Kapitel 13

Als ich mich am nächsten Morgen mühsam anzog, läutete es, und wenige Augenblicke später erschien Joan, um mir zu verkünden, daß mich ein Inspektor Lodge zu sprechen wünsche.

«Ich bin gleich unten«, erwiderte ich und zerrte mein Hemd über den dicken Schulterverband. Die meisten Knöpfe brachte ich zu, verzichtete dafür aber auf eine Krawatte.

Der Klebro-Verband um meine Rippen kam mir sehr eng vor, es juckte mich überall, mein Kopf schmerzte, am ganzen Körper hatte ich noch blaue Flecken, zudem hatte ich schlecht geschlafen.

Ich nahm meine Socken, versuchte sie mit einer Hand anzuziehen, aber ich konnte mich einfach nicht tief genug bücken.

Der Anblick meines recht mitgenommenen, unrasierten Gesichts im Spiegel wirkte wenig erhebend.

Ich rasierte mich, so gut es eben ging, fuhr mit dem Kamm durchs Haar, stieg barfuß in die Hausschuhe, fuhr mit einem Arm in mein Jackett, hängte es über die andere Schulter und stakte nach unten.

Lodge machte ein sehr merkwürdiges Gesicht, als er mich sah.

«Wenn Sie lachen, >servier< ich Ihnen eine. Nächste Woche«, sagte ich.

«Ich lache nicht«, erwiderte Lodge, mit Mühe ein ernstes Gesicht bewahrend.

«Ich finde das gar nicht komisch«, erklärte ich mit Nachdruck.

«Verstehe.«

Ich funkelte ihn an.

Mein Vater, der hinter seiner Sonntagszeitung hervorlugte, meinte:»Ich glaube, du brauchst einen Kognak.«

«Es ist erst halb elf«, erwiderte ich verärgert.

«Bei Notfällen darf man auf die Uhrzeit keine Rücksicht nehmen«, sagte mein Vater und erhob sich. Er öffnete den Eckschrank, füllte einen Schwenker zu einem Drittel mit Kognak und überreichte ihn mir. Ich beschwerte mich, daß das zu stark sei, zu früh komme, und im übrigen bestünde kein Bedürfnis.

«Trink aus und halt den Mund«, sagte mein Vater.

Wütend nahm ich einen großen Schluck. Der Alkohol wärmte meinen leeren Magen.

«Hast du überhaupt schon gefrühstückt?«fragte mein Vater.

«Nein«, gab ich zurück.

Ich leerte das Glas. Der Alkohol wirkte schnell. Meine schlechte Stimmung verflog, und ein paar Minuten später fühlte ich mich wieder halbwegs auf dem Damm. Lodge und Vater beobachteten mich interessiert, als experimentierten sie mit einem Versuchstier.

«Na ja«, gab ich widerwillig zu,»jetzt fühle ich mich besser. «Ich nahm eine Zigarette aus dem silbernen Kästchen auf dem Tisch und zündete sie an. Ich bemerkte, daß die Sonne schien.

«Gut. «Mein Vater ließ sich wieder in den Lehnsessel sinken.

Er und Lodge waren anscheinend schon miteinander ins Gespräch gekommen, und der Inspektor hatte ihm unter anderem von meinem Abenteuer mit dem Pferdetransportwagen bei Maidenhead berichtet, was in den Briefen an meinen Vater bisher nicht enthalten gewesen war. Ich betrachtete das als Verrat schlimmster Sorte und machte auch keinen Hehl daraus; ich erzählte ihnen, wie Kate und ich den Transportwagen gefunden hatten.

Ich goß noch etwas Kognak in mein Glas und setzte mich auf die Fensterbank. Scilla war im Garten und schnitt Blumen. Ich winkte ihr zu.

Lodge nahm ein paar Unterlagen aus seiner Aktentasche. Er setzte sich an den Tisch und breitete sie aus.

«Mr. Gregory rief mich am Morgen nach Ihrem Sturz an und erzählte mir davon.«

«Warum hat er denn das getan?«fragte ich.

