Kapitel Neun Träume sind Schäume

Ich begab mich zurück in die U-Bahn und nahm den Zug zum Bahnhof Leicester Square. Im Wagen wollte niemand neben mir sitzen; es standen sogar Leute auf, um sich von mir weg zu setzen. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass ich immer noch nach Moschus aus dem Kit Kat Club stank. Dennoch lächelten mehrere Frauen mir zu. Und ein paar Männer. Schließlich tauchte ich wieder aus der Bahnstation auf und schlenderte die St. Martin's Lane entlang. Mittlerweile rückte der Abend heran, und die Leute hauten in fröhlich schnatternden Gruppen auf den Putz. Niemand schenkte mir die geringste Beachtung, daraus schloss ich, dass sich der Moschus an der freien Luft verlor. Es war ein gutes Gefühl, wieder sicher anonym zu sein.

Die Gegend um die St. Martin's Lane ist recht nett; lauter Theater und Restaurants, freundliche Kaufhäuser und Geschäfte. Alles sehr kultiviert eigentlich. Ich folgte der Straße, die eine Kurve beschrieb, bis ich zur nächsten Adresse auf meiner Liste kam: dem sehr geheimen Zuhause und Versteck der Kulissenschieber. Wahrscheinlich die gefährlichste Gruppierung auf der Bildfläche, auf ihre eigene unbedeutende Art. Und so heikel im Umgang, dass es mir nie erlaubt gewesen war, direkten Kontakt zu ihnen zu haben, obwohl sie definitiv zu meinem Revier gehörten. Die Kulissenschieber unterlagen der alleinigen Verantwortlichkeit einer speziellen Gruppe innerhalb der Familie, und mich hatte man sehr bestimmt angewiesen, die gebührende Distanz zu wahren.

Aber - die Dinge ändern sich.

Im Wesentlichen arbeiten die Kulissenschieber hinter den Kulissen der Realität, wo sie hier und da kleine Details manipulieren, um den Zustand der Welt zu ihrem Vorteil zu verändern. Es gibt Mitglieder der Drood-Familie, deren ausschließliche Aufgabe darin besteht, diese Manipulationen zu entdecken und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Wir gehen davon aus, dass wir am Gewinnen sind, einfach aus dem Grund, weil die Kulissenschieber die Welt noch nicht tatsächlich beherrschen. Soweit wir es sagen können …

Von außen sah die Anschrift wie ein ganz normales Gebäude aus, Teil einer ziemlich modernen Häuserreihe mit hellem weißem Stein und übergroßen Fenstern, aber da war etwas an dem Haus … etwas, wobei sich einem die Nackenhaare stellten und was einen abgeneigt machte zu verweilen. Passanten beschleunigten ihre Schritte und wandten die Augen ab, ohne es auch nur zu merken. Ich stand vor dem Haupteingang und betrachtete ihn finster und nachdenklich. Ein Frontagent lernt, sich auf seine Instinkte zu verlassen, und jeder Instinkt, den ich besaß, schrie mir zu, mich in Windeseile von diesem furchtbaren Ort fortzumachen. Allein dort zu stehen rief in mir ein Gefühl der … Beunruhigung, der Beklommenheit, der Gefahr für Leib und Seele hervor. Als ob ich, ginge ich hinein, Dinge sehen mochte, die zu sehen ich nicht ertragen konnte, oder Dinge erfahren, die ich nicht wissen wollte. Selbst mit dem Torques um meinen Hals, der mich vor äußeren Einflüssen abschirmte, bedurfte es noch all meiner Willenskraft, um nicht zu weichen.

Während ich das Gebäude aufmerksam betrachtete und mich weigerte wegzuschauen, begannen die Einzelheiten sich zu verschieben und zu fließen, wie ein schmelzendes Gemälde. Als ob ein Deckanstrich fortgespült würde, sodass das wahre Bild darunter zum Vorschein kam. Genau wie es in den Familienberichten hieß, wurde das Hauptquartier der Kulissenschieber von einem Unsicherheitszauber beschützt: Man musste sich sicher sein, dass das, wonach man suchte, da war, oder aber es wäre es nicht. Letztendlich war alles eine Frage der geistigen Disziplin. Die jetzt bei mir zu entdecken für gewisse Familienmitglieder, die in Klassenzimmern getönt hatten, ich hätte keine, ein Schock gewesen wäre.

Während ich mit vor Konzentration grimmiger Miene zusah, löste sich das Bürogebäude vor mir einfach auf wie ein flüchtiger Gedanke und gab meinen Blicken das wahre Bauwerk darunter preis: eine alte Kirche mit wuchtiger Holz- und Gipsfassade, überwölbtem Eingang und mittelalterlichen Farbglasfenstern. Sie war halb so groß wie die modernen Gebäude, die zu beiden Seiten von ihr aufragten, aber es lag eine grundlegende Stärke und Festigkeit in diesem Ort, die irgendwie beruhigend war. Meine Instinkte kribbelten immer noch, aber immerhin verspürte ich nicht mehr den Drang wegzurennen. Ich schritt zur Vordertür und klopfte an, als ob ich einen Grund hätte, da zu sein.

