Kapitel Fünfzehn Eddie wird gejagt

Wieder zurück auf der Kuppe des grasbewachsenen Hügels drehte ich mich langsam um und ließ meine Blicke über das kleine Städtchen schweifen. Malerische Häuser, enge Straßen, weiter weg in der Ferne Bauernhöfe und Ackerland. Alles war so ganz normal, so alltäglich, die Menschen so nichts ahnend von all den schrecklichen Dingen, die sie mit der Welt gemein hatten. Einst war es meine Aufgabe gewesen, Menschen wie sie vor all dem Bösen zu beschützen, das im Schatten verborgen auf der Lauer lag; doch je mehr Nachforschungen ich anstellte, je tiefer ich bohrte, umso mehr fand ich heraus, wie tief und dunkel dieser Schatten wirklich war. Und jetzt sah es so aus, als ob meine Familie aus dem Schatten heraus auf mich zurückblickte. Was konnte William Drood herausgefunden haben? Was konnte so entsetzlich sein, dass er es aus seinem Verstand auslöschen musste? Wenn ich es herausfand, würde ich dann am Ende dasselbe tun müssen?

Wie ich so auf der Kuppe eines Hügels in der Mitte von Nirgendwo stand und auf eine Welt hinausblickte, die ich nicht mehr wiedererkannte, fröstelte mich.

Mein Arm tat weh. Auch wenn ich darauf achtete, ihn nicht zu bewegen, schmerzte das verdammte Ding wie ein eiternder Zahn. Irgendetwas steckte in mir und fraß mich bei lebendigem Leib auf. Drei Tage, höchstens vier. Und ständig dieses drängende Bedürfnis, etwas zu unternehmen, irgendetwas, um auch nicht einen Moment der kostbaren Zeit zu vergeuden, die mir noch blieb. Doch ungeachtet all meines Bohrens, all meiner Fragen, hatte ich immer noch nichts Bestimmtes, worauf ich meinen Tatendrang hätte richten können. Ich kannte die Namen meiner Feinde, aber nicht die Gründe ihrer Feindschaft. Ich musste nachdenken, einen Plan fassen; und immer noch tickte die Uhr, tickte … Ich sah Molly an, die schweigend neben mir stand.

»Tja«, sagte ich. »Danke, dass du mich hierhergebracht hast, Molly. Das war … schwer deprimierend. Gibt es noch mehr muntere und hilfreiche vogelfreie Kollegen, mit denen ich mich deiner Ansicht nach treffen sollte?«

»Ich kann mich auch einfach von hier wegportalen und dich stehen lassen!«, entgegnete Molly.

»Du würdest meine sprühende Persönlichkeit vermissen.«

»Schau, mach dich nicht selbst fertig, Eddie! Du hast sehr viel mehr aus dem Seltsamen John herausbekommen, als es mir jemals gelungen ist. Und mir schwebt da tatsächlich noch ein anderer Vogelfreier vor; jemand, der sehr hilfreich sein könnte. Er weiß eine ganze Menge Dinge. Man nennt ihn den Maulwurf.«

»Na, das ist doch mal ein Name, der Vertrauen einflößt!«

»Willst du ihn kennenlernen oder nicht?«

»Hat er drei Freunde, die Wasserratte, Kröterich und Dachs heißen?«, erkundigte ich mich hoffnungsvoll.

Molly seufzte. »Das ist die Rache dafür, dass ich dich mit Mr. Stich bekannt gemacht habe, stimmt's?«

»Nein, ehrlich, ich kann es kaum erwarten, Herrn Maulwurf in seinem Loch zu besuchen.«

Sie sah mich an. »Dein Arm ist schlimmer geworden, oder?«

»Ja. Lass uns aufbrechen.«

Molly beschwor ein weiteres Raumportal, wobei tiefe Falten der Konzentration auf ihre Stirn traten. Der Vorgang schien diesmal länger zu dauern, und der Schweiß lief ihr in Strömen übers Gesicht. Vor uns waberte und wirbelte die Luft und rotierte um eine unsichtbare Achse, wie Wasser, das in einem Abfluss verschwindet. Sie zog uns von der Hügelkuppe und in sich selbst hinein, und wir waren wieder auf der Reise.

* * *

Als Molly und ich wieder erschienen, befanden wir uns in einer Toilettenkabine. Es war sehr beengt; wir standen dicht zusammengedrängt, Auge in Auge. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mir vielleicht einen Moment genommen, um es zu genießen, aber augenblicklich steckte ich leider mit einem Bein in der Kloschüssel fest.

»Oh, Scheiße!«, sagte Molly.

»Das will ich jetzt nicht weiter vertiefen!«, antwortete ich, während ich mich bemühte, meinen Fuß aus der Schüssel zu bekommen. »Darf ich dich so verstehen, dass wir uns nicht dort befinden, wo wir eigentlich sein sollten?«

»Natürlich nicht! Aber es hätte schlimmer kommen können.«

»Oh, Scheiße!«, sagte ich.

»Was?«

»Allem Anschein nach hat der vorherige Benutzer nicht gespült. Würdest du bitte einatmen, damit ich meinen Fuß rauskriegen kann?«

Wir bemühten uns eine Zeit lang gemeinsam, knallten dabei laut gegen die Kabinenseiten, und endlich gelang es mir, meinen Fuß mit einem Ruck zu befreien. Der untere Teil meines Hosenbeins war klatschnass, und ich wollte gar nicht erst darüber nachdenken, wovon. Ich funkelte Molly an.

