15


Drei Tage nachdem die Admiral Farragut Callisto erreicht hatte, waren der größte Teil des Stationspersonals und der Schiffsbesatzung mit der Betankung des Frachters beschäftigt. Kapitän Olafson und Thorpe waren beide zum Schiff zurückgekehrt, um die Arbeiten zu überwachen, während andere Expeditionsteilnehmer ihre Plätze auf dem Mond eingenommen hatten. Amber Hastings und die Wissenschaftler der Station hatten mit den Plänen zur Beobachtung des Kometen bei seiner nahen Begegnung mit Jupiter alle Hände voll zu tun.

»Es wird darauf ankommen, Ihre Teleskopbeobachtungen mit unserem Bodenradar zu koordinieren«, erklärte Radha Rajapur, Callistos Chefastronom. Er und Amber studierten gerade den neuesten Ausdruck der voraussichtlichen Flugbahn des Kometen durch das Jupitersystem. »Wenn uns das gelingt, dann können wir Ihre Beobachtungen mit genauen Positions-und Geschwindigkeitsdaten auf Sekundenbasis vervollständigen.«

»Das dürfte nicht allzu schwierig sein«, erwiderte Amber. »Da der Komet Callisto innenseitig passieren wird, sitzen Sie hier in der allerersten Reihe.«

Rajapur, ein kleiner Inder mit urchdringenden schwarzen Augen, nickte. »Wir haben wirklich Glück. Wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich für die Glücksgöttin Weihrauch verbrennen müssen.«

Im Verlauf der Diskussion dachte Amber, dass sich die Alten vielleicht gar nicht so sehr geirrt hatten, wenn sie Kometen für ein mächtiges Omen gehalten hatten. Ein winziger Lichtpunkt am Himmel hatte ihr Leben vollkommen verändert. Noch vor einem Jahr hätte sie jedem, der ihr prophezeit hätte, dass sie jemals den Jupiter besuchen würde, gesagt, er wäre verrückt. Und jetzt war sie dabei, den ersten Blick auf den sicherlich berühmtesten Kometen der Geschichte zu planen.

Der Komet Hastings war im Moment jedenfalls noch weit vom Berühmtsein entfernt. Die gasförmige Koma hatte sich erst auf einige Tausend Kilometer ausgeweitet und würde während des Fluges durch das Jupitersystem wahrscheinlich eine bedeutsame Veränderung erfahren. Die Wissenschaftler der Station hofften, durch das Studium der Wechselwirkungen zwischen der Koma und dem cislunaren Raum mindestens ebenso viel über ihren eigenen Hinterhof wie über den Kometen zu erfahren.

Amber hatte sich seit ihrer Entdeckung intensiv mit Kometen beschäftigt. Sie wusste, dass sie im Allgemeinen erst dann einen Schweif bildeten, wenn die Entfernung zur Sonne weniger als 2,5 Astronomische Einheiten betrug. Einige Astronomen schlossen Wetten darauf ab, dass der große Kern des Kometen Hastings ihn bereits frühzeitig zur Ausbildung eines Schweifs veranlassen würde. Sie verwiesen auf den Kometen Humason aus dem Jahr 1962, der bereits bei 2,6 AE einen ausgeprägten Schweif entwickelt hatte. Das gegnerische Lager behauptete, der massive Kern würde die Schweifbildung verzögern. Man verwies auf die riesige Temperatursenke, die der große Kern darstellte. Doch selbst die Gegner räumten ein, dass der Kern, wenn er sich erst einmal erwärmt hätte, einen spektakulären Schweif produzieren würde, der den Erdhimmel jahrhundertelang alle sieben Jahre zieren musste.

Nahe Begegnungen mit dem Jupiter waren außerdem nicht gar so ungewöhnlich. Im Jahre 1886 hatte sich der Komet Bennet dem Planeten bis auf 400.000 Kilometer genähert, wobei er tief in den Orbit von Io eingetaucht war. Man hatte beobachtet, dass sich der Komet nach der Begegnung in mehrere kleinere Teile aufgespalten hatte. Tatsächlich waren die meisten periodischen Kometen irgendwann einmal dem König der Welten begegnet. Ihre Umlaufbahnen waren unauslöschlich vom Einfluss des Jupiter geprägt.

