33


Donald Callas stand auf der öden Oberfläche von Avalon und beobachtete den Vorbeimarsch der Vorräte, die von der Gargantua und der Goliath mit Fähren heruntergebracht wurden. Die kugelförmigen Frachtschiffe hingen so bewegungslos wie zwei Monde über dem Asteroiden, während sich ein steter Strom von rachtschlitten aus den höhlenartigen Laderäumen ergoss. Vor zwei Stunden hatten die Schiffe ihren Eilflug von Donnerschlag nach Avalon beendet. Ihre Mannschaften machten sich unverzüglich an die Arbeit.

Fünf Jahre lang hatten Callas und seine Leute damit verbracht, die Umlaufbahn von Avalon allmählich zu weiten und abzurunden. Der Vorgang hatte den monatlichen Einsatz von zweihundert Gramm Antimaterie erfordert. In einem Jahr hätte der unsymmetrische Asteroid damit die Erde erreicht. Jetzt würde es dazu natürlich nicht mehr kommen.

Es war einen Monat her, dass Callas vom Firmenhauptsitz die Nachricht erhalten hatte, Avalon solle an den Systemrat abgetreten werden. Zunächst hatte er sich über die Entscheidung geärgert. Sein Ärger war jedoch verflogen, als ihm klargeworden war, dass er die Erde ein Jahr früher als geplant wiedersehen würde. Außerdem hatte Sandovals Nachricht klargestellt, dass die Verträge eines jeden voll ausbezahlt würden.

Callas bemerkte, dass von der Stelle aus, wo die Schlitten ihre Fracht entluden, eine Gestalt im Raumanzug auf ihn zukam. Er setzte sich in Bewegung, um den Neuankömmling auf halbem Weg zu treffen.

»Mr. Callas?«

»Ja.«

»Walter Wassilowitsch. Ich bin Mr. Carltons Assistent und verantwortlich für diesen wilden Haufen.«

»Hallo«, sagte Callas, wobei er die Handschuhe des Neuankömmlings berührte. »Wie können ich und meine Männer Ihnen behilflich sein?«

»Zuerst einmal, sind wir an der richtigen Stelle? Würde nicht gerne mit dem Aushöhlen anfangen und dann erst entdecken, dass wir an der falschen Stelle bohren.«

»Wir haben ein großes weißes X dorthin gemalt, wo Sie mit dem Aushöhlen beginnen sollen.«

»Glauben Sie, dieser Felsen hält die Belastung aus, der wir ihn aussetzen werden?«

»Er wird halten. Avalon ist beinahe reines Nickeleisenerz, ohne größere Defekte oder Verwerfungen.«

Der Plan, Avalon in Donnerschlags Weg zu platzieren, erforderte den Verbrauch von sechs Kilogramm Antimaterie in sechs Monaten. Das war das Fünffache des Normalen. Die vorhandene Brennkammer des Asteroiden war zu klein für die Energiemenge, die dabei freigesetzt werden würde. Jeder Versuch, sie auf diesem Niveau zu betreiben, würde zu einer Explosion führen. Anstatt die vorhandene, hochradioaktive Kammer zu erweitern, sollte eine neue Brennkammer gebaut werden. Genau genommen sollten sogar drei installiert werden. Zwei von ihnen würden voll funktionsfähige Ersatzkammern sein, die für den Fall, dass die erste Kammer ausfallen sollte, sofort einsatzbereit wären.

Callas und seine Leute hatten den letzten Monat damit verbracht, geeignete Bohrorte zu überprüfen. Nach dem Fehler, der mit dem Ground-Zero-Krater passiert war, wollte niemand mehr etwas dem Zufall überlassen.

»Wann werden wir mit dem Schub beginnen können?«, fragte Wassilowitsch.

