Kapitel 18

Was ich durch meine Liebe zu Kate nicht erreicht hatte, war mir gelungen, indem ich ihre Welt zerstörte. Sie stand vor mir und starrte mich so haßerfüllt an, daß mir fast übel wurde. Sie war endlich zum Leben erwacht, eine richtige Frau geworden.

Die gerichtliche Untersuchung über Leben und Tod des George Penn war zweimal vertagt und eben erst beendet worden; Polizisten, Zeugen, Kate und ich standen in der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes von Brighton. Das Urteil, das auf Unzurechnungsfähigkeit lautete, war gnädig. Aber vor den Journalisten hatte sich das Ausmaß von Onkel Georges verbrecherischen Handlungen nicht verbergen lassen. L. C. Perth und die Marconicars waren vierzehn Tage lang Thema aller Sensationsberichte gewesen. Daß ich Onkel George zum Selbstmord getrieben hatte, war für Tante Deb kein Heilmittel gewesen. Man hatte ihr die Wahrheit nicht vorenthalten können, der Schock und die Trauer führten zu Herzattacken, deren letzte sich als tödlich erwies. Aber für Kate war es so immer noch das beste, wenn sie auch nichts davon wußte.

Meine Kondolenzbriefe waren jedoch unbeantwortet geblieben, auch telefonisch hatte ich sie nicht erreichen können. Und jetzt sah ich, warum. Sie gab mir die Schuld an all dem Leid, das sie zu ertragen hatte.

«Ich hasse dich«, sagte sie.»Du widerst mich an. Du hast dich in unser Haus gedrängt und alles angenommen, was wir dir gaben. «Ich dachte an unsere Küsse, und sie schien es auch zu tun.»Zum Dank dafür hast du einen armen, alten Mann in den Tod gejagt und auch noch eine hilflose, alte Frau auf dem Gewissen. Ich habe keinen Onkel und keine Tante mehr. Ich

habe überhaupt keinen Menschen. Warum hast du das getan? Warum konntest du sie nicht in Ruhe lassen? Warum hast du mein Zuhause zerstört? Du wußtest doch, wie sehr ich sie liebte. Ich kann dich nicht ansehen.«

Ich schluckte.»Erinnerst du dich nicht an die Kinder, die man von einem Judoexperten in die Schule bringen lassen mußte, damit ihnen nichts passierte?«

Aber Kate wandte sich ab. Sie drängte sich durch die Journalisten und stieg in das wartende Taxi.

Der Wagen fuhr davon. Ich starrte ihm wie betäubt nach.

Nach einer Weile bemerkte ich, daß Lodge neben mir stand und auf mich einredete.

«Entschuldigen Sie«, sagte ich.»Was meinten Sie?«

Lodge seufzte.»Es war nicht wichtig. Hören Sie, sie wird schon wieder zur Vernunft kommen, wenn sie erst wieder normal denken kann.«

«Wenn ich gewußt hätte, daß George Penn niemand anders als Claude Thiveridge war, hätte ich alles anders gemacht.«

«Für die Penns ist es wohl so am besten«, meinte Lodge.»Ein schnelles Ende hat seine Vorteile.«

Er hatte wohl zum größten Teil erraten, welche Rolle ich bei Onkel Georges Tod spielte.

«Vielleicht haben Sie recht«, erwiderte ich. Er lächelte und wechselte das Thema.

«Die Verhandlung gegen die Marconicar-Chauffeure findet diese Woche statt. Sie werden wohl als Zeuge auftreten, nehme ich an?«

«Ja«, sagte ich.

Man hatte alle Fahrer festgenommen.

«Können wir gehen?«fragte ich Lodge. Er nickte, und wir marschierten zu meinem Wagen.

Ich fahre am schnellsten, wenn ich glücklich bin. An diesem Tag fiel es mir leicht, die Geschwindigkeitsbeschränkung einzuhalten. Lodge ertrug mein düsteres Schweigen lange Zeit.