Nach vierstündiger Diskussion hatten Amber und die Wissenschaftler von Callisto ihre Pläne bis zu dem Punkt ausgearbeitet, wo sie mit den eigentlichen Vorbereitungen beginnen konnten. Sie hatten einen genauen Zeitplan festgelegt, in dem Beobachtungsziele von primärer und sekundärer Bedeutung bis auf Millisekunden genau festgehalten waren. Wenn sie diesen Plan befolgten, konnte die Admiral Farragut wie auch die Forschungsstation Callisto sicher sein, dass sie beide das gleiche Phänomen zur gleichen Zeit beobachteten.

»Ich würde sagen, wir haben es so ziemlich geschafft«, sagte Amber, als sie den Zeitplan fertiggestellt hatten.

»Einverstanden«, erwiderte Rajapur. »Ich schlage vor, dass wir uns für ein paar Stunden zurückziehen. Ich glaube, Amber, dass Sie auf dem Galabankett heute Abend der Ehrengast sein werden!«

Amber nickte. »Da der Kapitän und Tom Thorpe uns verlassen haben, werde ich’s wohl sein.«

Die Station war in einer Tiefe von einhundert Metern unter dem Walhalla-Becken in Eis und Gestein gegraben worden. Da Eis ein hervorragendes Dichtungsmaterial war, hielt man die Korridore absichtlich unter dem Gefrierpunkt und heizte lediglich die einzelnen Abteilungen, in denen Menschen lebten und arbeiteten. Als Amber, in ihren elektrisch geheizten ›Schneeanzug‹ gehüllt, zu ihrer Kabine zurückging, hörte sie ihren Namen durch den langen Korridor hallen. Sie wandte sich um und erkannte John Malvan, der hinter ihr herlief. Der einarmige Exbergmann war am Tag zuvor mit dem Shuttle eingetroffen. Er bewegte sich mit dem raumgreifenden, für Niedrigschwerkraft typischen Schritt des geborenen Lunariers.

»Hallo John!«, sagte sie. »Ich habe Sie seit Ihrer Landung nicht mehr gesehen. Wo haben Sie denn gesteckt?«

»Ich habe mich von den Stationsleuten herumführen lassen und Luna über unsere Fortschritte informiert.«

»Warum nicht vom Schiff aus?«

Malvan zuckte mit den Achseln. »Die haben genug Probleme damit, den Tanks nachzujagen.« Ungesagt blieb, dass Malvan auch seine Unabhängigkeit von Tom Thorpe und Kapitän Olafson demonstrieren wollte.

»Was haben Sie gesehen?«

»Eine ganze Menge!«, antwortete er. »Ich komme gerade von einer Besichtigung des Lochs zurück, das sie durch die Kruste schmelzen. Waren Sie schon da?«

»Nein. Ich hab gehört, dass es ziemlich tief sein soll.«

»Tiefer als alles, was wir jemals auf dem Mond versucht haben. Mein Gott, was hätte ich in den alten Tagen dafür gegeben, solche Eisvorkommen wie die hier zu finden. In der Kruste ist mehr Eis als Gestein.«

»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Amber. »Wenn wir nur halb so viel Wasser hätten, wie hier verschwendet wird, dann würde der Mond schwimmen.«

»Wohin sind Sie unterwegs?«

»Zu meinem Zimmer, um mich für das Bankett frisch zu machen.«

»Was dagegen, wenn ich Sie begleite?«

»Überhaupt nicht. Was haben Sie auf dem Herzen?«

»All dieses Eis zu sehen – nun, das hat mich zum Nachdenken gebracht.«

»Worüber?«

»Ich frage mich, warum sich SierraCorp für den Kometen Hastings interessiert.«

Amber lachte, und Atemdampf umwirbelte sie wie Rauch. »Aus dem gleichen Grund, warum sich Luna dafür interessiert! Sie wollen das Eis abbauen und ein Vermögen machen.«

