Es war erstaunlich, wie schnell sich alle Ängste verflüchtigten, nachdem das Warten vorbei war.
Sharpe rannte bergan. Seine Stiefelsohlen, die am vergangenen Tag so sorgfältig angenäht worden waren, hatten sich erneut gelöst. Obwohl er auf der harten Kiesfläche der Straße rannte, hatte es den Anschein, als stürme er durch dicken, klumpigen Schlamm. Doch seine Ängste vergingen, weil die Würfel gefallen waren und nun das Spiel zu Ende gespielt werden musste.
»Qui vive?«
»Ami! Ami! Ami!« Vivar hatte ihm einen ganzen französischen Satz eingetrichtert, der dazu geeignet war, einen aufmerksam gewordenen Späher zu verwirren, aber Sharpe hatte es nicht vermocht, sich die fremdartigen Worte zu merken, daher hatte er sich mit dem einfacheren Wort für »Freund« zufriedengegeben. Er brüllte es immer lauter und zeigte gleichzeitig hinter sich, als sei er auf der Flucht vor einem im Nebel verborgenen Feind.
Der Wachtposten zögerte. Vier weitere Franzosen waren aus der Kirchentür getreten. Einer von ihnen hatte Unteroffiziersstreifen auf seinem blauen Ärmel, aber er wollte offenbar nicht die Verantwortung auf sich nehmen zu schießen, denn er rief im Innern der Kirche nach einem Offizier. »Capitaine! Capitaine!« Dann wandte sich der Unteroffizier, ohne Tschako und noch damit beschäftigt, seine Jacke zuzuknöpfen, wieder den herannahenden Schützen zu. »Halte, là!«
Sharpe hob seine linke Hand, als wolle er seinen Männern befehlen, langsamer zu laufen. Er selbst verlangsamte seine Schritte und brüllte wieder: »Ami! Ami!« Er tat so, als würde er erschöpft vorwärts taumeln, und dieses unbeholfene Täuschungsmanöver brachte ihn bis auf zwei Schritte an den feindlichen Unteroffizier heran. Dann blickte er dem Franzosen in die Augen und sah darin den plötzlichen Schrecken der Erkenntnis.
Zu spät. Sharpes Ängste und die Erlösung von diesen Ängsten, all das fand Eingang in seinen ersten Degenstreich. Ein Schritt nach vorn, der wütende Hieb, schon klappte der Unteroffizier über der hin- und hergedrehten Klinge zusammen, und der erste Wachtposten öffnete den Mund zum Schrei, als sich Harpers Schwertbajonett aufwärts in seinen Bauch bohrte. Die Finger des Franzosen schlossen sich krampfhaft um den Abzug seiner Muskete. Sharpe war dem Mann so nahe, dass er das Mündungsfeuer nicht sah, nur die Explosion in der Zündpfanne. Ein Funken brennenden Pulvers zischte über seinen Kopf hinweg, um ihn herum stieg Rauch auf, dann riss er seinen Degen aus dem Fleisch des Franzosen. Der Unteroffizier fiel rückwärts in das Wachfeuer, und sein Haar, an dem er sich so oft die fettigen Hände abgewischt hatte, loderte einen Moment lang hell auf.
Die übrigen drei Franzosen zogen sich in Richtung Kirchentür zurück, doch die Schützen waren schneller. Ein weiterer Musketenschuss zerriss das Morgengrauen, dann taten die Schwertbajonette ihre Arbeit. Ein Franzose schrie erbärmlich.
»Bring den Kerl zum Schweigen!«, knurrte Harper. Eine Klinge stach zu, dann ein erstickter Laut, dann nichts mehr.
Aus Richtung Kirchentür knallte eine Pistole. Ein Rifle keuchte, wand sich und stürzte ins Feuer. Zwei Büchsen feuerten und warfen eine dunkle Gestalt zurück ins schattige Innere der Kirche. Der brennende Schütze schrie entsetzlich, als er aus den Flammen gezogen wurde. Die Köter bellten wie Höllenhunde.
Mit der Überraschung war es vorbei, und sie hatten noch dreihundert Yards Straße zu überwinden. Sharpe zerrte einen der Handkarren beiseite, machte die Straße für die nachfolgende Kavallerie frei. »Lasst diese Lumpen!« Es befanden sich weitere Franzosen in der Kirche, doch sie mussten ignoriert werden, wenn der Überfall überhaupt Aussicht auf Erfolg haben sollte. Selbst Sharpes eigene Verwundete mussten zurückgelassen werden, wenn die Stadt wirklich fallen sollte. »Lasst sie! Kommt!«
Die Rifles gehorchten. Einer oder auch zwei blieben zurück, suchten Schutz in der Dunkelheit, doch Harper erkundigte sich, ob es ihnen lieber wäre, ihn zu bekämpfen oder die Franzosen, worauf die Zauderer ihren Mut wiederfanden.
Sie folgten Sharpe in den Nebel, der längst nicht mehr so dunkel wie noch vor wenigen Stunden war.
In der Stadt erschallten Trompetensignale. Das bedeutete noch keinen Alarm, nur den allgemeinen Ruf zu den Waffen, aber ihr Klang trieb die Rifles zur Eile an. In ihrer Hast ging jegliche Ähnlichkeit mit einem geordneten Vormarsch verloren. Sie rückten weder hintereinander noch in Schützenlinie vor, sondern als stampfende Horde, die den Hang empor auf die Stadt zurannte.