Wenn man mit Leuten zu tun hat, die Tag für Tag die Realität verändern, macht es nicht viel Sinn zu versuchen, sich hineinzuschleichen. Sie hatten wahrscheinlich vor mir gewusst, dass ich unterwegs war, um sie aufzusuchen. Und mit Sicherheit hatte ich nicht vor, mich aufzuspielen; es gab sehr klare Grenzen für den Schutz, den man von meiner Rüstung erwarten durfte. Ich beabsichtigte, wenn die Tür sich öffnete, außerordentlich höflich zu sein und die ganze mir zu Gebote stehende Vernunft walten zu lassen. Ich beabsichtigte auch, viel zu lächeln und wie ein Irrer loszurennen, falls meine Kleider anfangen sollten, sich zu verfärben.

Die Tür öffnete sich und ließ eine gut gelaunt dreinschauende Person sehen, einen beruhigend gewöhnlichen Typen in einem schmutzigen Arbeitskittel. Er war ungefähr in meinem Alter, ein bisschen schmuddelig, hatte ein angenehmes Gesicht und im Mundwinkel eine Zigarette, die er nicht extra rausnahm, als er sprach. Er nickte mir unbeschwert zu.

»Hallo, mein Herr. Auf der Suche nach den Kulissenschiebern, nicht wahr? Dachte ich mir schon. Ich bin Bert. Ich mache die ganze wirkliche Arbeit hier, während die anderen alle ausgeflogen sind, um die Welt zu retten. Jemand muss den Zustand der Rohrleitungen überprüfen und die Pfützen aufwischen! Hätten Sie Lust auf eine Tasse Tee? Ich hab den Kessel aufgestellt … Naja, machen Sie, was Sie wollen! Aber sagen Sie nicht, ich hätte Ihnen keinen angeboten! Nur herein, nur herein! … Dann sind Sie also der neue vogelfreie Drood, richtig? Edwin Drood? Sehr erfreut! Irgendwie hab ich Sie mir größer vorgestellt, sozusagen … Macht nichts! Sie sind hier auf der Suche nach Schutz, stimmt's?«

»Neuigkeiten machen schnell die Runde«, sagte ich trocken, sobald ich zu Wort kommen konnte. Ich betrat die Kirche, und er schloss die Tür hinter mir. Ich lauschte angestrengt, hörte aber nicht, dass er sie absperrte. Das Kircheninnere war typisch altmodisch religiös, ein bisschen düster, aber durch die Farbglasfenster strömte lebhaft gefärbtes Licht herein. Es gab jedoch weder Kirchengestühl noch einen Altar, und die einzigen religiösen Symbole waren jene, die schon von Anfang an in die alten Steinmauern gemeißelt gewesen waren. Es mochte eine Kirche sein, aber seine Andacht hatte hier offenbar schon seit einiger Zeit niemand mehr verrichtet.

»Oh, wir wissen immer, was vor sich geht!«, erklärte Bert aufgeräumt. »Wir erfahren alles in dem Moment, wo es passiert, und manchmal auch mehrere Monate vorher. Ich habe immer gesagt, mit einem guten Klatschmagazin (für den anspruchsvollen Kundenkreis, nichts Ordinäres) könnten wir uns eine goldene Nase verdienen, aber ich kann es nicht mal auf die Tagesordnung des Ausschusses bringen. Diese Herrschaften schweben in höheren Sphären! Sie sind gekommen, um bei uns anzufangen, Edwin, nicht wahr? Das sollten Sie auch; wir machen hier wichtige Arbeit, wenn wir nicht gerade endlose Diskussionen darüber führen, was einen Schlüsselmoment in der Geschichte ausmacht und in welche Richtung wir das Zünglein an der Wage ausschlagen lassen sollten. Ich frage Sie, wer glaubt denn wirklich, dass der Zweite Weltkrieg hätte abgewendet werden können, wenn man Hitler seinen fehlenden Hoden zurückgegeben hätte? Aber ich sag Ihnen was, mein Herr: Sie kommen mit mir mit und ich zeige Ihnen das Wichtigste, während wir darauf warten, dass die anderen auftauchen. Wie wäre das?«

»Werden die anderen denn nichts dagegen haben, wenn wir ohne sie anfangen?«, wandte ich vorsichtig ein. Ich war mir nicht sicher, was ich hier vorzufinden gedacht hatte, aber Bert gehörte todsicher nicht dazu.

»Aber keineswegs werden sie was dagegen haben! Sie wurden bereits erwartet, mein Herr; wir haben uns alle darauf gefreut, dass Sie hier aufkreuzen! Was wir alles vollbringen könnten mit einem Drood an unserer Seite! Und, um ehrlich zu sein, wir könnten ein bisschen frisches Blut in der Gruppe gebrauchen. Ganz zu schweigen von jemandem mit einem Hang dazu, die Dinge auch wirklich zu erledigen, statt nur herumzusitzen und darüber zu reden. Ich schwöre Ihnen, wir würden mittlerweile diese Welt beherrschen, wenn die Ausschussmitglieder nur dann und wann die Köpfe aus den Ärschen kriegen würden!«

Er steuerte den hinteren Teil der Kirche an, die Hände in den Taschen seines Kittels, die Zigarette immer noch lässig im Mundwinkel. Ich ging ihm hinterher und hatte dabei ein wachsames Auge auf Überraschungsangriffe oder sich verändernde Realitäten, aber alles schien sehr ruhig und friedlich.