«Sie baten ihn darum«, sagte Lodge. Er zögerte zunächst und fuhr dann fort:»Ich habe von Ihrem Vater erfahren, daß Ihr Erinnerungsvermögen beeinträchtigt ist.«

«Ja. Das meiste ist mir jetzt wieder klar, aber ich kann mich nicht entsinnen, den Wiegeraum verlassen zu haben, noch weiß ich etwas vom Rennen oder vom Sturz. «Ich wußte nur noch, daß Sandy in den Regen hinausgegangen war.»Warum bat ich Pete, Sie von meinem Sturz zu verständigen?«

«Anscheinend dachten Sie, daß Ihnen etwas passieren würde. Inoffiziell habe ich mich deshalb um die Angelegenheit gekümmert. Ich besuchte Gregorys Stallungen und sah mir >Palindrome< an. Er hatte vorne eine schmale Wunde, und Sie dürfen einmal raten, woran er sich verletzt hat.«

«O nein«, sagte ich, weil ich es nicht glauben konnte.

«Ich erkundigte mich nach den Hindernisaufsehern«, meinte er.»Einer von ihnen war neu und der andere unbekannt. Er nannte sich Thomas Butler und gab eine Adresse an, die nicht existiert. Er erklärte sich freiwillig bereit, am fernsten Hindernis Dienst zu tun, wo Sie stürzten. Wegen des starken Regens und der beachtlichen Entfernung von den Tribünen nahm man sein Angebot gerne an. Dieselbe Geschichte wie in Maidenhead. Nur kassierte Butler diesmal seine Vergütung. Dann ließ ich mir von der Rennleitung die Erlaubnis geben, das Hindernis zu besichtigen, und an beiden Pfosten, in einer Höhe von etwa ein Meter fünfundneunzig, fand ich eine Rinne.«

Es blieb einige Zeit still.

«So, so, so«, sagte ich verblüfft.»Es sieht so aus, als hätte ich mehr Glück gehabt als Bill.«

«Es wäre mir angenehm, wenn Sie sich wenigstens zum Teil erinnern könnten. Wie kamen Sie auf den Verdacht, daß Sie stürzen würden?«fragte Lodge.

«Ich weiß es nicht.«

«Es muß sich abgespielt haben, als Sie am Sattelplatz waren. «Er beugte sich vor und sah mich erwartungsvoll an. Aber ich erinnerte mich an nichts, und es fiel mir sogar schwer, mich zu konzentrieren.

Ich sah hinaus in den friedlichen Garten. Scilla hatte einen Riesenstrauß Forsythien im Arm.

«Ich kann mich einfach nicht erinnern«, sagte ich.»Vielleicht fällt mir alles wieder ein, wenn mir mein Kopf nicht mehr weh tut.«

Lodge seufzte und lehnte sich zurück.»Sie werden sich wenigstens entsinnen können, daß Sie mich von Brighton aus anriefen, damit ich für Sie etwas herausfinden sollte?«

«Ja, allerdings«, sagte ich.»Sind Sie weitergekommen?«

«Es geht. Niemand scheint zu wissen, wem die Marconicars eigentlich gehören. Gleich nach dem Krieg übernahm sie ein Geschäftsmann namens Clifford Tudor.«

«Was?«fragte ich erstaunt.

«Clifford Tudor, respektabler Bürger Brigthons, britischer Staatsangehöriger. Kennen Sie ihn denn?«

«Ja«, erwiderte ich.»Er besitzt mehrere Rennpferde.«

Lodge nahm ein Blatt zur Hand.»Clifford Tudor, als Khroupista Thasos in Trikkala, Griechenland, geboren. 1939, als er fünfundzwanzig Jahre alt war, naturalisiert. Er begann als Koch, übernahm aber noch im selben Jahr auf Grund seiner Geschäftstüchtigkeit ein Restaurant. Nach dem Krieg verkaufte

