Keine Salve begrüßte Sharpe, nur Stille. Die aufgehende Sonne warf den vielzackigen Schatten der Kirchtürme auf die von Kugeln vernarbte Mauer des Palastes, brach durch den frühmorgendlichen Nebel, den der Musketenqualm verdichtet hatte. Seine Schritte hallten von den Gebäuden wider. Ein Verwundeter stöhnte und wälzte sich in seinem Blut.
Sharpe vermochte aus der Art und Weise, wie sich die Verwundeten und Toten über den Platz verteilten, einen Teil der Ereignisse des Morgens zu erkennen. Franzosen, die sich in den Palast retten wollten, waren von ihren spanischen Verfolgern abgestochen worden, die wiederum von den Salven der Franzosen niedergestreckt wurden, die dort bereits in Sicherheit waren. Diese Franzosen beobachteten nun, wie er sich seinen Weg durch die furchtbaren Überreste der Schlacht bahnte.
Manche der Gefallenen lagen mit geballten Händen da. Ein totes Pferd entblößte im Morgenlicht seine gelblichen Zähne. Fetzen verkohlten Kartuschpapiers kräuselten sich auf dem Kopfsteinpflaster. Eine Tonpfeife war zu weißem Staub zerkrümelt. Ein spanischer Stiefelsporn, der sich aus seiner Halterung gelöst hatte, lag neben einem verbogenen Ladestock. Zwischen dem Unkraut, das sich durch die Ritzen des Pflasters gedrängt hatte, fanden sich eine leere Säbelscheide, ein Dragonerhelm, Kartuschen und zurückgelassene französische Tschakos. Eine Katze fauchte Sharpe an, dann machte sie sich rasch davon.
Sharpe schritt durch die Unordnung und war sich bewusst, dass man ihn vom Palast aus misstrauisch beobachtete. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, für den diplomatischen Auftrag, der ihm bevorstand, schlecht gerüstet zu sein. Seine Stiefelsohle hing lose herab und scharrte über die Steinplatten. Er hatte keine Kopfbedeckung, die Nähte an seiner Hose waren erneut gerissen, während seine Gesichtshaut und seine Lippen vom Pulverdampf geschwärzt waren. Er hatte sein Gewehr über die rechte Schulter gehängt, und er überlegte, dass er die Waffe hätte ablegen müssen, da sie für diese Mission unpassend war.
Sharpe bemerkte die gusseisernen rejas, mit denen die Fenster im unteren Stockwerk des Palastes vergittert waren. Diese Gitterstäbe sorgten dafür, dass ein Angriff nur auf das Doppelportal möglich war. Als er sich dem Portal näherte, wurde ein Türflügel vorsichtig einen Spaltbreit geöffnet. Man hatte in seine Holzverkleidung Schießscharten geschlagen. Glasscherben, die entstanden waren, als die Franzosen mit den Kolben ihrer Musketen die Scheiben aus den Fenstern geschlagen hatten, lagen inmitten verbeulter Musketenkugeln auf dem Pflaster. An der Fassade des Palastes hafteten Schwaden von Pulverdampf, der nach faulen Eiern roch.
Sharpe stieg behutsam über das zerbrochene Glas. Vom Portal her wurde eine Frage in gebrochenem Spanisch gestellt.
»Englisch!«, rief er daraufhin. »Englisch!« Es entstand eine Pause, dann wurde der Türflügel geöffnet.
Sharpe trat ein und stand in einer hohen Säulenhalle, wo ihn eine Gruppe französischer Infanteristen mit ihren Bajonetten empfing. Die Männer hatten hinter einem provisorischen Bollwerk aus prall gefüllten Säcken Stellung bezogen. Sie hatten offenbar mit einem Angriff auf das Portal gerechnet. Sicherlich, überlegte Sharpe, hätten die Franzosen nicht zugelassen, dass er diese Vorkehrungen sah, wenn sie nicht bereits entschlossen wären, sich zu ergeben. Der Gedanke verlieh ihm Selbstvertrauen.
»Sie sind Engländer?« Die Frage kam von einem Offizier, der sich links von Sharpe in den Schatten hielt.
»Ich bin Engländer. Mein Name ist Sharpe, und ich habe das Kommando über einen Trupp der 95th Rifles Seiner Majestät, der sich in dieser Stadt aufhält.« Es erschien ihm derzeit angebracht, nicht seinen niedrigen Rang zu verraten, der kaum geeignet war, Männer zu beeindrucken, die in so verzweifelter Lage waren wie diese Franzosen.
Doch dieses kleine Täuschungsmanöver fruchtete nichts, denn aus dem Treppenhaus vor ihm meldete sich eine weitere Stimme.
»Lieutenant Sharpe!« Es war Vivars Bruder, der Graf von Mouromorto. »Sind Sie etwa der beste Emissär, den man auftreiben konnte, Lieutenant?«
Sharpe sagte nichts. Er wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab, sodass das rußähnliche Pulver auf seinen Wangen gänzlich verschmiert wurde. Irgendwo am Stadtrand war eine Salve Musketenfeuer zu hören, dann näher an der Plaza ein Jubelschrei. Der französische Offizier rückte seinen Degen gerade.
»Hier entlang, Lieutenant.« Er führte ihn die Treppe hinauf, vorbei an dem Grafen, der wie immer seinen schwarzen Reitmantel und die seltsamen hellen Stulpenstiefel trug und nun hinter ihnen herkam.
Sharpe fragte sich, ob wohl auch Louisa hier im Palast sei. Er war versucht, den Offizier danach zu fragen, nahm jedoch an, dass diese Frage besser an Oberst de l'Eclin zu richten war, beziehungsweise an denjenigen, der droben wartete, um über die Kapitulation zu verhandeln.
»Ich muss Ihnen gratulieren, Lieutenant.« Der französische Offizier hatte wie Sharpe eine Stimme, die von der Anstrengung, im Kampfgetümmel Befehle brüllen zu müssen, ganz heiser war. »Wie ich höre, waren es Ihre Rifles, die den ersten Angriff ausgeführt haben?«
»Richtig.« Sharpe erschien der höfliche Umgangston, der bei Waffenruhe gepflegt wurde, immer aufs Neue unpassend. Männer, die bei Sonnenaufgang versucht hatten, sich gegenseitig zu verstümmeln, machten einander eine Stunde später blumige Komplimente.