»Also«, sagte ich beiläufig, »was ist denn diese wichtige Arbeit, die Sie hier machen, Bert?«

»Wir besiegen den Teufel, Tag für Tag.« Zum ersten Mal klang Bert völlig ernst. »Er ist es nämlich, der diese Welt regiert, nicht Gott. Gott hat schon längst nichts mehr zu sagen. Ich meine, Sie brauchen sich doch bloß mal umzuschauen, um es selbst zu sehen. So war die Welt eigentlich nicht gedacht. Nicht dieses … Durcheinander. Wir sollten eigentlich im Paradies leben. Aber irgendetwas ist vor langer Zeit geschehen, und seit jener Zeit treibt der Teufel seine Spielchen mit der Menschheit, der Scheißkerl. Erzählt uns Lügen, treibt uns zur Verzweiflung, foltert uns jeden Tag mit falschen Hoffnungen, unmöglichen Ambitionen und Chancen, die er uns im letzten Moment wegschnappt. Warum stoßen guten Menschen schlimme Dinge zu? Warum werden schlechte Menschen reich? Weil der Typ, der die Verantwortung hat, sich einen Spaß daraus macht, deshalb! Er macht uns diese Welt zur Hölle, aus lauter Jux und Tollerei. Manche sagen, der dickste Bär, den der Teufel uns jemals aufgebunden hat, war uns glauben zu machen, dass Liebe real ist …«

»Oh!«, sagte ich. Mir fiel nichts ein, was ich sonst hätte sagen können, außer vielleicht: Haben Sie in jüngster Zeit irgendwelche Medikamente abgesetzt?

»Aber Stück für Stück ändern wir die Welt, die der Teufel erschaffen hat«, fuhr Bert vergnügt fort. »Schreiben die Realität neu und machen die Welt zu etwas Schönerem und Gerechterem. Wir stehlen die Welt zurück, Schritt für Schritt, und machen sie zu etwas, das es wert ist, darin zu leben. Wir gehen alle nach Hause - ins Paradies. Deshalb haben die Gründungsmitglieder diesen Ort zu unserem Hauptquartier erkoren: Jahrhunderte angesammelten Glaubens und heiliger Ideale helfen dabei, dass der Teufel nicht merkt, dass wir hier sind.«

»Der Teufel hat also nicht immer die Welt beherrscht?«, fragte ich vorsichtig. »Früher einmal hat Gott das Sagen gehabt?«

»O ja! … Es heißt, der Teufel hat Gott die Kontrolle über die Welt entrissen, nachdem er die Römer überredet hatte, Christus zu kreuzigen. Der Sohn Gottes sollte eigentlich nie sterben! Er war dazu vorgesehen, auf immer bei uns zu bleiben und uns zu lehren, wie man ein anständiges Leben führt. Aber als er tot war, schlich sich der Teufel hinein und stahl die Schöpfung vom Schöpfer. Und seitdem haben wir den Scheißkerl am Hals. Er vermasselt die Leben aller, in seiner ganz privaten Folterkammer, nur so aus Spaß. Hier entlang, mein Herr. Vorsicht, Stufe!«

Bert führte mich hinten aus der Kirche heraus und in einen großen Vorraum, der vollgestopft mit Männern und Frauen war, die um lange Tische herum saßen. Alle trugen leuchtend rote Roben samt Kapuzen. Sie lasen Zeitungen, Illustrierte und Bücher und machten sich sorgfältige Notizen in ihren Laptops. Ein paar sahen auf und nickten Bert zu, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmeten. Regale säumten alle vier Wände, vollgepackt mit Büchern und gebundenen Magazinen vom Boden bis zur Decke.

»Dies ist der Ort, wo wir die Welt studieren«, erklärte Bert würdevoll. »Durch ihre Medien, ihre Geschichtsbücher und jeden aktuellen Kommentar. Es gibt noch ein anderes Zimmer, wo sie nichts machen als jeden einzelnen Nachrichtensender zu schauen, den ganzen Tag lang. Diese Leute müssen wir regelmäßig auswechseln, sonst fangen sie an, Verschwörungstheorien zu entwickeln, und ehe man sich's versieht, hat man ein Schisma auf dem Hals. Und selbstverständlich wäre da noch unser weitreichendes Netz von Anhängern und Mitläufern, das sich über die ganze Welt erstreckt und uns darüber auf dem Laufenden hält, was wirklich los ist. Wenn Sie wüssten, was Bill Gates als Nächstes vorhat, würden Sie sich vor Angst in die Hosen machen! Wir sind ständig auf der Suche nach jenem kritischen Faktor, jenem Schlüsselmoment, wo das Umstoßen von einem kleinen Dominostein alle anderen umkippt … Kommen Sie, kommen Sie; es gibt noch viel mehr zu sehen!«