Callas zuckte mit den Achseln. »Nach allem, was ich von Ihrer Ausrüstung gesehen habe, müsste die erste Kammer in einer Woche bis in zehn Tagen ausgehöhlt sein. Dann dauert es noch eine Woche, die Injektionsschächte zu bohren, die Fokussierungsringe zu installieren und die Kontrollgeräte zu kalibrieren. Sie müssten in drei Wochen so weit sein.«

»Wir werden wohl schneller sein müssen«, sagte Wassilowitsch. »Der Boss schmiert mich sonst auf sein Butterbrot.«

»Vielleicht können Ihnen meine Leute helfen.«

»Wie?«

»Wir können die alten Schubtürme überholen und die neuen bauen, die Sie benötigen. Auf diesen Gebieten haben wir mit Sicherheit genug Erfahrung.«

»Hört sich gut an. Ich werde mit dem Boss drüber sprechen.«

Avalons Rotation unter Kontrolle zu bekommen, war die erste Aufgabe gewesen, mit der sich Callas und seine Männer auf dem Asteroiden konfrontiert gesehen hatten. Mit einer Rotationsperiode von acht Stunden war der Asteroid zu umständlich zu handhaben gewesen. Um die Rotation zu stoppen, hatten sie überdimensionale Korrekturtriebwerke auf stabile Türme montiert. Ein Jahr kontinuierlichen Schubs war nötig gewesen, bis die Rotation des Asteroiden zum Erliegen gekommen war. Auch jetzt wurden die Manövrierdüsen noch gelegentlich gezündet, damit Avalon seine Ausrichtung beibehielt.

Um Donnerschlag erfolgreich den Weg abzuschneiden, würde jedoch mehr als ein gelegentlicher Schubstoß nötig sein. Avalon würde selbtständig gesteuert werden müssen, um ihn innerhalb von sieben Monaten in der Flugbahn des Kometen zu platzieren. Kurskorrekturen würden in Abständen von Stunden und nicht mehr von Wochen vorgenommen werden. Dies wiederum brachte es mit sich, dass die vorhandenen Triebwerkstürme überholt und zahlreiche zusätzliche installiert werden mussten.

Wassilowitsch wandte sich um und beobachtete, wie ein großer Apparat von der Hülle der Gargantua losgemacht wurde. Das Entladen klappte hier nicht so zügig wie auf Donnerschlag, aber sie kamen voran.

»Da kommt die Energieversorgung«, sagte er. »Wenn Sie mich nun entschuldigen, ich muss wieder an die Arbeit.«

Callas beobachtete, wie die Gestalt über die Nickel-Eisen-Ebene davoneilte, die sich zusehends in einen Schrottplatz verwandelte. Während er Wassilowitsch sich entfernen sah, überkam ihn Traurigkeit. Vor drei Stunden war er noch der unumschränkte Herrscher über diese winzige Welt gewesen. Damit war es nun vorbei. Wenn das Auftreten des Neuankömmlings auch respektvoll gewesen war, so hatte es Callas doch klargemacht, dass seine Stellung nun die eines interessierten Zuschauers war. Eine Epoche in der Geschichte von Avalon war zu Ende gegangen. Eine neue hatte begonnen.


Tom Thorpe hatte vorgehabt, nach seiner Rückkehr zur Erde einige Wochen Urlaub zu machen, bevor er seine Arbeit an Bord der Newton-Station aufnahm. Constance Forbin hatte jedoch andere Pläne. Er hatte sich kaum von seinem Flug erholt, als die Koordinatorin anrief, um ihn zu einer Konferenz einzuladen, die an der Sorbonne abgehalten wurde, um die Evakuierung Lunas zu diskutieren. Die Zusammenkunft sollte Teil einer ausgedehnten Public-Relations-Kampagne sein, um die Lunarier davon zu überzeugen, dass es die Erde mit ihren Zusagen ernst meinte. Was Thorpe betraf, so hatte er persönliche Gründe, die ihn hoffen ließen, dass der Evakuierung Erfolg beschieden war. Er sagte zu, und drei Tage darauf befand er sich in Paris. Trotz seines Status als ›Aushängeschild‹, vertiefte er sich rasch in das Problem, die ganze Bevölkerung einer kleinen Welt zu evakuieren.