»Aber wenn der Eisabbau ihr Ziel ist, warum dann nicht Callisto? Ich habe mich bei Direktor Kaffin erkundigt. Er meint, sie wären glücklich, wenn hier jemand eine geschäftliche Unternehmung starten würde. Die Zahl der jährlich eintreffenden Schiffe würde sich dadurch verdreifachen, und die Betriebskosten der Station würden sinken.«

Amber hielt inne und wandte sich Malvan zu. »Der Abbau auf Callisto wurde schon einmal versucht. Die Wirtschaftlichkeit stand dagegen.«

»Genau!«, erwiderte Malvan. »Also was macht den Kometen Hastings dann attraktiver? Die Entfernung kann es nicht sein. Sie sagen selbst, dass sich die resultierende Umlaufbahn bis hinter den Jupiter erstrecken wird. Also, warum nicht stattdessen Callisto?«

»Sie können Luna die gleiche Frage stellen. Warum wollen wir ihn?«

»Wir wollen ihn, weil sie ihn wollen. Jedermann weiß, dass Halver Smith ein Experte ist. Wenn er glaubt, dass es sich auszahlen wird, dann wird wohl etwas daran sein.«

Sie nickte. »Tom meinte, sie hätten irgendeine preiswerte Methode, die Fracht in Transferorbits zu bekommen.«

»Was für eine Methode? Hat sie Ihnen irgendjemand erklärt?«

»Nein, es ist ein Betriebsgeheimnis.«

»Warum? Sobald sie einmal angewendet wurde, wird jedermann wissen, wie es funktioniert. Warum die Geheimniskrämerei?«

»Sie haben sich offensichtlich schon Gedanken darüber gemacht. Sagen Sie mir Ihre Meinung.«

»Ich glaube, sie beabsichtigen, den Kometen einzufangen und in eine Umlaufbahn um die Erde zu bringen.«

»Unmöglich! Das verdammte Ding hat eine Masse von sechzig Billiarden Tonnen. Um es in einen Erdorbit zu bringen, bräuchte man die ganze von der Menschheit bislang produzierte Energie – und noch etwas mehr.«

»Nicht wenn sie vorhaben, ein kleines Stück abzuschneiden und in eine Umlaufbahn zu bringen, während sie der Republik den nutzlosen Rest überlassen.«

»Das können sie nicht tun. Es würde den Vereinbarungen widersprechen.«

»Warum? Wir haben vereinbart, den Kern in gleiche Teile aufzuteilen. Sie nehmen sich ein Prozent, und wir behalten neunundneunzig Prozent. Welches Gericht würde sie wegen ihrer Großzügigkeit verurteilen?«

»Dann schneiden wir ebenfalls ein Stück ab«, sagte Amber, »und bringen es in einen Erdorbit.«

»Klar, sobald der Komet das nächste Mal wieder ins innere Sonnensystem kommt. Wie lange wird das dauern?«

»Sieben Jahre.«

»In der Zwischenzeit besitzt Halver Smith das Monopol auf die Eisproduktion und verlangt dafür so viel, wie es ihm gerade passt.«

»Besitzen Sie irgendwelche Beweise, dass dies wirklich das ist, was die vorhaben?«, fragte Amber.

»Nein. Das ist nur so ein Szenario im Moment. Mit Ihrer Hilfe könnte es mir gelingen, es zu beweisen.«

»Ich spioniere nicht für Sie!«

»Ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie spionieren. Ich bitte Sie, Ihre Augen offen zu halten. Sollten Sie irgendetwas über die den Kometenkern betreffenden Pläne der Sierra Corporation zu hören bekommen, würde ich Sie bitten, es mir mitzuteilen.«

»Warum sollte ich?«

»Weil Sie eine patriotisch gesinnte Lunarierin sind und ich der offizielle Vertreter Ihrer Regierung bin. Denken Sie darüber nach. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe jemandem vom Stationspersonal versprochen, an ihrem Bridgeturnier teilzunehmen.«

Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging davon. Amber blickte ihm nach. Als sie ihre Besprechung mit Rajapur und seinen Kollegen beendet hatte, war sie müde gewesen, aber glücklich. Jetzt war sie erschrocken. Trotz der Warnungen, die Thorpe zu Anfang ausgesprochen hatte, begann die Politik ihr hässliches Haupt zu erheben.


