Kapitel 9

Der Schanktisch war mit einer schimmernden Kupferplatte abgedeckt. Die Zapfgriffe blinkten, und die Gläser blitzten. Es war ein sauberer, angenehmer kleiner Raum mit gemütlicher Beleuchtung und Ölgemälden von Fischerdörfern an den Wänden.

Kate und ich lehnten am Schanktisch und sprachen mit dem Gastwirt über Sherries. Er war ein hochaufgerichteter Mann um die Fünfzig mit einem martialischen Schnurrbart. Ich hielt ihn für einen pensionierten Hauptfeldwebel. Aber er verstand sein Geschäft, und der Sherry, den er uns empfahl, schmeckte ausgezeichnet. Wir waren seine ersten Gäste und unterhielten uns ein bißchen mit ihm. Er hatte die freundliche Art aller guten Gastwirte, aber dahinter bemerkte ich eine gewisse Vorsichtigkeit, als sei er auf alles gefaßt. Ich kümmerte mich jedoch nicht darum, weil ich fälschlicherweise dachte, seine Sorgen hätten mit mir nichts zu tun.

Ein anderes Paar betrat das Gastzimmer; Kate und ich wandten uns ab, um unsere Gläser zu einem der kleinen Tische zu tragen. Kate glitt dabei aus, ihr Glas prallte gegen den Schanktisch und zerbrach. Sie geriet mit der Hand an einen der größeren Splitter, und die klaffende Schnittwunde begann heftig zu bluten.

Der Gastwirt rief seine Frau, eine schmale, kleine Person mit gebleichtem Haar. Sie sah, wie Kate blutete, und rief besorgt:»Kommen Sie ’rein und halten Sie die Hand unters kalte Wasser. Dann hört es auf zu bluten. Vorsichtig, damit nichts auf Ihren schönen Mantel tropft.«

Sie öffnete eine Schwingtür, um uns durchzulassen, und

führte uns in ihre Küche, die ebenso peinlich sauber war wie der Schanktisch. Auf einer Anrichte lag in Scheiben geschnittenes Brot, Butter, kaltes Fleisch; daneben standen Gläser mit Salaten und Mixed Pickles. Wir hatten die Frau des Gastwirtes bei der Garnierung von belegten Broten für die abendlichen Gäste gestört. Sie ging zum Ausguß, ließ das Wasser laufen und winkte Kate, die Hand darunterzuhalten. Ich blieb an der Küchentür stehen und sah mich um.

«Es tut mir leid, daß ich Ihnen so viel Umstände mache«, meinte Kate, als das Blut in das Becken tropfte.»Die Wunde ist gar nicht so groß, aber es blutet doch sehr stark.«

«Sie machen uns gar keine Umstände«, sagte die Frau des Gastwirts.»Sie bekommen gleich einen Verband. «Sie lächelte Kate zu und begann in einer Schrankschublade zu suchen.

Ich löste mich von der Tür, um mir den Schaden näher anzusehen. Augenblicklich hörte ich ein drohendes Knurren, und aus einer Kiste neben dem Kühlschrank tauchte ein schwarzer Schäferhund auf. Seine gelben Augen waren auf mich gerichtet, und er fletschte gräßlich die Zähne. Um den Hals trug er ein Lederband, aber er war nicht angekettet. Wieder ließ er ein böses Knurren hören.

Ich blieb mitten in der Küche stehen, ohne mich zu rühren.

Die Frau des Gastwirts nahm einen schwarzen Stock, der neben dem Schrank stand, und ging zu dem Hund hinüber. Sie kam mir aufgeregt vor.

«Platz, Prince. Platz. «Sie deutete mit dem Stock auf die Kiste. Der Hund zögerte kurz und stieg dann wieder hinein, ohne mich aber aus den Augen zu lassen. Ich bewegte mich immer noch nicht.

«Entschuldigen Sie vielmals, Sir. Er mag fremde Herren nicht. Er ist ein sehr scharfer Wachhund, wissen Sie. Aber jetzt tut er Ihnen bestimmt nichts, solange ich hier bin. «Sie lehnte den Stock an die Wand und ging mit Watte, Alkohol und einem

Verbandspäckchen zu Kate. Ich machte einen Schritt auf Kate zu.