»Der heutige Tag fing mit einem Messer an meiner Kehle an und hat es trotzdem geschafft, stetig bergab zu führen! Wo zum Teufel sind wir?«

»Bahnhof Paddington.«

»Wirklich? Den hatte ich irgendwie größer in Erinnerung!«

»Dummkopf! Wir sind in der Damentoilette in Paddington. Was bedeutet … jemand hat versucht, meinen Portalzauber abzufangen.«

Aus der Kabine zu kommen bedurfte einiger Kooperation und eines gewissen Ausmaßes an roher Gewalt, da die Tür sich nach innen öffnete, aber schließlich ergossen wir uns in den Haupttoilettenbereich. Ein halbes Dutzend Frauen hörte auf, ihre Kleider zu richten und ihr Make-up auszubessern und starrte uns an. Molly starrte wütend zurück.

»Komm schon, erzähl mir nicht, dass du nie daran gedacht hast, es in einer Kabine zu tun!«

»Ich komme mir wie so eine Schlampe vor!«, antwortete ich. »Versprichst du mir, dass du mir den Hintern versohlst, wenn wir nach Hause kommen, Herrin?«

Das halbe Dutzend Frauen konnte nicht schnell genug aus der Toilette kommen. Ich grinste Molly an, aber sie war nicht in der Stimmung.

»Also schön«, sagte ich. »Auf einer Skala von eins bis zehn, wie schlimm ist das hier?«

»Oh, ich glaube, das hier geht ganz hoch bis zur Elf. Jemand muss versucht haben, die Koordinaten meines Zaubers aufzuheben, um uns an einem Bestimmungsort seiner Wahl ankommen zu lassen. Wo er oder sie uns in Empfang nehmen könnten. Aber da ich nun mal das geschickte paranoide kleine Wesen bin, das ich bin, habe ich schon vor langer Zeit meinen Zauber vorprogrammiert, um auf eine solche Eventualität vorbereitet zu sein, sodass er mich beim ersten Anzeichen für Einmischung von außen an einem vorher festgelegten Notankunftspunkt absetzt.«

»Gott, ich liebe es, wenn du technisch redest!«

»Halt die Klappe! Ich habe mich für diesen Ort entschieden, weil eine Toilettenkabine eine der wenigen Stellen ist, wo man aus dem Nichts auftauchen kann, ohne bemerkt zu werden. Muss ich wirklich hinzufügen, dass ich nicht an zwei Personen dachte, als ich diesen Ankunftspunkt auswählte?«

»Wieso Paddington?«, wollte ich wissen.

»Es ist ein zentraler Londoner Bahnhof, von dem aus ständig Züge irgendwohin fahren. Man kann sich einfach willkürlich einen aussuchen, aufspringen und spurlos verschwinden. Und jetzt lass uns zusehen, dass wir hier rauskommen! Die Einzigen, die mächtig genug sind, einen Portalzauber abzufangen, dürften Zauberer der obersten Spielklasse sein. Das könnte heißen, deine Familie.«

»Wieso nicht das Manifeste Schicksal?«, wandte ich ein, einfach nur, um zu widersprechen.

»Du hast Truman doch gehört. Sie vertrauen der Wissenschaft, nicht der Zauberei. Leute meiner Art sind nur als Mitläufer geduldet. Was mich allerdings interessiert, ist, wie deine Familie wissen konnte, dass du jetzt mit mir unterwegs bist.«

Ich zuckte die Schulter. »Wahrscheinlich haben wir Agenten tief im Inneren des Manifesten Schicksals. Wir haben überall Leute, in allen möglichen Organisationen, damit wir nicht überrascht werden, wenn sie irgendetwas Übles versuchen. Was denkst du denn, wie wir sonst alles wissen könnten, was vor sich geht?«

Molly schaute mich an. »Und mir das früher zu erzählen, ist dir nicht eingefallen?«

»Entschuldige; ich dachte, du wüsstest, wie meine Familie operiert. Außerdem war ich abgelenkt. Gerade in jüngster Zeit geht mir so einiges durch den Kopf.«

»Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte?«

»Irgendwas gluckst in meinem Schuh.«

»Ich hätte dich erstechen sollen, als du noch geschlafen hast!«, sagte Molly.

* * *

Wir begaben uns nach oben und in den eigentlichen Bahnhofsbereich hinaus. Der weite offene Platz war voller Menschen, die geschäftig hin und her eilten, als hinge ihr Leben davon ab, oder einfach nur wie Schafe herumstanden und mit leeren Blicken auf die wechselnden Anzeigen der Informationsbildschirme starrten. Zugmotoren dröhnten laut, Leute sprachen laut in Handys, wobei sie sich alle Mühe gaben auszusehen, als ob ihre Gespräche lebenswichtig wären, und hin und wieder schmetterten die Bahnhofslautsprecher eine ohrenbetäubende, aber völlig unverständliche Verlautbarung in die Menge.

Ich entspannte mich ein wenig. Ich mochte Menschenmengen. In einer Menschenmenge kann man sich immer irgendwo verstecken. Molly und ich taten, als ob wir die Speisekarte einer nahe gelegenen Imbissbude studieren würden, während wir uns verstohlen umschauten. Alles schien völlig normal. Zwei bewaffnete Polizisten schlenderten vorbei, schwer beladen mit kugelsicheren Westen und Dienstausrüstung, und hielten Ausschau nach alltäglichen Problemen. Für Molly und mich interessierten sie sich nicht. Sie wussten nicht einmal, dass Leute wie Molly und ich existierten, die Glückspilze.