»Da ist sie, Mr. Thorpe. Halten Sie sich mit der Treibstoffleitung bereit!«

Thorpe klemmte in der Lücke zwischen zwei Wasserstofftanks der Admiral Farragut und fühlte sich wie eine Fliege, die auf einem Billardtisch festsaß. Er spähte Richtung Jupiter in den Raum hinaus, mit der immer noch riesigen halben Scheibe von Callisto zu seiner Linken. In weiter Entfernung, genau über dem rötlichen Rand des Planeten, konnte er den Zylinder sehen, auf den sie es abgesehen hatten. Wie Jarrod Whitehead vorhergesagt hatte, lief er mit einem Ende zum Planeten um, durch die Gezeitenkräfte des Jupiter in dieser Lage fixiert. Kapitän Olafson nutzte die Gezeitenkräfte ebenfalls aus. Während die Admiral Farragut langsam zu dem eisigen Treibstofftank aufschloss, zeigte der Schiffsbug genau auf das Zentrum Jupiters hinunter.

»Uh-oh«, brummte Thorpe und wünschte, er könnte sich seine brennenden Augen im Innern des Helmes reiben. »Der hier hat aber noch ein bisschen Spin!«

Beim Zusehen veränderte das schwarze Streifenmuster am einen Ende des Zylinders langsam seine Position. Thorpe aktivierte mit dem Kinn die Stoppuhr in seinem Helm und wartete, bis das gleiche Muster wieder zu sehen war.

»Ich komme auf eins Komma fünf Umdrehungen pro Minute, Emilio.«

»Ich ebenfalls, Mr. Thorpe«, sagte Rodriguez. »Irgendwelche Vorschläge?«

»Diesen hier gehen wir von oben an.« Thorpe meldete seine Entdeckung an Kapitän Olafson weiter.

»Es ist zu riskant«, entschied sie. »Sie werden den Tankschlauch verheddern. Kommen Sie zurück, und wir geben diesen hier auf.«

»Wir wollen nichts überstürzen«, erwiderte Thorpe. »Das ist der letzte aus der zweiten Partie. Es ist ja nicht so, dass wir noch einen anderen Kandidaten greifbar hätten. Warum nicht die Annäherung vollenden und uns die Zeit nehmen, die Lage anzusehen?«

»Ich möchte kein unnötiges Risiko eingehen.«

»Einverstanden, Captain. Aber angucken tut nicht weh.«

»Also gut. Sind Sie beide angeseilt dort draußen?«

»Angeseilt«, antworteten sie unisono.

»Sehr schön. Halten Sie Abstand von den Düsen.«

Das Lodern der Steuerdüsen war das Signal für die letzte Phase der Annäherung an den Zylinder. Bis jetzt waren sie gezwungen gewesen, zwei der freifliegenden Tanks aufzugeben. Der eine hatte unkontrollierte Trudelbewegungen ausgeführt, der zweite war beim Start aufgesprungen. Thorpe wollte keinen dritten aufgeben, wenn es nicht absolut notwendig war.

Der Kapitän brachte das Heck des Schiffes ungefähr fünfzig Meter von dem Quader entfernt zum Halten. Als er von seinem Sitz aus hinabblickte, konnte Thorpe das bronzefarbene Öffnungsventil sehen, das ihr Ziel war. Das Ventil rotierte langsam, entsprechend der Drehung des Zylinders um seine eigene Achse. Wenn sie sich einklinkten, dann würde die Rotation den Tankschlauch innerhalb weniger Minuten verknoten.

»Wie wäre es, wenn wir das Schiff in Rotation versetzen würden, Mr. Thorpe?«, fragte Rodriguez. »Wir könnten unser Heck nach der Zylinderachse ausrichten und uns seiner Rotationsrate anpassen. Dann können wir uns einklinken, ohne den Schlauch zu verdrillen.«

»Was ist mit der Schlaufe?«, fragte Thorpe. Wie lose sie den Schlauch auch halten mochten, er würde durchhängen. Das würde kein Problem darstellen, solange der Schlauch leer war, doch sobald er sich mit Wasserstoff füllte, würde die schwingende Masse sowohl das Schiff wie auch den Zylinder ins Trudeln bringen. Schlimmstenfalls würden sie miteinander kollidieren.