er es mit großem Gewinn, verzog nach Brighton und kaufte für einen Pappenstiel ein altes Taxiunternehmen, das infolge der Kriegsbeschränkungen kaum Profite abgeworfen hatte. Vor vier Jahren verkaufte er, wieder mit Gewinn, die Taxis und steckte sein Geld ins Pavillon Plaza-Hotel. Er ist nicht verheiratet. Das Taxiunternehmen wurde Tudor von Strohmännern abgekauft, und von diesem Augenblick an läßt sich kaum noch etwas aufklären. Es hat so viele Eigentumsübertragungen von Firma zu Firma gegeben, daß niemand festzustellen vermag, wer jetzt der wirkliche Eigentümer ist. Alle geschäftlichen Angelegenheiten werden von einem Mr. Fielder erledigt. Er erklärte, daß er sich mit einer Person, die er den > Vorsitzendem nennt, telefonisch bespricht, aber dieser >Vorsitzende< rufe ihn jeden Morgen an. Der Vorsitzende heiße Claude Thiveridge, aber er kenne weder seine Adresse noch seine Telefonnummer.«

«Da ist doch etwas faul«, meinte mein Vater.

«Und ob«, sagte Lodge.»In ganz Kent, Surrey oder Sussex gibt es keinen Claude Thiveridge in den Wahllisten oder anderen amtlichen Zusammenstellungen, auch nicht beim Fernsprechdienst. Die Leute im Telefonamt sind der Meinung, daß mit dem Büro der Firma keineswegs an jedem Vormittag ein Ferngespräch geführt wird, aber dieser frühe Anruf gehört seit vier Jahren zur Tagesordnung. Da sich daraus ergibt, daß es sich um ein Ortsgespräch handeln muß, dürfte feststehen, daß Claude Thiveridge nicht der wirkliche Name dieses Herrn ist. «Lodge rieb sich das Genick und sah mich an.»Sie wissen viel mehr, als Sie bisher zugegeben haben, auch wenn man den Gedächtnisverlust einmal außer acht läßt«, monierte er.»Wollen Sie nicht so freundlich sein und endlich einmal auspacken?«

«Sie haben mir noch nicht gesagt, was die Polizei in Brighton von den Marconicars hält«, sagte ich.

Lodge zögerte.»Nun, man war ein bißchen empfindlich bei diesem Thema, möchte ich meinen. Man scheint sich verschiedentlich beschwert zu haben, aber Beweismaterial, das für eine Gerichtsverhandlung ausgereicht hätte, war wohl nicht vorhanden. Was ich Ihnen eben erzählt habe, ist das Ergebnis ihrer Nachforschungen im Laufe der vergangenen Jahre. Sehr viel Erfolg scheint man nicht gehabt zu haben.«

«Los, Alan«, meinte mein Vater trocken.»Wir wollen wissen, was da vorgeht.«

Lodge sah ihn überrascht an. Mein Vater lächelte.

«Mein Sohn ist ein zweiter Sherlock Holmes, wußten Sie das nicht?«fragte er.»Nachdem er sich nach England abgesetzt hatte, mußte ich einen Privatdetektiv anstellen, um weiterhin Betrugs- und Schwindelaffären aufdecken zu können. Wie einer meiner leitenden Angestellten sagte, besitzt Alan einen untrüglichen Instinkt, soweit es sich um Gauner handelt.«

«Alans untrüglicher Instinkt funktioniert nicht mehr«, meinte ich düster.

«Mach’s nicht so spannend, Alan«, mahnte mein Vater.»Sprich dich aus.«

«Na schön. «Ich drückte meine Zigarette aus.»Mir ist noch längst nicht alles klar«, erklärte ich,»aber zusammenfassend kann man wohl folgendes sagen: Die Marconicars betreiben seit den letzten vier Jahren Erpressungen in großem Stil, wobei sie vor allem auf kleinere Betriebe wie Cafes und Wirtschaften losgehen. Vor etwa einem Jahr gerieten sie infolge der Hartnäckigkeit eines der Wirte — er betreibt die >Blue Duck< — in erhebliche Schwierigkeiten. Er hetzte Schäferhunde auf die Kerle. «Ich erzählte meinem Vater und einem verblüfften Lodge, was Kate und ich in der Küche der >Blue Duck< erfahren hatten.»Ex-Stabsfeldwebel Thomkins beeinträchtigte die ungesetzlichen Profite der Marconicars so sehr, daß sich das Geschäft praktisch nicht mehr lohnte. Aber während des Winters scheint auch der legitime Betrieb keinen allzu großen Gewinn erzielt zu haben, wenn man den Stenotypistinnen Glauben schenken darf. Zu dieser Jahreszeit gibt es doch wohl zu viele