»Dieser Ort gefiel mir vor seiner Renovierung deutlich besser«, sagte ich zu Molly. »Früher gab es hier ein Restaurant, wo man Chili con Carne und Pommes frites und Bohnen und Speck und Würste bestellen und so hoch auftürmen lassen konnte, wie man mochte. Tja, das war mal eine ordentliche Mahlzeit! Ich habe immer Cholesterin-Spezial dazu gesagt; man konnte spüren, wie die Arterien sich verhärteten, wenn man es bloß ansah!«

Molly betrachtete mich mit einem Widerwillen, der hart an Ekel grenzte. »Ich bin erstaunt, dass dein Herz nicht explodiert ist!«

»Ich habe schon immer gern gefährlich gelebt. Apropos, dreh dich nicht zu schnell um, aber sieh dir mal die beiden Typen an, die von vier Uhr kommen! Ich glaube, wir sind erkannt worden.«

»Schon? Verflucht!« Molly riskierte einen verstohlenen Blick in die Richtung, die ich ihr zu verstehen gegeben hatte. Zwei Männer in anonymen dunklen Anzügen kamen mit entschlossenen Schritten auf uns zu, wobei sie die Hände vors Gesicht hielten und mit ihren Handgelenken sprachen. Entweder hatten sie Funkgeräte im Ärmel, oder sie waren ein Fall fürs Fröhliche Delirium. Molly blickte finster drein. »Das könnten auch Polizisten in Zivil sein …«

Die beiden Männer förderten aus Gewehrriemen unter ihren Jacken automatische Waffen zutage und eröffneten das Feuer, ohne sich um die dicht gedrängte Menge zu kümmern, durch die sie schießen mussten, um uns zu erwischen. Männer und Frauen brachen zusammen, blutend und schreiend und sterbend. Menschen wurden von der Wucht des Aufpralls der Kugeln hierhin und dorthin geworfen, und der Kopf eines Mannes explodierte. Die Frau bei ihm sank neben seinem zuckenden Körper auf die Knie und schrie ihren Schmerz und ihr Entsetzen heraus. Leute rannten brüllend in alle Richtungen und hechteten hinter das wenige, was an Deckung zu finden war. Und die beiden Männer mit den automatischen Waffen liefen direkt auf Molly und mich zu und feuerten ohne Unterbrechung. Die bewaffneten Polizisten kamen angerannt, und die beiden Männer schossen sie nieder und pumpten sie mit Blei voll, bis sie sich nicht mehr rührten.

Ich duckte mich hinter die Imbissbude, und Molly war direkt bei mir. Über uns zersprangen Schüsseln mit Suppe und flogen in Stücke und verspritzten überall heiße Flüssigkeit. Die Angestellten in der Bude kreischten und duckten sich, und ihre Schreie gingen in dem Chaos und dem Geknatter des Gewehrfeuers fast unter. Die ganze Bude wackelte und bebte unter dem schweren Dauerbeschuss. Wie viele Gewehre hatten diese Dreckskerle? Müsste ihnen inzwischen nicht die Munition ausgegangen sein? Ich riskierte einen schnellen Blick um die Ecke der Bude: Die beiden Männer kamen direkt auf uns zu, stetig feuernd, und dazu ein Dutzend weiterer Männer in dunklen Anzügen, die aus dem gesamten Bahnhofsbereich angerannt kamen, um zu ihnen zu stoßen. Überall lagen Leichen in sich ausbreitenden Blutlachen.

»Wir können nicht hierbleiben!«, sagte ich zu Molly. »Ich kann hochrüsten, aber das wird dich nicht schützen.«

»Ich brauche keinen Schutz«, erklärte Molly. »Ich werde für ein Ablenkungsmanöver sorgen, und dann rennen wir beide wie der Teufel zum nächsten Ausgang. Wie findest du das?«

»Klingt nach einem Plan. Was für ein Ablenkungsmanöver?«

»Mach die Augen zu und halt die Hände davor!«

Ich tat wie geheißen, und einen Moment später kam ein strahlender Lichtschein, der mir selbst durch die fest zusammengepresste Lider in den Augen wehtat. Laute Stimmen schrien vor Schreck und Schmerz auf, und Molly packte mich bei der Schulter und zerrte mich hinter der von Kugeln durchsiebten Imbissbude heraus. Während ich hinter ihr herstolperte, zwang ich mich dazu, die Augen zu öffnen. Hüpfende schwarze Flecken auf meiner Netzhaut trübten mein Sehvermögen, aber wenigstens konnte ich sehen. Die bewaffneten Männer, aus deren halb geöffneten Augen die Tränen strömten, torkelten durch die Gegend und feuerten mit ihren Gewehren auf jede Bewegung und jedes plötzliche Geräusch. Und da die meisten Zivilisten tot waren, bedeutete das im Wesentlichen, dass sie aufeinander schossen. Damit konnte ich leben. Ich kam direkt an einem Bewaffneten vorbei, als ich Molly zum nächstgelegenen Ausgang zur Straße folgte, und nahm mir einen Augenblick Zeit, um ihm mit einem Schlag das Genick zu brechen. Keine Zivilisten in unsere Kriege verwickeln, du Scheißkerl!