Der Hund knurrte leise, blieb aber in seiner Kiste. Ich erreichte endlich das Spülbecken. Die Blutung hatte beinahe aufgehört, die Frau des Gastwirts säuberte die Wunde mit in Alkohol getränkter Watte und machte dann einen kleinen Verband. Mein Blick wanderte vom Schäferhund zu dem massiven Stock, und ich dachte an die versteckte Nervosität des Wirtes. Aus all dem ließ sich nur eine Schlußfolgerung ziehen.

Schutz.

Schutz wovor? Schutz vor Erpressung. Jemand hatte unseren Wirt zwingen wollen, sich unter den >Schutz< einer Gangsterorganisation zu begeben. Entweder du bezahlst, oder wir schlagen dir deine Wirtschaft zusammen. oder dich. oder deine Frau. Aber dieser Gastwirt, ob er nun früher Hauptfeldwebel gewesen war oder nicht, schien sich damit nicht abfinden zu wollen. Die Kassierer der Organisation standen einem auf den Mann dressierten Wachhund gegenüber. Wahrscheinlich waren sie es, die Schutz brauchten.

Der Wirt steckte den Kopf zur Tür herein.

«Alles in Ordnung?«fragte er.

«Ja, recht vielen Dank«, erwiderte Kate.

«Ich habe Ihren Hund bewundert«, meinte ich.

Der Wirt trat einen Schritt in die Küche. Prince ließ zum erstenmal den Blick von mir und sah seinen Herrn an.

«Ein prima Kerl«, stimmte er zu.

Plötzlich flog mir von irgendwoher ein Einfall zu. Es konnte schließlich in Brighton nicht allzu viele Banden geben, und ich hatte mich schon mehrmals gefragt, warum ein Taxiunternehmen Schläger besoldete, die regelrechte Schlachten ausfochten. Aus diesem Grund sagte ich, mit bedauernswertem Mangel an Vorsicht:»Marconicars.«

Das Lächeln des Wirts verschwand plötzlich, und er sah mich haßerfüllt an. Er packte den schweren Stock und holte damit aus. Der Hund hatte mit einem Satz die Kiste verlassen, duckte sich zum Sprung, die Ohren flach angelegt. Ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Kate kam mir zu Hilfe. Sie trat neben mich und sagte ohne jede Spur von Angst:»Schlagen Sie um Himmels willen nicht so fest zu; weil uns Tante Deb in einer guten halben Stunde zum Lammbraten erwartet, und sie legt sehr großen Wert auf Pünktlichkeit.«

Der Wirt, etwas aus der Fassung gebracht, zögerte einen Augenblick, so daß ich sagen konnte:»Ich gehöre nicht zu den Marconicars. Ich bin gegen sie. Legen Sie den Stock lieber wieder weg und sagen Sie Prince, daß er sich beruhigen darf.«

Der Wirt ließ den Stock sinken, beorderte aber Prince nicht in die Kiste.

«Wohin sind wir denn da geraten?«sagte Kate zu mir.

«Erpressung, nicht wahr?«wandte ich mich an den Wirt.»Das mit den Taxis war nur eine Vermutung. Ich hatte mir ausgerechnet, warum Sie einen so scharfen Wachhund brauchen, und seit Tagen denke ich über Taxichauffeure nach. Da ergab sich einfach ein Zusammenhang.«

«Ein paar von Marconicar-Fahrern haben ihn vor einer Woche überfallen«, sagte Kate zur Frau des Gastwirtes.»Man kann also nicht verlangen, daß er bei diesem Thema ganz normal bleibt.«

Der Wirt sah uns beide forschend an. Dann ging er zu seinem Hund und kraulte ihn hinter den Ohren. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und lehnte sich an seinen Herrn. Der Wirt schickte ihn in die Kiste.

«Prince ist ein guter Hund«, sagte er mit einem Unterton von Ironie.»Also, jemand muß an den Schanktisch. Sue, kümmerst du dich um die Gäste, während ich mit diesen jungen Leuten rede?«

«Die Brote sind doch noch nicht fertig«, wandte Sue ein.