»Der Lieutenant war töricht genug, seine Männer dem Wahnsinn meines Bruders zu opfern.« Der Graf von Mouromorto war offenbar nicht geneigt, Komplimente zu machen, weder blumige noch anders geartete. »Ich hatte angenommen, die Briten seien vernünftiger.«
Sharpe und der französische Offizier ignorierten die Bemerkung. Sharpe deutete die Gegenwart des Grafen so, dass in der Tat de l'Eclin am Ende dieser Treppe auf ihn warten würde, und ihm wurde klar, dass er die Begegnung fürchtete. Er konnte sich nicht vorstellen, de l'Eclin zur Kapitulation überreden zu können. Dazu war der Offizier der Kaiserlichen Garde zu schlau, und Sharpe wusste, dass sein empfindliches Selbstvertrauen vor dem wissenden und skeptischen Blick des Obersten ins Wanken geraten würde.
»Hier entlang, Lieutenant.« Der französische Offizier führte ihn auf dem Treppenabsatz an einer weiteren Barrikade vorbei und dann auf eine Tür zu, die zu einem hohen, ehedem eleganten Raum führte, von dem aus man in andere, ähnliche Räume gelangte. Die Palastfenster, an denen Infanteristen mit geladener Waffe inmitten der Glasscherben kauerten, befanden sich rechts von ihnen. Die obere Rückwand des Raums trug die Narben einschlagender Musketenkugeln, ebenso die feine Stuckdecke. Ein riesiger Spiegel über dem Kamin war zerbrochen, und die spitzen Glassplitter ragten gefährlich aus dem vergoldeten Rahmen. Das Porträt eines streng blickenden Mannes mit altertümlicher Halskrause war von Kugeln durchlöchert. Die Soldaten drehten sich in schweigender, feindseliger Neugier nach Sharpe um.
Auch im nächsten Raum hatten sich an die zwanzig Soldaten hinter den Fenstern verschanzt. Wie die Männer im ersten Raum gehörten sie hauptsächlich der Infanterie an. Dragoner waren selten. Die Männer wurden von Kissen und umgekippten Möbelstücken geschützt oder durch Säcke, aus denen Mehl oder Getreide auf den Parkettboden rann, weil sie vom Musketenfeuer getroffen waren.
Sharpes Zuversicht, dass die Franzosen sich ergeben würden, schwand langsam dahin. Er konnte sehen, dass dieses französische Hauptquartier für eine Belagerung genügend Männer und Munition besaß.
Seine Stiefel knirschten auf den Splittern eines zerschmetterten Lüsters, als er in den dritten Raum geführt wurde, wo eine Gruppe von Offizieren auf seine Ankunft wartete.
Zu Sharpes Erleichterung befand sich de l'Eclin nicht unter den Franzosen, die nun Haltung annahmen, als er in der Tür erschien. Stattdessen war es ein blauberockter Oberst der Infanterie, der vortrat und eine Verbeugung andeutete.
»Sir«, grüßte Sharpe, obwohl seine Stimme wegen der Heiserkeit kaum mehr war als ein Krächzen.
Der linke Arm des Obersten steckte in einer Schlinge, und seine Wange war zerkratzt und hatte so stark geblutet, dass sein weißer Stehkragen durchtränkt war. Die linke Spitze seines Schnurrbarts war auf ähnliche Weise vom Blut verfärbt.
»Coursot«, sagte er knapp. »Oberst Coursot. Ich habe die Ehre, die Hauptquartiersgarde dieser Stadt zu befehligen.«
»Sharpe. Lieutenant Sharpe. 95th Rifles, Sir.«
Der Graf von Mouromorto, der Sharpe von der Treppe bis hierher gefolgt war, trat an ein Fenster, von wo aus er auf die schattige Fassade der Kathedrale hinausblicken konnte. Er schien die Vorgänge drinnen mit Verachtung zu strafen, als sei das Schicksal Spaniens über derart kleinliche Verhandlungen erhaben.
Doch Oberst Coursots einleitende Worte muteten Sharpe alles andere als kleinlich an. Der Franzose holte eine Uhr aus seiner Westentasche und drückte auf den Knopf, der ihren Deckel aufspringen ließ. »Sie haben eine Stunde Zeit, die Stadt zu verlassen, Lieutenant.«
Sharpe war verblüfft. Er war in der Erwartung gekommen, das Ultimatum zu stellen, doch stattdessen war es dieser hochgewachsene, grauhaarige Franzose, der so selbstbewusst die Bedingungen diktierte. Coursot klappte den Uhrendeckel wieder zu.
»Sie müssen wissen, Lieutenant, dass aus dem Norden ein Armeekorps zu dieser Stadt unterwegs ist. Es wird binnen weniger Stunden hier eintreffen.«
Sharpe zögerte, denn er wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Mund war ausgetrocknet. Um Zeit zu gewinnen, entkorkte er seine Feldflasche, spülte sich den Salzgeschmack des Schießpulvers von der Zunge und spuckte in die Asche im Kamin.
»Das nehme ich Ihnen nicht ab.«
Seine Antwort, wusste Sharpe, mochte zwar kläglich sein, aber sie entsprach der Wahrheit. Wenn Marschall Soult oder Marschall Ney aus La Coruña aufgebrochen wären, hätte die Nachricht Vivar längst erreichen müssen.
»Ungläubigkeit ist Ihr Privileg, Lieutenant«, sagte Coursot, »aber ich versichere Ihnen, dass das Korps kommen wird.«
»Und ich versichere Ihnen«, sagte Sharpe, »dass wir Sie besiegen werden, ehe es ankommt!«
»Diese Mutmaßung ist ebenfalls Ihr Privileg«, sagte der Oberst gleichmütig, »aber sie wird mich nicht zur Kapitulation veranlassen. Ich nehme doch an, dass Sie gekommen sind, um meine Kapitulation zu verlangen?«
»Jawohl, Sir.«
Nun setzte gespanntes Schweigen ein. Sharpe fragte sich, ob wohl einige der Offiziere im Raum Coursot bedrängt hatten, sich zu ergeben. Diese Franzosen waren in der Minderzahl, sie waren umzingelt, und jeder Augenblick, in dem die Auseinandersetzung weiterging, würde weitere Verwundete über jene hinaus kosten, die bereits in den Ecken des Raumes lagen.
»Wenn Sie nicht sofort kapitulieren«, argumentierte Sharpe unbeholfen, »werden wir Ihnen keine weitere Gelegenheit geben. Wollen Sie, dass der Palast um Sie herum abbrennt?«
Coursot schmunzelte. »Ich versichere Ihnen, Lieutenant, dass ein Gebäude aus Stein nicht so leicht Feuer fängt. Ihnen fehlt es wohl an Artillerie? Worauf also hoffen Sie? Dass Ihnen der heilige Jakob das himmlische Feuer herabschicken wird?«
Sharpe errötete. Der Graf von Mouromorto übersetzte die Stichelei, und die Stimmung im Raum entspannte sich, als die französischen Offiziere darüber lachten.