Ich hätte gern noch mehr von ihnen umgebracht, aber wir hatten keine Zeit. Ich bin kein Mörder, aber manchmal ist das einzig Richtige, was einem noch bleibt, die Dreckskerle einfach zu töten, bis keine mehr übrig sind. Ich hasse es, wenn Unschuldige in meine Welt mit reingezogen werden. Deshalb bin ich überhaupt erst Agent geworden: um Unschuldige vor dem zu beschützen, was in meiner Welt lebt.

Die Bewaffneten mussten vom Manifesten Schicksal sein - meine Familie wäre subtiler vorgegangen. Und, das glaubte ich immer noch, gnädiger mit den Unschuldigen. Aber wie hatte das Manifeste Schicksal uns so schnell gefunden? Vielleicht hatten sie sämtliche Bahnhöfe überwacht, für alle Fälle. Das ergab Sinn. Mein schlimmer Arm brüllte mich an, als ich hinter Molly herlief, und ich sagte ihm, er solle verdammt noch mal die Klappe halten. Ich hatte zu tun. Ein paar Kugeln flogen an mir vorbei, nicht mal nahe. Ein paar der Bewaffneten erlangten ihr Sehvermögen wieder. Ich hätte hochrüsten können, aber ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass der Tarnkappenmodus unter diesen Bedingungen, unter so vielen wachsamen Augen, funktionieren würde, und es widerstrebte mir immer noch, das größte Geheimnis meiner Familie dem Blick der Öffentlichkeit preiszugeben. Sofern ich es nicht musste.

Ich holte Molly ein, als sie stolpernd auf halber Höhe der steilen Schräge zum Stehen kam, die hinaus in den Straßenverkehr führte. Wir waren beide außer Atem. Autos und Lieferwagen brausten nichts ahnend an uns vorüber, als ob es ein ganz normaler Tag wäre. Ich schaute Molly an.

»Was machen wir jetzt? Uns ein Taxi herbeiwinken?«

»Würde ich nicht. Man kann nie sicher sein, für wen die Fahrer tatsächlich arbeiten. Ich habe eine bessere Idee!«

Sie bückte sich und zog ihr Kleid hoch, woraufhin an ihrem linken Fußknöchel ein niedliches silbernes Bettelarmband zum Vorschein kam. Sie riss eins der Amulette ab und hielt es hoch: ein zierliches, kleines, silbernes Motorrad. Molly murmelte ein paar Worte in einer rauen Sprache, die ihr bestimmt Halsschmerzen verursachte, und hauchte das Amulett an. Es zappelte unheimlich auf ihrem Handteller herum und sprang dann herunter, wurde noch in der Luft schnell größer, bis vor uns auf der Schräge schließlich ein Vincent-Black-Shadow-Motorrad stand. Ein großes schwarzes Mörderteil, ein Klassiker seiner Art. Ich war beeindruckt.

»Ich bin beeindruckt!«, sagte ich zu Molly. »Ehrlich! Du hast einen exzellenten Motorradgeschmack; wenn auch ein bisschen nostalgisch.«

»Bleib mir vom Leib mit den modernen Maschinen!«, antwortete Molly. »Kein Charakter!«

Wieder flogen Kugeln an uns vorbei. Sie kamen näher. Ich blickte hinter mich die Schräge hinunter: Männer mit Gewehren, denen die Tränen immer noch die Backen hinunterliefen, torkelten in unsere Richtung. Ihre Zielgenauigkeit war noch nicht besonders hoch, aber bei automatischen Waffen musste sie das auch nicht.

»Steig auf das verdammte Motorrad!«, forderte Molly mich auf.

Ich schaute wieder nach vorn. Die Vincent erwachte röhrend zum Leben, als Molly sie mit dem Kickstarter anließ und sich auf den Ledersitz schwang.

»Kommando zurück!«, sagte ich. »Ich fahre nicht auf dem Sozius!«

»Meine Maschine - ich fahre. Steig auf!«

»Ich werde nicht auf dem Sozius mitfahren! Ich muss an meine Würde denken!«

Noch mehr Kugeln pfiffen an uns vorbei. Sie kamen wirklich näher. Molly lächelte mich liebenswürdig an. »Du und deine Würde können jederzeit neben mir herlaufen, wenn dir das lieber ist, aber ich für meinen Teil mache mich jetzt vom Acker.«

Ich grummelte etwas vor mich hin und schwang mich hinter ihr auf den Sitz. Molly haute den Gang rein, und die Vincent schoss, verfolgt von Kugeln, die Schräge hoch und direkt in den Hauptverkehrsstrom. Empörtes Hupen und aufgebrachte Stimmen empfingen uns von allen Seiten, als wir aufs dem Nichts auftauchten und uns rücksichtslos hineindrängten. Zum Glück beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit des Londoner Verkehrs zwischen den Ampeln selten mehr als zehn Meilen in der Stunde, sodass wir den langsameren Fahrzeugen ausweichen, uns um sie herumschlängeln und eine gesunde Beschleunigung aufbauen konnten. Ich legte meinen rechten Arm fest um Mollys Taille. Ich versuchte, auch den linken zu benutzen, aber es war zu schmerzhaft, also ließ ich den Unterarm auf Mollys linkem Oberschenkel liegen. Sie schien nichts dagegen zu haben. Obwohl ich so dicht hinter ihr hockte, zerrte die Luft an meinen Haaren und bearbeitete mein Gesicht wie mit Ohrfeigen. Ich brachte meinen Mund dicht an Mollys Ohr.