«Die mache ich«, erwiderte Kate fröhlich.»Pro Sandwich ein Blutstropfen. «Sie nahm ein Messer und begann, die BrotScheiben mit Butter zu bestreichen. Der Wirt und seine Frau schienen eher mit den Taxifahrern als mit Kate fertig zu werden; die Wirtin zögerte ein paar Sekunden und ging dann in die Gaststube.

«Nun, Sir«, sagte der Wirt.

Ich erklärte ihm in groben Umrissen die Umstände von Bills Tod und mein Zusammentreffen mit den Taxichauffeuren im Pferdetransportwagen.»Wenn ich feststellen kann, wer hinter den Marconicars steht, habe ich wahrscheinlich den Mann gefunden, der Major Davidsons Sturz arrangierte.«

«Ja, das ist mir klar«, meinte der Wirt.»Ich hoffe nur, daß Sie mehr Glück haben als ich. Sie können ebensogut mit dem Kopf gegen eine Mauer rennen, als herauszufinden versuchen, wem die Marconicars gehören. Aber ich will Ihnen natürlich alles erzählen, was ich weiß. Je mehr Leute sich gegen sie wenden, desto früher sind sie erledigt.«

Er beugte sich vor und nahm zwei belegte Brote von der Anrichte, reichte mir eines davon und biß ins andere.

«Sie müssen noch Platz für den Lammbraten lassen«, sagte Kate zu mir. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr.»Ach du lieber Himmel, wir kommen viel zu spät zum Essen, und Tante Deb wird sich ärgern. «Aber sie fuhr gelassen fort, die Brote mit Butter zu bestreichen.

«Ich habe die >Blue Duck< vor achtzehn Monaten gekauft«, erklärte der Wirt.»Als ich Zivilist wurde.«

«Hauptfeldwebel?«murmelte ich.

«Stabsfeldwebel beim Regiment«, erwiderte er mit berechtigtem Stolz.»Thomkins heiße ich, ich kaufte >The Blue Duck< mit meinen Ersparnissen, und die Wirtschaft war wirklich sehr billig. Zu billig. Ich hätte merken müssen, daß da etwas nicht stimmt. Wir waren noch keine drei Wochen hier und hatten schon recht ordentlich verdient, als eines Abends so ein Kerl daherkam und frei heraus erklärte, daß es uns sehr übel erginge, wenn wir nicht wie der letzte Besitzer zahlen würden. Dann nahm er sechs Biergläser vom Schanktisch und zerschlug sie. Er sagte, er müsse fünfzig Pfund pro Woche verlangen. Ich bitte Sie, fünfzig Pfund! Kein Wunder, daß der letzte Besitzer weg wollte. Ich erfuhr später, daß er seit Monaten versucht hatte, die Wirtschaft loszuwerden, aber alle Ansässigen ließen die Finger davon und überließen sie lieber einem Trottel wie mir, der gerade aus der Armee kam und keinen Dunst von den wirklichen Vorgängen hatte. «Thomkins kaute an seinem Sandwich und dachte nach.»Nun, ich empfahl ihm, sofort zu verschwinden. In der nächsten Nacht kam er mit fünf anderen zurück, und die Kerle schlugen mir alles zu Kleinholz. Ich wurde mit einer von meinen eigenen Flaschen k. o. geschlagen, meine Frau sperrten sie in die Speisekammer. Dann zertrümmerten sie alle Flaschen, alle Gläser, alle Stühle. Als ich wieder zu mir kam, lag ich am Boden, und sie hatten sich im Kreis um mich versammelt. Sie sagten, das sei nur ein kleiner Vorgeschmack. Wenn ich die Fünfzig pro Woche nicht ablieferte, würden sie wiederkommen und alle Flaschen im Keller zerschlagen. Später käme dann meine Frau dran. «Sein Gesicht verzerrte sich, als er das noch einmal durchlebte.

«Und was geschah dann?«fragte ich.

«Ich dachte gar nicht daran, mich diesen Banditen auszuliefern. Zunächst bezahlte ich ein paar Monate, um Zeit zu gewinnen, aber fünfzig Pfund müssen erst einmal verdient sein. Das Geschäft geht gut, aber mir wäre nicht viel mehr geblieben als meine Pension.«

«Haben Sie die Polizei verständigt?«fragte ich.