Er führte mich über eine lange, hölzerne Wendeltreppe, die besorgniserregend unter unserem Gewicht knarrte, nach unten, bis wir schließlich in einer Steinkammer mit niedriger Decke tief unter der Kirche herauskamen, die voller blubbernder Chemikalienbottiche stand, die fast so hoch wie ich und sehr viel breiter waren. Grellbunte Flüssigkeiten wallten aus den Bottichen und durch scheinbar Meilen von dicken Rockleitungen aus Gummi, die an Wände und Decke geklammert waren. Überall gab es Messgeräte und Ventile und Räder und einige ziemlich primitive Filteranlagen. Ich hatte schon Destillierapparate gesehen, die komplizierter waren. Bert huschte in der Kammer hin und her, fuhrwerkte an den Apparaturen herum, verstellte hier ein Ventil und drehte dort an einem Rad. Er klopfte mit einem Fingerknöchel auf einen Druckmesser, rümpfte die Nase über die Anzeige und drehte sich dann um, um mir stolz zuzulächeln.

»Es ist eine sehr empfindliche Anordnung«, verriet er mir, indem er einen in der Nähe stehenden Bottich liebevoll tätschelte. »Muss natürlich ständig überwacht werden. Die Gründer haben das alles konstruiert, vor Jahren, und sie lassen nicht zu, dass ich etwas ändere. Auch wenn sie viel zu durchgeistigt sind, um selbst regelmäßig hier runterzukommen und sich die Hände schmutzig zu machen. Nicht dass ich wollte, dass sie an den Sachen herumpfuschen, jetzt, wo ich es gerade geschafft habe, dass alles richtig läuft.«

Er blickte mich erwartungsvoll an. Ich hatte keinen Schimmer, was ich über seine feine Anordnung sagen sollte, also nahm ich Zuflucht zu einer anderen Frage, die mich beschäftigte.

»Wenn die Heiligkeit der Kirche ausreicht, um Sie vor dem Teufel zu verbergen, wozu brauchen Sie dann noch den Unsicherheitszauber?«

Bert wirkte ausgesprochen enttäuscht von mir, machte aber unermüdlich weiter und antwortete. »Es handelt sich nicht direkt um einen Zauber als solchen; es ist eigentlich mehr das, was man als eine Nebenwirkung bezeichnen würde. Kommt vom Roten König, unten im Traumraum. Oder Professor Redmond, wie er früher hieß. Wir nennen ihn den Roten König nach der Figur in Alice hinter den Spiegeln. Kennen Sie den noch? Er lag in einem tiefen Schlaf und träumte, und alle hatten Angst, ihn zu wecken, denn sie glaubten, dass er die Welt träumte und alles darin. Würde er also aufwachen, würden sie alle aufhören zu existieren. Möchten Sie ihn gerne kennenlernen? Normalerweise geben wir nicht vor Besuchern mit ihm an, aber andererseits sind Sie ja jemand Besonderes, nicht wahr?«

Ich war noch im Versuch begriffen, darauf eine Antwort zu formulieren, als wir von der Ankunft eines Manns und einer Frau unterbrochen wurden, die durch eine Tür auf der anderen Seite die Kammer betraten. Beide umhüllte die allgegenwärtige lange rote Robe, und beide umgab eine eindeutige Aura der Autorität. Sie waren mittleren Alters, hatten lange, asketische Gesichter und ernste Mienen. Bert nickte ihnen bloß zu, auffällig unbeeindruckt.

»Danke, Bert«, sagte der Mann. »Ab hier übernehmen wir.« Er lächelte mich kühl an. »Ich bin Bruder Nathaniel, und dies ist Schwester Eliza. Willkommen bei den Kulissenschiebern, Edwin Drood!«

Ich nickte kühl zurück. Ich mochte seine Augen nicht und ihre auch nicht. Sie hatten beide diesen Blick, diese Gewissheit jenseits jedes Zweifels, übermenschlich fokussiert, gnadenlos in ihrer Logik. Die Augen von Fanatikern.

»Ich bin hier, weil ich nach einigen Antworten suche«, sagte ich.

»Tun wir das nicht alle?«, entgegnete Nathaniel. »Kommen Sie, fragen Sie uns irgendetwas; wir werden nichts vor Ihnen verheimlichen. Bert, in den Sekundäranlagen ist etwas übergelaufen. Falls es dir nichts ausmacht …«

»Schon gut, schon gut! Ich werde gehen und euer Durcheinander in Ordnung bringen, während ihr Edwin den altbewährten aufmunternden Vortrag haltet.« Er nickte mir ungezwungen zu. »Viel Spaß mit dem Roten König und seinen Träumen! Passen Sie auf, dass Sie anschließend keine Albträume haben!« Mit einem letzten großspurigen Zwinkern verließ er den Raum.