Die Menschen von Luna fortzuschaffen war nicht das einzige Problem. Schon ihr Transport zu den drei bedeutenderen Raumhäfen Lunas würde den Einsatz aller verfügbaren Bodenfahrzeuge und Orbitalfähren Lunas erfordern. Die meisten Bewohner abgelegener Siedlungen mussten mittels Rolligon oder MoonJumper zur nächstgelegenen Haltestelle der Einschienenbahn gebracht werden. Von dort aus würden sie nach Luna City, Tycho Terrace oder zum Mare Crisium transportiert werden. Einmal in den Raumhäfen eingetroffen, würden sie untergebracht, verpflegt und versorgt werden müssen, bis Boden-Orbit-Fähren sie zu den Schiffen bringen konnten, mit denen sie zur Erde fliegen würden.

Das letztere Problem war der Grund, warum die Konferenz einberufen worden war. Erste Simulationen hatten ergeben, dass, wenn jedes vorhandene Raumfahrzeug für die Evakuierung von Luna eingesetzt werden würde, es siebzig Prozent der Bevölkerung nicht rechtzeitig schaffen würden, ihre Welt zu verlassen. Offensichtlich musste man sich etwas Neues einfallen lassen.

Ein durchschnittliches menschliches Wesen maß 180 mal 60 mal 30 Zentimeter. Wenn man die Menschen also wie Holzscheite stapeln könnte, würde jeder leicht in einen Kasten von zwei Metern Länge und einem Quadratmeter Grundfläche hineinpassen. Zwei Kubikmeter pro Person waren annähernd das bewohnbare Volumen der ersten Raumkapseln gewesen. Und manche der frühen Astronauten hatten, wie ein Experte ausführte, Wochen im Orbit zugebracht, nicht nur die wenigen Tage, die eine Reise vom Mond zur Erde dauerte. Folglich war es theoretisch möglich, die ganze Bevölkerung Lunas in einem Kugelvolumen von dreihundertfünfzig Metern Durchmesser unterzubringen!

Mit diesem unerreichbaren Minimum im Hinterkopf, formulierte die Konferenz ihre Pläne. Es blieb keine Zeit, irgendwelche neuen Schiffe zu bauen. Zum Glück waren früher einmal acht riesige Frachtschiffe zwischen dem Mond und den Raumkolonien gependelt. Drei von ihnen waren bereits bei Donnerschlag und Avalon eingesetzt, aber die verbleibenden fünf befanden sich in einem Parkorbit.

Mit einem Durchmesser von hundertfünfzig Metern war jeder Frachter groß genug, um pro Flug 300.000 Menschen zu transportieren. Bei dieser Packungsdichte konnten die Schiffe weder komfortabel sein noch nennenswerte Versorgungseinrichtungen bieten. Für jeden Passagier würden eine flache Koje und die allernotwendigsten Lebenserhaltungssysteme bereitgestellt werden. Um den Platz für die menschliche Fracht zu erhöhen, mussten die alten chemischen Triebwerke ausgebaut und die Wasserstoff-und Sauerstofftanks in Stauraum umgewandelt werden. Die Frachter würden durch Raumschlepper bewegt werden. Die Evakuierungsschiffe würden nur notdürftig bewohnbar sein, übelriechend und eine Hölle der Klaustrophobie. Davon abgesehen, würde jedes Schiff auf einem einzigen Flug bis zu drei Prozent der Bevölkerung Lunas aussiedeln können. Einmal im Erdorbit angelangt, würden sie auf eine Flotte von Shuttles treffen. Diese würden ebenfalls überfüllt sein, doch der Flug zur Erde hinunter würde Gott sei Dank nicht lange dauern.

Während die Arbeitsgruppen der Konferenz unentwegt beratschlagten, nahm der Umbau der Evakuierungsschiffe allmählich Gestalt an. Während die endlosen Sitzungen weitergingen, wurden Werftingenieure über den entwickelten Evakuierungsplan informiert. Man gab ihnen grobe Skizzen, die sie zur Anfertigung detaillierter Computerzeichnungen der notwendigen Modifikationen benutzten. Gegen Ende der zweiten Woche hatten die Arbeiten zum Umbau des ersten Evakuierungsschiffs begonnen.

Als die Konferenz beendet war, stand es Thorpe endlich frei, seinen unterbrochenen Urlaub fortzusetzen. Er war gerade beim Packen, als er einen Anruf von Halver Smith aus Kalifornien bekam.