»Hätte es dich umgebracht, auch noch zwei Sturzhelme hervorzuzaubern?«

»Helme sind für Weicheier!«, rief Molly über das Motordröhnen der Vincent nach hinten und lachte fröhlich. »Halt dich fest, Eddie!«

»Ich könnte wetten, du bist nicht versichert!«, sagte ich.

* * *

Wir schlängelten uns durch fahrende Autos, als ob sie stillstünden, und erhöhten dabei konstant die Geschwindigkeit. Taxifahrer schrien Beleidigungen, Ladenfronten sausten verschwommen zu beiden Seiten vorbei. Wir hatten schon so oft die Richtung gewechselt, dass ich keinen Schimmer mehr hatte, wo wir eigentlich waren. Ein großer roter Londoner Bus zog direkt vor uns heraus, denn Londoner Busse gewähren nichts und niemandem Vorfahrt, und das Herz sprang mir fast aus der Brust, als Molly den Motor hochjagte und wie ein Lemming auf Amphetaminen durch die sich verengende Lücke schoss. Ich könnte sogar geschrien haben, ein kleines bisschen.

»Versuch, dich mit mir in die Kurven zu legen, Eddie!«, rief Molly vergnügt nach hinten. »Dann kann ich viel leichter manövrieren!«

Wir brausten mit Furcht einflößendem Tempo über Kreuzungen und straften rote Ampeln mit Verachtung. Die Maschine neigte sich hierhin und dorthin, fuhr im Zickzack und sprang von einer Seite auf die andere, während sie in den Verkehr ein- und aus ihm hinaustauchte und für niemanden langsamer machte. Es wäre recht erheiternd gewesen, wäre ich gefahren. So aber konnte ich mich bloß mit meinem gesunden Arm festklammern und eine Reihe hoffnungsvoller Stoßgebete zu Sankt Christophorus, dem Schutzpatron der Reisenden, hochschicken. Er wurde zwar neulich offiziell außer Dienst genommen, aber mich hat niemand um Erlaubnis gefragt, also …

Zum ersten Mal merkte ich, dass wir verfolgt wurden, als eine Kugel direkt an meinem Ohr vorbeipfiff. Ich packte Molly fester und riskierte einen Blick nach hinten: Zwei große schwarze Wagen näherten sich uns schnell. Sie mussten wirklich schwer gepanzert sein, denn sie erhöhten die Geschwindigkeit, indem sie alles vor sich beiseiteschoben und -stießen. Wo kein Platz war, fuhren die großen schwarzen Wagen einfach über das, was ihnen im Weg war, hinweg, wobei sie kleinere Fahrzeuge wie Panzer zerquetschten. Andere Fahrer wurden von der Straße gedrängt oder so eingeschüchtert, dass sie plötzlich Abzweigungen nahmen, die sie gar nicht gewollt hatten. Der Verkehr zwischen den schwarzen Wagen und uns nahm rapide ab, und aus den dunkel getönten Fenstern der beiden Wagen lehnten sich Männer und feuerten mit automatischen Waffen auf uns. Zum Glück ist das sehr viel schwieriger, als es in den Filmen immer aussieht.

Ich drehte mich wieder um und schrie Molly ins Ohr. »Manifestes Schicksal, direkt hinter uns! Und sie schießen auf uns!«

»Tatsächlich hatte ich das schon bemerkt! Bist du sicher, dass es nicht deine Familie ist?«

»Hundertpro! Die würden keine Gewehre benutzen; die würden etwas viel Extremeres benutzen!«

Molly ließ die Maschine um eine enge Kurve fliegen und legte sich dabei ganz auf die Seite. Ich tat mein Möglichstes, um ihr zu helfen und mich mit ihr hinauszulehnen, aber alles was ich tun konnte, war mich mit einem Arm festzuhalten. Einen Moment lang schien der Boden furchtbar nah zu sein. Molly rang die Vincent wieder senkrecht und gab Vollgas. Wir donnerten die Straße entlang, schossen wie ein geölter Blitz zwischen erschreckten Autos hindurch, manchmal so dicht, dass wir ihnen den Lack mit unseren Seitenspiegeln verkratzten, und die ganze Zeit über wichen wir Gewehrfeuer von hinten aus. Sie fingen an, sich einzuschießen. Ich drehte mich auf dem Ledersitz um und riskierte noch einen Blick nach hinten. Wie Rammen schoben die schwarzen Wagen alles, was ihnen im Weg war, zur Seite, und was keinen Platz machte, wurde zu Schrott gefahren. Ins Schleudern geratene Zivilfahrzeuge krachten ineinander, einige überschlugen sich, und auf dem gesamten Straßenabschnitt hinter uns gab es Massenkarambolagen. Die schwarzen Wagen fuhren einfach weiter und die Kugeln kamen immer näher, egal wie sehr wir Slalom fuhren und auswichen.

Ich rüstete hoch. Binnen eines Moments floss das lebende Metall glatt über und um mich und schottete mich hermetisch von einer feindlichen Welt ab. Kugeln trafen meinen Rücken und prallten einfach ab; sie konnten mir oder Molly jetzt nichts mehr anhaben. Das Gewehrfeuer wurde heftiger, denn die schwarzen Wagen kamen näher; Kugeln spritzten mir über Rücken, Schultern und Hinterkopf. Ich spürte den Aufprall nicht, aber ich konnte ihn hören. Meinen linken Arm zu panzern hatte ihn wieder stark gemacht, wenn auch die Schmerzen nicht geringer geworden waren. Ich schob ihn vorsichtig um Mollys Taille und fühlte mich ein wenig sicherer.