Taxis in Brighton. Ich habe jedenfalls den Eindruck, daß der Chef der Marconicars — ihr geheimnisvoller Claude Thiveridge — seinen Schwierigkeiten dadurch abhelfen wollte, daß er sich einer anderen Art von Verbrechen zuwandte. Ich nehme an, daß er die im selben Gebäude befindliche Buchmacherfirma kaufte. «Ich vermeinte, den Geruch nach Kohl in der Nase zu haben, als ich mich an das >Old Oake Cafe< erinnerte.»Eine ältere Dame erzählte mir, daß das Buchmacherunternehmen vor etwa sechs Monaten einen neuen Besitzer gefunden habe, daß aber der Name geblieben sei. L. C. Perth, in Neonbuchstaben. Sie regte sich maßlos über die Verschandelung dieses alten Gebäudes auf und hatte gemeinsam mit gleichgesinnten Leuten versucht, die neuen Eigentümer zur Abnahme der Reklameschrift zu bewegen. Allerdings konnten sie nicht erfahren, wer die jetzigen Besitzer waren. Es kann nichts mehr mit Zufall zu tun haben, wenn zwei unsolide Firmen mit unsichtbaren, nicht zu ermittelnden Eigentümern in ein und demselben Gebäude untergebracht sind. Sie müssen einer Person gehören.«

«Das läßt sich doch daraus nicht folgern. Ich verstehe auch gar nicht, worauf du hinauswillst«, meinte mein Vater.

«Das wirst du gleich sehen«, erwiderte ich.»Bill kam ums Leben, weil er sein Pferd nicht daran hindern wollte, ein Rennen zu gewinnen. Ich weiß, daß sein Tod nicht unbedingt geplant war, aber jedenfalls wandte man Gewalt an. Ein Mann mit flüsternder Stimme erklärte ihm telefonisch, daß er nicht gewinnen dürfe. Henry, Bills achtjähriger Sohn«- sagte ich zu Lodge —,»hat die Angewohnheit, am Nebenapparat mitzuhören, und er belauschte jedes Wort. Zwei Tage vor Bills Tod bot die Stimme fünfhundert Pfund, wenn Bill sein Pferd stehenlassen würde, und als Bill nur lachte, erklärte ihm die Stimme, daß >Admiral< dann eben stürzen müßte. «Ich schwieg, aber weder Lodge noch mein Vater sagten etwas. Ich leerte mein Glas und fuhr fort:»Ich kenne da einen Jockey namens Joe Nantwich, der während der vergangenen sechs Monate, also seitdem die Firma

L. C. Perth ihren Besitzer wechselte, regelmäßig hundert Pfund, manchmal sogar mehr, angenommen hat und dafür seine Pferde am Siegen hinderte. Joe bekommt seine Anweisungen telefonisch von einem Mann mit Flüsterstimme, den er nie gesehen hat. Ich wurde, wie ihr ja wißt, von den Marconicar-Fahrern überfallen, und ein paar Tage später rief mich der Mann mit der Flüsterstimme an, um mir mitzuteilen, daß ich die Warnung endlich zu beachten hätte. Man braucht kein Sherlock Holmes zu sein, um zu erkennen, daß die betrügerischen Rennen und die Erpressungen von ein und demselben Mann inszeniert wurden. «Ich schwieg.

«Weiter«, sagte mein Vater ungeduldig.

«Die einzige Person, die einem Jockey größere Beträge dafür bezahlen würde, daß er ein Rennen verliert, ist ein betrügerischer Buchmacher. Wenn er weiß, daß ein favorisiertes Pferd garantiert nicht gewinnt, kann er jeden Einsatz auf dieses Pferd ohne Bedenken annehmen.«

«Das müssen Sie mir näher erläutern«, meinte Lodge.

