Kapitel 17

Seine Hand zuckte nach vorn, die Finger schlossen sich um eine Pistole. Er zielte auf meine Brust. Ich sah ihm in die Augen und tat einen Schritt nach vorn.

Dann kam der Augenblick, auf den ich alles gesetzt hatte.

Onkel George zögerte.

Ich sah, wie seine Lider zuckten. Nie hatte er selbst eine Gewalttat begangen. Er gehörte zu den Menschen, die sich an Scheußlichkeiten berauschen, ohne sie selbst begehen zu können. Und jetzt fand er nicht sofort den Mut, mich niederzuschießen.

Ich ließ ihm keine Zeit, sich zu ermannen. Ein schneller Schritt, und meine Finger umklammerten sein Handgelenk. Er versuchte aufzustehen. Zu spät fand er die Kraft, abzudrücken; die Kugel schlug harmlos in der Wand ein. Ich riß seinen Arm nach hinten und entwand ihm die Waffe. Seine Muskeln waren schlaff.

Ich schleuderte ihn in den Stuhl, dann schaltete ich das Mikrophon ab. Weder die Polizei noch die Taxifahrer sollten hören, was ich zu sagen hatte.

Etwas knisterte in seiner Brusttasche. Ich riß das Jackett auf und nahm das braune Packpapier heraus. Er rang nach Atem und setzte sich nicht zur Wehr. Ich las, was auf dem Papier geschrieben stand.

Joes Anschrift.

Ich drehte das Papier um. In einer Ecke standen die Worte: Chichen Itza Chitchen Itsa Chitsen

Irgendwo mußte ich das schon einmal gehört haben. Es schien der Name eines Kaisers zu sein, aber ich konnte mir keinen Vers darauf machen. Trotzdem hatte Joe dafür sein Leben lassen müssen.

Ich ließ das Papier auf dem Schreibtisch liegen, in der Hoffnung, die Polizei würde damit etwas anfangen können.

Onkel George sah plötzlich alt und krank aus. Ich brachte es trotzdem nicht fertig, Mitgefühl für ihn aufzubringen. Es war ja auch nicht die Sorge um Kates Onkel gewesen, die mich hierher geführt hatte, sondern meine Zuneigung zu Kate selbst.

«Die Polizei wird in einer Minute hier sein«, sagte ich langsam. Er zuckte hilflos die Achseln.»Man hat alles abgehört und mitstenografiert, was Sie über Funk durchgaben. «Onkel Georges Augen weiteten sich.»23«, sagte er mit einem Rest von Zorn,»23 hat sich nicht mehr gemeldet.«

Ich nickte.»Man wird Sie wegen Anstiftung zum Mord vor Gericht stellen«, sagte ich.»Das bedeutet zumindest lebenslänglich. «Ich machte eine Pause.»Denken Sie nach«, sagte ich nachdrücklich.»Denken Sie an Ihre Frau. Für sie haben Sie das alles getan, nicht wahr? Damit sie den Luxus nicht entbehren mußte, an den sie gewöhnt war? Sie haben ihr die Wirklichkeit zu lange vorent halten. Was wird mit ihr sein, wenn Sie verhaftet, vor Gericht gestellt und vielleicht sogar gehängt werden?«

Und was wird aus Kate, fragte ich mich hoffnungslos.

Onkel George starrte mich an, und langsam wanderte sein Blick zu der Pistole, die ich noch immer in der Hand hielt.

«Es wäre besser«, sagte ich.

Eine Weile blieb es still. In der Ferne hörte man eine Sirene auf heulen. Onkel George sah auf.

«Die Polizei«, sagte ich. Ich ging zur Tür, drehte mich um und warf Onkel George die Waffe zu. Als seine Hände danach griffen, trat ich hinaus, schloß die Tür hinter mir und lief die Treppe hin unter. Die Eingangstür stand immer noch offen. Ich eilte hinaus und warf sie hinter mir ins Schloß. Die Sirenen waren verstummt.

Im Schatten des Hauses schlich ich mich zur Veranda des Gebäudes nebenan, gerade noch rechtzeitig. Zwei Polizeiautos fuhren heran und hielten vor dem Marconicar-Haus.

Oben war alles still geblieben. Der erschreckende Gedanke überfiel mich, daß Onkel George vielleicht einen Polizisten erschießen würde. Mit jener Waffe, die ich ihm selbst in die Hand gedrückt hatte.

Als die Polizisten aus ihren Autos stiegen, machte ich einen Schritt auf sie zu, um sie zu warnen. Aber Onkel Georges Zuneigung zu Tante Deb trug den Sieg davon. Der Schuß im Zimmer hinter der Neonschrift war wohl das Beste, was er je für sie getan hatte.

Ich wartete ein paar Minuten. Auf dem Gehsteig begannen sich die Neugierigen zu sammeln. Ich gesellte mich unauffällig zu ihnen und ging nach ein paar Minuten unbehelligt davon.