»Hallo, Thomas. Ich nehme an, Sie sind auf dem Weg zur Newton-Station.«

»So weit ist es noch nicht ganz. Ich soll Ende nächster Woche hochfliegen. Ich dachte mir, ich mache in der Zwischenzeit eine Rundreise durch Europa, um mal abzuschalten.«

»Sind Sie scharf auf diesen Europaurlaub?«

»Ich habe ein paar Pläne gemacht«, sagte Thorpe, plötzlich vorsichtig geworden. Etwas in Smiths Tonfall sagte ihm, dass die Frage keineswegs beiläufig gemeint war. Würde er seinen Boss nicht besser gekannt haben, dann hätte er gedacht, Smith sei wegen irgendeiner Sache beunruhigt.

»Besteht die Aussicht, Sie davon zu überzeugen, hier Urlaub zu machen? Ich könnte Sie auf meinem Landgut unterbringen.«

»Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen, Sir.«

»Das würden Sie nicht, Thomas, das versichere ich Ihnen.«

»Also schön.«

»Ausgezeichnet!«, erwiderte Smith. »Wann und wo sollten Sie nach Newton abfliegen?«

»Sahara Spaceport, am sechzehnten.«

»Ich werde Sie von meinen Leuten nach Mohave bringen lassen und alles Weitere arrangieren. Jemand wird Sie in der nächsten Stunde anrufen.«

»Danke, Sir.«

»Ich erwarte Sie, Thomas.«

Smith schaltete ab und ließ Thorpe auf einen leeren Bildschirm starrend zurück. Nach einigen Sekunden runzelte er die Stirn. Irgendetwas ging vor, daran bestand kein Zweifel.


Thorpe räkelte sich, halb schlafend, neben dem Swimmingpool in Sierra Hills. Über ihm stand eine helle Sonne im taubenblauen Himmel. Wenn er überhaupt an etwas dachte, dann an den Unterschied zwischen diesem milden Wetter und der Kälte, die an jenem schrecklichen Tag, als Amber unter dem Eisrutsch gefangen gewesen war, durch seine Handschuhe gesickert war. Von diesem Vorfall hatte er eine nervöse Angewohnheit zurückbehalten: Wenn er verwirrt oder beunruhigt war, rieb er seine Fingerspitzen aneinander. Das babyhaft zarte Fleisch der Hautverpflanzungen beruhigte ihn irgendwie. Mit jedem auf der Erde verbrachten Tag sah er den Farbunterschied zwischen neuer und alter Haut geringer werden.

»Thomas, sind Sie wach?«

Er öffnete gegen die blendende Sonne ein Auge und erkannte Halver Smith, der über ihm stand. Smith war, soeben vom Firmenhauptsitz herübergekommen, formell gekleidet. In der Woche, die Thorpe in Sierra Hills verbracht hatte, hatte er den Boss nur ein paarmal zu Gesicht bekommen. Er hatte Geschichten über Smiths Arbeitsgewohnheiten gehört, sie aber immer für Übertreibungen gehalten. Das erinnerte ihn daran, dass er auf der faulen Haut lag und endlich wieder in die Gänge kommen musste.

»Ich bin wach, Sir. Hab mir gedacht, ich sauge ein paar Sonnenstrahlen auf, solange Zeit dazu ist. Keine Ahnung, wann ich wieder auf der Erde sein werde.«

»Hat der Urlaub gehalten, was ich Ihnen versprochen habe?«

»Mehr als das«, antwortete Thorpe. Nach fast einem Jahrzehnt im luftleeren Raum waren der Wind, das Meer und die Brandung mehr als genug, um seinen Urlaub komplett zu machen. Als er angekommen war, hatte er alle Einrichtungen auf Smiths Besitzung zu seiner Verfügung vorgefunden. Das schloss den Zugang zu mehreren Privatclubs in der Umgebung ein, von denen viele einen Überschuss an ungebundenen weiblichen Mitgliedern aufwiesen. Die meisten von ihnen waren mehr als interessiert, wenn sie erst einmal herausgefunden hatten, dass er in Sierra Hills zu Gast war. Trotz seiner reichen Jagdausbeute war Thorpe nicht bei der Sache. Er verglich die Frauen, die er kennenlernte, mit einer gewissen blauäugigen Blondine auf der abgewandten Seite des Mondes. Gleich wie gutaussehend oder charmant sie waren, schien seinen neuen Freundinnen im Vergleich mit ihr doch immer etwas zu fehlen.