«Normalerweise versuchen die Buchmacher, ihre Konten so auszugleichen, daß sie gewinnen, gleichgültig, welches Pferd zuerst durchs Ziel geht«, erwiderte ich.»Wenn zu viele Leute auf ein bestimmtes Pferd setzen wollen, nehmen sie die Einsätze an, setzen aber auf dasselbe Pferd bei einem anderen Buchmacher. Wenn dieses Pferd dann siegt, kassieren sie ihre Gewinne bei dem zweiten Buchmacher und zahlen sie an ihre Kunden aus. Nehmen wir einmal an, Sie wären ein betrügerischer Buchmacher, und Joe hätte ein favorisiertes Pferd zu reiten. Sie bedeuten Joe also, daß er verlieren muß. Gleichgültig, wieviel dann bei Ihnen auf dieses Pferd gewettet wird, brauchen Sie sich nicht zurückzuversichern, weil Sie ja wissen, daß Sie nichts auszahlen müssen.«

«Ich hätte mir eigentlich gedacht, daß hundert Pfund diesen Gewinn übersteigen«, meinte Lodge,»weil die Buchmacher ja

üblicherweise einen Profit erzielen.«

Ich seufzte.»Natürlich ist noch ein bißchen mehr dran«, sagte ich.»Wenn ein Buchmacher weiß, daß er bei einem bestimmten Pferd nichts auszuzahlen braucht, kann er bessere Quoten offerieren. Natürlich nicht so, daß es auffällt, aber immerhin in dem Maße, daß eine Menge zusätzlicher Kunden gewonnen werden. Ein Punkt mehr als jeder andere würde genügen — sagen wir, elf zu vier, während das nächstbeste Angebot auf fünf zu zwei lautet. Glauben Sie nicht, daß da Geld hereinkäme?«Ich stand auf, ging zur Tür und sagte:»Ich werde euch etwas zeigen.«

Die Treppe kam mir steiler vor als sonst. Ich ging in mein Zimmer, holte den Rennalmanach und die Wettscheine. Das alles trug ich ins Wohnzimmer hinunter. Ich legte die Scheine vor Lodge auf den Tisch, und mein Vater kam herüber, um sie sich anzusehen.

«Das sind ein paar Wettscheine, die Bill seinen Kindern zum Spielen mitgebracht hat«, erläuterte ich.»Drei davon wurden von L. C. Perth ausgegeben, und alle anderen stammen von verschiedenen Buchmachern. Bill ging immer sehr methodisch vor. Auf die Rückseite der Scheine schrieb er das Datum, die Einzelheiten der Wette und den Namen des Pferdes, auf das er gesetzt hatte.«

Lodge drehte die drei Perth-Scheine um.

Ich nahm den ersten Schein und las vor:»>Peripathetic<. 7. November. Zehn Pfund auf elf zu zehn gesetzt. Für sein Geld hätte er also elf Pfund gewinnen müssen. «Ich öffnete den Almanach und blätterte den 7. November auf.

«>Peripathetic< verlor das Zweimeilen-Hindernisrennen in Sandown an diesem Tag um vier Längen. Er wurde von Joe Nantwich geritten. Die Anfangsquote lautete auf elf zu zehn dafür — das heißt, man muß elf Pfund setzen, um zehn zu gewinnen — und war anfangs sogar bei elf zu acht dafür gestanden. L. C. Perth muß also mit elf zu zehn dagegen ein Riesengeschäft gemacht haben.«

Ich nahm das zweite Kärtchen und las:»>Sackbut<. 10. Oktober. Fünf Pfund bei sechs zu eins gesetzt. «Ich schlug diesen Tag im Almanach auf.»>Sackbut< war in Newbury unplaciert, und Joe Nantwich ritt ihn. Die beste Quote der anderen Buchmacher war fünf zu eins, die Anfangsquote sieben zu zwei.«

Ich nahm die dritte Karte vom Tisch.»>Malabar<. 2. Dezember. Acht Pfund bei fünfzehn zu acht gesetzt. «Ich blätterte nach.

«>Malabar< wurde in Burmingham Vierter. Joe Nantwich ritt ihn. Die Startquote belief sich auf sechs zu vier.«

Lodge und mein Vater verglichen die Angaben im Buch mit dem Wettschein.

