Kapitel Zweiundzwanzig Herzensbrecher

Als ich dort im Sanktum stand und die Tür hinter mir zuschlug, kam ich mir wie ein Vandale vor, der in eine Kathedrale einbricht. Das Herz leuchtete vor mir und strahlte wie die Sonne, so hell, dass ich mich dazu zwingen musste, es anzusehen. Ein einzelner mächtiger, prachtvoller Diamant, so groß, dass er den größten Teil des riesigen Raums ausfüllte, den meine Familie vor all den Jahrhunderten errichtet hatte, um ihn aufzunehmen und zu beschützen. Allein in der Gegenwart des Herzens zu stehen nahm mir den Atem, bewirkte, dass ich mir klein und unbedeutend vorkam. Aber das glaubte ich nicht mehr. Ich wusste es jetzt besser. Ich starrte in die blendende Helle und weigerte mich, den Blick abzuwenden oder den Kopf zu neigen, auch wenn das schimmernde Licht durch mich hindurchzulodern und alles in meinem Verstand und meiner Seele zu sehen schien.

Und einfach so war das Gefühl der Ehrfurcht auf einmal weg. Das Licht war noch genauso hell, das Herz war noch genauso riesig, aber seine Gegenwart war nicht mehr überwältigend. Es war bloß noch ein wirklich riesiger Diamant. Ich hörte, wie Molly neben mir einen leisen, entspannten Ton von sich gab - denn sie spürte die plötzliche Veränderung auch -, und schreckte schuldbewusst zusammen, als ich merkte, dass ich vergessen hatte, dass sie überhaupt da war. Das konnte die Gegenwart des Herzens mit einem anstellen. Molly und ich rückten langsam in Richtung auf das Herz vor, bis wir fast so dicht davor standen, dass wir es berühren konnten. Die gewölbte Seite des Diamanten erhob sich vor uns wie eine viel facettierte Felswand, doch von unseren Spiegelbildern war nichts zu sehen. Das Licht, das aus dem Innern des Herzens loderte, überstrahlte alles andere. Ich konnte dieses Licht auf meiner Haut spüren, die leicht kribbelte, als ob ich in einen eiskalten Teich eingetaucht wäre. Und zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, als ob das Herz wüsste, dass ich da war, wüsste, weshalb ich gekommen war, und dass es mich direkt anblickte.

»Hallo, Eddie«, sagte das Herz. Seine Stimme war warm und freundlich, männlich und weiblich, und schien von überallher zugleich zu kommen. »Normalerweise gebe ich mir große Mühe, eine geeignete spirituelle und vergeistigte Atmosphäre hier drin aufrechtzuerhalten und die Gefühle all derer zu manipulieren, die vor mich treten, damit auch alle ein angemessen respektvolles Verhalten an den Tag legen. Aber bei dir hat das wohl keinen Zweck, nicht wahr? Du kennst mein kleines Geheimnis, und du bist wegen der Wahrheit hier. Armer Junge. Als ob dein kleiner Verstand all meine Wahrheiten aufnehmen oder voll und ganz erkennen könnte!«

»Du kannst sprechen?«, fragte ich. Ein bisschen naheliegend, ich weiß, aber ich war ehrlich schockiert. Das Herz hatte meines Wissens noch nie zu irgendeinem Drood gesprochen, nicht seit es den ursprünglichen Handel mit meinen Vorfahren eingegangen war.

»Überrascht es dich wirklich so, herauszufinden, dass ich ein lebendes, denkendes Wesen bin?«, fragte das Herz. »Nicht alle Intelligenz ist in Fleisch eingebettet.«

»Bist du wirklich aus einer anderen Dimension hierhergekommen?«, wollte Molly wissen, nur um klarzustellen, dass sie sich aus nichts ausschließen ließ.

»Aus einer höheren Dimension«, erwiderte das Herz. »Was soll ich sagen; ich habe schon immer wahnsinnig gern aus Neugier die Slums besucht.«

»Warum hast du vorher noch nie gesprochen?«, fragte ich.