»Oh, ich weiß alles über Ihr Wunder«, sagte Coursot spöttisch. »Allerdings erstaunt es mich, dass ein englischer Offizier an diesem Unsinn beteiligt ist. Ah, der Kaffee!« Er drehte sich um, als ein Adjutant mit einem Tablett voller Tassen den Raum betrat. »Haben Sie Zeit für einen Kaffee?«, fragte er Sharpe. »Oder müssen Sie zum Gebet eilen, um einen göttlichen Blitzschlag zu erflehen?«
»Ich werde Ihnen sagen, was ich tue.« Sharpe gab seine diplomatischen Bemühungen auf und sprach mit beißender Härte. »Ich werde meine besten Schützen auf diese Glockentürme beordern.« Er zeigte durch das Fenster auf die Kathedrale. »Ihre Musketen sind auf diese Entfernung nicht treffsicher, aber meine Männer können Ihnen noch aus doppelt so weiter Entfernung die Augen aus Ihren Franzosenschädeln schießen. Sie haben dafür den ganzen Tag Zeit, Oberst, und sie werden diese Räume in ein Schlachthaus verwandeln. Offen gestanden, mich kümmert's nicht. Es ist mir lieber, Franzosen abzuschießen, als mit ihnen zu sprechen.«
»Das glaube ich Ihnen gern.« Falls der Oberst von Sharpes Drohung erschüttert war, wusste er das gut zu verbergen. Andererseits verzichtete er darauf, seine eigene Drohung von einem herannahenden Armeekorps zu wiederholen, die er, meinte Sharpe, nur der Form halber ausgesprochen hatte. Stattdessen stellte er eine Tasse Kaffee vor den Schützen auf den Tisch. »Sie können gewiss viele Männer umbringen, Lieutenant, und ich kann die Verwirklichung Ihres Wunders empfindlich stören.« Coursot ließ sich von dem Adjutanten eine Tasse geben, dann sah er Sharpe amüsiert an. »Das Gonfalon Santiagos? Ist es nicht so? Glauben Sie nicht auch, dass Sie sich an einen Strohhalm klammern, wenn Sie zum Sieg so eine unsinnige Spielerei nötig haben?«
Sharpe stimmte weder zu, noch stritt er es ab.
Der Oberst nippte an seinem Kaffee. »Natürlich bin ich kein Experte, Lieutenant, aber ich stelle mir vor, dass Wunder am besten in einer Atmosphäre andächtigen Friedens bewirkt werden, sind Sie nicht auch der Meinung?« Er wartete auf eine Antwort, doch Sharpe blieb stumm. Coursot lächelte. »Ich schlage einen Waffenstillstand vor, Lieutenant.«
»Einen Waffenstillstand?« Sharpe konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
»Einen Waffenstillstand!« Coursot wiederholte das Wort, als müsse er es einem Kind erklären. »Ich nehme doch an, dass Sie nicht glauben, Ihre Besetzung von Santiago de Compostela könne ewig dauern? Na, sehen Sie. Sie sind hergekommen, um Ihr kleines Wunder zu schaffen, dann wollen Sie wieder abziehen. Schön und gut. Ich verspreche, weder auf Ihre Männer zu schießen noch auf irgendeine andere Person in der Stadt, nicht einmal auf den heiligen Jakob persönlich, solange Sie versprechen, nicht auf meine Männer zu schießen oder dieses Gebäude anzugreifen.«
Der Graf von Mouromorto erhob unvermittelt und leidenschaftlich Protest gegen diesen Vorschlag. Als Coursot ihn ignorierte, wandte er sich empört ab.
Während er seinen Kaffee trank, überlegte Sharpe, dass er das Missvergnügen des Grafen verstehen konnte. Er hatte immer aufs Neue versucht, das Gonfalon an sich zu bringen, und nun sollte er untätig zusehen, wenn es in der Kathedrale entfaltet wurde. Aber würden diese Franzosen tatsächlich untätig zusehen?
Coursot sah Sharpes Zögern. »Lieutenant, ich habe zweihundertunddreißig Mann in diesem Gebäude, davon einige Verwundete. Was könnte ich Ihnen anhaben? Wollen Sie den Palast inspizieren? Tun Sie es ruhig, tun Sie es unbedingt!«
»Ich kann mich umsehen?«, fragte Sharpe misstrauisch.
»Von oben bis unten! Und Sie werden einsehen, dass ich die Wahrheit sage. Zweihundertunddreißig Mann. Darüber hinaus sind ungefähr zwanzig Spanier da, wie der Graf von Mouromorto ausnahmslos Freunde Frankreichs. Glauben Sie wirklich, Lieutenant, dass ich diese Männer der Rache ihrer Landsleute preisgeben werde? Kommen Sie!« Beinahe zornig riss Coursot eine Tür auf. »Sehen Sie sich im Palast um, Lieutenant! Sehen Sie sich ruhig an, was für eine geringe Zahl von Männern Ihnen einen Schrecken eingejagt hat!«
Sharpe rührte sich nicht. »Ich bin nicht in der Lage, Ihren Vorschlag anzunehmen, Sir.«
»Das kann nur Major Vivar?« Der Oberst schien sich zu ärgern, dass Sharpe auf sein Angebot, einen Waffenstillstand auszurufen, nicht mit augenblicklicher Begeisterung reagiert hatte. »Ich darf doch annehmen, dass Major Vivar das Kommando hat?«, hakte er nach.
»Jawohl, Sir.«
»Dann berichten Sie ihm davon!« Coursot winkte ab, als handle es sich um einen geringfügigen Botengang. »Trinken Sie Ihren Kaffee aus, und dann erstatten Sie ihm Bericht! Bis dahin will ich von Ihnen eine Zusicherung haben. Ich nehme an, Sie haben heute einige Franzosen gefangen genommen? Oder haben Sie sie alle abgeschlachtet?«
Sharpe ignorierte die Erbitterung des Franzosen. »Ich habe Gefangene gemacht, Sir.«
»Ich verlange Ihr Ehrenwort als britischer Offizier, dass sie anständig behandelt werden.«
»Das werden sie, Sir.« Sharpe hielt inne. »Und Sie, Sir, haben eine britische Familie unter Ihrer Obhut?«
»Wir haben ein englisches Mädchen im Palast.« Coursot schien nach wie vor aufgebracht durch Sharpes Misstrauen gegenüber seinem Waffenstillstandsangebot. »Eine Miss Parker, soviel ich weiß. Ihre Familie wurde letzte Woche nach La Coruña geschickt, aber ich versichere Ihnen, dass Miss Parker keinerlei Gefahr droht. Ich nehme an, sie wurde ausgesandt, um uns irrezuführen?«
Die Gelassenheit, mit der er diese Frage stellte, verriet nicht, ob das Täuschungsmanöver funktioniert hatte oder nicht, doch Sharpe ging es in diesem Augenblick ausschließlich um Louisas Schicksal. Sie war am Leben und in der Stadt, und damit waren auch seine Hoffnungen lebendig.