»Dann verlassen Sie uns also morgen!«

»Ja, Sir. Mein Schiff startet um zwölf Uhr.«

Es entstand eine lange Pause. Als Smith weitersprach, glaubte Thorpe die gleiche Nervosität zu spüren, die ihm während ihres Telefongesprächs in Paris aufgefallen war. »Ich nehme an, dass Sie in den nächsten Tagen die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe Avalon kennenlernen werden.«

»Ja, Sir.«

»Ich möchte Sie fragen, Thomas, ob Sie mir einen Gefallen tun würden.«

»Natürlich«, sagte Thorpe. »Worum handelt es sich?«

»Der Gruppe gehört auch eine junge Frau an. Würden Sie ihr einen Brief von mir übergeben?«

Thorpe hob die Brauen. Seit dem Tod seiner Frau hatte Smith den Ruf eines überzeugten Workaholics. Der Gedanke, dass er auch ein Privatleben haben könnte, war irgendwie überraschend. »Wer ist denn die Dame, Sir?«

»Ihr Name ist Barbara Martinez. Sie ist als Analytikerin dabei, ausgeliehen von Sky Watch.« Während er sprach, hoben sich Smiths Mundwinkel zu einem flüchtigen Lächeln. Thorpe fragte sich, ob Smith sich dessen bewusst war. »Wir haben uns neulich kennengelernt, als sie mir zugeteilt wurde, um mir dabei zu helfen, Carlos Sandoval die Neuigkeiten beizubringen. Hinterher führte ich sie zum Essen aus. Sie ist eine ungewöhnliche Frau.«

»Und Sie haben sie nur dieses eine Mal gesehen?«

»Genau genommen haben wir es geschafft, uns seitdem dreimal zu treffen. Vergangenen Monat kam sie zur erichterstattung zur Erde, und ich habe vor ein paar Wochen auf dem Weg nach Sierra Skies in Newton Zwischenstation gemacht.«

»Warum schicken Sie ihr den Brief nicht? Sie wird ihn erhalten, bevor ich bei ihr bin.«

Smith lachte. »Sie verstehen mich nicht, Thomas. Wir korrespondieren zweimal die Woche und telefonieren täglich miteinander. Nein, mit diesem Brief hat es eine besondere Bewandtnis. Ich möchte, dass Sie ihn ihr geben, wenn Sie den geeigneten Zeitpunkt für gekommen halten.«

»Geeignet wofür?«

»Ich bitte die Dame darum, mich zu heiraten.«

»Sie scherzen!«

»Ich weiß, dass das bei einem Mann in meiner Position seltsam klingen muss. Sie müssen verstehen, dass ich es wegen meiner Position tue. Seit dem Tod meiner Frau haben sich einige Frauen um mich bemüht. So ist das nun mal, wenn man reich und alleinstehend ist. Barbara ist anders. Sie weiß, wer ich bin, aber es scheint sie nicht sonderlich zu beeindrucken. Sie lacht über meine Witze, sagt es mir, wenn sie glaubt, dass ich im Unrecht bin, und vor allem behandelt sie mich wie ein menschliches Wesen. Ich habe mich in sie verliebt, und ich glaube, dass sie meine Gefühle erwidert. Nur, ich bin mir dessen nicht sicher.«

»Warum rufen Sie sie dann nicht auf der Stelle an und fragen sie, ob sie Sie heiraten will?«

Smith schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht, dass sie das Gefühl bekommt, sich schnell entscheiden zu müssen. Sie könnte ja sagen und es später bereuen, wenn sie Zeit dazu hätte, darüber nachzudenken. Schlimmer noch, sie könnte nein sagen! Auf diese Weise wird sie so viel Zeit haben, sich die Antwort zu überlegen, wie sie braucht. Werden Sie es tun?«

»Ich mach’s. Wo ist der Brief?«

Smith machte ein einfältiges Gesicht. »Eigentlich habe ich ihn noch gar nicht geschrieben. Ich werde die Nacht damit zubringen, ihn aufzusetzen. Sie bekommen ihn, bevor Sie morgen aufbrechen.«