»Habe ich«, antwortete das Herz. »Aber immer nur zur herrschenden Matriarchin eures Stammes. Es ist eine lange Tradition, dass jede Matriarchin zustimmen muss, unseren alten Handel fortzuführen. Ihre Familie an mich zu binden mit Leib und Seele. Und im Gegenzug gewähre ich euch allen ein kleines bisschen meiner Macht. Ich spreche jetzt nur deshalb zu dir, Eddie, weil du den Eidbrecher trägst. Unangenehmes kleines Ding. Ich versuche deine Familie schon seit Generationen dazu zu überreden, es loszuwerden.«

»Weil es dich vernichten könnte«, sagte Molly.

»Natürlich«, sagte das Herz.

»Wieso bist du hierhergekommen?«, fragte ich schroff. Ich war jetzt den Antworten so nahe, dass ich es kaum noch ertragen konnte. Ich wollte alles wissen. Ich war so weit gekommen, hatte so viel verloren und konnte spüren, wie der Tod persönlich mir auf die Schulter tippte, während die fremde Materie sich in mir ausbreitete … aber was immer hier auch geschah, ich war entschlossen, endlich die Wahrheit zu erfahren. »Du warst auf der Flucht, nicht wahr? Wurdest von etwas, was dich in Panik versetzte, durch die Dimensionen gejagt. Also was hast du getan, dass du dich in diese kleine, primitive Dimension herunterladen musstest?«

»Ich hatte bloß ein bisschen Spaß«, sagte das Herz. Seine Stimme hatte sich fast unmerklich verändert; sie klang immer noch warm und freundlich und einschmeichelnd, aber darunter hörte sie sich an, als fände es Vergnügen daran, Fliegen die Flügel auszureißen oder auf Schmetterlinge zu treten, einfach weil es das konnte. »Ich spiele gern. Und wenn ich manchmal etwas zu grob spiele und mein Spielzeug kaputt mache - na ja, es gibt immer anderes Spielzeug.«

»Spielzeug?«, fragte ich. »Ist das alles, was wir für dich sind?«

»Was könntet ihr sonst sein? Solch beschränkte, kurzlebige Wesen; ihr kommt und geht so schnell, dass ich kaum mitkomme. Ich lebe schon seit Jahrtausenden!«

»Und da fällt dir nichts Besseres ein, als mit Spielzeug zu spielen?«, fragte Molly.

»Ohne Fragen geliebt und verehrt zu werden und Gehorsam zu erfahren«, sagte das Herz glücklich. »Was könnte es Wichtigeres geben?«

»Und wenn es deine Spielzeuge einmal wagen sollten, zu rebellieren?«, fragte ich.

»Dann zerquetsche ich sie«, sagte das Herz. »Spielzeuge müssen wissen, wo sie hingehören. Aus diesem Grund habe ich dich hier hereingelassen, Eddie. Ich habe dich zu dem gemacht, was du bist. Ich habe dir das Geschenk meines goldenen Halsbands gemacht, und du hast es jahrelang getragen wie das brave kleine Hündchen, das du bist. Aber es ist immer noch mein Halsband.«

Der Torques um meinen Hals brannte eiskalt, als das goldene, lebende Metall binnen eines Moments über und um mich schwappte, obwohl ich es nicht gerufen hatte. Die Rüstung umgab mich wie eine Gefängniszelle, isolierte mich von der Welt und sperrte mich hilflos in ihrem Innern ein. Wieder und wieder sprach ich die aktivierenden Worte, doch nichts geschah. Ich drückte Arme und Beine gegen das umhüllende Metall, aber die Rüstung hielt mich unbeweglich fest. Ich hatte keine Kontrolle mehr; das Herz hatte sie. Ich war jetzt nur noch eine glänzende goldene Puppe, in deren Inneren ein Mann gefangen war.

»Töte die Frau!«, sagte das Herz fröhlich, gierig, und die Rüstung rührte sich, um zu gehorchen, und rückte in Mollys Richtung vor trotz allem, was ich tun konnte, um sie davon abzuhalten.