»Fabelhafter Bursche«, sagte Nathaniel. »Ein unschätzbares Mitglied unseres Personals, auch wenn ich ihm das nie sagen würde - er könnte sonst mehr Lohn wollen. Nun denn, Edwin; Schwester Eliza und ich leiten den Betrieb hier, im gleichen Maß wie jeder andere hier. Wir denken gerne von uns als einer Genossenschaft. Erwarten Sie nicht von der guten Eliza, etwas zu sagen: Sie hat keine Zunge mehr. Manchmal haben die kleinen Veränderungen, die wir vornehmen, die unerwartetsten Auswirkungen …«

»Bert hat etwas von Gründungsmitgliedern erwähnt«, sagte ich, nur um etwas zu sagen.

»Oh, ja, das sind wir. Wir waren sechs, ursprünglich, aber jetzt sind wir sieben. Noch eine Nebenwirkung …«

»Wie viele Leute haben die Kulissenschieber?«, fragte ich und versuchte damit, eine Frage zu stellen, die vielleicht eine geringe Chance auf eine klare Antwort haben mochte.

»Oh, mehr als Sie denken würden!«, sagte Nathaniel und lächelte kühl. »Gewiss weit mehr, als Ihre Familie denkt. Sie wären überrascht, Edwin. Unsere Reihen wachsen ständig, denn wir öffnen den Menschen die Augen und zeigen ihnen die schreckliche Wahrheit. Wir sind die wahre Heilsarmee; wir führen einen heiligen Krieg gegen den Teufel und all seine Werke. Bert hat Sie mit den Grundlagen vertraut gemacht, nehme ich an? Schön, schön … Ich finde, es ist an der Zeit, dass Sie das Zentrum unserer Operationen kennenlernen, unseren ganz persönlichen Roten König, Professor Redmond. Wir sind alle sehr stolz auf ihn. Hier entlang, bitte …«

»Aber da sind noch Fragen, die ich Ihnen stellen muss«, sagte ich. »Über meine Familie, und warum man mich für vogelfrei erklärt hat …«

»Ja, ja,«, sagte Nathaniel, »alles zu seiner Zeit. Sie können nicht wirklich würdigen, was wir hier machen, bevor Sie nicht den Roten König kennengelernt haben.«

Er und die stumme Schwester Eliza geleiteten mich höflich, aber bestimmt durch das Labyrinth der Chemikalienbottiche und sich windender Schläuche zu einer Tür im rückwärtigen Teil der Kammer und durch diese hindurch in einen langen Steingang, der sich von uns weg erstreckte und in die Erde hinabsenkte. Dicke pulsierende Rohre wurden von Krampen an den unbehauenen Steinmauern gehalten; eine Reihe nackter Glühbirnen an der Decke spendete Licht. Wir folgten den Rohren eine Zeit lang den Gang hinunter, bis ich das Gefühl dafür verlor, wie tief unter der Kirche und den Straßen Londons wir uns eigentlich befanden. Die Luft war kühl und feucht, und an den Mauern lief Wasser herab.

»Haben Sie hier unten kein Wachpersonal?«, fragte ich nach einer Weile, einfach um das Schweigen zu brechen.

Nathaniel zuckte unbeschwert mit den Schultern. »Der Unsicherheitseffekt hält das Gesindel fern, wohingegen die Heiligkeit der Kirche uns vor dem Teufel und seinen Jüngern verbirgt. Und der Rote König träumt, dass er sicher ist, also ist er es …«

»Wie funktioniert das alles?«, fragte ich ein klein wenig verzweifelt. »Dieses ganze … Kulissenschiebereiding?«

»Es ist wirklich ganz einfach«, antwortete Nathaniel in jener selbstgefälligen Art, die einem sagt, dass es überhaupt nicht einfach werden wird. »Während der Rote König schläft, träumt er. Unaufhörlich. Und solange er sich in diesem Zustand befindet, ist er in der Lage, hinter die Kulissen der Realität zu blicken, sozusagen. Wie die Dinge wirklich funktionieren und wie sie zusammengesetzt sind. Wir können seine Träume beeinflussen und ihn überreden, kleine Veränderungen vorzunehmen. Und die Veränderungen, die er dort vornimmt, wirken sich aus auf die Dinge hier, in der Realität. Wir geben uns nur mit kleinen Veränderungen ab, nie mit großen, ganz egal wie groß die Versuchung auch sein mag. Sie könnten von … Sie-Wissen-Wem bemerkt werden.

Ich frage mich oft, was genau der Professor wohl sieht in seinen Träumen. Wir können es nur vermuten. Und hie und da einen Vorschlag in sein Ohr flüstern; er befindet sich in einem sehr suggestiven Zustand. Allerdings muss man sich sehr genau überlegen, um was man bittet, und sehr spezifisch sein. Wussten Sie, dass es in Schottland einmal Pyramiden gab? O ja; sie waren sogar eine riesige Touristenattraktion! Aber der Rote König träumte sie fort, und nun sind sie verschwunden, und niemand erinnert sich mehr an sie außer uns. Ihrer Familie ist das entgangen, was, wie ich manchmal denke, eigentlich eine Schande ist … Trotzdem, genügend kleine Veränderungen summieren sich, wenn Ihre Familie sich nicht einmischt. Wir sind so froh, dass Sie sich uns anschließen wollen, Edwin!«

»Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte ich.