Die Vincent röhrte über die Straße, und die vorüberziehende Welt war nur noch ein nebelhafter Eindruck. Molly war lauthals am Lachen und jauchzte vor Freude an der Geschwindigkeit; ich war eher besorgt darüber, was passieren würde, falls auch nur eine der Kugeln zufällig den Treibstofftank der Vincent treffen würde. Ich erwähnte das Molly gegenüber.

»Keine Sorge!«, schrie sie nach hinten. »Das hier ist kein richtiges Motorrad! Es sieht nur aus wie eins!«

»Kein richtiges Motorrad? Keine richtige Vincent Black Shadow?«

»Tu doch nicht so! Was hast du von einem Bettelarmband erwartet?«

»Solange es sich nicht um Mitternacht in einen Kürbis verwandelt …«

Molly lachte wieder und gab noch mehr Gas. Ich nahm den rechten Arm von Mollys Taille und zog den Repetiercolt aus dem Schulterhalfter. Es dauerte eine Weile und tat meiner Schulter höllisch weh, aber schließlich hatte ich ihn draußen. Einen Moment lang atmete ich schwer, bis ich den Schmerz unter Kontrolle gebracht und meine Kräfte für das, was ich als Nächstes tun musste, zusammengenommen hatte. Ich verstärkte den Griff meines wieder erstarkten linken Arms um Mollys Taille, drehte mich auf dem Sitz herum und sah auf die Wagen hinter uns. Es waren jetzt vier davon und ein fünfter holte auf; sie pflügten sich ihren Weg durch allen Verkehr, der nicht schnell genug auswich. Männer lehnten sich aus den Wagenfenstern und schossen mit einer ganzen Waffensammlung auf mich. Einer hatte sogar einen Raketenwerfer. Er feuerte das Ding ab, und die Rakete schoss heraus, knallte in meine gepanzerte Seite, prallte ab und jagte einen Gap-Laden in die Luft. Ich hoffte, dass niemand drin war, aber sicher sein konnte ich nicht. Dem Manifesten Schicksal war es egal, wer verletzt oder getötet wurde. Und in diesem Moment beschloss ich, dass diesen Schweinen nur zu entkommen nicht genug war.

Inzwischen feuerten sie alle auf mich, und Kugeln spritzten von meiner Brust und meiner goldenen Gesichtsmaske ab. Die Maschine knallte hierhin und dahin, als wir in einen Stau hinein- und wieder aus ihm herausrasten. Die Extraschmerzen in meinem Arm ließen mich aufschreien, und unter meiner golden Maske liefen mir die Tränen übers Gesicht. Doch der Repetiercolt in meiner rechten Hand lag verdammt ruhig, als ich ihn auf die verfolgenden Wagen richtete.

Zuerst versuchte ich, auf die Reifen zu schießen. In den Filmen funktionierte das immer. Aber obwohl ich jeden Reifen traf, auf den ich zielte, platzte kein einziger davon: Die gepanzerten Wagen fuhren auf Reifen aus massivem Gummi. Das Manifeste Schicksal musste die Filme wohl auch gesehen haben. Also zielte ich auf den Fahrer des Wagens, der uns am nächsten war. Er lachte mich durch seine Panzerglaswindschutzscheibe aus, bis zu dem Moment, wo der Repetiercolt eine Kugel durch die Windschutzscheibe schickte und seinen Kopf zerfetzte. Der Wagen brach in wilde Schlenker aus, fuhr auf den Bürgersteig und nietete drei Parkuhren um, ehe er rutschend zum Stehen kam. Ich zielte sorgfältig und erschoss die anderen vier Fahrer, und ihre Wagen gerieten ins Schleudern und krachten und knallten in Schaufensterfronten.

Aber schon schlossen sich weitere schwarze Wagen der Jagd an und kamen mit quietschenden Reifen um die Ecken sämtlicher Seitenstraßen geschossen, die wir passierten. Schnell hatte sich ein Dutzend neuer Wagen an unser Hinterrad gehängt, die Schlangenlinien fuhren, um mir das Zielen zu erschweren. Ich putzte weiter die Fahrer weg, einen nach dem anderen. Eine solche Zielgenauigkeit wäre unter diesen Umständen normalerweise unmöglich gewesen, aber zum Glück erledigte der Repetiercolt für mich den Großteil der Arbeit. Danke, Onkel Jack! Noch mehr Wagen schlossen sich der Verfolgungsjagd an; sie schienen von überall her gleichzeitig zu kommen, pflügten durch den Zivilverkehr, als ob er gar nicht da sei, schleuderten leichtere Autos zur Seite oder zerstampften sie unter sich. Hinter uns herrschte ein Chaos aus zertrümmerten und brennenden Fahrzeugen, so weit ich blicken konnte. Männer und Frauen mit weit aufgerissenen Augen drängten sich in Ladeneingängen zusammen und schrien in Handys, als wir vorbeirasten.

Das Gewehrfeuer war jetzt konstant, prasselte auf mich und die Maschine ein, versuchte uns durch den schieren Druck der Kugeln zu Fall zu bringen. Die meisten prallten ab, zersiebten Schaufensterscheiben und mähten Fußgänger nieder. Das Manifeste Schicksal benutzte mich, um unschuldige Menschen zu töten! So durfte es nicht weitergehen!