Wo inzwischen wohl die Verteidigung in Alarmbereitschaft war. Nun fand die Angst Zeit, sich wieder einzuschleichen, und sie wurde dadurch verschlimmert, als Sharpe sah, dass die Franzosen jene Häuser abgerissen hatten, die der alten Mauer am nächsten waren, damit die Wachen hinter den Barrikaden eine klare Schusslinie hatten.
Die Franzosen feuerten hinter ihnen aus der Kirche. Eine Kugel flog über ihre Köpfe hinweg, eine zweite pfiff zwischen den Schützen durch und schlug vor ihnen in eine verfallene Mauer ein.
Sharpe stellte sich vor, wie die Musketen und Karabiner über die Barrikaden der Stadt geschoben wurden. Er stellte sich einen französischen Offizier vor, der den Soldaten befahl zu warten, bis der Feind näher gekommen sei. Nun war der Moment des Todes gekommen. Nun würden, falls es in den Stellungen Kanonen gab, die breiten Mündungen ihre Kartätschen ausstreuen. Die Schützen würden bei lebendigem Leibe zerfetzt werden, ihre Bäuche aufgerissen, ihre Eingeweide über zehn Yards entlang einer unwirtlichen Straße verteilt.
Aber die Schüsse blieben aus, und Sharpe erkannte, dass sich die Franzosen der Stadt von den Schüssen aus der Kirche hatten verwirren lassen. Für einen Mann in der Hauptverteidigungslinie musste es so aussehen, als seien die heranstürmenden Rifles die Letzten der Besatzung des Wachlokals, die vom Musketenfeuer eines fernen Feindes verfolgt wurden. Er brüllte das magische Wort, so laut er nur konnte, in der Hoffnung, dadurch diesen Irrtum zu bestärken. »Ami! Ami!«
Sharpe konnte jetzt die Hauptstellungen sehen. Man hatte einen Viehkarren quer über die nächste Straßenmündung geschoben, um eine provisorische Barrikade zu errichten, die sich tagsüber entfernen ließ, damit die Kavalleriepatrouillen in die Stadt einreiten und sie wieder verlassen konnten. Er wurde von einem Feuer angestrahlt, das außerdem die Umrisse von Männern erkennen ließ, die soeben die Ladefläche des Karrens erstiegen. Sharpe sah, wie sie ihre Bajonette aufpflanzten. Zugleich konnte er links von dem Karren eine schmale Bresche ausmachen, wo seine Deichsel das einzige Hindernis darstellte.
Von dem Karren wurde ihnen eine Frage zugerufen, und Sharpe wusste bis auf das eine Wort keine Antwort darauf. »Ami!« Er keuchte, so schnell war er bergauf gerannt, schaffte es jedoch, seinen Männern einen Befehl zuzurufen. »Nicht zusammendrängen! Verteilt euch!«
Dann ertönte aus der Kirche hinter ihm ein Infanteriehorn. Es musste sich um ein verabredetes Signal handeln, allerdings eines, das sich durch den Tod sowohl des Wachoffiziers als auch des Unteroffiziers verzögert hatte. Dies war der Alarm, schrill und verzweifelt, und er provozierte eine augenblickliche Salve vom Viehkarren her.
Die Musketen knallten, doch die Verteidiger hatten zu früh geschossen und - wie viele Soldaten, wenn sie bergab schießen - zu hoch. Die Erkenntnis ließ in Sharpe plötzlich Hoffnung aufkommen. Er stieß einen Kriegsruf aus, nichts Verständliches, nur einen mörderischen Wutschrei, der ihn bis dicht vor die feindliche Stellung begleiten würde.
Harper rannte mit stampfenden Schritten neben ihm, und die Rifles verteilten sich über die Straße, damit sie keine massierte Zielscheibe für die französischen Soldaten abgaben, die auf den Karren kletterten, um die Plätze jener Männer einzunehmen, die ihr Pulver verschossen hatten.
»Tirez!« Der Degen eines feindlichen Offiziers sauste hernieder.
Aus den Mündungen der französischen Musketen schossen lange Stichflammen. Rauch stieg auf und verbarg den Karren, und ein Schütze wurde zurückgeworfen, als hätte man ihn mit einem gespannten Tau von den Beinen gerissen.
Sharpe hatte nach links die eigentliche Straße verlassen und stolperte über das Geröll der abgerissenen Häuser. Er sah einen Schützen stehen bleiben, um zu zielen, und brüllte ihm zu, er solle weiterlaufen. Sie durften jetzt nicht haltmachen, auf keinen Fall, denn wenn dieser Angriff seine Schnelligkeit einbüßte, würde der Feind ihn mühelos abwehren. Sharpe bereitete sich auf den schrecklichen Moment vor, wenn sie die Bresche angehen mussten.
Er sprang auf die Lücke zu und schrie seine Herausforderung, um unter jenen, die dort auf ihn warteten, Furcht und Schrecken zu verbreiten. Drei Franzosen waren es, die mit ihren Bajonetten zustießen.