»Aber Sie werden es«, meinte Nathaniel. »Sie werden.«

Unvermittelt kicherte Schwester Eliza. Das Geräusch, das sie ohne Zunge machte, war unschön, beunruhigend; sogar Nathaniel fuhr ein wenig zusammen. Der Gang beschrieb plötzlich eine Biegung und entließ uns in ein kleines Steingelass, kaum vier Meter im Durchmesser, gerade so düster erleuchtet, dass es noch angenehm für die Augen war. Die Wände waren annähernd so bemalt, dass sie dem Nachthimmel ähnelten, mit Sternbildern und einer Prozession des Mondes in all seinen Phasen. In der Mitte des Raums stand ein Marmorsockel und auf diesem, von einem reich verzierten Gitterwerk aus Kupferdraht an Ort und Stelle gehalten, ein abgetrennter menschlicher Kopf. Männlich, mittleren Alters, schlaffe Gesichtszüge. So, wie der ausgefranste Halsstumpf aussah, hatte derjenige, der ihn abgeschnitten hatte, nicht viel Übung darin gehabt. Jemand hatte einen frischen Lorbeerkranz um die tief gefurchte Stirn gelegt. Der Kopf atmete nicht, aber hinter den geschlossenen Augenlidern huschten die Augen mit den schnellen Bewegungen der REM-Phase hin und her. Um das Unterteil des Sockels herum hatte jemand mit mathematischer Präzision ein herkömmliches Pentagramm gezeichnet. Und um dieses herum hatte jemand eine Reihe von Ritualkreisen gezogen, die Symbole und Piktogramme eines halben Dutzends vergessener Kulturen enthielten. Da hatte jemand seine Hausaufgaben gemacht.

Nathaniel bedeutete mir, den Hinterkopf in Augenschein zu nehmen, also ging ich um den Sockel herum und warf einen Blick darauf. Dicke Gummischläuche waren in den rückwärtigen Teil des Kopfs des Mannes gestöpselt worden, zogen sich über den Boden und verschwanden durch die Tür in den Gang, vermutlich den ganzen Weg zurück hoch zu den Chemikalienbottichen. Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können, und zuckte zusammen, als ich die primitiven Eintrittslöcher der Schläuche bemerkte. Das war nicht die Arbeit eines Chirurgen. Jemand hatte einfach in den hinteren Schädel gebohrt und dann die Schläuche in das freiliegende Hirn durchgeschoben. Ich umrundete den Kopf und betrachtete das Gesicht. Es sah weder glücklich noch unglücklich aus. Wären nicht die Bewegungen der Augen gewesen, ich hätte nicht gewusst, dass er noch lebte.

»Wieso nur ein Kopf?«, fragte ich schließlich.

»Nun«, sagte Nathaniel, »es war halt nicht so, als ob wir den Rest von ihm wirklich gebraucht hätten, und einen ganzen Körper am Leben und in guter Verfassung zu erhalten, hätte unsere Ausgaben beträchtlich erhöht. Als wir anfingen, waren wir ein ziemlich kleines Unternehmen. Nur der Professor und ein halbes Dutzend seiner besten Studenten … Die Schläuche erhalten den Kopf am Leben und die Drähte berieseln die Stirnlappen unaufhörlich mit Schwachstrom und stellen sicher, dass er nicht aufwacht und tief in seinem Traumzustand bleibt. Über die Schläuche wird er mit gewissen Konservierungsmitteln und allen notwendigen Drogen versorgt. Theoretisch könnte er sich ewig halten. Ach ja, die Drogen. Das haben wir noch nicht erklärt, stimmt's? Wir führen dem Professor einen ganz speziellen Cocktail aus starken psychotropen Chemikalien zu, alles Mögliche von LSD über Taduki bis hin zu Stechapfel, alles gemäß den eigenen Theorien des Professors. Die Drogen schieben seinen Verstand empor und hinaus, während er träumt, und sprengen die Türen der Wahrnehmung geradewegs aus den Angeln, sodass er sehen kann, was dahinter und jenseits davon liegt.«

»Wer war er ursprünglich?«, fragte ich. »Wie ist er hierzu gekommen?«

»Nun, es war alles seine eigene Idee, ursprünglich«, erklärte Nathaniel mit einem ziemlich selbstgefälligen Lächeln. »Er war damals unser Professor an der Themse-Universität. Ein bemerkenswerter Kopf; wirklich bemerkenswert. Er wurde zu unserem Führer, unserer Inspiration. Er hielt uns diese fantastischen Vorlesungen, verstehen Sie; über schamanische Drogen und Traumphasen und wie sie kombiniert werde könnten, um Zugang zu anderen Ebenen der Realität zu erlangen. Er sprach auch viel über etwas, was er Experimentatorenabsicht nannte, wo die Absicht des Wissenschaftlers tatsächlich das Ergebnis des von ihm durchgeführten Experiments verändern konnte. Es war nicht sonderlich fernliegend, diese Ideen zu kombinieren …