Die drei Habitatringe der Newton-Station wurden zusehends größer, als sich die Orbitalfähre der stationären Nabe mit ihren Mehrfachdocks näherte. Thorpe verfolgte die Annäherung mit Interesse. Die riesigen Speichen zogen über ihm vorbei, als die Fähre unter die rotierenden Ringe tauchte. Hinter der Station schwebten Gruppen von Instrumenten, die von Sky Watch und den Meteorologen der Station genutzt wurden. Es war einfach, beide auseinanderzuhalten. Die Instrumente von Sky Watch wiesen in den schwarzen Himmel, während die der Meteorologen auf die Erde ausgerichtet waren.

Die Fähre schob ihre Nase in den Andockstutzen, und ein erngesteuerter Transferschlauch dehnte sich aus, um sich selbsttätig an der Schleusentür zu befestigen. Thorpe passierte die Schleuse, wobei er seine Reisetasche hinter sich herzog.

»Mr. Thorpe!«, rief jemand, als er die Nabe der Station betreten hatte. Er wandte sich um und erblickte einen drahtigen Mann. Sie befanden sich in der Schwerelosigkeitszone der Station. Der Mann stieß sich ab und segelte in Thorpes Richtung, der sich an einer icherheitsleine festklammerte.

»Hallo, ich bin Terence Zaller, Dr. Fusakas Assistent. Er bat mich, Sie abzuholen. Er ist ziemlich beschäftigt heute Morgen.«

»Hä?«

»So Gott will, werden heute die Triebwerke von Avalon gezündet. Genau genommen«, fügte Zaller mit einem Blick auf seine Armbanduhr hinzu, »müssten sie sie in diesem Moment anwerfen.«

»Mir wurde gesagt, sie würden erst in drei Tagen fertig.«

»Sie sind dem Zeitplan etwas voraus. Kommen Sie! Wir gehen in die Konstruktionsbüros hinunter und sehen uns die Show an.«

Thorpe folgte Zaller zu einem Speichenlift und von dort in stetig zunehmende Schwerkraft. Sie verließen den Lift im Gamma-Deck, Habitatring Nummer zwei. In diesem Bereich betrug die Schwerkraft ein Drittel des Erdstandards.

Die zwei Dutzend Mitglieder der Arbeitsgruppe Avalon befanden sich in einem Zimmer, das als Konferenzraum hergerichtet war. Als Thorpe dazukam, hatten sie sich um einen großen Bildschirm versammelt, auf dem der Asteroid Avalon zu sehen war. Das Bild war von einem Raumschiff im Orbit aus aufgenommen und zeigte den asymmetrischen Asteroiden aus einer Entfernung von mehreren Dutzend Kilometern. Genau über ihm schwebte einer der gro ßen Transporter.

Die Oberfläche des Asteroiden war mit den Kratereinschlägen von Äonen übersät, die er im Orbit diesseits der Venus zugebracht hatte. Über die Asteroidenoberfläche waren Gruppen von Lichtern verteilt. Einige von ihnen hatten das helle Weiß der Arbeitsleuchten, während andere von einer blendend violetten Farbe waren. Die Letzteren strahlten, wie Thorpe sehen konnte, von mehreren stabförmigen Türmen aus, die an den Endpunkten der Hauptachse des Asteroiden errichtet worden waren. Ihm fiel auf, dass die überdimensionalen Korrekturbetriebe des Asteroiden arbeiteten.

»Wie steht’s?«, fragte Zaller jemanden. Er wurde sofort von mehreren Mitgliedern der Gruppe zum Schweigen gebracht. Jemand flüsterte ihm zu, dass man gerade damit begonnen habe, die Antimaterie-Injektionskanäle des Antriebssystems zu testen.

Thorpe setzte sich in einiger Entfernung vom Bildschirm. Während er wartete, ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Es waren acht Frauen anwesend, aber nur drei von ihnen hätten dem Alter nach Barbara Martinez sein können. Die Annahme, dass der Familienname auf spanische Vorfahren hindeutete, schloss alle Kandidatinnen bis auf eine aus. Er musterte ihr Profil, während sie gespannt den Bildschirm beobachtete. Er musste zugeben, dass der alte Herr einen Blick für Frauen hatte. Sie war nicht so hübsch wie Amber, aber sie kam nahe an sie heran. Thorpe klopfte auf seine Innentasche, um sich zu vergewissern, dass Smiths Brief noch da war, dann wandte er sich wieder dem Monitor zu.