Sharpes Degen rutschte klirrend von ihren Klingen ab und bohrte sich in das Holz einer Muskete. Er stolperte über die Deichsel, wurde beiseite gestoßen, als Sergeant Harper durch die schmale Bresche stürmte. Andere Schützen griffen nach den Seitenwänden des Karrens, versuchten ihn zu erklimmen. Ein Franzose stach mit dem Bajonett auf sie ein, wurde jedoch von einer Kugel zurückgeworfen.
Weitere Büchsen schossen. Ein Franzose zielte auf Sharpe, hatte jedoch in seiner Nervosität vergessen, seine Muskete mit Zündpulver zu versehen. Der Feuerstein schlug in einer leeren Pfanne auf, der Mann schrie, dann hatte Sharpe das Gleichgewicht wiedergefunden und stieß zu.
Harper zog soeben sein Schwertbajonett mit einer Drehbewegung aus den Rippen eines Feindes. Immer mehr Schützen schlugen sich durch die Bresche, während andere über den Karren stiegen und die Franzosen zurückdrängten. Die Verteidiger waren in der Minderzahl, und sie hatten zu lange gewartet. Erst das Hornsignal hatte ihrer Unschlüssigkeit ein Ende bereitet. Nun starben sie entweder, oder sie flohen.
»Der Karren! Der Karren!« Sharpe riss seinen Degen von dem Mann los, der vergessen hatte, seine Waffe zu laden. Harper stieß mit dem Gewehrkolben auf den letzten Franzosen ein, dann rief er den Schützen zu, sie sollten den Karren aus dem Weg räumen. »Zieht, ihr Halunken! Zieht!« Die Grünjacken warfen sich gegen die Räder und langsam schob sich der Karren quietschend ins Freie, wo die Franzosen sich die Schusslinie frei geräumt hatten.
Die meisten französischen Wachsoldaten waren über die vor ihnen liegende Straße geflohen. Es handelte sich um eine schmale, gepflasterte Straße mit einem Rinnstein in der Mitte. Links und rechts zweigten andere Straßen ab, dort entlang, wo einst die Stadtmauer gestanden hatte. Überall strömten Franzosen aus den Häusern und einige blieben stehen, um auf die Rifles zu schießen. Eine Pistolenkugel prallte vom Gitter des Fensters direkt neben Sharpes Kopf ab.
Sharpe entfernte die Reste des Wachfeuers, um einen Durchgang für Vivars Berittene zu schaffen. Er stieß mit dem Fuß flammende Holzscheite in einen Durchgang und versengte sich dabei Stiefel und Hosenbeine. Die Schützen suchten Deckung in den Torwegen, stopften Kugeln in Mündungen und stießen mit ihren eisernen Ladestöcken nach. Auf der Straße erklangen Rufe, und der erste Schütze, der geladen hatte, schoss auf den Feind.
Sharpe drehte sich um und entdeckte in kaum zweihundert Yards Entfernung die drei Glockentürme der Kathedrale. Die schmale Straße verlief bergauf und bog fünfzig Schritte weiter oben sanft nach links ab.
Der Nebel wurde immer lichter, obwohl das eigentliche Morgengrauen noch lange nicht da war. Ein paar Franzosen kamen in Reithosen, Stiefeln und Hemden aus den Häusern gerannt, Waffen und Helme noch in der Hand. Ein feindlicher Dragoner geriet in Panik, rannte auf die Grünjacken zu und wurde vom Schlag eines Gewehrkolbens am Kopf getroffen. Andere suchten Schutz in Toreinfahrten, um auf die Eindringlinge zu schießen.
»Feuer!«, rief Sharpe. Weitere Büchsen krachten, trieben den verwirrten Feind tiefer in die Stadt hinein. Sharpes Büchse schlug gegen seine Schulter wie ein Maultier, und das brennende Pulver aus der Pfanne versengte seine Wange. Harper war damit beschäftigt, die Leichen der Franzosen beiseite zu räumen. Er zerrte die Körper über den gefrorenen Boden in den zentralen Rinnstein.
Unheimliche Stille breitete sich aus. Die Schützen hatten den Überraschungseffekt geschickt ausgenutzt, und die Stille kennzeichnete jene kostbaren und gefährlichen Augenblicke, in denen sich die Franzosen über den unvermuteten Alarm klar zu werden versuchten. Sharpe wusste, dass bald mit einem Gegenangriff zu rechnen war, doch im Augenblick herrschte nur diese gespenstische, unerwartete und bedrohliche Stille.
Er brach sie, indem er seinen Männern zurief, wo sie in Stellung gehen sollten. Er platzierte eine Abteilung so, dass sie die westliche Querstraße sicherte, eine andere, um nach Osten Ausschau zu halten. Die Mehrzahl der Rifles behielt er bei sich, um die schmale Straße zu bewachen, die ins Stadtzentrum führte. Seine Stimme hallte von den steinernen Mauern wider.
Plötzlich wurde ihm die Dreistigkeit dessen klar, was er getan und Blas Vivar anzuordnen gewagt hatte. Eine französische Trompete blies zur reveille, dann verkündete sie den allgemeinen Alarm und stimmte übergangslos das Angriffssignal an. Eine Glocke begann ihr eindringliches Geläut, und tausend Tauben erhoben sich vom Spitzdach der Kathedrale, um die Luft mit erschrockenem Geflatter zu erfüllen.
Sharpe drehte sich um und spähte nach Norden. Er fragte sich, wann Vivars Hauptstreitmacht eintreffen würde.