»Legen Sie eine Sicherheitsleine rüber und lassen Sie sie vom Kapitän mit den Düsen strammziehen. Wir können den Tankschlauch daranhängen und so am Durchhängen hindern.«

Thorpe dachte darüber nach, dann besprach er das Problem über Funk mit dem Kapitän.

»Wissen Sie überhaupt, wie heiß unser Abgasstutzen ist?«, erwiderte sie. Mit ›heiß‹ meinte sie die Radioaktivität.

»In Ordnung, wenn wir nicht über das Heck gehen können, dann gehen wir über den Bug. Wenden Sie den Bug dem Zylinder zu. Wir werden die Tankleitung bis vornehin an Haltegriffen befestigen. Sie passen sich der Tankrotation an, wir springen rüber, und alles, worüber wir uns Sorgen machen müssen, ist, dass uns nicht schwindelig wird, bevor wir mit der Arbeit fertig sind.«

Erneut entstand im Gespräch eine Pause, in der der Kapitän den Vorschlag überdachte. »Es könnte hinhauen. Ich gehe nah ran, sagen wir, unter zwanzig Meter?«

»Der Schlauch müsste reichen«, stimmte Thorpe zu.

»Sichern Sie sich, solange ich das Schiff wende!«


Das Bankett wurde in der Hauptversammlungshalle der Wissenschaftsstation Callisto abgehalten, in der man eine große Galerie aus dem Eis geschnitten und diese dann mit schweren, halbdurchsichtigen Platten isoliert hatte.

»Von Dr. Rajapur höre ich, dass Sie beide mit dem Beobachtungsplan gerade fertig geworden sind«, sagte Direktor Kaffin während des Mahls zu Amber.

»Ja, in der Tat«, antwortete Amber. »Mit den Geräten, die uns zur Verfügung stehen, werden wir den Kometen über die ganze Bandbreite des elektromagnetischen Spektrums beobachten können.«

»Ich bedaure, dass ich bei Ihren Besprechungen nicht zugegen sein konnte. Die Betankung hat mich zeitlich zu sehr in Anspruch genommen.«

»Wie geht es voran?«

»Wir haben soeben unseren dritten Sechsersatz hochgeschossen. Kapitän Olafson hat uns wissen lassen, dass wir nach dem morgigen Start aufhören können. Das ist eine sehr gute Nachricht. Die tartmannschaften sind ziemlich erschöpft.«

»Das Gleiche hat man mir vom Schiff berichtet«, sagte Amber. »Zum Glück erfordert die Kometenjagd weniger Brennstoff, als für das Auslaufen von der Erde nötig war.«

Die Admiral Farragut hatte ursprünglich nur ein einziges Hexagramm von Wasserstofftanks rund um das Energiemodul des Schiffes mit sich geführt. Deren Volumen hatte man für die Expedition zum Kometen Hastings verdreifacht – auf insgesamt 72.000 Kubikmeter. Die beiden zusätzlichen Reihen weißer Kugeln plus das Antimaterieplasma, welches das Schiff vom Sierra-Skies-Kraftwerk übernommen hatte, ermöglichten dem umgebauten Frachter, seine Geschwindigkeit um einhundert Kilometer pro Sekunde zu verändern. Praktisch das ganze Beschleunigungsvermögen war nötig gewesen, um Jupiter innerhalb von sechs Monaten nach dem Start zu erreichen. Um den auf der Hinreise verbrauchten Wasserstoff auch vollständig zu ersetzen, hätte man mehr als einhundert Tankzylinder hochschießen müssen.

Zum Glück erforderte die Verfolgung des Kometen, wenn er das Jupitersystem einmal verlassen hatte, weit weniger Beschleunigung. Der Brennstoff aus zwei Dutzend Zylindern würde für die Durchführung der Mission genügen. Ein Rabatt für unvermeidbare Vergeudung brachte die Zahl der erforderlichen Tanks auf dreißig. Wenn sie den Kometen erst einmal erreicht hatten, würde die Besatzung der Admiral Farragut natürlich zwei Jahre Zeit haben, um die für die Heimreise benötigte rennstoffmenge selbst zu erzeugen.