Molly rief nach mir, als die Rüstung sich an sie heranarbeitete, aber sie konnte meine Antwort nicht hören. Und weil das Herz den meisten Platz im Sanktum in Anspruch nahm, konnte sie nicht wirklich irgendwohin. Sie wich um die Peripherie des großen Raums zurück und versuchte, einen sicheren Abstand zwischen sich und der vorrückenden Rüstung zu wahren. Es gab zwei Ausgänge aus dem Sanktum, aber sie musste wissen, dass die Rüstung über sie herfallen würde, bevor sie eine der Türen auch nur öffnen konnte. Inzwischen brüllte ich die aktivierenden Worte und schrie Molly zu, zu fliehen, aber kein Laut kam an der gesichtslosen goldenen Maske vorbei, die mein Gesicht bedeckte.

Molly erkannte, dass sie mich nicht erreichen konnte, und wich nicht mehr zurück. Ruhe und kalte Entschlossenheit spiegelten sich in ihrer Miene wider. Sie beschwor einen tosenden Sturm herauf, der heulend aus dem Nichts hereinbrach und wie ein Rammbock die Luft vor sich hertrieb. Er versuchte, mich aufzuheben und fortzuwehen, doch meine Rüstung ließ schwere Nägel aus den Unterseiten ihrer goldenen Füße wachsen und verankerte sich im Holzboden. Der Wind umpeitschte harmlos mein goldenes Äußeres, fand keinen Angriffspunkt, wurde schwächer und erstarb. Die Rüstung machte einen Schritt nach vorn.

Molly beschwor einige Hand voll Höllenfeuer herauf und warf sie nach mir. Flammen aus dem tiefsten Teil des Höllenschlunds, dazu bestimmt, Leib und Seele zu verbrennen, und dennoch konnten sie mir durch die goldene Rüstung nichts anhaben. Die Flammen peitschten den Boden rings um mich und schwärzten ihn, die Hitze war so entsetzlich, dass flimmernde Schleier in der Luft lagen, doch ich spürte nichts. Die Rüstung machte einen Schritt nach vorn.

Monster erschienen aus dem Nichts, um mir den Weg zu versperren. Riesige, schreckliche Kreaturen mit gepanzerter Haut und peitschenden, stachelbewehrten Tentakeln und weit aufgerissenen, schnappenden Mäulern voller rasiermesserscharfer Zähne. Doch die Rüstung ging geradewegs durch die Illusionen hindurch, um zu Molly zu gelangen. Molly wich zurück, entließ mit einer Handbewegung die Illusionen und beschwor eine bodenlose Grube zwischen ihr und mir herauf. Die Anstrengung trieb ihr den Schweiß ins Gesicht. Die Rüstung sprang mühelos über den Abgrund und stellte sich vor sie, angetrieben von der übernatürlichen Kraft ihrer gepanzerten Beine. Molly beschwor einen flimmernden Schutzschirm aus reiner Magie, der sich zwischen sie und mich legte. Er knisterte und prasselte in der Luft, erhalten von ihrem eisernen Willen. Die Rüstung legte eine einzige goldene Hand gegen den Schirm und drückte langsam, unbarmherzig, mit all ihrer unmäßigen Kraft dahinter.

Bis der Schutzschirm Risse bekam, zersprang und verschwand, und Molly wich zurück, weinend vor Erschütterung und Schmerz. Denn am Ende war Molly ein Mensch und die Rüstung nicht.

Molly war inzwischen unverkennbar erschöpft, ihre sämtlichen inneren Ressourcen aufgezehrt. Sie taumelte zurück, fort von mir, und hielt sich an der Wand fest, um nicht zu fallen, und die Rüstung ging ihr nach. Ihre tödlichen goldenen Hände streckten sich nach ihr aus, und es gab nicht das Geringste, was ich tun konnte, um sie aufzuhalten.

»Eddie«, sagte Molly und bemühte sich angestrengt, ruhig und fest zu klingen, »ich hoffe, du kannst mich da drin hören. Ich weiß, dass das … nicht du bist. Ich habe getan, was ich konnte; jetzt liegt es an dir, die Rüstung aufzuhalten. Aber falls du es nicht kannst … ich will, dass du weißt, dass ich es verstehe. Ich verstehe, dass nicht du es sein wirst, der es macht. Gib dir also nicht die Schuld daran! Nur … finde einen Weg, das Herz bezahlen zu lassen! Auf Wiedersehen, Eddie, meine einzig wahre Liebe!«

Ich konnte ihr nicht einmal antworten.

