Kapitel 11

In Bristol regnete es unaufhörlich. Die Feuchtigkeit zusammen mit der Kälte nahm mir jeden Spaß am Rennen.

Kate schickte eine Nachricht, daß sie des Wetters wegen nicht käme, was gar nicht zu ihr paßte, und ich fragte mich, wie es Tante Deb wohl gelungen war, sie zu Hause zu halten.

Im Wiegeraum unterhielt man sich vorwiegend über Joe Nantwich. Die Rennsportkommission hatte sein Verhalten beim letzten Rennen am Tag des Hürdenchampionats untersucht und ihm für die Zukunft eine strenge Verwarnung erteilt. Man war allgemein der Ansicht, daß Joe mit sehr viel Glück noch einmal davongekommen sei.

Joe selbst stolzierte so aufgeblasen umher wie je. Aus einiger Entfernung zeigte sein rundes, rosiges Gesicht keine Spur der Angst oder Trunkenheit. Man erzählte mir aber, daß er Freitag, Samstag und fast den ganzen Sonntag in der Sauna verbracht hatte, halbtot vor Angst. Er hatte sich sinnlos betrunken und den Alkohol wieder herausgeschwitzt, wobei er dem Badepersonal unter Tränen versicherte, daß ihm hier nichts passieren könne.

Es war Sandy, der diese Geschichte erzählte. Zufällig sei er am Sonntagmorgen in die Sauna gegangen, um für das Rennen am Montag ein paar Pfund abzunehmen. Ich stieß auf Joe, als er gerade die Bekanntmachung an der Anschlagtafel las. Er pfiff vor sich hin.

«Na, Joe«, sagte ich,»was macht dich denn so fröhlich?«

«Alles. «Er grinste. Aus der Nähe bemerkte ich die schmalen Falten um die Mundwinkel und die ein wenig blutunterlaufenen Augen, aber sonst konnte man ihm nichts ansehen.»Man hat mir die Lizenz nicht entzogen. Und ich wurde dafür bezahlt, daß

ich dieses Rennen verloren habe.«

«Was?«rief ich entgeistert.

«Ich bin bezahlt worden. Du weißt, ich habe es dir erzählt. Das Päckchen mit Geld. Es kam heute früh. Hundert Pfund. «Ich starrte ihn an.»Nun, ich habe doch auch getan, was verlangt war, nicht wahr?«meinte er beleidigt.

«Das kann man wohl sagen«, meinte ich.

«Und dann diese Drohbriefe. Ich habe die Kerle schön an der Nase herumgeführt. Ich bin übers ganze Wochenende im Bad geblieben, und dort konnten sie mir nichts tun. Ich bin gut davongekommen«, sagte Joe triumphierend, als sei

aufgeschoben «schon >aufgehoben<.

«Es freut mich, daß du dieser Meinung bist«, sagte ich sanft.»Joe, beantworte mir eine Frage. Wie klingt denn die Stimme des Mannes, der dir telefonisch mitteilt, mit welchem Pferd du nicht gewinnen sollst?«

«Man könnte nie erraten, wer es ist. Die Stimme ist ziemlich leise. Manchmal beinahe flüsternd, als hätte der Mann Angst davor, gehört zu werden. Aber was macht das schon?«meinte Joe.»Solange er den Zaster liefert, kann er meinetwegen quaken wie ein Frosch.«

«Meinst du damit, daß du wieder ein Pferd abwürgst, wenn er es verlangt?«fragte ich.

«Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, sagte Joe in der späten Erkenntnis, etwas zu offen gewesen zu sein. Er sah mich von der Seite an und verschwand im Umkleideraum.

Pete und Dane diskutierten in der Nähe über Renntaktik, und ich ging hinüber zu ihnen. Pete verfluchte das Wetter, meinte aber, daß >Palindrome< doch etwas leisten müßte.

«Auf halbem Weg setzt du dich an die Spitze, dann kann dir nichts mehr passieren. Die anderen taugen nicht viel. Soviel ich sehen kann, bist du ein todsicherer Tip.«

«Prima«, sagte ich automatisch, aber dann erinnerte ich mich plötzlich daran, daß >Admiral< in Maidenhead ebenfalls ein todsicherer Tip gewesen war.

Dane fragte mich, ob ich mich bei Kate wohlgefühlt hätte, und nahm meine begeisterte Antwort nicht gerade freudig auf.