«Ich habe mir auch alle anderen Scheine angesehen«, sagte ich.»Selbstverständlich verloren alle Pferde, sonst hätte Bill ja die Scheine nicht mehr besessen. Aber nur bei einem davon bekam er eine unerwartet gute Quote. Joe ritt das Pferd nicht, und ich halte dieses Beispiel auch nicht für bedeutsam, weil es sich um einen Außenseiter mit einer Quote von hundert zu sechs handelte.«

«Reichlich kompliziert, dieses Wettsystem«, beschwerte sich Lodge.

«Haben Sie noch nie von dem fanatischen Spieler gehört, der seinem kleinen Sohn das Zählen beibrachte? Eins, sechs-zu-vier, zwei.«

Lodge lachte.»Ich muß diese Zahlen auf den Perth-Wettscheinen neben die Angaben im Almanach schreiben, um das Ganze richtig zu begreifen«, meinte er, holte seinen Füllfederhalter heraus und machte sich an die Arbeit.

Mein Vater setzte sich neben ihn und sah ihm zu. Ich ging zur Fensterbank und wartete.

Nach geraumer Zeit sagte Lodge:»Ich kann verstehen, warum Sie Ihrem Vater auch in dieser Beziehung fehlen.«

Ich lächelte.

«Was mich betrifft, so brauchst du uns jetzt nur noch zu sagen, wer das Ganze organisiert«, sagte mein Vater.

«Das kann ich leider nicht, Pa«, erwiderte ich.

«Kann es jemand sein, den Sie von der Rennbahn her kennen?«fragte Lodge.»Der Betreffende muß doch mit dem Rennsport zu tun haben. Wie steht es mit Perth, dem Buchmacher?«

«Möglich. Ich kenne ihn nicht. Selbstverständlich heißt er in Wirklichkeit gar nicht Perth. Der Name ist mit der Firma verkauft worden. Wenn ich wieder starte, werde ich bei ihm wetten, dann sehe ich schon weiter«, sagte ich.

«Das kommt überhaupt nicht in Frage«, erklärte mein Vater nachdrücklich.

«Und ein Jockey oder ein Trainer oder ein Rennstallbesitzer?«erkundigte sich Lodge.

«Da müssen Sie schon noch die Rennleitung und das Sportkomitee dazunehmen«, erwiderte ich ironisch.»Diese Leute erfuhren als erste, daß ich den Draht entdeckt hatte. Der Mann, hinter dem wir her sind, wußte schon sehr bald, daß ich neugierig war. Und dabei hatte ich noch nicht mit vielen Personen gesprochen.«

«Leute, die Sie kennen.«, meinte Lodge nachdenklich.»Gregory?«

«Nein«, sagte ich.

«Warum nicht? Er wohnt in der Nähe von Brighton, also könnte er derjenige sein, der täglich bei den Marconicars anruft.«

«Er wäre nie das Risiko eingegangen, Bill oder >Admiral< eine Verletzung zuzufügen«, entgegnete ich.

«Ich weiß genau, daß Pete nichts damit zu tun hat«, sagte ich hartnäckig.

«Blinder Glaube oder Beweise?«stieß Lodge nach.

«Einfach Zutrauen«, gab ich zurück.

«Jockeys?«meinte Lodge.

«Mir scheint keiner der richtige Typ zu sein«, antwortete ich,»und Sie übersehen wohl auch die Tatsache, daß Pferderennen auf dem Programm erst an zweiter Stelle standen und man sich wahrscheinlich nur deshalb damit befaßte, weil eben zufällig eine wenig einträgliche Buchmacherfirma im Stockwerk über den Marconicars bereits existierte. Ich meine, das alleine mag den Chef der Marconicars bewegen haben, sich mit Rennbetrügereien abzugeben.«

«Vielleicht haben Sie recht«, gestand mir Lodge zu.

«Es wäre doch möglich, daß der Mann, dem die Marconicars ursprünglich gehörten, auf ungesetzliche Unternehmungen hinauswollte und also einen Verkauf fingierte, um seine Spuren zu verwischen«, meinte mein Vater.