Ein schwarzer Wagen kam donnernd aus einer Seitenstraße und setzte sich neben uns. Der Mann auf dem Rücksitz schoss mir aus kürzester Entfernung ins Gesicht und schrie wütend auf, als die Kugel von meiner goldenen Maske abprallte. Sie waren auf meiner linken Seite, ich konnte sie also nicht erschießen. Ich riskierte es, meinen linken Arm von Mollys Taille zu nehmen, durchschlug die Windschutzscheibe des Wagens, zog den Fahrer heraus und warf ihn auf die Straße davor. Der schwarze Wagen fuhr über ihn, geriet ins Schleudern, rammte ein parkendes Auto und überschlug sich einmal der Länge nach, eher er krachend zum Stehen kam. Ich legte meinen schmerzenden Arm wieder um Mollys Taille.

Ein Polizeiauto versuchte sich einzumischen; es kam mit heulenden Sirenen, Blaulicht und kreischenden Reifen um die Ecke. Zwei der schwarzen Wagen nahmen es von beiden Seiten in die Zange, und dann rissen beide Fahrer gleichzeitig die Lenkräder herum. Die schwer gepanzerten Wagen quetschten das Polizeiauto zwischen sich ein und zerknitterten das serienmäßige Stahlfahrgestell, als ob es aus Alufolie sei. Die schwarzen Wagen donnerten weiter, während das außer Kontrolle geratene Polizeiauto durch eine gläserne Ladenfront krachte und mit hilflos wimmernder Sirene liegen blieb. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Polizisten in dem Auto: Es ist nicht vorgesehen, dass die Polizei in unsere Kriege hineingezogen wird; sie haben nicht die nötige Ausrüstung, um sich mit unseresgleichen einzulassen.

Ich drehte mich wieder nach vorn und brüllte Molly ins Ohr. »Es sind jetzt sogar noch mehr Wagen hinter uns als zu Anfang! Fahren wir irgendwo Bestimmtes hin?«

»Ja! Fort!«

Ich musste lachen. »Ich bin ja so froh, dass wir einen Plan haben …!«

»Sonst noch was, Eddie? Ich bin nämlich im Moment ein wenig beschäftigt …«

»Es werden zu viele Zivilisten verletzt! Vielleicht sollten wir einfach anhalten und es ausfechten.«

»Denk nicht mal dran! Die Chancen stehen echt beschissen! Du kannst drauf wetten, dass wir in dem Moment, wo wir aufhören uns zu bewegen, von Präzisionsschützen ins Visier genommen werden. Davor kann mich deine Rüstung nicht beschützen! Sie würden damit drohen, mich zu töten, wenn du dich nicht bereit erklärst abzurüsten. Dann würden sie dich mit Beruhigungsmitteln vollschießen, mit zurück ins Hauptquartier nehmen und dich bei lebendigem Leib sezieren, um an all deine Familiengeheimnisse und insbesondere die Rüstung zu kommen. Mit mir würden sie wahrscheinlich das Gleiche machen, dafür, dass ich zur Verräterin geworden bin. Lieber gehe ich kämpfend unter! Oder wenigstens fliehend.«

»Du hast das wirklich durchgedacht«, sagte ich.

»Haha! Das ist jedenfalls das, was ich machen würde! Jetzt halt dich fest! Unsere einzige wirkliche Chance ist, diese Dreckskerle abzuhängen!«

Ein schwarzer Wagen kam aus einer Seitengasse heraus vor uns auf die Straße geschossen, drehte sich auf quietschenden Reifen herum und raste direkt auf uns zu. Wir waren auf beiden Seiten von Autos blockiert und hatten keinen Raum zum Manövrieren. Ich hätte abspringen können - die Rüstung hätte mich beschützt. Aber damit wäre Molly sich selbst überlassen gewesen … Ich versuchte noch herauszukriegen, was ich machen sollte, als Molly den Motor auf Teufel komm raus hochjagte und die Maschine direkt auf den glänzenden Kühler des herannahenden schwarzen Wagens richtete. Ich konnte sie etwas singen hören, aber der brausende Wind riss ihre Worte mit sich fort. Der schwarze Wagen ragte bedrohlich vor uns auf, nah genug, dass ich den Fahrer lachen sehen konnte, und dann, im allerletzten Moment, erhob sich die Vincent in die Luft und segelte geradewegs über das Dach des schwarzen Wagens hinweg. Fast stoßfrei setzten wir hinter dem Wagen wieder auf der Straße auf und fuhren weiter. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie der Wagen vom Manifesten Schicksal in einen anderen schwarzen Wagen donnerte, der direkt hinter uns gewesen war. Die beiden Wagen krachten zusammen, Motorhaube gegen Motorhaube, und flogen dann mit einer befriedigend lauten Explosion in die Luft.

Ich drehte mich wieder nach vorn und drückte Molly dicht an mich, sodass ich ihr ins Ohr schreien konnte. »Ich wusste nicht, dass die Maschine das kann!«

»Kann sie auch nicht! Aber ich. Wenn auch nicht sehr oft, du solltest also lieber hoffen, dass es nicht nochmal nötig ist!«

Ich schickte noch ein paar Stoßgebete zu Sankt Christophorus hoch.

Molly schwang die Maschine um eine enge Kurve und bremste dann so scharf, dass es mir die Luft aus der Lunge getrieben hätte, wenn ich nicht meine Rüstung getragen hätte. Die Straße vor uns war wie ausgestorben, ohne jegliche Fahrzeuge oder Fußgänger. Die Einzigen, die das so schnell arrangiert haben konnten, waren meine Familie. Und tatsächlich, da waren sie! Ich schaute über Mollys Schulter und sah, was sie bereits bemerkt hatte: Auf halbem Weg die Straße hinunter standen wie Statuen drei goldene Gestalten, auf deren Rüstungen das Morgenlicht hell glänzte.