»Sir!« Harper hatte die Tür des nächststehenden Hauses eingetreten, wo sich ein halbes Dutzend Franzosen halb von Sinnen vor Angst im Wachraum verkrochen hatten. Im Herd brannte ein Feuer und ihr Bettzeug war wahllos über den kahlen Holzboden verstreut. Sie hatten geschlafen, und ihre Musketen standen noch neben der Tür.
»Holt die Waffen heraus!«, befahl Sharpe. »Sims! Tongue! Cameron!«
Die drei Schützen kamen zu ihm gerannt.
»Schneidet ihnen Riemen, Hosenträger, Schnürsenkel, Gurte und Knöpfe ab. Dann lasst die Schweinehunde, wo sie sind. Nehmt ihre Bajonette mit. Nehmt, verdammt noch mal, alles, was ihr wollt, aber beeilt euch!«
»Jawohl, Sir.«
Harper ging auf der Straße vor dem Wachraum neben Sharpe in die Hocke. »Das war viel leichter, als ich mir ausgerechnet hatte.«
Sharpe hatte angenommen, der große Ire habe keine Angst gehabt, doch seine Worte deuteten eine Erleichterung an, die er nur zu gut nachempfinden konnte. Als er von der Kirche weg bergauf gerannt war, hatte Sharpe erwartet, dass aus der Gebäudereihe mit Blitz und Donner eine überwältigend starke Verteidigung erfolgen würde. Stattdessen hatte eine halb benommene Feldwache zwei Salven abgefeuert und war dann geflohen.
»Sie haben uns nicht erwartet«, bot er als Erklärung an.
Ein weitere feindliche Trompete nahm den dringlichen Ruf auf und versuchte das Bellen der Hunde und das Glockengeläut zu übertönen. Die nächstgelegenen Straßen waren jetzt leer bis auf den zerreißenden Nebel und die gekrümmten Gestalten zweier Franzosen, die umgekommen waren, als sie aus ihren Quartieren traten. Sharpe wusste, dass dies der Moment war, in dem der Feind seinen Gegenangriff ausführen musste. Wenn auch nur ein französischer Offizier seinen Verstand beisammen hatte und zwei Kompanien Soldaten auftreiben konnte, waren die Rifles geschlagen. Er blickte nach rechts, doch von den Cazadores war immer noch nichts zu entdecken.
»Laden! Dann schussbereit bleiben!«
Sharpe lud seine eigene Waffe. Als er die Patrone aufbiss, schmeckte der Salpeter bitter und unangenehm. Noch ein paar Schüsse, das wusste er, dann würde er von dem salzigen Pulvergeschmack rasenden Durst bekommen. Er schüttete das Pulver in die Gewehrmündung, rammte dann Kugel und Papierhülle hinab in den Lauf, schob den Ladestock ein und füllte die Pfanne mit Zündpulver.
»Sir! Sir!« Es war Dodd, einer der Männer, die die Straße nach Westen sicherten. Er schoss. »Sir!«
»Ruhe bewahren!« Sharpe rannte zur Straßenecke und sah einen einzelnen französischen Offizier zu Pferde. Dodds Kugel hatte den Mann verfehlt, der noch siebzig Schritte entfernt war. »Ganz ruhig jetzt!«, rief Sharpe. »Nicht schießen!«
Der französische Offizier, ein Dragoner, zog mit einer Geste, die ebenso geringschätzig wie tapfer war, seinen Säbel. Sharpe bereitete sich zum Schuss vor. »Harvey! Jenkins!«
»Sir?« Beide Rifles antworteten zugleich.
»Holt euch den Schweinehund, wenn er kommt.«
Sharpe blickte sich um. Er fragte, wo zum Teufel Vivars Cazadores blieben. Hufgetrappel veranlasste ihn, sich wieder umzudrehen, und er sah, dass der Offizier nun im Trab die Straße entlang ritt. Aus den Nebenstraßen gesellten sich weitere Dragoner zu ihm. Sharpe zählte zehn Reiter, dann noch einmal zehn. Mehr konnte der Feind nicht aufbringen. Die übrigen Kavalleristen in der Stadt waren wohl immer noch dabei, ihre Pferde zu satteln oder auf Befehle zu warten.
Der Franzose, der zu den tapfersten gehörte, denen Sharpe je begegnet war, bellte ein Kommando. »Casques en tête!« Die Reiter setzten ihre federgeschmückten Helme auf. Die Straße war nur so breit, dass drei Berittene nebeneinander Platz hatten. Die Dragoner hoben ihre Säbel.
»Blöder Schweinehund«, verfluchte Harper den französischen Offizier, der in seinem Trachten nach Ruhm Männer in den Tod führte.
»Anlegen!« Sharpe gefiel gar nicht, was er zu tun hatte. Auf jeden der vorderen Franzosen kam ein halbes Dutzend Gewehre. Und wenn sie starben, würden sie für die Nachkommenden die Straße blockieren. »Ruhig Blut, Jungs! Wir werden uns diese Schweinehunde allesamt holen! Tief zielen!«
Die Büchsen senkten sich. Gebogene Hähne wurden gespannt. Hagman hatte das rechte Knie auf den Boden gestützt. Dann verlagerte er sein Gewicht so nach hinten, dass er auf der Ferse kauerte. Dadurch hatte seine linke Hand, gestützt auf sein linkes Knie, die schwere Waffe samt Schwertbajonett besser im Griff. Einige der Rifles hatten eine ähnliche Haltung angenommen, während andere ihre Gewehre an Türstürzen stabilisierten. Auf der Straße lagen die schwelenden Reste des Wachfeuers und hüllten die herankommenden Reiter, die nun zum Galopp ansetzten, in Dunst.