Ein violetter Lichtschein erschien an der Stelle des kartoffelförmigen Asteroiden, wo sein Umfang geringfügig abnahm. Das Leuchten gewann an Helligkeit, bis die Lichtkompensationsschaltung der Kamera reagierte. Im gleichen Augenblick schien in der Nähe des Leuchtens eine strahlende Phantomgestalt aufzusteigen. Langsam, während ionisiertes Nickel und Eisen hochgeschleudert wurden, verwandelte sich das Strahlen in einen voluminösen Lichtkegel.

»Wir haben zehn Prozent Leistung«, gab eine Stimme aus dem Monitorlautsprecher bekannt. »Standby für vollen Schub!«

Das Leuchten explodierte plötzlich auf dem Schirm, während die Kamera den unvermittelten Lichtausbruch gleichzeitig filterte. Doch wo eine Explosion so schnell vorbeigewesen wäre, wie sie begonnen hatte, hielt die Leuchterscheinung minutenlang unvermindert an. Unterdessen wuchs der Strahl ionisierter Materie, bis er die iniaturausgabe eines Kometenschweifs war. Das ganze Gebilde war ein Hinweis darauf, dass stündlich Hunderte von Tonnen Asteroidenmasse in den Raum hinein verdampften.

»Maximale Leistung erreicht. Alle Anzeigen sind unverändert grün. Wir haben einen messbaren Schub!«

Weitere Jubelrufe schallten durch den Raum. Ein hochgewachsener Orientale in der ersten Reihe wartete, bis sie aufgehört hatten, bevor er kommandierte: »Der Kessel ist unter Feuer, und wir sind auf dem Weg, Leute! Ich möchte eure ersten Bestätigungszahlen bis zum Ende der Schicht!«

Plötzlich kam Bewegung in die Versammlung. Sie traten nacheinander auf den Korridor hinaus und zerstreuten sich. Die Stimmung war festlich. Thorpe beobachtete die Frau, die er versuchsweise als Barbara Martinez identifiziert hatte. Sie ging in Begleitung einer anderen Frau hinaus. Beide lachten und scherzten.

»Kommen Sie«, sagte Zaller. »Ich möchte Ihnen Dr. Fusaka vorstellen!«

»Thorpe, eh?«, krähte Fusaka, nachdem Zaller ihn vorgestellt hatte. »Es ist uns eine Ehre. Wie, zum Teufel, sind Sie bloß auf die Idee gekommen, Avalon als Billardkugel zu benutzen?«

»Um die Wahrheit zu sagen, bin ich beim Herumspielen am Computer darüber gestolpert.«

Fusaka lachte. »Mir ist so was auch schon öfters passiert. Man kommt sich ein bisschen blöd dabei vor, ist es nicht so?«

»Das stimmt.«

»Hat man Sie darüber informiert, was wir hier tun?«

»Sie entwerfen Avalons Flugbahn und überwachen die Arbeit.«

Fusaka nickte. »Wir sind verantwortlich dafür, dass Avalon an der richtigen Stelle ist, wenn Donnerschlag in zweihundert Tagen durch das Zentrum des Sonnensystems gestürmt kommt. Der Zusammenstoß mit Avalon wird achtzig Tage vor dem Auftreffen auf dem Mond stattfinden. Das bedeutet, dass wir uns keinen Fehler erlauben dürfen. Wenn wir ihn verfehlen, ist es mit der Erde vorbei.«

Thorpe nickte. Was Donnerschlag betraf, waren die Gesetze der Orbitalmechanik ebenso unverrückbar wie unbequem. Wenn Avalon sein Ziel verfehlte, würde es keine zweite Chance mehr geben.