»Ich weiß nichts davon, dass sie ausgesandt worden sein soll, Sie irrezuführen, Sir«, sagte er pflichtschuldigst.
»Nun, sie hat es getan!«, sagte Coursot verdrießlich. Der Graf von Mouromorto blickte Sharpe finster an, als sei der Schütze persönlich dafür verantwortlich.
»Miss Parker hat Sie irregeführt?« Sharpe versuchte, mehr Informationen herauszuholen, ohne Besorgnis erkennen zu lassen.
Coursot zögerte, dann zuckte er mit den Schultern. »Oberst de l'Eclin ist heute Morgen um drei Uhr aufgebrochen, Lieutenant, und mit ihm eintausend Mann. Er glaubt, Sie seien nach Süden marschiert und Major Vivar sei in Padron zu finden. Ich gratuliere Ihnen zu dieser erfolgreichen ruse de guerre.«
Sharpes Herz setzte einen Schlag aus. Es hatte tatsächlich funktioniert! Er versuchte, ein ausdrucksloses Gesicht zu behalten, war jedoch sicher, dass es seine Freude verriet.
Coursot schnitt eine Grimasse. »Aber seien Sie versichert, Lieutenant, dass Oberst de l'Eclin noch heute Nachmittag zurückkehren wird, und ich rate Ihnen, Ihr Wunder zu vollbringen, ehe es so weit ist. So! Sind Sie nun bereit, Major Vivar zurate zu ziehen, was meinen Vorschlag angeht?«
»Jawohl, Sir.« Sharpe rührte sich immer noch nicht. »Und darf ich annehmen, dass Sie Miss Parker in unsere Obhut geben werden?«
»Wenn sie selbst es wünscht, werde ich sie in Ihre Obhut geben, sobald Sie mit Major Vivars Antwort wiederkommen. Denken Sie daran, Lieutenant! Wir werden nicht auf Sie schießen, solange Sie nicht auf uns schießen!« Mit kaum verhüllter Ungeduld geleitete der französische Oberst Sharpe zur Tür. »Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde, um mit Ihrer Antwort zurückzukehren. Andernfalls werde ich annehmen, dass Sie unser großzügiges Angebot ablehnen. Au revoir, Lieutenant.«
Nachdem Sharpe den Raum verlassen hatte, trat Coursot an eines der tiefen Erkerfenster. Er klappte erneut seinen Uhrendeckel auf und starrte, scheinbar ohne sie wahrzunehmen, auf die Filigranzeiger. Erst als er Sharpes Schritte auf den Steinplatten der Plaza hörte, blickte er auf und sah dem Schützen nach. »Beiß an, kleiner Fisch, beiß an«, flüsterte er ganz leise.
»Er ist töricht genug, den Köder zu schlucken.« Der Graf Mouromorto hatte die gemurmelten Worte vernommen. »Genau wie mein Bruder.«
»Wollen Sie damit sagen, sie besäßen so etwas wie Ehrgefühl?«, erkundigte sich Coursot mit überraschender Boshaftigkeit. Dann spürte er, dass er zu weit gegangen war, und lächelte. »Ich denke, wir werden noch mehr Kaffee brauchen, meine Herren. Mehr Kaffee für unsere Nerven.«
Blas Vivar war weniger erstaunt über den Vorschlag des Obersten, als Sharpe erwartet hatte. »Das ist nicht ungewöhnlich«, sagte er. »Ich kann nicht behaupten, ich wäre erfreut, aber die Idee an sich ist gar nicht so schlecht.« Der Spanier nutzte die Waffenruhe, um auf die Plaza zu treten und die Fassade des Palastes in Augenschein zu nehmen. »Halten Sie es für denkbar, dass wir ihn erobern?«
»Ja«, sagte Sharpe, »aber wir müssten fünfzig Gefallene und doppelt so viele Schwerverwundete hinnehmen. Und das werden unsere besten Männer sein. Gegen diese Schweinehunde kann man keine halb ausgebildeten Freiwilligen antreten lassen.«
Vivar nickte zustimmend. »Oberst de l'Eclin ist tatsächlich nach Süden geritten?«
»Coursot behauptet es.«
Vivar drehte sich um und rief den Zivilisten, die sich in den Straßen um den Platz drängten, etwas zu. Ein Chor von Stimmen erhob sich. Alle bestätigten sie, dass die französische Kavallerie mitten in der Nacht in südliche Richtung die Stadt verlassen hatte. Wie viel Kavallerie?, fragte er und erhielt zur Antwort, es seien Hunderte und noch einmal Hunderte berittener Männer durch die Stadt gezogen.
Vivar blickte wieder zum Palast hinüber, nicht um seine strenge Schönheit zu bewundern, sondern um die Dicke seiner Steinmauern abzuschätzen. Er schüttelte den Kopf. »Diese Fahne muss herunter«, er zeigte auf die durchlöcherte Trikolore, die über dem Portal hing, »und sie müssen sich bereit erklären, sämtliche Fensterläden zu schließen. Sie dürfen an einem Fenster auf jeder Seite des Gebäudes Beobachter aufstellen, mehr nicht.«
»Können Sie die Türen von außen verbarrikadieren?«, fragte Sharpe.
»Warum nicht?« Vivar sah auf die Uhr. »Und warum teile ich ihnen nicht selbst unsere Bedingungen mit? Wenn ich in fünfzehn Minuten nicht zurück bin, greift ihr an.«
Sharpe wollte derjenige sein, der Louisa in Empfang nahm und heil aus dem französischen Hauptquartier herausschaffte.
»Soll ich nicht lieber wieder gehen?«
»Ich denke, mir droht keine Gefahr«, sagte Vivar, »und ich will mich persönlich im Palast umsehen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Ihnen nicht vertraue, Lieutenant, aber ich denke, das obliegt meiner Verantwortung.«
Sharpe nickte verständnisvoll. Einerseits war da die Bereitschaft der Franzosen, die Inspektion des Palastes zuzulassen, die ihn von ihrer Vertrauenswürdigkeit überzeugt hatte, andererseits hätte er an Vivars Stelle auch darauf bestanden, sie persönlich vorzunehmen. Sein Wiedersehen mit Louisa musste warten, und es würde durch diese Verzögerung nicht weniger reizvoll werden.
Vivar brach nicht sofort auf. Er klatschte fröhlich in die Hände und führte zwei unbeholfene Tanzschritte aus. »Wir haben es geschafft, mein Freund! Wir haben es wahrlich geschafft!«
Sie hatten den Sieg errungen.