Ich hatte mich bei meinem hilflosen Kampf in der Rüstung verausgabt, als ich mich mit meiner menschlichen Stärke gegen ihre unmenschliche Stärke gestemmt hatte. Ich konnte keinen Körperteil bewegen, wenn nicht die Rüstung ihn bewegte. Es war, als ob meine Hand mir nicht gehorchte, eine Waffe ergriff und einen Mord beging, während ich nur zusehen und sie hilflos anschreien konnte, aufzuhören. Es war auch nicht gerade hilfreich, dass dermaßen viel Stress meine Abwehrkräfte geschwächt hatte und die fremde Materie inzwischen in meinen ganzen Körper geströmt war. Ich konnte spüren, wie sie in meinem Inneren pulsierte. Die Schmerzen waren grässlich, und ich war so schwach, dass ich wahrscheinlich hingefallen wäre, wenn die Rüstung mich nicht aufrecht gehalten hätte. Ich war so müde! Ich hatte so lange gekämpft und mich geweigert aufzugeben, und das alles umsonst!

Und dann sagte eine schwache Stimme in meinem Hinterkopf: Dann hör auf zu kämpfen, du Idiot! Die Stimme hörte sich überhaupt nicht wie meine an. Sie hörte sich auch nicht wie die des Herzens an. Also spielte ich va banque und hörte auf zu kämpfen.

Ich ließ die Schwäche mich durchströmen und mir sämtliche Kraft aus Armen und Beinen nehmen. Ich hörte auf, Widerstand zu leisten und ließ die fremde Materie tun, was sie wollte. Ich gab auf … und die Rüstung blieb taumelnd stehen. Ihre goldenen Hände hielten Zentimeter vor Mollys Hals an, und dann sank die Rüstung langsam und schwerfällig vor ihr auf die Knie. Denn der Torques war mit mir verbunden, mit Leib und Seele, und nicht einmal das Herz konnte diese Verbindung trennen. Die Rüstung ist immer nur so stark wie der Mann in ihrem Inneren, und dieser Mann … hatte nichts mehr drauf. Das goldene, lebende Metall kräuselte sich über meiner Haut und bemühte sich nach Kräften, den Befehlen des Herzens zu gehorchen, aber meine hartnäckige Schwäche, die durch die Anwesenheit der fremden Materie in meinem Körper noch unterstützt wurde, war stärker. Ein geringes Maß an Kontrolle kehrte zu mir zurück, und langsam zwang ich das goldene Metall von meinem Gesicht herunter, sodass Molly mich sehen und hören konnte. Sie kauerte sich vor mir nieder, und ich glaube, sie konnte den Tod in meinem Gesicht sehen. Sie fing an zu weinen.

»Tut mir leid, Molly«, sagte ich. »Aber weiter als bis hierher gehe ich nicht. Wir haben immer gewusst, dass ich das Ende der Geschichte vermutlich nicht erleben würde … Die fremde Materie hat mich mittlerweile ganz durchdrungen. Es gibt nur noch eine Sache, die du für mich tun kannst. Schnell, bevor das Herz einen Weg findet, mir die Gewalt über die Rüstung wieder zu entreißen, nimm den Torquesschneider und zertrenne den Torques um meinen Hals! Damit zerstörst du die Rüstung. Sie wird dich nicht verletzen können. Dann nimm den Eidbrecher und zerschlage diesen aufgeblasenen sprechenden Diamanten in eine Million Stücke!«

»Das kann ich nicht, Eddie! Es wird dich umbringen!«

»Mit mir geht es sowieso zu Ende! Tu es, Molly. Bitte! Beschütze dich selbst! Auf diese Weise … bekommt mein Tod wenigstens einen Sinn. Einen Zweck.«

»Eddie …«

»Wenn du mich liebst, dann töte mich! Denn ich würde lieber sterben als mitansehen zu müssen, wie dir wehgetan wird.«

»Ich wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickeln können.«

»Ich auch. Auf Wiedersehen, Molly. Meine einzig wahre Liebe.«

Ich senkte meinen goldenen Kopf und bot ihr meinen Hals dar. Meine Bewegungen wurden bereits steif, denn das Herz kämpfte darum, die Kontrolle wiederzuerlangen. Molly nahm die hässliche schwarze Schere heraus und setzte sie an der Seite meines goldenen Halses an. Irgendwo im Hintergrund schrie das Herz Befehle, aber keiner von uns hörte hin. Molly presste die Scherenblätter zusammen, und die schwarzen Schneiden durchtrennten meinen Torques. Im selben Moment verschwand meine goldene Rüstung, und die beiden Hälften meines goldenen Halsreifs fielen auf den Boden.