«Der Teufel soll dich holen, Freundchen, wenn du mich bei Kate ausgestochen hast«, meinte er mit gespieltem Grimm, aber ich hatte das unangenehme Gefühl, daß es ihm ernst war. Nachdenklich ging ich in den Umkleideraum.

Sandy stand am Fenster und starrte in den Regen hinaus.

«Wir brauchen Scheibenwischer für unsere Brillen«, bemerkte er gutgelaunt.»Schlammbad gefällig?«

«Wie wär’s denn am Sonntag in der Sauna?«fragte ich lächelnd.

«Ach, davon hast du auch schon gehört?«

«Ich glaube, das weiß schon jeder«, erwiderte ich.

«Gut. Das geschieht dem ekelhaften Kerl ganz recht«, sagte Sandy grinsend.

«Woher hast du gewußt, wo du ihn finden konntest?«

«Ich habe seine Mutter gefragt. «Sandy brach mitten im Satz ab, und seine Augen weiteten sich.

«Ja«, sagte ich.»Du hast ihm diese Drohbriefe geschickt.«

«Was bringt dich denn auf diese Idee?«meinte Sandy gutmütig.

«Du machst gern blöde Witze, und außerdem ist dir Joe unsympathisch«, sagte ich.»Der erste Brief wurde ihm in die Jacke gesteckt, als sie in Plumpton im Umkleideraum hing; es mußte also ein Jockey, ein Stallbursche oder ein Mitglied der Rennleitung gewesen sein. Buchmacher, Trainer, Pferdebesitzer oder Personen aus dem Publikum kamen nicht in Frage. Ich kam auf die Idee, daß die Person, die den Zettel in Joes Tasche gesteckt hatte, nicht mit derjenigen identisch war, die ihn dafür bezahlte, daß er Pferde stehenließ. Diese Person hat sich nämlich seltsamerweise nicht gerächt. Aber ich fragte mich, wer sonst noch ein Interesse daran haben könnte, Joe zu quälen, und da kam ich auf dich. Du wußtest schon vor dem Rennen, daß Joe auf >Bolingbroke< nicht gewinnen sollte. Als er dann doch gewann, sagtest du ihm, daß du eine Menge Geld verloren hättest und dich rächen würdest. Und das hast du ja wohl auch getan. Du bist ihm sogar nachgegangen, um dich an seinen Qualen zu weiden.«

«Rache ist süß, du weißt ja. Ich begreife nur nicht, woher du das alles erfahren hast.«

«Joe hat mir das meiste davon erzählt«, sagte ich.

«Das ist ein Schwätzer. Sein vorlautes Gerede wird ihn eines Tages noch in die größten Schwierigkeiten bringen.«

«Ganz bestimmt.«

«Hast du ihm erzählt, daß die Briefe von mir stammen?«fragte Sandy, zum erstenmal besorgt.

«Nein. Das gäbe nur noch mehr Ärger.«

«Dann habe ich dir wenigstens dafür zu danken.«

«Und für diesen kleinen Dienst könntest du mir sagen, woher du wußtest, daß Bolingbroke nicht gewinnen sollte?«

Er grinste breit, wiegte sich auf den Absätzen hin und her, aber er schwieg.

«Mach schon«, sagte ich.»Das ist doch wirklich nicht viel verlangt, vielleicht hilft mir das in der anderen Sache weiter.«

Sandy schüttelte den Kopf.»Das nützt dir gar nichts«, meinte er.»Joe hat es mir selbst erzählt.«

«Was?«

«Er hat es mir selbst erzählt. Im Waschraum, als wir uns vor dem Rennen umzogen. Du weißt doch, daß er immer angeben muß. Ich war eben gerade in der Nähe, und außerdem wußte er, daß ich früher einmal gelegentlich selbst Pferde hatte stehenlassen.«

«Er meinte, wenn ich einmal richtig lernen wollte, wie man ein Pferd abwürgt, dann sollte ich ihn auf >Bolingbroke< beobachten. Na ja, ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Ich setzte fünfzig Pfund auf >Leica<, die ja gewinnen mußte, wenn sich >Bolingbroke< nicht anstrengte. Und schau dir an, was passierte. Der Trottel verlor die Nerven und schlug >Leica< um zwei Längen. Ich hätte ihn erwürgen können. Fünfzig Pfund sind für mich ein Vermögen.«