Der Sieg bedeutete Arbeit. Erbeutete Musketen wurden südlich der Kathedrale auf der Plaza aufgestapelt, und die französischen Gefangenen wurden ins Stadtgefängnis gesperrt, wo sie von Grünjacken bewacht wurden. Die Tornister und warmen Mäntel der Rifles wurden aus dem Buchenhain im Norden der Stadt geholt. Leichen wurden in den Stadtgraben gezerrt und angemessene Verteidigungsanlagen errichtet.
Sharpe ging von Posten zu Posten und überzeugte sich, dass Vivars Freiwillige in Stellung waren. Im Süden der Stadt wurden immer noch einzelne französische Flüchtlinge gesichtet, doch ein paar Gewehrschüsse genügten, um sie ganz zu vertreiben. Die Straße nach Süden, sah Sharpe, zeugte mit zahlreichen Kothaufen und Hufspuren von Oberst de l'Eclins Abwesenheit. Späher in den Glockentürmen der Kathedrale und Cazadorwachen an den Ausfallstraßen würden dafür sorgen, dass die Rückkehr der Dragoner nicht unbemerkt blieb. Sharpe sicherte sich gegen diese Eventualität ab, indem er seinen Männern befahl, ihre Büchsen zu reinigen und ihre Schwertbajonette zu schärfen.
Ein Sieg war errungen, und nun konnte Beute gemacht werden: Uniformen aus den französischen Quartieren und Pferde aus ihren Ställen. Jedes Haus, in dem sich die Franzosen einquartiert hatten, barg einen kleinen Schatz an Nahrungsmitteln. Da gab es Zwieback, Mehl in Säcken, Bratwürste, Räucherschinken, gepökeltes Schweinefleisch, luftgetrocknete Makrelen, Wein in Schläuchen und Käse mit dicker Rinde. Viele der Nahrungsmittel wurden ihnen von den Stadtbewohnern weggeschnappt, aber Vivars Cazadores behielten genug zurück, um zwanzig Maultierkörbe zu füllen.
Sharpe machte sich auf die Suche nach der größeren Beute, nach den Vorräten, die in den vergangenen Wochen gesammelt und für Soults Marsch in den Süden gelagert worden waren. In zwei Kirchen der Stadt fand er Heu, Mehl und Wein, aber die Mengen reichten kaum aus, um Soults Männer und Pferde zu ernähren. In einer dritten, die wie jede andere Kirche in Santiago de Compostela ihrer Schätze beraubt worden war, fand Sharpe die Überreste weiterer Vorräte. Der Steinboden der Kirche war mit verschüttetem Hafer bedeckt und mit Spuren fortgezerrter Säcke übersät. Der Gemeindepriester erklärte in stockendem Englisch, die Franzosen hätten am vergangenen Nachmittag alle Vorräte aus der Kirche geschafft und zum Raxoy-Palast verfrachtet.
»Der Raxoy-Palast? An der Plaza?«
»Si, Señor.«
Sharpe fluchte leise. Die Franzosen hatten begonnen, die Vorräte an einer zentralen Verteilerstelle zusammenzuziehen, und Vivars Eroberung der Stadt hatte diesen Prozess zu spät unterbrochen. Die meisten der kostbaren Vorräte befanden sich in den Säcken, die Sharpe im Palast gesehen hatte, Säcke, die nun den Franzosen, die dort festsaßen, als Brustwehr dienten. Die Erkenntnis machte ihn wütend.
Es hatte von Anfang an nur drei Beweggründe für die Einnahme dieser Stadt gegeben. Der erste, das Gonfalon zu entfalten, war nichts als abergläubischer Irrsinn. Der zweite, die Rettung Louisas, war ein persönliches Motiv Sharpes und militärisch unerheblich. Der dritte, nämlich Soults Nachschub zu vernichten, war die einzige echte Rechtfertigung, und seine Verwirklichung war zum großen Teil fehlgeschlagen.
Obwohl jedoch die meisten Vorräte im Palast in Sicherheit waren, konnte Sharpe Marschall Soult immer noch vorenthalten, was übrig blieb. Er beanspruchte das Heu für Vivars Pferde und ließ das Mehl an die Bewohner der Stadt verteilen. Den Wein befahl er fortzuschütten.
»Fortschütten?«, fragte Harper entsetzt.
»Wollen Sie, dass die Männer betrunken sind, wenn de l'Eclin den Gegenangriff ausführt?«
»Das ist sündhafte Verschwendung, Sir, wahrhaftig.«
»Vernichtet ihn!« Sharpe verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er einen Haufen Weinschläuche mit dem Degen durchbohrte. Die rote Flüssigkeit ergoss sich auf den Steinboden der Kirche und sickerte durch die Ritzen in die darunter liegende Krypta. »Und wenn sich auch nur ein Mann betrinkt«, sagte er mit erhobener Stimme, »hat er sich vor mir persönlich zu verantworten!«
»Jawohl, Sir!« Harper wartete, bis Sharpe gegangen war, dann rief er Gataker zu sich. »Treib einen Schankwirt auf, hol ihn her und sieh zu, wie viel Bargeld er bietet. Beeil dich!«
Sharpe nahm eine Abteilung Rifles mit auf die Suche nach weiteren französischen Lagern mit Getreide oder Heu. Sie fanden nichts. Dagegen entdeckten sie eine Reserve französischer Infanterietornister aus Rindsleder, die von wesentlich besserer Qualität waren als die gewöhnlichen britischen. Die Tornister wurden beschlagnahmt, ebenso drei Dutzend Paar Reitstiefel, die Sharpe zu seiner Enttäuschung alle zu klein waren. Die Schützen fanden französische Patronen, um ihre Munitionstaschen aufzufüllen. Die französische Musketenkugel war minimal kleiner als ihr britisches Gegenstück, ließ sich jedoch in Baker-Gewehren verwenden. Außerdem entdeckten sie Mäntel und Strümpfe, Hemden und Handschuhe, nur kein Getreide oder Heu.
Auch das Stadtvolk war auf Beute aus. Die Bewohner von Santiago de Compostela scherten sich nicht darum, dass der überwiegende Teil der französischen Vorräte im Palast in Sicherheit war. Ihnen ging es nur darum, dass sie wenigstens einen Tag lang frei waren. Sie machten den Wintertag zum Karneval, indem sie sich mit Beutestücken kostümierten, bis die Stadt aussah, als sei sie von einer fröhlichen Menge halb angezogener feindlicher Soldaten bevölkert. Selbst die Frauen trugen französische Mäntel und Tschakos.