Der französische Offizier hob seinen Säbel. »Vive l'Empereur!« Er ließ den Säbel niedersausen.
»Feuer!«
Die Gewehre feuerten. Sharpe hörte, wie die Kugeln einschlugen. Ein Pferd schrie auf und erhob sich auf die Hinterhand. Sein Reiter geriet unter die Hufe eines heranstürmenden Pferdes. Säbel fielen klirrend aufs Pflaster. Der Offizier lag am Boden. Er wand sich in Krämpfen und spuckte Blut. Ein reiterloses Pferd klapperte in eine Gasse. Ein Dragoner machte kehrt und floh. Ein Zweiter war vom Pferd gefallen und hinkte nun auf eine offene Tür zu. Die Kavalleristen weiter hinten versuchten, sich nicht nach vorn durchzuzwängen, sondern rissen ihre Tiere herum und flohen.
»Laden!«
Aus mehreren Fenstern entlang der Straße schossen Rauchwolken hervor. Eine Kugel schlug mit erschreckender Gewalt neben Sharpe in die Mauer ein, während eine andere von den Pflastersteinen abprallte und das Bein eines Schützen traf. Der Mann gab einen zischenden Schmerzenslaut von sich, stürzte und streckte die Hand nach dem Blut aus, das sich dick über seine grüne Hose ausbreitete. Es war schwer, die Franzosen hinter den schwarz vergitterten Fenstern auszumachen, und noch schwerer, diese Männer abzuschießen.
Weitere schattengleiche Gestalten erschienen am anderen Ende der Straße und von dort aus loderte Musketenfeuer auf die Schützen zu. Es war jetzt hell genug, dass Sharpe eine französische Trikolore erkennen konnte, die von der hohen Kuppel der Kathedrale flatterte. Er sah, dass ein klarer, kalter Tag bevorstand, ein Tag zum Töten, und wenn Vivar nicht bald seine Hauptstreitmacht heranführte, war es den Rifles bestimmt, den Tod zu erleiden.
Dann erklang hinter ihm die Trompete.
Die Cazadores kämpften nicht nur um die Ehre, nicht nur für ihr Land, obwohl beide Gründe genügt hätten, sie durch die Pforten der Hölle zu treiben. Sie kämpften für den Schutzheiligen Spaniens. Dies war Santiago de Compostela, wohin die Engel eine Sternenwolke entsandt hatten, um eine vergessene Gruft zu erhellen, und die spanische Kavallerie ritt für Gott und für Santiago, für Blas Vivar und für Santiago.
Sie kamen heran wie eine schreckliche Flut. Als ihre Pferde an Sharpe vorbeidonnerten, sprühten die Hufe Funken. Ihre Säbel blitzten im grauen Morgenlicht. Sie drangen vor ins Herz der Stadt, angeführt von Blas Vivar, der den Rifles ein unverständliches Dankeswort zurief, als er an ihnen vorbeigaloppierte. Und hinter den Cazadores kam aus jener Mulde, in der Sharpe beim Morgengrauen hätte sein müssen, die Infanterie der Freiwilligen geklettert. Auch sie hatten sich den Namen des Heiligen als Kampfruf erkoren. Trotz ihrer provisorischen Uniformen aus braunen Jacken und weißen Schärpen wirkten diese Männer, bewaffnet mit Musketen, Spitzhacken, Degen, Messern, Lanzen und Sensen, nicht wie Soldaten, sondern wie rachsüchtiger Pöbel.
Als sie vorbeirannten, bot Sharpe den Männern ohne Schusswaffen die erbeuteten französischen Musketen an, doch die Freiwilligen waren nur darauf erpicht, das Zentrum der Stadt zu erreichen. Zum ersten Mal sah Sharpe, dass die Aussicht bestand zu siegen, nicht durch gekonnte Taktik, sondern durch Ausnutzung des Hasses einer Nation.
»Was sollen wir tun, Sir?« Harper trat mit einem Bündel erbeuteter Bajonette aus dem Wachhaus.
»Hinterher! Vorwärts! Achtet auf die Flanken! Behaltet die oberen Fenster im Auge!«
Doch derartige Ratschläge trafen nun auf taube Ohren. Die Rifles hatten sich vom Wahnsinn dieses Morgens anstecken lassen. Es kam ihnen nur darauf an, die Stadt einzunehmen. Die Ängste der langen, kalten Nacht waren verschwunden, und überschäumende, unglaubliche Zuversicht war an ihre Stelle getreten.
Sie stürzten sich ins Chaos. Franzosen, die von dem Getümmel geweckt wurden, rannten in Gassen, wo rachsüchtige Spanier sie erst jagten und dann töteten. Einzelne Bewohner der Stadt schlossen sich der Hetzjagd an und halfen Vivars Männern. Diese schwärmten aus in die überdachten mittelalterlichen Straßen, die um die zentralen Gebäude herum ein Labyrinth bildeten. In Trupps aufgeteilte Cazadores preschten von einer Straße zur anderen.