«Sie tippen also auf Clifford Tudor?«fragte Lodge interessiert. Mein Vater nickte, und Lodge sagte zu mir:»Was ist Ihre Meinung dazu?«

«Tudor taucht überall auf«, sagte ich.»Er kannte Bill, und Bill hatte sich seine Adresse notiert. «Ich steckte meine Hand in die Jackettasche. Der Umschlag war noch da. Ich zog ihn heraus und starrte ihn an.»Tudor erzählte mir, daß er Bill gebeten hätte, eines seiner Pferde zu reiten.«

«Wann war das?«fragte Lodge.

«Ich nahm ihn vier Tage nach Bills Tod von Plumpton nach Brighton mit.«

«Sonst noch etwas?«fragte Lodge.

«Tudors Pferde wurden bis vor kurzer Zeit von Joe Nantwich

geritten. Joe gewann einmal auf Tudors Pferd >Bolingbroke<, als man ihn angewiesen hatte, zu verlieren. Aber in Cheltenham würgte er eines von Tudors Pferden ab, und Tudor war sehr aufgebracht.«

«Schauspielerei«, sagte mein Vater.

«Ich glaube nicht, daß Tudor der Mann ist, den wir suchen«, erwiderte ich.

«Warum nicht?«fragte Lodge.»Er hat Talent für Organisation, er wohnt in Brighton, ihm gehörte einmal die Taxifirma, Joe Nantwich reitet für ihn, und außerdem kannte er Major Davidson. Bis jetzt scheint doch alles auf ihn zu deuten.«

«Nein«, sagte ich müde.»Mir scheint die beste Spur doch bei den Taxis zu liegen. Wenn ich nicht erkannt hätte, daß die Männer im Pferdetransportwagen Taxichauffeure waren, könnte ich mir heute noch keinen Vers drauf machen. Wer immer sie mir auf den Hals gehetzt hat, kann nicht geahnt haben, daß sie mir bekannt waren, sonst hätte er das nicht riskiert. Aber wenn es eine Person gibt, die weiß, daß ich sie erkennen würde, dann ist es Clifford Tudor. Er stand in meiner Nähe, als die Taxichauffeure sich eine Schlägerei lieferten, und er wußte, daß ich Zeit gehabt hatte, sie mir genau anzusehen.«

«Ich streiche ihn deshalb noch nicht ab«, erklärte Lodge, sammelte seine Papiere ein und verstaute sie in seiner Mappe.»Verbrecher machen oft die dümmsten Fehler.«

«Wenn wir jemals Ihren Claude Thiveridge finden, wird es ganz bestimmt jemand sein, den ich gar nicht kenne. Ein völlig Fremder. Das ist viel wahrscheinlicher.«

Ich wollte es gerne glauben. Ich mochte mich nicht einer anderen Möglichkeit stellen, vor der ich bisher zurückgeschreckt war und die ich nicht einmal Lodge unterbreiten wollte.

Wer, außer Tudor, wußte vor dem Abenteuer mit dem Transportwagen, daß ich Bills Tod aufklären wollte? Kate. Und wem hatte sie es weitererzählt?

Scilla kam ins Wohnzimmer. Sie trug eine Kupferschale, die mit Forsythien und Narzissen gefüllt war. Sie stellte sie auf den kleinen Tisch neben mir, warf mir einen Blick zu und wandte sich dann an die anderen.»Alan sieht sehr müde aus«, sagte sie.»Was habt ihr mit ihm gemacht?«

«Wir haben uns nur unterhalten«, meinte ich lächelnd.

«Du wirst gleich wieder im Krankenhaus liegen, wenn du nicht vorsichtig bist«, mahnte sie und bot dann Lodge und meinem Vater Kaffee an. Ich war froh um diese Störung, weil ich mit den beiden nicht diskutieren wollte, was jetzt zu unternehmen war, um Mr. Claude Thiveridge ein Bein zu stellen.

Ich mußte näher an Thiveridge herankommen. Er würde wieder zuschlagen und mir dadurch den Weg zu ihm erhellen, wie das Aufblitzen des Mündungsfeuers im Dunkeln das Versteck eines Heckenschützen verrät.

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