»Übrigens«, sagte Fusaka, »ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt, als uns Ihre Dienste angeboten wurden. Wir haben hier ein gutes Team, aber wir sind alle Theoretiker. Wir brauchen dringend jemanden mit praktischer Erfahrung. Andernfalls machen wir womöglich einen dummen Fehler und bringen alle um. Wir wollen es nicht so machen wie der Biologe, der so fasziniert von der sozialen Hierarchie der Klapperschlangen war, dass er ihre Giftigkeit vergaß. Wir hoffen, dass Sie uns mit den Erfahrungen, die Sie beim Einfangen des Felsen gewonnen haben, aus unseren geistigen Höhenflügen wieder auf den Boden der Tatsachen herunterholen.«

»Ich werd’s versuchen, Sir.«

»Schauen Sie sich unsere Planung an und sagen Sie mir, was Sie davon halten.«

»Ja, Sir.«

Fusaka streckte noch einmal seine Hand aus. »Terence wird Sie zu Ihrer Kabine bringen und sich darum kümmern, dass Sie hier zurechtkommen. Wenn Sie heute Abend bei mir essen möchten, werde ich Sie mit dem Rest des Teams bekanntmachen. Sie sind herzlich eingeladen.«


Am nächsten Morgen saß Thorpe im Aufenthaltsraum und sah den Gesamtplan des Projekts Avalon durch. Die Liste umfasste einen Terminplan, in dem alle Aktivitäten zwischen dem Start und dem Zusammenstoß mit Donnerschlag aufgeführt waren. Die Ereignisse waren in zeitlicher Reihenfolge aufgeführt, und jede Abweichung vom Plan wurde augenblicklich berücksichtigt. Thorpe hatte sich schon einige Zeit damit abgemüht, die komplexe Symbolik zu verstehen, als ihm bewusst wurde, dass jemand neben ihm stand.

»Mr. Thorpe?«

»Ja.«

»Mein Name ist Barbara Martinez. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

»Bitte«, sagte er. Seine erste Vermutung war richtig gewesen. Barbara war tatsächlich die Frau, deren Profil er studiert hatte.

»Tut mir leid, dass wir uns nicht schon gestern abend kennengelernt haben. Ich musste ein Programm laufen lassen, und der Computer hat gestreikt.«

»Ich verstehe.«

»Sie arbeiten für Halver Smith, nicht wahr?«

Er nickte.

»Das habe ich mir gedacht. Er hat gelegentlich von Ihnen gesprochen.«

»Von Ihnen auch.«

»Oh? Was hat er denn über mich gesagt?«

»Nun, dass Sie die hübscheste, intelligenteste und charmanteste Frau wären, der er je begegnet ist.«

»Hat er das wirklich gesagt?«

Thorpe nickte. »Er hat sich ausführlich darüber ausgelassen.«

»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

»Gestern morgen.«

»Geht es ihm gut?«

»Es ging ihm schon mal schlechter. Warum fragen Sie?«

»Ich weiß nicht. Er kommt mir gezwungener und unruhiger vor als zu dem Zeitpunkt, als ich ihn kennenlernte. Ich frage mich, ob mit ihm etwas nicht stimmt.«

»Er ist ein beschäftigter Mann, der sich um eine Menge Dinge kümmern muss.«

Barbara schüttelte den Kopf. »Ich habe den Eindruck, dass es wegen mir ist. Ich habe mich schon gefragt, ob er meine Gesellschaft nicht allmählich leid wird.«

»Und Sie glauben, er sucht nach einer günstigen Gelegenheit, um Sie loszuwerden?«

»Der Gedanke ist mir schon gekommen.«

Thorpe grinste und griff in die Tasche. »Nun, diese Möglichkeit können Sie streichen. Mr. Smith bat mich, Ihnen das hier zu geben, wenn ich die Zeit für gekommen hielte. Und ich glaube, das ist sie.«

Sie berührte das Depolarisationsfeld auf dem Umschlag und zog den Brief heraus. Während sie ihn überflog, begannen sich ihre Augen zu weiten. Schließlich sah sie auf. »Wissen Sie, was das hier ist?«

»Im Großen und Ganzen.« Er erzählte ihr von Smiths Wunsch, sie nicht unter Druck zu setzen. Sie stand auf, bevor er mit seinen Erklärungen zu Ende gekommen war. »Wo wollen Sie hin?«

»Einen Monitor suchen!«, sagte sie atemlos. »Ich muss einen Anruf machen!«


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