Ein paar Franzosen leisteten vom Obergeschoss ihrer Quartiere aus immer noch Widerstand, doch sie wurden einer nach dem anderen abgeschlachtet. In den Rinnsteinen floss Blut. Ein Priester kniete neben einem sterbenden Freiwilligen.
»Zusammenbleiben!« Sharpe befürchtete, dass in einem Schreckensmoment ein Schütze in dunkler Uniform für einen Franzosen gehalten werden könnte. Er erreichte einen kleinen Platz, wandte sich wahllos in eine Richtung und führte seine Männer eine Straße entlang, auf der drei Franzosen tot in rinnenden Blutlachen lagen. Auf den Stufen einer Kirche zog eine Frau einem Mann die Uniform vom Leibe. Ein vierter Franzose lag im Sterben. Zwei Kinder, nicht älter als zehn Jahre, stachen mit Küchenmessern auf ihn ein. Ein beinloser Krüppel, der auf Plünderung aus war, schwang sich auf schwieligen Knöcheln an die Seite eines Leichnams.
Sharpe bog nach links in die nächste Straße ein und wich zurück, als spanische Kavalleristen an ihm vorbeistürmten. Aus einem Haus floh ein Franzose, geriet einem Reiter in den Weg. Er schrie, dann traf ein Säbelhieb sein Gesicht und er verschwand unter den eisenbewehrten Hufen.
Irgendwo in der Stadt krachte wie Donner eine Musketensalve. Ein französischer Infanterist kam aus einer Gasse, sah Sharpe und fiel auf die Knie. Er bettelte buchstäblich darum, gefangen genommen zu werden. Sharpe verfrachtete ihn nach hinten, in den Gewahrsam der Schützen, während weitere Franzosen aus der Gasse strömten. Sie warfen ihre Musketen fort und wollten nichts anderes als Schutz.
Vor ihnen wurde es jetzt hell und weniger eng, eine Abwechslung nach der nasskalten Finsternis der schmalen Straßen, und Sharpe führte seine Männer auf die weite Plaza zu, die sich vor der Kathedrale ausbreitete. Aus einer Bäckerei drang der Geruch von Brot, doch dieser angenehme Duft wurde sogleich überlagert vom Gestank des Pulverdampfes.
Die Schützen rückten vorsichtig auf den Platz vor, von wo aus eine weitere Musketensalve den Morgen zerriss. Sharpe konnte zwischen dem Unkraut, das in den Ritzen der Steinplatten wuchs, Leichen herumliegen sehen. Neben den toten Pferden lagen an die zwanzig Gefallene, hauptsächlich Spanier. Der Rauch aus den Musketen war dicker als der Nebel.
»Die Schweinehunde leisten Widerstand!«, brüllte Sharpe zu Harper hinüber.
Er schob sich vorwärts in Richtung Straßenecke. Zu seiner Linken stand die Kathedrale. Drei Männer in braunen Jacken lagen auf ihren Stufen. Aus ihren Körpern rann Blut. Rechts von Sharpe und direkt gegenüber der Kathedrale ragte ein reich geschmücktes Gebäude auf. Über dem Haupteingang hing eine Trikolore und jedes der Fenster war mit Pulverdampf umkränzt. Die Franzosen hatten das große Bauwerk in eine Festung verwandelt, die den Platz beherrschte.
Dies war nicht der Zeitpunkt, sich mit einer Horde in die Enge getriebener, verzweifelter Franzosen einzulassen, sondern es galt festzustellen, ob die übrige Stadt eingenommen war. Die Schützen umrundeten im Schutz der Hinterhöfe die Plaza. Die Gefangenen blieben von allein bei ihnen, denn die Rache, die die Stadtbewohner an anderen gefangenen Franzosen übten, erfüllte sie mit Schrecken. Die Stadt brachte einen rachedurstigen Pöbel hervor, und Sharpes Soldaten mussten von ihren Gewehrkolben Gebrauch machen, um die Gefangenen zu schützen.
Sharpe führte seine Männer nach Süden. Sie kamen an einem sterbenden Pferd vorbei, dem Harper den Gnadenschuss gab. Augenblicklich fielen zwei Spanier mit Messern über den Kadaver her und schnitten große Stücke warmen Fleisches heraus. Ein Buckliger mit blutender Kopfhaut grinste, als er einem toten Dragoner die Ohren abschnitt. Sharpe fiel auf, wie wenige Dragoner er in Santiago de Compostela bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte. Er fragte sich, ob Louisas Täuschungsmanöver tatsächlich funktioniert haben konnte und die Mehrzahl der grün gekleideten französischen Kavallerie nach Süden geritten war.
»Dort hinein!« Sharpe entdeckte zu seiner Linken einen Innenhof, und er stieß die Gefangenen durch den Torbogen. Er ließ zu ihrer Bewachung ein halbes Dutzend Rifles zurück, dann kehrte er in das mittelalterliche Straßengewirr zurück, in dem heftig gekämpft wurde. Manche Gassen lagen friedlich da, während in anderen kurze, heftige Feuergefechte stattfanden, wann immer verzweifelte Franzosen in die Enge getrieben wurden.