«Nein«, erwiderte Thomkins verlegen.»Damals nicht. Ich wußte nicht, woher die Männer gekommen waren, verstehen

Sie, und sie hatten mir weiß Gott was angedroht, für den Fall, daß ich zur Polizei gehen würde. Auf jeden Fall ist es keine gute Taktik, ohne Verstärkung einen Feind anzugreifen, von dem man eben besiegt worden ist. Um diese Zeit begann ich an einen Hund zu denken, und später bin ich auch zur Polizei gegangen«, schloß er.

«Die Polizei kann doch das Marconicar-Unternehmen einstellen, wenn es zur Begehung von Verbrechen benützt wird«, meinte ich.

«Sicher, das würde man annehmen«, erwiderte er.»Aber so ist es nicht. Das ist ein echtes Taxiunternehmen, wissen Sie. Sogar ein sehr großes. Die meisten Fahrer sind anständige Leute und wissen überhaupt nicht, was dort vorgeht. Ich habe einmal ein paar von ihnen erklärt, daß man sie als Fassade für Erpressungen benützt, und sie glauben mir nicht. Die Gangster sehen ja aus wie die anderen. Sie kommen mit einem Taxi um die Polizeistunde daher, betreten das Lokal und verlangen ganz ruhig das Geld. Wahrscheinlich finden sie sogar noch einen Fahrgast, den sie in aller Offenheit zum regulären Preis nach Hause bringen.«

«Könnten Sie denn nicht einen Polizisten in Zivil in der Gaststube warten lassen, damit er den Taxifahrer verhaftet, wenn er das Geld kassieren will?«mischte sich Kate ein.

«Das würde gar nichts nützen, Miss«, erwiderte der Wirt.»Es liegt nicht nur daran, daß sie immer zu verschiedenen Zeiten auftauchen und ein Polizist vielleicht mehrere Wochen warten müßte, bis er einen fangen würde, sondern es gibt auch gar keine Veranlassung für eine Verhaftung. Die Kerle haben nämlich einen Schuldschein über fünfzig Pfund mit meiner Unterschrift, und wenn es zu Schwierigkeiten mit der Polizei käme, brauchten sie ihn nur vorzuzeigen, und man könnte ihnen nichts tun. Die Polizei unternimmt schon etwas, wenn sie mit handfesten Beweisen vor Gericht antreten kann, aber sobald ein Wort gegen das andere steht, ist sie praktisch machtlos.«

«Bedauerlich, daß Sie den Schuldschein unterschrieben haben«, seufzte ich.

«Das habe ich doch gar nicht getan«, meinte er entrüstet,»aber die Unterschrift scheint die meine zu sein. Ich versuchte einmal, den Schuldschein an mich zu reißen, aber der Kerl meinte, es sei ganz egal, sie würden einfach einen neuen machen. Anscheinend haben sie meine Unterschrift von irgendeinem Brief kopiert. Das ist ja einfach genug.«

«Sie zahlen also«, sagte ich enttäuscht.

«Ich denke gar nicht dran«, meinte der Wirt mit gesträubtem Schnurrbart.»Seit über einem Jahr habe ich mir keinen roten Heller mehr abnehmen lassen. Von dem Tag an, als Prince ins Haus kam, war Schluß. Er hat vier von den Kerlen in einem Monat fertiggemacht, und seitdem trauen sie sich nicht mehr her. Aber es gibt sie natürlich noch. Sue und ich trauen uns kaum fortzugehen; wenn wir es tun, dann immer gemeinsam und mit Prince. Ich habe an allen Türen und Fenstern Alarmglocken anbringen lassen, und die machen einen gräßlichen Lärm, wenn jemand einzusteigen versucht. So kann man aber auf die Dauer nicht leben. Sue ist schon ein Nervenbündel.«

«Das ist ja eine entsetzliche Geschichte«, meinte Kate.»So kann das doch nicht weitergehen?«