«Warum hast du dann zehn Tage gewartet, bevor du ihm den ersten Brief gabst?«

«Es fiel mir nicht früher ein«, erwiderte er offen.»Aber er hat doch seine Quittung bekommen, nicht wahr? In Cheltenham wäre er beinahe seine Lizenz losgeworden, und übers Wochenende schwitzte er drei Tage lang wie ein Irrer. «Sandy strahlte.»Du hättest ihn in der Sauna sehen sollen. Er war buchstäblich am Ende. Er heulte mir etwas vor und flehte mich an, ich solle ihn verteidigen. Ausgerechnet ich! Ich konnte das Lachen kaum zurückhalten.«

«Und in Plumpton hast du ihn auch noch vom Pferd gekippt«, meinte ich.

«Das ist gar nicht wahr«, gab Sandy entrüstet zurück.»Hat er dir das erzählt? Der Kerl lügt ja wie gedruckt. Er ist einfach heruntergefallen, ich hab’s doch gesehen. Gute Lust, und ich mache ihm noch einmal Angst. «Seine braunen Augen funkelten. Aber er beruhigte sich rasch wieder.»Na ja. mir fällt schon wieder mal etwas ein. Es eilt ja nicht. Ich mach ihm das Leben schon zur Qual — Würmer in die Stiefel und so weiter. Harmlos«, und Sandy begann zu lachen. Dann sagte er:»Nachdem du als Privatdetektiv schon so erfolgreich bist, wie geht es denn mit der anderen Sache vorwärts?«

«Nur langsam«, erwiderte ich.»Aber ich weiß eine Menge mehr als letzte Woche, drum gebe ich die Hoffnung noch nicht

auf. Du hast nichts Brauchbares gehört?«Er schüttelte den Kopf.

«Keinen Ton. Du gibst es also nicht auf?«

«Nein.«

«Na, dann recht viel Glück«, grinste Sandy.

Ein Mann von der Rennleitung steckte den Kopf zur Tür herein.»Jockeys an den Start, bitte«, sagte er. Es war Zeit fürs erste Rennen.

Sandy setzte seinen Helm auf und knotete die Bänder fest. Dann nahm er die beiden falschen vorderen Schneidezähne heraus, wickelte sie in ein Taschentuch und steckte sie in die Manteltasche. Wie die meisten Jockeys ritt er nie mit falschen Zähnen, aus Angst, sie zu verlieren oder bei einem Sturz gar zu verschlucken. Er grinste mich noch einmal an, hob salutierend die Hand und sauste in den Regen hinaus.

Eine Stunde später, als ich hinausging, um >Palindrome< zu reiten, regnete es immer noch. Pete erwartete mich am Sattelplatz.

«Ist das nicht ein scheußlicher Tag«, meinte er.»Ich bin bloß froh, daß ich ihn nicht mehr reiten muß. Hoffentlich kannst du gut schwimmen.«

«Wieso?«fragte ich verständnislos.

«Dann weißt du wenigstens, wie man die Augen unter Wasser offenhält. «Ich glaubte zuerst an einen Witz, aber er meinte es ernst. Er deutete auf die Schutzbrille, die ich um den Hals hängen hatte.»Die brauchst du jetzt nicht. Die Hufe schleudern soviel Dreck hoch, daß du schon nach den ersten hundert Metern nichts mehr sehen könntest.«

«Dann laß ich sie unten.«

«Nimm sie ab. Sie hindert dich nur«, meinte er.

Ich nahm sie also ab, und als ich den Kopf wandte, um das elastische Gummiband über den Helm zu ziehen, bemerkte ich einen Mann, der am Sattelplatz entlangging. Infolge des Regens waren nur wenige Leute hier, so daß ich ihn genau sehen konnte.

Es war Bert, der auf der Straße nach Maidenhead das Pferd hin und her geführt hatte. Einer von den Marconicar-Fahrern.

Er sah nicht zu mir herüber, aber sein Anblick war mir so unangenehm wie ein elektrischer Schock. Was hatte er hier zu suchen?

Es konnte sein, daß er die hundertvierzig Meilen zurückgelegt hatte, nur, um sich bei Regen Pferderennen anzusehen. Es konnte aber auch nicht sein.

Ich starrte >Palindrome< an, der langsam um den Sattelplatz herumgeführt wurde.