Ein Offizier, der in eine Sackgasse geraten war, hieb mit dem Degen um sich und schlug sechs Freiwillige in die Flucht, ehe krachende Musketenkugeln seinen Widerstand brachen. Die meisten Franzosen verbarrikadierten sich in ihren Quartieren. Spanische Musketen sprengten die Türen, und Männer starben, als sie die schmalen Treppen hinaufstürmten, doch die Franzosen waren zahlenmäßig unterlegen. Zwei Häuser gerieten in Brand, und Männer schrien entsetzlich, als sie bei lebendigem Leibe verbrannten.
Die meisten überlebenden Feinde, abgesehen von jenen, die das große Gebäude an der Plaza besetzt hielten, befanden sich im Süden der Stadt, wo sie in einer Ansammlung von Häusern von ihren Offizieren zusammengehalten wurden und sich standhaft wehrten.
Sharpes Männer eroberten zwei Obergeschosse, und ihre Gewehrschüsse vertrieben die Franzosen von den Fenstern und Innenhöfen. Vivar war mit einem abgesessenen Trupp Cazadores unterwegs, und Sharpe sah zu, wie die spanische Kavallerie in die vom Feind besetzten Häuser flutete.
Vivars sorgfältiger Plan, der vorsah, Männer zu jeder Ausfallstraße der Stadt zu beordern, war in der Hitze des Sieges untergegangen. So kam es, dass Männer, die den Feind in östliche Richtung hätten vertreiben sollen, mordeten und plünderten, so gut sie nur konnten. Doch es war gerade dieses Ungestüm, das die Angreifer durch die Stadt schwärmen ließ und die Franzosen zur Flucht veranlasste, entweder hinaus aufs Land oder zum französischen Hauptquartier an der Plaza.
Die aufgehende Sonne offenbarte, dass die Trikolore von der hohen Kuppel der Kathedrale verschwunden war. An ihrer Stelle fing eine spanische Standarte, leuchtend wie ein Juwel, die sanfte Brise ein. Sie war mit dem Wappen des spanischen Königshauses geschmückt, ein Banner für den Morgen, wenn auch noch nicht das Banner Santiagos, das man erst in der Kathedrale entfalten würde.
Sharpe überlegte, wie schön doch die Stadt im Morgenlicht aussah. Er betrachtete das komplizierte Gewirr aus Kirchtürmen, Spitzdächern, Kuppeln und Kastellen, verschleiert durch Rauch und Sonnenlicht. Die ganze Szene wurde von der Kathedrale selbst überragt.
Eine Gruppe blau berockter Franzosen erschien auf dem mit einer Balustrade versehenen Balkon eines der Glockentürme. Sie feuerten in die Tiefe, dann trieb eine Salve von unten sie zurück. Eine der spanischen Kugeln traf eine Glocke. Die übrigen Kirchenglocken der Stadt läuteten zum Sieg, obwohl vereinzelte Musketenschüsse von den letzten Resten französischen Widerstands zeugten.
Ein Schütze neben Sharpe entdeckte zwei Franzosen, die in fünfzig Yards Entfernung über ein Dach krochen. Die Baker-Büchse schlug gegen seine Schulter, dann rutschte einer der Feinde blutend über die Schindeln und stürzte auf die Straße. Der andere warf sich hastig über den Dachfirst, um dahinter zu verschwinden.
Vivars Männer hatten mit Säbel und Karabiner die Verfolgung aufgenommen, und Sharpe konnte französische Soldaten in die südlichen Felder rennen sehen. Er befahl seinen Männern, das Feuer einzustellen, dann führte er sie wieder hinab auf die Straße, wo die Schönheit des Stadtbildes durch den grässlichen Gestank von Blut überlagert wurde. Ein Hund leckte im Rinnstein das Blut auf und knurrte, als die Schützen ihm zu nahe kamen.
Sharpe begab sich wieder an den Rand der Plaza, wo immer noch Musketenfeuer über die Steinplatten peitschte. Der weite Platz war bis auf die Toten und Gefallenen leer. Die Franzosen hatten ihre Stellung in dem riesigen, eleganten Gebäude gehalten, von wo aus sie Musketendonner erschallen ließen, sobald ein Spanier es wagte, sich auf der Plaza zu zeigen.
Sharpe sorgte dafür, dass seine Schützen in Deckung blieben. Er schlich bis an die Straßenecke vor, von wo aus er begutachten konnte, welch üppigen Reichtum ein toter Heiliger über das Stadtzentrum gebracht hatte. Die Plaza war von Aufsehenerregend schönen Gebäuden umgeben.
Ein Schrei veranlasste ihn, sich umzudrehen, und er sah, wie ein Franzose von einem Glockenturm der Kathedrale geworfen wurde. Sein Körper zappelte im Fallen, dann wurde der Anblick gnädig von einer niedrigen Häuserzeile verborgen.
Die Kathedrale war ein Wunderwerk aus fein behauenem Stein mit verschlungenen Verzierungen, doch an diesem Tag starben Menschen im Labyrinth seiner geschnitzten Dächer. Auf dem Glockenturm wurde eine weitere spanische Standarte gehisst, nachdem man dort den letzten Franzosen getötet hatte. Die großen Glocken stimmten ihr fröhliches Geläut an, während eine Salve Musketenfeuer von der französischen Seite der Plaza her versuchte, an den Spaniern Rache zu nehmen, die das Banner ins Morgenlicht gehängt hatten.