«O nein, Miss, wir machen sie schon fertig. Sie haben ja nicht nur bei uns Geld kassiert, wissen Sie. Sie machten buchstäblich die Runde. Zehn oder elf Wirtschaften wie die unsrige. Und eine Menge kleiner Läden, Tabakgeschäfte, Andenkenläden, Sie wissen schon, und sechs oder sieben kleine Cafes. Keines von den großen Lokalen. Sie haben es nur auf kleine Firmen abgesehen, wo der Eigentümer mitarbeitet. Als ich das gemerkt hatte, ging ich zu allen Firmen, die da in Frage kamen, und erkundigte mich bei den Besitzern rundheraus, ob sie an die Gangster etwas zahlten. Ich brauchte Wochen dazu, weil das

Gebiet ziemlich groß ist. Die Zahler hatten natürlich alle furchtbare Angst und wollten nichts sagen, aber ich wußte immer gleich Bescheid, wenn sie Ausflüchte machten. Ich erklärte ihnen, daß wir uns zur Wehr setzen müßten. Aber viele von ihnen haben Kinder. Sie wollen nichts riskieren, und das kann man ihnen nicht übelnehmen.«

«Was haben Sie getan?«fragte Kate begeistert.

«Ich schaffte mir Prince an. Damals war er ein Jahr alt. Ich hatte auch beim Militär mit Hunden zu tun und dressierte Prince auf den Mann.«

«Das kann man wohl sagen«, meinte ich.

«Ich führte ihn aus und zeigte ihn ein paar von den anderen Opfern«, fuhr Thomkins fort.»Ich erklärte ihnen, daß wir die Taxifahrer fortjagen könnten, wenn sie sich auch Hunde anschafften. Manche hatten noch gar nicht begriffen, daß die Taxis eine Rolle spielten. Auf jeden Fall kauften eine ganze Reihe von diesen Leuten Wachhunde, und ich half ihnen, sie auszubilden, aber es ist nicht einfach, weil der Hund nur einem Herrn gehorchen soll, und ich mußte sie dazu bringen, daß sie einem anderen gehorchten, nicht mir. Immerhin, sie machten sich. Selbstverständlich sind sie nicht so gut wie Prince.«

«Selbstverständlich«, sagte Kate.

Der Wirt starrte sie argwöhnisch an, aber sie häufte ungerührt Sandwiches auf einen Teller.

«Weiter«, sagte ich.

«Am Schluß gelang es mir sogar, Leute mit Kindern zu überzeugen. Sie kauften Schäferhunde oder Bulldoggen, und wir entwickelten ein System, wie man alle Kinder mit dem Wagen zur Schule bringen konnte. Ich stellte einen Judo-Experten an, der nichts anderes zu tun hat, als die Kinder und ihre Mütter herumzufahren. Wir legen alle zusammen, um ihn bezahlen zu können. Er ist natürlich teuer, aber das Ganze kostet nicht annähernd so viel wie das, was die Gangster verlangt haben.«

«Großartig«, lobte Kate.

«Wir haben sie abgeschlagen, aber so ganz glatt läuft es noch nicht. Vor vierzehn Tagen schlugen sie im Cockleshell-Cafe, gleich um die Ecke, alles kurz und klein. Wir halfen beim Aufräumen und steuerten für die Anschaffung von neuen Tischen und Stühlen etwas bei. Die Besitzer haben eine Schäferhündin, die läufig geworden war, deswegen wurde sie in ein Schlafzimmer gesperrt. Ich bitte Sie. Am besten sind eben doch Rüden«, erklärte der Wirt ernsthaft.

Kate schnaubte belustigt.

«Haben die Taxifahrer einen von euch jemals persönlich angegriffen, oder wurden immer nur Sachen beschädigt?«fragte ich.

«Sie meinen, abgesehen davon, daß man mich mit meiner eigenen Flasche niedergeschlagen hat?«Der Wirt krempelte einen Hemdärmel hinauf und zeigte uns eine Narbe am Unterarm.»Ungefähr zwölf Zentimeter lang. Drei Kerle überfielen mich eines Abends, als ich einen Brief einwerfen wollte. Kurz vorher hatte Prince einen in die Flucht geschlagen, und dummerweise nahm ich ihn nicht mit. Bis zum Briefkasten war es ja nicht weit, verstehen Sie? Aber ich hatte einen Fehler gemacht. Sie richteten mich ganz schön zu, aber ich konnte sie mir wenigstens genau ansehen. Sie sagten, man würde mir noch einmal dieselbe Abreibung verpassen, wenn ich zur Polizei ginge. Aber ich rief sofort im Revier an und erzählte alles. Ein blonder junger Schläger hatte mich mit dem Messer am Arm erwischt, und auf meine Aussage hin bekam er sechs Monate«, meinte er befriedigt.»Danach ging ich nie mehr ohne Prince weg.«