Ehrlich gesagt fühlte ich mich ein wenig geschmeichelt: Drei Frontagenten, nur um mich dingfest zu machen! Ich hatte keinerlei Zweifel, dass sie es schaffen konnten. Also steckte ich den Repetiercolt weg und drückte den Knopf auf meiner Umkehruhr. Gott segne dich, Onkel Jack! Die Zeit spulte sich zurück und drehte die Welt um dreißig Sekunden rückwärts, sodass Molly und ich uns gerade wieder der Kurve näherten. Als Molly sich anschickte, sie zu nehmen, schrie ich ihr eindringlich ins Ohr, und sie bremste so plötzlich, dass das Hinterrad blockierte und die Maschine schleudernd zum Stehen kam. Wir sprangen beide ab, und sie sagte die Worte, die das Motorrad wieder zu einem silbernen Amulett werden ließen; ich rüstete ab und wir verdrückten uns beide in die nächste Seitengasse.

Die drei goldenen Frontagenten sprinteten bereits auf uns zu, aber ein Dutzend schwarzer Wagen kam mit kreischenden Rädern um die Kurve geschossen. Sie sahen die Frontagenten und steuerten ihre gepanzerten Wagen direkt auf sie zu, die Dummköpfe. Molly und ich beobachteten aus dem Schatten der Seitengasse heraus, wie der erste Wagen den ersten Agenten erreichte. Der Drood blieb einfach stehen, und dann, im allerletzten Moment, ließ er seine goldene Faust auf die Motorhaube des schwarzen Wagens herunterkrachen. Die ganze Wagenfront wurde zusammengepresst, in den Boden gerammt, das Hinterteil kam hoch und der Wagen schlug einen Salto über den Kopf des Agenten hinweg, bevor er hinter ihm wieder aufschlug.

Der zweite Agent stürzte sich durch die Windschutzscheibe des nächsten Wagens, tötete sämtliche Insassen und warf sich durch die Heckscheibe auf die Motorhaube des Wagens dahinter. Der dritte Agent hob einen der gepanzerten Wagen hoch und benutzte ihn, um damit nach einem anderen zu schlagen. Schwarze Wagen kamen mit kreischenden Rädern zum Stehen, Männer ergossen sich aus ihnen und feuerten aus allen möglichen Arten von Waffen. Bald war die ganze Straße voller Männer bösen Willens, denen von drei Gestalten in goldener Rüstung entsetzliche Dinge angetan wurden.

Sie machten mich stolz, ein Drood zu sein.

»Zeit zu verschwinden!«, raunte ich Molly zu.

»Verflucht, deine Angehörigen sind gut!«, sagte sie.

* * *

Wir schlichen uns weg, bloß zwei weitere entsetzte Fußgänger, die vor dem Gemetzel die Flucht ergriffen. Plötzlich bemerkte ich, dass auf Mollys Gesicht Blut war; es tropfte ihr aus der Nase und lief ihr aus dem Mund übers Kinn. Sie versuchte, es mit einem kleinen Seidentaschentuch aus ihrem Ärmel abzutupfen, was jedoch nur dazu führte, dass sie es noch mehr verteilte. Ich unterbrach sie und nahm mein eigenes Taschentuch heraus. Molly blieb still stehen und ließ mich das Blut von ihrem Gesicht abtupfen.

»Was ist passiert?«, fragte ich. »Bist du getroffen worden? Hat dich eine Kugel erwischt?«

»Nein«, antwortete Molly, »das habe ich selbst zu verantworten. Ich hab's dir ja gesagt: Raumportale sind ernst zu nehmende Magie; sie verlangen mir viel ab. Und was ich dann obendrein noch mit dem Motorrad gemacht habe … Für Magie muss man immer bezahlen, auf die ein oder andere Art. Deshalb sind Rituale und Vorbereitung ja auch so wichtig: Sie rufen die für meine Zauber nötigen Energien hervor, sodass ich nicht auf die Reserven meines eigenen Körpers zugreifen muss. Und für dich habe ich kürzlich eine Menge schneller und schmutziger Zauber gewirkt, Eddie.«

»Es tut mir leid«, sagte ich. »Das wusste ich nicht. Mir war nicht klar, was ich von dir verlangt habe. Glaub nicht, ich wüsste das nicht zu würdigen! So, jetzt siehst du besser aus.«

»Danke.«

»Schon gut. Ich kann doch nicht zulassen, dass du Aufmerksamkeit auf uns ziehst, oder?«

»Du bist ja so ein Gentleman!« Sie sah mich an. »Du siehst selbst ziemlich … scheiße aus, Eddie. Was macht der Arm?«

»Ist schlimmer ohne die Rüstung.«

»Das Gift breitet sich aus, stimmt's?«

»Ja. Das Schmerz ist über meine Schulter gewandert und sitzt jetzt auch in meinem Brustkorb. Sind wir weit von deinem nächsten vogelfreien Agenten weg?«

»Nicht allzu sehr. Ich bin die ganze Zeit über schon in die allgemeine Richtung gefahren; von hier aus können wir ihn zu Fuß erreichen.«

»Gut! Dann wollen wir mal den Maulwurf in seinem Loch besuchen!«

»Witzig, dass gerade du das sagst«, meinte Molly.

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