Ein Spanier stürmte aus der westlichen Pforte der Kathedrale und schwang eine eroberte französische Fahne. Augenblicklich ergoss sich ein Geschosshagel vom Westen her auf den Platz, und die Kugeln umschwirrten krachend den Mann. Wie durch ein Wunder überlebte er.
Im Bewusstsein, an diesem Tag unverwundbar und unsterblich zu sein, kam der Mann verwegen die Stufen der Kathedrale herabstolziert und trat zwischen die verstreuten Leichen auf der Plaza. Auf Schritt und Tritt zerfetzten die zischenden Kugeln die erbeutete Fahne des Feindes. Der Mann jedoch blieb unverletzt, und die Schützen jubelten, als er endlich gemächlich seine zerrissene Trophäe in einer Straße in Sicherheit brachte.
Im Schatten stehend, hatte Sharpe das von Franzosen besetzte Gebäude beobachtet und herauszufinden versucht, wie viele Musketen von seiner Fassade aus abgefeuert wurden. Er schätzte mindestens einhundert Schuss und wusste, dass es sich, falls die Franzosen auf der anderen Seite des mächtigen Baus noch einmal so viele Männer hatten, als schwierig erweisen würde, ihn einzunehmen.
Er drehte sich um, als hinter ihm Hufgetrappel erklang. Es war Blas Vivar, der um die Gefahr wissen musste, die draußen auf dem Platz drohte, denn er glitt ein gutes Stück vor dem Ende der Straße aus dem Sattel.
»Haben Sie Miss Louisa gesehen?«
»Nein!«
»Ich auch nicht.« Vivar lauschte dem Musketenfeuer, das von der Plaza herüberdrang. »Sie sind also immer noch im Palast?«
»Massiert«, antwortete Sharpe.
Vivar spähte um die Straßenecke herum auf das Gebäude. Es war von Männern auf dem Dach der Kathedrale unter Beschuss genommen worden. Fensterscheiben zersplitterten. Französische Musketen erwiderten das Feuer. Sie spuckten Rauch in die aufgehende Sonne. Vivar fluchte.
»Ich kann sie dort nicht einfach lassen.«
»Es wird verdammt schwierig werden, sie herauszutreiben.« Sharpe wischte Blut von der Klinge seines Degens. »Sind Sie auf Artillerie gestoßen?«
»Ich habe keine zu Gesicht bekommen.« Vivar zuckte zurück, als dicht neben seinem Kopf eine Musketenkugel einschlug. Er grinste, als müsse er sich für seine Schwäche entschuldigen. »Vielleicht werden sie sich ergeben?«
»Nicht, wenn sie glauben, dass sie dann abgeschlachtet werden.« Sharpe wies hinter sich auf die Straße, wo ein französischer Leichnam bezeugte, welches Schicksal einen Feind erwartete, der sich vom Stadtvolk einfangen ließ.
Vivar trat von der Straßenecke zurück. »Vielleicht ergeben Sie sich Ihnen.«
»Mir?«
»Sie sind Engländer. Sie trauen den Engländern.«
»Ich muss ihnen versprechen können, dass sie am Leben bleiben.«
Ein Spanier musste sich irgendwo am Rande der Plaza gezeigt haben, denn plötzlich kam wieder hallendes Musketenfeuer auf, das verriet, wie viele Soldaten die Franzosen tatsächlich im Palast versammelt hatten. Vivar wartete, bis die ohrenbetäubenden Salven verstummt waren.
»Sagen Sie ihnen, ich werde den Palast in Brand stecken, wenn sie sich nicht ergeben.«
Sharpe bezweifelte, ob sich der steinerne Bau anzünden ließ, aber das war nicht die Drohung, vor der sich die Franzosen am meisten fürchteten. Sie fürchteten die Folter und einen schrecklichen Tod.
»Können die Offiziere ihre Degen behalten?«, fragte er.
Vivar zögerte, dann nickte er. »Ja.«
»Und Sie garantieren jedem Franzosen Sicherheit?«
»Natürlich.«
Sharpe hatte nicht den Wunsch, die Kapitulation auszuhandeln. Er fand, dass derartige diplomatische Aufgaben besser von Blas Vivar erledigt worden wären, aber der Spanier schien überzeugt zu sein, dass ein englischer Offizier beruhigender auf die Franzosen wirken würde. Ein Trompeter der Cazadores blies zum Waffenstillstand.
Man fand ein Laken, befestigte es an einem Besenstiel und schwenkte es an der Straßenecke. Der Trompeter wiederholte das Signal zum Einstellen der Kampfhandlungen, aber es dauerte eine volle Viertelstunde, um die rachedurstigen Spanier am Rand des Platzes zu überzeugen, dass dieses Signal ernst gemeint war. Weitere zehn Minuten vergingen, ehe sich aus dem Palast eine misstrauische französische Stimme meldete.
Vivar übersetzte. »Sie wollen nur einen Mann sprechen. Ich hoffe nur, dass das keine Falle ist, Lieutenant.«
»Ich auch.« Sharpe steckte seinen Degen weg.
»Und fragen Sie nach Louisa!«
»Das hatte ich ohnehin vor«, sagte Sharpe und trat hinaus ins Sonnenlicht.