Der Professor war wirklich ziemlich überrascht, als wir schließlich zu ihm gingen, alle seine sechs Lieblingsstudenten, und ihm erzählten, dass wir einen Weg gefunden hatten, seine Theorien in eine durchführbare, praktische Lösung für sämtliche Probleme der Welt zu umzusetzen. Noch überraschter war er, als wir ihn hier runterbrachten, ihm zeigten, was wir getan hatten, und ihm mitteilten, dass ihm die einzigartige Ehre zuteilwürde, unser Roter König zu sein: der Mann, der die Welt verändern und uns alle vor dem Teufel retten würde. Genau genommen reagierte er sogar sehr negativ, als wir ihm erklärten, was genau wir beabsichtigten. Er fing tatsächlich an zu weinen, als wir ihm die Knochensäge zeigten und ihn herunterdrückten …

Aber das war alles vor langer Zeit. Seitdem hat er so gute Arbeit geleistet, all die Jahre geschlafen und geträumt, ohne Unterbrechung. Je länger man nämlich schläft, umso tiefer träumt man und umso weiter können die Drogen einen wegführen. Er träumt dieser Tage sehr tief und sehr stark. Ich weiß genau, dass er sehr stolz auf das wäre, was wir mit seiner Hilfe getan haben …«

»Da würde ich nicht drauf wetten«, sagte ich. »Nach dem, was Sie ihm angetan haben - sollte er jemals aufwachen, wird das das Ende Ihrer Welt sein.«

»Sie kennen ihn nicht so gut, wie wir es taten«, widersprach Nathaniel. »Er würde es verstehen. Er hat uns immer gesagt, es sei unsere Pflicht, hinauszugehen und die Welt zu verändern. Und wie wir immer bereit sein müssten, Opfer für das Gemeinwohl zu bringen. Und das taten wir. Wir opferten ihn. Wissen Sie, wir ringen immer noch darum, die Bedeutung dessen, was wir hier eigentlich tun, zu begreifen. Wir ruhen uns nicht einfach auf unseren Lorbeeren aus, o nein! Manchmal frage ich mich, ob nicht vielleicht die ganze Welt und alles darin nur ein Traum ist. Des Teufels Traum. Und das der Grund ist, weshalb der Professor in der Lage ist, darauf zuzugreifen und Teile davon zu ändern. Wenn das der Fall ist, dann müssen wir aufpassen, dass wir den Teufel mit unseren Veränderungen nicht stören, sonst könnten wir ihn aufwecken …«

»Na schön!«, sagte ich. »Das reicht. Sie sind ein Irrer! Ihr Leute wisst überhaupt nichts mit Sicherheit, oder? Alles nur Theorien und Vermutungen und unausgegorene, geklaute Gedankengebäude.«

»Wir lernen durch eigenes Handeln«, entgegnete Nathaniel mehr als nur ein bisschen blasiert. »Denn alles muss besser sein als die Welt, in der wir gezwungen sind zu leben. Deshalb müssen Sie sich uns anschließen, Edwin. Denn wir sind nicht der Feind, für den uns Ihre Familie immer ausgibt. Wir sind die Guten. Wir sind die letzte Hoffnung der Menschheit.«

»Das denke ich nicht«, sagte ich. »Ich habe die Berichte der Familie darüber gelesen, was Sie getan haben und versucht haben zu tun. Die Veränderungen, die Sie herbeizuführen versucht haben. Jede einzelne davon befasste sich damit, die Welt nach Ihrer Vorstellung neu zu erschaffen, nicht nach der Gottes. Veränderungen, um Ihre Anschauungen, Ihre Wünsche, Ihre Bedürfnisse zu fördern. Um die Kulissenschieber einflussreich und wichtig und zu einer mächtigen Stimme in den Angelegenheiten der Menschheit zu machen.«

»Natürlich«, stimmte Nathaniel mir zu. »Wie sonst können wir wirkliche Veränderung bewirken? Dauerhafte Veränderung?«

»Ihre Träume sind so klein!«, sagte ich. »So unbedeutend. Kein Wunder, dass Sie nie etwas erreicht haben, was von Bedeutung war. Ich werde mich Ihnen niemals anschließen!«

»Aber sicher werden Sie das«, meinte Nathaniel. »Genau genommen haben Sie das bereits. Die ganze Zeit über, in der sie so angenehm mit Bert geplaudert haben, waren wir hier unten und haben dem Professor ins Ohr gemurmelt, und der Rote König hat seinen kleinen Traum geträumt und die Veränderung so glatt vonstattengehen lassen, dass Sie sie nicht einmal bemerkt haben. Sie sind einer von uns, Edwin. Sie sind immer einer von uns gewesen.«

Ich sah an mir herab, und ich trug eine lange rote Robe, genau wie er. Genau wie Schwester Eliza. Natürlich trug ich sie. Es war dieselbe Robe, die ich immer trug, wenn ich hierherkam, um meine lieben Freunde bei den Kulissenschiebern zu besuchen. Seit Jahren arbeitete ich jetzt schon für sie, seit ich zum ersten Mal nach London gekommen war, ihr ganz eigener Maulwurf in der Drood-Familie. Es tat gut, wieder unter meinen Freunden zu sein, in meiner altvertrauten Robe, an diesem vertrauten Ort. Ich lächelte Nathaniel und Eliza zu, und sie lächelten zurück. Es tat gut, wieder zu Hause zu sein.