«Und wie steht es bei den anderen?«

«Drei oder vier wurden verprügelt, wobei es auch zu Stichwunden kam. Nachdem ich ihnen Hunde besorgt hatte, überredete ich einige, die Polizei zu verständigen. Sie hatten die

Nase wirklich voll, trauten sich aber immer noch nicht, vor Gericht auszusagen. Soviel ich weiß, hat die Bande noch keinen umgebracht. Das wäre ja auch sinnlos, nicht wahr? Ein Toter kann nicht mehr zahlen.«

«Ja, das stimmt wohl«, meinte ich nachdenklich.»Sie könnten sich aber überlegen, daß ein Toter alle anderen zur Raison bringen würde.«

«Sie brauchen nicht zu denken, daß ich mir das nicht ständig durch den Kopf gehen lasse«, sagte er ernst.»Zwischen sechs Monaten Gefängnis für einen Überfall und lebenslänglichem Zuchthaus oder einem Todesurteil besteht aber ein Riesenunterschied; das hat sie wohl abgehalten. Immerhin leben wir hier nicht in Chikago, wenn man sich auch manchmal wundert.«

«Wenn sie von ihren ursprünglichen Opfern kein Geld mehr bekommen können, werden die Gangster wohl Leute zu >schützen< versuchen, die von Ihrem System und Ihren Hunden nichts wissen.«

Der Wirt unterbrach mich:»Darauf sind wir auch eingerichtet. Wir geben jede Woche eine Anzeige in der Zeitung auf, wonach sich alle melden sollen, die bedroht worden sind. Es funktioniert prima.«

Kate und ich sahen ihn bewundernd an.

«Sie hätten General werden müssen«, meinte ich.

«Ein bißchen was habe ich im Kriege schon geleistet«, erklärte er bescheiden.»Nun, wie wär’s jetzt mit einem Schluck?«

Aber Kate und ich bedankten uns und gingen, weil es schon acht Uhr war. Ich versprach Thomkins, ihn auf dem laufenden zu halten, und wir trennten uns in bestem Einvernehmen. Aber ich verzichtete darauf, Prince zu streicheln.

Tante Deb saß im Wohnzimmer und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Kate entschuldigte sich sehr nett für unser Zuspätkommen, und Tante Deb taute auf. Kate und sie hingen offensichtlich sehr aneinander.

Während des Abendessens erzählte Kate vor allem Onkel George von unseren Abenteuern. Sie berichtete amüsant von dem wandernden Transportwagen, machte einen unhöflichen Witz über die Sandwiches im Pavillon Plaza, was ihr einen strengen Blick von Tante Deb eintrug.

«Und dann gingen wir in eine nette kleine Wirtschaft mit dem Namen >Blue Duck<«, fuhr Kate fort.»Ich habe mir die Hand verletzt, aber es war nicht schlimm, und wir gingen in die Küche, um das Blut abzuwaschen, und deswegen sind wir zu spät gekommen.

Sie hatten den schärfsten Schäferhund, der mir je begegnet ist. Er knurrte Alan ein paarmal an, bis er sich nicht mehr vom Fleck traute.«

«Sie mögen Hunde nicht, Mr. York?«fragte Tante Deb.

«Es kommt darauf an«, meinte ich.

«Der Hund war auch zum Fürchten. Aber er ist sehr nützlich. Wenn ich euch beiden erzählen würde, was wir von dem Besitzer der Wirtschaft über die Gemeinheiten in Brighton erfahren haben, könntet ihr heute nacht kein Auge zutun.«

«Dann laß es lieber, Kate«, sagte Tante Deb.»Ich kann sowieso kaum einschlafen.«

Onkel George schob den halbvollen Teller weg, als sei ihm plötzlich übel geworden.»Der Magen macht nicht mehr so richtig mit«, sagte er zu mir.»Man wird eben alt.«

Tante Deb machte ein sehr besorgtes Gesicht, aber Onkel George erholte sich wieder.»Es war mir ganz entfallen, Kate«, sagte er,»aber während du unterwegs warst, rief Gregory an, um sich mit dir über» Heavens Above< zu unterhalten. Ich fragte ihn, wie es dem Pferd gehe, und er sagte, mit einem Bein sei etwas nicht in Ordnung; es könne jedenfalls am Donnerstag nicht wie vorgesehen in Bristol laufen.«

Kate machte ein enttäuschtes Gesicht.»Lahmt er denn?«fragte sie.