»Vielleicht wären Sie so nett, den Sinn dessen zu erläutern, was Sie und Dr. Rajapur zusammen tun«, sagte Kaffin. »Mein Verwaltungsrat wird sich dafür interessieren.«

»Natürlich. Ihr Bodenradar wird den Kometen bei seinem Flug durch das System verfolgen. Es wird uns die erste Positionsbestimmung für die Berechnung der neuen Umlaufbahn des Kometen liefern.«

»Haben Sie Mitleid mit mir, Miss Hastings. Ich bin nur ein armer Biochemiker mit einem gewissen Talent für die Verwaltung. Ich weiß sehr wenig über Orbitalmechanik.«

»Eine Umlaufbahn besteht aus sechs klassischen Elementen. Dies sind die große Halbachse der Bahn, die Exzentrizität, die Neigung der Bahnebene gegen die Ekliptik, die Länge des aufsteigenden Knotens der Bahn, der Abstand des Perihels vom aufsteigenden Knoten und die Perihelzeit. Für einen Laien ist es nicht nötig, das alles zu verstehen. Es reicht zu wissen, dass wir drei gute Positionsbestimmungen brauchen oder zwei Positionen und eine Zeit, um die Umlaufbahn vollständig zu bestimmen. Ihre Radarmessungen werden uns Erstere liefern, wenn der Komet das Jupitersystem verlässt.«

»Aber Ihr Schiff kann diese Aufgabe doch bestimmt ebenso gut erfüllen.«

»Nein, Sir. Schauen Sie, ein Raumschiff im Flug weiß selten genau, wo es sich befindet. Ihre Station befindet sich jedoch an einem bekannten Ort eines Mondes, der seit Jahrhunderten beobachtet wird. Zu jedem Zeitpunkt wissen wir mit absoluter Sicherheit, wo sich die Station Callisto befindet. Ihre Radarmessungen werden uns sagen, wo sich der Komet relativ zu Callisto befindet, was uns wiederum in die Lage versetzt, die Position des Kerns zu errechnen.«

»Mein alter Physiklehrer hat mich gelehrt, dass es so etwas wie absolute Genauigkeit nicht gibt, Miss Hastings.«

Amber lachte. »Glauben Sie mir, bei dem Maßstab, in dem wir uns bewegen, kommen wir verdammt nahe heran!«

»Und auf welche Weise wollen Sie sich Ihre zweite ›absolut genaue‹ Positionsbestimmung verschaffen?«

»Wir planen, uns der eschwindigkeit des Kometen anzupassen und ihm einen Monat lang zu folgen.«

»Sie haben eben gesagt, dass Sie Ihre Position nicht genau kennen würden. Wie können Sie dann herausbekommen, wo sich der Komet befindet?«

»Sobald wir Jupiter hinter uns gelassen haben, wird das Farside-Observatorium in regelmäßigen Abständen einen modulierten Laserstrahl in unsere Richtung schicken. Indem wir die Ankunftszeit dieses Strahls festhalten, können wir die Entfernung zwischen der Admiral Farragut und Luna bis auf wenige zehn Meter genau bestimmen. Machen Sie das ein halbes dutzend Mal, und Sie haben eine beinahe ebenso gute Bahnbestimmung wie die, die wir für Callisto haben. Natürlich bestimmen wir sicherheitshalber auch die Positionslinien von Mars, Venus und Jupiter, ebenso wie den Standort Ihres Stationslasers.«

»Das hört sich sehr kompliziert an.«

»Ist es aber in Wirklichkeit nicht. Es ist nur zeitaufwendig und erfordert einen Grad an Genauigkeit, der nicht oft benötigt wird, nicht einmal in der Astronomie.«

Kaffin hob sein reich verziertes Weinglas, ein Produkt aus lokaler Fertigung. Es stellte die in einen Bären verwandelte Nymphe Callisto dar. »Auf Ihr Wohl, Miss Hastings, und auf ein gutes Gelingen!«


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