Das Einzige, was nicht hierhergehören zu schien … war meine Armbanduhr. Ich betrachtete sie dümmlich. Etwas an ihr nagte an meinem Verstand. Nathaniel redete mit mir, aber ich hörte nicht zu. Da war etwas mit der Uhr, etwas Wichtiges, etwas … Besonderes, an das ich mich erinnern sollte. Mein Torques brannte kalt um meinen Hals, als ob er versuchte, mich zu beschützen, wenngleich ich mir nicht denken konnte, wovor. Ich berührte die Armbanduhr mit der rechten Hand und ließ meine Fingerspitzen darüber wandern, ohne auf Nathaniels zunehmend ärgerliche Worte zu achten. Die Uhr, die der Waffenschmied mir gegeben hatte, bevor ich das Herrenhaus verlassen hatte. Die Umkehruhr, die die Zeit zurückspulen konnte …

Ich drückte auf den Knopf, und die Zeit blieb abrupt stehen und legte den Rückwärtsgang ein. Licht und Schall zuckten schmerzlich um mich herum, als die Uhr die jüngere Zeit umkehrte und mich kurz vor den Moment zurückbrachte, wo Nathaniel mir erzählte, dass ich verändert worden war. Und in diesem Moment, während die Zukunft noch anpassungsfähig und im Fluss war, zog ich meinen Repetiercolt und schoss Professor Redmond mitten zwischen die Augen.

Die Kugel durchschlug seinen Kopf und sprengte Stücke kaputter Schläuche und Hirnmasse aus dem hinteren Teil seines Schädels. Seine Augen klappten auf, und zum ersten Mal seit Jahren war der Rote König endlich wach. Sein Mund weitete sich zu einem stummen Schrei der Wut und des Entsetzens, und der Ausdruck in seinem Gesicht und seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er wusste, was man mit ihm gemacht und ihm angetan hatte. Und in den letzten wenigen Momenten seines unnatürlich verlängerten Lebens, unter Einsatz einer Macht, die er von irgendeinem furchtbaren anderen Ort mit zurückgebracht hatte, machte sich der Professor daran, alles auszulöschen, was in seinem Namen getan worden war. Er blickte Bruder Nathaniel mit seinen schrecklichen Augen an, und Nathaniel verschwand. Wurde aus dem Sein gerissen, nicht real, nie gewesen. Schwester Eliza wandte sich zur Flucht, aber der Professor blickte sie an, und auch sie war verschwunden.

Ich war bereits auf dem Weg zur Tür, als der Traumraum um mich herum zu verschwinden begann. Die Wände, die so bemalt waren, dass sie dem Nachthimmel glichen, wurden durchsichtig und lösten sich auf, und ich konnte die Macht des Professors spüren, die mir folgte, als ich durch den langen Steingang nach oben sprintete. Es war etwas hinter mir, aber ich wagte es nicht, zurückzublicken. Ich platzte in den Raum mit den Chemikalienbottichen, und Bert drehte sich jäh um und starrte mich überrascht an. Er schrie erschreckt auf, als die großen Bottiche sich aufzulösen begannen, aber ich hatte den Raum schon hinter mir gelassen und kletterte die Wendeltreppe wieder hoch. Hinter mir erstarb Berts Stimme abrupt.

Die Holzstufen begannen sich zunehmend weich und immateriell unter meinen Füßen anzufühlen, aber keuchend schaffte ich es bis nach oben. Die Zeit, die ich gebraucht hätte, um meine Rüstung zu mobilisieren, konnte ich nicht erübrigen, und ich glaubte ohnehin nicht, dass sie mich vor Professor Redmonds Zorn hätte beschützen können. Ich rannte einfach weiter, durch die Bibliothek und weiter in die Kirche. Die mittelalterlichen Farbglasfenster waren bereits zu gewöhnlichem Glas verblasst; auch die Wände waren dabei zu verschwinden und enthüllten etwas dahinter, das zu schrecklich war, um es anzusehen. Im Boden hatten sich große Löcher aufgetan, und ich sprang verzweifelt darüber hinweg und raste auf die Tür zu.

Ich stürzte durch sie hindurch und auf die Straße hinaus, heftig nach Luft schnappend, und erst dann drehte ich mich um und blickte zurück. Die Kirche war weg; nichts war von ihr übrig als ein Loch zwischen den beiden modernen Gebäuden, wie ein gezogener Zahn. Die Kulissenschieber waren fort, waren nie gewesen. Der Rote König war endlich aus seinem langen Schlaf aufgewacht - und er war nicht gut gelaunt daraus aufgewacht.

Загрузка...