel Sharpe vor die Füße. Er hob sie auf und ließ sie in der Hand herumrollen, weil sie noch heiß war. Dann roch er daran. Parker runzelte verwirrt die Stirn.

»Es geht das Gerücht, die Franzmänner würden ihre Kugeln vergiften, Sir.« Sharpe sprach laut, sodass seine Männer, darunter einige, die halb von dieser Geschichte überzeugt waren, mithören konnten. »Stimmt aber nicht.«

»Wirklich nicht?«

»Nein, Sir.« Sharpe nahm die Kugel in den Mund, grinste und schluckte sie hinunter. Seine Männer lachten über George Parkers bekümmerte Miene. Sharpe drehte sich um, weil er sehen wollte, wie der Bauer mit seiner Schießscharte vorankam. Die Mauern des Hauses waren ungeheuer dick. Die Spitzhacke des Mannes war einen Fuß tief in die mittlere Schuttschicht eingedrungen, jedoch noch längst nicht draußen angelangt.

Eine Musketensalve krachte gegen das rückwärtige Fenster. Die Schützen blieben unverletzt und taten brüllend ihre Verachtung kund. Diese Reaktion konnte der grauhaarige Parker nicht nachempfinden. »Sie sind dem Untergang geweiht, Lieutenant!«

»Sir, wenn Sie nichts Besseres ...«

»Lieutenant! Wir sind Zivilisten! Warum sollten wir hierbleiben und mit Ihnen in den Tod gehen?« George Parker hatte unter Beschuss seine Courage wiedergefunden, die Courage, sein ängstliches Gemüt sprechen zu lassen und die Kapitulation zu verlangen.

Sharpe versah seine Büchse mit Zündpulver. »Sie wollen also dort hinausgehen, Sir?«

»Wir brauchen eine weiße Fahne, Mann!« Parker zuckte zusammen, als erneut eine Musketenkugel schräg über seinem Kopf einschlug.

»Wenn es das ist, was Sie wollen, Sir ...« Aber noch ehe Sharpe seinen Satz beenden konnte, erklang aus dem Obergeschoss Sergeant Williams' panikartiger Schrei, dann folgte ein hallendes Krachen, als eine massive feindliche Salve die Vorderseite des Hauses traf. Ein Schütze wurde vom Fenster zurückgerissen. Aus seinem Kopf spritzte Blut. Zwei Gewehre schossen, dann weitere im oberen Stockwerk. Als Nächstes verdunkelte sich das nördliche Fenster: Französische Dragoner, die um die nicht einsehbare westliche Hausecke herum angegriffen hatten, erschienen im Fensterrahmen. Sie wurden erst zurückgedrängt, als die Bauersfrau, schreiend vor Verzweiflung und mit Kräften, die bei einer so mageren Frau erstaunten, den Kessel von seinem Haken riss und ihn nach dem Feind warf. Die kochend heiße Seifenlauge ließ die Franzosen zurückweichen, als habe man eine Kanone auf sie abgeschossen.

»Sir!« Harper stand an der Küchentür. Im Durchgang war ein Krachen zu hören, als die Franzosen die südliche Tür niederrissen, die der Ire nicht so sicher verbarrikadiert hatte wie die nördliche. Ein Trupp Dragoner hatte sich den massierten Angriff zunutze gemacht, um auf der anderen Hausseite anzugreifen. Dabei waren sie bis in den zentralen Durchgang vorgedrungen. Harper schoss durch die Küchentür, die augenblicklich an zwei Stellen zersplitterte, als die Franzosen das Feuer erwiderten. Beide Kugeln trafen den Tisch.

Die Küche füllte sich mit Pulverdampf. Die Männer wechselten einander ab, durch die Fenster zu schießen, dann luden sie in fieberhafter Eile nach. Der Kutscher leerte seine riesige Pistole durch die Tür und wurde mit einem Schmerzensschrei belohnt.

»Aufmachen!«, befahl Sharpe.

Harper gehorchte. Ein verblüffter Franzose, der gerade seine Muskete anlegen wollte, sah sich mit einem Degen konfrontiert, der von Sharpe so ungestüm geführt wurde, dass die Spitze der Klinge die gegenüberliegende Wand des Durchgangs traf, nachdem sie den Leib des Dragoners mühelos durchbohrt hatte.

Harper stimmte sein merkwürdiges Kampfgeschrei an und folgte Sharpe mit einer Axt, die er von der Küchenwand gerissen hatte. Er hackte damit so lange auf einen weiteren feindlichen Soldaten ein, bis der Durchgang glitschig war vor Blut.

Sharpe befreite seinen Degen mit stoßenden und drehenden Bewegungen. Die Klinge eines Franzosen streifte seinen Unterarm. Blut quoll daraus hervor. Sharpe stürzte sich auf den Mann, drängte ihn gegen die Wand des Durchgangs und schlug mit dem Heft des Degens auf sein Gesicht ein. Neben seinem Kopf krachte eine Büchse und riss einen weiteren Dragoner vom Eingang zurück. Aus einem anderen Raum drang das verängstigte Quieken von Schweinen herüber.