Um die Mittagszeit trug eine Kolonne von Maultieren einen Großteil der Nahrungsmittel und die Tornister der Rifles an einen sicheren Ort im östlichen Bergland. Vivar wollte verhindern, dass seine Männer durch persönliche Habseligkeiten behindert wurden, falls die Stadt verteidigt werden musste. Daher sollten die Tornister und Beutestücke im geheimen Versteck darauf warten, nach ihrem Rückzug abgeholt zu werden.
Sobald die Maultiere aufgebrochen waren, befahl Sharpe den meisten seiner Männer, sich auszuruhen, während er selbst seine ungeheure Erschöpfung niederkämpfte und sich auf die Suche nach Blas Vivar machte. Er begab sich als Erstes zur Plaza, die er beinahe verlassen vorfand, bis auf einen Posten Cazadores, die aufmerksam die geschlossenen Fensterläden des Palastes beobachteten. Außerdem waren einige Zivilisten dabei, aus Möbeln, leeren Weinfässern und Karren eine provisorische Barrikade zu errichten. Wenn sie fertig war, würde sie das ganze Gebäude umgeben, an das glücklicherweise auf den übrigen drei Seiten Straßen anschlossen.
In der Palastfassade war ein einzelnes Fenster unverschlossen, obwohl sich dahinter kein Beobachter sehen ließ. Die Fahne über dem Doppelportal war verschwunden, das Portal selbst mit Planken verbarrikadiert, die mit Holzstreben abgestützt waren. Die Franzosen saßen demnach in ihrem riesigen Bau fest.
Eine Menschenmenge, die von den Cazadores abgehalten wurde, den großen Platz zu füllen, sich jedoch auf den kleineren offenen Flächen im Norden und Süden der Kathedrale versammelt hatte, rief den Franzosen Schimpfworte zu. Als die Leute Sharpe entdeckten, jubelten sie, doch dann setzten sie ihre Schmährufe gegen die unsichtbaren Feinde fort. Der Lärm wurde verstärkt durch lautes Dudelsackspiel. Kinder verspotteten den Feind mit Tänzen, während die Glocken der Stadt immer noch in wilder Kakofonie läuteten.
Sharpe brachte seine Freude über die festliche Stimmung der Bürger mit einem müden Lächeln zum Ausdruck, dann kletterte er die Stufen hinauf, die zum reich geschmückten Westeingang der Kathedrale führten. Auf halbem Wege blieb er stehen, nicht aus Erschöpfung, sondern weil er plötzlich überwältigt war von der Schönheit der Fassade: Säulen und Bögen, Statuen und Balustraden, Wappen und Schnörkel, alles war herrlich aus Stein gemeißelt zum Ruhme Santiagos, der im Innern begraben lag. Nach wochenlanger Not und Kälte, Kampf und Wut ließ die Kathedrale die Bestrebungen der Männer, die überall in Spanien kämpften, kleinlich erscheinen. Dann wurde Sharpe bewusst, dass diese Kathedrale Vivars Zielsetzung glich. Der Spanier setzte sich für etwas ein, an das er glaubte, während Sharpe nur wie ein Pirat kämpfte, aus eigensinnigem, mörderischem Stolz.
»Erkenne ich im Auge des Soldaten so etwas wie Bewunderung?« Die Frage, in einem neckischen Tonfall gestellt, kam von einer Gestalt, die nun auf die Steinfläche an der Spitze der Treppenflucht trat.
Sharpe vergaß augenblicklich die Herrlichkeit der Kathedrale. »Miss Parker?« Er wusste, dass er grinste wie ein Tor, doch er konnte nicht anders. Es war nicht nur Piratenstolz, der ihn veranlasst hatte zu kämpfen, sondern auch die Erinnerung an ein Mädchen, das einen blauen Rock und einen rostroten Umhang trug und ihm so oft ein bezauberndes Lächeln schenkte. Er drehte sich um und wies auf den stillen Palast, der von den Franzosen gehalten wurde. »Ist es nicht zu gefährlich, sich hier aufzuhalten?«
»Mein lieber Lieutenant, ich habe einen ganzen Tag in der Höhle des Löwen verbracht! Glauben Sie, ich wäre in größerer Gefahr, nachdem Sie einen derartigen Sieg errungen haben?«
Sharpe lächelte über das Kompliment. Während er die letzten Stufen hinter sich brachte, erwiderte er es. »Ein Sieg, Miss Parker, zu dem Sie entscheidend beigetragen haben.« Er verneigte sich vor ihr. »Meine untertänigste Gratulation. Ich hatte unrecht, und Sie hatten recht.«
Louisa, die sich über das Lob ehrlich freute, lachte auf. »Oberst de l'Eclin glaubt, er könne Ihnen im Ulla-Tal östlich von Padron eine Falle stellen. Ich habe ihn um drei Uhr heute Morgen beobachtet.« Sie trat in die Mitte der vorgelagerten Steinfläche, die über der weiten Plaza eine Art Bühne bildete. »Hier hat er gestanden, Lieutenant, und eine Rede an seine Männer gehalten. Sie haben den Platz gefüllt. Reihe um Reihe blanker Helme, die im Fackelschein schimmerten. Und all diese Männer haben dem Oberst zugejubelt. Ich hätte nie geglaubt, jemals so etwas miterleben zu können! Gejubelt haben sie, und dann sind sie fortgeritten, ihrem großen Sieg entgegen.«
Sharpe überlegte, wie knapp doch der Sieg dieses Tages errungen worden war. Zusätzliche tausend Mann unter de l'Eclins rücksichtslosem Kommando hätten Vivars Angriff abgeschlagen. Doch der Oberst der Kaiserlichen Gardejäger hatte sich von Louisa täuschen und nach Süden locken lassen.