Und ich lachte auf, denn neue Kraft durchströmte meinen Körper.

Ich erhob mich, immer noch lachend, und hob Molly mit mir hoch, während sie mir verdutzt ins Gesicht sah. Dann fing sie vor lauter Erleichterung selbst an zu lachen. Ich drückte sie fest an mich, und sie drückte mich, und ich fühlte mich stark und gut und endlich im Frieden. Scheinbar eine Ewigkeit lang hielten Molly und ich einander fest, und es fühlte sich gut, so gut an, am Leben zu sein. Endlich ließen wir los, traten einen Schritt zurück und schauten einander ins Gesicht.

»Eddie, du lebst …«

»Ich weiß! Ist das nicht großartig?«

»Wie … Eddie, da liegt ein Reif um deinen Hals! Und er ist aus Silber!«

»Ich weiß«, sagte ich. »Es ist die fremde Materie. Offenbar hat es so etwas wie ein Missverständnis gegeben …«

»Um es gelinde auszudrücken!«, sagte eine neue Stimme. »Ich fing schon an zu glauben, ich würde nie rechtzeitig zu dir durchdringen!«

Die neue Stimme war groß und machtvoll und klang sehr vernünftig, und sie donnerte durchs Sanktum. Sie ging von mir aus, aber nicht ich war es, der sprach. Das Herz schrie vor Wut und Verzweiflung, aber es hörte sich wie ein sehr kleines Geschöpf an, verglichen mit der neuen Stimme - der fremden Materie, die durch mich sprach.

»Endlich Zeit für die Wahrheit«, sagte sie. »Erfahre jetzt die wahre Geschichte jener abscheulichen und bösen Kreatur, die du als das Herz kennst. Krimineller. Sünder. Dieb. Feigling. Mörder. Es kam hierher, weil es die Hosen voll hatte. Weil es wusste, dass ich ihm dicht auf den Fersen war, dass ich im Begriff war, es gefangen zu nehmen und dahin zurückzubringen, wo es herkam, zur Aburteilung und Bestrafung. Für all die schrecklichen Dinge, die es in zahlreichen Dimensionen verbrochen hat. Das Herz war jahrtausendelang auf der Flucht, durchstreifte Dimension um Dimension und beutete alles aus, was es dort fand.

Ich bin der Schamane meines Stammes, ganz ähnlich wie deine druidischen Vorfahren. Wir beschützen die Unschuldigen und bestrafen die Schuldigen - und wir geben niemals auf.

Ich hatte die Spur des Herzens schon fast verloren. Die Fährte war kalt geworden, und ich hatte schon an so vielen Orten gesucht. Und dann tat sich eine kleine Öffnung zwischen den Dimensionen auf. Sie war mit nichts vergleichbar, was ich schon einmal gesehen hatte: vage und unscharf, wirklich ganz primitiv. Es war der Blaue Elf, der seine Gabe willkürlich einsetzte, um zu fischen und zu sehen, was er finden würde. Neugierig gemacht, erlaubte ich ihm, ein kleines Stück von mir zu fangen und durch die Öffnung in seine primitive Provinzdimension zu bringen. Und da war das Herz! Versteckt, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wo niemand auf die Idee kommen würde, nach ihm zu suchen. Ich konnte seine Gegenwart spüren, aber sein exakter Aufenthaltsort blieb mir verborgen. Also manipulierte ich den Blauen Elfen dergestalt, dass er das kleine Stück von mir der mächtigsten Gruppe in dieser Dimension in die Hände spielte - der Drood-Familie. Und tatsächlich, sobald ich hierhergebracht worden war, konnte ich das Herz lokalisieren. Unglücklicherweise war ich nicht genug von mir, um die Verteidigungsanlagen durchbrechen zu können, die deine Familie um das Herz herum errichtet hatte.