Sharpe stolperte über einen kriechenden Franzosen, der aus einer Bauchwunde blutete. Wieder entlud sich eine Büchse in den Durchgang, dann rief Harper ihm zu, der Feind habe sich davongemacht. Die Kugel einer Muskete schlug in den Durchgang ein, prallte von den Wänden ab und vergrub sich am anderen Ende in die Tür.

Sharpe betrat den Raum, in dem die Tiere untergebracht waren, und entdeckte einen hölzernen Trog, der im Durchgang als eine Art Barrikade dienen konnte. Er zerrte ihn hinaus, doch da ergriffen die Schweine, noch ehe er die beschädigte äußere Tür zuschlagen und den Trog unter die Kreuzbalken schieben konnte, die Gelegenheit zur Flucht.

»Ein Glücksfall für die verfluchten Franzmänner«, meinte Harper. »Schweinefleisch zum Abendbrot.«

Entsetzliche Schreie kündeten vom Tod der Schweine. Sie waren so durchdringend, dass sie vorübergehend das ständige Musketenfeuer übertönten, dem das Bauernhaus ausgesetzt war.

Die Franzosen hatten sich in Sicherheit gebracht. In der Küche lag ein toter Schütze, ein zweiter war verwundet. Sharpe trat an die Leiter. »Sergeant Williams?« Er bekam keine Antwort.

»Sergeant Williams! Was machen die Schießscharten?«

Es war Dodd, der ihm antwortete. »Er ist tot, Sir. Hat einen Schuss ins Auge abgekriegt.«

»Jesus Christus.«

»Er hat durchs Dach nach draußen geschaut, Sir.«

»Sieh zu, dass auch weiterhin jemand Ausschau hält!«

Williams war also tot. Sharpe ließ sich am Fuß der Leiter nieder und starrte Patrick Harper an. Er war der offenkundige Ersatz, die einzige Wahl, aber Sharpe hatte den Verdacht, dass der große Ire sein Angebot entschieden zurückweisen würde. Daher, überlegte er, konnte ihm der Rang nicht verliehen, sondern nur auferlegt werden.

»Harper?«

»Sir?«

»Sie sind ab sofort Sergeant.«

»Verdammt, das bin ich nicht.«

»Sie sind Sergeant!«

»Nein, Sir! Nicht in diesem verdammten Heer. Nein.«

»Gott im Himmel!« Sharpe spuckte dem hünenhaften Mann die Gotteslästerung entgegen, aber Harper wandte sich nur ab und starrte aus dem Fenster, dorthin, wo kleine Rauchwolken die Position einiger Dragoner in einem Abzugsgraben verrieten.

»Mister Sharpe?« Eine zögernde Hand legte sich auf Sharpes verwundeten Arm. Es war wieder George Parker. »Meine liebe Frau und ich haben alles besprochen, Lieutenant, und wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie mit dem französischen Befehlshaber Kontakt aufnehmen.« Plötzlich bemerkte Parker Sharpes Blut an seinen Fingern. Er erbleichte und fuhr stotternd fort: »Bitte, glauben Sie nicht, wir würden Sie zu diesem Zeitpunkt im Stich lassen, aber ...«

»Ich weiß«, unterbrach Sharpe ihn, »Sie glauben, wir wären dem Untergang geweiht.« Er sprach mit einer gewissen Heftigkeit, nicht weil er Parkers Wunsch verdammte, sich in Sicherheit zu bringen, sondern weil er, wenn die Parkers fortgingen, Louisa verlieren würde. Er hätte die Familie schon auf der Straße zurücklassen können, wo sie in ihrer Kutsche außer Gefahr gewesen wäre, aber er hatte sie zur Flucht angestachelt, weil er nicht auf die Gesellschaft des Mädchens verzichten wollte. Nun jedoch sah Sharpe ein, dass ihm keine andere Wahl blieb. Man konnte von den beiden Frauen nicht erwarten, dass sie sich einem französischen Angriff aussetzten oder der Gefahr eines Querschlägers. Louisa musste fort.

Auf dem Tisch, wo der gefallene Schütze, aus dessen nassem Haupthaar immer noch Blut rann, zwischen zerschlagenem Geschirr ruhte, lag ein Stück Leinen, das zwar grau und verschmutzt war, jedoch als Friedensfahne genügen mochte. Sharpe spießte den dünnen Stoff mit der Spitze seines Degens auf und trat mit schleppenden Schritten ans Fenster. Die Schützen machten ihm Platz.

Er hob den Arm und schob den Degen aus dem Fenster. Er schwenkte ihn nach rechts und links und wurde mit einem Ruf belohnt, der draußen erscholl. Dann entstand eine Pause, während derer sich Sharpe behutsam aufrichtete.

»Was willst du, Engländer?«, rief eine Stimme.

»Verhandeln!«

»Dann komm raus. Aber nur ein Mann!«

Sharpe nahm den Stoff von der Degenspitze, steckte die Klinge ein und begab sich in den Durchgang. Er stieg über einen toten Dragoner hinweg und rückte die Truhe vor der nördlichen Tür beiseite. Er kam sich merkwürdig nackt und ungeschützt vor, dennoch trat er hinaus in den Regen.

Um mit dem Mann in der roten Pelisse zu verhandeln.


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