»Wie haben Sie es nur geschafft, ihn zu überzeugen?«
»Mit reichlich Tränen und gut gespieltem Widerstreben, ihm überhaupt etwas anzuvertrauen. Erst nach langem Zureden hat er die fatale Wahrheit aus mir herausgeholt.« Louisa schien sich über die eigene Gerissenheit lustig zu machen. »Am Ende hat er mich vor die Wahl gestellt: Ich könne in der Stadt bleiben oder mit meiner Tante in La Coruña wiedervereint werden. Wenn ich mich entschieden hätte, hierzubleiben, hätte das in seinen Augen bedeutet, dass ich noch Hoffnungen auf eine Wende habe, und er hätte meiner Information nicht getraut. Daher habe ich ihn angefleht, mich mit meiner trauernden Familie zu vereinen, und der Oberst ist losgeritten.« Sie drehte vor Freude eine Pirouette. »Ich sollte heute Mittag nach La Coruña aufbrechen. Sehen Sie nun, was für ein Schicksal Sie mir erspart haben?«
»Hatten Sie denn keine Angst zu bleiben?«
»Natürlich, hatten Sie denn keine Angst zu kommen?«
Er lächelte. »Ich werde dafür bezahlt, Angst zu haben.«
»Und Angst zu machen. Sie sehen Furcht einflößend aus, Lieutenant.« Louisa begab sich zu mehreren Kisten, die offen neben dem Eingang zur Kathedrale standen, ließ sich auf einer davon nieder und strich sich eine widerspenstige Locke aus den Augen. »Diese Kisten«, sagte sie, »waren mit Beutegut aus der Kathedrale gefüllt. Die Franzosen haben das meiste davon in der vergangenen Woche weggeschafft, aber Don Blas hat einiges gerettet.«
»Das wird ihn freuen.«
»Nicht sehr«, erwiderte Louisa schnippisch. »Die Franzosen haben die Kathedrale entweiht. Sie haben ihre Schätze geplündert und die meisten Wandbehänge heruntergerissen. Don Blas ist nicht glücklich. Aber das Gonfalon ist heil angekommen und unter Bewachung, deshalb kann das Wunder seinen Lauf nehmen.«
»Gut.« Sharpe setzte sich, zog seinen Degen, legte sich die Klinge über die Knie und kratzte das Blut ab, weil sonst die Gefahr bestanden hätte, dass die Klinge rostete.
»Don Blas ist drinnen. Er bereitet den Hochaltar für diesen Unsinn vor.« Louisa entschärfte das Wort mit einem Lächeln. »Zweifellos wünschen Sie sich, er möchte sich damit beeilen, damit Sie sich zurückziehen können?«
»In der Tat, ja.«
»Aber das wird er nicht«, sagte Louisa überzeugt. »Die Priester bestehen darauf, dass der Unsinn richtig gemacht wird, mit der gebührenden Feierlichkeit. Es handelt sich um ein Wunder, Lieutenant, das von Zeugen beobachtet werden muss, die die Nachricht in ganz Spanien verbreiten sollen. Wir warten noch auf die Ankunft einiger Mönche und Klosterbrüder.« Sie lachte fröhlich. »Das ist wie im Mittelalter, nicht wahr?«
»In der Tat.«
»Aber Don Blas meint es ernst, daher müssen wir beide es auch ernst nehmen. Sollen wir hineingehen und ihn aufsuchen?« Louisa sprach mit plötzlicher Begeisterung. »Außerdem müssen Sie sich das Himmelstor ansehen, Lieutenant, eine wahrhaft außergewöhnliche Steinmetzarbeit. Viel eindrucksvoller als die Türen methodistischer Gemeindehäuser, obwohl es schon fast an Verrat grenzt, so etwas zu sagen.«
Sharpe schwieg einige Sekunden lang. Er hatte keine Lust, sich jetzt das sogenannte Himmelstor anzusehen und die Gesellschaft des Mädchens mit den Spaniern zu teilen, die dabei waren, die Kathedrale für die Salbaderei des Abends vorzubereiten. Er wollte hier mit Louisa sitzen bleiben und den Augenblick des Sieges genießen.
»Ich bin ehrlich der Meinung«, sagte sie, »dass dies die glücklichsten Tage meines Lebens waren. Ich beneide Sie.«
»Mich beneiden?«
»Es liegt am Fehlen jeglicher Restriktionen, Lieutenant. Plötzlich gibt es keine Spielregeln mehr, nicht wahr? Sie wollen eine Lüge erzählen? Also lügen Sie einfach! Sie sehnen sich danach, eine Stadt zu schleifen? Sie tun es einfach! Sie möchten ein Feuer entfachen? Dann schlagen Sie einfach den Feuerstein an! Vielleicht sollte ich einer Ihrer Rifles werden.«
Sharpe lachte. »Ich nehme das Angebot an.«
»Aber stattdessen«, sagte Louisa und verschränkte spröde die Arme, »muss ich in den Süden nach Lissabon reisen und dort ein Schiff nach England nehmen.«
»Müssen Sie das denn wirklich?«, sprudelte es aus Sharpe hervor.
Louisa schwieg einen Moment. Rauchgeruch von einem der brennenden Häuser trieb über die Plaza, dann wurde er von einem Windstoß verweht. »Entspricht das nicht dem, was Sie vorhaben?«, fragte sie.
Hoffnung stieg in ihm auf. »Das hängt davon ab, ob wir in Lissabon eine Garnison behalten. Ich bin sicher, dass wir sie behalten werden«, fügte er hinzu, aber es klang alles andere als sicher.
»Mir erscheint es unwahrscheinlich, nach unserer Niederlage.« Louisa drehte sich um und beobachtete eine Gruppe spanischer Jugendlicher, die es geschafft hatten, an den mit der Bewachung der Plaza betrauten Cazadores vorbeizuschlüpfen. Die Knaben hielten eine erbeutete Trikolore hoch, die sie erst in Brand steckten und dann vor dem eingeschlossenen Feind schwenkten. Falls sie gehofft hatten, die Franzosen im Palast mit ihrer Schmähung aufzustacheln, schlug ihr Vorhaben fehl.
»Ich bin also dazu verdammt, in die Heimat zurückzukehren.« Louisa blickte zu den herumtollenden Knaben hinüber, während sie das sagte. »Und wozu, Lieutenant? In England werde ich meine Näherei wieder aufnehmen und Stunden mit meinen Wasserfarben verbringen. Zweifellos werde ich eine Zeit lang eine Kuriosität sein. Der Gutsherr wird von meinen drolligen Abenteuern hören wollen. Mister Bufford wird seine Avancen fortsetzen und mir versichern, dass ich, solange er noch Atem in seinem Körper hat, nie wieder so grässlichen Gefahren ausgesetzt werden soll! Ich werde das Pianoforte spielen und Wochen auf die Entscheidung verwenden, ob ich für die Ballkleider der nächsten Saison rosa oder blaue Bänder kaufen soll. Ich werde den Armen Almosen geben und mit den Damen der Stadt Tee trinken. Und alles wird ohne jegliche Anstrengung verlaufen, Lieutenant Sharpe.«
Sharpe fühlte sich einer Ironie ausgesetzt, die ganz zu verstehen er sich nicht zutraute. »Sie haben also beschlossen, Mister Bufford zu heiraten?«, fragte er besorgt, denn er fürchtete, die Antwort könnte all seine leisen Hoffnungen zunichtemachen.