Ein todsicherer Tip.

Ich schauderte. >Palindrome<, der todsichere Tip. Irgendwo auf der Rennbahn erwartete mich ein gespannter Draht. Ich war davon überzeugt, ohne es logisch begründen zu können.

Ein Zurück gab es aber nicht mehr. >Palindrome< war hoher Favorit und offensichtlich bei bester Gesundheit; er lahmte nicht, hatte keine geplatzten Blutgefäße, nichts, was in letzter Minute ein Zurücktreten erlaubt hätte. Und wenn ich nicht reiten konnte, mußte eben ein anderer Jockey einspringen. Ich konnte nicht einen Fremden hinausschicken.

Wenn ich mich rundheraus und ohne jede Erklärung weigerte, >Palindrome< starten zu lassen, würde man mir die Rennerlaubnis entziehen.

Falls ich der Rennkommission erklärte, daß jemand versuchen würde, >Palindrome< mit einem Draht zu Fall zu bringen, mußte sicher einer der Offiziellen die Bahn abgehen und die Hindernisse untersuchen, aber er würde nichts finden. Ich war davon überzeugt, daß der Draht wie bei Bill erst in letzter Sekunde angebracht werden sollte.

Wenn ich am Rennen teilnahm, aber >Palindrome< hinter den anderen Pferden gehen ließ, würde der Draht vielleicht nicht angebracht werden. Aber die Jockeys ließen sich infolge der starken Verschmutzung ihrer Rennkleidung kaum voneinander unterscheiden. Ein Mann, der mit dem Draht wartete, würde mich auf alle Fälle an der Spitze erwarten und dementsprechend handeln.

Ich sah mir die anderen Jockeys auf dem Sattelplatz an, die jetzt widerwillig ihre Regenmäntel ablegten und die Pferde bestiegen. Es waren ungefähr zehn Männer, von denen ich allerhand gelernt hatte, von denen ich als Kamerad aufgenommen worden war.

Wenn ich einen davon für mich stürzen ließ, konnte ich nie wieder zu ihnen gehören.

Es nützte nichts. Ich mußte >Palindrome< an der Spitze reiten und das Beste hoffen.

Pete sagte:»Was ist denn los? Du siehst aus, als wärst du einem Geist begegnet.«

«Mir fehlt nichts«, sagte ich und zog den Mantel aus. >Palindrome< stand neben mir, und ich streichelte ihn. Von jetzt ab war meine größte Sorge, daß er die nächsten zehn Minuten unverletzt überstehen würde.

Ich schwang mich in den Sattel, sah auf Pete herab und sagte:»Wenn., wenn >Palindrome< in diesem Rennen stürzt, würdest du dann bitte Inspektor Lodge im Polizeirevier von Maidenhead anrufen und ihm Bescheid sagen?«

«Was zum Teufel.?«

«Versprich es zuerst«, sagte ich.

«Na schön. Aber ich begreif’s nicht. Du kannst es ihm ja selber sagen, wenn du willst, und außerdem wirst du nicht stürzen.«

«Nein, vielleicht nicht«, meinte ich.

«Wir sehen uns dann bei der Siegerparade«, sagte er und

schlug >Palindrome< aufs Hinterteil, als ich an den Start ritt.

Der Regen schlug uns ins Gesicht, als wir uns aufstellten. Das Startband ging hoch, und wir ritten los.

Zwei oder drei Pferde übersprangen das erste Hindernis vor mir, aber dann trieb ich >Palindrome< an die Spitze und gab sie nicht mehr ab.

Mit dem Gedanken an Bills Sturz hielt ich Ausschau nach einem Hürdenaufseher, der hinter einem der Hindernisse auftauchen mußte, sobald sich die Pferde näherten. Er würde den Draht entrollen, ihn hochziehen und befestigen. sobald ich das sah, wollte ich >Palindrome< zu früh abspringen lassen, damit er mit der Brust dagegenprallte, wenn er den höchsten Punkt der Sprungbahn bereits überschritten hatte. Dadurch bestand die Chance, daß er den Draht zerreißen würde und auf den Beinen bleiben konnte; wenn wir wirklich stürzten, dann keinesfalls so gefährlich wie Bill und >Admiral<.