Also wartete ich. Und schon bald ging der Blaue Elf wieder fischen, und ich erlaubte ihm, mehr von mir zu fangen. Und dann manipulierte ich ihn und die Drood-Verräter und endlich den Elbenlord, damit dieser einen Pfeil von mir in dich schießen würde, Eddie. Damit du mich hierherbringen konntest, in die Gegenwart des Herzens. Ins Innere all seiner Schutzvorkehrungen. Ich hatte nie vor, dir solche Schmerzen zu verursachen, Eddie. Das ganze Leiden und die Schwäche wurden von meiner fremden Materie verursacht, die mit dem Halsreif des Herzens kollidierte. Du würdest es vermutlich einen Kurzschluss nennen. Der menschliche Körper war nie dazu gedacht, solche diametral im Gegensatz stehenden andersdimensionalen Substanzen aufzunehmen.«

»Wieso bin ich nicht gestorben, als Molly mir den Torques abgeschnitten hat?«, fragte ich.

»Droods sterben nur, wenn sie von ihren Torques getrennt werden, weil das Herz es so wollte«, sagte die Stimme. »Es durfte nicht riskieren, dass von seinen Spielzeugen welche loskommen. Aber das ist jetzt alles vorbei. Das Herz kann dir nicht mehr wehtun, Eddie; nicht, solange ich hier bin, um dich zu beschützen. Und deiner Familie wird es auch nicht mehr wehtun, wenn es erst einmal zerstört ist. Und obwohl ich das Herz so außerordentlich lange gejagt habe … finde ich, dass es dein Vorrecht ist, ihm ein Ende zu bereiten, Eddie. Wenn du es willst.«

»Ich will«, sagte ich und zog den Eidbrecher aus meinem Gürtel und drehte mich um, um dem Herzen gegenüberzutreten.

»Das kannst du nicht machen!«, kreischte es. »Ich habe dich zu dem gemacht, was du bist! Ich habe deine Familie mächtig gemacht! Ich habe euch die Leitung über diese dämliche kleine Welt übertragen! Wag dich nicht, mir Schaden zuzufügen! Ich bin dein Gott!«

»Schlechter Gott«, sagte ich.

Ich hob den Eidbrecher hoch über meinen Kopf und ließ ihn krachend auf den riesigen Diamanten niederfahren. Die uralte Waffe nahm ihren schlichten, brutalen Aspekt an und trennte alle Kräfte auf, die das andersdimensionale Wesen zusammenhielten. Das Herz schrie gellend, sein Licht flackerte in großartigen Stakkatoimpulsen, und dann explodierte der mächtige Diamant ohne einen Laut. Er zersprang in Millionen von leblosen Bruchstücken, die wie Sand zu Boden fielen, bis vom Herzen nichts mehr übrig war. Es war ohnehin nicht viel an ihm dran gewesen; das Herz war die ganze Zeit über leer gewesen.

Und als das Herz endlich zerstört war, waren sämtliche Seelen, die so lange in ihm eingesperrt gewesen waren, endlich befreit. Sie manifestierten sich kurz in der ruhigen Luft des Sanktums, eine nach der andern, leuchteten auf und erloschen, zahllose schimmernde Formen, die in einer letzten Zurschaustellung der Freude über ihre Freiheit explodierten wie eine Unmenge von lautlosen Feuerwerkskörpern, ehe sie endgültig übergingen in das, was immer als Nächstes kommt. Molly schrie entzückt auf und klatschte in die Hände.

Und ganz am Schluss kam eine kleine Seele zu mir. Mein Zwilling. Mein Bruder. Er hing in der Luft vor mir, noch ein Baby, erst ein paar Tage alt, und dann entwickelte er sich plötzlich zur Erwachsenenform, zu meinem Alter, meiner Größe. Er sah aus … wie das Gesicht, das ich jeden Tag im Spiegel sehe, bloß ohne die ganzen Falten, die Schmerz, Verlust und Pflicht darin hinterlassen haben. Mein Bruder betrachtete mich für einen langen Moment, und dann lächelte er mir zu, zwinkerte und war fort.

Und das war's.

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