«Ich könnte schwören, daß Gregory etwas von einem >Splint< gesagt hat. Aber er scheint sich doch nichts gebrochen zu haben, nicht wahr?«

«An Pferdebeinen entstehen manchmal kleine Geschwülste, und die nennt man >Splint<«, erklärte ich.»Das Ganze dauert nur zwei oder drei Wochen. Danach wird >Heavens Above< wieder ganz gesund sein.«

«Schade«, sagte Kate.»Ich habe mich so auf den Donnerstag gefreut. Fahren Sie überhaupt nach Bristol, Alan, wenn mein Pferd nicht starten kann?«

«Ja«, sagte ich.»Ich reite auf Palindrome. Kommen Sie doch hin, Kate. Ich würde mich riesig freuen.«

Tante Deb richtete sich auf und sah mich mißbilligend an.»Es ist nicht gut für den Ruf eines jungen Mädchens, wenn man es zu oft in Begleitung von Jockeys sieht«, erklärte sie eisig.

Um elf Uhr, als sich Onkel George hinter verschlossener Tür seinen Trophäen widmete und Tante Deb ihre Schlaftabletten geschluckt hatte, verließen Kate und ich das Haus, um den Wagen in die Garage zu bringen. Wir hatten ihn in unserer Eile einfach stehenlassen.

Ich öffnete Kate die Wagentür, aber sie zögerte.

«Sie werden alt«, sagte sie mit trauriger Stimme,»und ich weiß nicht, was ich ohne sie tun würde.«

«Sie haben noch viele Jahre vor sich«, meinte ich.

«Hoffentlich. Tante Deb sieht manchmal sehr müde aus, und Onkel George war früher viel lebenslustiger. Ich glaube, er

macht sich Sorgen. Wahrscheinlich um Tante Deb. Es scheint etwas mit dem Herzen zu sein., aber sie sagen mir nie etwas. «Sie zitterte.

Ich legte meine Arme um sie und küßte sie. Sie lächelte.

«Du bist lieb, Alan.«

Ich fühlte mich gar nicht lieb. Am liebsten hätte ich sie in den Wagen gezerrt und wäre mit ihr davongebraust.

«Ich liebe dich, Kate«, sagte ich.

«Nein«, flüsterte sie.»Sag es nicht. Bitte, sag es nicht. «Sie fuhr mit den Fingern meine Brauen nach.

«Warum nicht?«

«Weil ich nicht weiß., ich bin nicht sicher. Ich mag es, wenn du mich küßt, und ich bin gerne mit dir zusammen. Aber Liebe ist ein so großes Wort. Es ist zu wichtig. Ich bin., ich bin noch nicht.«

«Die Liebe lernt man leicht«, sagte ich.»Es ist genauso, wie wenn man ein Risiko eingeht. Man konzentriert sich darauf, weigert sich, Angst zu haben, und schon ist man mitten drin und verliert alle Hemmungen.«

«Freilich, und dann sitzt man da«, meinte Kate prosaisch.

«Wir könnten ja vorher heiraten«, sagte ich und lächelte sie an.

«Nein. Lieber Alan. Nein. Noch nicht. «Und flüsternd fügte sie hinzu:»Es tut mir ja so leid.«

Sie setzte sich in den Wagen und fuhr ums Haus herum zur Garage. Ich ging ihr nach, half ihr, die Garagentür zu schließen, und schritt mit ihr zum Haus zurück. An der Schwelle blieb sie stehen, drückte meine Hand und gab mir einen kurzen, schwesterlichen Kuß.

Ich wollte ihn nicht.

Ich fühlte mich gar nicht wie ein Bruder.

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