»Ich habe nicht genug geerbt, um einen edleren Freier zu gewinnen«, sagte Louisa mit gespieltem Selbstmitleid. Sie wischte sich Asche vom Rock. »Aber es wäre sicherlich vernünftig von mir, es zu tun, nicht wahr, Lieutenant? Mister Bufford zu heiraten und in seinem sehr hübschen Haus zu wohnen? Ich werde an der Südmauer Rosen pflanzen lassen und in gewissen Zeitabständen, in sehr langen Zeitabständen, werde ich in den Zeitungen einen Artikel entdecken, der von einer fernen Schlacht berichtet, und ich werde mich erinnern, wie grässlich Pulverdampf riecht und wie traurig ein Soldat aussehen kann, wenn er das Blut von seinem Degen kratzt.«
Ihre letzten scheinbar so intimen Worte gaben seinem Optimismus Nahrung. Er blickte zu ihr auf.
»Sehen Sie, Lieutenant«, kam Louisa ihm zuvor, »jeder Mensch steht im Laufe seines Lebens einmal vor einer grundsätzlichen Entscheidung. Ist es nicht so?«
Die Hoffnung, so unbegründet, so vage und doch so unwiderstehlich, regte sich in Sharpe. »Ja«, sagte er. Er wusste zwar nicht genau, wie sie es schaffen wollte, beim Heer zu bleiben oder wie es um die Finanzen stand, an denen die meisten unpraktischen Romanzen scheiterten, aber andere Offiziersfrauen hatten Häuser in Lissabon, warum also nicht Louisa?
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich die Rosen und die Stickarbeit haben will.« Louisa wirkte plötzlich nervös wie ein unerfahrenes Pferd, das sich scheu der Kampflinie nähert. »Ich weiß, ich sollte mir diese Dinge wünschen, und ich weiß, dass ich töricht bin, wenn ich sie verschmähe, aber mir gefällt es in Spanien! Mir gefällt die Aufregung hier. In England ist es immer so ruhig.«
»Ja.« Sharpe wagte kaum, sich zu bewegen, als könne er dadurch verhindern, dass sie ihn ablehnte.
»Finden Sie es falsch, dass ich mich nach Aufregung sehne?« Louisa wartete nicht auf Antwort, sondern stellte eine weitere Frage. »Glauben Sie wirklich, das britische Heer wird dableiben, um in Portugal zu kämpfen?«
»Natürlich!«
»Ich glaube es nicht.« Louisa wandte sich erneut ab und beobachtete die Jugendlichen, die jetzt auf der Asche der verbrannten französischen Fahne herumtrampelten. »Sir John Moore ist tot«, fuhr sie fort, »sein Heer ist fort, und wir wissen nicht einmal, ob die Lissaboner Garnison noch existiert. Und wenn sie noch da ist, Lieutenant, wie soll so eine kleine Garnison den Heerscharen Frankreichs widerstehen?«
Sharpe klammerte sich hartnäckig an seinen Glauben, dass das britische Heer die Hoffnung nicht aufgegeben hatte. »Den letzten Neuigkeiten zufolge, die wir aus Lissabon erhalten haben, besteht die Garnison weiter. Sie kann jederzeit verstärkt werden! Wir haben im letzten Jahr in Portugal zwei Schlachten gewonnen, warum nicht dieses Jahr noch mehr?«
Louisa schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir Briten sind geschlagen, Lieutenant, und ich habe den Verdacht, dass wir Portugal seinem Schicksal überlassen werden. Es ist fünfzig Jahre her, dass ein britisches Heer in Europa erfolgreich war, wie kommen Sie darauf zu glauben, dass wir jetzt Erfolg haben können?«
Sharpe sah nun endlich ein, dass Louisas Wünsche und seine Hoffnungen doch nicht in die gleiche Richtung gingen. Ihre Nervosität war nicht die eines Mädchens, das scheu einen Antrag annimmt, sondern die eines Mädchens, das ängstlich darauf bedacht ist, mit ihrer Ablehnung niemanden zu verletzen. Er blickte zu ihr auf. »Ist das Ihre Meinung, Miss Parker? Oder die von Major Vivar?«
Louisa schwieg zunächst, dann sagte sie so leise, dass ihre Stimme über den Lärm der Kirchenglocken hinweg kaum zu Sharpe durchdrang. »Don Blas hat mich gebeten, in Spanien zu bleiben, Lieutenant.«
»Oh.« Sharpe schloss die Augen, als ob sie vom Sonnenlicht auf der Plaza schmerzten. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Nichts ist törichter, sagte er sich wieder, als ein abgewiesener Mann.
»Ich kann mich im katholischen Glauben unterweisen lassen«, sagte Louisa, »und ich kann Teil dieses Landes werden. Ich will nicht aus Spanien fort. Ich will nicht nach England zurückkehren und an all die Aufregung denken, die hier winkt. Und ich kann nicht ...« Sie hielt verlegen inne.
Es war nicht nötig, dass sie den Satz beendete. Sie konnte sich nicht an einen gemeinen Soldaten verschwenden, an einen alternden Lieutenant, an einen Habenichts in einer zerfetzten Uniform, dessen Zukunftsaussichten darin bestanden, in einer Provinzbaracke langsam zugrunde zu gehen. »Ja«, sagte Sharpe hilflos.
»Ich kann mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen«, sagte sie dramatisch.
»Ihre Familie ...«, setzte Sharpe an.
»Wird entsetzt sein!« Louisa zwang sich ein Lachen ab. »Ich versuche mir gerade einzureden, dass das nicht der einzige Grund ist, warum ich Don Blas' Angebot annehme.«
Sharpe musste sich zwingen, zu ihr aufzublicken. »Sie werden heiraten?«
Sie sah ihm ernst ins Gesicht. »Ja, Mister Sharpe, ich werde Don Blas heiraten.« Nun, da die Wahrheit heraus war, klang ihre Stimme erleichtert. »Das ist eine plötzliche Entscheidung, ich weiß, aber ich muss den Mut aufbringen, den Augenblick auszunutzen!«
»Ja.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein.
Louisa betrachtete ihn schweigend. In ihren Augen standen Tränen, aber Sharpe sah sie nicht. »Tut mir leid«, begann sie.
»Nein.« Sharpe erhob sich. »Ich hatte keine Erwartungen, überhaupt keine.«
»Ich freue mich, das zu hören«, sagte Louisa sehr förmlich. Sie wich einen Schritt zurück, während Sharpe an den Rand der Steinfläche trat. Dann runzelte sie die Stirn, als er anfing, die Stufen hinabzugehen. »Wollten Sie nicht Don Blas aufsuchen?«
»Nein.« Sharpe war jetzt alles egal. Er steckte seinen Degen weg und ging davon. Er hatte das Gefühl, umsonst gekämpft zu haben. Nichts war geblieben, für das es sich zu kämpfen lohnte, und seine Hoffnungen waren wie die Asche der verbrannten Fahne auf der leeren Plaza. Alles umsonst.