«Miss Ellery-Penn war ihrem Onkel sehr nützlich. Er erfuhr durch sie alles, was Sie unternahmen.«

Ich hatte lange mit diesem Gedanken gelebt, aber nun, da ihn ein anderer aussprach, hatte das die erstaunlichste Wirkung. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Ich bremste, fuhr den Wagen an den Straßenrand und hielt. Lodge sah mich fragend an.

«Was Sie da eben gesagt haben. Ich muß nachdenken«, erklärte ich.

Er schwieg eine Weile und fragte dann:»Worüber zerbrechen Sie sich eigentlich den Kopf? Der Fall ist abgeschlossen. Es gibt keine Geheimnisse mehr.«

Ich schüttelte den Kopf.»Da ist noch jemand«, sagte ich.

«Was meinen Sie damit?«

«Da ist noch jemand, von dem wir nichts wissen. Jemand, der Onkel Georges Vertrauen hatte.«

«Ausgeschlossen«, erwiderte Lodge.»Wir haben Fielder, de» Geschäftsführer, und alle Angestellten der Firma L. C. Perth verhaftet, obwohl die meisten wieder freigelassen wurden, weil sie keine Ahnung von den wahren Vorgängen hatten.«

«Joe würgte lange Zeit, bevor Onkel George der schönen Kate >Heavens Above< schenkte, Pferde ab, und sie war vorher nie bei einem Rennen gewesen. Eine andere Person, die mit Pferderennen zu tun hat, muß für Onkel George gearbeitet haben«, erklärte ich.

«Penn brauchte ja nur die Morgenzeitung und einen Rennalmanach, um sich ein Pferd auszusuchen, das er gestoppt haben wollte. Er brauchte auch bei den Rennen keinen Komplizen, abgesehen von seinem Buchmacher.«

«Onkel George verstand nichts von Pferden«, sagte ich.

«Das hat er behauptet«, meinte Lodge skeptisch.

«Kate erzählte mir, daß er überhaupt keine Ahnung davon hat te. Er fing die Erpressungen vor vier Jahren und die Rennbetrügereien vor nicht ganz einem Jahr an. Zuvor hatte er keinen Grund, etwas vorzuspiegeln.«

«Mag sein«, gab er zurück.»Aber es beweist noch gar nichts.«

«Er muß einen Kontaktmann bei den Rennen gehabt haben. Wie wäre er sonst auf den Jockey gekommen, der am leichtesten zu bestechen war?«

«Vielleicht versuchte er es bei mehreren, bis er endlich einen fand«, sagte Lodge.

«Nein. Man hätte allgemein darüber gesprochen.«

«Er versuchte es bei Major Davidson«, warf Lodge ein.»Da scheint mir Ihr angeblicher Berater einen schweren Fehler gemacht zu haben.«

«Ja«, gab ich zu.»In letzter Zeit wurden aber ein paar Dinge an Onkel George weitergegeben, von denen selbst Kate nichts wußte. Wie erklären Sie das?«

«Was für Dinge?«

«Joes Packpapier zum Beispiel. In Liverpool erzählte er allen Leuten im Wiegeraum davon. Kate besuchte dieses Rennen nicht. Aber zwei Tage später wurde Joe auf Onkel Georges Befehl hin umgebracht.«

Lodge runzelte die Stirn.»Jemand kann sie am Sonntag angerufen und ihr zufällig davon erzählt haben.«

Ich dachte an Dane.»Selbst in diesem Fall war es nicht so interessant für sie, daß sie es Onkel George weitererzählt hätte.«

«Das weiß man nie«, erwiderte er. Ich trat auf den Anlasser und fuhr weiter. Ich wollte ihm nicht gerne den wichtigsten Grund für meine Annahme nennen, daß noch ein Gegner

existierte: die Überzeugung, daß ich in der durch die Gehirnerschütterung hervorgerufenen Gedächtnislücke wußte, wer es war.

Als ich es schließlich doch erwähnte, nahm er es ernsthafter auf, als ich erwartet hatte. Ein paar Minuten später sagte er nachdenklich:»Vielleicht läßt Ihr Unterbewußtsein nicht zu, daß Sie sich daran erinnern, weil Sie diese Person mögen.«

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