Wir legten die Strecke das erstemal ohne Zwischenfall zurück. Ungefähr eine Meile vor dem Ziel hörte ich Hufgetrappel dicht hinter mir; ich sah mich um. Das Feld hing ziemlich weit zurück, aber zwei Reiter verfolgten mich entschlossen, und sie hatten uns fast erreicht.

Ich trieb >Palindrome< an. Er reagierte sofort, und wir gewannen fünf Längen Vorsprung.

Niemand überquerte die Rennbahn.

Ich sah keinen Draht.

Aber >Palindrome< prallte trotzdem dagegen.

Ohne die Pferde hinter mir wäre der Sturz nicht so schlimm gewesen. Ich fühlte den plötzlichen Stoß in >Palindromes< Beinen, als wir das letzte Hindernis auf der Gegengeraden übersprangen, und ich schoß wie eine Granate aus dem Sattel. Ein paar Meter weiter prallte ich mit der Schulter auf den Boden auf. Bevor ich mich mehrmals überschlagen hatte, setzten die anderen Pferde über das Hindernis. Wenn es ihnen möglich gewesen wäre, hätten sie ein Ausweichmanöver versucht, aber sie mußten um >Palindrome< herumkommen, der eben wieder auf die Beine wollte, und ich versperrte ihnen den Weg.

Die galoppierenden Hufe trafen meinen Körper. Eines der Pferde erwischte mich am Kopf, und mein Sturzhelm wurde so schwer beschädigt, daß er herunterfiel. In den nächsten furchtbaren Sekunden vermochte ich weder zu denken noch mich zu bewegen, aber ich spürte alles.

Als es vorbei war, lag ich auf dem nassen Boden, regungslos und betäubt; ich konnte weder aufstehen noch mich rühren. Ich lag auf dem Rücken, mit den Beinen in Richtung Hindernis. Der Regen prasselte auf mein Gesicht, tropfte durch mein Haar, und ich schien die Augen kaum offenhalten zu können. Durch einen engen Schlitz unter den regennassen Wimpern konnte ich am Hindernis einen Mann sehen.

Er kam nicht herüber, um mir zu helfen. Er rollte hastig den Draht auf. Als er den Innenpfosten erreichte, steckte er die Hand in die Tasche seines Regenmantels, holte ein Werkzeug heraus und schnitt den Draht ab. Diesmal hatte er seine Schere nicht vergessen. Er hängte sich die Drahtrolle über den Arm und sah zu mir herüber.

Ich kannte ihn.

Es war der Fahrer des Pferdetransportwagens.

Alle Farben schienen zu verblassen. Die Welt wurde grau, wie auf einem unterbelichteten Film. Das grüne Gras war grau, das Gesicht des Fahrers war grau.

Dann sah ich, daß noch ein Mann vom Hindernis her auf mich zukam. Auch ihn kannte ich, und er war kein Taxichauffeur. Ich war so froh, Hilfe gegen den Fahrer zu finden, daß ich vor Erleichterung hätte weinen können. Ich versuchte ihm zu sagen, daß er sich den Draht ansehen sollte, damit diesmal ein Zeuge vorhanden war. Aber ich konnte nicht sprechen.

Er kam herüber, stand neben mir und bückte sich. Ich versuchte zu lächeln und ihn zu begrüßen, aber kein Muskel rührte sich. Er richtete sich auf.

Über die Schulter sagte er zum Fahrer:»Er ist bewußtlos. «Er wandte sich wieder mir zu.

«Neugieriger Hund«, sagte er und stieß mich in die Seite. Ich hörte, wie meine Rippen krachten, und der Schmerz zuckte heiß durch meinen ganzen Körper.»Vielleicht kümmerst du dich von jetzt an um deine eigenen Angelegenheiten. «Er stieß wieder zu. Meine graue Welt wurde dunkler. Ich war fast bewußtlos, aber selbst in diesem schrecklichen Augenblick arbeitete ein Teil meines Gehirns weiter, und ich wußte, warum der Mann mit dem Draht nicht die Rennbahn überquert hatte. Es war gar nicht nötig gewesen. Er und sein Komplize hatten auf beiden Seiten des Hindernisses gestanden und den Draht hochgehoben. Ich sah, wie der Fuß ein drittesmal zurückgezogen wurde. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er sich meinen Augen näherte, immer mehr wachsend, so daß ich schließlich nichts anderes mehr sah.

Er traf mich im Gesicht, und ich verlor schlagartig das Bewußtsein.

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