Ein paar Nebenstraßen weiter fand ich eine Telefonzelle, die ich betrat, in meiner Tasche nach Münzen suchend. Die Anrufe bei Lodge hatten mein ganzes Kleingeld erfordert. Dann entsann ich mich meines Totschlägers in meiner Tasche. Ich knotete die Socke auf, schüttete ein paar Pennies in meine Hand, steckte vier davon in den Apparat und ließ mich mit Pete verbinden.

Er meldete sich sofort.»Gott sei Dank«, sagte er.»Wo zum Teufel bist du denn gewesen?«

«Unterwegs in Sussex.«

«Und wo ist >Admiral

«Den habe ich irgendwo auf der Heide an einen Baum gebunden«, erwiderte ich.

«Kannst du den Transportwagen hinschicken? Der Fahrer soll ihn nach Brighton bringen. Ich erwarte ihn am Hauptkai. Und Pete. hast du eine anständige Karte von Sussex?«

«Eine Karte? Bist du verrückt? Weißt du nicht einmal, wo du ihn allein gelassen hast? Hast du wirklich das beste Sprungpferd im ganzen Land an einen Baum gebunden und vergessen, wo es sich befindet?«

«Ich finde es schon wieder, wenn du mir eine Karte schickst, aber beeile dich bitte. Ich erzähle dir später alles. Es ist ein bißchen kompliziert.«

Ich hängte auf und rief nach kurzem Nachdenken die >Blue Duck< an. Thomkins war selbst am Apparat.

«Der Gegner ist erledigt«, sagte ich.»Von den Marconicars hat niemand mehr etwas zu befürchten.«

«Das werden viele Leute mit Vergnügen hören«, sagte er begeistert.

«Da wäre aber noch einiges zu erledigen«, fuhr ich fort.»Wären Sie interessiert daran, einen Gefangenen zu übernehmen und ihn der Polizei zu bringen?«

«Und ob«, sagte er.

«Wir treffen uns also sofort am Hauptkai, dann erkläre ich Ihnen alles.«

«Ich bin schon unterwegs«, erwiderte Thomkins. Wenige Minuten später erschien er am Kai. Es war schon dunkel, und die Lichter am Strand spiegelten sich auf dem Wasser.

Wir brauchten nicht lange auf den Transportwagen zu warten. Pete steckte seinen kahlen Kopf zum Fenster heraus und begrüßte uns. Er, ich und Thomkins stiegen hinten ein, setzten uns auf ein paar Strohballen, und während wir dahinrollten, erzählte ich ihnen alles, was seit Bills Tod geschehen war. Alles, bis auf meinen Besuch im Marconicar-Büro. Ich verschwieg

auch, wer hinter Claude Thiveridge steckte. Ich wußte nicht was in England auf Anstiftung zum Selbstmord stand, und hatte aus mehreren Gründen beschlossen, niemandem davon zu er zählen.

Dem Fahrer hatte ich den Zettel mit den Angaben auf dem Wegweiser gegeben, und unter Benützung der von Pete mitgebrachten Karte gelang es ihm, uns in verhältnismäßig kurzer Zeit an Ort und Stelle zu bringen.

Sowohl >Admiral< als auch Corny Blake waren noch an ihren Bäumen festgebunden; den einen führten und den anderen trieben wir in den Wagen. >Admiral< begrüßte uns erfreut, aber Blake hatte offensichtlich Bedenken, vor allem, als er Thomkins erkannte. Es kam heraus, daß Blake dem Feldwebel eins mit der Flasche auf den Kopf gegeben hatte.

Grinsend zog ich Blakes Schlagring aus der Tasche und gab ihn Thomkins.»Das Arsenal des Gefangenen«, sagte ich.

Thomkins streifte den Schlagring über seine Finger, Blake warf einen entsetzten Blick darauf und fiel in Ohnmacht.

«Wir fahren am besten zur Rennbahn, wenn es euch nichts ausmacht«, meinte ich.»Mein Wagen steht dort immer noch auf dem Parkplatz, so hoffe ich wenigstens.«

Er war noch da. Ich stieg aus, schüttelte Thomkins und Pete die Hand und sah dem Wagen nach, bis die roten Schlußlichter in der Dunkelheit verschwanden.

Dann setzte ich mich in meinen Wagen, mißachtete meine Pflicht — ich hätte zum Polizeirevier nach Brighton zurückkehren müssen — und schlug den Weg nach Hause ein.

Von unwiderstehlicher Neugier getrieben, machte ich einen Umweg nach Portsmouth, in der Annahme, daß die Stadtbibliothek noch geöffnet sei. Ich hatte Glück. Ich holte mir einen dicken Lexikonband und schlug unter Chichen Itza nach. Diese Schreibweise entpuppte sich als die richtige.

Chichen Itza, stellte ich fest, war kein Kaiser, sondern die alte

Hauptstadt der Mayas, einer indianischen Nation, die vor fünfzehnhundert Jahren in Zentralamerika ihre Blütezeit erlebt hatte.

Chichen Itza. Ich erhob mich, klappte das Buch zu, stellte es ins Regal und ging zu meinem Wagen hinaus.

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